Julius Stettenheim
Der Moderne Knigge
Julius Stettenheim

Der Moderne Knigge

Leitfaden durch das Jahr und die Gesellschaft

von

Julius Stettenheim


I.
Leitfaden durch den Winter

Vierte Auflage

Berlin
A. Hofmann & Comp.
1906


Längst gefühlten Bedürfnissen abzuhelfen, ist seit undenklichen Zeiten des Schriftstellers angenehmer Beruf gewesen. Ob ihm dies jemals gelungen ist, das kann ich nicht sagen. Der Leser, der überhaupt immer auf der Linken sitzt, bestreitet es, und die Hochschätzung, mit der ich dem Leser, als unserem unentbehrlichsten und nützlichsten Menschen, gegenüberstehe, verbietet mir, ihm entgegenzutreten. Auch ist ein Körnchen Wahrheit in dem, was er sagt. Es giebt viele Schriftsteller, welche mit großem Biereifer nach Bedürfnissen suchen, von denen sie sich nur einbilden, daß es längst gefühlte sind, denn es stellt sich nur zu bald heraus, daß kein Mensch das betreffende Bedürfnis längst gefühlt hat; der Schriftsteller am allerwenigsten längst, meist gar nicht. Er hat nur längst gefühlt, daß er einen Stoff zu einem Feuilleton braucht, und so hat er denn, wenn er den Stoff gefunden hat, ein gar nicht vorhandenes Bedürfnis zu einem längst gefühlten erhoben, um den Leser, der gewöhnlich lesensmüde zu sein pflegt, wachzuhalten, indem er ihm vorgaukelt, daß er etwas Nützliches schreiben wolle. Ich gebe zu, daß dies nicht hübsch von ihm ist. Dies ist der mildeste Ausdruck. Denn eigentlich ist es nicht bloß nicht hübsch. Wenn vor einem Hause, das durchaus nicht in Flammen steht, plötzlich die Feuerwehr erscheint, zu spritzen anfängt und ein Sprungtuch ausbreitet, während die Bewohner des besagten Hauses neugierig lächelnd aus dem Fenster gucken, so kann man doch nicht sagen, daß das Erscheinen der Feuerwehr nicht hübsch sei. 2 Indem die Feuerwehr erscheint und in Thätigkeit tritt, um einem längst gefühlten Bedürfnis abzuhelfen, das durchaus nicht vorhanden ist, macht sie sich lächerlich. Man darf eigentlich von einer städtischen Wohlfahrtseinrichtung, wie es die Feuerwehr ist, nicht sagen, sie mache sich lächerlich, aber ich sage das dennoch, denn ich habe ja keine bestimmte Feuerwehr im Auge, und ich nehme auch gar nicht an, daß es eine Feuerwehr giebt, welche ein Haus, in welchem keine Feuersbrunst wütet, unter Wasser setzt und vor demselben ein Sprungtuch ausbreitet, in das kein Mensch hineinspringen will.

So viel über das Abhelfen längst gefühlter Bedürfnisse, aus welchem viele Schriftsteller ein Geschäft machen.

Man wird mir vielleicht zugeben, daß es mir nicht an Aufrichtigkeit fehlt, indem ich das Obige niederschrieb, während ich die Absicht hatte, einem Bedürfnis und sogar einem längstgefühlten abzuhelfen und in dieser Absicht auch jetzt noch verharre. Man lasse mich eine Weile (keine lange) weiterschreiben und wird sagen, daß ich wenigstens nicht aufdringlich erscheine, daß vielmehr das, was ich vorhabe, wie das Bestreben, abzuhelfen, aussieht.


Der Winter kommt. Das ist ja nichts Außergewöhnliches. Ich will auch nicht etwa den Winter schildern. Ich könnte auch nichts über ihn sagen, was nicht schon gesagt wäre, und selbst, wenn ich ein impressionistischer Maler wäre und zur Darstellung des Schnees die blaue oder rote Farbe verwendete und die Nasen der im Schnee spazierengehenden Menschen grün malte, so wäre dies zwar dumm, aber heute doch nicht mehr auffallend. Der Winter kommt, und mit ihm erwacht das gesellschaftliche Leben.

3 Dieses sogenannte Leben äußert sich durch ein mehr oder weniger arges Gewoge in geheizten Räumen, den Treibhäusern der Geselligkeit, in denen die Abfütterungen, der Ball, der Jour fixe und ähnliche Veranstaltungen stattfinden. Unter solchen leidet nur das Haus und das dieses leitende Ehepaar, sowie ein beträchtlicher Teil der Eingeladenen, unter denen nur wenige das schriftstellerische Talent haben, glaubwürdige Absagen zu verfassen. Außer jenen häuslichen Lebensäußerungen des Saisonlebens giebt es noch die öffentlichen, zu welchen man sich durch Einkauf eines Billets den Eintritt verschafft, auch wenn man eigentlich nicht in die Gesellschaft passen würde. Dies sind: der Bazar, das Vereinsfest, die Jubelfeier und der Maskenball. Jedes dieser Feste, sie mögen nun zwischen den vier Wänden des Familienhauses und außerhalb desselben zu erdulden sein, hat seine besonderen Formen, denen gerecht zu werden eine ebenso schwere Aufgabe ist, als es schwer ist, sich diesen Formen zu entziehen. Gegen diese Formen wird oft gesündigt, teils weil sie lästig, teils nicht allgemein bekannt sind. Ich halte es natürlich nicht für ein Unglück, einen Verstoß zu begehen, oder begangen zu haben, selbst auf die Gefahr hin, dadurch auf die Tagesordnung einer aus älteren Damen zusammenberufenen Kaffeekammersitzung zu geraten. Aber es ist doch nicht jedermann in der Lage, dergleichen ruhig ertragen zu können. Es giebt strenge Festgeber, welche einem Gast den Gehrock jahrelang nachtragen, in welchem er statt in einem Frack erschienen ist, und ich könnte Damen namhaft machen, welche jeden Fehltritt, namentlich ihren eigenen, gern verzeihen, aber einem Mann, der der Wahrheit gemäß versichert hatte, er habe sich an ihrer Seite nicht unterhalten, das Ewig-Männliche aberkennen. Es wäre dies erträglich, wenn ein solcher Mann nicht wieder eingeladen würde, aber ein solches Glück gehört zu 4 den größten Seltenheiten, wie das große Los, oder der weiße Rabe, und wer von einem solchen Glück erreicht wird, läuft Gefahr, daß man von ihm sagt, das könne nur einem sehr Dummen passieren. Daher glaube ich, den vielen Tausenden, welche im Winter Gäste werden, mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen, mit meinen Ratschlägen und Hinweisen, kurz, mit allem, was ich auf meinen Durchquerungen des Gesellschaftslebens in langer Leidenszeit, die allerdings auch manche heitere Station aufzuweisen hat, gesammelt, nützen zu können.

Ich halte also einen Leitfaden durch den Winter für ein längst gefühltes Bedürfnis, namentlich für solche Gäste, die das Gegenteil erklären, um mich in den Glauben zu versetzen, sie hätten einen solchen Leitfaden nicht nötig. Daß ein Leitfaden immer mit Nutzen zu gebrauchen ist, das wissen wir seit der Heldenthat des Theseus, seit er das mit Recht so unbeliebte Labyrinthvieh erlegt hatte und durch Ariadnes Leitfaden Gelegenheit fand, aus dem ohne Zweifel sehr verbauten Gebäude wieder herauszukommen. Ich weiß nicht, ob Theseus später renommierte, daß er auch ohne den Leitfaden das Lokal des Minotauros hätte verlassen können. Ich glaube es nicht. That er es aber, so war er ein sehr undankbarer Jüngling. Jünglinge sind ja unberechenbar. Und so bin ich darauf gefaßt, daß viele, die sich mit meinem Leitfaden bekannt machen, später sagen werden, sie hätten schon alles gewußt. Ich kenne das. Wann hätte ein Leser nicht schon alles gewußt!

Abfütterungen,

welche unter dem Namen Diner, Souper oder gar Löffelchen Suppe auftreten, sind eine für Wirt und Gast gleich traurige Einrichtung, so erfreulich eine Einladung zum Speisen in kleinem Kreise zu sein 5 pflegt. Zum Speisen wurde immer eingeladen, seit die erste Aufforderung Evas an Adam erfolgt ist, dagegen ist die Abfütterung das Gegenteil. Hier bläst der Wirt alle zusammen, welche zu seinem Hause in irgend eine Beziehung getreten sind, oder gegen die er eine Verpflichtung zu haben glaubt. Das abfütternde Paar hat unter herzbrechenden Flüchen und den Hausfrieden störenden Zänkereien alle Einrichtungen getroffen, daß die Teilnehmer der Tafel zufrieden sein werden. Die bunte Reihe ist mit großer Mühe arrangiert worden. Da treffen die Absagen ein. Einige Lebemänner melden, daß sie zu ihrem großen Bedauern (lies: Vergnügen) eine Reise anzutreten haben, oder so erkältet sind, daß sie auf das Glück (lies: Schicksal) verzichten müssen, in dem lieben Kreis erscheinen zu können. Die Dame des Hauses muß die bunte Reihe umbauen. »Immer sagen die Nettsten ab!« meint sie. Aber den Kommerzienrat kann sie nicht neben die Frau Professor placieren, weil er nur die Dekolletierten vertragen kann, die Frau Professor aber fast bis an die Zähne gegen die Neugier bewaffnet erscheint, und diese verschlossene Frau kann nur essen, wenn sie neben einen Mann gesetzt wird, welcher die Geschichte der Hohenstaufen kennt. Dies ist ihre Spezialität. Wer also eine Abfütterung beizuwohnen hat, thut gut, sich vorher nach dem Thema, welches seine Tischdame anzuregen pflegt, zu erkundigen. Meist wissen dies die Hausfrauen anzugeben, so daß man sich vorbereiten kann. Wird ein wissenschaftliches Thema genannt, so ist die Vorbereitung leichter zu nehmen, weil die betreffende Tischdame sich nur gefürchtet machen will, selbst aber ihren Gegenstand nur oberflächlich kennt. Wenn man daher während der Prüfung, die man als unglücklicher Tischnachbar zu bestehen hat, dann und wann das Wort »bekanntlich« einfügt, so stutzt die Dame und wagt nicht, zu korrigieren, auch wenn man 6 was ganz Dummes gesagt hat. Dagegen muß man über solche Gegenstände, über welche jede Tischnachbarin heute mit großer Sachkenntnis zu sprechen pflegt, namentlich über das Zweirad, den Torpedo, die verrückte Lyrik und die Theorie Schenck[August Schenck (1815-1891) erforschte besonders die Verbreitung und Lebensweise der vorweltlichen Pflanzen.], irgend etwas sagen können, wodurch die Tischnachbarin beruhigt wird. Vor allem vermeide man, praktische Fragen zu berühren. Ist die Dame sehr mager, so spreche man nicht über die zufällig herrschende Fleischnot, und ist sie reichlich korpulent, so sei man sehr erstaunt darüber, daß sie weder Suppe, noch Kartoffeln esse, wodurch man sie in den Glauben versetzt, man halte sie für auffallend schlank.

Beim Einschenken sei man vorsichtig. Gewöhnlich stecken die Damen ihre Handschuhe in eines der Weingläser. Füllt man nun ein solches Glas, so halten dies die Damen mit Recht für schädlich, nicht etwa dem Wein, sondern den Handschuhen, wodurch man als Freund des Weins unangenehm berührt wird.

Hat man das Glück, vor einem der beliebten großen Blumenarrangements placiert zu sein, so ändere man nichts daran. Man ist dadurch von den Gegenübersitzenden getrennt, während man ohne diese Flora-Vogesen mit dem Paar leicht in ein Gespräch geraten könnte. Das Paar will aber vielleicht selbst nicht gestört sein. Andernfalls kann es auch möglich sein, daß das Paar sehr langweilig ist. Ich habe wohl noch nicht festgestellt, daß bei Abfütterungen die langweiligen Paare nicht zu den Seltenheiten gehören.

Ist man verheiratet und sitzt man neben einer jungen Frau, so nehme man Rücksicht auf die gleichfalls anwesende eigene Gattin und mache nicht zu auffallend den Hof. Man flüstere seiner Nachbarin nichts ins Ohr, schon weil diese Verkehrsart etwas sehr verbraucht ist, sondern sage alles wie im Selbstgespräch vor sich 7 hin. Auch lasse man die Hände der Dame in Ruhe und bediene sich lieber zur Bekräftigung seiner Redensarten statt des Hände- des Füßedrucks, falls die Dame auf solche Eidesform einigen Wert legt. Doch sei man in der Wahl des Fußes vorsichtig und erwische nicht etwa einen Männerfuß, wodurch ein Au! oder ein ähnlicher Schmerzensschrei erweckt wird, den die Umgebung sofort richtig auffaßt.

Wenn getoastet wird, zeige man, daß man ein Mann ist. Vor allem schlage man nicht um sich. Man ändert dadurch nichts. Erstens kann der Toast gut sein oder es allmählich werden, und zweitens dauert er andernfalls ja keine Ewigkeit. Duldsamkeit ist überhaupt eine der schönsten Eigenschaften des Gastes. Auch sei man rücksichtsvoll und ergreife nicht selber das Wort. Befindet sich unter den Tischgästen einer, von dem man weiß, daß er regelmäßig stecken bleibt, so animiere man diesen, einige Worte auf die Wirtin, oder deren Schwiegermutter zu sprechen. Das Steckenbleiben belebt die Stimmung ungemein.

Kommen Lieder zur Verteilung und sind diese in Quart gedruckt, so nehme man zwei Exemplare und wickele Bonbons für die Kinder hinein. Das zeugt von väterlicher Zärtlichkeit. Man achte aber darauf, daß man das Packet nicht in die Hintertasche stecke, auf die man sich später gewöhnlich setzt. Dies haben dann die beschenkten Kinder nicht gern. Bei der Wahl der Bonbons sehe man nicht auf die Ausstattung, unter welcher gewöhnlich die Qualität der Näscherei zu leiden hat.

Über den Umgang mit der Serviette möchte ich einige Zeilen sagen. Zu erschöpfen wird dieser Gegenstand nicht sein. Ich finde, daß die Serviette, obwohl sie so etwas von einer Fahne der Kultur hat, eigentlich stehen geblieben ist und heute noch wie vor hundert 8 Jahren die Speisenden mehr ärgert, als ihnen dient. Wer sie nicht zwischen Hals und Binde steckt, oder gar so befestigt, daß sie als Brustschürze dient, – beides trägt nicht zur Hebung der menschlichen Erscheinung bei – wird die Bemerkung machen, daß sie häufiger den Fußboden als den Schooß bedeckt. Stets strebt sie, herabzufallen, und man könnte deshalb von einer Niedertracht der Serviette sprechen. Der Gast wird natürlich immer wieder dies ebenso nützliche als untreue Wäschestück einzufangen suchen und zu diesem Zweck sich seufzend bücken und die Hand unter die Tischdecke verschwinden lassen müssen. Dieser einfache, harmlose und dem Reinen absolut reine Vorgang wird aber häufig mißdeutet, und es ist daher nötig, daß der tauchende Gast seine Tischnachbarin genau abzuschätzen trachtet, bevor er der abgestürzten Serviette nachjagt. Denn es giebt Damen, welche diese Bewegung ihres Tischnachbars mißdeuten und einen Schrei des Entsetzens ausstoßen, so daß sich Männer in der Nähe finden, welche bereit scheinen, die gar nicht gefährdete Ehre der Schreienden energisch zu schützen. Ich habe durch das Aufheben der Serviette schon höchst peinliche Scenen sich entwickeln sehen, und die Chronik der Soupers weiß sogar von der Aufhebung einer Verlobung zu melden, nachdem die allerdings etwas angejahrte Braut in dem Griff nach der Serviette einen Angriff auf ihre Ehre, oder doch in ihrem Verlobten einen höchst aggressiv sinnlichen Charakter entdecken zu müssen glaubte. Es mag hierbei betont werden, daß es meist die mit den Jahren häßlich gewordenen Damen sind, welche in dem Serviettengreifen fortwährend eine untugendhafte Ausschreitung oder den Versuch einer solchen sehen, während junge, schöne Frauen weniger anmaßend sich zu benehmen pflegen. Ängstliche Männer, namentlich solche, welche ungern in einen ungerechtfertigten 9 Verdacht kommen, werden sich also an der Seite einer jungen Schönen sicherer fühlen können, als an der einer alten Häßlichen.

Wirte sind einzuteilen in solche, die nach Tisch eine rauchbare Cigarre opfern, und solche, deren Cigarren nicht rauchbar, sondern höchstens anzustecken und dann fortzuwerfen sind. Der auf dem Gebiete des Rauchens geschulte Gast hat seine eigene Cigarre bei sich, namentlich wenn der Wirt in der Cigarrenbranche nicht stubenrein ist. Die von solchem Gast verschmähte Cigarre fällt später in die Hände irgend eines der anwesenden Havannadiebe, die in keiner anständigen Gesellschaft fehlen, und bildet somit einen Teil der irdischen Gerechtigkeit, welcher der unehrliche Gast nicht entfliehen kann. Viele Gäste betrachten die Cigarren nach Tisch vogelfrei. Es giebt sehr verwegene Cigarrendiebe, welche in wohlverwahrte Kistchen einbrechen, wie es Gewohnheits- und Gelegenheitsdiebe giebt, welche keinen Cigarrenbecher sehen können, ohne zu einem Eingriff verführt zu werden. Es ist wohl noch kein Fall vorgekommen, daß ein solcher Eingriff gerichtlich geahndet worden ist, aber ich möchte doch auch an dieser Stelle auf das Ungehörige des Cigarrenraubes hindeuten. Wenn der Wirt, nachdem er seine Gäste glücklich losgeworden, einen Blick in seine Cigarrenkisten wirft, die Verwüstungen bemerkt, welche durch die Eingriffe der Gäste angerichtet worden sind, und berechnet, daß jeder Gast etwa in einer Stunde sechs oder acht Zigarren geraucht haben müßte, wenn er nicht wenigstens vier oder sechs entwendet hat, so gerät der Nichtraucher, oder der ehrliche Raucher in einen falschen Verdacht, und schon dieser peinliche Umstand sollte eigentlich genügen, das Stehlen von Cigarren als absolut unstatthaft erscheinen zu lassen.

Naht bei Tisch der Diener mit der Schüssel, so 10 sitze man möglichst still. Jede plötzliche Bewegung könnte die Folge haben, daß man einen Stoß mit der Schüssel bekommt, und daß diese ihren Inhalt über das Festgewand verbreitet. Beides verstimmt.

Verläßt man den angenehmen Kreis, so hüte man sich, zur Ersparung des Trinkgeldes das Dienstmädchen leise zu fragen: Wie geht's? um mit deren Antwort »Danke« bei den Ohrenzeugen den Glauben zu erwecken, man habe ihr ein Geldstück in die Hand gesteckt. Es ist dies ein Trik, der nur noch in seltensten Fällen gelingt. Die Dienstmädchen sind längst dahintergekommen, geben keine Antwort und öffnen die Hand. Man frage also nicht nach ihrem Befinden, sondern gebe einfach nichts. Dies ist bedeutend gefahrloser, wenn es auch auf das Dienstmädchen einen höchst üblen Eindruck macht.

Ist das Wetter feucht und kalt und ist man ohne Gummischuhe in die Gesellschaft gegangen, so wähle man beim Verlassen des gastlichen Hauses unter den vorhandenen Gummischuhpaaren ein passendes, sende es aber am anderen Morgen prompt zurück. Ebenso verfahre man mit Regenschirmen, auch wenn diese noch fast neu sind. Was ich vorher über die Cigarren gesagt habe, trifft auch hier zu, nur daß der Gastgeber kein Eigentumsrecht an seinen verschwundenen Cigarren geltend machen kann oder mag. Dagegen ließe sich doch an Gummischuhen, wie an Schirmen und Hüten nachweisen, daß man sich solche widerrechtlich angeeignet hat. Es steht wenigstens fest, daß in Gummischuhen geheime Zeichen angebracht worden waren, welche nur der Eigentümer kannte, der denn auch das im Winter mit Recht geschätzte Fußzeug dem Herrn wieder abzog, der sich aus Gesundheitsrücksichten acht Tage vorher an den Schuhen vergriffen hatte.

Wenn man als Eingeladener ein Neuling im 11 gastlichen Hause ist, so hüte man sich, mit Gästen, die man nicht sehr genau kennt, über die Gesellschaft, den Wirt, die Bewirtung &c. zu sprechen, wenn man nicht ein unbedingtes Lob laut werden lassen will. Denn gerade in Salons, in welchen abgefüttert wird, findet man alle Familienmitglieder des Hausherrn und seiner Frau, auch solche, deren Verwandtschaft kaum noch nachzuweisen ist. Selbst wenn diese, wie dies gewöhnlich der Fall ist, sich unzufrieden äußern, stimme man nicht ein. Denn sie hinterbringen natürlich jeden Tadel haarklein, um sich eine Freude zu verschaffen, ohne dabei zu bemerken, daß sie selbst das Schlimmste gesagt haben. Namentlich hüte man sich vor den Verwandten, denen es minder gut geht, als dem Festgeber. Sie sind infolgedessen seine Feinde. Empfangen sie nun gar aus der Kasse des Festgebers regelmäßige Unterstützungen, oder sind sie ihm in anderer Weise dankbar verpflichtet, so versteht es sich von selbst, daß sie auf den Festgeber und sein Fest schlecht zu sprechen sind. Ihnen gegenüber ist die allergrößte Vorsicht geboten. Man wird diese niemals zu bereuen haben. Hat man sich selbst wie niemals vorher gelangweilt, so preist man den Abend, indem man die Hand des Herrn oder der Dame des Hauses ergreift und sie vorläufig nicht wieder losläßt, als den schönsten der gegenwärtigen und der vorigen Saison, und bemeineidige dies auch gegen andere, selbst wenn man nicht wieder eingeladen zu werden wünscht. Immer sage man sich, man könne doch selbst einmal in die Lage kommen, Gesellschaft bei sich zu sehen, die gut abzufüttern und zu unterhalten man sich die größte Mühe giebt, wie dies ja immer geschieht. Noch ist kein Weiser erstanden, welcher sagen konnte, wer mehr zu beklagen sei: der Wirt oder der Gast. Das aber wird jeder sagen, daß es nicht beneidenswert ist, Festgeber zu sein.

12 Über die Form der

Absagen

etwas Mustergültiges zu sagen, ist schwer. Plötzlich eingetretenes Unwohlsein wird wohl nicht geglaubt, eine nötig gewordene Reise ist deshalb so unbequem, weil man sich wenigstens zwei Tage lang nicht öffentlich sehen lassen dürfte, Zahnweh ist sehr empfehlenswert, weil es sich der Kontrolle entzieht. Von einem Gichtanfall rate ich ab, weil die Gicht eine gewisse Anhänglichkeit besitzt und man so bald nicht glaubt, daß sie sich rasch wieder entfernt hat und daher der Heuchler, der sie vorschützt, monatelang gefragt zu werden pflegt, wie es ihm gehe. Sehr nützlich ist die Angabe, man habe Besuch von Verwandten bekommen, von denen man sich leider an dem betreffenden Abend nicht trennen könne. Doch brauche man die Vorsicht, im letzten Moment damit hervorzutreten, da man sonst Gefahr läuft, daß man die Aufforderung erhält, den oder die Verwandten mitzubringen, wodurch eine neue Verlegenheit entstehen würde.

Eine schöne Kunst ist es, sich gleich nach Tisch entfernen zu können. Aber es ist eine schwierige Kunst. Man darf sich nicht dabei erwischen lassen. Man muß ein scharfes Auge auf die Festgeber werfen und den Moment ausnützen, wo sie sich in einem anderen Raum aufhalten. Jetzt gilt ein rasches Handeln. Man eilt hinaus, greift nach dem Paletot, dessen Schlupfwinkel man sich genau gemerkt hat, und entfernt sich; den Chapeau claque öffne man bei dieser Gelegenheit leise, damit der Knall nicht die Wirtin oder den Wirt herbeilocke, die oder der dann die Flucht vereiteln würde.

Vieles von dem hier Gesagten und Empfohlenen wird sich auch für den

Ball

verwenden lassen, besonders da ein solcher immer mit einem Abendessen verbunden zu sein pflegt. Doch 13 steht der Ballbesucher als solcher und nicht als Tischgast ganz anderen Fragen gegenüber, die sich nicht ganz leicht erledigen lassen. Der Ballgast ist vor allem von dem Aberglauben erfüllt, daß er zu seinem Vergnügen eingeladen sei, und er bestreitet sogar, zu denjenigen zu gehören, die lediglich eingeladen werden, weil sie im Tanzgeruch stehen und weil sich die eingeladenen jungen Mädchen austanzen wollen. Er darf aber nicht eitel und muß fest davon überzeugt sein, daß er, wenn er nicht tanzen könnte, überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Natürlich wird ihm das Gegenteil versichert. Die Wirtin, welche selbstverständlich vom lieben Himmel mit mehreren heiratsfähigen Töchtern heimgesucht worden ist, sagt ihm allerlei in diesem Sinne, so z. B. nach dem berühmten Lessingschen Wort, er wäre auch das größte Ballgenie geworden, wenn er unglücklicherweise ohne Beine wäre geboren worden, aber sie sagt ihm das nur, weil sie genau weiß, mit welchem Mißtrauen die Balleinladungen in den Kreisen junger tanzkundiger Männer betrachtet werden.

Der Ball hat sich für diese jungen Männer in der Neuzeit dadurch bedeutend milder gestaltet, daß unsere Damen vom Backfisch aufwärts nur noch vom Radeln unterhalten sein wollen und auch eigentlich von nichts anderem reden. Als das Rad das Ewig-Weibliche noch nicht ganz ausfüllte, war die Ballstellung des Ewig-Männlichen dadurch eine etwas strapaziöse, daß der Ballgast mit seiner Dame irgend etwas plaudern mußte, um sich nicht gar zu unrettbar zu blamieren. Er half sich ja oft mit dem Ödesten, mit dem Theater, aber dieses Kunstgebiet war doch häufig sehr abgegrast, und der Plauderer merkte meist, daß eben schon ein anderer dagewesen war, der genau dasselbe gesagt hatte. Da erschien das rettende Rad, und mit dem Augenblick, wo es begann, die Köpfe 14 und Herzen der weiblichen Welt vollständig auszufüllen, war namentlich für den Radler, der gleichfalls nichts als das Rad kannte, nichts leichter als eine fesselnde Unterhaltung mit einem jungen Mädchen, ja, er brauchte kaum noch viel zu reden, sondern nur das intelligente junge Mädchen plaudern zu lassen.

Nachdem der Ballgast eingetreten ist, bedeckt er die Tanzkarten der Damen mit seinen Autographen. Dadurch bekundet er, daß er die Stellung nicht überschätzt, die ihm als Ballgast angewiesen ist, und daß er keinen höheren Wert zu haben glaubt als den, mit den Beinen diejenigen Bewegungen zu machen, aus denen der Tanz besteht. Bildet er sich ein, etwas anderes zu sein als ein Walzer-Gymnastiker und Redowa[Böhm. Tanz im Tripeltakt von ziemlich schneller Bewegung.]-Parterrekünstler und irgend einer anderen Fähigkeit die Einladung zu verdanken, so täuscht er sich bitter und wird im Lauf des Abends in der grausamsten Weise geduckt.

Er bleibe im Tanzsaal und mache keine Versuche, in das Rauch- und Spielzimmer zu entkommen. Gelänge es ihm, so würde es ihm nichts nützen, denn er würde doch alsbald von der Wirtin verfolgt, harpuniert und in den Ballsaal zurücktransportiert werden, woselbst er dann nach einem Moment des Genusses zügelloser Freiheit die Gefangenschaft um so drückender empfinden wird.

Stürzt man im Tanze mit seiner Dame nieder, so fühle man sich nicht blamiert, sondern sei im Gegenteil überzeugt, daß man einige Tage lang in den Kreisen des Ballgebers einen interessanten Gegenstand des Gesprächs bildet, was man ohne den Sturz wahrscheinlich niemals werden würde. Man beute auch deshalb den Sturz nicht egoistisch dahin aus, daß man angiebt, man müsse ausspannen und könne den ganzen Abend nicht wieder tanzen. Dies wäre nach dem Gesagten überaus undankbar.

15 Im Zusammentreffen mit älteren und energisch aussehenden Frauen sei man von Vorsicht beseelt, wenn auch Goethe sehr richtig sagt, der Umgang mit Frauen sei das Element guter Sitten. Es giebt eine große Anzahl Frauen, die nur eine gute Sitte kennen: das Stiften von Ehen, und die hierin schon die glänzendsten Erfolge aufzuweisen haben. Sehr viele Ehen sind auf Bällen angestiftet worden, und wenn Eheleute mit guten Gedächtnissen auf den Ursprung ihres so schönen Bundes zurückgehen, so werden sie wahrscheinlich auf einen Ball stoßen, auf welchem eine gewohnheitsmäßige Heiratsstifterin irgend ein Herz baldowerte, das noch frei war und dessen sie sich sofort annahm. Wer also Lust verspürt, unverlobt den Ball zu verlassen, sei, wie gesagt, älteren Frauen gegenüber vorsichtig. Sie haben entweder selbst Töchter, oder haben eine Freundin, die vor Töchtern nicht schlafen kann, und ein junger Mann hat doch keinen Begriff davon, wie rasch er mit der Mutter sprechen und verlobt sein kann. Die Hand eines jungen Mädchens ist im Handumdrehen vergeben, und wenn dann am anderen Morgen der Ballgast im verlobten Zustand aufwacht und es nicht gewesen sein will, so nützt dies in den allerseltensten Fällen.

Den Dienern und Mädchen, welche in den Tanzpausen Getränke herumreichen, weiche man aus. Es sind mandelmilchgebende Gestalten, und wenn sie trinkbare Erfrischungen bieten, so sind dies entweder völlig beruhigte Wässer, oder lammfromme Weine, die zwar den Durst löschen, aber dem Trinker gleichzeitig die Fähigkeit nehmen, die an der späteren Tafel erscheinenden besseren Jahrgänge zu genießen. Sollte man aber dann noch Durst haben und finden, daß der Wein knapp sei, so freue man sich. Denn nicht nur ist der Kater am anderen Morgen eine große Last, sondern bei scharfem Trinken kommt man leicht in die Lage, 16 über alte Anekdoten zu lachen, die von einem beliebten Gast erzählt werden, und von solchem Lachen bis zum Selbsterzählen ähnlicher antiquarischer Scherze ist nur ein Schritt, und beides ist ein Beweis dafür, daß man an einem empfindlichen Mangel eigenen Witzes leidet.

Es kommt auf Bällen vor, daß irgend ein junger Mann dem Klavierspieler die Tasten entreißen und sich zum

Gesang

begleiten läßt. Dies ist für Nervöse und Kluge das Signal zur Flucht. Sie gehen dann in die Räume, wo sich Skatspieler, Bier und Cigarren vorfinden, und versäumen mit Vergnügen mehrere Lieder und Arien, welche sie schon bedeutend schlechter haben singen hören, obschon man sie wohl kaum bedeutend schlechter hat singen hören können. Dasselbe gilt auch meist von den Liedern und Arien, welche von den Primadonnen der Familie vorgetragen werden. Man kann sich also auch diesen entziehen, besonders wenn man von dem Glück, das ohne Reu ist, und von Vorfällen wie einst im Mai bereits seit Jahren unterrichtet ist. Auch kennt wohl schon jeder den weltberühmten Hymnus auf den Wiener Fiaker auswendig, auf den Droschkenkutscher, welcher, ein echtes Wiener Kind, mit seinem Zeugl am Graben hält, die Fahrgäste übers Ohr haut und dem Fremden den Aufenthalt in der liebenswürdigen Kaiserstadt so ungemein verleidet. Auch das Lied, welches einen Einblick in das, was kein Goethe geschrieben und kein Schiller gemacht hat, gerne verschafft, dürfte bereits von jedem Ballgast vom Blatt gepfiffen und kann also ohne Schaden versäumt werden. Aber selbst wenn die Ballgeber Sängerinnen und Sänger von Beruf für die Ballpause gewonnen haben, kann man sich getrost in einen Raum begeben, in welchen ihr Gesang nur dann 17 dringt, wenn die Thür unvorsichtig weit geöffnet wird. Denn ihr Repertoire ist gleichfalls aus höchst bekannten Nummern zusammengesetzt, und was sie dem holden Abendstern zu sagen und über die im Zigeunerstamm übliche Art zu lieben warnend zu bemerken haben, ist bereits in die Ohren aller Schichten der Bevölkerung eingedrungen. Tritt aber trotzdem der ungeheuer sensationelle Fall ein, daß einmal eine neue Gesangsnummer vorgetragen wird, die man also nicht hören würde, so ist dieser Verlust doch gewöhnlich sehr rasch verschmerzt, ganz abgesehen davon, daß man ihr in der nächsten Woche ohne Zweifel wieder begegnet.

Ganz dasselbe gilt von den Vorträgen derjenigen

Gäste, welche ein Instrument spielen.

Ich ziehe sie aber allen vor, denen, um mich gebildet auszudrücken, Apoll der Lieder süßen Mund geschenkt hat, denn diese musikalischen Herrschaften brauchen nur ihren süßen Mund in die gesellschaftlichen Veranstaltungen mitzunehmen, um etwas vorzutragen, während der Instrumental-Virtuose nicht immer sein Instrument bei sich haben kann. Eine Ausnahme machen nur die Pianistin und der Pianist, da sich ein Klavier selbst in solchen Häusern findet, an deren Wänden Stuck fehlt, jeder andere Virtuos muß besonders ersucht werden, Geige, Cello oder Flöte mitzubringen, was aber dadurch erschwert wird, daß damit meist eine Aussicht auf Honorar eröffnet zu sein pflegt. Musiker, deren Instrumente eo ipso ausgeschlossen sind, habe ich besonders lieb. Ich nenne den Kontrebaßspieler, den Bombardonbläser, den Pauken-, Trommel- und Beckenschläger, sowie den Fagottisten.

Unter den Musikern sind solche, welche dem Gast, welcher aus irgend einem Grunde nicht davonzukommen wußte, sehr schroff entgegentreten, wenn er es wagen sollte, während des Spiels einige Worte zu einer 18 Nachbarin oder zu einem Nachbar zu sprechen. Der animierte Gast ist nur zu leicht verführt, zu glauben, daß er zu seinem Vergnügen anwesend sei, was ja gewöhnlich auf Täuschung beruht, und nun nimmt er an, es gehöre dazu auch eine gewisse Freiheit in der Bewegung, namentlich aber die Unmöglichkeit jeder Tyrannei. Der Musiker wird, wenn er ein peinlich tiefes Schweigen verlangt, einen Bruch desselben nicht sofort rügen, aber er wird doch den Gast, wenn er ihm wieder begegnet, mit Vorwürfen überschütten und ihm strenge sagen, wie er sich bei dem nächsten Wiegenlied oder Trauermarsch zu verhalten habe. Das ist nicht angenehm. Zur Vermeidung einer solchen peinlichen Belehrung möchte ich mir erlauben, allen Mitschuldigen die Form zu schildern, in welcher ich vor einiger Zeit den Angriff eines verstimmten und belehrenden Künstlers abgewehrt habe.

An nichts Böses und somit auch nicht an Tischmusik denkend, flanierte ich Unter den Linden, als ein Musiker auf mich zutrat, dessen ersten Worten ich sofort anmerkte, daß er sich zu einem Hühnchenpflücken anschickte. Ich nahm also das Wort: »Mein lieber Freund, vor einigen Tagen war ich in einer Gesellschaft, in welcher ich nach einem langen und sehr ermüdenden Diner das Glück hatte, einen mir sehr lieben Kollegen mit seiner Tochter, einer jungen, sehr schönen und geistvollen Dame, zu treffen. Eine heitere Unterhaltung entspann sich, aber sie war eben im besten Entspinnen, als Sie anfingen, fortwährend ziemlich laut Klavier dazwischen zu spielen, so daß wir kaum unser eigenes Wort zu hören vermochten. Das finde ich doch, um einen ganz milden Ausdruck zu wählen, nicht nett von Ihnen. Unsere Plauderei war wirklich interessant, aber gerade bei Gelegenheit der feinsten Pointen wurden wir durch Ihr Spielen gestört. Sie sahen uns scharf an, ich merkte es wohl. Sie 19 können also nicht zu Ihrer Entschuldigung behaupten, Sie hätten nicht gewußt, daß wir uns vortrefflich unterhielten, wie Sie es unserer lebhaften Art zu sprechen anmerken mußten. Ich kann Ihnen auch nebenbei versichern, daß der Gegenstand unseres Gedankenaustauschs ein mindestens so erfreulicher war wie der berühmte Danse macabre, mit dem Sie uns fortgesetzt unterbrachen. Während einer lebhaften Unterhaltung sollte überhaupt nicht Klavier gespielt werden. Das ist höchst unpassend, und ein gebildeter Pianist wird sich auch nicht so ungehörig benehmen. Mein Gott, wenn man Klavier spielen will, so braucht man sich doch nicht gerade den Saal, in dem geplaudert wird, dazu auszusuchen, man unterläßt es entweder, oder geht, wenn man die Tasten nicht halten kann, bescheiden in einen anderen Raum des Hauses und spielt sich dort aus. Es ist merkwürdig, daß gerade die Musiker so rücksichtslos zu sein pflegen und immer, wenn sich die Gesellschaft eben zum Plaudern niedergesetzt hat, dazwischen musizieren. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich, während Sie mit einem alten Freunde etwas besprechen, plötzlich die Trommel rührte oder ins Waldhorn stieße!«

Man muß nicht glauben, daß ich diese Rede ohne Unterbrechung hielt. Im Gegenteil, mein Musiker versuchte, in jeder zweiten oder dritten Zeile mit einem »Erlauben Sie« zu Wort zu kommen, um mir, wie ursprünglich beabsichtigt war, die bittersten Vorwürfe darüber zu machen, daß ich es gewagt hatte, während seines musikalischen Vortrags mit einem interessanten Menschenpaar zu plaudern. Man thäte gut, gegen derlei anmaßende Künstler allgemein in meiner Weise vorzugehen und so die Gleichberechtigung aller Gäste zu wahren. Dann wird die Unterhaltung der Gäste wenigstens nicht häufiger von den Musikern, als die Musik von der Unterhaltung gestört werden.

20 Ziemlich mühelos, dagegen sehr dankbar ist die Kunst, auf einem Ball interessant zu erscheinen. Man stehe in einer Ecke und sei stumm. Das wird im allgemeinen für Philosophie oder unglückliche Liebe, häufig wohl auch für beides gehalten. Wird man aber zum Reden gezwungen, so erkläre man alle durchgefallenen Stücke für Meisterwerke und behaupte auch sonst immer das Gegenteil von dem, was allgemein, namentlich von Gebildeteren, gesagt wird. Man wird infolgedessen sehr bald als Charakter gelten, aber man entferne sich dann ziemlich früh, besonders wenn eigentlich nichts mehr kommen kann. Denn der Balltitel-Charakter hat keine rechte Festigkeit und wird nur zu leicht in Hansnarr oder dergleichen umgewandelt.

Wenn man das Unglück hat, einer Dame den Saum des Kleides abzutreten, so sei man nicht untröstlich. Das wird ja doch nicht geglaubt. Sagt aber die betreffende Dame mit bezauberndem Lächeln: »O bitte, das macht nichts, das ist rasch repariert«, so meint sie: Sie sind ein ganz gemeingefährlicher Tölpel!

Man rede eine Dame nicht an, während sie ihren Fächer graziös vor dem Gesicht hält, so daß man nur ihre Augen sieht. Sie gähnt nämlich in diesem Augenblick. Auf Bällen ist Gähnen eines der unveräußerlichsten Menschenrechte, und ihm verdankt der Fächer einen großen Teil seiner Existenz. Gäbe es eine wirkliche Fächersprache, so würde dies noch deutlicher ausgesprochen werden.

Man mache einer schönen Frau keine Komplimente, denn sie wird doch immer behaupten, daß man ihr nichts neues sagt. Sie hat schon alles gehört. Läßt sie dies merken, so revanchiere man sich dadurch, daß man von der Schönheit einer andern Frau spricht.

Einmal tanze man mit der Schwiegermutter des Ballgebers. Das ist die Gewerbesteuer.

21 Während der Ruhepausen im Kotillon suche man seine Dame bestens zu unterhalten. Von den Gegenständen, welche dabei thunlichst zu vermeiden sind, nenne ich den Käse, den Lustmord, den Zinsfuß, die ägyptische Augenkrankheit, die Müllabfuhr, die Klauenseuche und das Hühnerauge. Auch die Wanderraupe berühre man nur flüchtig.

Beim Dessert strenge man sich an, dem Vielliebchenessen[die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, Vielliebchen« zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.] auszuweichen. Die Damen gewinnen immer, und dann weiß man nicht, was man nicht schenken soll.

Wenn man eine größere Reise anzutreten gedenkt, so verschweige man dies namentlich den Damen, weil diese bekanntlich bitten würden, ihnen von allen Stationen eine bunte Postkarte zu senden. Da man dies natürlich verspräche und sicher nicht thäte, so ärgert man sich später, daß man es versprochen hat.

Die Ballmutter soll man in Ehren halten. Es verkörpern sich in ihr die Mutterliebe, die Sorge und die Selbstlosigkeit. Keiner Parteien Gunst und Haß vermochte ihr Charakterbild in der Geschichte der Menschheit ins Schwanken zu bringen. Sie mag vielleicht auf den Bällen häufig in die Notwendigkeit versetzt werden, Verkehrsstörungen herbeizuführen, indem sie sich hier und dort in den Weg stellt, um sich zur Geltung zu bringen und allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nicht zum Vergnügen erschienen sei, am allerwenigsten zum Vergnügen der jungen Männer, aber das erhöht ihre Würde. Selbst wenn sie, noch in den Jahren unter dem Äquator des Lebens, tanzt, so soll sich der Ballgast sagen, daß sie dies nur aus Liebe zu ihren Töchtern thut. Sie mischt sich gewissermaßen in der Maske der Tänzerin unter die Menge wie ein Kriminalbeamter, der sich auf der Jagd nach einem Gesuchten vermummt hat, um auf die Spur desselben zu kommen. Der junge Mann, der sich über 22 sie beklagt oder lustig macht, verrät dadurch einen gänzlichen Mangel an Gemüt, denn er trifft nicht nur damit vielleicht seine eigene Mutter, er bekundet auch den Mangel an Talent, das Ballleben von seiner ernsten Seite zu betrachten. Die Ballmutter ist der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Während alles um sie wechselt, bleibt sie unverändert. Sie ist ewig. Die jungen Männer werden älter, entfremden sich dem Tanz, verheiraten sich, werden den Frauen uninteressant und werden Philister, die jungen Mädchen werden durch die Ehe vom Ballboden rasiert, verschwinden in irgend einen Beruf, blühen zu Mauerblümchen heran und verstecken endlich Hals und Arme in die diskretesten Fabrikate der Textilindustrie, jede Ballsaison bringt neue Menschen, wie sie neue Walzer und neue Eisnamen bringt, Tanzgeschlechter kommen und verschwinden, Assessorenfluten wälzen sich durch die Säle, neue Schwärme von Backfischen tauchen auf und werden von der Zeit wieder verschlungen, aber die Ballmutter bleibt, unberührt von Hitze und Langeweile, im Sturm der Pflicht wetterfest geworden, achtunggebietend durch die Patina der Erfahrung, die sich in jedem ihrer Blicke bemerkbar macht, stolz im Bewußtsein erfüllter Pflicht, ängstlich durch ihre Kenntnis von der Verruchtheit des männlichen Geschlechts und immer Mutter, zu jedem Opfer und zu jeder Liebesthat bereit. Deshalb soll man sie in Ehren halten. Dies soll in erster Linie der junge Mann, der nur zu gern geneigt ist, bei diesem ehrenvollen Titel dumm zu lächeln. Er soll wenigstens aus Klugheit den Respekt nicht vernachlässigen. Denn die Ballmutter kann auch furchtbar werden, wie jedes Geschöpf, das ein Junges zu verteidigen gezwungen ist. Ein junger Mann hat gar keinen Begriff davon, wie er von einer Ballmutter durchschaut wird, die mit ganz besonders scharfen Röntgenstrahlen sieht. Wird 23 er von einer Ballmutter vernichtet, so ist es seine eigene Schuld, ich habe ihn gewarnt.

Bekommt man beim Tanz einen derben Tritt auf den Fuß, so habe man keine Hühneraugen.

Schreibt eine Kotillontour Damenwahl vor und wird man von keiner Dame aufgefordert, so ist dies kein Kompliment, aber man bemerke es nicht. Man ist vielleicht, wie es in höheren Töchterschulen heißt, ein Ekel. Wird man von dieser seiner Unbeliebtheit überzeugt, so verlasse man vor Beginn der Damenwahl, indem man Schwindel vorschützt, der es ja auch ist, den Salon, und komme erst nach Schluß der Tour zurück.

Ist man ein Ekel, so gebe man sich keine Mühe, ein liebenswürdiger Mensch zu werden. Es nützt absolut nichts. Ein Ekel bleibt ein Ekel.

Fast auf jedem Ball finden sich einige alleinstehende weibliche Familienmitglieder älterer Zeitrechnung vor, welche in der Voraussicht eingeladen werden, daß sich im Laufe des Abends eine Familie findet, welche in ihrer Nähe wohnt und sie bis zur Ecke mitnimmt. Von der Ecke bis zu ihrer Thür gehen sie schon allein, da sie bis dahin von ihrem Alter vollständig vor jeder Gefahr, angesprochen zu werden, geschützt sind. Diesen ehrenwerten Familienmitgliedern des gastlichen Hauses bleibe man sorgfältig fern, sonst muß man selbst die beschriebene Begleitung leisten, die von einer ganzen Familie leichter getragen wird. Fällt also im Lauf des Abends die Frage: »Wo wohnen Sie?« so höre man vorbei und antworte: »O ich danke, ich kann nicht klagen,« oder ähnlich. Ein anderes Mittel ist noch nicht erfunden.

Ein großer Übelstand ist auch die große Achtung und Verehrung, die man in vielen Kreisen genießt. Findet in einem dieser Kreise ein Ball statt, an den sich ein Souper schließt, und man ist eingeladen, so 24 wird man dadurch ganz besonders ausgezeichnet, daß man neben eine der Großmütter des Hauses placiert wird. Solche Damen pflegen sich das schöne Vorrecht des Alters, die Schwerhörigkeit, ungetrübt bewahrt zu haben, und die Unterhaltung gestaltet sich dadurch nicht besonders kurzweiliger. Weil der betreffende Platz nur zu dem Zweck gewählt worden ist, dem Gast ein Zeichen unbegrenzter Verehrung zu liefern und ihn an die Spitze der Gesellschaft zu stellen, so wird man das Herbe, das mit dieser Verehrung verbunden ist, leicht überwinden, aber man begreift doch nicht, weshalb jemand, der keinen Anspruch auf Achtung und Verehrung zu erheben hat, neben ein junges, blühendes, weibliches Geschöpf gesetzt wird, während man denjenigen, den man auszeichnen will, gar nicht vorher fragt, ob er nicht vielleicht bereit wäre, auf die Großmutter des Hauses zu verzichten und dafür vielleicht mit drei Damen, deren Jahre zusammengerechnet die der Großmutter ausmachen, zu soupieren, nur um in bescheidener Weise die öffentliche Huldigung abzulehnen.

Ist die Schwerhörigkeit der verliehenen Dame noch nicht weit vorgeschritten, so verliere man indes nicht den Mut, dann kann im Laufe des Abends noch alles gut werden, und man wird sich leichter trösten, wenn ich mitteile: Ich wurde eines Abends derart unverdient glänzend ausgestattet, daß ich an die Seite einer Dame gesetzt wurde, mit der nur ein schriftlicher Verkehr möglich war. Als ich mich ihr vorstellte, überreichte sie mir zu einem Bleistift einen ziemlich blätterreichen Block, den ich dann auch gewissenhaft aufplauderte. Sie las und gab mir dann eine Antwort, die mir aber stets den Bleistift wieder in die Hand trieb. Im Nachlaß der Dame muß sich denn auch eines der größten Manuskripte meines Lebens gefunden haben, denn ich habe selten 25 anhaltender gearbeitet, als infolge der mir zu teil gewordenen Auszeichnung. Fürchtet man solche, so bringe man für alle Fälle ein Heftpflaster mit auf den Ball und lege es auf den Zeigefinger der rechten Hand, wenn Block und Bleistift zu erwarten sind. Zum Schreiben mit krankem Finger kann man von keiner Großmutter gezwungen werden. Übrigens ist das schriftliche Verfahren in der Unterhaltung bei Tisch noch nicht die schlimmste Form. Als ich eines Tages einer Tischgreisin, welche mich durch ihre Nachbarschaft auszeichnen sollte, vorgestellt wurde, reichte sie mir ein schlankes Instrument entgegen, welches ich im ersten Augenblick für eine Flöte hielt, so daß ich in meiner Verlegenheit nichts als die Worte hervorzubringen vermochte: »Bitte, nach Ihnen.« Dann erst bemerkte ich, daß es ein Kabel war, welches unsere Unterhaltung vermitteln sollte. Ich weiß seit jenem Abend nicht, welches die angenehmere Form der Unterhaltung ist: die durch die Vermittelung des Bleistifts oder der Hörflinte.

Wenn man von einem Ballgast um einen Thaler angepumpt wird, so wird dieser nicht ganz als Trinkgeld gebraucht. Der Thaler ist von jenem Ballgast entweder völlig oder bis auf eine Mark rein verdient.

Man gehe niemals ohne kleines Geld auf einen Ball. Das bei der Steuer angestellte Dienstpersonal kann niemals wechseln, obschon es ja das ganze kleine Geld hat.

Daß im Laufe des Abends musiziert wird, ist leider zu erwarten. So ein Klavier ist rasch geöffnet, und die Dame, welche es pauken gelernt hat, ist immer in der Nähe. Sträubt sie sich, so traue man ihr nicht. Es ist eine nur zu kurze Täuschung. Sieh, da sitzt sie schon und streift die Handschuhe ab, die unsere letzte Hoffnung waren. Auch eine Meistersingerin oder ein Meistersinger ist bald gefunden. Der Umstand, daß diese sich nicht einmal der Handschuhe zu entledigen haben, macht sie bedeutend gefährlicher als die Tastenhandwerker.

Man beklage sich nicht über die Wahl der Musik- und Gesangsnummern, so wenig sie zu der dem Zeitvertreib gewidmeten Ballnacht passen mögen. So viel ich mich erinnere, habe ich in unzähligen mitternächtlichen Stunden den Vater durch Nacht und Wind mit seinem Kinde reiten hören müssen. Ich bin in großen Gesellschaften immer etwas ängstlich, und es ist mir daher um Mitternacht ein heiteres Lied viel angenehmer als eine Gespenstergeschichte. Es ist aber merkwürdig, mit welcher Schadenfreude meist kleine oder größere Lieder gesungen werden, die mit irgend einem Tode enden. Dagegen im Nebenzimmer anzurauchen, ist schon schwer, aber wenn man im Saal in der Nähe des Flügels sich befindet und das in Musik gesetzte Ableben angesichts des mit gefurchter Stirn und weit aufgerissenen Augen Vortragenden mitmachen muß, so fühlt man so was wie eine Gänsehaut, es fällt einem ein, daß man irgend ein körperliches Leiden hat, und man möchte, wie der Hirsch nach dem Wasser, nach Udel schreien. Man glaube aber nicht, daß mein absichtlich herzloses Urteil über die Wahl der traurigen Liedertexte irgend etwas nützen wird. Nach wie vor werden die Gäste rücksichtslos in eine ernste Stimmung versetzt und mit der Macht der Töne auf die Nichtigkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht. Alle Sänger und Sängerinnen scheinen sich einzubilden, oder uns einreden zu wollen, daß nur durch den Tod Leben in die Bude komme. Erst vor einiger Zeit war ich genötigt, eine Dame, welche am Flügel schon fast eine Stunde lang Tote in allen Tonarten hatte singen lassen, zu fragen, ob sie nicht vielleicht auch eine Geburt auswendig wisse, da dies die Gesellschaft erheitern würde. Nein, sie hatte in ihrer Notenmappe nur 27 Selbstmord, Stimmen aus dem Jenseits, Tod an gebrochenem Herzen, langsames Hinsiechen in der Verlassenheit und die beliebtesten Arten des Ruhefindens im Grabe. Sonst war die Dame sehr umgänglich und lebenslustig, nur suchte sie gern ganze Gesellschaften zu verstimmen und zwar meist mit glänzendem Erfolg. Hier ist noch viel zu thun, die Diners und Ballkreise vor musikalischen Hausfriedensbrüchen zu schützen. Auch sollten namentlich Damen nur solche Lieder und Arien singen, welche ihnen der Gast wenigstens halbwegs glaubt. Ich habe aber nur zu häufig in der bekannten Meyerbeerschen Arie von Damen um Gnade flehen hören, deren Erscheinung auch nicht im entferntesten den Gedanken aufkommen ließ, daß ihr irgend jemand zu nahe getreten sein konnte. Ihr Schreien um Gnade machte vielmehr den Eindruck, als wäre sie einer Bedrängung gegenüber durchaus geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Und es war, als antworte ihr nach ihrer Gnadenarie der Applaus nichts als: Gewiß doch!

