Adalbert Stifter
Abdias
Adalbert Stifter

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Abdias streichelte die Haare und das Angesicht des Jünglings und sagte, er dürfe nun schon bei ihm bleiben. Dann bereitete er die Suppe und gab ihm zu essen. Auch von den Früchten reichte er ihm einen kleinen Theil und sagte, er solle wenig essen, daß es ihm nicht schade; denn nach seiner Rechnung mußte der Knabe an fünfzig Stunden nichts genossen haben. Dann ließ Abdias die beiden Thiere, das Kamehl und die Eselin, von dem frischen Futter, welches auf der Insel war, so viel fressen, als er glaubte, daß ihnen zuträglich sei, die eigentlich mehr an das trockene Futter gewohnt waren. Von diesem trockenen Futter bekamen sie dann noch einen geringen Rest; denn es mußte jetzt geschont werden, weil Uram gar keinen Vorrath mit sich genommen hatte, und das Land und die Gebirge noch ferne waren, wo man wieder einen bekommen konnte.

»Hast du denn nicht daran gedacht, daß das Kamehl matt werden und dich nicht mehr weiter tragen könnte, ehe du uns fändest?« fragte Abdias.

»Freilich habe ich daran gedacht,« antwortete der Knabe, »deßhalb habe ich es so lange trinken lassen, als es nur wollte, ehe ich fort ritt, auch habe ich ihm von den Körnern zu fressen gegeben, die in unserer Wohnung lagen, und wovon du einen Theil ausgeschüttet hast.«

»Hast du einem unserer Nachbarn gesagt, daß du die Meinung gefaßt hast, daß ich fortgezogen sei?« fragte Abdias weiter.

»Nein, ich habe keinem Menschen ein Wort gesagt, daß sie uns nicht nachfolgen, und uns etwa finden,« sagte der Knabe.

»Gut,« antwortete Abdias, indem er an der Aufzäumung der Eselin weiter arbeitete.

Uram hatte indessen die elende Ausrüstung, die das Kamehl hatte, in den Stand gesetzt, dessen sie fähig war. Man traf die Verabredung, daß Abdias und der Knabe, je nachdem einer oder der andere von ihnen müder würde, in der Benützung des Kamehles abwechseln sollten. Mirtha und Ditha wurden auf der Eselin untergebracht, wie gewöhnlich. Als alles in Ordnung war, brachen sie auf.

So zog nun die auf diese Weise vergrößerte Reisegesellschaft weiter, und wie die ersten zwei Tage gewesen waren, waren alle folgenden. Nachdem man von der Insel weg noch drei volle Tage gezogen war, kam man erst in fruchtbares Land und in das gegen sie heranschreitende Gebirge. Abdias hatte hier in ein einziges schlechtes Dorf abgelenkt, um sich dort mit allem Nöthigen zu versehen, was man brauchte, und was auszugehen drohte. Dann bog er wieder gegen die Einöden ab, die hier ganz anders waren, als in der Wüste, aber gewiß nicht minder schön, erhaben und furchtbar. Die Menschen, Hütten und Dörfer meidend zog man weiter, entweder durch Schluchten, oder auf einsamen Bergrücken, oder gegen sachte steigendes mit würzigem Grase versehenes Staffelland. Die Vorsichten, welche man im Weiterziehen und hauptsächlich beim Nachtlager anwendete, waren jetzt weit mehr, als in der Wüste. Abdias hatte auch den Knaben bewaffnet; denn er hatte in dem Rüstzeuge der Eselin weit mehr Waffen in Fächern angebracht, als die zwei vierläufigen Pistolen, die er bisher in der Wüste bei seinem Nachtlager immer an seiner Seite gehabt hatte. Er trug jetzt bei Tage vier Pistolen in seinem Gürtel und hatte einen schuhlangen Dolch in der Gürtelscheide stecken. Dem Knaben gab er drei Pistolen, und ebenfalls einen Dolch. Jeden Morgen wurden die Ladungen neu untersucht und neu gemacht. Bei der Nachtruhe lagen die Pistolen neben den Schlafenden; die Kleider blieben, wie natürlich ist, auf dem Leibe. Auch wurde jetzt alle Nacht zur Verscheuchung der Löwen und anderer Thiere ein Feuer gemacht, wozu die Brennstoffe mühselig unter Tag gesammelt, und auf dem Kamehle weiter befördert wurden. Zur Unterhaltung des Feuers und zur Wache mußten Abdias und der Knabe abwechseln, und immer einer aufrecht an dem Feuer sitzen und herum schauen.

Aber es traf keine der gefürchteten Gefahren ein. Die Nächte vergingen still und lautlos, mit den feurigen scharfen Sternen aus dem dunkelblauen Himmel jenes Landes hernieder schauend; die Tage waren schimmernd und heiter, und jeder so schön und wolkenlos, oder scheinbar noch schöner und klarer, als sein Vorgänger. Die Glieder der Gesellschaft waren wohl, die kleine Ditha war gesund, und die freie Luft, welche immer unter dem Tüchelchen ihres Körbchens strich, röthete ihre Wänglein, wie an einem zarten Apfel. Man hatte auf dem Zuge weder Menschen noch Thiere gesehen, manchen einsamen Adler ausgenommen, der zuweilen, wie sie weiter gingen, hoch ober ihnen in den leeren Lüften hing. Es hatte sie ein schönes Glück geleitet, gleichsam als zöge ein glänzender Engel über ihren Häuptern mit.

Am frühen Morgen des neun und zwanzigsten Tages ihres Zuges, da sie über eine strauchlose sachte ansteigende Fläche zogen, riß plötzlich die Farbe des Landes, die lieblich dämmernde, die sie nun so viele Wochen gesehen hatten, ab, und am perlenlichten Morgenhimmel draußen lag ein unbekanntes Ungeheuer. Uram riß die Augen auf. Es war ein dunkelblauer, fast schwarzer Streifen, in furchtbar gerader langer Linie sich aus der Luft schneidend, nicht wie die gerade Linie der Wüste, die in sanfter Schönheit, oft in fast rosenfarbner Dämmerung unerkennbar in dem Himmel lag; sondern es war wie ein Strom, und seine Breite stand so gerade empor, als müßte er augenblicklich über die Berge herein schlagen.

»Das ist das Mittelmeer,« sagte Abdias, »jenseits dessen das Land Europa liegt, in welches wir ziehen.«

Seine zwei Gefährten staunten das neue Wunderwerk an, und je weiter sie kamen, desto mehr entfaltete sich der vorher schmal scheinende Strom, Farben und Lichterspiele waren auf ihm, und am Mittage desselben Tages, als sie an dem Rande des Tafellandes angekommen waren, riß die feste Erde jäh ab, sie stürzte vor ihnen hinunter, und legte in der Tiefe die Fläche des Meeres vor ihre Füße. Ein dunkler waldreicher Streifen der afrikanischen Küste lief an dem nassen Saum hin, eine weiße Stadt blickte aus ihm auf, und unzählige weiße Punkte von Landhäusern waren in dem Grün zu sehen, gleichsam Segel, die aus dem Grün eben so, wie die andern aus dem schreckhaft dunklen Blau des Meeres leuchteten.


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