Man applaudiere immer, wenn gesungen ist, denn wenn nicht applaudiert wird, so hat dies nur die Folge, daß weiter versucht wird, durch Gesang den Applaus zu erzwingen, und es wird auch gewöhnlich durchgesetzt.

Keinenfalls bleibe man bis zum letzten Tanz, da später alle Garderobe bis auf einen Hohenzollernmantel und Helm fort zu sein pflegt.

Im Saale behalte man immer den Chapeau claque unter dem Arm, bis dies lästig wird und man ihn fortlegt. In diesem Augenblick verschwindet er, aber man vermißt ihn erst, wenn man den Paletot angezogen hat und fortgehen will. Dann ziehe man den Paletot wieder aus und suche im Speise- und Tanzsaal. Wird noch getanzt, so werfe man einen Blick auf jeden Sessel, von dem sich eine Dame 28 erhoben hat. Auf einem dieser Sessel pflegt man den Hut zu finden. Da die Dame längere Zeit auf dem Hut gesessen haben kann, so untersuche man den Mechanismus des Hutes nicht im Saal, da man ein zu dummes Gesicht macht, wenn der Hut nicht mehr springen kann, und ausgelacht wird, sondern man gehe hinaus und versuche, ihn im Vorzimmer oder im Korridor hutartig zu gestalten. Gelingt dies, so verlasse man trällernd das gastliche Haus. Um die Dame, welche wieder Platz genommen und der nun der Hut, auf dem sie so mollig gesessen, fehlt, bekümmere man sich nicht weiter. Die beiden in Gold gestickten Initialen, welche sich in deinem Hut befinden, können in dem neuen, den man kauft, wieder verwendet werden, wodurch eine Kleinigkeit erspart wird.

Weniger Vorteile und weniger Nachteile bietet

der Jour fixe.

Er hat vor allem das Gute, daß man nicht zu erscheinen braucht, oder, wenn man erscheint, sich bald wieder entfernen kann. Die Anzeige, daß eine Dame an einem bestimmten Tag zu gewissen Stunden zu Hause sein wird, verpflichtet nur die Dame, zu Hause zu sein, was ihr allein unangenehm zu sein pflegt. Man macht von der Anzeige nur dann Gebrauch, wenn man gern erscheint, und auf eine Viertelstunde erscheint man auch da gern, wo man auf längere Zeit nicht gern erschiene.

In Häusern, wo der Jour noch nicht entartet ist, geht auch die Verpflegung nicht über eine leichte Anfeuchtung und kurzes Kuchenknabbern hinaus. Da aber das Trinkgeld fortfällt, so sieht man daran, daß es auf der Welt keine reine Freude giebt.

Da man stets Gäste anwesend findet, so mische man sich sofort nach dem Händeschütteln ins Gespräch über das Radeln. Selbst über das rauhe Wetter, 29 obschon bereits das nötigste darüber gesagt ist, lasse man einige bedeutungsvolle Worte fallen. Denn es schickt sich nicht, ausschließlich Erfrischungen zu nehmen und wieder fortzugehen, obschon dies das Einfachste ist.

Auf die Frage: Thee oder Cognak? entscheide man sich für beides.

Auf die Frage: Wie geht's? antworte man nicht: Wie man's treibt. Man suche nicht mit diesem alten Scherz zu beweisen, das einem nichts einfällt. Das wissen die Anwesenden ohnedies.

Der Frau des Hauses sage man, sie sehe sehr vortrefflich aus, selbst wenn dies wirklich der Fall ist. Man braucht einen Jour fixe nicht für eine Gesellschaft zu halten und deshalb zu lügen.

Wird über Kunst und Litteratur gesprochen, so beteilige man sich an dieser Unterhaltung, auch wenn man etwas davon versteht. Es ist dies allerdings nicht allgemein gebräuchlich.

Werden die anwesenden Gäste vorgestellt, so merke man sich die Namen nicht. Dann braucht man sie nachher nicht zu vergessen. Nur die Namen Müller und Meier behalte man im Gedächtnis.

Man esse von den angebotenen Kleinigkeiten nicht viel, denn es sieht erstens nicht gut aus und zweitens sehr schlecht. Auch vermehrt es nicht die Sättigung, wenn man schon gegessen hat, und verdirbt den Appetit, wenn man erst zu Tisch gehen will.

Wird man einem dekorierten Herrn vorgestellt, so nenne man ihn Exzellenz. Er ist es nicht, aber er nimmt den Titel nicht übel. Er ist überhaupt liebenswürdig.

Dies sei man auch. Man höre alles mit lebhaftem Interesse an, namentlich das Gleichgültige, das erzählt wird. Wird eine Verlobung gemeldet, so gebärde man sich, als habe man endlich ein langerstrebtes 30 Glück gefunden, auch wenn man die Verlobten nicht kennt. Stößt man unverschuldet auf eine Dame, welche eine halbe Stunde lang ohne Pause sprechen kann, so sage man sich: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er, und lasse die Dame über sich ergehen. Lautes Murren ist unschicklich und wird von der Dame auch als ein Zeichen des Wohlbehagens aufgefaßt. Im übrigen ist nach meinen Beobachtungen das Geschlecht der Rasch- und Vielsprecherinnen in Berlin im Aussterben begriffen. Es existieren nur noch einige guterhaltene Exemplare, wie von den echten Möpsen. Das Telephon und die bunten Postkarten, welche die Menschen zwangen, sich kurz zu fassen, haben unter den Plaudertaschen furchtbar aufgeräumt.

Man bleibt nur ganz kurze Zeit. Das ist das Bezaubernde des Jour fixe. Alle anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen könnten von ihm lernen, thun es aber nicht. Ein halbwegs beweglicher Jourfixer kann in einigen Nachmittagstunden rund ein halbes Dutzend solcher Besuche zurücklegen. Allerdings giebt es Besucher, welche den Jour fixe bis zur Nagelprobe auskosten und nicht wanken und weichen, bis das letzte Kaviarbrötchen verschwunden ist. Solche Besucher gehen mit dem Fluch der Gesellschaft beladen umher, sind auf das Tiefste verabscheut, können nach der allgemeinen Ansicht kein gutes Ende nehmen und merken es nicht. Sie sind in Jour fixe-Kreisen schon deshalb sehr gefürchtet, weil sie niemals fehlen. Alle Hoffnung auf eine starke Erkältung, die sie ans Bett fesseln würde, ist eitel, es sind auffallend starke, gesunde Leute. Andeutungen, daß der Jour fixe nur eine Station des gesellschaftlichen Lebens sei, verstehen sie nicht. Werden sie in der kommenden Saison nicht wieder aufgefordert, so halten sie dies für ein dem Hause sehr unangenehmes Versehen, das sie durch ihr Wiedererscheinen auszugleichen suchen. Bei dieser 31 Gelegenheit wird ihnen voll Abscheu die Hand gedrückt, was sie für große Beliebtheit halten. Diese dauerhaften Besucher sprechen sich gewöhnlich sehr wegwerfend über den Jour fixe aus und lassen durchschimmern, daß sie ihn nur aus Gefälligkeit mitmachen, um dem Hause ein angenehmes Gesellschaftsmitglied zuzuführen. Sie werden es dahin bringen, daß der Zutritt zum Jour fixe nur gegen Vorzeigung der Einladung gestattet wird. Völlige Sicherheit vor ihnen wird dies aber auch nicht gewähren. »Herr,« würden sie den Portier anschreien, »sehe ich aus wie ein Mensch, den man nicht einlädt?« Hui, und sie sind drinnen, und herausgeworfen wird nicht. Diese Mitteilungen werden genügen, jedem Besucher eine kurze Anwesenheit zur Pflicht zu machen.

Man nehme keine Cigarre an. Die Jour fixe-Cigarre gehört zu den menschenfeindlichen Sorten, da das Rauchen am Jour fixe nicht Sitte ist und der Hausherr, der nicht anwesend zu sein pflegt, jede Verantwortlichkeit für die Cigarre ablehnt.

Es kommt vor, daß die Dame des Hauses ein ganz kleines Töchterchen in die Arena sprengen läßt. Man sei entzückt. Ist das Kind ein Affe, so nenne man es eine künftige Venus von Milo. Giebt die Mutter Zeichen der Unzufriedenheit, so lege man noch eine der drei Grazien zu, man gehe aber nicht höher. Wird das Kind dann wieder hinausgeführt, so gebe man seiner Freude durch bedauernde Worte Ausdruck.

Zu anderen häuslichen Gesellschafts-Episoden ist nur wenig zu bemerken.

Die Geburtstage

vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe 32 man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.

Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.

Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.

Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort: Gartula! Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.

Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.

Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.

33 Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.

Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch gestern wurde davon gesprochen. So möchte man selber aussehen. Auch könnte man das Geburtstagskind, wenn es Frau und Mutter ist, für eine Schwester der Tochter halten. Hat das Geburtstagskind keine Tochter, so bearbeite man den Satz passend durch Heranziehung ihres Sohnes oder ihrer jüngsten Schwägerin. »Eine jüngere Schwester ihres Mannes« aber sage man nur im äußersten Notfall.

Vorsichtig sei man bei älteren Geburtstagskindern mit dem Wunsch: bis zum hundertsten Wiegenfest. Manchen ist dies zu wenig, da sie nicht weit genug von demselben entfernt sind.

Alle auf dem Geburtstagstisch ausgestellten Geschenke finde man blendend, selbst die fürchterlichen gestickten Sofakissen. Sind die aus guten Delikatessenhandlungen abgesandten »Stillleben« mit dem ganzen Komfort der Friandise ausgestattet, so nehme man vertrauensvoll die Einladung zum morgigen Mittagessen an.

Als Gatte des Geburtstagskindes esse man 34 möglichst viele von den auf den Schüsseln ausliegenden belegten Butterbrötchen, sonst muß man sie am anderen Tage essen. Dann sind sie aber vertrocknet.

Von den öffentlichen festlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen sind etliche zu betrachten, welche mancherlei Gefahren und Unbequemlichkeiten bergen, auf die warnend und ratend hinzuweisen ist. Hier ist in erster Linie der Bazar zu nennen.

Der Bazar

ist eine Wohlthätigkeits-Unthat, welche sich bis jetzt der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen gewußt hat, obschon die beliebte Frage bei jeder bekannt werdenden Unthat: Où est la femme? jedesmal sofort keine Frage ist. In jeder Bude, an jedem Tisch, hinter jedem Buffet des Bazars stehen zwei bis mehrere.

Man nähere sich ihnen vorsichtig. Nur wer gewöhnt ist, für eine Cigarette, eine Rose, oder ein Glas Bier bis zu zehn Mark zu bezahlen, trete vertrauensvoll näher.

Man unterlasse das Flirten. Jede Artigkeit, und sei sie auch ehrlich gemeint, treibt die Preise in die Höhe.

Man zeige keine Hundertmarkscheine. Die blaue Papierfarbe reizt die Damen.

Wenn man verheiratet ist und hat etwas billig gekauft, so nehme man den Gegenstand nicht mit nach Hause. Die Gattin pflegt ihn ärgerlich hinauszuwerfen und den unglücklichen Käufer vorwurfsvoll daran zu erinnern, daß er Familienvater sei. Ist dieser vorsichtig, so giebt er den Gegenstand dem Taxameterkutscher als Trinkgeld und verschweigt seiner Gattin, daß er den Bazar besucht habe.

Man bestimme vor dem Bazarbesuch genau eine größere Summe, die man verausgaben will, damit man nachher bestimmen kann, wieviel mehr man losgeworden ist.

35 Man nehme von den Verkäuferinnen keinen Kredit, denn sie geben keinen.

Giebt man für einen Gegenstand aus dem Fünfzigpfennigladen der schönen Verkäuferin eine Mark und sie sagt: »Danke bestens,« so heißt dies: »Mein Herr, das ist sehr lumpig!« Hieraus mache man sich nichts.

Läßt man sich ein Gläschen deutschen Sekt für fünf oder zehn Mark einschenken, so kann man überzeugt sein, nicht betrogen zu werden. Es ist dann sicher kein französischer.

Rosen sind sehr teuer. Man stecke also eine ins Knopfloch, bevor man den Bazar betritt.

Wenn man in einem Bazar von den Damen sehr liebenswürdig behandelt wird, so daß man allgemein beneidet wird, so sei man Millionär, je mehrfacher, desto besser.

Bei Einkäufen und Zahlungen hat man zu wählen, ob man als Knauser oder als Potsdamer (wienerisch: Wurzen) gelten will. Das erstere ist billiger.

Ist mit dem Bazar eine Lotterie verbunden, so kaufe man Lose und verschenke sie. Man kennt ja immer den Einen und die Andere, denen man gern einen Schabernack spielt. Denn die Gewinne, welche solche Lotterie bringt, erschrecken selbst den Anspruchslosen. Es sind Ladenhüter von ehrwürdigem Aussehen, die einer längst verschwundenen Epoche der Industrie angehören und selbst nicht mehr die Kraft haben, die bescheidene Stellung eines Ladenhüters auszufüllen. Auch Abreißkalender eines verflossenen Jahres werden gewonnen, oder man gewinnt im Glücksfall einen solchen Kalender vom laufenden Jahr im Dezember, so daß man, um ihn noch ausnützen zu können, erst etwa 350 Tage abreißen muß. Allgemein gefürchtet werden auch Partituren durchgefallener Opern, welche von 36 solchen Damen für die Verlosung gestiftet worden sind, die sich nicht sicher fühlen, daß sie sie dennoch eines Tages wieder durchspielen. Auch Bücher werden gewonnen, deren Titel lautet: »Tisch für Diabetiker«, oder »Der Klumpfuß heilbar«. Ja, ich habe sogar einen Herrn gekannt, der von einem Makartbouquet[Einer allgemeinen, aber nicht lange andauernden Beliebtheit erfreute sich der nach dem Wiener Maler Hans Makart benannte Makartstrauß aus getrockneten Gräsern, Palmwedeln und Blüten- wie Fruchtständen mancher Kompositen, die man schließlich auch noch färbte, vergoldete und versilberte.] erreicht worden ist. Er hat lange daran gelitten. Verlassen wir dies düstere Bild!

Selbst nehme man natürlich kein Bazarlos geschenkt. Niemals gewinnt man etwas Brauchbares, denn unter den größeren Gewinnen befindet sich weder eine Zehnpfennigmarke, noch ein Pferdebahnbillet.

Bedeutend weniger tumultuarisch und gefahrvoll gestaltet sich das in irgend einem städtischen Prunk-, Pracht- oder Festsaal stattfindende

Vereinsfest.

Wer Mitglied eines Vereins ist, hat auch schon eines der Gründungs- und Jubiläumsfeste dieses Vereins mitgemacht, und es giebt wohl heute keinen Deutschen, der nicht Mitglied eines oder mehrerer Vereine ist.

Man hüte sich, in das Festkomitee gewählt zu werden. Es ist dies das einzige Mittel, vor dem Vorwurf bewahrt zu bleiben, daß man nichts gethan, aber alle vorkommenden Fehler verschuldet habe.

Ist man aber Mitglied des Festkomitees geworden, so versäume man deshalb alle Geschäfte, widme sich ganz den Aufgaben des Festes, arbeite unausgesetzt, komme nicht zu Atem, stürze sich in Unkosten und thue, was man kann. Man wird dennoch nicht das Wohlgefallen des Vereins erringen.

Im Festkomitee befinden sich einige Mitglieder, welche absolut nichts thun. Vor diesen nehme man sich in Acht, denn sie haben an der Thätigkeit der Eifrigen immer etwas auszusetzen Man zeige ihnen nicht, daß man thätig ist, denn man wird sonst von 37 ihnen als ein aufdringlicher Streber und als ein Mensch bezeichnet, der sich fortwährend vordrängt.

Will man recht vernünftig sein, so mache man sich als Mitglied eines Vereins niemals verdächtig, ein organisatorisches Talent zu besitzen. Dann entgeht man mit ziemlicher Sicherheit jeder Wahl in das Festkomitee. Wird man aber gewählt, so erkranke man und lehne mit großem Bedauern die Wahl ab.

Wenn man kein Redner ist, so weiche man bescheiden, aber energisch der Aufforderung aus, eine Festrede zu halten. Dies geschieht allerdings selten, aber es ist doch zum Gelingen des Festes nützlich, wenn dann und wann eine Rede von einem wirklichen Redner gehalten wird.

An die Festtafel setze man sich so, daß man von den Rednern sehr weit entfernt sitze. Wird dann gesprochen, so hat man sich nur zu erheben, wenn alles zum Hochrufen und Anstoßen sich erhebt, und sich wieder zu setzen. Dies vereinfacht die Tafelpflichten wesentlich.

Aber auch, wenn man die Rede deutlich gehört hat, lobe man sie. Denn jeder Tadel wird dem Redner hinterbracht und vermehrt die Zahl der Feinde um einen. Glaube man nicht, daß der Tadel verschwiegen bleibt. Denn am allerwenigsten schläft der Verräter bei Tisch.

Ist die Tafel sehr groß, so mache man keine Ansprüche an das Menu, sondern halte sich an den Käse, der immer gut ist.

Nehmen Damen an der Tafel teil, so sei man vorsichtig in der Wahl des Unterhaltungsstoffs, namentlich den Damen gegenüber. Ich rate dies aus trüben Erfahrungen an. So beging ich einmal die Unvorsichtigkeit, in einem unbewachten Augenblick den Namen Ulrike v. Levetzow in die Unterhaltung zu werfen und dabei Goethes zu erwähnen. Ich werde dies niemals wieder wagen. Auf das Antlitz meiner Dame lagerte 38 sich alsbald die Furcht vor einem litterarischen Gespräch derart verzerrend und aus den schönen Augen blitzte es derart erschreckt, daß ich sofort über das Vanilleeis sprach, welches gerade herumgereicht wurde, und dadurch einer höchst peinlichen Scene ein Ende machte. Die Dame aber ist meine Gegnerin geblieben. Wie ich neulich hörte, hat sie behauptet, daß man ihr verraten habe, schon mein Großvater väterlicherseits sei ein Trinker gewesen. (Mein Großvater väterlicherseits hat nie getrunken.)

Was den Wein an der Tafel betrifft, so handelt es sich um eine Vertrauenssache, insofern man sicher vertrauen kann, daß er nichts oder wenig taugt. Man bestelle also Wein und trinke ihn nicht, dann richtet er keinen Schaden an. Unter den bei Tisch erscheinenden Getränken pflegen diejenigen Wässer, welche beim Öffnen des Patentverschlusses eine gewisse Unruhe verraten und mit Perlen um sich werfen, das Vertrauen zu verdienen, das man in sie setzt. Kann man aber nicht ohne Wein existieren, so sehe man sich nach einem alten Freund unter den Kellnern um und sage ihm etwas ins Ohr. Dies ist ein gutes Mittel, die Qualität des Weins zu verbessern.

Von den auf der Tafel stehenden Früchten das Folgende: Wer saure Trauben, Kochbirnen, recht trockene Datteln und alte Walnüsse liebt, greife munter zu, und er wird nicht enttäuscht werden.

Man bemühe sich, zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen. Thun dies dann auch andere, so belebt sich die Stimmung und es wird die Unterhaltung derart allgemein und laut, daß kein Toast mehr gehört wird. Diesen Moment benutze man selbst zu einem Toast, wenn man nichts zu sagen weiß.

Beginnt das Auseinanderreißen der Knallbonbons, so erzähle man die Geschichte von einem bei solcher Gelegenheit ausgeschossenen Auge. Es nützt aber 39 nichts. Dagegen kann man die Unsitte und Geschmacklosigkeit dieses Bombardements dadurch mildern, daß man die Damen in der Nähe bittet, die Knallbonbons den lieben Kinderchen mitzubringen, nachdem man zu deren Besten die Patronen aus den Papierhüllen herausgezogen und weggeworfen hat. Nützt auch dieses nicht, sondern wird das Kanonieren verlangt, so füge man sich, verzichte aber darauf, sich die Papierkappe aufzusetzen, die nach dem Schuß zum Vorschein kommt, es sei denn, daß man das dringende Bedürfnis habe, sich lächerlich zu machen.

Erscheint der Kellner mit dem letzten Gang, mit den Zahnstochern, so sei man gentil, lege einen Thaler auf den Teller und lasse sich nicht mehr als zwei Mark fünfzig Pfennig herausgeben. Will man aber sehr vornehm sein, so giebt man gar nichts, sondern dankt herablassend.

Wird ein Tischlied gesungen, so lobe man den Text als geistvoll, der Gelegenheit vortrefflich angemessen und hervorragend gereimt. Erst wenn man festgestellt hat, daß der Dichter nicht nebenan oder gegenüber sitzt und seine Gattin oder andere nahe Verwandte nicht in der Nähe sich befinden, sage man die Wahrheit.

Wenn vor, während oder nach der Tafel ein Festspiel zur Aufführung kommt, so erkundige Dich rechts und links, sowie bei den vor und hinter Dir sitzenden Zuschauern nach dem Sinn der Anspielungen, die Du nicht verstehst. Damit geht die Zeit rascher vorüber. Langweilt Dich das Stück trotzdem und findest Du es schlecht, so unterlasse nicht, Dich an dem Applaus, dem Dacapo- und Hervorruf zu beteiligen, um nicht als Dummkopf oder als Störenfried bezeichnet zu werden. Ist das Stück von Dilettanten gespielt worden, so sage man ihnen aus demselben Grunde, wenn sie nach dem Schluß wieder in der Gesellschaft erscheinen, man 40 habe selten so meisterhaft darstellen sehen, und man frage sie auch, weshalb sie nicht zur Bühne gehen.

Wird die Glocke von Schiller oder ein anderes unterhaltendes längeres Gedicht deklamiert, so beteilige man sich lebhaft an dem Schreien nach Ruhe. Dies macht gewöhnlich solchen Spektakel, daß man das bereits bekannte Gedicht nicht hört.

Ein Tänzchen pflegt den Abend zu beschließen oder, wie es offiziell heißt: das Fest zu krönen. Wenn man nun gewillt ist, nach dem bekannten lateinischen Lehrsatz, statt herumzustehen, tausend Schritte zu gehen, so wähle man eine Dame, welche das gleiche zu unternehmen wünscht, und schließe sich mit ihr der Polonaise an. Beginnen aber die Riesenunternehmen, welche nach Tisch sich besonders für gewissenhaft übende Akrobaten eignen, so namentlich das in gebückter Körperhaltung auszuführende Passieren des von den Paaren gebildeten Tunnels, so sage man seiner Dame, diese Tour mache korpulent, worauf sie sich gern auf einen der an der Wand stehenden Stühle transportieren läßt.

Ist man älter als ein halbes Jahrhundert und hat man das Bedürfnis, sich lächerlich zu machen, so tanze man nach der Polonaise einen Walzer mit einer jungen Dame. Ein einziger Walzer genügt zur Erreichung des angegebenen Zwecks. Dies merkt man sofort, wenn die junge Dame sagt: »Sie tanzen noch sehr gut.« Man soll aber überhaupt nicht tanzen, wenn man noch sehr gut tanzt.

Für den Kotillon engagiere man, wenn man kein Freund oder Meister der Unterhaltung sein sollte, eine Dame, deren Beliebtheit bekannt und die deshalb meist auf Extratouren unterwegs ist.

Ist man jung, in ernährender Position und nicht gerade von abschreckendem Äußeren, so sei man während des ganzen Abends vorsichtig und aufmerksam, sonst 41 ist man bald verlobt. Von Vereinsfesten führt eine elektrische Bahn zu allen Standesämtern. Das junge Mädchen im Ballkostüm, das höchst bescheiden auftritt, nicht bis drei zählen zu können scheint, eine Knospe im Haar und die Augen zu Boden geschlagen trägt, ist mit der größten Vorsicht zu behandeln, weil es auf dem Ball ein ganz anderes Geschöpf zu sein pflegt, als nach demselben. Auf einem Ball hat noch kein Mensch ein junges Mädchen kennen gelernt. Man macht dort nur ihre Bekanntschaft.

Wird man im Tanzgewühl heftig angerannt, so entschuldige man sich. Der Anrenner pflegt dies nicht zu thun, und es ist immer hübsch, wenn wenigstens eine Entschuldigung erfolgt. Keinenfalls benutze man, wenn man ein Paar herantoben sieht, die eigene Dame als Pufferstaat, wie ähnliches in der Politik zu geschehen pflegt, denn in der Politik ist erlaubt, was sich in guter Gesellschaft verbietet.

Hat man sich gelangweilt, so warte man geduldig die Festberichte in den Zeitungen ab, von denen man eines Besseren belehrt wird, indem man erfährt, daß das Fest in ungetrübter Fröhlichkeit verlief und bis in die späte Morgenstunde hinein einen glänzenden Verlauf nahm. Man kann sich also unmöglich gelangweilt haben.

Kennt man einen Berichterstatter persönlich, so erfülle man die Bitte der Dame, ihn ihr vorzustellen, auch wenn sie ausdrücklich hinzufügt, sie möchte in dem Ballbericht sich nicht als besonders entzückende Erscheinung erwähnt finden. Unter uns gesagt, sie fürchtet dies gar nicht, sondern wünscht es.

Geht man gern erkältet nach Hause, so verlasse man sich auf den in den Garderobenräumen herrschenden Zug.

Während nun der Stiftungstag oder die Jubelfeier eines Vereins, wenn auch schon ziemlich 42 verschwommen, einen noch immer deutlich erkennbaren intimen Charakter trägt, indem an solchen Veranstaltungen vor allem die Mitglieder und deren Familienmitglieder teilnehmen, welcher Kreis sich durch Nahestehende erweitert und verstärkt, giebt es jetzt eine Reihe von Ballfesten, die zum besten der Unterstützungskassen und anderer wohlthätiger Zwecke von litterarischen, künstlerischen, industriellen und verwandten Korporationen und Genossenschaften arrangiert werden. Hierher gehören das Ballfest der Presse, der Schriftsteller, der Bühnengenossenschaft, des Vereins der Künstler, der Juristen, des Vereins der Kaufleute und Industriellen, der großen Vereine Schlaraffia und Eulenspiegel und anderer Vereinigungen, welche alljährlich das Publikum einladen, seinen oft bewährten Wohlthätigkeitssinn abermals an den Tag zu legen, der bis zum anderen Morgen dauert.

Allen diesen Ballfesten ist es angeboren, daß sie alle anderen bisher gegebenen durch den Glanz der Arrangements, wie durch die Fülle der Überraschungen in den Schatten stellen werden. Auch ist jedesmal der Andrang zu den Einlaßkarten seitens der besten Gesellschaft viel bedeutender als in einem der vorangegangenen Jahre, so daß nur noch eine kleine Anzahl Billets zu haben sein dürfte. Man hat sich deshalb zu beeilen.

Wer dies glaubt, lese keine der vielen Zeitungen, welche diese Notizen verbreiten. Denn da man die gedruckten Nachrichten meist für unwahr hält, so würde man seinen guten Glauben erschüttert sehen.

Eilt man infolge der Ballfestnotiz, daß nur noch wenige Karten übrig seien, in das betreffende Bureau und findet noch viele hundert Billets vorrätig, so erzählt man überall, man habe das letzte Paar Karten gekauft, damit noch viele auf jene Notiz hineinfallen und man also nicht einer der wenigen bleibt.

43 Wenn man das

Schriftstellerfest

besucht, so sage man sich, daß auch nicht ein einziger namhafter Schriftsteller anwesend sein werde, damit man sich auf das Angenehmste getäuscht sieht, wenn ein Namhafter anwesend sein sollte. Zu diesem Zweck nehme man im Notfall den Titel Namhafter nicht so genau, sondern bezeichne irgend einen Journalisten, von dem man weiß, er führt eine geistvolle Schere und ist ein Ritter aus dem Kleisterreich, als einen namhaften Schriftsteller. Man bitte ihn aber nicht um ein Autograph, denn er würde es geben.

Ähnlich verfahre man auf den

Festen des Vereins Berliner Künstler.

Wer um keinen Preis Menzel und Begas sehen möchte, der besuche diese in ihrer Art einzigen Feste.

Auf den Festen der Presse und Schriftsteller bitte man niemals einen Zeitungsverleger um die Gefälligkeit, seine besten Mitarbeiter zu zeigen. Denn er würde dann auf mehrere Inserenten hinweisen, die er allein für seine besten Mitarbeiter hält, weil sie ihre Beiträge zeilenweis bezahlen.

Alle diese Feste besitzen eine reiche Einnahmequelle, welche den Namen Tombola hat. Zu derselben haben, wie die bereits erwähnten sämtlichen Blätter versichern, viele Künstler eine große Anzahl hervorragender Werke beigesteuert. Die Niete kostet nur eine Mark. Dafür kann man die ausgestellten hervorragenden Werke ansehen. So kostet also die Niete nichts.

Wer Glück hat, kaufe ein Los. Der Pechvogel unterlasse es, denn es könnte doch sein, er habe einmal Glück. Alsdann gewinnt er sicher eine größere Photographie, die ihn während des ganzen Festes belästigt, bis sie ihm endlich abhanden kommt.

44 Auf

Theaterfesten

werden gewöhnlich die Porträts der Künstlerinnen und Künstler verkauft, welche mit eigenhändig unterschriebenen Gedankensplittern geschmückt sind. Meistens findet man den Schillerschen Gedanken: »Ernst ist das Leben heiter ist die Kunst« gesplittert. Am beliebtesten sind Schauspieler und Sänger im Kostüm und Künstlerinnen im Gegenteil.

Die Tombola auf Schriftstellerfesten enthält viele Autographen. Auf ein Los, das gleichfalls nur eine Mark kostet, gewinnt man ein Autograph, das, wenn man es in teueren Zeiten in einer Autographen-Apotheke kauft, fünfzig Pfennig kostet. Da der Autor es bereits hundertmal geschrieben hat, so ist es derart unleserlich, daß man es nicht lesen kann. Dies erhöht seinen Wert.

Wird einem ein Künstler oder ein Schriftsteller vorgestellt, der, je häufiger man seinen Namen hört, desto unbekannter wird, so rufe man freudig Ah! um ihn nicht dadurch zu kränken, daß er merken muß, er sei in den weitesten Kreisen gänzlich unberühmt. Er ist durch das Ah! schon vollständig befriedigt. Man lasse sich auch nicht darauf ein, von seinen Werken zu sprechen. Allerdings existieren solche von ihm, aber man nennt ihm doch nur gar zu leicht solche, die von einem andern herrühren, und das würde ihn gleichfalls kränken.

Lernt man einen unbedeutenden Schauspieler kennen, so freue man sich namenlos, endlich dem ersten jetzt lebenden Darsteller gegenüber zu stehen. Statt Darsteller kann man auch Seelenmaler, Schöpfer, Interpret des Dichters und Menschenbildner sagen. Lehnt der Schauspieler die Bezeichnung ab, er sei der erste jetzt lebende, so sehe man sich nach einem Arzt um, denn dann ist er eben verrückt geworden.

Eine ältere Schauspielerin, auch solche, welche so 45 alt ist, daß sie sich jung schminken muß, wenn sie die Hexe im »Faust« spielt, frage man, ob sie dieselbe sei, die man vor etlichen Jahren die Jungfrau von Orleans darstellen sah. Sie wird sich über diese Frage freuen und sie bejahen, obschon sie sie der Wahrheit gemäß verneinen müßte. Dann füge man hinzu, daß man sie noch einige Jahre früher als eines der Kinder der Norma bewundert habe. Auch dies wird für richtig erklärt, und man wird die dankbare Künstlerin den ganzen Abend nicht wieder los.

Tanze nicht mit einer Dame vom Ballet, denn sie kann gewöhnlich nicht tanzen, sondern nur springen, was nun Du wieder nicht kannst.

Sagt man einem mittelmäßigen Schauspieler, sein Wallenstein sei so gut wie der Sonnenthalsche, so denkt er: »Der Esel weiß nichts von mir,« denn er ist überzeugt, daß sein Wallenstein besser sei.

Ist das Künstlerfest ein

Kostümfest

und hat man den Wunsch, allgemeine Heiterkeit zu erregen, so erscheine man als Wotan, wenn man sehr klein ist. Junge Mädchen, welche Aufsehen erregen wollen, erreichen dies dadurch, daß sie nicht als Rautendelein[Eine Elfengestalt in dem Märchendrama »Die versunkene Glocke« von Gerhart Hauptmann.] kommen. Dies hat sich schon seit einigen Jahren nicht ereignet.

Einem Realisten sage man etwas, was ihn mit Stolz erfüllt. Ist der Realist ein Maler, so teile man ihm mit, man habe sein Bild gesehen und nicht herauskriegen können, ob es ein Porträt, eine Landschaft oder einen gestrandeten Dreimaster darstelle. Ist der Realist ein Dichter, so bedaure man, während man ihm die Hand schüttelt, daß nicht er an Stelle Goethes den Faust geschrieben habe, er hätte doch gewiß in Auerbachs Keller mehr als fünfhundert Säue angebracht.

46 Auf dem

Juristenball

antworte man, um sich gefällig zu zeigen, auf die Frage nach dem Befinden, man könne nicht klagen. Alsbald fällt auch dem Frager einer seiner ältesten Scherze ein, den anzubringen ihm, um für geistvoll zu gelten, Bedürfnis ist. Erst dann wird er allmählich ruhiger.

Wenn man zufällig einer der größten jetzt lebenden Künstler ist und längst im Verdacht steht, unsterblich zu werden, so bilde man sich nicht ein, daß man einem jungen Mädchen auf einem Ball willkommen sei. Jeder junge Mann, und sei er auch keineswegs einer der größten jetzt lebenden Kommis, ist einem jungen Mädchen willkommener. Tritt der unsterbliche Zeitgenosse trotzdem an das junge Mädchen heran, so schreibe er es sich selbst zu, wenn sie einst ihren Enkeln erzählt, sie erinnere sich, daß er ihr einmal einen Abend gründlich verdorben habe.

Ist man Raucher, so stecke man die Cigarren, welche am Schluß der Tafel herumgereicht werden, für den Portier ein und rauche die eigenen, die man mitgebracht hat.

Will man eine Dame umarmen, so warte man, bis das elektrische oder Gaslicht zur Vorführung von Schattenbildern oder eines Kinematographen abgedreht wird. Man ist dies dem anwesenden Gatten oder Bruder der Dame schuldig. Wird man trotzdem bei dem allgemein beliebten Umarmen erwischt, so spiele man den wilden Mann. Nützt dies nichts, so wisse man, wo die nächste Sanitätswache ist.

Findet man im Saal eine Bühne aufgeschlagen, so daß ein Festspiel zu erwarten ist, so beruhige man sich. Das Festspiel kann ja vielleicht beinahe kurzweilig sein.

Ist man an eine sehr unterhaltende Tischnachbarin 47 geraten, so gehe man nach Tisch in eine Restauration nebenan und erhole sich dort von dem Glück, das man gehabt hat.

Da die stark bevölkerten Feste in sehr großen Lokalitäten stattfinden, in welchen die Verwaltung mit großem schwarzem Finger auf den Weg zum Tunnel weist, so möchte ich, indem mir dies einfällt, auf einen verzeihlichen Irrtum belehrend aufmerksam machen, der leicht vermieden werden kann. Man sieht oft Paare auf diesem Wege hinabgehen. Bei diesen handelt es sich aber um eine Verwechslung mit dem Tunnel aus Eisenbahnfahrten. Im Gegenteil ist der Tunnel der großen Festlokalitäten sehr hell erleuchtet. Man trinkt daselbst Bier und raucht. Die Paare können sich daselbst sehr angenehm unterhalten, aber, wie gesagt, einen Tunnel im Reisesinne finden sie hier nicht.

Man gehe dann und wann an einem flirtenden Paare dicht vorüber, um sicher die Worte »Fishing for compliments« zu hören. Es sind dies zwar keine ganz neuen Worte, aber man vernimmt sie doch zuweilen gern, weil sie bekunden, daß einmal wieder einer Dame oder einem Herrn absolut nichts besseres eingefallen ist.

Ist man Schriftsteller, so wird man häufig dadurch von einem Gast hervorragend ausgezeichnet, daß er wohlwollend ersucht, oder fordert, ihm die Bücher, die man herausgegeben hat, auf einige Tage zu leihen. In solchem Fall sei man nicht kleinlich, sondern nenne dem Gast eine Buchhandlung, in welcher die Bücher käuflich zu erwerben sind.

Wird einem jungen Manne von einem bedeutend jüngeren Fräulein versichert, ihre Mutter würde sich sehr freuen, wenn er sich ihr vorstellte, so habe er dies nicht gehört. Nicht jeder ist einer Mutter gewachsen.

Ist man Gatte, hat seine Frau am häuslichen Herd gelassen und ist allein auf dem Fest erschienen, 48 so wird man am anderen Morgen nach besonders eleganten Ballkostümen gefragt. Für diesen Fall erleichtert es die Antwort, wenn man besonders gründlich diejenigen Damen betrachtet, welche ziemlich wenig bedeckt sind. Das ziemlich Wenige behält man leichter im Gedächtnis.

Hat man sich mit solchen Gastinnen sehr eingehend und gut unterhalten, so berichte man seiner Frau das Gegenteil.

Man schnupfe weder bei Tisch, noch beim Tanz, es sei denn, man ist ein Knote.

Tanzmeister und solche Gäste, welche eine Quadrille kommandieren, schreien immer, als stäken sie am Spieß oder bildeten sich zu Extrablatt-Verkäufern aus. Über solche Brüller beklage man sich nicht, weil dies absolut nichts nützt. Man behandle sie im Gegenteil mit Schonung, weil sie sonst noch ärger brüllen. Höchstens frage man sie: Sagten Sie was? oder: Wie meinten Sie?

Man sei, wenn irgend möglich, Reserveleutnant, verheimliche dies aber nicht, um nicht aufzufallen.

Alle Drucksachen, Albums, die Tischkarte und andere zur Verteilung gekommene Festgaben gebe man sorgfältig in der Garderobe ab, nachdem man den daselbst angestellten Frauen die Nummer angegeben hat. Da man die bezeichneten Sachen später nicht wiederfindet, so ist man sie los und braucht sich nicht mit ihnen den Heimweg zu erschweren.

Hierher gehört auch der alljährlich im Opernhaus stattfindende

Subskriptionsball

obschon wenige Hinweise genügen. Dieser Ball ist kaum ein Ball und dauert nicht lange. Somit ist er einer der beliebtesten Bälle der Saison. Man besuche ihn nur, wenn man gut herumstehen kann.

49 Es giebt sehr wenige öffentliche Bälle, an die so gar keine Anforderungen gestellt werden, wie an den Subskriptionsball. Der Besucher behauptet, der Blick in den Saal beim Eintritt sei entzückend, um sich zu entschuldigen. Ist man aber aus der Provinz, so kann man sich überhaupt nichts Schöneres denken.

Nachdem der Hof seinen Umgang beendet hat, beginnt die Gesellschaft, nicht zu tanzen, weil kein Platz dazu vorhanden ist. Diese angenehme Gelegenheit benutzt man, um in die Logen des ersten Ranges zu starren, in welchem die Diplomaten und andere Würdenträger mit ihren Damen sitzen. Will man wissen, wer sie seien, so frage man niemand. Niemand weiß es nämlich.

Will man sich angenehm und den Eindruck machen, daß man in den hohen und höchsten Kreisen der Gesellschaft zu Hause ist, so antworte man, wenn man nach den Insassen der Logen befragt wird: Der Herr rechts ist der österreichische, der links der englische Botschafter. Es ist nicht richtig, aber der Fragende ist sichtlich erfreut. Nur die Herren, welche einen Fez tragen, bezeichne man nicht als Mitglieder des deutschen Reichstages. Es pflegen Türken zu sein. Auch nehme man sich in Acht, einen großen starken Herrn als den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe zu bezeichnen, da der Reichskanzler Fürst Hohenlohe unter Lebensgröße ist.

Hat man den sehnlichsten Wunsch, von Seiner Majestät dem Kaiser angesprochen zu werden, so stelle man sich in die erste Reihe der sich in der Nähe des Kaisers sammelnden Gesellschaft und warte das weitere ab. Es nützt allerdings nichts.

Wird man gefragt, wie man sich unterhalte, so antworte man: Ausgezeichnet. Man gähne aber nicht dabei.

Wird man von einem aufgeregten Herrn für 50 einen Lohndiener gehalten und für eine Dame um eine Haarnadel gebeten, so finde man darin keine beleidigende Absicht. Dann sieht man im Frack und mit der weißen Binde wirklich wie ein Lohndiener aus.

Man amüsiere sich. Dies ist leicht, wenn man, nachdem man einen Tritt auf den Fuß erhalten hat, sich darüber freut, daß man mit einem einzigen Tritt davongekommen ist.

Weitere Vergnügungen, über die man sich als über Kurzweil freuen muß: Man verliert im Gedränge einen Onkel und dessen Frau. Man hat immer noch die Uhr. Man wird von einem guten Unbekannten begrüßt, dessen Namen einem einfällt. Man wird einer merkwürdig steilen Dame vorgestellt, die nicht dekolletiert ist. Man fühlt, daß man die Garderobenummer noch hat. Man wird zu einem Glas Sekt von einem Herrn eingeladen, der selbst mit Geld versehen ist. Man trifft einen gefürchteten Anekdotenerzähler, dem nichts einfällt. Man sieht Herrn v. Lucanus und ist nicht Minister. Man sieht eine in Diamanten strahlende Künstlerin und ist nicht ihr Geliebter. Man denkt daran, daß man keine Zahnschmerzen hat.

Wenn man in dieser Weise den beliebten Freudenbecher bis auf die Nagelprobe geleert hat, so begiebt man sich in den Speisesaal, wo jeder, der jahrelang den vornehmsten Ball der Residenz mitmachen oder wenigstens sich einmal im Leben in dessen Strudel stürzen wollte, sich seit Beginn des Balles niedergelassen hat, um zu Abend zu essen und alles zu versäumen. Hier ist die Gesellschaft in der fröhlichsten Stimmung, so daß man überall, wo man, auf einen leeren Stuhl mit der Frage deutend, ob er besetzt sei, kurz abgewiesen wird. Hat man aber endlich einen Stuhl gefunden und sich mit ihm entfernt, so wird er sofort von einem vergnügten Ballgast requiriert und 51 man ist ihn wieder los. Dann geht man in ein Restaurant in der Nähe des Opernhauses.

War man nicht so, wie geschildert, vom glücklichen Zufall begünstigt, keinen Platz zu finden, sondern hat im Gegenteil im Speisesaal des Opernhauses eine Stelle gefunden, wo man ruhig warten kann und nichts zu essen bekommt, so sei man nicht unglücklich, wenn einem der Kellner die Sauce über den Frack schüttet. Man beklage sich auch nicht bei einem Tischnachbar, denn er wird sagen: Der Sauce schadet es nichts.

Nachdem man nichts zu essen bekommen hat, gehe man wieder in den Ballsaal, wo mittlerweile Raum für die Tanzenden geschaffen worden ist, und sehe die Leutnants tanzen. Ein schönerer Anblick ist wohl nicht denkbar. Diesem Schauspiel wohnt man eine halbe Stunde bei, worauf man das Zeichen zum Aufbruch gähnt.

Wenn man noch unverheiratet ist, so lasse man sich die anwesenden Amerikanerinnen zeigen. Ist eine mit mehr als zehn Millionen Dollars Mitgift darunter, so greife man zu. Nur in dem Fall, daß man adlig und sehr verschuldet sein sollte, unterlasse man es, denn dann greift die reiche Amerikanerin zu.

Seit einigen Jahren ist auch ein

Kostümfest der Künstlerinnen,

ein Fest, das ausschließlich von Damen besucht wird, in Mode gekommen. Die folgenden Fingerzeige gelten also nur den Damen.

Es versteht sich wohl von selbst, daß, wie Herrenfeste, auch Damenfeste langweilig sind. Eine Dame, die ein solches Fest besucht und darauf gefaßt ist, sich zu langweilen, wird sich sehr langweilen. Das aber ist die Garantie für den Bestand dieser Damenfeste, da jede Dame, welche sich gelangweilt hat, behauptet, 52 das nächste Fest könnte unmöglich ebenso langweilig werden und es daher besucht.

Man wähle kein Kostüm, in welchem man glänzend aussieht, denn dadurch bestimmt man alle Damen zu der Äußerung, daß man sehr miserabel aussehe. Um sich allgemein beliebt zu machen, erscheine man also höchst unvorteilhaft gekleidet. Das beste ist, man wählt die Maske als Mephisto, als Hexe, als Zeitungsfrau oder als Froschkönig, weil man dadurch Gelegenheit hat, auch das Gesicht zu verhäßlichen. Das gefällt den anderen Damen.

Mancher Mann, der sich, als Dame verkleidet, eingeschlichen hatte, ist von den Besucherinnen beneidet worden, weil er hinausgeworfen wurde.

Solche Damen, welche Sekt trinken und dazu rauchen, meinen es nicht so. Diejenigen Damen, welche Thee genießen und das Rauchen verabscheuen, meinen es auch nicht so.

Verheiratete Damen, welche ungemein sanft sind und kein lautes Wort sprechen, würden von den Gatten, wenn sie anwesend wären, nicht wiedererkannt werden.

Giebt eine Dame verschwenderisch Geld aus, so hat sie es durch große Sparsamkeit gesammelt, was die Familie seit Wochen bei Tisch gemerkt hat.

Gehört eine der anwesenden Malerinnen der realistischen Richtung an und kann nicht tanzen, so tanzt sie jedenfalls besser, als sie malt.

Damen, welche als Gretchen erscheinen, sind vor denen zu warnen, welche als Faust erscheinen, denn sie werden sicher betrogen und gehen mit den Worten: Kein Vergnügen mit Damen! nach Hause.

Hier sind auch die

Herrenfeste

zu erwähnen. Sie sind die Zote im Dienste der Wohlthätigkeit, ohne daß die Zote dadurch das Recht zu existieren erreicht.

53 Alle Männer verstehen die Zote. Wenn aber die Zote Geist hätte, so würde sie die Männer nicht verstehen.

Man bestelle vertrauensvoll Speisen und Getränke. Im Vergleich mit den Vorträgen ist alles genießbar.

Man lache immer, denn wer nur über neue Zoten lachen wollte, würde nie lachen.

Wenn man sich vor den Kellnern geniert, so freue man sich, denn dies ist ein Beweis dafür, daß man anständig ist. Aus demselben Grunde applaudiere man, wenn ein Vortrag harmloser Natur an die Reihe kommen sollte.

Will man originell sein, so bringe man einen Toast auf den abwesenden Staatsanwalt aus. Aber man wird sich dadurch nicht beliebt machen, was man sofort merkt, wenn man vom Festkomitee hinausgewiesen wird.

Während der scenischen Darstellungen schimpfe man über den auf der Bühne herrschenden Ton, um nicht aufzufallen, denn das Publikum der Herrenfeste ist ein anständiges, und man schimpft allgemein.

Nach den folgenden Gesangsvorträgen der eingeladenen Sänger verlasse man das Fest, da sie immer anständig zu sein pflegen und man daher mit einem freundlichen Eindruck davonkommt.

Das Herrendiner

ist und bleibt immer eine der liebenswürdigsten Formen, Eingeladene, die nicht gern ohne Damen speisen, zu langweilen, und schon darum verzeihlich. Auch kann der Herr des Hauses oft nicht anders, und es ist ihm schon darum nicht übel zu deuten, weil er sich dabei selbst nach Kräften langweilt.

In der Reihe der häuslichen gesellschaftlichen Veranstaltungen nimmt das Herrendiner diejenige Stelle 54 ein, die das Spezialitäten-Theater in der Reihe der Bühnen einnimmt. Wer ein Herrendiner giebt, hat für Spezialitäten hervorragender Art zu sorgen, um sein verwöhntes Publikum zu befriedigen. Er hat Gänge und Weine zu liefern, die den Rang vielgenannter Namen der Gesangs-, Tanz-, Drahtseil-, Trapez- und Athletenkunst einnehmen.

Wer lange keinen Kater und keine Magenbeschwerden hatte und sich danach sehnt, lehne die Einladung zu einem Herrendiner nicht ab.

Ist man eine hervorragende Persönlichkeit, so sei man rücksichtslos, so daß die Gesellschaft etwas lange warten muß, bis zu Tisch gegangen wird. Denn es macht dem Wirt Vergnügen, daß die hervorragende Persönlichkeit oft und sei dies auch in feindseliger Stimmung genannt wird, wodurch der bedeutende Mann recht hervortritt.

Wenn man selbst dieser bedeutende Mann sein sollte, so entschuldige man sich nicht, wenn man endlich erscheint, um anzudeuten, daß man mehr ist, als die anderen. Man höre auch nicht, daß man als ungezogen und rücksichtslos bezeichnet wird, und sei überzeugt, daß jeder Gast frägt, was man sich denn eigentlich einbilde.

Ist kein so hoher Gast geladen, sondern gehören die Gäste derselben Gesellschaftsklasse an, so erscheine man pünktlich, um noch eine Weile vor Beginn der Tafel herumzustehen, sich die Hände zu reiben und »Wie geht's?« zu fragen. Auf diese Weise trainiert man sich für die meist folgende Langeweile.

Sind die Plätze schon belegt, weil der Wirt gern zwei Männer, die sich nicht ausstehen können, nicht zusammen oder einander gegenübersetzt, so zittere man, bis man die Gewißheit hat, daß man nicht neben einem Zuckerkranken placiert worden ist. Nur wenn 55 man mit Vergnügen von körperlichen Leiden und nötiger Diät reden hört, freue man sich.

Da die Tafelrunde gewöhnlich aus älteren Herren besteht, so sage man jedem, er sehe vortrefflich aus, besonders wenn es nicht wahr ist. Ist man ein Vierziger und spricht mit einem Sechziger, so frage man, ob man nicht mit diesem in einem Alter sei. Dies macht Beiden Vergnügen.

Sind angenehme Mitbürger anwesend, so erwarte man mit Sicherheit, gefragt zu werden: »Leben Sie auch noch?« Man verneine, damit der Frager meint, man sei angenehm berührt, und damit er nicht merke, daß man ihn für einen Dummkopf halte.

Wenn nach der Suppe das Anekdotenerzählen ausbricht, so erzähle man gleichfalls eine alte Schnurre. Man muß sich nicht freihalten lassen. Muß man eine Anekdote zum sechsten oder achten Mal erzählen hören, so grolle man dem Erzähler nicht. Er weiß, daß er ein Wiederkäuer ist, und verläßt sich auf die Engelsgeduld seiner Opfer.

Man sehe sein Hemd nicht an, so weit es sichtbar ist, denn es sind einige Rotweinflecke zu entdecken. Aber man betrachte die Mitglieder der Tafelrunde, die Rotweinflecke haben sich bei allen schon eingestellt, und es macht den Eindruck, als sei dies Mode.

Man trinke mehr, als dem Wirt angenehm ist, aber nicht mehr, als man vertragen kann. Kommt ein herber Sekt, so bitte man um süßen. Kommt ein süßer Sekt, so bitte man um herben. Dann hat man beide Sorten. Ich habe dies von einem Tischnachbar in einer Herrengesellschaft gelernt. Er hieß – ich werde seinen Namen nie vergessen – Müller.

Man thue alles, was möglich ist, um die Umgebung in angenehmer Laune zu erhalten. Hat man einen Nachbar, der sehr undeutlich spricht und den man deshalb nicht versteht, so sage man dies nicht, sondern 56 nicke immer mit dem Kopf als Zeichen, daß man kein Wort aus seinem Munde verloren habe. Erzählt ein Nachbar eine Anekdote, so lache man, selbst wenn sie durchaus pointenlos und schlecht vorgetragen sein sollte. Hat der Erzähler die Pointe ganz vergessen, so lache man noch herzlicher und nenne ihn einen Tausendsassa und unerschöpflichen Causeur. Hat ein Nachbar allerlei an einem Gang auszusetzen, der tadellos ist, so schließe man sich seinem Tadel an und verbeuge sich vor der feinen Zunge des Nörglers. Dies und ähnliches thue man im eigenen Interesse, um ungestört die Tafelfreuden genießen zu können.

Ist man verheiratet und bekommt von dem galanten Wirt ein Bouquet für die Gattin mit auf den Weg, so betrachte man dies als einen Wink des Schicksals, noch in ein Café zu gehen, wo man das Bouquet vergessen kann. Beachtet man diesen Wink nicht, sondern geht direkt nach Hause, so sage man der Gattin die Wahrheit über den Ursprung des Bouquets, da sie ja doch nicht glaubt, daß man es auf dem Heimweg gekauft hat. Für die Gattin scheue man kein Opfer.

Wird bei Tisch auf die abwesenden Damen getoastet, so zeige man nicht zu deutlich die Freude darüber, daß man eine Ausrede hatte, ohne die Gattin auszugehen. Man wisse, sich zu beherrschen. Man erhebe sich nicht zu begeistert und stoße nicht zu stürmisch an. Dem Heuchler, der den Toast sprach, rufe man innig zu: »Sehr liebenswürdig. Werde meiner Frau heute noch von Ihrem galanten Trinkspruch erzählen.« Das Loos des Toastes auf die abwesenden Damen ist immer beklagenswert, denn entweder freut sich, wie gesagt, der Hörer, daß sie abwesend sind, oder man hält mit mir ein Diner ohne Damen für uninteressant. Mir kann selbst der älteste und mit Orden bedeckteste Geheime Regierungsrat zu meiner Rechten die Dame nicht ersetzen.

57 Welch eine üble Gewohnheit es ist, unter Tafeln mit bunter Reihe einen Damenfuß auf die Probe zu stellen, habe ich einmal bei einem Herrendiner konstatieren können, indem ein gesetzter Mann, der bereits die letzten Diners mitmachte, plötzlich aufschrie, weil ihm auf den Fuß getreten war. Man vergesse also keinen Augenblick, wenn man an der Füßesucht leidet, daß man an einem Herrendiner teilnimmt.

Ist man ein Freund der böhmischen und anderer Bäder, so nehme man von dem getrüffelten Fasan recht reichlich. Im anderen Fall sei man stark und lasse ihn unberührt vorüber. Der getrüffelte Fasan ist ein Mörder, der viele Menschen auf dem Gewissen hat, was der Wirt außerhalb seines Hauses zu wissen scheint. Auch die Ärzte wissen es, verschweigen es aber aus guten Gründen. Jedenfalls ist es gesünder, Fasanen zu schießen, als sie zu essen.

Gäste, die mit ihrer Blasiertheit prahlen, also geaichte Tafelprotzen, nehme man nicht ernst, aber man gehe vorsichtig mit ihnen um. Einer derselben sagte einst zu mir: »Sie essen Forellen? Forellen fängt man, aber man ißt sie nicht.« Er geht meines Wissens heute noch ohne Wärter in Gesellschaften!

Ist der Gastgeber ein Jude, so würde man im Kreise der Herren den Antisemiten sehr ungern vermissen, er ist aber jedenfalls anwesend. Seine Verdienste um den herrschenden Rassenhaß werden nicht unterschätzt, aber den Titel Judenfresser verdankt er trotzdem nur dem Eifer, mit dem er gern bei Juden speist und zwar so, als wolle er sie um die Ecke essen. Wenn er dem Gastgeber zutrinkt, macht er den Eindruck, als sei ihm dieser lieber als Herr Ahlwardt, was aber nicht viel sagen will. Er hetzt keinen Augenblick, im Gegenteil glaubt man, während er tapfer ißt, anstatt »Nieder mit den Juden« von ihm zu hören: »Nieder mit den Trüffeln und Artischocken!« Erst, 58 wenn er sich beim Fortgehen genötigt sieht, dem Diener ein Trinkgeld zu geben, bricht die alte Wunde wieder auf, und schon auf der Treppe fällt ihm ein, daß an der Fleischteuerung allein die Juden Schuld haben.

Viel unangenehmer ist der Anwesende, der fortwährend den Wirt herabsetzt, weil ihm selbst die Mittel fehlen, solche Diners zu geben. Er unterbricht sein leises Gespräch mit seinem Nachbar dann und wann nur, um mit dem Wirt anzustoßen und ihm ein herzliches Prost! zuzurufen. Strahlenden Auges leert der Wirt sein Glas.

Man versäume es nicht, wenn man kein Börsenmann ist, einen Vertreter der hohen Finanz laut zu fragen: »Wie kommt Wien?« Dies macht einen guten Eindruck. Lautet die Antwort: Fest, oder matt, oder anders, so schüttele man den Kopf, obschon es einem ganz gleichgültig ist, wie Wien, Paris oder London kommt.

Unter den Gästen, einerlei welcher Konfession, findet man solche, welche einen italienischen, oder spanischen Orden, oder beide besitzen, deren Statuten den Inhaber verpflichten, Andersgläubige zu verfolgen und zu vernichten, wo er sie finden mag. Man sei deshalb keinen Augenblick ängstlich. Der Ordensinhaber hat meist diese Statuten nicht gelesen, und wenn er sie kennen sollte, so ist er froh, wenn man ihm nichts thut, indem er gewöhnlich selbst ein Andersgläubiger ist.

Bei Herrendiners verstehe man vor allem etwas vom Wein. Es ist nicht nur dem Wirt angenehm, wenn seine teuren Tropfen nicht als Blaubeerenwein getrunken werden, sondern man gilt dann auch in den Augen des vielleicht in der Nähe sitzenden Pinikers als ein Barbar. Da man nun gewöhnlich nichts vom Wein versteht, so trinke man so, als trinke man mit Verständnis. Es ist dies nicht leicht, aber durch 59 Übung kann man dieser Lüge das Aussehen der Wahrheit geben, so daß selbst der gebildetste Trinker nicht die rote Gurke rümpft. Hat man also ein Gläschen Wein vom Präsentierbrett des Dieners genommen, so trinke man nicht ohne weiteres, sondern strecke zuvörderst die Nase über den Rand des Glases, als wolle man die Blume prüfen. Dann mache man eine Bewegung mit dem Kopf nach oben und blicke dann den Wirt an, der, stolz auf seine kostbare Gabe, die Gläserparade abnimmt, als sage man: »Ein Prachtweinchen!« Hierauf nehme man einen kleinen Schluck, spitze den Mund und peinige den Schluck, indem man ihn zwingt, einen Seiltanz auf der Zunge auszuführen. Dann erst trinke man das Glas aus und sei derart entzückt von der Güte des Weines, daß man ausruft, man finde keine Worte und fortwährend welche findet. Auf diese an die angeborene Komödiantennatur keine große Ansprüche erhebende Weise kommt man rasch zum Namen eines Kenners, so sehr garnicht man solcher sein sollte.

Hat man einen Nachbar, der sehr interessante Liebesabenteuer erzählt, so lüge man gleichfalls nach Kräften. Erzählt er etwas unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, so sei man überzeugt, daß man der einzige ist, dem er es bis dahin noch nicht erzählt hat.

Behauptet jemand, er habe seine Frau so erzogen, daß er lebe, wie es ihm beliebe, so hat man einen unrettbaren Pantoffelhelden vor sich, der eigentlich sagen wollte: »Wir Deutschen fürchten unsere Frau und sonst nichts in der Welt!«

Hat man einen höchst langweiligen Nachbar und ist ihm das Bein eingeschlafen, so wundere man sich, daß man noch wach ist, und beneide das Bein, das sich nicht zu beherrschen braucht.

Trifft man jemand in der Herrengesellschaft, den 60 man längere Zeit nicht gesehen hat, so erkundige man sich nicht ohne weiteres nach dem Befinden seiner Frau, denn sie hat ihn mittlerweile vielleicht verlassen. Mir hat einmal ein Bekannter auf meine Frage, wie es seiner reizenden Frau gehe, geantwortet: »Sie wollen mich wohl zum Besten haben!« Ich habe dadurch nichts über den Gesundheitszustand seiner Gattin erfahren, obschon sie sich seit einiger Zeit zum erstenmal seit ihrer Vermählung sehr wohl befand. Allerdings nicht im Hause ihres Gatten.

Trifft man unter den älteren Herren einen, der sich wieder verheiratet hat, so drücke man sein Beileid durch ein herzliches Gratulor aus und schüttele ihm die Hand. Man erleichtere dann sein sorgenvolles Herz durch einige Worte des Bedauerns, die man in dieser Sache an einen anderen richtet.

Werden zum Nachtisch Selleriestangen gereicht, so nehme man eine, auch wenn man sie nicht gerne ißt. Es sieht aber besser aus.

An fast jeder Herrentafel pflegt man wenigstens ein Gemüt zu finden, dessen im Schornstein des Börsenwitzes sorgfältig geräucherte Zunge allgemein gefürchtet ist. Mit einer Tapferkeit, welche am wenigsten durch die Abwesenheit seiner Opfer zu bändigen ist, vermeidet er jede Glosse, welche die Abwesenden nicht lächerlich machen konnte, und weiß er ihnen immer neue Schwächen anzudichten. Man nehme sich vor ihm nicht in Acht, denn es nützt nichts.

Wird man von einem guten Freunde, der für seine Belesenheit Reklame machen will, gefragt, wo das Wort stehe: »Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen«, so antworte man gefällig: Im »Nathan«. Dann giebt er ganz richtig und lächelnd die »Wahlverwandtschaften« als Quelle an und ist glücklich. Wenn man mit einer solchen Kleinigkeit einen Menschen glücklich machen kann, so soll man es thun.

61 Ist bei Tisch Musik mit auch nur einer einzigen Trompete, so bedeutet dies einen unumstößlichen Beweis dafür, daß der Wirt der Geduld seiner Gäste felsenfest vertraut. Man füge sich also, indem man sich sagt, daß es kein Konzert ohne Pausen giebt. Man beneide aber die Orchestermitglieder, weil sie nachher ohne Musik essen.

Man wird nicht daran denken, mir den Vorwurf zu machen, daß ich dem ehrenwerten Stand der Angestellten zu nahe treten will, wenn ich mich vorübergehend mit dem peinlichen Mittagessen beschäftige, zu welchem sie von ihrem Chef befohlen werden. Ein Angestellter wie jeder, der einen Chef sein nennt, ist ein Untergebener, aber wer ist nicht Untergebener? Die Sprache hat das Wort Übergebener nicht. Wir alle sind untergeben. Aber nicht alle Untergebenen werden von ihrem Chef eingeladen, viele werden von solch schmerzlicher Überraschung nicht erreicht.

Man weiche der Einladung nicht aus, so leicht dies durch einen künstlichen Sturz mit dem Zweirad, oder durch die etwas mildere Form eines ärztlichen Attestes zu bewerkstelligen wäre. Man zöge sich den Haß des Chefs zu, so gleichgültig diesem es wäre, wenn man nicht erschiene. Er würde sich dadurch in dem Entschluß stärken, keine Zulage zu geben, obschon er an solche auch nicht denken würde, wenn man erschiene, da er das Mittagessen nach dieser Richtung hin sehr hoch einschätzt und schon als Zulage betrachtet.

Man esse etwa sechs Tage vor dem Fälligwerden der Einladung Probe, indem man anhaltend so ißt, daß man auf den scharf beobachtenden Chef keinen üblen Eindruck macht. Man probiere also ganz anders zu essen, als man in seiner Familie, oder unter guten Freunden zu essen wagt. Man esse ungemein bescheiden, artig, immerfort befriedigt und ohne 62 Bemerkungen zu machen, ganz einerlei, ob der Chef Minister, Regiments-Kommandeur, Fabrikant, Bankier, Kaufmann oder etwas anderes ist.

Man stelle sich pünktlich ein und vor allem ohne kostspielige Garderobestücke. Käme man unpünktlich, so würde der Chef behaupten, man komme immer zu spät und sei überhaupt unzuverlässig. Kommt man im noblen Anzug, trägt eine schwere Uhrkette und Lackschuhe, so denkt er vielleicht an eine Herabminderung des Gehalts, um den jungen Mann vor fernerer Verschwendung zu schützen.

Fragt man nach dem Befinden des Chefs und dieser gesteht herablassend Erkältung oder Nervosität ein, so erbleiche man und könne sich nicht fassen. Keinenfalls äußere man große Freude über das Vernommene.

Wird auf das Wohl des Chefs getrunken, so springe man wie besessen auf und schreie, anstatt nur einzustimmen. Auch hier bewache man sorgfältig die geheimen Gedanken.

Bevor man sich nach dem Befinden der Schwiegermutter des Chefs erkundigt, suche man erst festzustellen, wie er mit der Dame steht. Erfährt man, daß er in Wut gerät, wenn er an sie erinnert wird, – es giebt ja solche Barbaren, – so frage man ihn sofort nach ihrem Befinden. Er wird sich hüten, deshalb unfreundlich zu sein.

Den Wein finde man vorzüglich, auch wenn er ein so leichter Mosel sein sollte, daß er die Kasse des Chefs nicht im geringsten beschwert.

Man finde den Chef brillant aussehend, besser als im vorigen Winter.

Wenn man Raucher ist, so verneine man aus zwei Gründen die Frage des Chefs, ob man rauche. Erstens ist es ihm angenehm, wenn der Angestellte nicht raucht, und zweitens befindet sich die Cigarre, 63 die nach solchem Mittagessen umgeht, schon seit einigen Jahren nicht auf dem Wege der Besserung.

Regt einer der älteren Angestellten die Idee, dem Chef zur Erinnerung an den schönen Speisezettel ein Album mit den Porträts sämtlicher Angestellten zu stiften und stellt eine Tellersammlung zu den Kosten des Albums an, so gebe man, wenn man keinen größeren Knopf bei sich hat, zehn Pfennig.

Bittet der Chef, wenn aufgebrochen wird, man möchte doch noch einen Augenblick bleiben, so mißverstehe man ihn nicht, sondern bleibe nicht länger. Dann gehe man und sage sich zum Trost, dieses Mittagessen werde den Angestellten doch nur einmal im Winter zugefügt. Dann aber urteile man über das Vorgefallene möglichst milde, denn man kann ja selbst eines Tages Chef werden.

So schwierig der Umgang mit den zahlreichen Gästen des Herrendiners sich gestaltet, so schwierig ist er auch mit einzelnen Personen. Ein erstes Muster einer solchen Person ist der

Logierbesuch,

ein zweiter der Fremde, den man hat. Die erstere Person erfährt dadurch eine gefährliche Verschärfung, daß sie gewöhnlich ein Verwandter ist.

Ein Familienmitglied, welches sich entschließt, einige Tage in der Residenz zuzubringen, wird wahrlich, wie es brieflich versichert, nicht Logierbesuch, weil es das Geld einer Hotelwohnung sparen will. Nein, sagt der Briefleser, wegen der größeren Billigkeit.

Der Logierbesuch, der aus einer kleinen Stadt herbeieilt und von den Verwandten auf dem Bahnhof mit Blumen erwartet wird, ist eine anspruchsvolle und unzufriedene Persönlichkeit. Kommt er nun gar aus 64 einer Stadt, in welcher es noch keine Droschken giebt, so findet er schon auf der Taxameterfahrt in die Wohnung, daß die Verkehrsmittel Berlins noch in den Windeln liegen. Namentlich wünscht er die Züge der Stadtbahn, die auf dieser Fahrt über seinem Haupt verkehren, weniger geräuschvoll.

Beklagt er sich darüber, daß das Asphaltpflaster noch nicht allgemein sei und nur zu häufig vom Steinpflaster unterbrochen werde, so fasse man Mut und erkläre kurz und bündig und der Wahrheit gemäß, daß man unschuldig daran sei.

Man sorge dafür, daß das Fremdenzimmer nach hinten hinaus liege, damit der Besucher nicht zu früh von dem Straßenlärm aufgeweckt werde. Aus demselben Grunde gebe man ihm abends keinen stärkeren Kaffee, sondern schweres Bier zu trinken.

Giebt es in der Heimat des Besuchers kein Theater, oder nur ein solches, das alljährlich auf vierzehn Tage in den großen Kasinosaal gastieren kommt, so sei man in der Wahl des Theaters doppelt vorsichtig. Denn der Logierbesuch stellt an Darstellung und Inscenierung die höchsten Ansprüche. Wenn dies irgend möglich, führe man ihn in eine Novität, damit er keine Vergleiche anstellen kann, welche immer zum Nachteil der Berliner Bühnen ausfallen. Selbst Schillers »Räuber« kennt er bereits.

Will der Verwandte einer Reichstagssitzung beiwohnen, so wähle man eine solche, in welcher die hervorragendsten Abgeordneten und Bundesratsmitglieder das Wort ergreifen. Sonst hat man Unannehmlichkeiten, namentlich muß man auf den Vorwurf gefaßt sein, daß man sich wenig um den Verwandten bekümmere.

Man führe den Logierbesuch, wenn man ihm das Nachtleben zeigen will, von den Linden durch die 65 Friedrich- und die Leipzigerstraße nach dem Potsdamer Platz. Man gebe ihm aber Recht, wenn er behauptet, es sei nicht viel los, auch schien ihm die Straßenbeleuchtung mangelhaft. Stehen ihm die Feuermelder im Wege, so teile man ihm mit, daß sie, wenn er, so Gott will, im nächsten Winter wiederkomme, sämtlich auf der Chaussee nach Charlottenburg stehen würden.

Man lasse in seiner Gegenwart niemals das Wort Heimreise fallen, denn alsbald wird man gefragt, ob der Besuch wohl schon zu lange dauere. War man aber so unvorsichtig, so schwöre man nicht, daß sich der Besucher irre. Ein Meineid ist schauderhaft.

Man lasse dem Besucher nicht dessen Leibgerichte kochen, denn er würde sie doch nicht wiedererkennen und dann über Magenschmerzen klagen.

Sagt der Logierbesuch selbst, daß es Zeit sei, wieder an die Heimreise zu denken, und daß er übermorgen abreisen wolle, so rufe man nicht aus: I wo! oder dergleichen. Er wäre kapabel.

Nach der Siegesallee lasse man ihn allein gehen, denn man würde ihm jedes einzelne Standbild historisch erklären müssen und dies könnte man nicht. Er würde aber darin eine Unfreundlichkeit erblicken, wie sie nur ein Verwandter haben könne.

Seine Abreise beklage man erst auf der Fahrt nach dem Bahnhof, dann aber in eifrigster Weise. Dann kann es keine üblen Folgen mehr haben.

Der Fremde,

den man hat, ist ja auch nur eine Person, aber er hat alle Vorzüge, auf welche der Logierbesuch opferfreudig verzichtet, weil er sich nicht einbildet, daß er die Pflicht habe, sich angenehm zu machen.

Wer verheiratet ist, habe dann und wann einen Fremden. Ein Fremder in der Hand ist angenehmer 66 als zehn Logierbesuche unter dem Dach. Dies ist so richtig, daß man den Fremden erfinden muß, wenn er nicht existiert. Ein aus der Luft gegriffener Fremder ist sogar nützlicher als einer von Fleisch und Blut. Wer hiervon nicht überzeugt ist, erfinde einmal einen. Die Not macht ja erfinderisch. Hat man ihn erfunden, so hat man nur noch der Gattin zu sagen, man möchte ihn nicht einladen, weil er sehr anspruchsvoll sei, nach Rotwein rieche und den Salon für einen Aschenbecher halte. Dann kann man mit Freuden und mit Nutzen diese Erfindung auskosten.

Hat man einen Fremden, so ist man für einige Tage der Häuslichkeit entrückt, wenn hierzu ein Verlangen vorliegt. Ein Fremder, er sei erfunden oder Wirklichkeit, ist der Storch, der die Freiheit bringt.

Den wirklichen Fremden kündige man der Gattin unter den Ausdrücken des tiefsten Bedauerns darüber an, daß er durch seine, wenn auch kurze, Anwesenheit das Familienband lockern, die häusliche Ordnung umstoßen und namentlich die Abende erbarmungslos in Anspruch nehmen wird.

Der Fremde giebt sich gern als verwöhnt, um den Freund zu Anstrengungen zu zwingen. Man nehme das nicht ernst. In seiner Heimat ist der Regen nicht nasser als in Berlin.

Selbstverständlich ist, daß man ihn vorzugsweise dahin führt, wo man noch nicht gewesen ist und nur in Gesellschaft eines erwachsenen Fremden erscheinen kann. Es ist merkwürdig, wie viele solcher Lokalitäten in Berlin existieren. Der Gattin schildere man sie als langweilig, was ihr angenehm ist, obschon sie daran zweifelt.

Hat man irgend etwas zu thun, wobei der Fremde überflüssig ist, so stelle man ihn vor dem Brandenburger Thor oder zwischen Charlotten- und Friedrichstraße auf und sage ihm, der Kaiser werde gleich 67 vorüberfahren. Bis der Kaiser vorüberfährt, hat man eine gute Stunde vor dem Fremden Ruhe.

Kommt der Fremde aus einer kleinen Stadt. so findet er, wie der Logierbesuch, an Berlin viel auszusetzen. Man stimme in jeden, meist blödsinnigen Tadel ein, um ihn bei guter Laune zu erhalten. Er amüsiert sich nur, wenn er Berlin rüffeln kann, abgesehen davon, daß man sich im anderen Fall langweilte, indem man, wenn er Berlin herausstriche, lauter Dinge hören müßte, die man längst und besser kennt.

Will der Fremde ins Theater gehen, so empfehle man ihm ein Stück, das man schon gesehen hat, weil er nicht darauf eingeht, sondern ein anderes Stück wählt, das man vielleicht noch nicht gesehen hat.

Man unterschätze die Schwierigkeit der Führung nicht. Wenn man einen aus einer kleinen Stadt gebürtigen Fremden in das Linden-Café führte, keinen Platz fände und wieder mit ihm fortgehen müßte, so wird er sich trotzdem das genannte Café voller gedacht haben. Er wird hinzusetzen, daß über Berlin doch manche falsche Nachricht verbreitet sei.

Will der Fremde das Innere der Schlösser sehen, so sage man ihm, sie seien bis Ende nächsten Monats wegen baulicher Arbeiten geschlossen. Das klingt glaubhaft. Nur wenn er die kolossale Arbeit allein verrichten will, ermuntere man ihn noch obenein und freue sich, davonzukommen.

Der Fremde pflegt einen längeren Zettel mitzubringen, welcher das Menu der Sehenswürdigkeiten bildet, von denen er keine versäumen möchte. Darunter befinden sich solche, welche der Berliner selbst nur selten aufsucht, z. B. der Juliusturm, das Wohnhaus des alten Derfflinger, der Platz, auf welchem die Spittelkirche gestanden hat, u. s. w. Da der Zettel jeden Augenblick aus der Tasche genommen werden kann, so sei man auf eine Ausrede vorbereitet.

68 Will man den Fremden zum Frühstück einladen, so führe man ihn, um ihm zugleich ein buntes Stück Volksleben zu zeigen, zu /nAschinger. Wenn der Fremde sich durch eine Einladung revanchieren will, so schlage man ihm Dressel oder Hiller vor mit dem Bemerken, daß es auch dort nicht an Volksleben fehle. Man sei überhaupt nicht zu sparsam mit der Kasse des Fremden, denn der Geiz macht allemal einen widerlichen Eindruck.

Reist der Fremde wieder ab, so nehme man zum Bahnhof ein sauberes Taschentuch mit. Denn es giebt wenige irdische Freuden, welche der einer solchen Begleitung gleichen, und man könnte sich doch derselben derart überlassen, daß man dem absausenden Zug mit dem Taschentuch nachwinkt. Dann ist es gut, daß das Taschentuch sich sehen lassen kann.

Wir haben vielleicht zu lange bei diesen beiden einzelnen Herren verweilt und beeilen uns, zu dem großen und figurenreichen Veranstaltungen zurückzukehren, deren anstrengendste die

Maskerade,

der bal masqué, oder wie man dieses Karnevals-Institut nennen will, zu sein pflegt und einige wohl gemeinte Ratschläge wohl als nützlich erscheinen lassen dürfte.

Die landläufige Maskerade, wie sie sich in den Zeitungen anzukündigen pflegt, gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das nur von den Wenigen erlegt wird, welche zufällig kein Freibillet haben, zu besuchen und zum Nutzen der Küche und des Kellers irgend eines einnahmebedürftigen Wirts arrangiert, ist eigentlich keine. Man besucht sie entweder im Frack, welcher in den Kreisen solcher Wirte als Maske gilt, oder entnimmt, wenn man Grund hat, inkognito zu sein, an der Kasse irgend einen noch wenig geflickten Domino 69 und betritt so, von allen Seiten als Sonderling betrachtet und als solcher behandelt, den Saal.

Man vergesse keinen Augenblick, daß der Karneval kein geborener Norddeutscher ist, und erwarte kein Verständnis für den Mummenschanz. Macht man also einen Maskenscherz, so hat man sich es selbst zuzuschreiben, wenn man aus dem Saal fliegt. Öffentliche Maskenbälle besuche man daher nur in einem Lokal, in dessen Nähe sich Sanitätswache und Unfallstation befinden.

Kann man aus irgend einem Grunde den Besuch nicht unterlassen, so mache man keinen Spaß mit einem, den man nicht genau kennt. Denn der eine, den man nicht genau kennt, ist vielleicht ein geborener Spaßverderber und haut zu, was er »verbitten« nennt, und dann ist doch der ganze Abend verdorben.

Wählt man eine Maske, so verfalle man nicht auf die eines Rowdy mit Ballonmütze und Dame. Denn man könnte in die Lage kommen, von den anwesenden echten Rowdies angesprochen und, da man hierauf nicht antworten kann, als der Spionage verdächtig durchgebläut zu werden. Dies schmälert jedes Vergnügen beträchtlich.

Trinkt man auf solchen Maskeraden gern deutschen Sekt, erstens: weil er billig ist, und zweitens: weil er ähnliche Kopfschmerzen wie der französische hervorruft, so bestelle man französischen Sekt. Man bekommt dann deutschen, der allerdings wie der französische berechnet wird. Dies liegt aber nur an der falschen Etikette, die sich auf der Flasche befindet.

Tanzt man mit einer Dame, die ein Gretchenkostüm trägt, so spreche man mit ihr nicht über das Wesen Gretchens. Da sie nämlich davon nichts weiß, so wird sie verstimmt und ruft vielleicht einen anwesenden Beschützer herbei, der schon vorbestraft ist. Ebenso verhalte man sich gegenüber einer Königin 70 der Nacht, einer Jungfrau von Orleans, einen Rautendelein oder einer Themis, da ihr der Maskenverleiher nichts näheres über diese Vermummung gesagt hat.

Eine Pappnase wird am bequemsten in der Tasche getragen. Trägt man sie im Gesicht, so hat man sich die Folgen selbst zuzuschreiben.

Wer auf einer Maskerade mit aller Gewalt nach etwas trachtet, das sein wahres Wesen verbirgt, der bestelle einen Cognac. Es ist ganz gewiß etwas anderes.

Entsteht wegen einer Dame die bekannte Differenz, die gewöhnlich durch Thätlichkeiten geschlichtet wird, so sage man, es sei spät, man habe am anderen Morgen frühzeitig zu arbeiten, und verabschiede sich rasch von dem Gedränge, von dem man umgeben ist. Dies ist allerdings in den meisten Fällen nicht mehr möglich, aber es kann auch gelingen, weil auf solchen Maskeraden alles vorkommen kann.

Wenn man die Gewohnheit hat, in Gesellschaft zu soupieren, so nehme man zur Maskerade weder Uhr, noch Ring mit und lasse auch größere Kassenscheine, an die sich angenehme Erinnerungen knüpfen, zu Hause. Dies macht an dem Tisch, an welchem man speist, nicht beliebt, verhindert aber wahrscheinlich Meldungen bei der Polizei, welche keinen Erfolg haben können.

Mit Damen, welche abfärben, tanze man nur Quadrillen. Auch sage man ihnen nicht, wo man wohnt, weil sie gewöhnlich die Adresse nicht vergessen.

Wird man durch das Vertrauen einer Dame ausgezeichnet und erfährt man von ihr, sie sei die unglückliche Frau eines eifersüchtigen Gatten, oder die verzweifelnde Tochter eines strengen Vaters, so gewinnt man jede Wette, daß alles nicht wahr ist.

71 Man gehe auf eine Maskerade nicht ohne die Visitenkarte, auf der die genaue Adresse angegeben ist. Denn man könnte doch eine Dame nach Hause begleiten und auf dem Wege dahin bewußtlos aufgefunden werden. In solchem Fall ist es gut, daß man nach der Wohnung transportiert wird, wo man unter den Augen des Arztes längere Zeit arbeitsunfähig sein kann.

Dergleichen hat man nicht zu befürchten, wenn man Privatmaskeraden besucht, zu denen man in ein gastliches Haus eingeladen, oder wenn man ein Kostümfest mitmacht, welches von einem Verein arrangiert worden ist und zu dem man auf dem Wege der Protektion ein Billet kaufen konnte.

Eine Privatmaskerade hat das Bequeme, daß man in dem Augenblick des Eintritts, namentlich wenn man bis zur Vollständigkeit vermummt ist, sofort erkannt und mit vollem Namen und Berufsangabe angerufen wird.

Man vermeide es vor allem, durch eine Maske sich in einen vollkommenen Gegensatz zu seiner Individualität zu setzen. Einige wenige Fingerzeige mögen zur Verhinderung der schlimmsten Mißgriffe beitragen:

Für eine Dame, welche keinen Augenblick den Mund halten kann, eignet es sich wenig, als Stumme von Portici zu erscheinen, denn dieses unglückliche Mädchen hat sich nur durch die Augen- und Fingersprache verständlich gemacht.

Spricht man keine andere fremde Sprache, als nur die durch die Nase, so komme man weder als Faust, noch als Mephistopheles, weder als Don Juan, noch als Zampa, so kleidsam deren Kostüme sein mögen. Die Genannten sprachen und sprechen, wie ihnen der Schnabel, nicht aber, wie ihnen die Nase gewachsen ist. Kann man also den angedeuteten 72 Umweg beim Sprechen nicht bis zur Maskerade loswerden, so bleibe man lieber zu Hause, wo es ja auch ganz amüsant sein kann.

Ist man sehr korpulent, so eignet sich die Falstaffmaske besser als die weibliche eines Offiziers der Heilsarmee. Auch zu der beliebten Storchmaske gehören z. B. schlanke Beine. Hat man nun Elephantenbeine, so sieht der genannte Vogel wie ein Bastard aus und man reizt die Gesellschaft zu den schlechtesten Bemerkungen. Die Stange Lack, die man in den Mund steckt, um den Storchschnabel anzudeuten, kann nichts retten, abgesehen davon, daß sie im Laufe des Abends lästig wird.

Hat eine Dame, was ja möglich ist, keine Waden, so komme sie nicht als Radlerin mit Pumphosen. Sie begnüge sich damit, wenn sie dies Vademecum nicht besitzen sollte, öffentlich zu radeln.

Hat man keine Idee vom sächsischen Dialekt, so erscheine man nicht als Striese aus dem »Raub der Sabinerinnen«. Auch wenn man nicht komisch ist, wähle man diese Maske nicht. Da man seltener komisch als langweilig ist, so entscheide man sich überhaupt nicht für eine Maske, die einigen Witz erfordert.

Macht eine Frau sich den Spaß, auf dem Maskenball ihr Kostüm zu wechseln, so läuft sie Gefahr, daß ihr von dem ahnungslosen Gatten der Hof gemacht wird, was ihr den Spaß verderben würde. Sie unterrichte ihn also zeitig von ihrem Maskenscherz.

Damen, welche sich den Fünfzigern nähern und die Absicht haben, die Einladung zum Maskenball anzunehmen, werden gut thun, schließlich um neun Uhr abends anstatt einer Maske das Nachtkostüm anzulegen und schlafen zu gehen. Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste.

73 Wenn man das Bedürfnis zu gähnen hat, so befriedige man es, indem man die Maske vor das Gesicht nimmt, denn man könnte vom Festgeber beobachtet werden.

Hat eine Dame ein helles Kleid, das schon einige Flecken hat, so ziehe sie es an, wenn sie kein anderes besitzt, setze eine Strahlenkrone auf und behaupte, sie sei als Sonne gekommen, dann werden die Flecken für eine geistreiche Nüance gehalten.

Man nehme von den auf dem Ball gereichten Weinen vorsichtig. Möglicherweise könnte der Wirt sich den Maskenscherz erlaubt haben, einen leichten Mosel als Liebfrauenmilch verkleidet erscheinen zu lassen. Es giebt nämlich bei solchen Gelegenheiten sehr erfindungsreiche Wirte.

Man vergesse nicht, eine Maske zu duzen. Es giebt Masken, die das Wesen der Maskerade nicht kennen und das Du sehr übel nehmen. Von solchen bleibt man dann den ganzen Abend verschont.

Will man nicht wieder eingeladen sein, so erscheine man im Trikot, einen Papierstreifen mit Adresse und Dreipfennigmarke um die Hüften geschlungen, und erkläre, man komme als Drucksache unter Streifband. Dies ist originell und erfüllt den Zweck vollkommen.

Man sage immer »Schöne Maske«, namentlich zu einer häßlichen. Diese meint ja doch, daß die Bezeichnung »schön« etwas zu niedrig gegriffen sei.

Will man sich den weiblichen Masken angenehm machen, so vergesse man nicht, daß sie sich amüsieren wollen, und unterhalte sie geistreich, wenn man das nicht versteht. Das amüsiert jede Dame, weil bei solcher Gelegenheit zahlreiche Dummheiten gesagt werden.

Man urteile über den Abend und die Gäste nicht wegwerfend, wenn man mit einer Fee oder einem 74 Engel spricht, denn gewöhnlich pflegt die Fee oder der Engel eines der weiblichen Mitglieder der Familie zu sein. Mit einem Tadel hat man meistens Pech.

Man wähle kein Kostüm, welches gewissermaßen hermetisch verschlossen ist, es möge zu Hause auch noch so vorteilhaft aussehen und wegen seiner Eigenschaft außergewöhnlich gut sitzen. Dies sei sowohl den Herren, als auch den Damen empfohlen. In einem solchen Kostüm sitzt man wie in einem Gefängnis, welches, wenn man sich bis zum anbrechenden Morgen auch nur einmal heraussehnt, grausamer ist, als ein wirklicher Kerker. Ich hoffe, mißverstanden zu werden.

Bevor man sich, man sei jung oder alt, entschließt, in der Maske eines Gigerl die Maskerade zu besuchen, denke man womöglich nach. Denn vielleicht wird man garnicht als verkleidet angesehen, indem man in nahestehenden Kreisen allgemein als Gigerl bekannt ist.

Damen, welche durch einen schönen Hals ausgezeichnet sind, müssen Männern gegenüber vorsichtig sein, besonders wenn sie so naiv sind, daß sie die Schritte nicht bis drei zählen können, welche sie sich die Männer vom Leibe halten müssen. Denn ein schöner Hals ist für manchen die Gelegenheit, einen naheliegenden Maskenscherz zu wagen und unter der Angabe, man sei ein Schmuck, um den mehrfach berührten Hals zu fallen.

Steht eine Dame im kräftigsten Mannesalter, so wähle sie eine Phantasiemaske, als welche ich das Gaslicht mit Glühstrumpf, das letzte Pferd, oder einen Marsbewohner empfehle. Denn wenn die bezeichnete Dame etwa in einem Kostüm aus dem Anfang unseres Jahrhunderts erscheint, so fordert sie förmlich die Frage heraus, wie es möglich gewesen sei, daß sie das Kostüm so sorgfältig seit ihrer Jugend aufbewahrt 75 habe. Diese Frage ist sehr knotig, aber es wäre doch möglich, daß sich in der Gesellschaft ein Knote befindet.

Nimmt an der Maskerade ein Harlekin teil, der jedem eins mit seinem hölzernen Schwert versetzt, oder ein boxendes Känguruh, so verlasse man schon vor dem fünften Pritschenstreich, oder vor dem dritten Boxerschlag das schöne Fest und gehe in ein benachbartes Restaurant, wo überhaupt nicht gehauen wird.

Bevor man den Saal betritt, frage man einen Diener, ob schon ein Herr auf einem Papppferde hineingesprengt sei. Wird diese Frage bejaht, so wisse man, daß dieser Centaur, wenn er lustig wird, – und ein Pappreiter wird immer lustig, – im Laufe des Abends und der Nacht häufig durch die Menge galoppiert oder die hohe Schule reitet. Dann schreibe man flink auf seiner Visitenkarte, man leide an Zahnschmerzen, lasse die Karte dem Wirt zustellen und entferne sich. Man muß eben nicht zu vergnügungssüchtig sein.

Ebenso opferfreudig und entsagungsreich verfahre man, wenn man durch die Indiskretion des Dieners vernimmt, in der Gesellschaft sei ein Feuerwerker, ein Bierbrauer mit einem Faß, ein Kutscher mit Peitsche oder ein Kunstschütze erschienen. Man darf schon im Vorsaal nicht vergessen, daß man zwar zwei Augen habe, aber keines gut missen könne. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch von etlichen anderen Einzelheiten des menschlichen Körpers.

Ist eine Dame anwesend, welche sich um keinen Preis demaskieren will, wohl aber schweigsam tanzt und vor der Demaskierung den Ball verläßt, so hat man entweder sehr viel oder nichts verloren. Frägt man aber die Wirtin, welche sie kennt, so hat man nichts verloren. Man frage also nicht.

76 Wer eine nicht allgemein bekannte Maske angelegt hat, muß darauf gefaßt sein, Irrtümer zu erwecken. Ich erinnere mich eines Gastes, der das pompöse Kostüm eines indischen Nabobs trug. Als er dann wegging und kein Trinkgeld gab, sagte der Diener: »Det war 'n Schnorrer!«

Zu Hause angekommen, schwöre man: Nie wieder! aber so leise, daß es niemand hört, denn am folgenden Tage kommt die Einladung zum nächsten Maskenball, die man annimmt.

Verlassen wir die Privatmaskerade, um uns wieder öffentlichen Vergnügungen zuzuwenden, für welche, wie wir wissen, die Regeln, nach denen man sich zu verhalten hat, noch nicht feststehen. Das hat das Publikum oft genug erfahren, wenn es z. B. ein langweiliges Stück abgelehnt hatte und ihm nun von einem Kritiker klar gemacht wurde, daß man einem solchen Stück einen glänzenden Erfolg zu bereiten habe.

Das Publikum weiß also noch nicht, wie es sich im

Theater

zu benehmen hat, und geht doch schon so lange ins Theater. Ist der Kassierer am Theaterschalter sehr freundlich, so freue man sich, denn dann ist das Haus noch leer, und man bekommt ohne weiteres einen Platz. Ist das Theater aber so voll, daß man, wie es in den Reklamen heißt, mit Vielen unbefriedigt sich entfernen mußte, so freue man sich gleichfalls, denn wer weiß, wie unbefriedigt man sich entfernt hätte, wenn man noch einen Platz gefunden haben würde.

Hat man seinen Parkettsitz in der Mitte der Bank, so komme man zu spät, wenn möglich erst nach dem Beginn des Aktes. Ebenso mache man es nach der Pause vor dem dritten oder vierten Akt. Denn dann müssen sich die bis zu dem gesuchten Platz sitzenden Zuschauer erheben, sehen ein, wie 77 rücksichtslos, ja pöbelhaft dieses verspätete Kommen thatsächlich ist und nehmen sich vor, künftig pünktlich zu erscheinen, es sei denn, sie hätten einen Eckplatz.

Sitzt man neben einem jener unglaublich rohen Zuschauer, der sich mit einem Nachbar laut, oder doch so unterhält, daß man es hören muß und gestört wird, so frage man ihn, warum er es sich gefallen lasse, daß er durch das Sprechen oder Singen auf der Bühne fortwährend unterbrochen werde. Da er, wie wir gesehen haben, sehr ungebildet ist, so versteht er die Frage nicht.

Hört man gleich nach dem Beginn einer Novität einen der bekannten und angenehmen Zuschauer sagen: »Schon faul!«, so freue man sich, denn man hat vielleicht bisher geglaubt, es existiere kein solcher Geselle, da er ein Gebild der Phantasie sei. Der sitzt leibhaftig vor einem.

Besucht man mit einer Dame ein realistisches Stück, so habe man Schokolade für sie und Parfüm für beide.

Man gehe in keine Novität eines Autors, der viele Verwandte und Freunde hat, da man den Stock in der Garderobe abgeben muß und ihn also vermißt, wenn das Stück durchfällt.

Hat man einen Nachbar, der seinen Husten mit in das Theater gebracht hat, so entferne man sich und lasse sich an der Kasse einen anderen Platz anweisen. Es giebt meines Wissens kein besseres Mittel gegen den Husten, da die, welche man in der Apotheke bekommt, wie man sieht und hört, nichts taugen. Dies befolge man so lange, bis die Direktionen das Recht erlangen, passionierte Huster aus dem Zuschauerraum zu weisen, oder bis diese so anständig werden, zu Hause zu bleiben. Dies wird noch einige Saisons dauern.

Sitzt man neben einer Dame, in die man verliebt 78 ist, so warte man mit der intimeren Zärtlichkeit bis nach den Zwischenakten, da es erst während des Spiels so dunkel wird, daß man den Theaterzettel nicht lesen kann. Um sich hierüber nicht ärgern zu müssen, sei man also in die Nachbarin verliebt.

Wohnt man der Vorstellung einer Posse bei, so wird man in seiner Nähe einen Narren finden, der außer sich ist und den Kopf bedenklich schüttelt, wenn man lacht. Dann lache man auch über diesen Narren und sei ihm dankbar gesinnt.

Hört man während eines allgemeinen Beifalls zischen, so darf man überzeugt sein, daß der Zischer bezahlt ist, denn sein Zischen bewirkt immer einen etwas gesteigerten Beifall. Ist er nicht bezahlt, so bedauere man ihn, denn dann ist er unheilbar.

Im Foyer vermeide man, über die Aufführung mit solchen Leuten zu reden, welche wegen ihres Urteils in Ansehen zu stehen scheinen, denn sie reden sehr viel und noch lauter. Man vermeide sie, weil sie absolut nichts vom Theater verstehen.

Wenn man nicht sehr klassikerfest ist, so überzeuge man sich, bevor man das Theater betritt, ob nicht die Vorstellung geändert worden ist und ein anderes Stück gegeben wird, oder ob man nicht ein Stück zu sehen glaubt, das gar nicht zur Aufführung gelangt. Es ist im Deutschen Theater zu Berlin vorgekommen, daß ein Herr, der einen sehr anständigen Eindruck machte, in einer Vorstellung der Schillerschen »Maria Stuart« im zweiten Akt zu seinen beiden Damen sagte: »Das ist ja alles sehr hübsch, aber warum das Stück ›Die Kinder der Excellenz‹ heißt, das weiß ich nicht.« Dergleichen ist nur dann nicht unangenehm, wenn keine Ohrenzeugen anwesend sind.

Möchte man einmal einen Menschen sehen, dem niemals ein Witz gelingt und der ebenso selten einen guten Einfall hat, so betrachte man den Zuschauer, 79 der bei irgend einem Scherz Au! ruft. Wem selbst dann und wann ein guter oder schlechter Witz einfällt, der wird im Theater nicht auen. Das Au! ist nur dann oft nicht zu vermeiden, wenn der Autor gerufen wird.

In einer Erstaufführung bemühe man sich, die Urteile der Dummköpfe zu hören, deren jeder das betreffende Stück besser gemacht hätte und genau angiebt, wie er es gemacht haben würde. Da wird man mit leichter Mühe lernen, wie man sich davor bewahrt, durch ein ähnliches Geschwätz lächerlich zu werden.

Es giebt im Theater angenehme Nachbarn, welche dann und wann fragen, was eben auf der Bühne gesagt worden sei. Diesen antworte man höflich und der Wahrheit gemäß: »Was der Verfasser vorgeschrieben hat.« Will man aber gern wieder und immer wieder gefragt werden, so unterlasse man die angegebene Antwort und gebe genaue Auskunft. Denn man trifft im Theater viele Leute, welche das Prinzip haben: Im Theater langweile man sich nicht, sondern andere. Man muß also dafür sorgen, daß man keiner der anderen sei und gelangweilt werde.

Hört man jemand alles tadeln, was die Bühne leistet, so kann man sicher sein, einen Herrn aus einer kleinen Stadt zu hören, der noch nichts gesehen hat.

Fällt ein Stück mit oder ohne Pauken und Trompeten durch, so gebärde man sich nicht, als sei man von dem armen Autor persönlich beleidigt worden. Man ist doch nicht sicher, daß man nicht auch eines Tages strauchelt und ein Stück schreibt, und wer garantiert dafür, daß es ein Kassenstück wird? Vielleicht wird es nicht zu Ende gespielt. So angenehm dies vielen sein mag, da sie dann um so früher zum Abendessen kommen, so unangenehm wird man persönlich dadurch berührt.

Amüsiert man sich nur dann im Theater, wenn 80 ein Skandal losbricht und ein Stück durchfällt, so vermeide man trotzdem die Novitätenabende. So niederträchtig es ist, mit solchen Hoffnungen ins Theater zu gehen, so möglich ist es doch auch, daß die Novität nach Verdienst gefällt. Dann hat man den Abend verloren und sich den Erfolg der Arbeit eines fremden Mannes selbst zuzuschreiben. Allerdings kommt man, wenn man den Erstaufführungen fernbleibt, um manchen Theaterskandal und muß so auf etliche Freuden verzichten, und es ist auch schwer zu sagen, wie man sich als Theaterskandaler ergötzen soll, wenn man die Premieren meidet. Hier versagt also mein Leitfaden. Es steht aber fest, daß man nicht mit Sicherheit auf den Durchfall eines neuen Stückes rechnen kann, wie es so allgemein geschieht.

Findet in einem der königlichen Theater eine Erstaufführung statt und ist der Hof anwesend, so starre man fortwährend in dessen Logen. Dies giebt einem das Ansehen eines begeisterten Anhängers der Regierung und ihrer hervorragenden Mitglieder, sowie das eines noch unverdorbenen Gemüts und verbindet zugleich das Angenehme mit dem Nützlichen, indem man von der vielleicht wertlosen Novität nichts oder wenig sieht oder hört. Über diese erfährt man ja am anderen Morgen jedenfalls das Nähere.

Wenn man nicht recht weiß, wie man über eine Novität urteilen soll und wie man sich amüsiert hat, so warte man gleichfalls die nächsten Morgenzeitungen ab. Erfährt man es auch aus diesen nicht, so schelte man auf die Rezensenten.

Ist man über Stück und Darstellung anderer Meinung als der Kritiker, so halte man sich für unbedingt klüger und nenne die Kritiker Dummköpfe, Hansnarren, bestochen, Liebediener, Esel, Schauerböcke, Kläffer und Verrückte, wodurch man sich den Respekt und die Bewunderung in der Gesellschaft und am 81 runden Tisch sichert. Ist aber einer der Kritiker anwesend, so zeige man Mut und stimme ihm vollkommen bei.

Findet man eine Schauspielerin oder Sängerin häßlich, so kaufe man ihre Photographie. Auf dieser sieht sie immer sehr bezaubernd aus.

Findet man einen Schauspieler oder Sänger unbedeutend, so kaufe man seine Photographie. Auf dieser sieht er immer sehr bedeutend aus.

Ist man auf ein Freibillet ins Theater gegangen und möchte dies verdecken, so sei man ein dankbarer Zuschauer, applaudiere und lobe, denn es ist allgemein bekannt und kann auch nicht bestritten werden, daß Freibilletbesitzer stets unzufrieden sind und dem Theater gern jeden Erfolg schmälern, während sich jeder, der seinen Platz bezahlt hat, nicht gern den Genuß gewaltsam verkümmert.

Will der Besitzer eines Freibillets ein Übriges thun, um den Eindruck hervorzurufen, er habe seinen Platz bezahlt, so rufe er im Foyer mehrmals ärgerlich aus: Schade ums Geld! Wird er zur Rede gestellt, so rechne er dem Ankläger vor, daß er zehn Pfennig für den Theaterzettel und fünfundzwanzig für die Garderobe bezahlt habe. Dies stimmt häufig.

Man habe immer zwei Theaterzettel, nämlich einen zum verleihen. Denn es giebt gewerbsmäßige Zettelpumper, welche sich gern den Abend um zehn Pfennig verbilligen und, wie auf der Straße um Feuer, im Theater um den Zettel bitten, ohne wegen Bettelns bestraft zu werden.

Will man sich im Zwischenakt ganz besonders angenehm machen, so zeige man einem Freunde aus der Provinz alle litterarischen Berühmtheiten, wenn er solche sehen will. Diesen Wunsch erfüllt man, indem man einem ganz harmlosen Herrn den Namen eines berühmten Schriftstellers verleiht und dies so 82 oft wiederholt, bis man keinen berühmten Namen mehr weiß. Da der Freund aus der Provinz keine Kontrolle ausüben kann, so hat man völlig freie Hand, und er verlebt einen interessanten Abend, vielleicht den interessantesten seines Lebens.

Wohnt man der Vorstellung eines Goetheschen Stückes bei, so äußere man dann und wann, Goethe sei eigentlich kein dramatischer Dichter. Dies macht Aufsehen und den Eindruck, man sei ein Kenner von großer Bildung. Zu motivieren braucht man den Ausspruch nicht, man sagt es gewissermaßen dienstlich.

Will man sich sehr lächerlich machen, so nenne man Kleists Hermannschlacht ein Schandstück, wie es der Bürgermeister Lueger gethan hat. Ich kann mir aber nicht denken, daß man sich sehr lächerlich machen will, abgesehen davon, daß es nicht hübsch ist, ein Plagiat zu begehen.

Ist man ein älterer Herr, so habe man jedes klassische Stück schon besser aufführen sehen. Jedem jungen Schauspieler stelle man einen längst der Geschichte angehörenden gegenüber. Den Hörer macht dies ganz hilflos, und man hat auf diese Weise doch etwas von dem Pech, älter als er zu sein.

Ist man ein Freund von beispiellos kritischem Blödsinn, so suche man nach einer Novität ein Café oder Bierhaus auf, wo Schauspieler und Theaterhabitués verkehren, und setze sich zu ihnen. Man wird ungemein befriedigt werden und gegen Morgen das Lokal mit Vergnügen verlassen.

Hat man in einer Erstaufführung einen Vorderplatz in der Loge, so überlasse man diesen galant einer Dame, die einen Platz im Hintergrund der Loge hat. Denn man kann dann bequemer flüchten, wenn das Stück allmählich unerträglich wird.

Eines Opernguckers bediene man sich nur, um an der Seite der Gattin eine andere Dame ansehen zu 83 können, so daß die Gattin es nicht merkt. Will man ganz sicher sein, so sage man, während man eine junge Schöne ansieht: Ei, da ist ja auch die alte Frau Meier.

Sitzt man in der Vorstellung eines klassischen Dramas neben einem Herren, der dieses Drama in einer Reclamschen Ausgabe nachliest, so freue man sich, wenn in ihm während des Abends nicht die Tobsucht ausbricht.

Sitzt man im Opernhause neben einem Herrn, der die bekannteren Melodieen mitsingt, so rede man ihn mit den höflichen Worten an: »Habe ich die Ehre, Herrn Scheidemantel neben mir zu sehen?« Nutzt dies nichts, so singe man selber mit.

Was die Garderobe anbetrifft, so kann man den greulichen Zuständen, welche daselbst herrschen, nicht ausweichen. Hat man nicht Zeit zu warten, bis der Raum menschenleer ist, so rede man die Garderobefrauen, welche immer alt und verheiratet sind, mit: »Bitte, mein Fräulein!« an. Bleiben die Frauen ungerührt und wird man die Garderobenummer nicht an sie los, so verliere man endlich die Geduld und warte alles ruhig ab.

Für die

Konzerte

gelten natürlich manche der für den Theaterbesuch empfohlenen Verhaltungsmaßregeln, einige werden aber doch mit ganz besonderer Aufmerksamkeit behandelt werden müssen.

Der Konzertbesuch ist nicht jedermanns Sache, aber nicht jedermann ist frei genug, wenn auch nicht in Ketten geboren, um dem Konzert ganz ausweichen zu können. Der eine ist Begleiter, der andere Abholer, der Dritte hat Rücksichten auf einen Künstler zu nehmen, der Vierte ist einem Freibillet erlegen, das ihn bei irgend einer traurigen Gelegenheit anflog. 84 Diesen allen wird wohl nicht zweimal gesagt werden müssen, daß in vielen Konzerten die Thüren des Saales während der Vorträge geschlossen bleiben, welche für die inneren sowohl als für die äußeren Besucher so wohlthätige Einrichtung sehr leicht auszunutzen ist. Man treffe eben nach dem Beginn eines Vortrages im Vorraum ein und denke erst ganz kurz vor dem Beginn der folgenden Nummer daran, sich an den Garderobentisch zu begeben, so daß man zwei versäumte Vorträge profitiert. Auf diese Weise schlägt man zwei Konzertfliegen mit einem Schlage, indem man die Zuhörer nicht stört und von der Musik nicht gestört wird.

Man erzähle seinen Stuhlnachbarn niemals, daß man dieses oder jenes Lied oder diese oder jene Klavierpiece in der laufenden Konzertsaison schon häufig mitgemacht habe. Es ist so traurig, Gegenstand des Mitleids zu sein. Es giebt Frauen, denen es angenehm ist, bedauernde Teilnahme zu erwecken, aber ein Mann muß dies zu verhindern wissen.

Wird man vom unerbittlichen Schicksal an die Seite eines gefürchteten Wagnerianers geschleudert, ohne selbst ein solcher zu sein, so suche man mit diesem in ein Gespräch zu kommen und schildere ihm die eminenten Körperkräfte, welche man leider besitzt, und das Unglück, das man hat, indem man sehr leicht in einen gereizten Zustand zu versetzen ist. Man wird dann sofort merken, daß man sich erlauben darf, eine eigene Meinung zu haben.

Man versuche einmal, in Konzerten eine eigene Meinung zu haben, selbständig zu urteilen und zu gestehen, daß einem nicht gefällt, was einem nicht gefällt, man wird alsbald finden, daß dies von Musikbolden strenge gerügt wird und nicht unter die Amnestie fällt. Man wird dann einsehen, daß mein vorher erteilter Rat durchaus nicht zu weit geht.

85 Kommt ein Tongemälde etwa unter dem Titel »Die Welt als Wille und Vorstellung« zur Aufführung, so behaupte man nicht, es könne mit demselben Recht auch »Das Friedensmanifest des Zaren«, oder »Der Kulturkampf« heißen. Denn es hieß vielleicht ursprünglich »Die Entdeckung Amerikas«, der Musikverleger verlangte dann, es solle den Titel »Der Hund des Aubry« erhalten, man einigte sich hierauf des lieben Friedens willen auf den Titel »Der griechisch-türkische Krieg« und kehrte dann auf den speziellen Wunsch der Tante des Komponisten zu dem ursprünglichen Titel zurück, nachdem ein bedeutender Musikkritiker in der Generalprobe den Vorschlag gemacht hatte, das Tongemälde »Ouverture zu Grillparzers Weh' dem, der lügt!« zu betiteln und zwar mit solchem Eifer, daß es fast zwei Stunden lang so hieß.

Schläft man ein, so schnarche man. Dann wird man durch das entstehende Gelächter geweckt. Wenn man aber nicht zu schnarchen pflegt, so nehme man sich sehr vor dem Einschlafen in acht. Das Schlafen ist ja ein Menschenrecht, aber in Konzerten ist es doch wohl nicht das Passende.

Wenn man sich in einem Konzert nach Kräften gelangweilt hat, sage man dies nicht. Denn sofort würde sonst ein Freund ausrufen, daß das Konzert ein unvergleichlicher Genuß gewesen sei und der Freund wäre blamiert, obschon er dies nicht zugiebt, da in der Musik überhaupt nichts zugegeben wird.

Ist man Musiker, so thue man im Konzert ein Übriges und lasse Mozart Gerechtigkeit widerfahren, auch gestehe man ein, daß er talentiert gewesen sei. Das macht immer einen guten Eindruck. Ist man Dilettant, so sei man bedeutend strenger, da dies an Mozarts Unsterblichkeit nichts ändert.

Wenn man gewöhnt ist, jede Mode mitzumachen, 86 so spreche man über Meyerbeer so lange wegwerfend, bis man das, was er geleistet hat, wieder anerkennt. Dann anerkenne man mit.

Ist man kein Musikkenner, so erkundige man sich sorgfältig, ob nicht aus irgend einem Grunde das Programm abgeändert, oder das Programm nicht fehlerhaft ist. Sonst ist man selbstverständlich von Bach oder Haydn entzückt und es war Bungert[August Bungert (1845-1915), Komponist], also doch immerhin etwas anderes, wodurch man den guten Freunden zu viel Vergnügen macht.

Wird als Dacapogabe das Lied mit dem Refrain »Wie einst im Mai« vorgetragen, so sei man melancholisch gestimmt, aber nicht durch dies schöne Lied, sondern weil man ihm nicht ausweichen kann.

Sollen sämtliche Müllerlieder gesungen werden, so freue man sich so laut, daß es sechs Personen weit gehört wird, denn durch das Gegenteil wird es nicht ein einziges Müllerlied weniger.

Sieht man einen Herrn, welcher eine Partitur, die er auf dem Schoß aufgeschlagen hat, nachliest, so glaube man nicht an die Notwendigkeit, mache aber keine Bemerkungen darüber. Wer kann wissen, durch welche Schicksale er so weit geführt worden ist!

Singt eine Sängerin falsch, so applaudiere man, denn erstens ist es eine Dame und zweitens sind wir alle doch Menschen. Trifft sie einmal den Nagel nicht auf den Notenkopf und ist sie jung und hübsch, so verzeihe man ihr gern. Dem Notenkopf schadet der Fehler nicht, und der Hörer wird wohl auch schon einmal einen Fehltritt begangen haben.

Läßt eine Pianistin etwas lange auf sich warten, so sei man nicht gleich ungeduldig. Noch fünf Minuten, sieh, da bringen sie sie schon.

Man gähne nicht während einer langweiligen Orchesternummer, obschon das Gähnen eine Befreiung ist. Wer aber gähnt, beweist, daß er ein Neuling, 87 noch nicht in Konzerten abgehärtet und ebensowenig mit allen Virtuosen gehetzt ist.

Ist man ein scharfer Kritiker und will einen Künstler für irgend ein Vergehen strafen, so lobe man einen anderen. Dies kränkt ihn mehr, als ihn ein Lob freuen würde, das man über ihn drucken ließe.

Protegiert man als Kritiker einen Nichtskönner, oder eine Nichtskönnerin, und fällt er, oder sie dann im Konzert durch, so jammere man in der Kritik über den Mangel an Verständnis im Publikum und über den Niedergang des ästhetischen Gefühls. Um dem Wehgeschrei auch einen bestimmten Ausdruck zu geben, schließe man die Kritik mit den Worten: Was wird werden?

Verläßt man das Konzert und wird von einem Herrn im Garderobenraum grob behandelt, so entschuldige man sich, daß man ihm Grund zur Unzufriedenheit gegeben habe, auch wenn dies nicht geschehen ist. Es ist aber gut, wenn man zeigt, wie veredelnd die Musik auf die Menschen wirkt.

Vorlesungen

sind mit Konzerten nicht zusammen zu nennen, schon ihrer Seltenheit wegen. Während die Konzerte niemals nicht stattfinden, sondern derart fortwährend, daß die Nachbarhäuser der Konzertsäle entwertet werden und deren Bewohner über Ruhestörungen und Hausfriedensbrüche klagen, stößt man nur dann und wann auf eine Vorlesung. Die in der Umgebung der Konzertsäle Wohnenden haben zwar beschlossen, an den Tagen, an welchen kein Konzert stattfindet, ihre Häuser zu flaggen, aber seit einem Jahrzehnt hat sich zu dieser schönen Demonstration noch keine Gelegenheit gefunden, dagegen lassen sich die Vorlesungen einer Wintersaison an den Fingern abzählen, die man vielleicht hierzu nicht alle braucht. 88 Es liegt dies daran, daß wohl mehr als siebenachtel der Bewohner Deutschlands musikalisch zu sein lügen und wenigstens ein Instrument, und sei dies auch nur das Klavier, spielen oder in einer anderen künstlerischen Form toben, während die Litteratur nur ein im Vergleich mit dieser musikalischen Präsenzstärke kaum nennenswertes Kontingent mobil machen kann.

Die Vorlesung ist eine bescheidene Erscheinung und unterscheidet sich schon dadurch wesentlich vom Konzert, dessen ganzes Wesen der Radau ist, das mit Riesenlettern bombardiert und mit ellenlangen Plakaten um sich haut. Man ist also in der Lage, wenn man nicht in Vorlesungen geht, zu behaupten, daß man von ihrem Herannahen nichts gewußt habe.

Man versäume indes keine Vorlesung von Strakosch, welcher in Schaltjahren an 366 Abenden vorliest. An jedem Abend trägt er aus Schillers Demetrius vor, und es ist doch interessant, dahinter zu kommen, wer es länger aushält: Strakosch oder Demetrius. Ich glaube Strakosch, kann mich aber auch nicht irren.

Es giebt zwei Arten von Vorlesungen. Sie werden entweder von dem ebengenannten Vortragsmeister und von Mitgliedern der Bühne, welche außer dem Hause arbeiten lassen, oder von Schriftstellern gehalten, welche ihre eigenen Arbeiten vortragen. Man ziehe die Vorlesungen der letzteren vor, weil diese natürlich mehr Gelegenheit, einen Tadel anzubringen, darbieten. Hört man schlecht, so tadelt man das Organ, hört man gut, die litterarische Arbeit.

Will man dem vorlesenden Schriftsteller nicht wohl, so braucht man nur an wichtigen Stellen zu niesen oder zu husten, um ihm die Wirkung zu verderben. Ist man ihm zugethan und erkältet, so bleibt man draußen. Dies macht wenig Mühe.

Ist man ein in den weitesten Kreisen bekannter und 89 geschätzter Schriftsteller, so bestrebe man sich, den Eindruck der größten Bescheidenheit, Anspruchslosigkeit und Naivetät zu machen, besonders wenn man diese drei schönen Eigenschaften nicht besitzt. Man besitze sie auch nicht, weil das Publikum ja doch nicht an sie glaubt.

Trinkt man gern einen Cognac, so stelle man trotzdem ein Glas Wasser vor sich hin, mache aber keinen Gebrauch davon.

Ist man Vorleser und schläft ein Zuhörer ein, so bedauere man ihn, weil ihm ein großer Genuß verloren gehe. Keinesfalls schreibe man den Schlaf dem zu, was man vorträgt. Bei einem anderen Vorleser beneidet man den Schläfer und schiebt die Schuld dem Vorleser in die Schuhe.

Hat der Schriftsteller einen großen Teil seines Vortrages beendet, ohne daß ein Zeichen des Beifalls die nötige Ruhe unterbrach, so erkläre er in der Pause, er habe gewußt, daß das Publikum für sein Werk nicht reif sei, auch wenn das Publikum das gebildetste ist.

Bezahlt man für den Platz eine Mark, so rechne man: für die Unterhaltung zehn, für Wärme dreißig, für Beleuchtung zwanzig, als Beitrag zu den Kosten fünfzehn, zu viel bezahlt fünfundzwanzig Pfennig. Höchstens bringe man noch zehn Pfennig für den Anblick vieler Frauen und Mädchen in Anrechnung, sodaß dann noch fünfzehn Pfennig aus dem Fenster geworfen sind, wenn man die Garderobe nicht abgegeben, sondern mit in den Saal genommen hat.

Ist der Vorleser ein realistischer Schriftsteller und sagt unverblümt, was man in Gesellschaft nicht sagen darf, so haben die Damen Entrüstung zu äußern, namentlich wenn sie vorher wußten, daß dergleichen zu erwarten war.

90 Auch für den Besuch von

Kunstausstellungen und Gemäldegalerieen

sind einige Ratschläge nicht als überflüssig zu bezeichnen.

Tritt man vor ein Gemälde, so blicke man zuvörderst in die rechte Ecke desselben, indem man sich dahin bückt, um den Namen des Malers zu entziffern. Man interessiert sich gar nicht für ihn, aber es ist so allgemein gebräuchlich.

Sieht man ein Porträt, so sage man: Sehr ähnlich! auch wenn man das Original nicht kennt. Man deutet nur damit an, daß man Menschen kennt, die sich malen lassen können. Anders, wenn man das Porträt einer oder eines Bekannten sieht. Dann erklärt man, es sei unähnlich, es fehlten die richtige Haltung und der seelische Ausdruck. Dadurch macht man auf die Umstehenden den Eindruck, man sei streng, aber gerecht.

Versteht man von der Malerei nichts, so spare man nicht mit kurzen, aber inhaltreichen Äußerungen. Hierzu merke man sich Ausdrücke, wie: Satte Farben, mangelhafte Perspektive, unnatürlicher Luftton, verzeichnet, die Figuren heben sich nicht ab, schmutzige Fleischfarbe u. s. w. An Statuen finde man einen zu langen oder zu kurzen Schenkel, einen zu kurzen Hals, Mangel an Originalität, an Büsten vermisse man das Wesen der oder des Dargestellten. Lob ausgeschlossen.

Beim Anblick von Centauren und in Fischschwänzen auslaufenden Frauen sage man, was einem einfällt. Im ganzen Saal ist keiner, der schon solche Mißgeburten lebend gesehen hat.

Sieht man das Bild eines Malers, der nichts kann und augenscheinlich selbst nicht weiß, was es darstellt, so vergesse man nicht, daß der betreffende 91 Maler jedenfalls eine Schule gegründet hat, und äußere sich also respektvoll über das Bild. Denn gewöhnlich steht in der Nähe ein Mitglied dieser Schule, was unter Umständen sehr unangenehm werden kann.

Man halte die Landschaft, welche ein anderes Mitglied der bezeichneten Schule ausgestellt hat, für einen Seesturm, oder für eine Liebesscene, je nachdem man aufgelegt ist. Es stimmt immer.

Will man sich einem anwesenden Sezessionisten angenehm machen, so nenne man jeden Künstler, der etwas leistet, einen alten Stümper. Sofort gilt man als ein kunstsinniger Mann.

Findet eine Dame eine sehr korpulente Eva ausgestellt, so glaube sie nicht, daß Eva vom Apfelgenuß so korpulent geworden ist, und fürchte sich auch in Zukunft nicht, Äpfel zu essen. Eva wird immer korpulent gemalt.

Sieht man das Bild einer nur mit einer Schlange bekleideten Frau, so ist es von Meister Stuck und stellt die Sünde vor. Ist solches Bild von einem Andern ausgestellt, so ist es ein Druckfehler im Katalog, auch wenn es keiner sein sollte.

Der Verliebte soll sich nicht einbilden, eine Ausstellung sei nur zu Rendezvous eröffnet. Sie hat ja wenig praktischen Nutzen, aber ausschließlich zu Rendezvous ist sie denn doch nicht vorhanden.

Auch wenn man Vergolder ist, soll man ein Gemälde nicht allein nach dem Rahmen beurteilen.

Wenn man keine Lose zur Ausstellungslotterie kaufen will, so sehe man sich die zur Verlosung angekauften Kunstwerke an. Vielleicht wird man dadurch in seiner Absicht bestärkt.

Ist man ein Friedensfreund und will von einer Schlacht nichts wissen, so betrachte man ein Schlachtenbild. So sieht keine Schlacht aus.

92 Als Maler nehme man keine Einladungen zu Diners und Soupers an. Man kann dabei verhungern.

Nimmt man von einem Maler Abschied, so wünsche man ihm gesegnete Malzeit, nicht weil, sondern damit er was zu essen hat.

Man stehe nicht vor den Bildern der Impressionisten. Denn diese Bilder kann man nur als solche erkennen, wenn man ziemlich weit zurücktritt, und die Zurücktretenden pflegen sich auf die Füße der anderen zu stellen, während die Entschuldigung den Schmerz nicht wesentlich mildert.

Kann man dazu den nötigen Dummen auftreiben, so wette man mit diesem oft so wichtigen Menschen, daß sich in der Kunstausstellung badende Nymphen vorfinden. Die Wette ist gewonnen. Nymphen baden immer, daher findet man sie auch so sauber. Überhaupt bedecken gescheite Maler ihre Leinwand mit nackten Frauengestalten häufiger, als dies umgekehrt der Fall ist, da das Nackte die stärkste Anziehungskraft bildet. Selbstverständlich betrachtet man diese Bilder immer nur aus Interesse an der Kunst.

Ähnlich verhalte man sich im Skulpturensaal, wo der kalte Marmor meist unbekleidet aufgestellt ist, und zwar ist hier das Nackte gewöhnlich noch um einen Grad nackter als in den Ölsälen. Ich erinnere nur an den nackten Jüngling, der sich noch obenein einen Dorn auszog, obwohl dieser an der Splitternacktheit nichts geändert hatte.

Man traue den Damen nicht, welche an solchen Bildern und Marmorwerken mit niedergeschlagenen Augen vorübergehen. Auch denen nicht, welche sie aufsuchen. Man traue überhaupt den Damen nicht.

Der Maler beklage sich nicht, daß sein Werk im Dunkeln hängt und nicht gesehen wird. Er kann nicht wissen, wozu dies gut ist.

Wenn man ein guter Mensch ist, so lobt man 93 ein ausgestelltes Bild nicht so laut, daß es ein Maler hört, der es nicht gemalt hat, denn es ärgert diesen, und man soll den Nebenmaler nicht kränken.

Man bewundere kein Bild aus der neuesten Schule, indem man ausruft: »Welch ein herrlicher Sonnenuntergang!« Es ist vielleicht ein Fruchtstück. Man halte auch nicht ein Bild derselben Herkunft für die »Drei Hexen vor Macbeth«, der Katalog nennt es vielleicht: »Das Urteil des Paris«. Man benutze überhaupt den Katalog fleißig. Was man für eine Kleopatra hält, die zur Schlange greift, ist vielleicht eine Aalhändlerin in der Markthalle.

Hat man einen Begleiter, der alles lobt, was man häßlich, und alles tadelt, was man schön findet, so äußere man bald das Gegenteil dessen, was man denkt, und man wird die Zeit, die man in der Ausstellung zubringt, ganz angenehm verbringen. Es giebt Besucher, die immer das Gegenteil sagen, um als Kenner zu gelten, und mit denen man sehr diplomatisch verkehren muß.

Will man ein Bild kaufen, so ziehe man keinen Künstler zu Rate. Er ist vielleicht ein Freund des Fabrikanten, der den Rahmen geliefert hat.

Von den Kunstausstellungen zu den

Wirtshäusern

ist nur Ein Schritt, namentlich für die Künstler. Aber auch diejenigen, welche nicht Künstler sind, pflegen solche Oasen in der Wüste des Berufslebens gern aufzusuchen. Es ist daher geboten, dies im allgemeinen Interesse hier zu berücksichtigen.

Es giebt für die Wirtshäuser Ratschläge, die nicht erteilt zu werden brauchen, weil jeder gewiegte Gast sie sich selbst giebt. Der erste ist der: Man hänge den Paletot an eine Stelle, die man immer im Auge hat, um bereit zu sein, wenn sich der 94 Paletotmarder nähert. Der Paletotmarder hat ein feines Gefühl für die Aufsicht, unter der sich das genannte Kleidungsstück befindet. Aber die Gefahr ist immer groß, denn es ist noch nicht vorgekommen, daß jemand zwei Paletots anstatt eines oder einen besseren vorgefunden hat. Dasselbe gilt von den Schirmen und Stöcken. Den Stock behalte man überhaupt bei sich, denn man kann nicht wissen, wozu man ihn braucht.

Rief man längere Zeit vergeblich nach dem Kellner, so stoße man den Schrei aus: Zahlen! Alsbald erscheint der Zahlkellner, bei dem man dann die betreffende Bestellung anbringt.

Ist ein Kellner grob, so freue man sich, nicht der Kellner zu sein, denn dieser bekommt dann größere Grobheiten zu hören.

Wenn man ein Freund der Musik sein sollte und dies bleiben möchte, so gehe man in kein Wirtshaus, in welchem Musik ist, denn dann wird man ihr Feind.

Sieht man gern illustrierte Zeitungen an, so bestelle man das neueste Abendblatt. Da dies nicht frei ist, bekommt man sofort die »Leipziger Illustrierte Zeitung«.

Den Buffetdamen, namentlich in der Bar, mache man nicht den Hof. Diese geplagten Wesen möchten doch auch einmal eine Abwechslung haben.

Man politisiere im Wirtshaus nicht, weil es vergebliche Arbeit ist. Denn an den Stammtischen sitzen immer die größten Politiker der Gegenwart, die spätestens um zehn Uhr abends alles geordnet haben.

Will man sicher sein, in einem Restaurant, das man bisher nicht besucht hat, Bekannte zu treffen, so betrete man es in Begleitung einer Dame, mit der man nicht gesehen sein will. Sofort sieht man die gewünschten Bekannten, oder doch wenigstens einen. Ist man dann zufällig überzeugt, daß die betreffende 95 Dame von keiner Seele in der Stadt gekannt ist, so pflegt nicht ein einziger Gast anwesend zu sein, der sie nicht ziemlich genau kennt.

Bestellt man sein Leibgericht, so ist es gestrichen. Also bestelle man es nicht.

Merkt man in dem Augenblicke, wo man etwas bestellen will, daß man kein Geld bei sich hat, weil man auch keins zu Hause hat, und fehlt einem auch der beliebte Kellnerkredit, so sage man sich dies mehrmals hintereinander, und es vergeht einem der Appetit.

Wird man vom Hunger verleitet, Zechpreller zu werden, so ist es kein anständiger Hunger. Läßt man sich aber verleiten, so sei man sicher, vom Kellner erwischt zu werden, denn der Zechpreller ist mit der Zeit dumm geworden. Es giebt überhaupt so viele Arten ungefährlicher Zechprellerei, daß man erstaunen muß, wie sich noch jemand der alten und gefährlichen Art bedienen kann. Jeder hat wohl in seiner Bekanntschaft einen Zechpreller, der sich ohne das geringste Risiko Speisen und Getränke zu verschaffen weiß. Außer der gewöhnlichsten Zechprellerei, die darin besteht, daß man unbefangen an einen Tisch herantritt, an welchem ein guter Freund speist und unter der Versicherung, man habe schon gespeist, die freundliche Einladung des nicht gern allein speisenden Freundes annimmt und dann wie für das Vaterland einhaut, möchte ich hier für diejenigen, die noch Laien in der Zechprellerei sind, einige Meter Leidfaden liefern.

Man erkläre an einem Tisch das Portemonnaie, das man, wie man gewiß wisse, zu sich gesteckt hat, für verloren und setze hinzu, den Verlust des Geldes verschmerzen zu können, jedoch sei das Portemonnaie ein liebes Angedenken an einen teuren Freund. Freunde sind immer teuer. Aber als ebenso fatal bedaure man, dem Kellner sagen zu müssen, daß das 96 Portemonnaie seinen Herrn verloren habe. Nun wird man an dem Tisch des Bekannten durch eine Einladung förmlich zur Zechprellerei gezwungen und prellt dann auch nach einigem Sträuben.

Hat man das Portemonnaie schon zu häufig als verloren benützt, so wartet man in der Plauderei am Tisch auf die passende Gelegenheit, die sich ja immer bietet, als Wettender wie ein Donnerwetter auf den Freund niederzufahren. Preis der Wette: das Abendessen. Eingeschlagen! Natürlich gewinnt man und zechprellt.

In Restaurants, wo dies angängig, schlägt man vor, um das Abendessen zu würfeln. Natürlich mit Vorsicht, denn der Freund mogelt vielleicht selber. Verliert man, so merkt man, wenn der Zahlkellner erscheint, daß man kein Geld bei sich habe. Man durchsucht alle Taschen, auch solche, die man nicht an der Innenseite der Weste hat, und thut sehr verzweifelt. Alsdann bezahlt der Gewinner die Zechprellerei, was man sofort vergißt.

Ein guter Zechprellertric ist auch der folgende. Hat sich zu Ehren irgend eines Ereignisses eine Gesellschaft zusammengefunden, deren Mitglieder sich aus eigener Tasche beköstigen, so schließt man sich ihr an und erscheint pünktlich. Hat man eine gute Nase, so merkt man, daß der Kümmelkäse näher kommt, und läßt sich sofort einfallen, daß man zu telegraphieren habe. Man stürzt fort, indem man verspricht, nach zehn Minuten wieder zurück zu sein, und die Zechprellerei ist ein vollendetes Werk. Den Kümmelkäse holt man zu Hause nach.

Ist man Mitglied eines runden Tisches, so schone man die Eigentümlichkeiten jedes einzelnen Teilnehmers. Nur so macht man manchen unschädlich. In jedem gebildeten Kreise ist einer, der immer Recht hat. Man bedaure diesen, weil es doch sehr schwer sein 97 muß, so viel Recht mit sich herumschleppen zu müssen, und gebe ihm immer Recht, besonders wenn er Unrecht hat. Endlich merkt er es, sucht sich einen anderen Tisch, an den sein Ruf noch nicht gedrungen ist, und wird auf diese Weise einer der gefürchtetsten Rundreisegäste.

Den unheilbaren Witzbold der Gesellschaft muß man austoben lassen. Tobt er sich anstatt aus immer mehr ein, so greife man zum äußersten, indem man sich eine Reihe seiner Witze merkt und sie ihm eines Abends vorreißt. Sieht er auch dann das Arge seines Gebarens nicht ein, so teile man ihm mit, man habe den Arzt wegen eines Leidens konsultiert und dieser habe Lachen verordnet. Dann suche man einen anderen Stammtisch und lasse an diesem ein Plakat anbringen: Dieser Tisch darf nicht verunwitzelt werden!

Ein grober Wirt muß höflich behandelt werden, damit er nicht gröber wird.

Ist der Grog zu stark von Wasser, so gieße man noch etwas Wasser zu und gebe ihn dem Kellner als Trinkgeld. Dadurch verbessert man den künftigen Grog wesentlich.

Man hüte sich vor alten Austern, auch wenn ihr Bart nicht grau ist.

Dann und wann kaue man ein Stückchen Kork, damit man weiß, wie der Wein nicht schmecken darf. Schmeckt er nach diesem nützlichen Gewebe, so sage man dies dem Wirt, damit eine neue Flasche Wein gebracht werde, nicht erst nach dem letzten Glas, weil dies dann gewöhnlich nicht geschieht.

Auch der vollkommenste Menschenfreund bedauere den Kellner nicht, wenn er sich verrechnet hat, denn dies geschieht nie zu dessen Nachteil.

Man habe immer den Hausschlüssel bei sich, besonders dann, wenn man Grund hat, ihn zu Hause vergessen zu haben.

98 Wird dem Stammtisch ein gewohnheitsmäßiger Brüderschafttrinker zugeweht, so gebe man sich keine Mühe, mit heilem Sie davonzukommen, sondern hoffe nur das Beste von seinem schlechten Gedächtnis, mit dem ihm sicher das viele Dutrinken reich begabt hat. Als praktisch hat sich indes zuweilen das folgende Mittel bewährt. Merkt man, daß bei dem Duzbold das Versetzen in die zweite Person Singular ausbricht, so schenke man, wenn er nicht hinsieht, ein und trinke rasch aus. Volle oder halbvolle Gläser krümmen sein Armbein. Nützt alles nichts, so suche man wenigstens um seinen Kuß zu kommen. Diesen glücklichen Verlust erleidet man am einfachsten dadurch, daß man die Cigarre nicht aus dem Munde nimmt.

Man kaufe im Wirtshaus keine Cigarre zu zehn Pfennig, besonders wenn sich an dem Tisch ein Pfälzer befindet, der durch den Duft von Heimweh ergriffen wird. Das Heimweh kann einen Menschen zur Verzweiflung bringen, oder ihn doch sehr melancholisch stimmen.

Wünscht man sich schon lange ein Porträt, das absolut nicht zu erkennen ist, so versäume man nicht, sich von einem im Wirtshaus hausierenden Silhouetteur schneiden zu lassen.

Von einer Kolporteurin der Heilsarmee kaufe man ein Exemplar ihres Blattes. Es ist doch zu angenehm, eine Zeitung zu haben, die man nicht zu lesen braucht.

Wenn man kein guter Ehemann ist und möchte als ein guter gelten, so sage man mit ermüdender Regelmäßigkeit seinen Freunden, man müsse früh nach Hause, da die Gattin nicht daran gewöhnt sei, allein zu sein. Dann wird man von allen Seiten ersucht, einmal eine Ausnahme zu machen, ist sofort gern gefällig und geht später als die Andern nach Hause.

Wird um das Getränk gewürfelt, so gewinne 99 man, wenn man nicht gern ausgelacht zu werden pflegt. Gewinnt man immer und hat das eine Weile gedauert, so klage man über fortwährendes Pech und schließe sich vom Knobeln aus. Denn die Serie von pechösen Abenden kommt ganz gewiß nach.

Sitzt man an einem Tisch und speist, während ein anderer Gast raucht, so frage man ihn, ob ihn das Essen nicht beim Rauchen störe. Er wird dies ganz gewiß verneinen, denn er gehört ohne Zweifel den gebildeten Ständen an.

Bietet sich im Café ein Herr in der liebenswürdigsten Weise zum Führer durch Berlin an, so lehne man verbindlich dankend ab, indem man sich damit entschuldigt, daß man, wenn es dunkel wird, selber Freunde verschleppe.

Was die

Eiszeit

betrifft, so tritt solche jetzt bekanntlich nur recht unregelmäßig, unpünktlich und etwas kurzlebig auf, doch werden einige Fingerzeige trotzdem am Platze sein. Vor allem spiele man den Abgehärteten, der sich über die herrschende Kälte freut, namentlich wenn man in solcher Zeit nichts so liebt, wie den geheizten Ofen und den anbrechenden Frühling. Besonders in einem Raum, der angenehm warm ist, spreche man mit Begeisterung von dem unter den Wagenrädern singenden Schnee und dem erstarrten Flußbett. Das macht immer den Eindruck unverfrorener Männlichkeit.

Ist man aber durch Umstände gezwungen, oder durch einen unglücklichen Zufall in die Lage geraten, aufs Eis zu gehen, so beklage man laut, daß man leider nicht lange bleiben könne, nicht länger als höchstens dreimal Hinfallen.

Man vermeide es sorgfältig, wörtlich zu sagen, man sei gerne aufs Eis gegangen. Man drücke sich anders aus. Denn es ist immer ein Freund 100 vorhanden, welcher vor Kälte mit den Zähnen die Worte klappert: »Dir ist wohl zu wohl?« Hat man aber diesen ehrwürdigen Witz provoziert, so lache man und sage, daß diese Beleidigung nur mit Punsch abgewaschen werden könne, sonst hat man die Hohnlacher auf seiner Seite. Zugleich hat man vielleicht wirklich Gelegenheit, zu einem Glas Punsch zu kommen.

Will man vor lästigen Bemerkungen sicher sein, so miete man sich auf der Eisbahn ein Paar Schlittschuhe und trage dasselbe sichtbar. So kann man behaupten, man habe es schon benutzt, oder werde es sofort benutzen.

Fallenden Damen gegenüber sei man sehr vorsichtig, wenn man unverheiratet ist. Es giebt Damen, welche das Fallen gewerbsmäßig betreiben, auf Hilfeleistung von Menschenfreunden oder Galanten spekulieren und sie in den Kreis ihrer Berechnungen gezogen haben. Man eile nicht sofort hinzu, sondern lasse anderen den Vortritt, denn auch hier gilt der alte Satz: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Hebt man aber auf, so pflegen manche gefallene Damen derart dankbar zu sein, daß es einem nur einen Augenblick angenehm ist, man es aber später bereut.

Man sehe auf der Eisbahn nichts, wenn man sich nicht lästig machen will, denn sie ist ein beliebter Ort für ganz zufällige Zusammenkünfte, die sorgfältig verabredet sind. Will man sehr beliebt werden, so teile man dann und wann mit, daß man durch den Anblick der Schneefläche geblendet werde und nichts sehe.

Fällt man hin und hat sich sehr weh gethan, so lache man. Natürlich wird das für eine Komödie gehalten, aber es ist doch dieser und jener um eine Schadenfreude gekommen, die man jetzt selbst genießt.

Tritt Thauwetter ein, so fordere man jeden Bekannten dringend auf, mit auf die Eisbahn zu kommen. Selbstverständlich lehnt jeder ab, aber man gilt dann 101 doch als ein passionierter Eisläufer, wenn man dies nicht sein sollte.

Man sei vorsichtig, wenn man eine Eismutter trifft. Sie ist nicht zum Laufen, sondern zum Bleiben gekommen, und zwar bei ihren Eistöchtern. Eine Eismutter ist doch ernster zu nehmen, als eine Ballmutter. Schon ihr Aufenthalt in der ungemütlichen Kälte weist auf rauheres Wesen und größere Tapferkeit hin, als der Ballmutter in der behaglichen Temperatur des Saales eigen zu sein pflegen. Eine Eismutter verhält sich zu einer Ballmutter, wie eine Wittwe zu einem Backfisch. Sie ist weniger harmlos, sehr kühn und geht ohne Schonung auf das Ganze.

Den Eisvater hat man nicht weniger vorsichtig anzufassen. Er ist der Gegensatz zum Ballvater, der durch Skat und Cigarre unschädlich gemacht zu werden pflegt. Denn der Eisvater hat die Eisbahn in seiner Jugend gewöhnlich selbst sehr eigennützig ausgebeutet und kennt die Schliche der Schlittschuhplattler, namentlich der Leutnants, Studenten und Jeunesse dorée.

Hat man die Eisbahn eines Flusses oder eines anderen Gewässers in Verdacht, daß sie unsichere Stellen hat, und fürchtet man, einzubrechen, so ziehe man die gegossene Eisbahn vor. Auf dieser kann auch der Furchtsamste ein Held sein, der vor den Schrecken der entfesselten Fluten nicht erbleicht und den menschenfeindlichen Neptun keck herausfordert.

Wird man von einer Familie eingeladen, ein Eisfest mitzumachen, so nehme man an und werde rechtzeitig unpäßlich. Ich empfehle einen verstauchten Fuß. Nur wenn man gern auf Kinder aufpaßt, welche die Familie jedenfalls zum Eisfest mitführt, greife man zu und stelle sich pünktlich ein.

Ist man gestürzt und hat sich die Wange, die Stirn oder eine andere geeignete sichtbare Stelle so aufgeschlagen, daß eine Narbe bleibt, so kann man 102 diese später als eine schöne Erinnerung an ein Duell bezeichnen und hat dann ein großes Eisvergnügen gehabt.

Wenn man als Feind der Kälte auf das Eis geraten ist, so erkenne man keinen Freund oder Bekannten, da man, den Hut zu ziehen, wenigstens eine Hand aus der Tasche nehmen muß, wodurch die Hand nicht wärmer wird.

Man weiche jeder Einladung zu einer Schlittenpartie aus, denn das fast einzige Vergnügen einer solchen besteht darin, daß der Schlitten nicht umfällt.

So unwichtig es manchem erscheinen mag, über das Verhalten im

Pferdebahnwagen

im Omnibus, oder in den Salons der elektrischen Bahn irgend welche Fingerzeige oder dergleichen zu veröffentlichen, so ist dies dennoch nötig und gerade um so nötiger, als dies eben manchem unwichtig erscheint. Wer dann und wann der Langeweile nicht ausweichen kann, von den bezeichneten Beförderungsmitteln Gebrauch zu machen, wird mir zugeben, daß in diesen Fuhrwerken nur höchst selten Spuren der Kultur gefunden werden.

Will man aus irgend welchem Grunde als ein unverbesserlicher Knote gelten, so folge man der hier oft beobachteten Unsitte, an den Haltestellen miteinsteigende Damen vom Eingang des Wagens abzudrängen, vor ihnen einzusteigen und sie sogar dann zu zwingen, im Regen wieder umzukehren und den nächsten Wagen abzuwarten, um dann ebenso von den hauptstädtischen Knoten behandelt zu werden.

Will man geradezu auffallen, für einen Sonderling oder für einen Narren gelten, der um jeden Preis den Ritter der Damen spielen will, so braucht man nur einer in den Wagen tretenden Dame, die keinen 103 Sitzplatz mehr findet, den seinen zu überlassen und auf den Perron hinauszugehen. Sofort wird man wie ein Wundertier kopfschüttelnd angestarrt, was recht traurig ist.

Findet man nun einen Perronstehplatz und die an der Perronwand stehenden Fahrgäste sind nicht ohne Bitten bereit, etwas zusammen zu rücken, um das ohnehin karge Plätzchen frei zu machen, so wende man sich deshalb nicht an den Schaffner. Denn auch diesem kann es nicht gelingen, aus ungebildeten Zeitgenossen halbwegs gebildete zu machen. Solche Fahrgäste benutzen die Pferdebahn häufig und hätten von dem Schaffner längst lernen können, sich anständig zu benehmen, wenn sie bildungsfähig wären. Sie sind es wirklich nicht.

Hat man im Wagen etwas vergessen oder verloren, so verlasse man sich auf die Ehrlichkeit aller Fahrgäste und melde sich am andern Tage im Fundbureau. Hat man aber im Wagen weder etwas vergessen, noch etwas verloren, so kann man sich mit noch größerer Sicherheit auf die Ehrlichkeit aller Fahrgäste verlassen.

Wird von einem Fahrgast erzählt, er merke eben, daß er leider sein Portemonnaie verloren habe, so schärfe man sich seine Physiognomie ein. Denn er hat jedesmal, wenn er die Pferdebahn benutzt, sein Portemonnaie verloren.

Ist ein Fahrgast angetrunken, so behandle man ihn wie einen Nüchternen. Angetrunkene Fahrgäste verlangen dies und sehen sehr strenge darauf, so behandelt zu werden.

Fährt man mit einem Fahrgast zusammen, welcher sich bitter über die mangelhaften Verkehrsmittel beklagt und namentlich darüber, daß zu langsam gefahren wird, so sei man keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß er aus einer Stadt kommt, in der es überhaupt keine Fahrgelegenheit giebt.

104 Ist man Arzt, so fahre man im Thau- oder Regenwetter dann und wann mit der Pferdebahn, um sich über den Sumpf zu freuen, den die Perrons bilden. Viele Krankheiten von der Gicht abwärts verdanken diesem Sumpf ihre Existenz oder Förderung derselben.

Ist der Schaffner ein Dichter, so thue man ein gutes Werk, indem man ihn zu dem Entschluß zu bringen sucht, nicht unter die modernen Lyriker zu gehen und fortan mit diesen die Dichtkunst als Gewerbe zu betreiben. Denn er würde gründlich verdorben werden, alle Natürlichkeit verlieren und sich bald in seine Schaffnerstelle zurücksehnen, die dann aber vielleicht besetzt wäre.

Bekommt man von einem Eintretenden einen Tritt auf den Fuß und er entschuldigt sich nicht sehr höflich, so sage man nichts, sondern begnüge sich bescheiden mit diesem einen Tritt. Der ungebildete Fahrgast pflegt es als sein gutes Recht zu betrachten, auf die Füße zu treten, sich nicht zu entschuldigen und, wenn man ihn deshalb zur Rede stellt, nochmals zu treten. Aber ein einziger Tritt muß auch dem Vergnügungssüchtigsten genügen.

Sitzt man neben einer Frau, die einen ungezogenen Jungen als Handgepäck bei sich hat, so finde man ihn musterhaft erzogen, denn die Mutter hält ihn dafür und würde sehr verstimmt werden, wenn man an dem Benehmen des Bengels etwas zu tadeln fände.

Bemerkt man vom Pferdebahnwagen aus einen Menschenauflauf, so springe man nicht ab, um die Neugierde zu befriedigen und den Verlauf abzuwarten. Man freue sich statt dessen, in Sicherheit zu sein.

Man bleibe überhaupt jedem

Auflauf

fern. Man mache einen Umweg, um ihm auszuweichen. Denn man darf überzeugt sein, daß meist 105 die müßigen Zuschauer solcher Aufläufe sehr viel unangenehmes erleben, wenn sie als Augenzeugen mit aufs Polizeibureau müssen.

Wenn der Auflauf dadurch entstanden ist, daß einige Männer das Bedürfnis haben, sich zu prügeln, so störe man sie nicht durch das menschenfreundliche Bemühen, sie zu trennen. Gewöhnlich bekommt man anderenfalls alle Prügel, welche noch übrig sind, und es pflegt gewöhnlich noch ein ziemlich reicher Vorrat vorhanden zu sein.

Wird man von einem Schutzmann aufgefordert, weiter zu gehen, so versuche man nicht, ihm auseinanderzusetzen, daß man nicht der einzige sei, der stehen geblieben, und sich mit ihm über die betreffenden Paragraphen der Verfassung zu unterhalten. Ein Schutzmann ist nur in höchst seltenen Fällen ein Causeur, sondern meint, man möchte arretiert sein. Wenn man es dann schwer findet, ihn von seinem Irrtum zu heilen, ist man gewöhnlich schon verhaftet.

Will man nicht wissen, was los sei, so frage man mehrere, welche an dem Auflauf teilnehmen, alsdann erfährt man es nie.

Hat man unglücklicherweise einige Püffe erhalten, so gehe man befriedigt von dannen und freue sich, daß man nicht noch die weiteren abgewartet hat.

Ist man verheiratet, so teile man seiner Frau nicht mit, daß man als Zuschauer eines Auflaufs übel zugerichtet worden sei. Denn die Gattin behauptet sonst, man sei immer da, wo man nichts zu suchen habe, und das kränkt, da es bekanntlich nicht wahr ist. Ist man verhaftet, so suche man um die Erlaubnis nach, nach Hause telephonieren zu dürfen, und telephoniere dann der Gattin, man habe einen guten Freund getroffen, mit dem man zusammen bleibe, sonst behauptet die Gattin, man sei der einzige Mensch, dem so was passieren könne, und dies kränkt wieder, weil es bekanntlich gleichfalls nicht wahr ist.

Ist der Auflauf beseitigt und hat man etwa eine Stunde bei ihm zugebracht, so entferne man sich und begreife die anderen nicht, welche so dumm sind, die schöne Zeit auf diese Weise zu vertrödeln.

In der schönen Winterszeit steht der

Damenkaffee

in voller Blüte. Wenn auch die Männerwelt dieser so sehr beliebten Erscheinung völlig fernsteht, oder doch wenigstens nur dann und wann und indirekt von ihm schwer geschädigt wird, so möchte ich doch nicht unterlassen, nach bestem Wissen diejenigen Fingerzeige zu publizieren, die mir wichtig scheinen, weil sie auch vielleicht den Damen nützlich sein können.

Man darf den Damenkaffee nicht mit dem Jour fixe verwechseln, da er sich durch die peinlichste Einseitigkeit von diesem abhebt. Der Jour fixe ist eine viel fruchtbarere Institution, weil er beide Geschlechter zuläßt, während der Damenkaffee, wie ja schon der Titel andeutet, ausschließlich von Frauen gebildet wird. Man kann also wohl, wenn man Lust hat, von einem gebildeten Damenkaffee sprechen. Man hat allerdings sehr selten Lust.

Der Damenkaffee hat zwei Seiten, denn als Getränk ist er genießbar.

Den Damenkaffee als weibliche Körperschaft nennt man auch Kaffeeklatsch. Man thut ihm aber Unrecht, denn er ist viel schlimmer.

Man findet den Damenkaffee in allen Schichten der weiblichen Bevölkerung, aber der Unterschied besteht nur in der Güte des Getränks und in der Qualität des dazu herumgehenden Kuchens, der zum Einstippen bestimmt ist. Ob hieraus unter den Damen 107 das Wort Stippvisite entstanden ist, das wissen sie nicht.

Die Thatsache, daß vom Damenkaffee das männliche Geschlecht ausgeschlossen ist, hat wohl darin ihre Erklärung zu suchen, daß die Damen die Konkurrenz der Männer und Jünglinge fürchten, welche auf dem Gebiet des Klatschens gleichfalls sehr leistungsfähig zu sein pflegen, so daß der unlautere Wettbewerb sich nur zu deutlich fühlbar machen würde.

Wenn man naiv ist und von den Damenkaffees nichts weiß, so erinnere man sich daran, daß man eines Tages erfuhr, man sei angeschwärzt, ohne daß man wußte, von wo aus, und ferner auch nicht wußte, wie man sich vertheidigen könne. In dieser Weise hat sich der Damenkaffee bemerkbar gemacht.

Wird man in einem Damenkaffee auf die Tagesordnung gesetzt, so ist man das Gegenteil von dem, was man ist. Ist man solide, so ist man leichtsinnig, ist man ehrlich, so ist man ein Intriguant, hat man eine untadelhafte Vergangenheit, so hat man in jeder Ecke seines Hauses ein Skelett. Ist man zufällig ein Dummkopf, so macht man sich etwas daraus.

Man beauftrage den Diener nicht, jeden Morgen genau nachzusehen, ob einem etwas am Zeuge geflickt ist, wenn man weiß, daß ein Damenkaffee stattgefunden hat, und wenn man ferner weiß, daß Freundinnen daran teilnahmen. So deutlich machen es die Damen nicht.

Wenn beim Damenkaffee erzählt worden ist, man habe ein Liebesabenteuer bestanden, so ärgere man sich, wenn es nicht wahr ist, aber man ärgere sich nur, weil es nicht wahr ist. Nichts trauriger, als vom Klatsch eines Vergehens angeklagt zu werden, welches man nicht begangen hat.

Hört man aus dem Damenkaffee erzählen, man sei heimlich verlobt und habe die allerheimlichsten 108 Zusammmenkünfte, so weiß jeder, daß man das betreffende Fräulein einmal flüchtig gesehen hat.

Es ist Gefahr vorhanden, daß ein Abenteuer, welches man mit einer Teilnehmerin des Damenkaffees besteht, von dieser selbst in Ermangelung eines anderen Stoffes der Unterhaltung und im Drange der Klatschsucht aufs Tapet gebracht wird. Man thut also gut, Damen, welche einem Kaffee angehören, links liegen zu lassen und sich lieber nach einer anderen umzusehen.

Trifft man eine Frau, welche sich entrüstet über den Damenkaffee ausspricht und energisch erklärt, sie habe noch nie geklatscht, so kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß sie Mitglied mehrerer Damenkaffees ist und eine große Praxis im Klatschen hat. Man sei also vorsichtig.

Man protestiere nicht, wenn man die große Glocke tönen und brummen hört, an die etwas gehängt worden ist, da dies die Folge hat, daß das Getöne und Gebrumme erst recht vernommen und geglaubt wird. Man wende das beste Mittel an: die völlige Wurstigkeit.

Ist man verlobt, so verbiete man der Braut, jemals einem Damenkaffee beizuwohnen. So lange der Brautstand dauert, wird dies Verbot meist geachtet. Alsdann findet der Eintritt in den Damenkaffee sicher statt.

Man versuche nicht, einer Damenkafferin das Klatschen abzugewöhnen, um nicht ihrer schweren Erkrankung und Tötung schuldig zu werden. Schon jeder Versuch ist erstens schädlich und zweitens nutzlos.

Wenn man eine Frau klagen hört, alle Damenkaffees seien tödlich langweilig, so darf man überzeugt sein, daß sie sie höchst amüsant findet und sie nicht missen kann.

Man schelte die Damen unpünktlich, und man thut ihnen nur dann Unrecht, wenn sie Mitglieder 109 eines Damenkaffees sind. Als solche ist die Pünktlichkeit ihre Höflichkeit, als seien sie Könige.

Hier ist ein flüchtiger Blick auf die

Skatabend

zu werfen, obschon sie einen starren Gegensatz der Damenkaffees bilden. Denn während diese nicht dazu da sind, damit die Damen Kaffee trinken, sind die Skatabende nur zum Zweck des Skatspielens eingerichtet.

Ich liebe die Skatabende sehr. Denn da ich keinen Begriff vom Skatspiel habe, bin ich von ihnen ausgeschlossen. Daß ich aus diesem Grunde als einer der unbeholfensten Menschen bekannt bin, weiß ich längst, dennoch liebe ich die Skatabende. Das ist eben eins der Geheimnisse der Liebe. Man liebt, trotzdem oder weil man zurückgewiesen wird.

Da ich also vom Skatspiel absolut nichts verstehe und deshalb in meiner Eigenschaft als Journalist ein Urteil über seinen Wert abgeben könnte, so unterlasse ich es dennoch zum Entsetzen meiner Kollegen. Ich weiß nur vom Hörensagen, daß der Skat ein höchst interessantes und faszinierendes Spiel und ein Skatabend daher einer der schönsten im Leben der Skatspieler ist. Schon aus diesem Grunde gehört er in den Kreis unserer Betrachtungen.

Der Skatabend steht bei den Frauen in hoher Gunst, weil der Gatte während dieser Zeit sicher zu Hause ist und scharf kontrolliert werden kann, was an anderen Abenden bekanntlich nicht immer gut möglich ist. Dagegen wird der Skatabend von den Dienstmädchen gehaßt, weil die Gäste meist so lange spielen, daß sie vom Hausherrn hinausgeleitet werden und dadurch das Trinkgeld sparen.

Will man sich sehr beliebt machen, so verliere man immer oder meist, einerlei, ob hoch oder niedrig gespielt 110 wird. Allerdings wird die Beliebtheit auf diese Weise ein Luxusartikel, bildet aber trotzdem eine schöne Eigenschaft.

Bleibt die Herrin des Skathauses trotz der späten Stunde wach, so ist dies nur in seltenen Fällen ein Beweis von hochgradiger Gastfreundschaft und Vergnügen an der Unterhaltung, sondern diese weibliche Dauerbarkeit entspringt gewöhnlich einer finanziellen Maßregel, indem die Dame vor Schluß des Abends ihrem Gatten das Gewonnene abnehmen will, bei welcher Gelegenheit sie dem Skat eine warme Lobrede hält und den Gatten für einen geliebten Meister erklärt. Verliert der Gatte, so findet die Dame des Hauses, daß das Skatspiel sehr unmoralisch sei und aufhören müsse, auch sei es greulich, daß einige Herren, die sie nicht leiden könne, teilweise aus der Tasche ihres Gatten und des Vaters ihrer armen Kinder leben.

Hat der Skatspieler keinen Witz, so hat er dennoch welchen, da er den vorhandenen und allgemein bekannten an geeigneten Stellen anbringt. Dies ist dem Hörer sehr willkommen, da er nicht zu lachen braucht, was auch meist absolut unmöglich ist. Ein gefürchteter Schädling des Skats ist derjenige Spieler, der nur witzig ist, wenn er gute Karten bekommen hat, und solche Schädlinge bekommen, wie behauptet wird, fortwährend gute Karten.

Wenn man Grund oder Lust hat, sich als überflüssig erscheinen zu lassen, so sei man zugleich Gast und Kiebitz. Einem solchen Herrn schreibt der abergläubische Spieler die Zauberkraft zu, daß er Buben in Damen verwandelt, was die wohlthätige Folge hat, daß ein solcher Centaur nicht wieder eingeladen wird.

Macht man sich nichts daraus, in den Augen einer Dame als Scheusal, Kaliban und Verbrecher zu 111 gelten, – es ist dies nicht jedermanns Geschmack – so nehme man an einer Skatpartie teil, in der sich eine Dame befindet, und gewinne, oder man verliere nicht. Ist man dagegen eitel und etwas eigen, so verliere man regelmäßig, wenn eine Dame in der Partie ist. Dann gilt man als ein Adonis mit einem Schuß Apollo, auch wenn man das Gegenteil sein sollte.

Ist man ein junger Mann und liebt die Tochter des Hausherrn, so verliere man konsequent. Hier genügt es nicht, daß man bloß nicht gewinnt. Erst nach der Verlobung nehme man dem zukünftigen Schwiegervater das ganze Geld ab.

Spielt jemand schlecht und gewinnt man dadurch, so verzeihe man ihm sein schlechtes Spielen. Man sei aber nicht unerbittlich. Spielt aber jemand schlecht und verliert man dadurch, so zeige man, daß man Charakter habe, und lasse es an Schmähungen nicht fehlen.

Pflegt das warme Abendessen gut und reichlich zu sein, so lobe man des Gastgebers Spiel als meisterhaft, auch wenn es dilettantisch ist. Wenn aber betreffs des Abendessens nicht alle Blütenräume reifen, so sei man so milde wie irgend möglich. Das ist's ja, was den Menschen zieret.

Will man ganz sicher sein, wieder eingeladen zu werden, so habe man, wenn es zum Abrechnen kommt, ganz zufälligerweise kein Geld bei sich.

Es darf hier wohl kurz auf die

musikalischen Abende

abgeschwenkt werden, welche ja in gewissem Sinne Spielabende genannt werden können, wenn sie auch nicht immer so unterhaltend zu sein pflegen. Sie sind, weil hier der Dilettantismus seine wüstesten Orgien feiert, mit großer Vorsicht zu gebrauchen.

Steht man im Verdacht, unmusikalisch zu sein, so 112 braucht man das Folgende nicht zu lesen. Denn dann wird man niemals durch eine Einladung ausgezeichnet und hat sich in keiner Weise zu fragen, wie man sich zu benehmen habe. Nur für den Fall, daß man trotzdem eingeladen wird und nicht den schönen Mut hat, sich dem musikalischen Gewaltakt fernzuhalten, lese man weiter.

Die beliebteste und verbreitetste Form des leider nur in musikalischer Hinsicht seltenen Genusses ist das Streichquartett, zu welchem sich vier Männer zusammenballen, die im gewöhnlichen Leben wohlwollende und wohlhabende Leute zu sein pflegen und nur, wenn sie zu ihren Instrumenten greifen, unberechenbar sind. Lernt man sie kennen, so merkt man ihnen nichts an, man thut also gut, sich neuen Bekanntschaften gegenüber zu erkundigen, ob sie musikrein sind, und, wenn nicht, ob sie von ihrem Können einen halböffentlichen Gebrauch machen.

Hat man sich von einer Einladung zum Quartett überrumpeln lassen und rückt die Stunde der Exekution näher, so nehme man ein Abendessen ein, da ein tüchtiger Quartettgeber annimmt, daß man kein Souper erwartet, wo die klassischen Meister laut werden, was ihn veranlaßt, an Stelle der leiblichen Genüsse mehr die idealen der Kunst treten zu lassen. Erscheint man nun gegessen im Quartett, so kann man im Ertragen etwas leisten und namentlich die ersten anderthalb Stunden ruhig aushalten.

Man braucht den quartettierenden Herren nicht den Daumen zu halten, da sie fest davon überzeugt sind, daß sie diese künstliche Sicherung des Erfolges nicht brauchen, hauptsächlich deshalb, weil sie regelmäßig mit Beifall überschüttet werden und meinen, daß dieser Beifall ihren Leistungen gelte.

Man sage niemals, daß man die Melodie über alles liebe, und man unterlasse nicht, von Zeit zu Zeit 113 aus Opern, die man verehrt, zu schelten. Man erspart sich dadurch viele Unannehmlichkeiten. Allerdings wird von Musikern und solchen, die es zu sein sich einbilden, in Quartettgesellschaften selten mit Messern gestochen, wenn man außer den Klassikern auch andere Meister neben Wagner zu nennen wagt, aber man hat doch gleichwertige Grobheiten einzustecken, was verhindert wird, wenn man so musikalisch wie möglich mit den Wölfen heult. Das beste ist, daß man irgend ein Mitglied solcher Gesellschaft fragt: »Was halte ich von Bungert?« »Wie denke ich über Mascagni?« »Kann ich Leoncavallo ausstehen?« »Giebt es einen größeren Stümper als Meyerbeer?« Dann wartet man die Antwort ab und läßt hierauf die Meinung laut werden.

Wird man wegen einer unvorsichtigen Äußerung seiner aufrichtigen Meinung beleidigt, so entschuldige man sich, daß man ein eigenes Ohr, einen eigenen Geschmack und eine eigene Überzeugung habe, und verspreche Besserung. Dann wird man mit blauem Auge davonkommen.

Erscheint eine Erfrischung, so beeile man sich, da die Musik sofort wieder beginnt. Der Hausherr haßt die Pausen. Man nutze sie aus. Namentlich eignen sie sich zum Weggehen. Hat man hierzu nicht den Mut, so schreibe man sich die Folgen selbst zu.

Man sei mäßig im Applaus, wie in den Ausdrücken des Lobes. Denn was ein Quartett im Wiederholen leisten kann, das ist geradezu bewunderungswürdig.

Indem wir glauben, unser Thema erschöpft zu haben, was namentlich den Verfasser in eine angenehme Stimmung versetzt, drängt sich merkwürdigerweise immer ein neuer Gegenstand vor, welcher berücksichtigt sein will. Das Thema erscheint unerschöpflich. Aber die Geduld der Leser ist dies leider nicht, und so 114 glaube ich, in deren Sinne zu handeln, wenn ich mich dem Schluß nähere.

Im Winter gedeiht bekanntlich

die wissenschaftliche Vorlesung.

Es giebt eine Anzahl Vereine, welche es für ihre Pflicht halten, ihren Mitgliedern dann und wann einen ernsten Herrn an das Katheder zu liefern, der sie in ihnen fernliegende Gebiete führt und daselbst gewaltsam unterrichtet. Man besucht solche Vorlesungen, auch wenn man nicht unterrichtet sein will, denn es sieht vortrefflich aus.

Hat man kein Talent, sich zu vertiefen, so besuche man solche Vorlesungen, um es zu lernen, da man nicht weiß, wie man es eines Tages nützlich verwenden kann. Jedenfalls ist es gut, sich den Anschein zu geben, als lausche man mit lebhaftem Interesse, und hierin erlangt man in wissenschaftlichen Vorlesungen eine schöne Übung.

Versteht man in solcher Vorlesung jedes Wort ganz deutlich, so lege man trotzdem die rechte Hand an das rechte Ohr, um der Umgebung zu zeigen, wie aufmerksam man folge und wie ängstlich man fürchte, ein einziges Wort zu verlieren.

Versteht man von dem vorgetragenen Thema nichts, so sei man nicht trostlos. Man ist nicht der einzige. Man sage sich alsdann zur Beruhigung, daß der Vortragende alles verstehen wird.

Dann und wann mache man Notizen, wozu man Taschenbuch und Bleistift mitbringen muß. Man schreibe einige gleichgültige Worte, da es sich nur darum handelt, daß man schreibt.

Um das Gähnen zu kachieren, schneuze man sich mit einem größeren Taschentuch.

Will man sich eine Gefälligkeit erweisen, so frage man den Vortragenden am Schluß der Vorlesung, 115 ob sein Vortrag im Druck erschienen sei, oder wann er erscheinen wird. Bei der herrschenden Unlust, Bücher zu kaufen, weiß man dann wieder den Titel eines Buches, das man nicht kauft.

Hat man Lust, mehr Damen zu sehen, als man in wissenschaftlichen Vorlesungen zu sehen bekommt, so besuche man eines der modernen Warenhäuser. Sonst unterlasse man solchen Besuch.

Kann man es sich leisten, so mache man, wenn die Saison in der Großstadt besonders interessant wird, eine

Reise nach der Riviera.

Dies macht von sich reden und gilt allgemein als die That eines Lebemanns oder einer Lebefamilie. Es ist dies nicht so auffallend, wie wenn man im Sommer aus einer schönen Villa aufs Land zieht, aber es macht doch immer Aufsehen.

Will man sich die Achtung seiner Dienstboten bewahren, so lasse man ihnen die Schlüssel zu allen Räumen der verlassenen Wohnung. Denn namentlich die Diener sehen gern größere Gesellschaften bei sich, für welche nicht immer die Küche Platz genug bietet.

Ist man korpulent, so habe man einen schlanken Diener, ist man aber schlank, einen korpulenten. Dies ist der Garderobe, die man nicht mit auf die Reise nimmt, sehr zuträglich, wenn man den Diener nicht nach der Riviera mitnimmt.

Man lege Wert darauf, daß die zurückbleibende Haushälterin kein dramatisches Talent besitze. Hat sie gar Neigung, zur Bühne zu gehen und die augenblicklich das Repertoire beherrschenden Heroinen auszustechen, so entlasse man sie vor der Abreise. Denn man könnte sonst sicher sein, daß sie sich nicht nur eines Tages knebelt und dann bewußtlos auffinden läßt, sondern daß auch gleichzeitig alles Silber fehlt, 116 welches einer ihrer Freunde trotz der Entwertung dieses Edelmetalls derart an sich genommen hat, daß es nicht wieder zum Vorschein kommt.

Jedenfalls lasse man die Bitte zurück, daß während des Aufenthalts an der Riviera nichts von solchen und ähnlichen Vorfällen telegraphiert werde. Denn man würde doch leicht veranlaßt werden, schleunigst zurückzukommen, während das Silber und die anderen Wertgegenstände fortbleiben, worauf man sich in den meisten Fällen verlassen kann.

Wenn man des wärmeren Klimas wegen nach Monaco reist, so nehme man nur das Geld mit, welches man unter dem Schutz des dort regierenden Fürsten verlieren kann. Viel einfacher wäre es allerdings, wenn man den Betrag an die Bank per Post einschickt, da die Bank es ja in jedem Fall gewinnt. Es ist aber anzunehmen, daß dies niemand glaubt und jeder das Geld gern selbst hinträgt, wodurch er das Porto spart.

Hat man sein ganzes Vermögen nach Monaco mitgenommen, so findet man dort, nachdem man es verloren hat, täglich Gelegenheit, sich durch einige Revolverkugeln aus der Welt zu schaffen. Zieht mag es aber vor, heimzureisen, so ist die Bankverwaltung bereit, das Eisenbahnbillet zu bezahlen, weil ihr das Knallen der Revolver seitens der Selbstmörder, welche dem Gift nicht den Vorzug geben, unangenehm ist.

Trifft man in Monaco einen sehr guten Freund, der gewonnen hat, so ist dies nicht wahr. Hat er aber wirklich gewonnen, was auch dann noch eine Reklame der Regierung sein kann, so pumpe man ihn auf der Stelle an, denn am anderen Tag ist es gewöhnlich zu spät.

So lange man noch bares Geld in der Tasche hat, ist es ratsam, jedem, den man trifft und der sich gerne im Spielsaal aufhält, zu klagen, daß man alles 117 verloren habe, um sicher zu sein, nicht angepumpt zu werden. Allerdings dauert dieser Zustand nicht lange, da man nach kurzer Zeit ebenfalls alles verloren hat. Dann klage man nicht mehr, um nicht einem guten Freund Gelegenheit zu dem alten Witz zu geben: »Wenn du auch klagst, du hast dennoch nichts.«

Trifft man im Spielsaal ein holdes junges Mädchen, welches die Augen niederschlägt und errötet, wenn man es bezaubert anschaut, so ist die ganze Geschichte nicht wahr. Man erzähle also so etwas nicht. Man ziehe es vor, zu erzählen, daß man daselbst von mehreren eleganten Damen ersucht worden sei, zwanzig Francs für sie zu setzen, und jeder wird dies glauben, denn dies ist wahr, auch wenn man es zufällig nicht erlebt haben sollte.

Hat man die Ehre, von einem eleganten Herrn aus der besten Gesellschaft, den man nicht kennt, angeredet zu werden, so freue man sich, denn es ist ein Bauernfänger, den man sich merken muß.

Wenn man seine Uhr versetzt hat, so nehme man sich in Acht, daß man, gefragt, was die Uhr sei, in der Zerstreuung nicht den Pfandschein hervorholt, um Auskunft geben zu können, wenn man dem Pfandschein auch sofort ansehen kann, was die Glocke geschlagen hat.

Kommt man dann wieder in die Heimat zurück, so erzähle man, daß man sich vortrefflich amüsiert und auch etwas gewonnen habe. Es wird aber nicht geglaubt.

Wenden wir uns noch der

Jagd

zu, welche ja auch, wenn sie nicht Beruf ist, einen gesellschaftlichen Anstrich hat und zu der man also eingeladen wird. Hat man eine solche Einladung angenommen und folgt ihr, so nehme man sich vor, die 118 Treiber zu schonen. Denn die Treiber haben dies mit den Nachtwächtern gemein, daß auch sie Menschen sind.

Kann man nicht gut lügen, so schlage man die Einladung aus. Dasselbe thue man, wenn man das Lügen nicht leiden kann und imstande ist, irgend etwas, was in einer Gesellschaft von Jägern erzählt wird, in Zweifel zu ziehen und mit einem ungläubigen Lächeln anzuhören. Jede Jagd ist eine Entenjagd, und wer dies bezweifelt, bleibe ihr fern.

Man gehe auf die Jagd, ohne einen Augenblick zu vergessen, daß die Wildhandlungen immer mit Beute versehen sind. Das erfüllt mit Mut und Seelenruhe.

Beim Wildhändler hat man genau auf das zu achten, was er einpackt. Namentlich vergewissere man sich, daß er keinen gespickten Hasen in die Jagdtasche steckt. Solches Tier ist zwar der Hausfrau ganz willkommen, man wird aber von ihr ausgelacht, da sie aus dem illustrierten Brehm weiß, daß der Hase nicht gespickt umherläuft.

Dem Schlusse uns fortwährend nähernd, finden wir auf diesem Wege andauernd Gelegenheit, uns hier und da aufzuhalten, um uns mit bisher übersehenen Situationen, in die man im Winter geraten könnte, belehrend zu beschäftigen. Aber bei näherer Betrachtung müssen wir uns doch sagen, daß diese Situationen nicht ausschließlich winterliche sind, sondern auch im Sommer eintreten, und da ich mich sehr bald einem »Leitfaden durch den Sommer« zuwenden werde, so wird sich Gelegenheit bieten, alles, was nur scheinbar unberücksichtigt blieb, auf das Sorgfältigste zu erledigen. Man gestatte mir nur noch einige Worte für den Fall, daß man dekoriert wird, da das Ordensfest in den Winter fällt.

Wird man, wie etwa Professor Menzel, mit dem höchsten Orden ausgezeichnet, so muß man selbst 119 wissen, wie man ihn entgegenzunehmen und zu tragen hat. Daß man bei dieser Gelegenheit die größte Bescheidenheit an den Tag legt und die Auszeichnung als dem ganzen Stande, dem man angehört, erwiesen bezeichnet, zugleich ihn auch als Sporn, auf dem betretenen Wege fortzuwirken, betrachtet, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. Ist man dann mit sich unter zwei Augen, so kann man sich unbeschränkt sagen, daß man die seltene Gabe ausschließlich dem verdankt, was man geleistet hat, und daß man dies geleistet haben würde, auch wenn man den höchsten Orden nicht erhalten hätte. Bemerkt man alsdann, daß alle Kollegen neidlos auf die Dekoration blicken, so wird man im Irrtum sein, der bekanntlich menschlich ist.

Weiß man längst, daß man einen Orden bekomme, so sei man derart überrascht, daß man keine Worte findet. Man finde sie erst am anderen Vormittag.

Erklärt ein Dekorierter jedem, der es nicht wissen will, ihm sei ein Orden gleichgültig, so sei man überzeugt, daß er nicht aus dem Hause geht, ohne ihn anzulegen, und ihn auch im Hause trägt. Fügte er hinzu, daß er nichts gethan habe, um in den Besitz des Ordens zu gelangen, so zweifle man nicht, daß er sich jahrelang und mit großen Opfern darum bemüht hat.

Will man ewig leben, so bekomme man einen Orden. Mit einem einzigen Orden ist noch niemand gestorben.

Und nun: Auf Wiedersehen!

 

II.
Leitfaden durch den Sommer

Sechstes Tausend

Berlin
A. Hofmann & Comp.
1905


Als ich dem geehrten Leser – ich habe überhaupt noch keinen ungeehrten Leser gesehen – meinen Leitfaden durch den Winter in die Hand gab, merkte ich sofort, daß er einer der überflüssigsten Leitfäden war, welche die Kataloge der Bibliotheken namhaft machen. Es war mir nämlich nicht möglich, auch nur einen einzigen Leser aufzutreiben, welcher mir offen oder unter dem bekannten Siegel der Verschwiegenheit mitteilte, der Leitfaden habe ihm irgend etwas genützt, und ich mußte mich in die Überzeugung finden, daß ich die vielen nutzlosen, um nicht zu sagen nichtsnutzigen Dinge, welche ich publiziert habe, um ein neues wertloses, wenn nicht bereichert, so doch vermehrt hatte. Jeder Leser wußte nämlich schon alles, was ich in meinem Leitfaden sagte. Der beste Rat, den ich gab, war billig. Man nahm jeden Fingerzeig mit einer Miene hin, als wollte man sagen: »Wer kennt den nicht, den habe ich selbst schon erteilt.« Jeder hatte jedes erlebt und genau so gethan, wie ich zu thun empfahl, denn jeder erklärte, alle meine Erfahrungen selbst gesammelt, alle meine Ratschläge selbst ausgeteilt, alle meine Betrachtungen selbst angestellt zu haben. Das war eigentlich nicht tröstlich, und am allerwenigsten konnte es mich ermuntern, meinen Leitfaden weiter zu spinnen. Es ist doch nicht die Aufgabe des Schriftstellers, nichts als ein Echo zu sein, jedenfalls muß es ihn mehr reizen, wenigstens als Souffleur zu fungieren. Als solchen konnte ich mich aber nicht betrachten, wenn ich nicht jeden berechtigen wollte, das Gerücht zu verbreiten, daß ich vom Größenwahn befallen sei.

2 Wenn ich dennoch den Leitfaden durch den Sommer da anknüpfe, wo ich den durch den Winter atropossenhaft durchschnitten habe, so hat dies, wenn ich nicht irre, folgenden Grund. Ich muß nämlich, um gegen die geschätzten Leser und auch gegen mich gerecht zu sein, feststellen, daß mir jeder versicherte, er habe meine Zeilen, mein Elaborat, mein Werkchen, meine Aufsätze u. s. w. mit großem Vergnügen gelesen, wenn er auch, wie gesagt, nichts Neues daraus erfahren habe. Aber die Form, in der ich alles zu Papier gebracht, sei eine so gefällige – ich wähle in angeborener Bescheidenheit das geringste Epitheton – gewesen, daß er das ihm längst mundgerecht gewesene Bekannte gern gelesen habe. Dies wurde mir aber mit so großer Eindringlichkeit versichert, daß ich nicht umhin konnte, anzunehmen, man wolle nur nicht willig eingestehen, daß ich viele oder doch manche neue und nützliche Lehre veröffentlicht hatte, denn dies Eingeständnis konnte doch nur so aufgefaßt werden, daß man irgend eine weise Lebensregel nicht gekannt, nicht aus eigenen Erfahrungen herausgebildet, sondern sie der Lektüre meines Werkchens zu danken habe.

Man will von einem Schriftsteller unterhalten, aber nicht belehrt sein. So viele mir auch von dem Leitfaden durch den Winter sprachen, so viele haben mir auch gesagt, sie hätten ja nichts neues gelernt, aber sich doch gefreut darüber, daß ich das alte, ihnen längst bekannte zu Papier gebracht. Das hat mich ermuntert, mein Versprechen einzulösen und den besagten Leitfaden durch den Sommer fortzuspinnen.


Ich glaube, ein Leitfaden durch den Sommer kann nützlicher werden, als der durch den Winter. Das Sommerleben ist bunter und reicher gestaltet, als das 3 Leben im Winter. Die Kälte scheint das Leben im Winter zusammenzuziehen, die Wärme das Leben im Sommer auszudehnen. Der Mensch bewegt sich im Sommer freier, ungebundener, als im Winter, in welchem er doch meist zwischen vier Wänden lebt. Das Leben ist im Sommer öffentlicher, ich möchte sagen: genialer, während es im Winter intimer, eingeschränkter, ich möchte sagen: philiströser ist. Man ist im Sommer leichter zu Ausschreitungen geneigt, zu Excessen verführt.

Der Sonnenstich

hat ohne Zweifel seine Probezeit, in der man es den Befallenen kaum anmerkt, daß sie leidend sind, während sie es in der That sind und durch ihr Benehmen nur dem scharfen Beobachter verraten, daß sie mit knapper Not dem Schlimmsten entgangen sind. Das ist die Zeit, wo der Hund ehrlich toll zu werden pflegt und getötet wird, damit er kein Unheil anrichtet, während der Mensch meist im halbtollen Zustand in Gesellschaft, oder auf Reisen geht, Unheil anrichtet und sehr höflich behandelt wird.

Wenn man im Sommer alle halb- oder ganztollen Menschen totschlüge, so würden, wie ich glaube, nur sehr wenige Menschen den Herbst erleben.

Der Tropenkoller

existiert auch in Europa, und selbst die mit einem milden Klima begnadeten Länder Europas haben ihren Tropenkoller. Da, wo der Tropenkoller zuhause ist, äußert er sich nur anders als bei uns. In den Tropen macht der Koller die Menschen wild, namentlich wenn sie dorthin geschickt sind, um unsere Kultur zu verbreiten, was schon an sich eine Grausamkeit ist. Sie mißhandeln die Schwarzen und sind außer sich, wenn diese Leute sich das nicht gefallen lassen wollen, und sie lassen Weiber peitschen, oder peitschen sie eigenhändig, Weiber, mit denen sie nicht einmal verheiratet 4 sind. In unserer Heimat führt die Bekollerung die Befallenen nicht so weit, oder nur ausnahmsweise, aber sie äußert sich doch häufig in überaus drastischer Weise und wirkt dann komisch, oder langweilig, oder recht lästig, je nach der Heftigkeit des Anfalls. Wer hätte dergleichen nicht schon erlebt!

Gegenüber solchen Zuständen ist es nach meiner und wohl auch nach der Meinung aller sommerkollerfreien und solcher Menschen, die sich einbilden, es zu sein, keinenfalls überflüssig, auf Grund mancher Erfahrungen zu belehren, zu warnen, zu leiten und dazu beizutragen, daß nicht zu viel Schaden angerichtet werde.

Die Hauptarbeit bietet dem modernen Knigge natürlich

die Reise.

Der Sommer ist die Reisezeit. Meines Wissens existiert noch kein Werk über den Umgang mit Reisenden. Dieser Umgang ist ein ganz anderer als der mit Menschen. Reisende sind meist keine Menschen, wenigstens keine ganz normalen. Es ist erstaunlich, was die Reise aus einem Menschen machen kann. Jedenfalls etwas anderes, als er bis zu dem Augenblick gewesen, wo er in den Besitz der Fahrkarte oder des Rundreisebüchleins gelangt ist. Ganz umgängliche Menschen werden das Gegenteil. Nur die langweiligen, lästigen und ungebildeten Menschen bleiben, was sie sind, wenn sie nicht noch eine Nummer langweiliger, lästiger und ungebildeter werden, was man aber nicht konstatieren kann, weil man sie erst kennen lernt, wenn sie im Waggon sitzen, oder im Hotel abgestiegen sind. Eine ganz besonders merkwürdige Gruppe bilden die in Deutschland reisenden

Engländer.

Trifft man im Waggon einen Menschen, der es jedem Mitreisenden übel zu nehmen scheint, daß er nicht zuhause geblieben ist, so ist er ein sogenannter 5 Sohn Albions. Dieser alte Albion hat seine Söhne merkwürdig erzogen, er hat ihnen vor allen Dingen eingeredet, ihnen gehöre die Welt, und sie hätten daher das Recht, die Bewohner anderer Länder als Eindringlinge zu betrachten und also zu behandeln, wie Eindringlinge dies verdienen. Als gehorsame und die Aussprüche ihres Erzeugers als den Ausdruck der höchsten Weisheit schätzende Söhne handeln sie nach den ihnen eingeimpften Lehren.

Es ist ein Beweis für die Gleichgültigkeit, welche die Eisenbahnverwaltungen den Reisenden widmen, daß sie, wie sie eigene Coupés für Raucher und Damen und eigene Waggons für Pferde, Hunde, Gänse und andere landwirtschaftliche Bevölkerungsklassen eingerichtet, nicht auch Coupés für Engländer ins Rollen gebracht hat.

Wenn in dem Augenblick, wo man das Waggonfenster geschlossen wünscht, jemand das Waggonfenster öffnet und auf die Bitte, dies zu unterlassen, keine Antwort giebt, so ist es ein Engländer.

Wenn in dem Augenblick, wo jemand das Waggonfenster geschlossen wünscht und man es öffnen will, was aber der Fensterschließer nicht duldet, so ist es gleichfalls ein Engländer.

Will sich der Reisende wohl fühlen, so setze er sich einem Engländer gegenüber, der den Gegenübersitzenden nicht die Füße auf den Schooß legt. Thut er es aber nachher, so scherze man, der Engländer sei gut aufgelegt, sonst beginnt er zu boxen.

Bevor man auf die Reise geht, lerne man aus diesem Grunde boxen. Das Boxen ist in acht Wochen vollständig zu lernen, wenn man von dem Faustprofessor nicht in den ersten vier Stunden totgeboxt wird. In diesem Fall ist es nichts, und man kommt in den Himmel, ohne boxen zu können.

Kann man boxen, so nehme man den Kampf mit 6 dem Engländer auf, gegen den man nicht aufzukommen vermag, weil ihm die Grazien das Boxen in die Wiege gelegt haben.

Spricht der Engländer deutsch, so ist es kein Engländer. Nur wenn er keine Antwort giebt, weil man nicht englisch spricht, dann ist er echt.

Findet man auf der Veranda eines Hotels ein Paar Stiefel auf einem Sessel, so wird es von einem auf einem danebenstehenden Stuhl sitzenden Engländer getragen.

Ärgern sich Engländer, daß sie nicht allein, sondern daß auch Angehörige anderer Nationalitäten in einem Hotel sind, so bemerke man dies mit innigem Vergnügen, bedaure aber die Angehörigen anderer Nationalitäten. Denn es ist menschlich, so zu handeln.

Findet man, daß die Engländer irgendwo durch große Gentilität das Leben verteuert haben, so irrt man sich. Denn sie sind immer gute Kaufleute gewesen und haben stets lieber genommen als gegeben.

Sitzt man in einem Coupé für Nichtraucher und ein Engländer raucht, so mache man ihn darauf aufmerksam, daß dies nicht erlaubt sei, und gehe dann, da dies nicht berücksichtigt wird, in ein Coupé für Nichtraucher. Denn es ist vor allem nötig, daß man sich nichts gefallen läßt.

Man glaube aber nicht, daß die Engländer die einzigen unangenehmen Reisenden sind, denn die Täuschung wäre zu groß.

Ist man

im Hotel

eben eingeschlafen und es wird im Nebenzimmer gesungen oder laut geschwatzt, so wache man nicht auf, da das Wiedereinschlafen nicht leicht zu sein pflegt. Man werfe dann auch nicht einen Stiefel an die Thür des geräuschvollen Nebenzimmers, weil dies nichts nützt und dem Stiefel sogar schadet. Man 7 warte ruhig, bis es im Nebenzimmer ruhig wird und fange dann selber zu toben an. Das wird die beste Warnung für die folgende Nacht sein.

Wenn man nach dem Hausknecht verlangt und will sich nicht darüber ärgern, daß er nicht kommt, so klingele man nicht. Dann ist man vor dem bezeichneten Ärger bewahrt.

Man lasse sich im Hotel keine Cigarren bringen, da man in jedem Cigarrenladen mindestens ebenso schlechte billiger kaufen kann.

Legt man sich schlafen, so verschließe man die Thür. Denn es könnte doch sein, daß einem anderen Hotelbewohner einfällt, er habe dir nicht gute Nacht gewünscht, aufsteht, in dein Zimmer schleicht und deine Uhr mitnimmt. Dasselbe gilt von der Brieftasche und der Brillantnadel.

Man merke sich genau, was man im Hotel verzehrt und kontrolliere die Rechnung genau, denn es giebt unter den Wirten einige Zechpreller.

Lernt man auf der Reise eine Dame kennen, in deren blaue Augen man sich so verliebt, daß sie sich gern dir anschließt und dann bei der ersten besten Gelegenheit mit deinem Portemonnaie davongeht, so freue man sich, gleichfalls mit blauem Auge davongekommen zu sein.

Hier möchte ich einiges über die

Hochzeitsreisen

anschließen, obschon solche in allen Jahreszeiten unternommen werden, weil die Standesämter keine Ferien haben.

Da man als Bräutigam die Frau, welche man bekommt, nicht kennen lernte, so versuche man nicht, auf der Hochzeitsreise das Versäumte nachzuholen, da es zu spät ist.

Man gebe seiner jungen Frau auf der 8 Hochzeitsreise keinen Grund zur Eifersucht, da dies dann am leichtesten ist.

Da man an allen ihren Unterhaltungen teilnimmt, so gewähre man ihr jeden dahinzielenden Wunsch auf das zuvorkommendste.

Gerät man mit der jungen Frau in einen Streit, so gebe man nach. Nicht, weil der Klügere nachgiebt. Dies ist ein durchaus falscher Satz. Man gebe vielmehr nach, weil dies eine gute Übung für die Zukunft ist.

Man glaube nicht, daß es richtig sei, schon auf der Hochzeitsreise zeigen zu müssen, daß man Herr im Hause ist. Erstens ist man auf der Reise nicht im Hause, und zweitens lacht jede Frau über solche Versuche, ihr die Herrschaft zu nehmen.

Gleich nach jedem Zank schreibe man an die Angehörigen und Freunde, daß man sich sehr glücklich fühle. Hierzu bediene man sich der Ansichtspostkarten, damit man nicht ausführlich zu werden braucht. Nach dem fünften Zank versichere man an dieselben Adressen, daß noch kein dunkles Wölkchen den Himmel des Glücks getrübt habe. An diese Redensart hat man sich längst gewöhnt, niemand denkt sich etwas dabei, und sie verpflichtet zu nichts.

Wird der junge Gatte von seiner neuen Lebensgefährtin gefragt, ob sie seine erste Liebe sei, so bejahe er diese Frage. Natürlich glaubt sie ihm das nicht.

Wird die junge Gattin von ihrem neuen Lebensgefährten gefragt, ob er ihre erste Liebe sei, so bejahe sie diese Frage. Natürlich glaubt er ihr das.

Der junge Gatte mache keine Witze über seine Schwiegermutter, weil dies sehr geschmacklos ist, sondern zeige auf andere Weise, daß ihm nichts neues einfällt.

An der Table d'hôte verschlinge das junge Paar sich nicht mit den Augen, sondern esse etwas, was 9 sättigt. Der Preis des Couverts bleibt derselbe, und es kommt später sicher die Zeit, wo man sich wundert, daß man einmal so dumm gewesen ist, sich nicht satt zu essen.

Der junge Gatte übertreibe die Galanterie nicht, damit sein späteres Verhalten nicht zu sehr auffalle, besonders wenn die Dame ein gutes Gedächtnis hat. Hat sie aber ein schlechtes Gedächtnis, so empfiehlt sich die Mäßigkeit auf diesem Gebiet schon wegen der größeren Billigkeit.

Auch wenn beide geschworen haben, sie hätten nie geliebt, ist es praktisch, gewisse Briefschaften vor dem Antritt der Hochzeitsreise einzuäschern. Denn nur die Asche, trotzdem sie weiblichen Geschlechts, ist diskret.

Wir kehren zu den Sommerreisen zurück.

Hat man das große Glück, vor der Stadt eine Villa zu besitzen, welche schöner ist, als irgend ein Haus, das man auf der Reise bezieht, so verläßt man sie in den ersten warmen Tagen, um alle Unbequemlichkeiten einer sogenannten Sommerfrische vorzuziehen. Dies ist allen Reichen ohne Ausnahme zu empfehlen, damit sie nicht übermütig werden. Auch pflegen die Einbrecher, welche mit Vorliebe unbewohnte Landhäuser ausplündern, sehr für solche Sommerreisen eingenommen zu sein. Ich weiß dies genau, und man braucht deshalb keine Erkundigung in Einbrecherkreisen einzuziehen.

Man nehme nicht zu viele Schmuckgegenstände in die Sommerfrische mit, obschon sie auch dort gestohlen werden können. Ist dies an einem Ort geschehen, wo es keine Zeitungen giebt, in denen man den Diebstahl bekannt machen und vor dem Ankauf der Wertsachen warnen kann, so bekommt man diese auch nicht wieder, wenn man sie von einem Dorfbeamten ausklingeln oder austrommeln läßt.

10 Bevor man in der Sommerfrische eine Wohnung bezieht, lasse man sich vom Vermieter versichern, daß sie ungezieferfrei ist. Nachdem man diese Versicherung erhalten hat, ziehe man ein, um nachts eine um so größere Überraschung zu erleben, namentlich aber die Freude darüber, daß man sich mit Insektenpulver und ähnlichen Reiseutensilien versehen hat. Wer dergleichen nicht besitzt, merke sich was folgt: Wanzen in Betten vermeidet man am sichersten dadurch, daß man auf dem Sofa oder auf zwei Stühlen schläft. Die Zahl der Schwaben verringert man gewöhnlich durch Töten dieser unsympathischen Haustiere. Flöhe werden dadurch zur Strecke gebracht, daß man ruhig wartet, bis sie sich, vom Springen ermüdet, irgendwo niedersetzen und arglos, wie sie sind, ergreifen lassen. Hat man sie ergriffen, so ist es eine Kleinigkeit für den Jäger, sie unschädlich zu machen. Gegen Ratten und Mäuse bediene man sich der Fallen, welche sich bequemer als Reisekatzen mitführen lassen. Bemerkt man nach dem Schlafengehen, daß sich eine Fledermaus im Zimmer gefangen sieht, so öffnet man alle Fenster und wartet, bis sie wieder herausgeflogen ist. Dann schließt man rasch die Fenster und schläft beruhigt ein.

Ist das Haus, von welchem aus man die Sommerfrische genießen will, durch Fliegen belebt, so wird man wohl selbst wissen, daß es gegen diese Plage kein besseres Mittel als Winterkälte giebt, welche allerdings fast unfehlbar wirkt, aber nicht abgewartet werden kann. Man bediene sich also aller bekannten Abwehrinstrumente und Kammerjägermittel, um einsehen zu können, daß alle nichts nützen. Da Fliegenflaschen, in denen der Spiritus jede Fliege, welche in ihn hineingeraten, betäubt und tötet, nicht aufzutreiben sein werden, sind die bekannten Fliegenstöcke zu empfehlen, welche gleichfalls selten zu haben sind, während sie in großen Städten zu Tausenden durch 11 den Kleinhandel vertrieben werden. Sind die Fliegenstöcke aber in der Sommerfrische herbeizuschaffen, so bilden sie, selbst von bethörten Fliegen bedeckt, sogar einen Zimmerschmuck, der in Sommerhäusern selten zu sein pflegt. Allerdings muß man sie nicht näher betrachten, da der Anblick des Stangenkletterns der angeklebten Fliegen, welches in einem vergeblichen Bemühen, loszukommen, besteht, kein erquicklicher sein kann.

Über die Mücken mache man sich keine Sorgen. Man trifft sie an allen Orten der Sommerfrische. Gegen ihre Stiche verkauft jede Apotheke einige Flüssigkeiten, mit denen man die Haut oder die Verletzungen derselben einreibt. Helfen sie nicht, so spare man sich den Weg in die Apotheke, da sie das Geld um keinen Preis zurückzahlt und weil sie ferner von der Unwirksamkeit der verkauften Mittel bereits vollkommen unterrichtet ist.

Fordern die Wirtsleute einen unverschämt hohen Mietspreis, so greife man zu, weil ihre Forderung am andern Tag eine noch unverschämtere werden würde, wenn die Wohnung dann überhaupt noch zu haben ist.

Findet man, daß die Wirtsleute grob sind, so sei man selbst höflich, damit sich die eigene Bildung hier um so schärfer von dem dunklen Hintergrund abhebe. In anderer Weise ist kein Nutzen aus der Grobheit der Wirtsleute zu ziehen. Ändern läßt sich an ihr aber nichts.

Befindet sich in der Nähe der Sommerwohnung, in welcher man sich gründlich erholen will, eine klappernde Mühle, eine Schmiede, eine Kinderschule, ein Sägewerk oder dergleichen, so wird man sich nach etwa acht Tagen an den betreffenden Lärm so gewöhnt haben, daß man ihn kaum noch störend vernimmt, ja, daß man ihn später in der Heimat vermißt.

12 Mit den Mägden und anderen weiblichen Dorfbewohnern lasse man sich in keine näheren Beziehungen ein. Sie sind sehr tugendhaft und haben schon ein Verhältnis mit einem muskulösen Standesgenossen, mit dem nicht zu spaßen, sondern nur zu raufen ist, was nicht jedermanns Sache zu sein pflegt.

Speist man im Freien, weil dies der Seele und dem Körper vorteilhaft ist, und es fällt eine Raupe in die Suppe, so gerate man nicht in Zorn, denn sie kann nichts dafür, und es ist ein Unglück für sie. Man fische sie heraus und werfe sie fort, ein anderer Rat fällt mir in diesem Augenblick nicht ein. Auch wohl später nicht.

Ist man ein Freund des Sports, so veranstaltet man ein Schneckenwettrennen im Garten hinter oder vor dem Sommerhause. Schnecken sind leicht aufzutreiben. Alsdann stellt man etwa zehn nebeneinander und beobachtet nun, welche von ihnen nach einer Viertelstunde zuerst den weitesten Weg zurückgelegt hat. Trägt diese Unterhaltung auch nicht zur Veredlung der Schnecken bei, wie dies bei den Pferden der Fall ist, so vergeht doch die Zeit angenehm, und dies ist ohne Zweifel in der Sommerfrische die Hauptsache.

Man verschiebe die Heimreise, wenn dies sich irgend ermöglichen läßt. Denn die Heimreise ist jedenfalls das Erfreulichste an einer Sommerreise, und indem man sie vertagt, genießt man also die Freude des Erwartens um so länger.

Befinden sich in der Nähe der Sommerfrische

hohe Berge,

welche Gletscher, Abgründe, steile Felskegel, Lawinen und ähnliche interessante Eigentümlichkeiten aufzuweisen haben, so hüte man sich, Freunden zu begegnen, welche des passionierten Bergsteigens verdächtig sind. Wird man eingeladen, den Berg zu ersteigen, so sage 13 man zu und erscheine nicht an der Stelle, an welcher aufgebrochen wird. Man bedenke immer, daß es eine große Freude ist, bei einem Absturz mit einigen unbedeutenden Hautabschürfungen davonzukommen, daß solches aber niemals der Fall ist. Meist wird man später zerschmettert aufgefunden.

Man lasse sich nicht durch die Thatsachen verführen, daß man, abgestürzt, in allen Blättern genannt und so auf leichte Art populär wird. Man bedenke, daß dies doch mit dem Leben oder den gesunden Gliedern viel zu teuer bezahlt sein kann.

Es giebt allerdings Fälle, wo alles Sträuben nichts hilft und man der Einladung, das Klettern mitzumachen, mit dem besten Willen nicht auszuweichen vermag. Nun, wenn alle Stricke reißen, so lasse man sich anseilen.

Will man sich ohne Gefahr amüsieren, so kaufe man sich einen Alpenstock und lasse eine Anzahl Höhennamen hineinschneiden. Das Amüsement besteht darin, daß in der Heimat dem betreffenden Alpenstock geglaubt und daß man als Bergsteiger bewundert wird, während man doch nur ein gewöhnlicher Thalsteiger ist.

Man lasse sich durch die Billigkeit eines Führers nicht verleiten, irgend eine höchste Spitze zu erklimmen. Wenn man abstürzt, so wird dies Vergnügen durch den billigen Preis, für den der Führer mitgegangen ist, nicht gesteigert. Aber man versäume nicht, den billigen Führer zu empfehlen, um ihm Kunden zu verschaffen, denn er ist kein reicher Mann und hat gewöhnlich eine große Familie zu ernähren.

Will man aber eine halsbrecherische Tour unternehmen, so lasse man solche bis nach der Sommerreise. In die Heimat zurückgekehrt, ersteige man ein im Bau begriffenes hohes Gebäude mit Benutzung der außen angebrachten Leitern. Auch hier kann ein großes Unglück geschehen.

14 Wer das Glück hat, eine schön gelegene

Sommerwohnung

in der Nähe der Stadt zu besitzen, soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Denn am Abend können Gäste aus der Stadt kommen. Aus einem ähnlichen Grund soll ein solcher Mann auch den Morgen nicht vor dem Mittag und den Mittag nicht vor dem Nachmittag, wie die Nacht nicht vor dem Morgen loben.

Wenn man merken will, daß man viele Freunde und Bekannte hat, so habe man eine Sommerwohnung, und man wird sofort und täglich merken, daß man mehr Freunde und Bekannte hat, als man, so lange man in der Stadt wohnte, zu haben glaubte.

Will man eine Probe auf dies Exempel machen, so ziehe man in die Stadt zurück. Hier wird man wochenlang wenige Freunde und Bekannte haben, wohl auch ganz allein sein müssen.

Man sorge für gutes Wetter, wenn man eine Landwohnung hat, denn man nimmt dem Landwohner schlechtes Wetter sehr übel, welches allerdings das Wiederkommen der Besucher nicht verhindert.

Liebt man es, Freunde auch nachts im Hause zu haben, so sorge man für Fremdenzimmer. Andernfalls erinnere man beim Abendessen von zehn zu zehn Minuten daran, daß der vorletzte Omnibus, das vorletzte Dampfboot oder der vorletzte Eisenbahnzug präzise (folgt Angabe der Zeit) nach der Stadt abgehe. In der Zeit irre man sich um zehn Minuten zu seinen Gunsten.

Sind die Früchte im Garten reif, so behaupte man das Gegenteil und erzähle eine Schaudergeschichte von einem Cholerafall infolge des Genusses unreifer Früchte.

Sehnt man sich nach zertretenen Rasenplätzen und ruinierten Blumenbeeten, so bitte man die 15 eingeladenen Paare, ihre Kinder mitzubringen. Sie bringen sie mit.

Man strenge sich an, die Gäste so zufrieden zu stellen, daß sie die Stadt vergessen und sagen müssen, daß sie in einem guten Restaurant nicht besser bedient würden. Denn sie werden sich jedenfalls über mangelhafte Verpflegung beklagen und nur wiederkommen, um zu sehen, ob sie vielleicht besser geworden ist.

Man schärfe dem Dienstmädchen ein, solchen Gästen, welche schon beim Fortgehen auf die Verpflegung schelten, kein Trinkgeld zu geben, um sie milder zu stimmen. Sie würden es wahrscheinlich nicht nehmen, aber wenn sie es nehmen, so würde es nichts nützen. Der Nörgeler ist unverbesserlich, namentlich in Sommerwohnungen, in denen er Besuche abstattet.

Man nenne die Sommerwohnung, in deren Garten man sich während der Visite einen Schnupfen geholt zu haben glaubt, nicht gleich Mördergrube. Der Freund, der sie besitzt oder gemietet hat, brachte dir doch den Schnupfen nicht künstlich bei, und der Schnupfen verschwindet schneller, als die Bezeichnung Mördergrube, wenn du sie in Freundeskreisen verbreitet hast.

Natürlich spielt die sogenannte

Badereise

die Hauptrolle im Sommer.

Es gab eine Zeit, wo nur der Kranke eine Badereise unternahm, um sich die Heilung oder Linderung zu holen. Das hat aufgehört. Jetzt werden Badereisen meist von Gesunden unternommen, um sich angenehm zu unterhalten, eine geringere Zahl von solchen Gesunden wird auf die Badereise von den Ärzten geschickt, welche einige Sommerwochen Ruhe haben, nicht täglich Besuche machen und nachts nicht 16 herausgeklingelt sein wollen. Solche Ärzte werden namentlich von Damen allen andern vorgezogen.

Wenn nur Kranke Badereisen unternähmen, so würden die Heilorte verteufelt schlechte Geschäfte machen.

Gesunde Damen, welche um jeden Preis eine Badereise thun wollen, haben solche schon während des Frühlings sorgfältig nötig zu machen. Wenn der Gatte an nichts Böses denkt, – und es giebt auch solche Gatten, – haben die Frauen über zunehmende Korpulenz zu klagen, auch wenn von dieser Korpulenz nichts zu sehen ist, als irgend eines der vielen Hilfseinrichtungen, große körperliche Steilheit zu verbergen.

Ferner zu empfehlen ist: Die Dame frühstückt in Abwesenheit ihres Gatten reichlich und ißt dann mittags nichts. Während dieser Unthätigkeit sind Klagen über gänzlich verschwundenen Appetit auszustoßen. Wird sie dabei von ihrem Gatten sehr besorgt und kopfschüttelnd angesehen, so thut sie ein Übriges und sage etwas von ihrer Furcht vor Magenerweiterung und ähnlichen Luftschlössern.

Vergeht dadurch dem Gatten der Appetit, so ist der erste Spatenstich zum Kofferpacken geschehen.

Hat der Gatte das Begehren, dann und wann den Junggesellen zu spielen, indem er den Ring in der Westentasche trägt, so hat es die Gattin leichter. Dann kommt ihr der Gatte wohl mit der Aufforderung, im Sommer etwas für ihre Gesundheit zu unternehmen, entgegen. Dann willigen die Damen nicht ein, ohne den Gatten zu bitten, sie nicht allein reisen zu lassen, was er dann unter irgend einer zugkräftigen Unwahrheit ablehnen wird, aber doch gerne hörte. So ist beiden geholfen.

17 Hat die Dame allein die Badereise angetreten, so schildere sie, angelangt, die Öde des Badeortes, wenn sie sich umgesehen und sich überzeugt hat, daß sie sich sehr gut unterhalten wird. Trifft sie einen ihrer tapfersten Verehrer, so kündigt sie dies ihrem Gatten mit den Worten an: »Was die Gesellschaft betrifft, so ist solche überhaupt nicht vorhanden. ich habe wenigstens nicht einen Bekannten gesehen.«

Ähnlich schreibt der Mann, der seine Frau am häuslichen Herd zurückgelassen hat, wenn er in dem Badeort eine Jugendfreundin wiederfand, welche gleichfalls Heilung sucht.

Man hüte sich in einem Kurort, das erste Bouquet zu verschenken. Il n'y a que le premier bouquet qui coûte. Denn dann nehmen die Bouquets keine Ende.

Wenn man in einem Badeort keine Ruhe haben will, so ist dies leicht zu veranstalten. Man braucht nur leicht zugänglich zu sein. Es finden sich dann immer Leute, welche andere langweilen, um sich selbst nicht zu ennuyieren.

Man habe die löbliche Absicht, seinen Lieben etwas schönes von der Reise mitzubringen und kaufe in Badeorten nichts. Auf diese Weise kann man Geld sparen. Ein anderes Mittel kenne ich nicht.

Hat man aber viel Geld oder noch mehr und hat nicht darauf zu sehen, daß es sich vermehre, so spiele man mit Herren, denen man eben vorgestellt worden ist. Alsbald vermehrt sich das Geld nicht. Hat man im Gegenteil alles verloren, so bestelle man sich per Telegraph von seinem Bankier eine größere Summe und erwiedere die Grüße der erwähnten Herren nicht mehr, denn es sind Bauernfänger. Will man aber erfahren, daß es ehrliche Leute sind, so frage man nur sie selbst.

Trifft man am Brunnen eine tiefschwarz gekleidete Dame, die im vorigen Jahr ihren Gatten und gestern 18 ihr Portemonnaie verloren hat, so entferne man sich schleunigst, um dem jungen Mädchen den Schmerz zu ersparen, durch weitere Mitteilungen ihre Wunden noch weiter aufzureißen.

Sieht man dann am folgenden Tag an der Mittagstafel die Beklagenswerte in Gesellschaft eines reichen Amerikaners, so erhebe man sich zum Zeichen ehrender Teilnahme, was der reiche Amerikaner nicht bemerken wird.

Ist man Freund von romantischen Erzählungen, so lasse man sich von diesem Amerikaner das Glück schildern, das ihm in den Schooß fiel, indem er durch einen wunderbaren Zufall die junge Wittwe kennen lernte. Man beeile sich aber, denn es könnte doch sein, daß das beglückende Mädchen mit einem reicheren Amerikaner durchbrennt. Dann ist es zu spät.

Will man im Kurorttheater eine neue Operette hören, so warte man, bis »Die Fledermaus« gegeben wird und gehe hinein. Eine neuere Operette hat das Repertoire nicht aufzuweisen. Gastiert darin eine berühmte Soubrette, so darf man überzeugt sein, daß sie überhaupt nur gastiert, weil sie nirgends mehr engagiert wird. Lernt man sie persönlich kennen, so sage man ihr nicht, daß man sie bereits vor neunundzwanzig Jahren als Martha gehört habe. Denn dies ist vielleicht schon vierunddreißig Jahre her, und dann hat man sich blamiert.

Auf dem Wege zum Speisen weiche man behutsam solchen Personen aus, welche gerne ihre Krankheitsgeschichte erzählen. Hat aber jemand zu erzählen begonnen, so entschuldige man sich, indem man versichert, man habe leider Appetit, und entferne sich mit Schleue.

Hat man längere Zeit schlecht gegessen und wird man von einem Besucher des Badeorts mit der Behauptung, dort sei das Essen ganz vortrefflich, in ein anderes Restaurant geschickt, so sage man nicht, dies 19 sei nicht wahr, bis man sich davon überzeugt hat. Man glaube aber nicht, daß man sich nicht davon überzeugen wird.

Wird man bei Tisch gut bedient, so gebe man freudig die verschiedenen Trinkgelder. Wird man schlecht bedient, so gebe man dieselbe Summe, wenn man morgen nicht noch schlechter bedient werden will.

Findet in manchen Kurorten schon in aller Frühe Musik statt, so ist man machtlos dagegen. Man versuche es einmal, um nichts unversucht zu lassen, mit einer Petition an die oberste Behörde des Städtchens, aber man wird keinen Erfolg zu verzeichnen haben. Das Kurorchester ist meist aus steuerzahlenden Bürgern des Badeorts zusammengesetzt, mit deren Gewerbeschein nicht zu spaßen sein dürfte, auch pflegen sie verheiratet zu sein und etliche Kinder komponiert zu haben. Man entschließe sich aber einmal, mit verstopfen Ohren an den Brunnen oder an die Quelle zu gehen, wozu man sich nicht zweimal entschließt, denn es sieht schlecht aus und nützt nichts.

Wird dem Kurgast die Zeit lang, so ist ihm das Folgende zum Zeitvertreib zu empfehlen. 1. Er richte wegen der Höhe der Kurtaxe eine Eingabe an die Badedirektion. Dieselbe wird zurückgewiesen. Alsdann wiederholt man die Reklamation. Auch diese findet keine Berücksichtigung. Alsdann zahlt man. 2. Rasiere er sich selbst, wenn er bisher gewöhnt war, sich rasieren zu lassen. Dies ist sehr unterhaltend, besonders anfangs, wo man sich ab und zu noch schneidet. 3. Gehe er zum Photographen, blättere im Vorzimmer in dem dort ausliegenden alten Jahrgang der »Fliegenden Blätter« und gehe dann wieder fort, ohne photographiert worden zu sein. Dies ist wohl das Kurzweiligste in einem Kurort.

Werden Ausflüge unternommen, an denen man teilnimmt, so finde man sich erst im Augenblick des 20 Aufbruchs am Sammelplatz ein, so daß die Damen ihre Regenmäntel, Taschen, Schirme und andere nicht unwichtige Gegenstande bereits unter die Herren zum Tragen verteilt haben. Dies wird für ungalant und egoistisch gehalten, befreit aber von einer höchst langweiligen Last.

Will man auf gemeinschaftlichen Ausfahrten nicht durch Gespräche, die man bereits auswendig weiß, in Anspruch genommen sein, so suche man einen Sitz neben dem Kutscher zu erobern, welcher gegen ein kleines Trinkgeld das tiefste Schweigen leistet, was durch eine Gabe bei einem Kurgast nicht zu erreichen sein würde, selbst wenn er die Gabe einsteckte.

Besucht man einen Kurort gern, so wäre es sehr unvorsichtig, derart kurgemäß zu leben, daß man ihn geheilt verläßt und ihn im nächsten Jahr nicht wieder aufsuchen müßte. Man lebe also genau nach der Vorschrift der Ärzte, deren Interesse es ist, daß der Kurgast wiederkehrt. Hieraus folgt, daß man sich vor Ausschreitungen hüte, welche man sich selbst verschreibt, denn solche könnten gerade zur völligen Wiederherstellung führen, die man weise zu vermeiden sucht.

Nach der Ankunft in einem Kurort miete man sofort eine passende Wohnung. Hat man solche gefunden und fragt den Wirt, was sie koste, so sagt er das Doppelte. Sofort biete man, was sehr unvorsichtig ist, die Hälfte, denn man bekommt sie für diesen Preis, der noch um ein Viertel zu hoch ist. Man darf aber nie vergessen, daß die Wirte doch im Winter leben wollen.

Man wird in Kurorten häufig von alten Bekannten oder von noch älteren Unbekannten angeredet, welche nichts zu reden haben und sich daher kurortsüblicher Phrasen bedienen. Man sei also auf passende Antworten gefaßt. In der ersten Zeit des Aufenthalts wird 21 man gefragt: »Sind Sie wieder hier?«, worauf man rasch nein antwortet. Dieselbe Antwort giebt man, wenn der Aufenthalt zu Ende geht, auf die Frage: »Sind Sie noch hier?« In solcher Weise trägt man vielleicht nichts dazu bei, daß diese dummen Fragen aufhören.

Ist man allein in einem kurzweiligen Kurort, so schreibe man nicht zu zärtlich an die Gattin. Sie kommt sicher.

Dieselbe Vorsicht hat die Frau zu beobachten, welche in einem kurzweiligen Kurort allein ist. Der Gatte kommt vielleicht.

Der Sommer ist vorzugsweise für Feste reserviert, welche sich zum großen Teil im Freien abspielen. Unter diesen stehen die Feste der

Sänger, Turner- und Schützenvereine

obenan. Sie sind bekanntlich der Schrecken der Städte, welchen von den Festgenossen der Vorzug gegeben worden ist und die zum Schauplatz des betreffenden Festes erhoben sind.

Da diese Städte mit sogenanntem Vergnügen die ehrenvolle Verpflichtung übernehmen, die lieben Gäste so splendid wie möglich zu empfangen und ihnen die Anwesenheit recht freundlich und billig zu gestalten, und da sich die Eisenbahnverwaltungen mit wahrem Entsetzen für verpflichtet halten, den lieben Festteilnehmern sehr billige Fahrkarten zur Verfügung zu stellen, so thut man gut, nicht nur einem dieser Vereine, sondern zweien oder allen dreien anzugehören, um von dem erschütternden Entgegenkommen dieser Städte und Eisenbahnverwaltungen einen fast kostenlosen Gebrauch machen zu können.

Ist man also nicht vergnügungssüchtig und singt, turnt und schießt man nicht, so wird man rechtzeitig 22 Mitglied dieser drei Vereine und macht ihre Wanderfeste mit, nachdem man die billige Eisenbahnkarte bezahlt oder umsonst erhalten hat.

In der zum Fest bestimmten Stadt angelangt, wird man mit den andern Festgenossen, auch Brüder genannt, schon auf dem Bahnhof willkommen geheißen, was niemals geschähe, wenn man als einzelner Reisender, der seine Fahrkarte voll bezahlt hat, kein Freiquartier bekommt, nicht zu großen Festtafeln geladen wird und nicht an anderen Unterhaltungen und Festlichkeiten kostenlos teilnimmt.

Wird man zur Eröffnung des Festes am ersten Abend vom Bürgermeister der Feststadt feierlich angeredet und bildet man in dieser Anrede mit den anderen Brüdern eine Korporation, auf die das Vaterland mit gerechtem Stolz blickt und welcher das Reich Einigkeit und Festigkeit und Schutz seiner heiligsten Güter mitverdankt, so stimme man dankbar in das Hoch auf die Korporation ein, mit welchem der Bürgermeister schließt.

Es findet dann gleich der Sturm auf das Buffet statt, welches sich unter der Last der Erfrischungen beugt.

Während an den folgenden Tagen die beratenden Sitzungen stattfinden, bekümmere man sich um die Sehenswürdigkeiten der Stadt, erinnere sich aber präzise der Pflicht, dem gemeinsamen von der Stadt gegebenen Frühstück und Mittagessen beizuwohnen und an den gleichfalls von der Stadt arrangierten Ausflügen teilzunehmen, um zu beweisen, daß man den Bestrebungen des Sänger-, Turner- oder Schützenverbandes gewissenhaft und von ganzem Herzen nahesteht. So viel ideales Streben muß von jedem Bruder an den Tag gelegt werden.

Ist die Feststadt eine größere, die ein Theater besitzt, und hat dies Theater eine Festvorstellung, für 23 die Teilnehmer des Festes gratis, arrangiert, so versäume man auch diese nicht, auch wenn man das angekündigte Stück schon kennt. Man muß eben bereit sein, der Zusammengehörigkeit ein Opfer zu bringen.

Man sei auch darin ein ganzer Mann, daß man die an den Festtafeln zur Verteilung kommenden Lieder nicht nur mitsingt, sondern sie auch sorgfältig einsteckt und mit in die Heimat nimmt.

Dem Zank der Brüder, oder gar einer zwischen ihnen ausbrechenden Prügelei bleibe man fern, damit man nicht als Zeuge beunruhigt werden kann. Man ziehe in eigenem Interesse vor, weiterzutrinken und höchstens den Kopf zu schütteln.

Gegen die Wirte des Freiquartiers sei man freundlich, wie es sich für das Mitglied eines Verbandes paßt, zu dem das Vaterland mit Stolz aufblickt. Gegen das Dienstmädchen, welches morgens das Frühstück bringt, benehme man sich ebenso.

Wohnt man als Freibeuter einem Sängertag bei, so singe man nicht nach dem Aufstehen, um sich den Wirtsleuten nicht zu verraten. Man ziehe es vor, zu turnen, während man, wenn man in gleicher Eigenschaft einem turnerischen Fest beiwohnt, getrost singen kann. Hat man aber als Teilnehmer eines Sängertages zufällig Stimme, so singe man gern und selbst bei unpassenden Gelegenheiten, so z. B. wenn die Hausfrau Zahnschmerzen hat. Aber es wird dann doch bemerkt, daß man einem Verbande angehört, auf den das Vaterland mit Stolz aufblickt.

Wohl mit größerem Stolz als auf die Sänger und Turner blickt das Vaterland auf die Schützen. Aber man sollte sich trotzdem damit begnügen, die Feste der Sänger und Turner mitzumachen und den Schützenfesten fernbleiben. Denn es wird auf Schützenfesten doch viel getrunken, und also könnte man doch leicht jemand über den Haufen schießen. Allerdings 24 käme man mit geringer Strafe davon, aber so kurz ist keine Gefängnißstrafe, daß man sie nicht lieber ganz vermiede.

Dem wirklichen Turner, Sänger oder Schützen ist aufrichtig Glück zu wünschen, ihm aber auch ans Herz zu legen, daß er, wenn er in seiner Eigenschaft als Bürger Mitglied eines Parlaments würde, nicht so energische Reden gegen die Verwaltungen halte, wenn ihm diese nicht sparsam genug erscheinen. Denn er hat ja auf seinen Wanderfesten die armen Städte zu großen Ausgaben verleitet und hätte jeden angeschrieen, der sie zur Sparsamkeit hätte veranlassen wollen.

Wenn man Lust hat, sich im Sommer von einigen Städten gut sättigen und unterhalten und von den Eisenbahnen billig befördern zu lassen und kann bei den Turnern, Sängern und Schützen kein Unterkommen finden, so wende man sich an andere Korporationen und Vereine, welche billig zu reisen und sich ebenso beköstigt wünschen. Mit Ausnahme des Berufs der Nachtwächter hat jeder Beruf seinen Tag.

Ist man impressionistischer Maler, so wundere man sich nicht, daß man anderswo die Bäume nicht blau und das Gras nicht rot findet wie in der Heimat. Die Bäume sind nun einmal anderswo nicht blau und das Gras nicht rot, das steht fest.

Ist man Arzt und macht einen

Ärztetag

mit, so wird man seinen Patienten einen Gefallen thun, wenn man die Vorträge schwänzt, damit man keine neu erfundene Krankheit mit nach Hause bringt.

Ist man Journalist und nimmt an einem

Journalisten- oder Schriftstellertag

teil, so donnere man eine fulminante Rede gegen den Nachdruck, den man als frechen Straßenraub bezeichnet, 25 durch den der arme Kollege das geistige Eigentum einbüßt. Namentlich thue man dies, wenn man selbst das Verbrechen des Nachdrucks verübt. Deshalb zur Rede gestellt, erzähle man von dem Diebe, der verfolgt wurde und »Haltet den Dieb!« schrie.

Als dramatischer Künstler einer

Wanderversammlung der Bühnengenossenschaft

beiwohnend, spreche man, wenn man das Wort ergreift, nicht von einem geehrten Vorredner, sondern von einem berühmten Seelenmaler, der eben gesprochen hat. Doch auch ohne diese Bezeichnung sagt sich die Versammlung, daß man den geehrten Vorredner für einen hilflosen Stümper hält, der keine blasse Ahnung von den Rollen hat, welche er verzapft.

Wird man dann von einem Kollegen mit den Worten angeredet, er freue sich, endlich die persönliche Bekanntschaft des berühmten Darstellers des Mephistopheles machen zu können, so sei man überzeugt, daß er ein anderes Fach spielt und man in seinen Augen eine zweibeinige Null ist.

Will man nicht durch Dankbarkeit in der großen Gesellschaft störend auffallen, so nenne man das von der Stadt gegebene Abendessen eine traurige Massenabfütterung und schwöre, da bekanntlich eine solche Stadt in den nächsten zehn Jahren nicht wieder als Versammlungsort bestimmt wird, hier niemals wieder eine Einladung zur Festtafel anzunehmen.

Man versäume nicht, einen

Parteitag der Sozialdemokraten

mitzumachen. Für ein Geringes wird daselbst eine vortreffliche Kost und gutes Getränk gereicht. Namentlich der Arbeiterführer lebt gerne gut, und seine Mittel erlauben es ihm auch, den Arbeitern zu zeigen, welch ein Leben er für sie erstrebt. Man beteilige sich aber nicht an den Debatten, wenn man 26 nicht fliegen kann, weil man sonst, wider Willen aus dem Saal fliegend, sich nicht zu helfen wüßte. Die Herren sind nämlich untereinander immer sehr uneinig, und es ist daher sehr unvorsichtig, einem derselben Recht zu geben, wodurch man es mit dem andern verdirbt und leicht ins Gedränge kommt. Man kneipe also nur mit, wobei die Genossen Brüder sind und zusammen auf die Neubildung der Gesellschaft anstoßen.

Sehr beliebt ist im Sommer die

Landpartie.

Ist man gerne an die Freuden des Winters erinnert, von denen die der Landpartie ausgeschlossen ist, so arrangiere man wenigstens eine solche oder beteilige sich daran, wenn man dazu aufgefordert wird. Aufgefordert wird man jedenfalls, und man kann sich nicht immer drücken.

Ist man Junggeselle, so sei man vorsichtig. »Eine Partie machen« ist bekanntlich ein Doppelsinn. Fürchtet man, verlobt zu werden, und fühlt man sich nicht stark genug, die Intriguen eines edlen liebenden Mutterherzens zerreißen oder durchkreuzen zu können, so lehne man die Einladung ab, indem man auf Falb verweist, welcher den Tag der Partie als einen kritischen verzeichnet und Regen, Hagel, Überschwemmung, Gewitter und scharfen Nordwind fest versprochen habe. Dies braucht nicht wahr zu sein.

Man wird am anderen Tage verhöhnt, aber das ist manchem lieber, als der Empfang von Gratulationen. Man kenne also die einladende Familie genau und wisse, ob sie töchterrein ist. Hat sie ausschließlich verheiratete oder verlobte Töchter, so nehme man freudig an.

Will man trotzdem loskommen, so verbiete man, daß man geweckt werde, um als Entschuldigung den Eid leisten zu können, daß man nicht geweckt worden sei. Dies kann man mit gutem Gewissen.

Macht man mit, so stelle man sich pünktlich zum 27 Rendezvous ein, um daselbst noch in aller Ruhe zwei Cigarren rauchen zu können, bis alle versammelt sind.

Am Ziel der Boot- oder Wagenfahrt angelangt, lagere man sich im Kreise der Gesellschaft und freue sich über jede Ameise, jede Raupe und jeden Käfer, von denen man bekrochen wird. Versäumt man dies, so hat man allein die Schuld, wenn die Partie nur einen Achtungserfolg erringt, da man dann hören muß, daß man der Gesellschaft wegen der wenigen unschuldigen Tierchen die anfangs so gute Laune verdorben hat.

Aus demselben Grunde finde man auch die saure Milch so süß, daß man niemals etwas anderes trinken möchte, auch wenn man bis dahin ein passionierter Wein- oder Biertrinker gewesen ist und später bleiben wird.

Wenn in den Wald gegangen wird, so wünscht man, ohne es laut werden zu lassen, daß die Gesellschaft das Lied »Wer hat dich, du schöner Wald« anstimmen wird. Da dies nämlich unbedingt geschieht und leider durch keine Macht der Landpartie verhindert werden kann, so ist es zu schmerzlich, wenn man unbegreiflicherweise annahm, das unvermeidliche Lied werde einmal nicht laut werden.

Wer den Verdacht erwecken will, den Tod zu suchen, das Schicksal herauszufordern, mit dem Leben zu spielen, an unheilbarem Pessimismus zu leiden oder Schopenhauer und Nietzsche gelesen zu haben, versäume es nicht, sich der Fraktion der Landpartie, die eine Bootfahrt unternimmt, anzuschließen. In dem Boot findet sich immer ein etwas angesäuselter Teilnehmer der Gesellschaft, der nicht still sitzt, sondern sich erhebt und das Boot ins Schwanken oder zum Kentern bringt. An schönen Sommertagen sind auf Landpartieen regelmäßig mehrere fahrlässige Töter oder Mörder unterwegs.

28 Ist das Boot infolge des sieghaften Witzes des Angesäuselten umgeschlagen und hat man vorher keinen Schwimmgürtel oder ein sonstiges Rettungsstück, wie man es im entscheidenden Moment nie bei der Hand hat, angelegt, so kann man hoffentlich schwimmen. Dann danke man seinem Schöpfer, auch dann, wenn man nicht schwimmen kann, keinen Rettungsgürtel oder dergleichen hat und wie durch ein Wunder gerettet wird.

In diesem Fall bitte man das Mitglied der Gesellschaft, welches das Abenteuer verschuldet hat, es nicht wieder zu thun, was aber nichts mehr ändert und, wenn versprochen, nicht gehalten wird.

Es geht jedenfalls aus dem Gesagten hervor, daß jeder Teilnehmer einer in eine Wasserfahrt ausartenden Landpartie sich vorher zu unterrichten hat, welche Mittel anzuwenden sind, um Verunglückten und Bewußtlosen oder Scheintoten beizustehen.

In den Lokalzeitungen, in welchen der betreffende Vorfall mitgeteilt wird, liest man dann die Worte: »Wie schon oft« oder: »Trotz aller warnenden Beispiele« und ähnliche. Auch solche Bemerkungen bleiben völlig unbeachtet oder in den Wind gedruckt.

Ist man ein kaltblütiges Mitglied solcher Wasserpartie, so nimmt man sich vor, einen solchen angesäuselten oder übermütigen Knoten in dem Augenblick, wo er sich zu seinem lebensgefährlichen Unfug erhebt, im Interesse der Gesellschaft niederzuschlagen, man thut es aber nicht, und das Unglück wird nicht verhütet. Man mache also von der Kaltblütigkeit dadurch den besten Gebrauch, daß man nicht mit zehn Pferden in ein Boot zu bringen ist, um an dem geschilderten Vergnügen teilzunehmen.

Man habe keinen Schirm auf die Landpartie mitgenommen. Jedenfalls tritt Regen ein, wenn auch erst, wenn die Gesellschaft sich gerade vortrefflich 29 amüsiert. In diesem Fall wird dem Schirmbesitzer der Vorwurf nicht erspart, daß er durch seine Vorsicht den Regen verschuldet habe, was unbedingt verstimmt. Aus diesem Grunde trage man auch keine hellen Beinkleider.

Man merke sich überhaupt: Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, wo es der Schauplatz einer Landpartie ist. Dies gilt nicht nur gegenüber dem Regenschirm, sondern auch, wenn man darauf aufmerksam macht, daß man den Abgang des letzten Lokalzuges versäume, falls sich die Gesellschaft nicht beim Aufbrechen sputet.

Erkennt man den Mosel- oder Rheinwein als untrinkbaren Essig, so lobe man ihn als guten Tropfen, um nicht als Spaßverderber oder Nörgeler, dem nichts genüge, zu gelten.

Wenn man sich bei Tisch erinnert, daß man in demselben Wirtshaus früher am Schluß der Tafel einen nicht würmerfreien Käse kommen sah, so warne man die Tischgenossen, aber in einer Weise, die sie nicht erschreckt, sondern die sie nur auf einem Umweg warnt und die auch den Wirt nicht verletzt. Man gebe der Warnung die Form eines Toastes, der mit den Worten schließt: Der Käse soll leben!

Wird irgendwo ein Echo aufgetrieben, so bemühe man es nicht und zwar nicht nur, weil man dazu schreien muß und ohnehin am Tage nach der Landpartie heiser zu sein pflegt, sondern weil man dadurch andere Teilnehmer veranlaßt, das Echo zu wecken, das alsdann gewöhnlich zu Verbalinjurien mißbraucht wird, welche selbst eine hartgesottene Gesellschaft auf die Dauer in Harnisch bringen können. Will man sich eben nicht mitbeleidigen lassen, so bitte man um die Erlaubnis, sich auf einen Augenblick entfernen zu dürfen, um das Echo zu interviewen. Alsdann rufe man:

30 Was sind die Teilnehmer der Gesellschaft, auch wenn sie sich nicht zum Vergnügen boxen?

Was empfinde ich, obschon ich bei ihnen noch nicht lange weile?

Wie findest du vertreten das weibliche Geschlecht?

Wie fandest du die Unterhaltung auf dem Waldpfade?

Wie heißen diejenigen, die in unserem Kreis bloß essen und gaffen?

Passen alle Teilnehmer unserer Gesellschaft in diese hinein?

Treiben manche nicht störend Allotria?

Nachdem das Echo diese und andere Fragen gewissenhaft beantwortet hat, wird es wohl in Ruhe gelassen werden.

Man hüte sich, von einem jungen Mädchen in der neckischsten Weise an eine einsame Stelle des Waldes geführt zu werden, da es vorkommen kann, daß daselbst ganz zufällig die Mutter, den Segen im Gewande, wartet.

Wird eine Bowle angesetzt, so denke man an den folgenden Morgen, und wenn man gerne mit Kopfschmerzen aufwacht, so trinke man tüchtig zu Ehren dessen, der die Bowle gemischt und es nicht verstanden hat.

Liebt man auf Landpartieen die Ruhe auch nur oberflächlich, so erkläre man, wenn die Spielwut ausbricht, man spiele am liebsten Lawn tennis. Dies ist ein Spiel, welches nicht ohne schwierige Herstellung des geeigneten Spielplatzes zu bewerkstelligen ist und daher nicht unternommen werden kann. So geht man frei aus.

Über dieses beliebte Ballspiel ist belehrend zu bemerken, daß es dabei darauf ankommt, einen Gummiball möglichst lang in der Luft hin und her zu schleudern und nicht zur Erde gelangen zu lassen. Wen es 31 interessiert, den unschuldigen Ball in dieser Weise zu malträtieren, lerne das Spiel gründlich, um bald ein beliebtes Mitglied der fashionablen Gesellschaft zu sein. Im anderen Fall ziehe man sich in die bescheidene Stellung eines Zuschauers zurück, in welcher man sich nicht weniger langweilen kann, als wenn man mitspielte.

Ist man so günstig placiert, daß man einen oder mehrere Bälle auf den Kopf oder in das Gesicht bekommt, so trägt man zur Erheiterung der Gesellschaft viel bei, wodurch man auch den weitschweifenden Ehrgeiz befriedigt sieht, sich angenehm zu machen.

Als ein anderes Spiel, welches den Aufenthalt im Freien kürzt, ist »Kämmerchen zu vermieten« hervorzuheben. Namentlich ist es denjenigen zu empfehlen. welche sich gern einmal als Hausbesitzer fühlen wollen. Steht man dieser protzigen Illusion gleichgültig gegenüber, so schließe man sich von diesem Spiele aus und suche sich auf andere Weise in Schweiß zu bringen und einer Erkältung auszusetzen.

Auch Krocket ist bei allen beliebt, die sich mit einem hölzernen Hammer lieber selbst auf den Fuß hauen, als dies von anderen thun zu lassen, da man dann sich höchstens selbst Vorwürfe macht und so nicht mit einem Fremden oder Bekannten befeindet, wobei die Folgen nicht vorher zu berechnen sind.

Hier ist auch das Fußballspiel zu erwähnen Dies wird von den Chirurgen als sehr gesund geschildert, da es ihnen Gelegenheit zu verschiedenen Operationen giebt, welche durch Unvorsichtigkeit, Unkenntnis und Unglück beim Spielen nötig werden.

Das Blindekuhspiel hat den eminenten Vorzug, daß es seinen Namen nicht verändert, auch wenn einem Herrn die Augen verbunden sind, um sich an dem Spiel zu beteiligen. Er thut dies als blinde Kuh, nicht als blinder Ochse oder als blindes Horn- oder Rindvieh, 32 was nicht harmlos klingen, auch zu Vergleichungen seitens der Mitspielenden verlocken würde. Stürzt man nieder oder rennt man gegen einen Baum, so antwortet man auf die Frage, ob man sich weh gethan habe: »Nein, im Gegenteil,« wodurch man sich sehr beliebt macht. Blutet man, so muß die Auskunft dadurch ergänzt werden, daß man tröstend sagt, das Bluten höre ja doch bald wieder auf, was gewöhnlich zutrifft. Keinenfalls braucht man sich weiter am Spiel zu beteiligen, wodurch der Schmerz gemildert wird.

Vom Zeckspiel wäre dasselbe zu sagen, wenn dem Leser etwas daran liegen sollte.

Wird die Landpartie durch ein sogenanntes solennes Tänzchen abgeschlossen und fühlt man sich noch stark genug, es mitzumachen, so unterlasse man dies und rauche lieber zu noch einem vorletzten Glas Bier eine Cigarre, um nicht total abgespannt und matt in die Stadt zurückzukehren.

Dem

Pferderennen

wohne man bei, auch wenn man etwas von Pferden versteht.

Will man überflüssiges Geld los werden, so versäume man nicht, den Totalisator aufzusuchen und hier auf die Pferde zu wetten, welche als siegende bezeichnet werden. Alsdann folge man mit Hilfe eines guten Krimmstechers dem Lauf des bezeichneten Pferdes und befreunde sich mit dem Verlust, wenn es überholt wird.

Gewinnt das Pferd aber und wird man infolgedessen das überflüssige Geld nicht los, so versuche man es vertrauensvoll mit dem folgenden Rennen. Die Hoffnung auf den Totalisator läßt nicht zu Schanden werden.

Man mache sich mit der Sprache des Turf vertraut, damit man nicht einen Romanschriftsteller mit 33 einem Buchmacher verwechsele und der Verachtung verfalle.

Ist man, was ja vorkommen kann, auf einem Sattelplatz einer der wenigen Bürgerlichen und wird, was ja auch vorkommen kann, von einem Herrn, der von Adel ist und nicht mehr Vorfahren als man selber hat, beleidigt, so fordere man den Beleidiger nicht gleich, denn es könnte doch sein, daß man ihn im Duell tötet und hiervon viele Unannehmlichkeiten hat, jedenfalls mehr, als man haben würde, wenn man von dem Geforderten getötet wird.

Wenn man sein Leben lieb hat, so werde man nicht Jockey. Wenn man aber sein Leben nicht lieb hat, so werde man gleichfalls nicht Jockey.

Hält man einen Rennstall, so habe man viel Geld. Hat man viel Geld, so halte man keinen Rennstall.

Man hüte sich auf den Rennplätzen vor den kleinen Buchmachern, welche gewöhnlich kleine Diebe sind. Nach dem alten Sprichwort werden solche zwar gehängt, aber es ist nicht wahr, und das Geld bekommt man in beiden Fällen nicht wieder.

Ist ein Jockey gestürzt und bewußtlos liegen geblieben, so sage man sportgebildet, er habe sich vom Pferde getrennt, an dem Unglück ändert dies aber nichts.

Wird man von einer Dame, deren Bekanntschaft man eben gemacht hat, gebeten, eine Kleinigkeit für sie am Totalisator zu setzen, so sage man, das sei zu wenig und entferne sich beleidigt.

Wird man von einer ähnlichen Dame nicht aufgefordert, eine Kleinigkeit für sie zu verwetten, sondern gebeten, in das Zimmer eines berühmten Hotels zu kommen, wo man noch einige Herren der besten Gesellschaft finden wird, so sage man, man sei selbst Falschspieler, namentlich wenn man es nicht ist.

Man gebe auf den Sommerpaletot Acht, besonders 34 wenn man die üble Gewohnheit hat, die gespickte Brieftasche im Paletot zu tragen. Denn die meisten Paletotmarder sind Stammgäste der Rennplätze.

Ist man ein Bürgerlicher und einem Adeligen eine größere Summe schuldig, so glaubt jeder das Gegenteil. Ist nun der Adelige der Schuldner und trifft man ihn auf dem Rennplatz, so grüße man ihn nicht, da er nicht wiedergrüßen würde.

Ein sehr beliebter Sport ist auch die

Angelfischerei.

Zu dieser gehört ein fischreiches Gewässer, etwas Geduld, eine Angel, viel Geduld, Köder und noch mehr Geduld. Fischt man selbst, so beneidet man den, der zusieht, weil der Zuschauer fortgehen kann, wenn es ihm beliebt, aber nicht fortgeht. Ob man nun Fischender oder Zuschauer sei, einerlei, man höre nicht die Bemerkungen der Vorübergehenden, weil sie gewöhnlich sehr beleidigender Natur sind.

Hat man nach dreistündigem Fischen noch nichts gefangen, so verliere man die Geduld nicht, sondern versuche es noch eine vierte Stunde. Hat man auch dann noch nichts gefangen, so schelte man auf die dummen Fische und gehe nach Haus. Dann hat man zum Vergnügen geangelt.

Will man sich zu Hause nicht auslachen lassen, so kaufe man bei einem Fischhändler keine geräucherten Fische.

Findet man an der Angel einen alten Schuh, so ist dies zwar ein Pech für den Angler, aber ein Glück für den Fisch, der an Stelle des Schuhs hängen könnte, und damit muß man sich trösten.

Ist man nicht Jäger, hat aber in einem unbewachten Augenblick, Jäger zu sein, behauptet und wird nun zur

Jagd

eingeladen, so nehme man die Einladung mit Begeisterung an und sage dann ab. Auf diese Weise 35 entgehen die Treiber am einfachsten der Gefahr, angeschossen zu werden.

Hat man aber der Einladung Folge geleistet, so giebt es kein besseres Mittel gegen fahrlässige Tötung oder Körperverletzung als größte Vorsicht, welche darin besteht, daß man die Jagd mit nichtgeladener Flinte mitmacht.

Übt man diese Vorsicht nicht, so gebe man keinen Schuß ab. Denn der Sonntagsjäger hat zwar ein außerordentliches Geschick, den Dank der jagdbaren Tiere zu erwerben, aber auch das, sich selbst zu verwunden, wofür man durch den Dank der Tiere nicht entschädigt wird. Für alle Fälle studiere man das Werk »Über den Umgang mit Flinten«, wenn ein solches zu finden sein sollte.

Bevor man auf die Jagd geht, lasse man sich in einer Wildhandlung so viele Tiere reservieren, als man mit nach Hause zu bringen versprochen hat. Man thue dies, weil die Wildhandlung sonst vielleicht ihren ganzen Vorrat ausverkauft haben kann, wenn man von der Jagd kommt.

Hat man das Gefühl, Sonntagsjäger zu sein, so bleibe man diesem Gefühl treu, denn dies ehrt den Mann. Man präge sich dann vor dem Aufbruch zur Jagd genau das Bild eines Ochsen, eines Hammels, eines Hundes und einer Ziege ein, um nicht in die Lage zu kommen, eines dieser nützlichen Tiere über den Haufen zu schießen.

Keinenfalls erzähle man den Genossen Jagdgeschichten, da solche schon allen bekannt sind, weil sie sie bereits selbst erfunden haben. Das Wort »erfunden« ist ein höflich umschreibendes. Jedenfalls sei man im Erzählen überaus vorsichtig. Man trage z. B. keine einzige Jagdgeschichte vor, welche im Münchhausen zu finden ist. Löwen- und Elefantenjagden lasse man ganz aus dem Spiel. Auch Jagden auf Walfische und Lämmergeier.

36 Hat man keine Gelegenheiten, Jagden beizuwohnen, ohne die Lust am Jagen bändigen zu können, so widme man sich der häuslichen Jagd, durch welche man sich ungemein nützlich machen kann. In erster Linie sind hier die Jagden auf Ratten, Mäuse, Schwaben, Fliegen und Wanzen im Innern des Hauses und solche auf Raupen, Schnecken und Maulwürfe im Garten, wenn man einen besitzt, zu nennen. Hier hat man außer anderen Vorteilen den, daß man durch keine Schonzeit beschränkt ist. Natürlich bediene man sich auf diesen Jagden keiner Feuerwaffe.

Der Sommer ist die eigentliche Blütezeit

des Zweirades.

Man radle also nicht, wenn man es nicht kann.

Da das Radeln hauptsächlich gegen die Korpulenz empfohlen wird und von Nutzen ist, so radeln selbstverständlich nur schlanke Damen, welche es nicht nötig haben, während korpulente Damen, die es nötig haben, wenigstens nicht öffentlich radeln, weil sie auf dem Rade einen komischen Eindruck machen.

Hat eine Radlerin, welche mit Leidenschaft am Rade hängt, Aussicht, sich mit einem Mann zu verloben, der Radfeind ist, so finde sie plötzlich, daß das Radeln gesundheitsgefährlich sei und in den Verdacht des Kokettierens bringe, und gebe es bis nach der Verlobung auf. Vielleicht handelt es sich nur um vierzehn Tage.

Da, wohin man sehen mag, und da, wohin man nicht sehen mag, geradelt wird, so ist namentlich Damen zu empfehlen, sich auf kein Rad-Rendezvous, sondern sich nur auf ein Stelldichein zu Fuß einzulassen. Denn der Verräter schläft nicht, sondern radelt.

Männer, welche sich ein Weib erradeln wollen, thun gut, das Rad dieser Dame anzurennen und sofort abzuspringen, um ihr beizustehen. Da Radler, 37 welche einen Unfall herbeigeführt haben, gewöhnlich zu entzweiradeln suchen und auch meist glücklich davonradeln, so macht das Gegenteil auf die angeradelte Dame einen Eindruck, der bis zur Herzensneigung tief sein kann.

Hat man in der angegebenen Absicht so gehandelt und wird man von dem Fräulein »Sie sind ein Tölpel!« angeredet, so gebe man trotzdem die Hoffnung nicht auf. Das Standesamt ist unberechenbar.

Ist man unvorsichtig gewesen und hat das Fahrzeug durch einen Radmarder eingebüßt, so glaube man, daß man das Diebstahlroß wiederbekommt. Auch durch das Gegenteil erhält man das Rad nicht zurück.

Die Pumphosen der Radlerinnen sind auch bei solchen Männern beliebt, die nicht Radler sind. Sie können selbst bei Radlerinnen nicht beliebter sein.

Denjenigen Damen, welche gerne radeln möchten, aber nicht die Mittel haben, ein Rad zu kaufen, ist das Arbeiten an der Nähmaschine als Ersatz zu empfehlen. Natürlich wird dies ohne nennenswerten Erfolg empfohlen.

Das Segeln

ist ein ebenso alter, als beliebter Sport, auch bei demjenigen, der von der Kunst des Segelns nichts versteht. In diesem Fall hat man sich einem Kundigen anzuvertrauen, während man im andern Fall meist ins Wasser fällt.

Hat man einen Erbonkel, so fordere man ihn nicht auf, im Interesse seiner Gesundheit eine Segelfahrt zu machen. Es könnte mißverstanden werden. Auch in die Schwiegermutter dringe man nicht mit derselben Aufforderung, weil dies noch mehr mißverstanden werden könnte.

Sind Damen im Segelboot und fragen sie, ob man sie bei einem Schiffsunglück mit Gefahr des 38 Lebens retten würde, so antworte man bejahend. Es ist noch keiner Dame eingefallen, eine Probe zu riskieren, auch dann nicht, wenn man verneinen würde.

Wird man zu einer Segelpartie eingeladen und merkt man, daß das Boot nicht seetüchtig, oder daß der Führer ein Wasserdilettant ist, so ziehe man sich bescheiden zurück und unternehme etwas, wobei man nicht ertrinken kann. Solcher Unternehmungen giebt es viele, z. B. Besuch einer Kunstausstellung, Tanzen, Pferdebahnfahren und Ansichtskartenkaufen. Denn das Wasser hat Balken, aber nur solche von untergegangenen Schiffen.

Die

Lyrik

ist ein spontanes Sommervergnügen. Im Sommer wird viel gelyrikt. Die Sonne (Wonne), die Blumen (Muhmen), die Schmetterlinge (Götterdinge), die hellen Hosen (Gesellen kosen), die saure Millich (laure willig), die Mücken (Entzücken) u. s. w. verführen fortwährend zum Dichten. Man bleibe ihm ferne und überlasse es anderen, zu beweisen, daß sie keine Dichter sind.

Trifft man einen Jüngling, der lyrische Gedichte an Zeitungen schickt, so unterschätze man sein Talent nicht, Frankomarken wegzuwerfen.

Will er die Gedichte vorlesen, so sage man, man komme gleich wieder, gehe dann aber auch gewiß fort.

Hat man eine Dichterin vor sich, so bitte man sie, einen Knopf am Handschuh festzunähen, um sich davon zu überzeugen, daß sie auch dies nicht kann.

Ist der junge Dichter ein realistischer, so schreibe man einige Beileidszeilen an seinen Vater oder Vormund. Seine Gedichte, von denen man noch kein einziges kennt, kennt man bereits von anderen jungen Dichtern und braucht sie deshalb nicht zu hören oder zu lesen.

Wird man mit einem Band moderner Dichtungen 39 beschenkt, so nehme man ihn mit Dank an und lasse ihn, wenn man Kinder hat, nicht frei herumliegen. Kinder und Buch könnten verdorben werden, erstere aber schlimmer.

Bekommt man selbst das Dichten, so bekämpfe man es, um unbescholten zu bleiben. Thut man dies nicht, so wird man es bereuen, wenn es zu spät ist. Denn dann kann man es sich nicht wieder abgewöhnen, wie das Trinken, obschon es schon vorgekommen ist, daß Trinker von diesem Laster befreit worden sind. Aber der Lyriker dichtet unheilbar.

Beneidet man einen Dichter, so treibe man den Neid nicht so weit, daß man ihm nachdichtet. Man kann es vielleicht nicht so schlecht.

Will man sich bei Männern von Geschmack beliebt machen, so kaufe man sich ein gebundenes Exemplar des Reimlexikons und benütze es nicht.

Hat man eine größere Menge moderner Gedichte verfaßt und will sie unter dem Titel »Flügelroßkastanien«, »Buch der Liederlichkeit« oder einem andern an einen Verleger schicken, so versäume man nicht, einen höheren Wert des Inhalts anzugeben. Vielleicht geht das Packet verloren, und man bekommt den angegebenen Wert von der Post ersetzt. Es ist in vielen Fällen für den Dichter ein großer Gewinn, wenn seine Gedichte verloren gehen.

Einer großen Beliebtheit, vorzugsweise wegen der Übertragung der Kosten auf die Eingeladenen, erfreut sich das

Picknick

im Freien. Jeder Teilnehmer hat Trink- und Eßbares beizusteuern, und da jeder beisteuert, was er gern ißt und trinkt, so wird jedem Geschmack genügt, wenn man nicht gezwungen wird, von dem Leibgericht und Leibgetränk Anderer zu kosten. Man thue es aber 40 ausnahmsweise, um einige derselben nicht zu verletzen, hauptsächlich aber, um auf die Kosten zu kommen.

Ist die Gesellschaft gelagert und soll das Verzehren der beigesteuerten Eßwaren beginnen, so nehme man anfangs ganz kleine Portionen und versichere, man habe keinen Appetit, um die Nächstlagernden nicht stutzig zu machen und sie ferner nicht zu veranlassen, ängstlich geworden einzuhauen und Vorräte anzusammeln. Erst dann thue man dies selbst.

Sind gefürchtete Picknicker anwesend, so frage man diese nach der Güte dieses oder jenes Bratens und achte genau auf ihr Urteil. Fällt dies absprechend aus, wird z. B. der Braten als ungenießbar oder als unter aller Kritik garniert bezeichnet, so greife man eifrig zu und sorge auch für die Zeit eintretenden Mangels.

Hört man dagegen von gemütvollen Picknickern eine Schüssel als besonders empfehlenswert hervorgehoben, so bleibe man dieser Schüssel fern und überlasse die Aufräumung den Unkundigen und Naiven, an denen es bei einem Picknick niemals fehlt.

Hat jemand außer seinem genießbaren Beitrag einen ungenießbaren Freund mitgebracht, so sei man auch gegen jenen zurückhaltend, weil solche Picknicker gewöhnlich auch in der Wahl der Speisen geschmacklos zu sein pflegen.

Unter den Weinen bevorzuge man denjenigen, welcher von dem getrunken wird, der ihn mitgebracht hat. Man unterrichte sich also vorher genau, ob der Spender von Flüssigkeiten selbst von seinen Gaben trinkt oder nicht. In letzterem Fall greife man an seinen Flaschen vorbei und warte ab, bis er selber trinkt. Dann strecke man ihm das leere Glas entgegen und lasse es aus der bevorzugten Flasche füllen.

Werden von einem Teilnehmer des Picknicks, der einen vortrefflichen Appetit entwickelt, Rätsel aufgegeben, 41 so suche man den Ehrgeiz, sie zu lösen, zu bezwingen, da das Nachdenken das bekanntlich allein fettmachende Selbstessen ungemein stört. Man bringe einige Worte mit und halte sie bereit, um sie im gegebenen Moment dem rätselschwangeren Picknicker entgegen zu schleudern. Ich empfehle als Lösung das Wort »Flammenschwert« auch für ein- und zweisilbige Charaden, das Wort »Eis« für drei- und mehrsilbige, worauf allgemeines Gelächter folgt, aus dem man sich aber nichts macht, weil man während der Dauer desselben ungestört weiter essen kann.

Kommen die allgemein bekannten Scherzfragen an die Reihe, deren Beantwortung ebenso allgemein bekannt ist und kein Kind in Verlegenheit bringen, so kenne man weder die Frage, noch die Antwort, als solche erteile man aber eine falsche, um die Gesellschaft zu unterhalten, die sich, wenn die komischen Fragen beginnen, bereits in einem dem Gähnen ähnlichen Zustand befindet. Wenn also die so sehr komische Frage an die Reihe kommt: »Welches Fabrikat findet die meisten Abnehmer?« so antworte man: der Glühstrumpf, die Geschenkcigarre, die Ansichtspostkarte, der Nordhäuser, die Seife, die Frankomarke, kurz, man nenne jedes Fabrikat, nur nicht den Hut. Dies wirkt, und man leistet der Gesellschaft damit einen Liebesdienst.

Fällt eine Fliege in den Wein, so entfernt man sie, indem man den Wein fortgießt. Dann nimmt man ein reines Glas und schenkt dies aus einer frischen Flasche voll. Man kann sich dies auf einem Picknick erlauben. Entdeckt man im Hause eine Fliege im Wein, so schafft man sie mit einem Löffelchen oder einem Zahnstocher aus dem Glas und leert dies dann, um das Andenken der Hinausgeworfenen zu ehren.

Es giebt auch einen Picknickwein, welcher der hineingefallenen Fliege nicht bekommt, ja ihr sogar schadet. Mit solcher Fliege gehe man human um.

42 Ist eine Bowle bereitet, so sorge man auch als Fernlagernder dafür, daß sie immer mit dem Deckel versehen wird. Denn die darüber hinweg fliegenden Vögel zielen nicht, wenn ihnen etwas Menschliches begegnet.

Auf der dem Picknick folgenden Durchquerung des Waldes oder auf dem Spaziergange prüfe man seine Nüchternheit. Findet man sie lückenlos, so biete man ohne Bedenken einer heiratsfähigen Dame den Arm, während man einem auch ganz kleinen Rausch leicht eine Lebensgefährtin verdankt. Nur zu bald ist einem Picknicker zur Verlobung gratuliert, und dann ist es zu spät.

Hat man zu viel gegessen und zwar mehr als man zum Picknick beigetragen hat, so klage man nicht, sondern bedaure, keinen Appetit gehabt zu haben, um nicht nach Gebühr geschätzt zu werden.

Ist man ein Mensch, der immer einen Beschluß faßt, den er nicht zur Ausführung bringt, so beschließe man nicht, wenn man vom Picknick nach Hause kommt, nie wieder ein solches mitzumachen.

Eines der furchtbarsten Naturereignisse ist außer einem Erdbeben und einer Wasserhose der

Sommerlogierbesuch

im Vergleich mit dem Logierbesuch im Winter.

Der Sommerlogierbesucher in einer großen Stadt verlangt vor allem von seinem Opfer alle Vergnügungen des Winters mit alleiniger Ausnahme der Schlittenfahrten. Wenn man einen solchen Besuch empfängt, so mache man sich darauf gefaßt, daß man es auf das tiefste bedauern wird, nicht halbwegs zaubern und das Unmöglichste wenigstens annähernd möglich machen zu können.

Die Kunst, einen Logierbesuch im Sommer überdauern zu können, liegt in der Virtuosität, mit der 43 man auf alles, wofür man verantwortlich gemacht wird, vorbereitet ist. Zum Glück wird man für alles verantwortlich gemacht, so daß man auf alles vorbereitet sein kann.

Ist die Hitze sehr groß, wie dies im Sommer nicht immer zu vermeiden ist, so muß man auf die Vorwürfe des Besuchers gefaßt sein. Ebenso dann, wenn ein Regen stattfindet, wie er sich wohl im Sommer ereignet. Hier kommt man zur Not mit einem Achselzucken und der Versicherung davon, daß es nicht wieder geschehen solle. Aber wegen des Staubs, wenn die Arbeit des Sprengwagens ohne Erfolg blieb, hat man schon einen schwierigeren Stand, und gegen die Vorwürfe wegen der Ferien einiger Theater und Spezialitätenbühnen kann man dem Freunde mit dem bloßen Bewußtsein der Unschuld nicht ins Gesicht springen. In solchen Fällen genießt man aber das Glück, sich doppelt auf die Abreise des Freundes zu freuen.

Behauptet der Besucher, in seiner Heimat seien weniger Mücken, so höre man aus dieser Behauptung nicht den Vorwurf heraus, sondern vertröste ihn auf die nächste Mückenzählung. Kommt nach Tisch das Eis und behauptet er, es sei in seiner Heimat kälter, so lasse man sich unter gar keiner Bedingung auf einen Streit ein, um ihn nicht noch mehr zu reizen, sondern gebe ihm die Versicherung, daß man etwas weniger kaltes Eis bestellt habe, um dem Besucher eine Magenerkältung zu ersparen.

Kommt man bei Gelegenheit in das Zimmer des Logierbesuchs, so sei man zerstreut und lasse daselbst ein Eisenbahnkursbuch liegen. Wenn es auch nichts nützen sollte, so könnte es doch der Fall sein, daß es etwas nützt, und schon die Illusion versetzt in eine angenehme Stimmung.

Man lasse dann und wann durchblicken, daß die 44 Influenza grassieren solle. Der geborene Logierbesuch wird sich natürlich nicht daran kehren. Aber es ist doch gut, daß man diese Gleichgültigkeit feststellt, um andere Versuche, ihn zu vertreiben, unterlassen zu können.

Hat man in der Frühe zu arbeiten, so sorge man am vorangehenden Abend dafür, daß der Freund recht viel Bier trinke, damit er am anderen Morgen sich nicht aus dem Bett finden kann. Er wird dann zwar sehr schlecht auf das Bier sprechen, aber man war doch einige Stunden lang durch das Glück, einen Freund zu haben, nicht gestört.

Am Tage der Abreise des Freundes begleite man diesen mit traurigem Ausdruck zum Bahnhof und vollziehe, wenn man allein in die Wohnung zurückkehrt, zwei Akte der Wohlthätigkeit, indem man einem armen Mann eine verhältnismäßig größere Summe schenkt und die Fenster der Stube, in welcher der Logierbesuch sich ereignete, öffnen läßt.

Bis zum Eintreffen der Postkarte mit der Nachricht von der glücklichen Heimkehr des Freundes schwebe man in einiger Angst, aber nicht wegen seiner.

Mehr noch als im Winter wird im Sommer am hellen Tag ins Theater gegangen. An die Stelle der sogenannten Nachmittagsvorstellungen im Winter tritt im Sommer das

Sommertheater,

in welchem das Publikum im gegebenen Moment die Darsteller beneidet, welche bei eintretendem Regen nicht obdachlos sind. Bescheidene Zuschauer finden in diesem Neid mancherlei Anregung zur Kurzweil, welche die Aufführung selbst nicht immer gewährt.

Das Repertoire der Sommertheater (ich sage für Repertoire nicht das jetzt übliche und häufiger gedruckte als gesprochene »Spielplan«, weil das Spiel auf 45 Sommerbühnen meist planlos ist) setzt sich aus älteren Stücken zusammen, so daß häufig genug einzig und allein der Regenschirm gespannt ist. Indem man also von bewährten Stücken in das Sommertheater gelockt wird und dieser Lockung folgt, ist man nicht den Enttäuschungen der Erstaufführungen ausgesetzt, welche den Jammer der Wintersaison bilden. Man gehe also stets mit jener Seelenruhe in die Sommertheater, welche die herrlichen Leistungen der Klassikerverächter am allerwenigsten im Winter finden lassen.

Hat man zufällig einen Geist, welcher darin seine volle Befriedigung findet, daß auf der Bühne Podex, Quetschkartoffel oder Klumpatsch gesagt wird, so bleibe man dem Sommertheater fern, da in den unmodernen Stücken, namentlich in den alten blödsinnigen Possen die erwähnten Worte nicht gesprochen werden.

In dem Garten des Sommertheaters trifft man regelmäßig bedeutende und berühmte Choristen ohne Engagement, auf die man sofort zuzustürmen und die man dann anzupumpen hat. Dies ist, wenn nicht das einzige, so doch ein gutes Mittel, nicht von ihnen angepumpt zu werden.

Schauspieler und Schauspielerinnen der Winterbühnen halten sich gleichfalls gern im Garten des Sommertheaters auf, wenn sie nichts schlechteres zu thun wissen. Wenn diese erzählen, wie sie im Winter wieder zurückgesetzt und durch Intriguen von ihrer Höhe herabgestürzt wurden, so sage man ihnen, man wisse dies schon, worauf sie ihre Erzählung von vorne beginnen.

Hat man Grund, sich vom Bier dadurch zu entwöhnen, daß man die Quantität, welche man zu sich nimmt, allmählich verkleinert, so trinke man im Garten des Sommertheaters einen Seidel nach dem anderen, wodurch man mühelos an das aufs innigste zu wünschende Ziel gelangt. Man wird bald die beruhigende 46 Bemerkung machen, daß in den Seideln nur Schaumsäulen auf zierlichen Biersockeln stehen.

Hat man eine, wenn auch nur vorübergehende Braut und will man sie vor seinen Freunden nicht verheimlichen, so besuche man die Sommertheater mit diesem jungen Mädchen.

Macht man im Garten des Sommertheaters die Bekanntschaft einer Witwe, so hüte man sich vor dem Gatten dieser Dame, welcher sich jedenfalls vorstellen wird, wenn man auf dem Heimwege mit ihr eine einsame Gegend passiert.

Da die Zwischenakte in Sommertheatern im Interesse der Büffetpacht oder der Direktion, wenn diese zugleich die Wirtin ist, bedeutend länger als in Wintertheatern sind, so gebe man sich nicht die Mühe, sich zu merken, was man bis zur Pause gesehen hat, da ich dies für unmöglich halte. Einige Zwischenakte sind freilich noch etwas länger als gewöhnlich.

Ist man z. B. neugierig, was aus dem armen Mädchen wird, welches in einem Akt gegen den Landesfeind zog, indem sie erklärte, daß sie gehe und nimmer kehre sie wieder, und findet man sie im nächsten Akt im Dienst bei einem Grafen Rochester, so wird nicht die Jungfrau von Orleans, sondern die Waise von Lowood gegeben. Bemerkt man dann nach dem letzten Zwischenakt, daß die arme Heldin mitten in der Nacht ihren Gatten und ihre Kinder verläßt, so wird weder das eine, noch das andere Stück gegeben, sondern Nora.

Wird man von einer Dame ersucht, sie in ein Sommertheater zu führen, so schlage man ihr des lieben Friedens willen die Bitte nicht ab, ziehe sich aber mit einem Scherz aus der Verlegenheit, indem man sagt: Der Garten ist abends glänzend illuminiert, und man braucht seine Flamme nicht mitzubringen. Man sei überhaupt in Kleinigkeiten nobel.

47 Wer kein Freund von

öffentlichen Sommerfesten

ist, hat unter sehr vielen die zu wählen, welche er nicht besuchen will.

Solche Feste finden meist zu wohlthätigen Zwecken in zoologischen Gärten, in Ausstellungsparks und großen Vergnügungsetablissements statt und enden mit Feuerwerk und Regen.

Wegen des zu erwartenden Regens nehme man keinen Schirm mit, da dieser, wenn man ihn braucht, bereits aus Versehen und in der Zerstreutheit gestohlen zu sein pflegt.

Nimmt man an solchem Fest in großem Kreise teil, so suche man für die Gesellschaft einen Tisch in der Nähe eines der Orchester zu erobern. Denn hier ist der musikalische Lärm, da es sich gewöhnlich um ein Regimentsmusikkorps handelt, der betäubendste, und man braucht daher nicht fortwährend zu plaudern, was namentlich an heißen Tagen noch ermüdender ist als an kühlen.

Ist eine Rutschbahn etabliert, so mache man etliche Touren, denn es giebt wohl keine größere Freude als bei einer seltenen und originellen Unterhaltung mit dem Leben davonzukommen. Der Vorsicht halber lege man nur eine einzige Rutschbahnfahrt zurück.

Hat man kein Glück im Spiel, so versuche man es an der Würfelbude, woselbst das Glück im Spiel darin besteht, daß man es nicht hat. Wird man aber vom Unglück schnöde im Stich gelassen und gewinnt einen Gummibaum oder eine Gipsbüste des Präsidenten der vereinigten Staaten von Nordamerika, so betrachte man dies als einen Fingerzeig des Schicksals, die Götter nicht ferner zu versuchen, dränge den Gewinn einem ärmeren Zuschauer auf und verlasse entrüstet 48 das Spiel, aber so schnell, daß man von der erwähnten Gipsfigur nicht mehr erreicht werden kann.

Bricht der Regen plötzlich los, so biete man den Arm einer Dame, welche einen Schirm hat. Es ziemt dem Mann, galant zu sein. Hat man aber selbst einen Schirm, so belästige man die Dame nicht.

Bleibt trockenes Wetter, so biete man den Arm keiner Dame, besonders wenn man einen Schirm hat. Denn die Dame will nach Hause begleitet sein und pflegt ungemein weit entfernt zu wohnen. Damen, welche man von einem Gartenfest nach Hause begleiten muß, wohnen merkwürdiger Weise immer ungemein weit entfernt, besonders wenn sie das Gegenteil behaupten.

Naht ein Festzug, welcher, wie es angekündigt war, an Pracht der Kostüme alles bisher Dagewesene in den Schatten drängen wird, so erwarte man garnichts, und man wird sehr angenehm enttäuscht sein. Selbstverständlich ist der Schatten, in welchen alles bisher Dagewesene gedrängt wird, garnicht vorhanden.

Anwesende ältere Damen der Verwandtschaft, von der Großmutter aufwärts, ehre man dadurch passend, daß man sie veranlaßt, wegen der Hitze auf ihren Plätzen zu bleiben und sich nicht durch den Garten führen zu lassen. Herrscht die Hitze nicht, so bediene man sich an ihrer Stelle einer anderen Kalamität: des Staubes, des Gedränges oder des drohenden Regens.

Trifft man eine Dame, welche man bis vor kurzer Zeit brünett kannte, mit blondgefärbtem Haar, so erkenne man sie, wenn dies irgend möglich ist, sofort wieder und sage ihr nicht, daß sie eine eitle Närrin sei und sich lächerlich mache. Man sage überhaupt nichts, was ganz selbstverständlich ist oder nichts nützt.

Wird man aber von einem Mann begrüßt, der sich 49 gefärbt hat, so erkenne man ihn nicht, besonders dann, wenn man ihn deutlich erkennt, und erkläre ihm, indem er seinen Namen nennt, daß er ein anderer sei, denn der, den man kenne, sei kein Narr. Man nehme sich aber in Acht, einem Bekannten, der graues Haar hat, auf den Kopf zuzusagen, er habe es sich grau färben lassen, denn graues Haar ist immer echt.

Beginnt

Feuerwerk

nicht gleichzeitig mit dem Platzregen, so kann es eine schöne Augenweide werden, wenn man die Augen an den nächtlichen Himmel richtet und geduldig wartet, bis die Rakete heraufkommt. Was sich unten an Feuertöpfen und ähnlichem pyrotechnischen Geschirr bewundern läßt, lasse man ruhig geschehen, da man gewöhnlich ungünstig placiert ist und sich mit dem allgemeinen Ah! begnügen muß.

Bleibt der Platzregen während des Feuerwerks ganz fort, so lege man dies nicht dem Pyrotechniker oder gar dem Festcomité zur Last, da er durchaus nicht zum Programm gehört. Gerechter verfährt man, wenn man das Ganze für einen glücklichen Zufall erklärt, der sich vielleicht während des ganzen Sommers nicht wiederholt.

Mißglückt eine Nummer und amüsiert man sich darüber ganz besonders gut, so verlange man sie nicht da capo, sondern bedaure lieber, wenn die nächstfolgende gelingt und dadurch der Schadenfreude des geehrten Publikums Abbruch thut.

Bekommt man im Gedränge einen Fußtritt, so sieht man sich genau den Herrn an, von dem man den Tritt bekommen hat. Macht er den Eindruck eines starken Mannes, der eine Erniedrigung darin erblicken würde, um Verzeihung zu bitten, so sage man nichts, sondern denke ziemlich rücksichtslos und aufgebracht, ohne die Gedanken auf die Wagschale zu 50 legen. Ist aber der Tretende eine bescheidene, liebenswürdige Erscheinung und sucht er nach Worten der Entschuldigung, so setze man ihn mit scharfen Redensarten zurecht, erkläre sein Benehmen für unqualifizierbar und wünsche sich Glück, daß man sich so, wie es geschieht, zu beherrschen vermag.

Hat der Feuerwerker die Schlußnummer »Das Bombardement von Sebastopol« genannt, so finde man sich darein. Allerdings könnte sie auch »Die Seeschlacht bei Helgoland« oder »Liebeständelei« oder »Der Brand von Moskau« heißen, aber auch jeder dieser Namen wäre höchst unpassend. Selbst wenn die Nummer »Die letzten Augenblicke Richard des Dritten« hieße, würde sie vielleicht richtiger »Also spricht Zaratustra« oder »Waterloo« oder »Götterdämmerung« betitelt sein.

Hat sich eine Dame, um besser sehen zu können, auf einen Stuhl gestellt, so halte man sie, wenn man nicht ihr Gatte oder Bruder ist, nicht an den Füßen fest, damit sie nicht herunterfalle. Es giebt Gatten und Brüder, welche dergleichen gern selbst thun, wenn es nötig erscheint.

Verehrt man aber in der auf dem Stuhl stehenden Dame seine Gattin oder Schwester, so sei man nicht besorgt, daß sie abstürze, und bekümmere sich um ihre Füße nicht. Man bekunde die Sorgfalt in anderer Weise, etwa dadurch, daß man der Dame ein Butterbrot oder ein Glas Bier oder Wein hinaufreicht. Dies wird wohl auch dankbarer anerkannt, als das in den meisten Fällen ganz überflüssige Festhalten der Füße.

Während des Feuerwerks pflegt der übrige Teil des Parks um so dunkler zu sein, da die Verwaltung die Verfinsterung nicht unbenutzt läßt, um den Aktionären den beruhigenden Beweis zu liefern, daß sie sparsam sei. Diese Sparsamkeit wird dadurch in das richtige 51 Licht gerückt. Der Teil des Parks, in welchem dies geschieht, wird gern von Pärchen ausgesucht, welche fürchten, die Zuschauer des Feuerwerks zu stören. Da dies die Folge hat, daß der dunkle Teil des Parks ungemein stark frequentiert wird, so suche man ihn nicht am Arm einer Freundin auf, wenn man auf diesem Abstecher nicht erkannt sein will. Auch findet man die Bänke und Stühle bereits besetzt und würde dadurch zum Promenieren gezwungen, was in der Dunkelheit mit Gefahren verknüpft ist.

Die Zeit der

Kiebitz-Eier

zeichnet sich durch bedauerliche Kürze aus, und wenn sie auch eigentlich nicht dem Sommer angehört, so darf sie doch hier eher, als in einer anderen Jahreszeit mit Interesse betrachtet werden. Sie empfiehlt sich wegen ihres raschen Vorübereilens besonderer Sorgfalt. Man nehme also eine Einladung zum Kiebitz-Eier-Essen schon deshalb an, weil dies wegen der teuren Kiebitz-Eier-Preise vorteilhafter ist, als selbst dazu einzuladen.

In der ersten Woche ist das Kiebitz-Ei meist unerschwinglich teuer. Man hasse deshalb den genannten Vogel nicht, er kann nichts dafür und hat auch nichts davon. Bekommt man nun in den Tagen der größten Teuerung eine Einladung, so nehme man sie ohne Rücksicht auf das Vermögen des Einladenden an, indem man sich sagt, daß man demselben eine große Ehre erweise. Es ist dies eine schöne Beruhigung für einen Gast, der gerne Kiebitz-Eier ißt, sie aber nicht gerne selbst bezahlt. Man greife auch zu und sei überzeugt, daß der höchste Preis an dem guten Geschmack der Kiebitz-Eier nichts ändert.

Hat man so viele Eier gegessen, daß man nicht mehr essen kann, so nehme man das Wort, um auseinander zu setzen, daß man das Kiebitz-Ei für ein 52 Vorurteil halte und ein gewöhnliches frisches Hühner-Ei dem kostspieligsten Kiebitz-Ei vorziehe. Es kann dies zwar dem Wirt keine Freude machen, aber auch dem Redner nicht schaden, da eben wegen der Kürze der Kiebitz-Eier-Blüte eine zweite Einladung überhaupt nicht erfolgen würde.

Man vergesse nicht, das Kiebitz-Ei in die Innenfläche der linken Hand zu stellen und es dann mit der rechten Hand breitzuschlagen. Man weiß natürlich nicht, weshalb. Hierauf schneide man die harte Spitze des Kiebitz-Eies fort, ohne ebenfalls den Grund zu wissen. Aber für die Umgebung ist es belehrend und wirkt respekteinflößend.

Nur wenn man links ist und das Kiebitz-Ei in die Innenfläche der rechten Hand stellt und es dann mit der linken Hand breitschlägt und köpft, weiß man, warum dies geschieht. Weil man eben links ist.

Zu den Vergnügungen des Sommers gehört auch das

Krebsessen.

Auch dies gewährt dem Gast eine reinere Freude als dem Wirt. Wer zu einem Krebsessen eingeladen ist, nehme die Einladung freundlich dankend an und sei überzeugt, daß der Wirt alles thun wird, größere Krebse anzuschaffen, als an der Wiege vorgesungen zu werden pflegen.

Man mache dem Wirt die Freude, ihm zu sagen, daß man den großen Krebs nicht höher als den kleineren schätze. Dies beruhigt den Wirt derart, daß man nun ganz ungestört ausschließlich nach den größten Krebsen langen kann.

Die Methode, nach der man dem Krebs den Panzer löst, die Scheren und den Schwanz entpanzert, jedes Bein gründlich leert und in anderer Weise das liebe Krustentier nützlich plündert, gebe man auch dann nicht auf, wenn man die Krebse nicht selbst 53 bezahlt. Man muß sich so weit überwinden können, zu zeigen, daß man mit fremden Krebsen ebenso gewissenhaft zu Werke geht, wie mit eigenen.

Ist man Krebsschnellesser, so sorge man dafür, daß der Teller, auf den man die sterblichen Überreste der Krebse legt, häufig geleert wird, da der Anblick großer Restehaufen die anderen Gäste beunruhigt, wenn ihnen ein Überblick über die noch vorhandenen Krebse fehlt. Denn das Bewußtsein, daß sich unter den Gästen ein Schnell-, Massen- oder Konzertesser befindet, mit welchem Schritt zu halten schwer ist, erschreckt die Tafelrunde und beeinträchtigt die zum Krebsessen wichtige Laune.

Erwischt man durch eigene Schuld einen Krebs, welcher sich nur einer einzigen nennenswerten Schere erfreut, so schelte man nicht gleich über einen Krebsschaden, da dieser Witz bereits ziemlich verbraucht ist. Es genügt, wenn man dem Wirt nicht wohl ist, zu sagen, wenn der letzte Krebs verschwunden, das Krebsessen sei eigentlich eine ermüdende Arbeit, für welche man bezahlt werden müßte. Man setze hinzu, der Wirt sei ein Arbeitgeber, der die Kraft der Arbeiter ausbeute. Auf eine Antwort nicht vorbereitet, muß der Wirt lächelnd schweigen.

Da der Krebs auf verschiedene Art gekocht wird, so versäume man nie, auf Kosten der gewählten eine andere Art zu loben. Vielleicht wird dadurch der Ehrgeiz des Wirtes gereizt, und er wiederholt das Krebsessen mit der anderen Zubereitungsart. Man kann allerdings das Unglück haben, daß der Wirt nicht ehrgeizig ist. Dann sei man dadurch getröstet, daß man seine Pflicht erfüllt hat.

Weist das Krebsessen, denn unter der Sonne ist nichts vollkommen, einige Mängel auf, so warte man ruhig das ab, was nach dem Krebsessen serviert wird. Vielleicht plädiert es für Annahme mildernder 54 Umstände. Man sei immer ein milddenkender Gast, der nicht vergißt, daß der Wirt doch vom besten Willen beseelt war. Oft kann noch eine gute Cigarre wieder gutmachen, was der Nachtisch zu tadeln gab, und es ist schön, auch dann alles zu verzeihen, wenn man nicht alles versteht.

Hat man nicht die nötige Krankheit, die nötige Zeit und das nötige Geld, eine Reise zur Karlsbader Kur zu unternehmen, so gebrauche man die

Kur in der Stadt,

die man bewohnt. Es wird sich immer ein Arzt finden, der nicht vor allen seinen Patienten Ruhe haben will, sondern den einen oder den andern veranlaßt, das Karlsbader Wasser, anstatt heiß an der Quelle, kalt oder gewärmt daheim zu trinken. Es hilft dies bisweilen ebensowenig.

Man benimmt sich in solchem Fall genau, als wäre man zur Kur in Karlsbad, indem man sich nicht an die Anordnungen des Arztes kehrt und Diätfehler begeht. Nur auf dem Gebiet des Trinkgeldgebens lebt man mäßiger. Auch sind der Kaffee und das Gebäck nicht so gut. Aber das Trinken ist bedeutend gesünder, weil es ohne Musik vorgenommen werden kann, nachdem der vorgeschriebene Brunnen aus der Apotheke oder der Mineralwasserhandlung eingetroffen ist.

Genau wie in Karlsbad beginnt man nach dem Wassertrunk zu laufen und sich zu ärgern, daß man erst nach längerem Spazieren frühstücken darf. Hierbei schadet es der Gesundheit nicht, daß man dies thut, ohne irgend eine Kurtaxe zu bezahlen. Trifft man aber unterwegs einen guten Freund, so ist anzunehmen, daß man auch nicht um einige alte Anekdoten kommt, wie man sie in dem böhmischen Wunderkurort zu hören pflegt.

55 Wer beim Promenieren ungern auf den Anblick polnischer Juden verzichtet, wird allerdings während des heimatlichen Kurgebrauchs trostlos sein, denn sie sind künstlich nicht zu beschaffen. Sehr reiche Leute könnten sich allerdings den Luxus leisten, gewandte Schauspieler als polnische Juden verkleidet so auftreten zu lassen, daß sie ihnen begegnen, aber es wäre dies doch unnütz, denn es ist keinenfalls das Wahre. Die polnischen Juden müssen echt sein oder sie müssen garnicht sein. Das: Sint, ut sunt, aut non sint gilt nicht nur von den Jesuiten, sondern auch von den polnischen Juden.

Vermißt man auch ungern berühmte Badegäste auf der Promenade, so lege man ein Album von Photographieen bekannter Persönlichkeiten der Neuzeit an und sehe es durch, wenn man von der Promenade zum Frühstück nach Hause kommt. Man hat hierbei den Vorteil, daß die photographierte Berühmtheit immer besser aussieht als deren Original und man deshalb niemals schwer enttäuscht wird.

Trinkt man den Karlsbader, Marienbader oder anderen Brunnen aus der Flasche gleich nach dem Aufstehen oder noch im Bette, so wird man natürlich mancherlei schwer vermissen, was dem verwöhnten Karls- und Marienbader Kurgast oft so sehr kränkt und ihm missenswert erscheint. Indes gewöhnt man sich, wenn man ziemlich vernünftig ist, leicht an die fehlende Morgenmusik oder man ersetzt sie ganz kostenlos dadurch, daß man die Fenster öffnet und den Lärm der Pferdebahnen und anderer Verkehrsmittel in die Stube dringen läßt. Auch wird wohl in irgend einer Nähe schon in der Frühe Klavier geübt. Indes wird man auf jede Musik gern verzichten, wenn man sich sagt, daß selbst das teuerste Wasser durch Musik nicht in etwas verwandelt wird, was schlechter schmeckt.

Man gewöhnt sich auch leicht daran, daß man 56 beim Brunnentrinken im Hause keine Blumen bereit zu halten braucht oder, wenn man eine Dame ist, Blumen anzunehmen und sie so lange mit sich herumzutragen hat, bis man sie unbemerkt wegwerfen kann. Hält man es aber für wichtig, daß man als Kranker Blumen spendet, so bestelle man einigemal aus einer Blumenhandlung etliche Bouquets und verschenke sie, wenn man das Haus verläßt. Schon bei der ersten Überreichung der Rechnung wird man auf fernere Bouquets mit einem gewissen Vergnügen verzichten.

Trinkt man den Brunnen außerhalb des Hauses, etwa in einem Garten, in welchem auch vorschriftgemäß nach dem Wassergenuß auf- und abgegangen wird, so bilde man sich trotzdem noch immer nicht ein, daß man ein Kurgast sei, der sich Kurwidrigkeiten zu schulden kommen lassen dürfe. Dergleichen kann sich nur der wirkliche Kurgast erlauben.

Dagegen halte man still, wenn ein anderer Brunnentrinker seine Leiden schildert, auch wenn dies in möglichst appetitlicher Weise geschieht, was ja in einem wirklichen Kurort nicht zu geschehen pflegt. Diese Schilderung der intimsten Geschehnisse, welche so fördernd auf das Unberührtbleiben des Frühstücks wirkt, sind wohl imstande, dem Zuhörer den ganzen Zauber eines Weltbadeorts zu erschließen.

Trifft man beim Promenieren einen Freund oder Bekannten, der Geschmack genug hat, nicht von dem körperlichen Zustand zu erzählen, der ihn zwinge, in aller Frühe Wasser zu trinken, so traue man seinen Ohren nicht. Kann man nach einer neuen Prüfung seinen Ohren trauen, so halte man den Freund oder Bekannten für die ganze Dauer der Kur fest, da er ein seltener Mensch ist, der in Badeörtern noch bedeutend seltener ist.

Man verliebe sich nicht, wie dies in Kurorten zu geschehen pflegt. Denn dergleichen eignet sich eben für 57 Kurorte besser als für irgend einen Platz, wo man der Gesundheit oder der Wiederherstellung lebt. Hat man sich aber unvorsichtigerweise verliebt, so spreche man mit dem Arzt darüber, um zu erfahren, ob dies nicht vielleicht als eine Verschlimmerung des körperlichen Leidens zu betrachten sei.

Hat der Arzt Getränke, die man mit Vorliebe genießt, für die Dauer der Kur und vier Wochen darüber strenge verboten, so achte man dies Verbot, verrate es aber den Freunden in der Stadt, da man von diesen dann verführt werden wird, gerade die verbotenen Getränke zu genießen. Man hat alsdann einen Vorwand, das Verbot zu verletzen und macht den Freunden ein Vergnügen, wodurch man in den Besitz eines zweiten und gewiß edleren Vorwands gelangt ist.

Hat man sich so weit vergessen, daß man während der Kur bis zum frühen Morgen mit guten Freunden wach blieb, so beeile man sich, früh genug nach Hause zu kommen, um nicht gleichzeitig mit dem weckenden Diener an der Thür des Schlafzimmers einzutreffen. Dem Diener sage man dann, daß man heute früher als gewöhnlich das Wasser getrunken habe, sich wieder niederlegen und noch einige Stunden schlafen wolle. Sagt hierauf der Diener nichts, so weiß er alles, und thut er, als wenn er irgend etwas sagen wolle, so weiß er gleichfalls alles.

Das späte oder richtiger frühe Heimkehren ist im Sommer nur deshalb sehr fatal, weil dann schon in den ersten Morgenstunden das freundliche Dunkel fehlt. Namentlich ist es schwer, die Haltung zu bewahren, wenn man von den Männern und Frauen gesehen wird, welche der Beruf bei tagschlafender Zeit auf die Straße nötigt. Hierher gehören die Droschkenkutscher, die Brot- und Zeitungsträger, die Schutzmänner und ähnliche wackere Leute. Der von der Arbeit heimkehrende Einbrecher sei hier nur erwähnt, weil man 58 von ihm vielleicht mit einem dankbaren Blick betrachtet wird, der sich dadurch erklärt, daß er die Menschen wohlwollend auszeichnet, welche nachts nicht zu Hause zu sein pflegen. So stört er sie nicht, und er wird nicht von ihnen gestört. Man sehe sich einen solchen Mann aber genau an. Vielleicht kommt er gerade aus der Wohnung, die man jetzt aufsucht und ausgeplündert findet.

Man unterlasse es nicht, während des Sommers in den Wirtshäusern, welche man, wenn es schon Tag geworden, verläßt, ein Handtuch zu deponieren. Dies hängt man über den Arm oder nimmt es zusammengerollt in die Hand, um auf dem Nachhauseweg als zum Baden Gehender zu gelten. Sollte aber jemand bei diesem Anblick lachen, so kennt er den allgemein bekannten Tric bereits.

Man verzögere die Frühheimkehr nicht dadurch, daß man noch die Morgenblätter abwartet. Denn um diese Stunde bedarf man keiner künstlichen Mittel, um einzuschlafen, und die nach Schluß der Redaktion eingetroffenen Telegramme pflegen meist ebenso unwichtig zu sein, wie die vorher eingetroffenen.

Man setze sich nicht auf eine Bank im Tiergarten, um sich an dem köstlichen Frühgesang der lieben Vögel zu erquicken, denn gewöhnlich hat man bei solchen Gelegenheiten eine goldene Uhr bei sich, bis man beim Erwachen entdeckt, daß man gefleddert worden ist. Das gegen das Leichenfleddern vielfach empfohlene Mittel, bei der Heimkehr eine Weckuhr mitzuführen, falls man einen großen Park passiert, hat sich nur insofern bewährt, als der Leichenfledderer auch die Weckuhr mitnahm.

Kommt auf solchem Heimweg ein Herr mit schwerem Knotenstock und Ballonmütze hinter einem Busch hervorgesprungen, so sei man ganz ruhig und frage ihn, was die Uhr sei. Antwortet er mit einem 59 Hieb, so sei man schon fort, denn der Schutzmann kann nicht überall sein.

Wird man in aller Frühe von einer Dame um Schutz gegen einen Mädchenjäger gebeten, so bitte man diesen Verfolger um Schutz gegen die Dame. Es ist dies wohl das einzige Mittel, mit blauem Auge davonzukommen. Für das blaue Auge läßt man natürlich Portemonnaie und Uhr in den Händen des vermeintlichen Mädchenjägers zurück, während die Dame sich mit einem einfachen Siegelring begnügt.

Ist man das Opfer einer solchen Komödie geworden und wünscht man außerdem in unbezwinglichem Ehrgeiz einen Lacherfolg, so erzähle man den Freunden, was passiert ist und sorge für Veröffentlichung dieses Vorfalls in den Tagesblättern als Beweis für die Unsicherheit in der nächsten Umgebung der Stadt. Natürlich hört man von keinem Freunde, daß nur einem ganz dummen Kerl dergleichen passieren könne und auch, daß Dummheit eine Gottesgabe sei, für welche man nicht genug dankbar sein könne, aber man merkt doch bald an gewissen Neckereien, daß man sich einmal wieder sehr beliebt gemacht habe. Addiert man dann den Inhalt des Portemonnaies und den Wert der Uhr und des Siegelrings, so spielt diese Summe eigentlich keine Rolle gegenüber dem Vergnügen, welches man seinen lieben Freunden gemacht hat.

Ist man gefleddert oder in der geschilderten originellen Weise beraubt, so bemühe man den auf den Hilferuf herbeieilenden Schutzmann nur dann, wenn Fledderer oder Parkräuber von diesem Beamten noch erreicht werden kann. Im anderen Fall behellige man den Beamten oder die Behörde nicht mit dem Vorgefallenen, da man nur dadurch Plackereien aller Art, als da sind: Besuche in Polizeibureaus, Konfrontationen der eingezogenen Verdächtigen, Durchsehen des Verbrecheralbums und ähnlichen zeitraubenden Geschäften 60 auszuweichen vermag. Dagegen darf man überzeugt sein, daß man Portemonnaie, Uhr und Siegelring nicht wiederbekommt. Indem man also nicht noch viele kostbaren Stunden dazu opfert, verringert man dann den Ärger über den Verlust um ein Erkleckliches. Dies werden alle loben, namentlich die Polizeibeamten, welche sich freuen, nicht fortwährend an die Unthaten der Verbrecher erinnert zu werden.

Kommt man trotzdem wieder in den Besitz des Geraubten, so lese man die Schillersche Ballade: der Ring des Polykrates und suche die Erinnyen zu versöhnen. Wie dies anzustellen sein wird, das wird man wohl selbst am besten wissen. Das Einfachste wäre ja, genau wie Polykrates zu verfahren, aber es ist dies nicht besonders zu empfehlen, weil auf den Fisch kein Verlaß ist, der den Ring in die Küche zurückzuliefern haben würde. Es ist schon vernünftiger, man begnüge sich mit der Wiedererlangung des Gestohlenen und stelle keine weiteren Experimente an, die Götter, die augenscheinlich auf Verderben sinnen, in eine versöhnlichere Stimmung zu versetzen. Das Beste ist schon, man nehme das Geld, das man den Göttern opfern wollte, verzehre es in guten Rotweinen, zu denen man die Freunde einladet, und warte das Weitere ab.

Es bedarf wohl für den vernünftigen Mann nicht unliebsamer Vorfälle, um die Sehnsucht nach dem völligen Ausspannen und Erholen immer frisch zu halten. Zwar heißt es, daß Arbeit das Leben süß mache, aber das Ausspannen und Erholen macht es doch auch nicht bitter.

Um ausspannen und sich erholen zu können, muß man arbeiten. Man arbeite also auch im Sommer. Man kann allerdings auch ausspannen und sich erholen, ohne zu arbeiten, wozu nichts weiter als eine hinreichende Rente nötig ist. Das letztere bleibt vorzuziehen.

61 Ausspannen und sich erholen heißt Nichtsthun. Es geschieht zur Beruhigung der Nerven und zum Sammeln neuer Kräfte, welche man braucht, um die Nerven wieder zu beunruhigen. Wer sich nun schämt, nichts zu thun, und behauptet, er könne nicht Nichts thun, weil das Nichtsthun ihm die größte Arbeit sei, der ist auch sonst ein Heuchler.

Eine Dame weiß nicht, was ausspannen heißt, indem sie in einem Badeort täglich dreimal Toilette macht, um dem Publikum stets neue Kleider und neue Hüte zu zeigen. Sie wird dann allgemein bedauert, weil sie doch so angestrengt arbeitet und es eigentlich nicht nötig hat.

Die Männer haben viele Formen, in den

Ferien

nicht auszuspannen und sich nicht zu erholen. Sie suchen den Frauen zu gefallen, spielen Karten, unternehmen große Fußtouren, hören alte Anekdoten an und unterhalten sich über Politik, bis die Ferien zu Ende sind und die Berufsarbeit wieder beginnt, in der sie sich dann langsam von den Anstrengungen der Ferien ausruhen.

Wenn man kein Talent zum Ausspannen und zum Erholen hat, so thut man gut, die Ferien unbenutzt zu lassen, da diese sowohl für den Körper, als auch für die Kasse zu anstrengend sind.

Selbst wenn man noch jung ist, strengt das Verliebtsein in den Ferien zu sehr an, um als Erholung gelten zu können. So schön Schiller diesen Herzenszustand schildert, so ist dieser doch bei näherer Betrachtung nicht von körperlicher und seelischer Anstrengung frei. Des Jünglings Alleinirren, das Hervorbrechen der Thränen und das Fliehen aus der Brüder wilden Reihn, indem er zugleich ihren Spuren folgt und das Schönste auf den Fluren sucht, sind unmöglich mit dem Begriff des Ausspannens zu vereinbaren.

62 Ist man verheiratet, so ist die Frage, ob man in Gesellschaft der Familie oder allein ausspannen soll, nicht so einfach zu beantworten. Es kommt hierbei auf den Grad der Verheiratung an. Ist der Gatte sehr oder gar ungemein verheiratet, so ist es der Ausspannung von Vorteil, wenn der Gatte allein seine Ferien verbringt, wenn er gewissermaßen in stiller Zurückgezogenheit von der Werkeltagsarbeit genesen will oder soll.

Auf manchen Gatten wirkt schon eine leider oft so kurze Trennung von vier Wochen wie ein Wunder, wenn der Gatte in zu reichem Maße verheiratet ist. Schon in der ganz wie neu erscheinenden Zärtlichkeit in den Briefen und auf den bunten Postkarten spricht sich die Wohlthat deutlich aus, welche eine Trennung darstellt, ohne daß die zum Ausdruck kommende Sehnsucht echt zu sein braucht. Sind die beiden Orte telephonisch verbunden und plaudert der Gatte mit seiner Frau mittels dieser herrlichen Erfindung, so wird auch der Fernstehende zugeben müssen, daß sich in diese oft fünf Minuten ununterbrochen währende Unterhaltung kein Mißton drängt, wie er so gern im persönlichen Verkehr ohne eigentlichen Grund und zu beiderseitigem Bedauern oft schon nach ein- oder zweiminutlicher Plauderei zu kommen pflegt.

Es ist hier nicht der Ort, alle Ehepaare zu fragen, ob eine dann und wann stattfindende Trennung das eheliche Glück empfindlich stören, ja, ob eine solche nicht am Ende gar als eine nützliche Unterbrechung geschätzt werden würde. Eine solche Frage würde schon deshalb keine rechte Bedeutung haben, weil vielen Gatten von ihren besseren Hälften verboten würde, eine ehrliche Antwort zu geben. Trotzdem würde sich ganz gewiß eine imposante Majorität für eine Trennung in den Ferien aussprechen.

Als allzu Verheirateter wird man natürlich vor 63 keine leichte Aufgabe gestellt, wenn man der Gattin und dem etwaigen Kindersegen gegenüber eine Trennung durchsetzen soll. Mit den beschönigenden Redensarten »Toujours perdrix«, »Variatio delectat« und der Versicherung, daß der ewig blaue Himmel nur gewinnen könne, wenn sich einmal für kurze Zeit eine andere Farbe hineinmische, ist wenig gethan, weil sie nicht immer ohne weiteres für ehrlich gehalten werden. Man spiele daher mit dem Arzt unter einer Decke. Ist der Arzt selbst verheiratet, so bedarf es keiner weiteren Motivierung, um die nötige Trennung herbeizuführen.

Hat man diese durchgesetzt, so unterlasse man es nicht, während der Vorbereitungen zur Reise mit Bedauern von dieser Trennung zu sprechen. Dasselbe ist auch der Gattin zu empfehlen. Beide haben dies aber nicht zu übertreiben, damit das Erreichte nicht dadurch gefährdet werde, daß der eine oder der andere Teil im letzten Moment dem Jammer ein Ende macht und sich entschließt, mit in die Verbannung zu ziehen.

Als Ort, wo man die Ferien verbringt, ist kein naheliegender zu wählen, da die Verkehrsmittel heute zu leicht namentlich die Sonntage unsicher machen und die Familie zu Besuchen verführen. Jedenfalls wird es in naheliegenden Ausspannorten die litterarische Aufgabe des Gatten oder der Gattin sein, das Wetter so schlecht zu machen und die vorhandenen Vergnügungen so erbarmungslos herabzusetzen, daß den Adressaten die Lust zur Visite vergeht.

Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß nur Männer wegen übermäßiger Ehe nach einer längeren oder kürzeren, meist aber längeren Trennung zu verlangen das Recht oder das Bedürfnis haben sollen. Ist es bisher nicht betont worden, daß ebenso die Frau und ebenso häufig wie der Mann zu der 64 Einsicht gelangen kann und auch thatsächlich zu der Überzeugung gelangt, daß sie fast zu sehr verheiratet sei und daß eine Erholung erfreulich wirken könne, so soll dies hier ausdrücklich geschehen. In der Ehe gilt der Grundsatz: Gleiches Unrecht für alle.

Hört man eine Frau in den Ferien beklagen, daß sie allein in die Sommerfrische geschickt oder allein zu Hause geblieben sei, so stelle man ihr das Zeugnis aus, daß man von ihr höchst taktvoll zum besten gehalten worden sei.

Hört man einen Mann in den Ferien darüber jammern, daß er sich einsam fühle und außer sich darüber sei, daß seine Gattin ohne ihn reiste oder allein zu Hause blieb, so bitte man ihn, daß er sich für seine Komödie einen anderen Dummen aussuchen möge.

Trifft man in der Ferienfrische

Strohwitwer,

während man selbst mit der Gattin anwesend ist, so suche man sich dadurch einigermaßen schadlos zu halten, daß man die Strohwitwer, wenn man sie in Gesellschaft von Damen trifft, nach dem Befinden ihrer Gattin und Kinder fragt. Es ist ihnen dies meist unangenehm, und das kann doch recht amüsant sein.

Hat der Strohwitwer noch keine Enkel, so frage man ihn auch nach dem Befinden dieser. Es handelt sich doch nur darum, daß man ihm Enkel zutraut, und dies ist ihm gleichfalls sehr fatal. Man entschuldige sich natürlich tausendmal, daß man sich geirrt habe, an der Sache ändert dies durchaus nichts.

Will man den Strohwitwer recht unbefangen ärgern, stören oder ihm die gute Laune verderben, so betrete man, wenn man von seinen Angehörigen spricht, den Weg des unbegrenzten Lobes, man frage nach seiner schönen, mit ewiger Jugend begabten 65 Gattin, schildere seine Töchter als mit verblüffender Bildung ausgestattete Ballköniginnen und sehe in seinen Söhnen die kommenden Männer. Dann ist der Strohwitwer entwaffnet und das vorbereitete Wort Tölpel oder ein ähnliches erstirbt ihm auf der Lippe.

Ist man selbst Strohwitwer, so sei man gegen andere Strohwitwer genau so, wie man von ihnen behandelt sein will. Das ist für sie vorteilhaft, während man selbst keinen Nutzen davon hat, denn es sind immer Männer vorhanden, welche von ihren Frauen keine Eifersucht zu fürchten haben, und gegen solche Männer kann sich kein Strohwitwer schützen. Man kann aber von ihnen sehr viel lernen, denn sie liefern Beweise von großer Schlauheit, wenn sie von ihren Frauen keine Eifersucht zu fürchten haben.

Man findet dann und wann einen Strohwitwer, welcher die Briefe seiner Gattin vorliest. Solchem weiche man aus, weil Briefe, welche vorgelesen werden, nie etwas enthalten, was wert ist, vorgelesen zu werden. Namentlich steht in solchen Briefen nichts, was der Gatte nicht erfahren darf, und alles, was er erfahren darf, ist uninteressant.

Man merke sich endlich, daß einem der »Fremde« nicht mehr geglaubt wird. Ist man also Strohwitwer, so rede man nicht von seinem Fremden, sondern überlasse es jedem Bekannten, an solchen zu glauben. Redet man von ihm, so hält man ihn für ersonnen, um ungestört bummeln zu können und obenein als Opfer der Freundschaft zu gelten. Am allerwenigsten spreche man von einem Fremden in den Briefen an die Gattin, welche dadurch leicht herbeigelockt werden kann und dann nicht wieder zu entfernen ist. Der Fremde erfreut sich überall eines schlechten Rufs, weil er meist eine Erfindung ist. Der erfundene Fremde gilt als ein nichtswürdiges Geschöpf, dem der 66 wirkliche, der doch moralische Grundsätze haben könnte, vorgezogen wird.

Ein Beweis für das Schauderhafte, das sich an die Erscheinung des Fremden knüpft, ist der Umstand, daß noch keine Frau auf die Idee gekommen ist, ihrem Mann brieflich oder mündlich anzuzeigen, sie habe einen Fremden. Noch in keinem Scheidungsprozeß spielte der Fremde einer Frau eine Rolle, der Fremde ist eine Ausgeburt der Männerphantasie.

Der wirkliche Fremde eines Mannes hat die furchtbare Eigenschaft, daß er nicht geführt wird, sondern führt. Der Fremde zeigt einem Manne in dessen eigener Stadt erst alle ihre Schlupfwinkel und Sümpfe und ist daher mit vollem Recht von den Gattinnen gefürchtet.

Wenn ein Fremder eine Stadt als Sündenbabel schildert, so kann man sicher sein, daß er beigetragen hat, sie dazu zu machen.

Eine sehr angenehme Erscheinung in den Sommerfrischen, Kurorten, Strandstädten und Heildörfern sind

die Strohwitwen.

Sie beleben den gewöhnlich sehr langweiligen Ort dadurch, daß sie ohne ihre Schuld Grund zu Erzählungen geben, an denen kein wahres Wort ist, besonders wenn sie mit der Versicherung verbreitet werden, daß man es ganz genau wisse. Wird aber das Ehrenwort gegeben, daß die Erzählung wahr sei, dann ist sie sicher unwahr.

Lernt man eine Strohwitwe kennen, so erkundige man sich, ob sie nicht etwa ein Strohfräulein ist. Denn meist ist es sonst zu spät und es ist zu der Witwe dann kein Mann zu finden, der die Rechnungen bezahlt. Dann bezahle man sie, ohne zu fürchten, daß dies als beleidigend zurückgewiesen wird. Nur Mut!

67 Gleich nach dem Vergnügen, eine Strohwitwe kennen zu lernen, erkundige man sich nach ihren Lieblingsblumen und nach ihrem Lieblingskonfekt. Da dies meist die teuersten auf ihrem Gebiet zu sein pflegen, so kann man leicht berechnen, wie viel man täglich spart, wenn man sie sogleich wieder vergißt.

Trifft man in größerer Gesellschaft mit dieser Dame zusammen und bringt sie das Gespräch ganz zufällig auf das Theater, so sage man, das Theater sei total ausverkauft. Es ist dann sicher ein anderer anwesend, welcher sich anheischig macht, mit Hilfe seiner großen Verbindungen noch eine Loge zu bekommen, wie sie die Strohwitwe wünscht. Diese Aufdringlichkeit läßt man sich gefallen, um keine Mißstimmung in den Kreis zu bringen, was allgemein anerkannt wird, auch bei solchen Herren, welche wußten daß überhaupt noch kein Theaterbillet verkauft war.

An Gesprächen über reizende Gegenstände, welche die Strohwitwen in den Schaufenstern namentlich der Juwelierläden gesehen haben, beteilige man sich nicht unter dem ausdrücklichen Bemerken, daß man nichts davon verstehe. Man fange lieber ein Gespräch über neue Erfindungen in der Elektrizität an, von denen man erst recht nichts versteht.

Treffen Verwandte der Dame ein, so störe man sie nicht, auch wenn sie nicht mit ihr allein sein wollen, was man nicht zu wissen braucht.

Wird die Strohwitwe, was anzunehmen ist, während der Sommerfrische von einem Geburtstag erreicht, so sei man diskret und wisse nichts davon. Im Fall sage man den indiskreten Wissenden, daß einer Dame ein Geburtstag immer ein peinliches Fest sei, weil er sie nur in seltenen Fällen jünger zu machen pflege.

Ist man bereits verheiratet, so trete man unerschrocken an die Dame heran, falls sie von einer 68 Tochter umgeben ist. Ich wähle mit Vorbehalt dieses falsche Wort, weil eine Strohwitwe, die eine Tochter zur Seite hat, ungemein umgeben ist. Ist man aber unverheiratet, ohne Praxis im Ausweichen zu haben, und nicht verliebt, so sei man kein Egoist, sondern überlasse den Platz einem Würdigeren, der vielleicht ohnedies unrettbar der Ehe verfallen ist. Dies erkennt man am leichtesten daran, daß man von ihm mit geringschätzenden Blicken betrachtet wird.

Sind der Strohwitwe eines Tages alle verheirateten Männer sehr gleichgültig, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder erwartet sie im Laufe des folgenden Tages ihren lieben Gatten oder einer der jungen Männer hat um die Hand ihrer Tochter gebeten. In keinen der beiden Fälle thue man eine schadenfrohe Äußerung.

Man setze sich in den Feriengegenden nicht zu Damen, welche Strümpfe stricken. Man kann Strümpfe für ungemein nützlich und notwendig halten, ohne sie gerne entstehen zu sehen. Aber man kann sie auch dann und wann gerne entstehen sehen, ohne darin eine Vergnügungssucht befriedigen zu wollen. Man achte also das Strümpfestricken hoch, erblicke darin eine gute alte Sitte, störe aber die Damen nicht, damit man plaudernd durch frivoles Ablenken nicht etwa die Verknüppelung des Strumpfs verschulde. Allerdings wird solche Zurückhaltung von den Strickerinnen mißverstanden werden.

Anders verhalte man sich gegenüber solchen

Damen, welche schreiben-

Trifft man, wie es sich wohl von selbst versteht, schreibende Damen, so setze man sich doch lieber zu den Damen, welche Strümpfe stricken, so schwer man sich dazu entschließen mag.

Glaubt man aber, man könne die schreibenden 69 Damen in ihrem unmäßigen Novellendichten stören, so setze man sich zu ihnen. Bliebe dadurch auch nur eine einzige Novelle ungeschrieben, so darf man sich schon dieser Störung als einer Wohlthat rühmen. Aber man wird dies niemals können, denn von den etlichen Millionen Metern Novellen, welche jährlich von Damen geschrieben werden, bleiben nicht zwei Meter ungeschrieben.

Man nehme sich aber wohl in Acht, in einer Damengesellschaft über die Blaustrümpfe etwas Böses zu sagen, denn man verletzt die Hälfte der Anwesenden nicht nur, welche schreiben, sondern auch die andere Hälfte, welche jedenfalls bereits beschlossen hat, nächstens zur Feder zu greifen.

Lernt man eine Dame kennen, von der man sagen hört, sie schriebe keine Novellen, so juble man nicht zu früh, denn es wird sich bald herausstellen, daß es nicht wahr ist.

Wird man von einer Dame eingeladen, eine ihrer Novellen anzuhören, so mißverstehe man und sage dankend, man habe bereits gefrühstückt.

Wird man von einer Dame eingeladen, welche keine ihrer Novellen vorlesen will, so verfahre man ebenso, um auszuweichen, denn sie würde trotzdem eine ihrer Novellen vorlesen.

In der Reihe noch anderer Sommerunterhaltungen nehmen die

Extrazüge

einen ziemlich hervorragenden Platz ein. Die Extrazüge, Sonderzüge genannt, werden von den Eisenbahnverwaltungen lediglich im Interesse des reiselustigen Publikums eingerichtet, um ihre ohnehin großen Einnahmen zu erhöhen.

Sie sind immer sehr überfüllt, gewähren dem Reisenden kein Freigepäck, behandeln ihn selbst wie ein 70 Stück Gepäck, verbilligen die Reise nur um ein Geringes und werden vom Publikum zum Vergnügen benutzt.

Man stelle sich mit großer Pünktlichkeit auf dem Bahnhof ein, nämlich eine halbe Stunde vor der angekündigten Abgangszeit, um mit aller Bequemlichkeit nicht an den Schalter heranzukommen und nicht in den Besitz einer Fahrkarte zu gelangen.

Hat man dann endlich eine der letzten Fahrkarten erwischt, so beeile man sich, in den Waggon zu kommen, um, da dieser bereits überfüllt ist, einen anderen Waggon zu suchen, in welchem gleichfalls kein Platz vorhanden ist.

Nun wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den vorderen Waggons schicken. Hier wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den hinteren Waggons senden. Daselbst wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat. Von diesem wird man zu den mittleren Waggons befohlen.

Hat man diesem Befehl Folge geleistet, so steige man in einen bereits besetzten Wagen, lasse sich von dem Schaffner hinaus und in einen anderen Wagen hineinschieben, woselbst man Platz nimmt.

Hier wird gewöhnlich bereits gesungen, da man zwischen die Mitglieder einer Sängertafel geraten ist, aus welchem Grunde man gleichfalls einen Schluck aus der kreisenden Flasche nimmt und mitsingt.

Da, wie Seume behauptet, wo man singet, man sich ruhig niederlassen soll, weil Bösewichter keine Lieder haben, so sei man nicht außer sich, wenn man sehr zusammengepreßt wird und andere Unannehmlichkeiten erdulden muß. Denn die Reisegefährten haben Lieder, sind also keine Bösewichter und meinen es nicht so böse, wie sie aussehen.

71 Es giebt Menschen, welche einen Extrazug benutzen wollen, aber zu spät auf dem Bahnhof eintreffen und nur noch den Zug fortsausen sehen. Dies aber sind besonders begnadete Menschen, Sonntagskinder oder Glückspilze, und wenn man zu einer dieser drei Sorten gehört, so kommt man gar nicht auf den Gedanken, einen Extrazug benutzen zu wollen.

Man habe bei sich, was man braucht, um Hunger und Durst zu stillen, denn auf den wenigen Stationen legt der Extrazug seine Eile nicht ab, und wenn man nicht sehr stark ist, kommt man nicht an das Büffet heran oder nur dann, wenn alles verzehrt ist.

Verrät die Cigarre eines Extrazüglers durch ihren Duft, daß sie entweder eine Rabbi oder eine Mönch sei (s. Heinrich Heine: Disputation, letzte Strophe[Am Ende des »Romanzero«:

Welcher Recht hat, weiß ich nicht –
Doch es will mich schier bedünken,
Daß der Rabbi und der Mönch,
Daß sie alle beide stinken.]

), so lobe man sie und frage den Raucher, woher er das köstliche Kraut beziehe. Denn er würde die Wahrheit, daß man durch den Gestank einer Ohnmacht nahe sei, als eine persönliche Beleidigung auffassen, und man hätte eine Extrazuginjurie, eine besonders schmerzhafte, zu befürchten.

Ist auf der Fahrt viel getrunken worden, so trete man unter irgend einem Vorwand auf den Gang und bleibe daselbst bis zum Ende der Reise stehen. Denn wenn einem Gegenübersitzenden schlecht wird, so wird er wahrscheinlich am andern Morgen wieder ganz hergestellt sein, aber man muß doch nicht von allem haben.

Wird man von der Gattin eines gleichfalls nicht ganz nüchternen Extrazüglers etwas gefragt, so antworte man nicht, da seitens des Gatten eine Antwort mißverstanden und als Versuch, die Frau zu einem Treubruch zu verleiten, aufgefaßt werden könnte, was zu peinlichen Auseinandersetzungen führen würde. Man schone also die Empfindlichkeit des Mitreisenden, dessen Fäuste man sich bei dieser Gelegenheit nicht zu flüchtig ansehe.

72 Stimmen die Extrazügler »die Wacht am Rhein« an und niemand kennt den Text der sechs Strophen außer dem der ersten, so mache man darüber keine abfällige Bemerkung, denn man kennt ihn selber nicht.

Ist man mit Reisegeld gut versorgt und kommt mit einem elegant gekleideten Extrazügler in ein Gespräch, in dessen Verlauf man von diesem eingeladen wird, sich seiner Führung am Ziel der Fahrt anzuvertrauen, so kann man gar nicht so viel Reisegeld bei sich haben, als man im Kümmelblättchen verliert, zu welchem man von dem Herrn animiert werden wird.

Macht man die angenehme Bekanntschaft einer alleinstehenden Extrazüglerin, welche Verwandte besuchen will, von denen sie nicht am Bahnhof erwartet wird, sich aber dennoch erbitten läßt, die Begleitung bis zur Stadt anzunehmen, so wird man sie nicht wieder los, da sie sich auf dem Wege zur Stadt entschließt, ihre Verwandten nicht aufzusuchen, sondern lieber mit ihrem Begleiter zu speisen und mit ihm ins Theater zu gehen. Wird man dann zum Abschied von ihr umarmt, so halte man eine Hand am Taschenbuch, in welchem man das Reisegeld hat, und die andere Hand an der Uhr. Was man dann vermißt, ist nicht so wertvoll.

Ist man am Ziel der Reise angelangt, so prahle man namentlich in Wirtshäusern nicht mit dem Hinweis darauf, daß man mit dem Extrazug eingetroffen sei. Denn dies ist nicht nur keine Eigenschaft, mit der man prahlen kann, sondern man würde auch bei den Kellnern keines Ansehens genießen, da der Extrazügler im allgemeinen als ein Freund ökonomischer Lebensführung gilt, der z. B. im Trinkgeldgeben von Prinzipien und Vorurteilen geleitet wird.

Will man im Hotel nicht mit Begeisterung 73 empfangen werden, so fahre oder gehe man direkt nach der Ankunft dahin und bitte um ein Zimmer. Der Hotelwirt erwartet die Extrazügler schon seit gestern mit einer gewissen Furcht.

Beginnt man

Schlösser und Museen

zu durchrennen, so achte man genau auf die Erklärungen des die Opfer der Schaulust führenden Beamten und merke sich die oft so feinen Dummheiten seiner Bemerkungen. Dies hat man aber nicht nötig, wenn man historische Reliquien und ganz alte Vorfahrenporträts für interessanter als solche Bemerkungen hält, worüber man vom Arzt das Nähere erfahren kann. Unheilbar ist es nicht.

Stehen in den Schlössern und Museen viele Kleinigkeiten umher, die sich leicht einstecken und transportieren lassen, und steckt man solche ein, so ist man ein Dieb, wenn man erwischt wird. Kommt es aber heraus, so ist man statt dessen ein an der Kleptomanie leidender Mann, der allgemein bedauert wird und auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden muß. Man bezwinge sich indessen lieber, denn man wird doch sehr leicht erwischt, und es ist auch nicht sicher, daß angenommen wird, man leide an der Kleptomanie. Man beschränke sich also darauf, einige Bemerkungen des erklärenden Führers mitzunehmen, welche, wie gesagt, hübscher sind, als die Gegenstände, auf die sie sich beziehen.

Man zeige auf solchen Durchquerungen der Schlösser und Museen nicht, daß man reichlich mit Geld versehen sei. Denn man wird in solchen Fällen nur zu oft von einem alten Bekannten begrüßt, den man niemals im Leben gesehen hat.

Folgt man solchem alten Bekannten, den man niemals im Leben gesehen hat, so nehme man die 74 Fahrkarte aus dem Portemonnaie und stecke sie in die Westentasche, um sicher zu sein, die Rückreise antreten zu können, ohne eine Fahrkarte kaufen zu müssen. Denn wenn das Portemonnaie mit der Fahrkarte abhanden kommt, so wird diese vom unehrlichen Finder mit zum baren Gelde berechnet und billig verkauft.

Da eine Fahrt mit dem Extrazug mehr als jede andere anstrengt, so verpflege man sich gut und lege sich namentlich im Essen und Trinken keine Entbehrungen aus. Einen Aschinger findet man heute schon in allen namhaften Städten.

Will man einen wirklichen Kunstgenuß haben, so gehe man nicht ins Theater, da daselbst in der Zeit der Extrazüge, wenn überhaupt gespielt wird, nur das älteste Repertoire zur Herrschaft gelangt. Man erkundige sich daher, ob in der Stadt ein Spezialitätentheater existiere und vermeide auch dies.

Hat man sich der leichteren Beweglichkeit halber in der Eigenschaft als Extrazügler mit möglichst wenig Gepäck versehen, so schone man trotzdem die Papierwäsche nicht, welche schon am zweiten Tag nicht mehr recht sauber zu sein pflegt. Man werfe sie aber nicht fort, sondern verwende sie zum Aufzeichnen der Reiseeindrücke und Erlebnisse, welche Notizen sich später zu Feuilletons verarbeiten lassen.

Hat man auf diesem litterarischen Felde einen Namen und wird um Autographen ersucht, so bediene man sich dazu sauberer Papierwäsche. Dies ist höchst originell.

Ist der Extrazug sehr lang und wird dadurch ein Eisenbahnzusammenstoß herbeigeführt, so sei man ganz ruhig. Denn die Direktionen haften mit ihrem ganzen Vermögen für die Folgen. Hat man sich aber gegen Eisenbahnunfall mit einer größeren Summe versichert und rechnet man auf diese, so sei man noch ruhiger, denn alsdann geschieht kein Unglück.

75 Wenden wir uns von solchen Herdenmenschen zu denjenigen Sonderlingen, welche die

Einsamkeit

aufsuchen, indem sie sie als ein unabweisbares Bedürfnis empfinden. Sie streben sie an und finden sie wohl auch, aber dann ist es nicht die Einsamkeit.

Goethe läßt seinen Harfenspieler singen: »Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach! der ist bald allein.« Dies ist indes in Zweifel zu ziehen. Keinenfalls ist der lange allein. Selbst wenn ein Harfenspieler sich der Einsamkeit ergiebt, so thut er dies in der Überzeugung, bald nicht mehr allein zu sein, so wenig man verlangen mag, zu den Zuhörern zu gehören. Aber auch, wenn man nicht Harfenspieler ist, darf man überzeugt sein, daß es eine schwere Aufgabe ist, eine Einsamkeit finden und genießen zu können.

Hat man das seltene Glück, einen echten Einsiedler aufzutreiben, so wird man dahinterkommen, daß man einen sehr geselligen Herrn kennen gelernt hat, der auch, wenn man ihm etwas giebt, sehr mitteilsam wird. Er empfängt Besuch aus der Umgegend und ist außer sich, wenn solcher ausbleibt, denn er haßt die Menschen nur, wenn sie nicht da sind, weil er von ihnen und nicht von Heuschrecken lebt. Das Heuschreckenessen ist eine Fabel, der Einsiedler pflegt ein Feinschmecker zu sein.

Wer es mit der Einsamkeit ernst meint, wird sie natürlich finden, um dann bald einzusehen, daß er in das Gegenteil geraten ist.

Schon bei der Ankunft in der Einsamkeit lernt man die Wirtsleute und deren Verwandte als biedere Menschen kennen, welche Anschluß suchen, während des Winters viel allein waren und sich freuen, nun jemand gefunden zu haben, mit dem sie sich aussprechen können. Dies beginnt schon am ersten Abend.

76 Da der Ort, in welchem man sich der Einsamkeit erfreuen will, so schön gelegen zu sein pflegt, so wird er von vielen Passanten gestreift, unter denen man Bekannte findet, die man nicht verletzen will und daher bittet, einige Zeit zu verweilen, wodurch die Einsamkeit angenehm belebt wird.

Befinden sich unter diesen Passanten Männer, welche gleichfalls die Einsamkeit aufsuchen, so ist der Skatpartie die Bahn geebnet.

Der Einsame sei anderen Einsamen gegenüber möglichst taktvoll und zwinge sie nicht, länger zu bleiben, als sie ihre Einsamkeit zu unterbrechen wünschen. Man sage sich, wie man selbst es beurteilen würde, wenn jemand allein zu sein wünscht und es nicht durchsetzen könnte, einen Besuch zu beenden.

Man wird die Einsamkeit besonders angenehm finden, wenn man den Besuchern in irgend einem Kartenspiel ziemlich viel abgewinnt. Gewinnen dagegen die Besucher, so werden diese die Einsamkeit ihres Freundes verwerfen und ihm versprechen, morgen wiederzukommen.

Taucht im Laufe der Unterhaltung bei dem einen oder andern die Idee auf, einen Klub der Einsiedler zu gründen, so trete man diesem nur unter der Bedingung bei, daß man ohne weiteres wieder austreten könne, wenn sich mehr als fünfzig Mitglieder zusammenfinden und infolgedessen der Lärm zu groß wird.

Findet man, daß die ländliche Einsamkeit durch die Gesellschaft zu eintönig geworden, so unternehme man in der tiefsten Verschwiegenheit eine Fahrt in die nächste größere Stadt und steige daselbst unter fremdem Namen in einem Hotel ab, aber nur dann, wenn man das schauspielerische Talent hat, sich zu verleugnen, falls man beim Eintreffen sofort erkannt und begrüßt wird, was nicht zu vermeiden ist.

77 Ist man verheiratet und hat allein die Einsamkeit aufgesucht, so teile man vor der Abfahrt in die größere Stadt der Gattin mit, daß man sich daselbst nur so lange aufhalten werde, als nötig ist, ihr etwas aus der Einsamkeit mitzubringen. Dies wird zwar nicht geglaubt, versöhnt aber zugleich.

Mit der weiblichen Bedienung der Einsamkeit kann man nicht vorsichtig genug sein, da sie durch vorangegangene Einsamlinge schon gewitzigt zu sein pflegen.

Ist man Radler, so nehme man das Zweirad nicht in die Einsamkeit mit, da der Zweiraddieb aus der Umgegend dahin zu kommen pflegt.

Will man eine ganz ernsthafte Einsamkeit schaffen, so schildere man dem ersten Besucher eine finanzielle Krisis, in der man sich befinde, und fordere ihn auf, zu ihrer Hebung beizutragen. Dies verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und bald wird kein Mensch mehr die Schwelle des Einsamen überschreiten, wenn man keine Gläubiger hat.

Eine Hauptsache für das persönliche Behagen ist und bleibt

das Sommerwetter

und wie man es auszunutzen und sich gegen seine Unbill zu schützen weiß. Hat man kein Vertrauen zu der Falbschen Prognose, so kann man auch ohne solches vielfach getäuscht werden, weshalb zu raten ist, daß man im Gegenteil ein Anhänger der Falbschen Theorie werde, damit man für eigene Irrtümer eine Entschuldigung habe, und weil der Laubfrosch, falls man einen solchen aufgestellt haben sollte, nicht des wissenschaftlichen Ansehens genießt und nur als tüchtiger Fliegenfänger anerkannt wird.

Zuverlässiger als der Laubfrosch ist der Regenschirm. Ist man ohne solchen ausgegangen, so ist ein 78 plötzlicher Niederschlag zu erwarten, obschon es auch trocken bleiben kann, und hat man den Regenschirm mitgenommen, so bleibt es wahrscheinlich trocken, obschon es auch zu regnen anfangen kann.

Hat man einen neuen Hut, so ist ein hartnäckiger Landregen zu erwarten, als habe man einen neuen hellen Anzug angelegt. Wird man hierauf aufmerksam gemacht, so entferne man sich nicht zu weit von einem Wirtshaus, in welchem man beim Eintritt eines Unwetters eine Flasche Wein findet, die natürlich nicht zu trinken ist und daher einen längeren Aufenthalt im Wirtshaus möglich macht.

Bekommt man auf die Frage, ob das Wetter schön und trocken bleibe, eine bejahende Antwort, so gehe man auf die Gefahr hin, die Bejahenden zu beleidigen, nicht ohne Regenschirm aus, da sie nicht naß würden, wenn man ohne Regenschirm ausgegangen wäre und ein Platzregen einträte, während sie zu Hause blieben.

Bekommt man auf die Frage, ob es regnen wird, eine bejahende Antwort, so nehme man trotzdem den Regenschirm und Regenmantel mit, denn die Bejahenden könnten Recht haben.

Ist es sehr schwül und ist man kein Freund großer Hitze, so freue man sich, ablehnen zu können, wenn man zu einer Vergnügungsstrapaze eingeladen wird. Hierher gehören das Bergsteigen, das Tanzen, das Dichten, das Gesellschaftsspiel, das Photographiertwerden und das Vorlesen.

Befindet sich in der Gesellschaft ein liebenswürdiger Onkel, der sich als Athlet einen gefürchteten Namen gemacht hat, so entferne man sich, wenn er Kinder dadurch angenehm zu unterhalten sucht, daß er sie in die Luft wirft und wieder fängt und den Zuschauern andere Beweise seiner schönen Kraft liefert. Denn gewöhnlich passiert ein Unglück, oder man wird nervös. 79 Hat man selbst Kinder, so nehme man sie mit fort, und dann halte man sie von jeder Gesellschaft fern, in welchen sich dieser Knote befindet, der sicher, ohne es zu wissen, schon etliche Kinder verkrüppelt hat.

Hier wäre es vielleicht am Platz, etwas über

Kinderspiele

zu sagen, zu welchen das schöne Sommerwetter die Veranlassung bildet und zu denen Männer wie der bezeichnete Athletenonkel die Kinder ermuntert.

Schlägt er das spanisch-amerikanische Kriegsspiel vor, so verbiete man ihm dies und zwar, wenn nötig, grob, da diejenigen Knaben und Mädchen, welche die spanische Armee bilden, körperlich verletzt werden.

Auch realistische Komödien, so modern und beliebt solche sind, lasse man die Kinder nicht spielen, da gewöhnlich die kleinen Mädchen, welche die Frauen darstellen, zu sehr mißhandelt werden.

Was die

Kindergarderoben

betrifft, so brauchen diejenigen Mütter, welche ihre Kleinen gerne dem allgemeinen Gelächter preisgegeben sehen, wenig an deren Anzügen zu ändern, sondern sie nach wie vor genau nach den Vorschriften der Modeblätter zu kleiden.

Ist man eine dieser Mütter und hat kein Auge dafür, daß die Kleinen ausgelacht werden, so darf man auch überzeugt sein, daß man es von den Kleinen nicht erfährt, da diese es natürlich nicht merken, und also können die Kleinen ja so bleiben.

Hält sich eine Dame über die Garderobe der Kinder einer anderen Dame auf, so darf man überzeugt sein, daß ihre eigenen noch schlimmer angezogen sind, ohne daß sie es bemerkt. Man erzähle solchen Müttern die unwahre Begebenheit, welche sich neulich 80 im Zoologischen Garten zugetragen habe. Ein Wärter habe ein so auffallend grotesk angezogenes Kind in der Meinung, es sei dem Affenhaus entsprungen, eingefangen und ins Affenhaus getragen. Aber auch diese Erzählung, die man auch aus dem Affentheater mitteilen kann, wird nichts nützen.

Glaubt man im Sommer, daß man sich vom Mittag an nicht genug wird langweilen können, so gehe man in das

Frühkonzert,

durch welches in größeren Städten die Inhaber öffentlicher Gärten schon in der Frühe die Bewohner an das Geldausgeben gewöhnen.

Wenn man in einer größeren Stadt während des ganzen Tages das Bedürfnis, Lärm zu hören, nicht vollständig zu befriedigen vermag, so beginne man den Tag mit dem Besuch eines Frühkonzerts, in welchem von einem halbwegs gut besetzten Orchester, sowie vom Publikum und von den Kellnern so viel Spektakel gemacht wird, daß man das Etablissement befriedigt, d. h. zur Genüge betäubt, verlassen kann.

Wer sich darüber beklagt, daß der Tag in einem Frühkonzert zu still begonnen habe, der spreche mit einem Ohrenarzt, welcher ihm vielleicht den Rat erteilen wird, mit einem Psychiater zu sprechen.

Man frage einen Musiker vom Frühkonzertorchester, ob er sich gern in einem Frühkonzert befinde, und er wird antworten, daß er das Publikum für verrückt halte.

Nach meiner Meinung ist das Frühkonzert etwas für Verräter. Denn, wie ein Bibelwort sagt, der Verräter schläft nicht. Er kann also in aller Frühe nichts besseres thun, als aufstehen und ein Frühkonzert besuchen. Man wird es ihm gönnen.

Wenn man versuchen will, festzustellen, ob man 81 am andern Tag Glück hat, oder nicht, so nehme man sich schon am Abend vor, am folgenden Morgen ein Frühkonzert zu besuchen. Vielleicht verschläft man's und hat den ganzen Tag Glück.

Man sage im Frühkonzert jedem, der es wissen will, daß man ein passionierter Frühkonzertbesucher sei. Sonst wird angenommen, man habe Wanzen, könne deshalb nicht schlafen und sei nun infolgedessen ein so frühzeitiger Musikfreund. Trifft dies zu, so sei man überzeugt, daß man im Frühkonzert von irgend einem anderen Ungeziefer geplagt wird.

Man nehme in das Frühkonzert aus der Apotheke ein Mittel gegen Mückenstiche mit. Es ist aber nicht so nützlich wie das Konzertprogramm, das man an der Kasse bekommt.

Wer verliebt ist und nichts lieber hat als ein Rendezvous, bei welchem ein Pärchen von allen Seiten scharf beobachtet wird, der entschließe sich rasch zu einem Stelldichein im Frühkonzert. Es wird ihm nichts zu wünschen übrig bleiben.

Ist man mit einem Kater aufgewacht und möchte ihn nicht los werden, so führe man ihn ins Frühkonzert und man wird ihn wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen. Er braucht zu seiner Erhaltung kaum etwas mehr als um sieben Uhr in der Frühe ein Potpourri, und eine Ouverture gegen halb acht Uhr. Oft genügt schon das eine.

Eheleute, welche sich gerne schon in aller Frühe zanken, ist der Besuch des Frühkonzerts nicht zu empfehlen, da die Musik mit ihrem besänftigenden Wesen den ehelichen Streit nur stört, nicht beseitigt. Oft facht sie den Zank auch noch zu hellerer Flamme an, wenn das Orchester gewisse Nummern des Programms erledigt, deren Inhalt provoziert und reizt. Hier seien Ehepaare namentlich dringend gewarnt vor dem Prügelchor aus den Meistersingern, dem 82 Gedankenaustausch zwischen Ortrud und Telramund aus dem Lohengrin, den Zankduetts aus der Angot und den lustigen Weibern, dem Sängerkrieg und der großen Kampfscene aus dem dritten Akt der Hugenotten, welche schon Scheidungen zur Folge hatten. Sie sind daher nur Ehepaaren, welche sich mit Musikbegleitung trennen wollen, zu empfehlen.

Will man sich davon überzeugen, wie wenig fruchtbar auch ein Regen sein kann, so warte man solchen im Frühkonzert ab. Denn dieses wird dann im Saal fortgesetzt.

In vielen Familien wird von den Hausfrauen das Eintreffen des Sommers durch eine beliebte Ceremonie, genannt das

Einmotten,

gefeiert. Dieses besteht darin, daß die Damen-, Herren- und Kindergarderoben und andere Textilgegenstände des Hauses mit scharfriechendem Pulver vollgestreut werden, wodurch, wenn das Pulver nicht ganz frisch und obenein nicht echt ist, den Motten verraten wird, wo ihr Futterplatz sich befindet. Solchen Tag nutze man in seiner Eigenschaft als Gatte aus, indem man sich entfernt und erst spät abends heimkehrt. Freunde mit guten Nasen wird man sich vom Leibe halten, so daß man ganz frei ist. Am folgenden Tag wird man diese Komödie wiederholen, so daß die Gattin und Kinder ungestört niesen können.

Es werden Wiederholungen stattfinden, bis der Verein gegen Tierquälerei sich der Motten annimmt und zwar natürlich ohne Erfolg. Doch spricht ein anderer Grund gegen das Einmotten. Da der Wäscheboden eine große Anziehungskraft auf die städtischen Diebe, Flatterfahrer genannt, ausübt, so wird diese Kraft dadurch verstärkt, daß das auf dem Wäscheboden in Sicherheit gebrachte Eingemottete ein 83 charakteristisches Aroma ausströmt, aber nicht stark genug, die Diebe fernzuhalten, sondern nur stark genug, ihnen den Schlupfwinkel der Garderobenstücke zu verraten. Man lasse also die Gattin alles sorgfältig einmotten und versichere sich dann gegen Einbruch.

Sind im Herbst die eingemotteten Sachen noch vorhanden und nicht nur die Motten, sondern auch die eingemotteten Sachen verdorben, so braucht man nur diese Sachen neu anzuschaffen, da die Motten aus eigenem Antriebe wieder erscheinen.

Sehr beliebt und allgemein verbreitet ist auch, wenn der Sommer gekommen ist, das

Einkleiden der Möbel

und Gaskronen, wodurch die Wohnung ein ödes Ansehen erhält und einen sehr ungemütlichen Eindruck macht. Dies verhindert indes nicht, daß während der Abwesenheit der Bewohner die Etage ausgeräumt wird, bei welcher Gelegenheit dann den Einbrechern auch die Möbelbezüge in die Hände fallen, worauf sie aber keinen Wert legen.

Finden in der Wohnung der Verreisten Dienstbotenfeste statt, so schonen die Dienstboten die Bezüge der Möbel dadurch, daß sie dieselben für den betreffenden Abend entfernen und dadurch der Wohnung wieder einen freundlichen Charakter verleihen. Den Dienstboten erwachsen dadurch keine Kosten.

Familien, welche auf Ordnung halten, dürfen während ihrer Abwesenheit aus zwei Gründen vollkommen ruhig sein. Wurde die Wohnung ausgeräumt, so ist es gut, daß sie nicht zugegen waren, da sie nicht wissen können, was, wenn sie zugegen gewesen wären, die Einbrecher ihnen zugefügt hätten, und ist die Wohnung von Einbrechern verschont geblieben, so finden sie die Mobilien und Gaskronen wieder eingekleidet vor, als sei nichts vorgefallen.

84 Will man bis zum Herbst in einem recht häßlichen Milieu wohnen, so läßt man die Möbel sorgfältig eingekleidet und entblößt sie nur, wenn man Freunde bei sich sieht.

Hat man Freunde, welche sich auch im Sommer nach Kopfschmerzen sehnen, so bereitet man wie alljährlich eine

Bowle

und ladet die Freunde dazu ein. Da die Kunst, eine Bowle zu bereiten, wenig verbreitet und mancher Bowlenanfänger zu stolz ist, seine Schülerhaftigkeit einzugestehen und einen Kenner zu Rate zu ziehen, so giebt es kaum etwas, was mit größerer Sicherheit zu erwarten ist, als die besagten Kopfschmerzen.

Versteht der Bowlenfreund nichts von der Kunst, eine Bowle so zu bereiten, daß sie kein Unheil anrichtet, so hat dies den Vorteil, daß er in der Wahl der Bowle nicht beschränkt ist. Er kann zu einer Erdbeer-, einer Pfirsich- oder einer Ananas-Bowle einladen, immer werden seine Freunde am folgenden Morgen mit Kopfschmerzen aufwachen.

Wo der Bowlenstümper eine Quelle kennt, woselbst er die besten Zuthaten zur Herstellung einer wohlerzogenen und umgänglichen Bowle findet, wird er sie bestimmt vermeiden. Der moderne Knigge hat darin durch viele Sommer das Erstaunlichste leisten sehen.

Will der Bowlenlaie für seine zerrüttende Thätigkeit obenein gelobt sein, so fragt er die eingeladenen Opfer, wie ihnen die Bowle schmecke. Die Antwort wird in den meisten Fällen eine unbedingt lobende sein. Dies liegt daran, daß ein Bowlendilettant allgemein gefürchtet wird, weil ein Mann, auch der mit unbescholtenstem Vorleben, der eine schlechte Bowle herstellt, zu allem fähig erscheint.

Der Bowlenpfuscher zeichnet sich dadurch nicht vor 85 allen auf anderen Gebieten wirkenden Pfuschern aus, daß er in einem Tadel nichts als Neid sieht, den Tadel nicht ernst nimmt und den Tadler für einen Nichtskönner hält. Antwortet man ihm auf seine Frage, wie man die Bowle finde, daß man sie nicht so schlecht machen könne, wie er sie selbst gemacht habe, so wird er, wenn alle Mittrinker derselben Meinung sind, in diesem Urteil nichts als den gemeinsten Bowlenneid erblicken. Trotzdem wird er leider den Beurteiler wieder einladen, denn der Bowlentyrann kennt keine Nachsicht.

Wird auf den Bowlenwirt getoastet, so stimmt alles begeistert ein, weil ihn dies zum Trinken animiert und er dadurch gleichfalls den Kopfschmerzen nicht entgeht.

Wenn unser Finanzminister schon etliche unverdauliche Bowlen hinter sich hätte, so würden wir längst eine Bowlensteuer und ein Gesetz haben, nach welchem der Bowlenfabrikant den Befähigungsnachweis zu liefern hätte. Daß dies nicht der Fall ist, beweist leider, daß unser Finanzminister noch niemals unter traurigen Bowlenverhältnissen gelitten hat.

Unsere Bowlengesellschaften, an deren Spitze ein unfähiger Bowlenist steht, brauchen ferner die Unfallversicherung, die Invalidenversorgung, eine Krankenkasse und die Entschädigung unschuldig zum Mittrinken Verurteilter.

Werden die Gläser zum ersten Mal vollgeschenkt, so greife man nicht sofort zu, sondern warte erst, bis etliche mutige Männer getrunken haben, von denen man weiß, daß sie keine Bowlengigerl sind. Erst wenn man sich überzeugt hat, daß diese Vortrinker nicht um sich schlagen und nicht nach Waldmeister, Mosel, Zucker, Cognac und anderen Ingredienzen schreien, dann erst greife man mutvoll zu und trinke vertrauensvoll in die Zukunft. Dagegen lege man auf das Lob des Wirtes nicht eher Wert, als bis er den Besten seiner Zeit 86 genug gethan hat oder wenn ihm ein guter Bowlenruf vorangeeilt ist. Sonst ist er ein Bowlenfänger.

Ist die Bowle gelungen, so wird man bemerken, daß man alle Anekdoten, welche erzählt werden, neu und gut findet, obschon sie alt und schlecht sind. Dies ist die Macht der gelungenen Bowle, nicht die der alten und schlechten Anekdoten.

Wird ein Trinker im Laufe der Bowle sehr mitteilsam oder geschwätzig, so höre man nicht zu, denn dieses schadet der Bowle nichts, wenn sie gut ist.

Trinker, welche nach dem vierten Glas zärtlich zu werden und das Brüderschafttrinken zu kriegen pflegen, bekommen solche Zustände namentlich bei der Bowle. Ist man ein Mann, dem selbst die zärtlichsten Männer gleichgültig sind, so habe man Geduld mit ihnen, denn solche Trinker fallen gewöhnlich bald unter den Tisch.

Gehören Damen zur Bowlenrunde, so sage man ihnen, es schade ihnen die Bowle nicht, sie könnten trinken nach Herzenslust. Dies wird von ihnen nicht geglaubt, und sie trinken daher mehr als sie vertragen können. So reizend eine Frau ohne Spitz sein kann, so reizend kann eine Frau mit einem Spitz sein.

Der Stadtbewohner, der seine Gäste

auf dem Balkon

bewirten kann, leistet ihnen einen doppelten Dienst, denn sie können sich einbilden, daß sie einige Stunden im Freien zugebracht haben, wobei niemand daran denkt, was alles in der Stadt Aufenthalt im Freien genannt wird.

Hat man in einer mehr oder weniger engen Straße einen Balkon, so schätze man sich glücklich, wenn die gegenüberliegende Etage nicht von Neugierigen bewohnt wird. Allerdings giebt es solche Etagen nicht.

Behauptet man, keine neugierigen Nachbarn zu 87 haben, so werden dies nur die Nachbarn bestätigen. Aber beides ist falsch. Denn man behauptet nicht, keine neugierigen Nachbarn zu haben, und der Nachbar, welcher beschwört, sich niemals um seine Nachbarn zu bekümmern, ist unbedingt kein Feind von Meineiden.

Kann man sich dessen nicht erinnern, was man gestern auf dem Balkon gethan hat, und möchte es gern wissen, so frage man nur die gegenüberwohnende Familie, von der man es genau erfahren kann, nachdem sie versichert hat, daß sie sich niemals um das Thun und Treiben der Nachbarn bekümmere. Nur wie durch ein Wunder ist sie gestern veranlaßt worden, ausnahmsweise hinüberzuschauen, da dies täglich wie durch ein Wunder geschieht.

Ist die Straße so breit, daß der Balkon von den Bewohnern des gegenüberliegenden Hauses nicht inspiziert werden kann, so haben sie einen vortrefflichen Operngucker, welcher viel seltener für die Oper verwendet wird.

Trinkt man allein den Kaffee auf dem Balkon, so hüte man sich, dem Dienstmädchen, das das Frühstück bringt, zu sagen, es solle die Zeitungen oder die Cigarren bringen, wenn man nicht, wie es wohl anzunehmen ist, vom gegenüberliegenden Haus die Nachricht verbreiten hören will, man habe mit dem bekanntlich sehr hübschen Mädchen ein Verhältnis. Denn solch ein Gerücht kann viel unangenehme Folgen nach sich ziehen, und man kann auch bedauern, daß es nicht wahr ist.

Ist man verheiratet und sitzt man dann und wann neben der Gattin auf dem Balkon, so lese man derselben, wenn dies überhaupt geschieht, nicht zu laut aus Büchern oder Zeitungen vor, damit von den Gegenübern nicht behauptet werden kann, man zanke sich den ganzen Tag mit der Gattin.

88 Will man es riskieren, daß dies mit dem Zusatz geschehe, es komme auch zuweilen von des Gatten Seite zu Thätlichkeiten, so hüte man sich nicht, auf dem Balkon die Gattin zu umarmen. Andernfalls warte man damit, bis man mit der Gattin in einem Hinterzimmer zusammentrifft.

Besitzt man einen Papagei, welcher dann und wann Beweise seiner Eloquenz liefert, indem er einige Schimpfwörter wiederholt, so stelle man ihn nicht auf den Balkon, denn die Nachbarn könnten fähig sein, die Schimpfwörter nicht persönlich zu nehmen, wodurch der Papagei ziemlich überflüssig erscheint und man viel weniger Vergnügen als früher von ihm hat.

Will man in der Nachbarschaft als Faulenzer gelten, der sein Geschäft, auch wenn man keines hat, vernachlässige, so braucht man nur häufig auf dem Balkon zu verweilen.

Man hüte sich nur dann, den Balkon gegen die Sonne oder den Regen zu sehr zu schützen, wenn man keinen Wert darauf legt, daß gegenüber behauptet wird, man führe ein Leben, das sich ängstlich zu verbergen habe.

Aber auch von den Sehenswürdigkeiten der Stadt, welche man bewohnt, mache man einen zweckmäßigen Gebrauch, was bekanntlich nicht immer der Fall ist.

In erster Linie sind es

Türme, Denkmäler und öffentliche Gebäude,

welche bestiegen werden können, auf die der moderne Knigge empfehlend hinweisen muß, und zwar im Interesse derjenigen, welche selbst nie daran denken, sie zu besteigen.

Will man sommerliche Besucher für ganze Vormittage los sein, wie dies wohl der sehnlichste Wunsch jedes zärtlichen Verwandten und gastfreundlichen Mannes ist, so frage man sie bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht 89 zuvörderst einen Überblick über Stadt und Umgegend verschaffen möchten. Man schildere solchen als geradezu bezaubernd, besonders wenn dies nicht der Fall ist, und die Besucher werden darauf eingehen. Hierauf schicke man sie auf irgend eine Höhe, die zu erreichen so anstrengend ist, daß die Besucher auch für den folgenden Nachmittag genug haben. Auch dies ist vorteilhaft.

Ist man einer dieser Besucher, so merke man die Absicht, werde aber nicht verstimmt, um den Freund nicht zu erzürnen, da man ihn doch noch für das Parterre der Stadt nötig hat.

Ist man klug, was man als Besucher allerdings nicht zu sein pflegt, so sage man, man besteige sofort das Siegesdenkmal, das Rathaus, den Aussichtsturm oder was man sonst erklimmen soll, bleibe aber unten und gehe in ein zu ebener Erde gelegenes Wirtshaus, wo man über die Herzlosigkeit des Verwandten bei kühlem Getränk bequem den Kopf schütteln kann.

Hat man die Höhe erklettert, so finde man die Stadt und Gegend, aus der Vogelperspektive betrachtet, ungemein interessant, um wenigstens etwas von der Mühe des Steigens zu haben. Dies thue man, wenn man gefragt wird. Unter zwei Augen kann man dann die Wahrheit sagen und dazu Beleidigungen laut werden lassen, um den Ärger über den erlittenen Ungenuß zu erleichtern.

Ist man im Sinne des Frankfurters, der von dem Verfasser des »Faust« sprach, ein Hiesiger und braucht einen Sporn, um doch endlich einmal die Stadt vom Turm &c. aus anzusehen, so denke man sich, man treffe vielleicht einen Sachsen oben und beginne hoffnungsvoll den Aufstieg. Reift dieser Blütentraum, so wird man sich gut unterhalten wie überall, wo ein Sachse ist.

Oben angekommen hat man vielleicht das Begehren, Fragen beantworten zu müssen, die man nicht 90 beantworten kann. Dann sage man den anwesenden Fremden, daß man hier geboren sei. Alsbald wird man einsehen, daß man seine Geburts- oder zweite Vaterstadt garnicht kennt.

Werden am folgenden Tag die Verwandten einen anderen Turm oder ein anderes städtisches Bauwerk besteigen, wie man es ihnen raten wird, so ist man ein Glückspilz, den dann Ägyptens König, wenn er ihn besuchte, gleichfalls sofort verlassen würde, um sich schnell einzuschiffen, weil ihm vor der Götter Neide graute. Aber gewöhnlich lassen sich die Verwandten nicht auf eine zweite Besteigung ein, und man ist ein Pechvogel.

Zu den beliebten Sommerunterhaltungen ist das

Kegeln

zu zählen, welches ein Gesellschaftsspiel ist, das entweder im Freien oder in einem Garten auf gedeckter Kegelbahn getobt wird. Außer dem Kegeljungen gehören dazu mehrere nur mittelmäßige Kegler, wenn man mit Erfolg kegeln will. Nach dem Urteil eines Meisterkeglers ist das Kegeln nämlich sehr gesund, wenn man gewinnt.

Trägt man gute und saubere Wäsche, so hält man es auch für gesund, vor dem Beginn des Spiels Rock und Weste abzulegen. Wer dies nicht thut, hält es gewöhnlich für gesundheitschädlich, minderwertige oder gar unsaubere Wäsche sehen zu lassen.

Will man sich bei guten Kegelspielern beliebt machen, so schiebt man die bekannten Kegeltiere Sandhase und Ratze. Geschieht dies oft oder gar gewohnheitsmäßig, so darf man sicher sein, immer wieder eingeladen zu werden und zwar unter der Versicherung, man sei ein liebenswürdiger Gesellschafter.

Will man die Nerven auf eine Generalprobe stellen, um sie zu prüfen, ob sie stark genug sind, in 91 schwierigen Momenten Widerstand zu leisten, so höre man zum tausendsten Mal die sich immer gleich bleibenden Scherze, Redensarten und Bemerkungen, welche von einigen lieben Mitkeglern zu dem großen Vergnügen beigesteuert werden, ohne daß man die Geduld verliert. Schon beim neunhundertsten Mal kann man sagen, daß man Nerven wie Schiffstaue hat.

Will man nicht unangenehm auffallen, so komme man mit keinem neuen Scherz auf die Bahn. Trotzdem das Kegelspiel erst vor etwa sechs Jahrhunderten zuerst erwähnt worden ist, stehen doch Scherze und Anekdoten, welche kaum so alt sind, bei den Keglern in hohem Ansehen.

Trotzdem es Kegelklubs aller politischen Richtungen giebt, herrscht doch in keinem der Respekt vor dem König. Von den konservativen Keglern wird der König mit demselben Behagen umgestoßen, wie von den anarchistischen. Nimmt man nun an, daß eines Tages nicht in der gutgesinnten Presse gegen diesen Unfug Protest erhoben werden wird, so beweist dies, daß man die Menschen, welche dekoriert sein möchten, nicht kennt.

Der Kegler, nach der Unterhaltung auf seiner Bahn nur oberflächlich beobachtet, ist gewöhnlich ein Lebemann und Don Juan. Das hindert ihn aber nicht, mit Aufbietung aller Intelligenz und Willenskraft das weibliche Geschlecht vom Kegeln fernzuhalten. Die Frauen, welche sich bereits aus ihrer bisherigen Hilflosigkeit zu den Höhen der Omnibusse emporgeschwungen haben, die offenen Thüren des Sports einrennen und auf dem Wege zur Gleichstellung mit den Männern immer weiter radeln, an der Holzwand der Kegelbahn müssen sie Halt machen, so sehr überzeugt sie sind, daß sie ein Keglerkostüm sehr schön kleiden würde. Ja, wenn die Kegler nicht so klug wären!

Ist man verheirateter Kegler, so schwebt man in 92 einer gewissen Angst, daß die Frauen eines Tages auch in die Kegelbahn eindringen. Damit verlöre man eine der letzten Freistätten, die vor den Frauen sicher sind, und man hätte dann kaum noch einen Ort, wo man gewesen sein kann, wenn man anderswo gewesen ist.

Wenn sich der moderne Knigge erst jetzt den

Weltausstellungen

zuwendet, so liegt dies daran, daß sie nicht allsommerlich erscheinen, sondern nur von Zeit zu Zeit nicht fertig sind, wenn sie eröffnet werden.

Um die Weltausstellung umsonst besuchen zu können, sei man kein Aussteller. Hierauf berechne man, wieviel man aus dem Fenster geworfen hätte, wenn man Aussteller gewesen wäre, und für diese Summe oder für einen Teil dieser Summe unternehme man alsdann die Reise zur Ausstellung. So macht man sie umsonst.

Will man in ein Besuchergedränge geraten, in welchem es kein vernünftiger Mensch auszuhalten vermag, so wähle man die Zeit, wo Extrazüge auf die Stadt der Weltausstellung losgelassen werden.

Kommt man daselbst an und findet keinen Platz im Hotel, so sei man nicht gleich trostlos, man wird auch in einem Privatlogis geprellt. Dies wird man auch wieder in Paris bestätigt finden, woselbst die nächste Weltausstellung stattfinden wird und schon Anstalten getroffen werden, den Besuchern nicht mehr Geld abzunehmen, als sie besitzen.

Spricht man nicht perfekt französisch, so schadet es nichts, denn man verrät auch, daß man kein Franzose ist, wenn man etwas perfekter spricht.

Nimmt man sich vernünftigerweise vor, nicht alles sehen zu wollen, was in der Weltausstellung zu sehen ist, so gehe man womöglich zweimal täglich hinein. Dann sieht man auch von dem Wenigen, was man sehen will, nicht alles.

93 Will man seine Abende nicht verlieren und aus diesem Grunde kein Theater besuchen, so gehe man abends an die Kasse, woselbst man kein Billet mehr bekommt.

Trifft man auf einem öffentlichen Ball eine reizende Dame, von deren unschuldigem Aussehen man entzückt ist, so warte man fünf Minuten und ihr Geliebter wird erscheinen. Entfernt sich dieser, so warte man drei Minuten und ihr zweiter Geliebter wird erscheinen u. s. w., bis der sechste erschienen sein wird.

Man spreche nicht vom deutsch-französischen Krieg, denn man kann auch durch andere Gespräche große Unannehmlichkeiten haben.

Ist man eines Tages zu einer recht großen und originellen Dummheit aufgelegt, so spreche man mit einem Pariser über Dreyfus. Aber man wird es nicht wiederthun.

Ist man mit der Gattin in Paris, so besuche man mit ihr kein Tanzlokal, das man als Junggeselle besucht hat. Denn die anwesenden Cancaneusen haben ein gutes Gedächtnis und, um das Deine aufzufrischen, erinnern sie Dich vielleicht daran, daß Du ihnen noch ein Souper schuldest. Das ist Deiner Gattin ganz angenehm, weil es sich nur um ein Souper und um kein Armband handelt, aber es handelt sich doch vielleicht diesmal um kein Souper, sondern um ein Armband für die Gattin.

Wird man in einem Magazin für einen Russen oder einen Türken gehalten, so hat man dies gewiß selbst dadurch verschuldet, daß man französisch sprach. Dies führt die echten Pariser meist irre.

Will man sehen, wie Frankreich seine Helden verehrt, so besuche man das Grab Napoleons im Invalidenhotel, und wenn man sehen will, wie Frankreich seine Helden verunehrt, so betrachte man die Napoleonssäule auf der Place Vendôme, welche 1871 umgeworfen wurde.

94 Begegnet man in der Weltausstellung einem General, vor dem jeder den Hut zieht, so mache man keine malitiöse Bemerkung, welche ihn beleidigen könnte, denn er ist vielleicht kein Fälscher.

Will man sich eine peinliche Scene ersparen, so antworte man in der Vorstellung des »Lohengrin« im Pariser Opernhause seinem Nachbar nichts, wenn er versichert, Richard Wagner sei ein geborener Franzose und durch ein widriges Schicksal nach Deutschland verschlagen. Ein Widerspruch, eine Berichtigung, oder gar ein Lachen würde den Pariser schwer verletzen und veranlassen, daß man wegen Beleidigung der französischen Nation als Prussien gelyncht wird.

Wird man in der Ausstellung von einer Dame begrüßt, die man nicht kennt, so sage man ihr: Sprechen Sie mit meiner Mutter! und lasse sie in ihrer Verblüffung stehen.

Um die französische Sprache zu erlernen, kann man zwei Wege einschlagen: man mache entweder die Bekanntschaft einer Pariserin, oder nehme Unterricht bei einem Sprachlehrer. Jener Weg ist der teuerste und auch der unsicherste, dieser Weg ist der billigere und ebenso unsicher.

Geht man mit einem Freunde in Paris spazieren, so sage man ihm fortwährend, daß man auf historischem Boden sich befinde, indem hier ein Straßenkampf, dort eine Hinrichtung stattgefunden haben. Es ist immer richtig, und die Bemerkung macht auf den Freund einen guten Eindruck.

Will man wenig essen, durch den Preis aber den Eindruck empfangen, als habe man für Drei gespeist so diniere man in der Ausstellung.

Will man Verrückte sehen, so besuche man aristokratische Gesellschaften und antworte auf die Frage, woher man sei: Aus St. Petersburg. Sofort wird 95 man auf Händen getragen und besser bewirtet, als die Anderen.

Man werfe nicht leichtsinnig mit dem Gelde, sondern drehe jedes Zwanzigfrancstück, bevor man es ausgiebt, erst dreimal in der Hand um. Es hilft aber wahrscheinlich nichts.

Hat man keine Lust, den Ehebruch darstellen zu sehen, so gehe man nicht ins Theater.

Will man einen klaren Begriff von der Dauer der Ewigkeit erhalten, so freue man sich, die Bekanntschaft einer Pariserin zu machen, von der man sofort den Eid ewiger Treue empfängt. Geschieht dies mittags, so weiß man schon abends nach 10 Uhr, wie lange die Ewigkeit gedauert hat.

Da die Franzosen als die Wirte zu betrachten sind, bei denen man während der Weltausstellung zu Gast ist, so verletze man sie auch da nicht, wo dies schwer zu vermeiden erscheint. So versichere man in der deutschen Ausstellung nicht, daß die Meister der ausgestellten deutschen Kunstwerke geborene Deutsche sind, wenn die anwesenden Franzosen selbstverständlich erklären, sie seien Franzosen, weil sämtliche Künstler Franzosen sind. Man entschuldige sich, gebe es zu und freue sich, so gut davongekommen zu sein.

In einer befreundeten Familie bewundere man auch die schönste Pendule nicht, wenn sie nicht befürchten soll, man wolle sie stehlen, obschon sich nichts weniger zum Mitnehmen eignet, als eine Pendule. Aber seit dem Jahre 1870 glauben die Franzosen, daß sich wenige Wertgegenstände so leicht stehlen lassen wie Pendulen und am leichtesten sich in Tornistern transportieren lassen.

Will man seine Freunde, welche den Eiffelturm bestiegen haben, nicht kränken, so erzähle man ihnen, daß man gleichfalls hinaufgestiegen sei, auch wenn man es unterlassen haben sollte. Denn es ärgert sie, daß 96 man vernünftiger gewesen ist und sich dieser Strapaze nicht unterzogen hat.

Hat man das Begehren, als perfekter Cancantänzer nach Hause zu kommen, so gehe man anstatt auf einen öffentlichen Ball in den Jardin des plantes und sehe alles den Affen ab. Diese beschämen in dieser Kunst jeden Pariser.

Macht ein Franzose große Worte, so versuche man nicht, größere zu machen, weil dies unmöglich ist.

Will man einem Pariser eine Freude machen, so kaufe man in seiner Gesellschaft in der Weltausstellung eine Cigarrenspitze als Andenken an Paris mit dem Bemerken, man wolle immer an die Spitze der Civilisation erinnert sein.

Man finde nicht, daß auch Paris seine Mängel habe, wie jede andere Stadt. Man finde lieber, daß alle Mohren weiß sind.

Will man seine Familie und Freunde nicht betrügen, so achte man darauf, daß man in der Weltausstellung keine Geschenke für sie kaufe, die deutsches Fabrikat und mit französischer Etiquette versehen sind. Da sich dies aber schwer erkennen läßt, so kaufe man lieber nichts.

Ist man ohne Gattin in Paris und will ihr eine Freude machen, so schreibe man ihr, man lebe trotz der Ausstellung sehr still und zurückgezogen. Da sie darüber ungläubig lächelt oder lacht, so hat man ihr also eine Freude gemacht.

Will man in der Heimat etwas erzählen, was niemand glaubt, so berichte man, man sei trotz der in Paris herrschenden Teuerung dort nicht nur mit dem Gelde ausgekommen, sondern habe noch eine namhafte Summe wieder mitgebracht. Es ist dies zur Befestigung des Rufes der Solidität, dessen man sich ohne Grund erfreut, zwar sehr klug erdacht, aber geglaubt wird es trotzdem nicht.

97 Selbstverständlich hat man

Abenteuer

zu erzählen, welche aber meist so ungeschickte Erfindungen darstellen, daß sie nicht nur nicht geglaubt werden, sondern daß der Erzähler auch als ein unverschämter Aufschneider bezeichnet wird. Dies ist zu vermeiden. Es giebt hervorragende Erscheinungen in der Männerwelt, z. B. die Weinreisenden, denen auf der Reise und zwar nur auf der Reise und in allen Städten mit alleiniger Ausnahme der Stadt, in der sie wohnen, fortwährend Abenteuer begegnen, indem ihnen alle Frauenherzen zufliegen und infolgedessen alle Väter und Gatten mit geladenem Revolver nachstellen. Man glaubt ja bekanntlich solchen verteufelten Weinreisenden alles, weil man doch am Ende nicht dabei war, als ihnen die Abenteuer nicht begegneten, und weil man auch, wenn sie den Rücken drehen, ungläubig lächeln, den Kopf schütteln und die Achsel zucken kann. Auch Schauspieler und Sänger leiden an übermäßigem Glück bei Frauen. Ist man also kein Weinreisender und weder Schauspieler noch Sänger, welche sich das schöne Vorrecht einräumen, die tollsten Abenteuer nicht nur zu erzählen, sondern solche auch nicht zu erleben, so sei man recht vorsichtig. So erzähle man keinenfalls den Inhalt der französischen Possen, wie des »Schlafwagen-Kontrolleur« und anderer, als sei man selbst der Held der in diesen Possen dargestellten Vorgänge gewesen, da diese Bühnenwerke überall gegeben werden, unglaubliche Erlebnisse darstellen und man sich also leicht unheilbar blamieren kann. Auch unterlasse man es, sich als das Opfer des Chauvinismus und Deutschenhasses der Pariser darzustellen, daß man nur durch ein Wunder der Lynchjustiz entgangen und fast in einem blutigen Lied Déroulèdes dem unauslöschlichen Haß der Nation preisgegeben worden sei. Dagegen erzähle man, wenn man als Don Juan 98 angestaunt sein will, ein Abenteuer, das diesem in der gleichnamigen Oper passiert: Man habe in Paris einer gewissen Zerline nachgestellt und einen Korb erhalten. Man kann dies auch aus anderen Hauptstädten erzählen, in denen eine Ausstellung stattfand, die man besuchte. Oder ähnliches, was glaubwürdig klingt. Auch daß man von einer Dame geplündert und von einem ihrer Freunde obenein durchgeprügelt und hinausgeworfen worden sei, wird gern geglaubt. Dagegen suche man für einen Roman, den man erlebt haben will und den der Hörer glauben soll, einen Dümmeren, den man aber nicht finden wird.

Wer in Paris gewesen ist, erzählt in der Heimat gern, große Schriftsteller und Dichter auf den Boulevards und in den Theatern gesehen zu haben, oder ihnen vorgestellt zu sein. Hierbei ist Vorsicht anzuwenden, damit man nicht solche Berühmtheiten nenne, deren Träger längst tot sind. Victor Hugo und die beiden Dumas habe man unter keiner Bedingung gesehen. Die übrigen zu nennen, welche nicht mehr am Leben sind, ist nicht die Aufgabe des modernen Knigge. Nochmals: Vorsicht!

Ist das Wetter ein echtes Sommerwetter, so wird man sich leicht erkälten, einerlei, ob man auf Reisen oder daheim sei. Hier merke man sich genau, daß es gegen den

Husten

ungemein viele Mittel giebt. Man eile also in eine Apotheke, woselbst man sie sicher findet. Namentlich wird in dem angenehm duftenden Lokal der Apotheker selbst oder einer seiner Gehilfen die teureren Mittel als besonders unfehlbar empfehlen. Man kaufe heute eines, ein anderes morgen und übermorgen ein drittes, wodurch man in der Apotheke ein gerngesehener Gast wird, ein kleiner Trost dafür, daß keines dieser drei Mittel irgend etwas hilft.

99 Man sage dies dem Apotheker, wodurch er nicht beleidigt wird, wenn man ein viertes Mittel kauft, welches gleichfalls nichts wert ist. Dies wiederholt man noch ein fünftes und sechstes Mal mit gleichem Erfolg, alsdann sage man dem Apotheker, daß das sechste Mittel geholfen habe, was ihn sehr ärgert. Wenn man ihm wahrheitsgetreu mitteilte, daß das sechste Mittel gleichfalls nicht geholfen habe, so ärgert er sich gleichfalls sehr, wenn man nicht wiederkommt.

Man komme auch nicht wieder, sondern wende sich den Bonbons zu, zuvörderst denen von Benno von Donat, dann den anderen, denn man möchte doch kein Mittel unversucht lassen. Auch die Bonbons helfen nicht, aber sie sind den Universalmitteln der Apotheke vorzuziehen, da man sich durch die Bonbons bei Kindern, die sich daran den Magen und die Zähne verderben, beliebter macht, als bei den Eltern.

Auch gegen den

Schnupfen

giebt es viele Mittel, welche seine Existenz nicht gefährden. Will man dies konstatieren, so treffe man, wenn man den Schnupfen hat, viele Freunde, und jeder derselben wird ein ganz wirkungsloses Mittel, das als rasch helfend bezeichnet wird, namhaft machen. Wird dabei versichert, daß man den Schnupfen übermorgen los sei, so wende man das Mittel nicht an, da man den Schnupfen vielleicht schon morgen los ist und ihn dann durch das Mittel um einen ganzen Tag verlängert haben würde.

Unter den minder unangenehmen, aber auch nicht völlig angenehmen Erscheinungen des Sommers nimmt die

Gesellschaftsreise

eine der ersten Stellen ein. Wer eine solche mitmacht, hat sie und die Folgen sich selbst zuzuschreiben, was bei einer Erkältung nicht immer der Fall zu sein pflegt.

100 Der Verheiratete wird eine Gesellschaftsreise leichter antreten und vollenden, als der noch ungebundene Mann, da der Gatte und Familienvater bereits daran gewöhnt ist, abhängig, nicht sein eigener Herr und an Befehle und Anordnungen gefesselt zu sein. Der moderne Knigge kann Unverheirateten nur raten, allein zu reisen und darin einen Ersatz für die Annehmlichkeiten zu finden, welche eine Gesellschaftsreise bieten kann.

Hat man sich einer Reisegesellschaft angeschlossen, ohne daß man Kartensammlerinnen und Kartensammlern das Versprechen gegeben hat, von jeder Station des Dampfers oder der Eisenbahn eine bunte Karte an sie abzusenden, so büßt man dadurch das Vergnügen ein, es zu unterlassen und nach der Heimkehr zu versichern, die Karten seien gewissenhaft abgeschickt, aber unterwegs gestohlen worden und zwar von Postbeamten, welche selbst sammeln.

Man freunde sich auf der Fahrt nicht zu sehr an, sondern begnüge sich damit, sich anzubekannteln. Es giebt Reisende mit außerordentlichem Namens- und Physiognomieen-Gedächtnis, welche ihre Begabung dadurch in das hellste Licht rücken, daß sie jeden, den sie einmal gesehen und gesprochen, nur dann, wo sie ihn treffen, nicht sofort anreden, wenn sie zufällig Geld von ihm geborgt haben. Hat man sich nun angefreundet, so hat man die Pflicht, sich glücklich zu schätzen, daß man den neuen Freund einmal wiedersieht, auch wenn man ihm nichts geborgt hat, während man sich nur einfach zu freuen braucht, wenn man einen Reisegefährten wieder trifft.

Man nehme sich unterwegs in Acht, liebenswürdig gegen die Frau eines Teilnehmers zu sein, denn es giebt Männer, welche der Treue ihrer Gattin so sicher sind, daß sie sie gern der Führerschaft eines Fremden überlassen, um selbst sich freier bewegen zu können. Ein solcher Mann ist vielleicht dieser Teilnehmer und 101 imstande, die teure Last erst am Schluß der Reise wieder auf sich zu nehmen.

Sind einige Skatspieler in der Gesellschaft, welche sich von keiner schönen Aussicht in ihrer Partie stören lassen, so wisse man solche Leute über Gebühr zu schätzen. Sie lassen sich zwar nicht stören, aber sie stören auch nicht. Nur die Enthusiasten stören, welche außer sich sind, wenn man nicht mit ihnen alles bewundert und kein Talent hat, auf Befehl zu schwärmen.

Wenn ein Zeitungsberichterstatter die Reise mitmacht, so bitte man ihn um ein Autogramm, und wenn er sich diese Bitte nicht erklären kann und auch nicht recht weiß, was er schreiben soll, so sage man ihm auf den Kopf zu, daß er einer der besten Schriftsteller der Gegenwart sei. Dies ist ihm angenehm, weil er noch nie etwas Neueres gehört und geschrieben hat. Dafür wird man von ihm in seinem Reisebericht der liebenswürdigste Gesellschafter und geistvollste Causeur genannt, obschon man das Gegenteil zu sein pflegt. Hat man aber ganz besonderes Glück, so wird man gar nicht genannt.

Macht man eine Gesellschaftsreise zur See, so ist die

Seekrankheit

unvermeidlich. Sie hat allerdings auch ihr Unangenehmes, aber man darf nie vergessen, daß sie auf einer Gesellschaftsreise dem von ihr befallenen Teilnehmer Gelegenheit giebt, »Endlich allein!« zu sagen.

Fühlt man die Seekrankheit nahen, so bittet man die Damen, in deren Gesellschaft man in diesem Augenblick sich befindet, um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Wartet man die Antwort zu lange ab, so gehen die Damen fort, da die Katastrophe eingetreten ist; dann kann man es sich bequem machen.

Fragt man einen älteren Seemann, ob er nicht ein sicheres Mittel gegen die Seekrankheit wisse, so 102 bejaht er und rät, eine Cigarre zwischen die Lippen zu stecken. Solange man die Cigarre zwischen den Lippen trage und rauche, habe man die Seekrankheit nicht. Man probiere dies nur, ein anderes ebenso sicheres Mittel existiert nicht, weil es überhaupt keins giebt.

Wer jemals seekrank gewesen ist und hingestreckt die Hoffnung aufgegeben hat, jemals die Kajüte lebendig wieder zu verlassen, weiß, daß man in dieser tückischen Krankheit alle Engel im Himmel singen oder pfeifen hört. Wer also einem Feinde, der nicht musikalisch ist, die Seekrankheit wünscht, ist ein Gemüt.

Führt man ein

Reisetagebuch,

so giebt man Beweise von klassischer Bildung am bequemsten dadurch, daß man in den verschiedenen Städten sich der Stücke, die man gesehen hat, erinnert und daraus Betrachtungen herleitet. Etwa wie folgt:

In Verona: Mir war's, als hörte ich die Lerche und nicht die Nachtigall in dieser Stadt Amors singen, als ich durch die Straßen ging, und in jeder glaubte ich Romeo zu sehen, wie er hastig nach dem Klostergarten eilte, um mit Bruder Lorenzo zu sprechen.

In Venedig: Wie glücklich bin ich in dieser Stadt, obschon ich darin die elektrische Straßenbahn schmerzlich vermisse! Aber plauderte da nicht Shylock mit Tubal über das gute Geschäft, das er mit Antonio zu machen gedenkt, indem er für dreitausend Dukaten ein Pfund Fleisch bekommen wird? Ja, und dann machen die beiden vor Othello Front, der zu seiner Desdemona geht, bei der er Jassica und Porzia finden wird.

In Genua: Eben weilte ich an der Stelle, wo Fiesko ins Wasser gestoßen wurde und den Tod fand. Vielleicht stand da auch einst Kolumbus und blickte über die Wasserfläche nach der Gegend, wo er Amerika 103 zu entdecken hoffte. Welch eine Fülle von Gedanken bestürmte meinen Geist!

In Madrid: Hier also ging einst die Sonne nicht unter. Nun, auch heute existiert hier noch kein rechtes Nachtleben, wie in Berlin. Das sagte ich eben – nachts 11 Uhr – als ich nach dem Hotel ging. Morgen wollen wir nach Aranjuez, obschon dort die schönen Tage nun zu Ende sind. Aber öfter noch als an den Karlos, der den genannten Ort nicht heiterer verließ, denke ich an den gleichnamigen Freund Clavigos, den Archivarius des Königs. Woran mag das wohl liegen?

Diese wenigen Sätze werden vielleicht genügen, um zu zeigen, wie lohnend die Bekanntschaft mit unserem klassischen Repertoir für ein Reisetagebuch zu verwenden ist.

Es ist jetzt nicht gut möglich, vom Sommer zu sprechen, ohne der

Maifeier

zu gedenken, welche die sozialdemokratische Partei seit einigen Jahren am ersten des, wenn es nicht kalt ist, wunderschönen Monats begeht und jetzt darin besteht, daß sich eine große Anzahl Arbeiter weigert, nicht zu arbeiten. Es finden an diesem Tage für die Arbeiter, welche feiern, Volksversammlungen statt, in welchen von den Agitatoren Reden gehalten werden, welche die Arbeiter anzuhören haben. Und das soll keine Arbeit sein? Ist man ein vernünftiger Arbeiter, so wird man antworten: Na ob!

Will man als sozialdemokratischer Agitationsredner den Arbeitern eine schöne Maifeier bereiten, so sage man ihnen, es sei nun bereits mehr als genug geschwätzt, dann halte man den Mund, schweige, rede keine Rede und schließlich sei man stumm. Hierauf lasse man die Arbeiter ungestört in die Werkstatt gehen 104 und wie wir alle arbeiten, weil dies besser bezahlt wird als das Anhören von Agitationsreden, wofür man keine Semmel für die Kinder kaufen kann.

Selbst nicht die bestgesungene Arbeitermarseillaise baut den Kindern Häuser, sondern nach Jes. Sir. 3, 11 des Vaters Segen. Aber das Anhören von Agitationsreden ist kein Segen.

Außer der Maifeier finden in diesem Monat die

Maikäfer

statt, welche sehr schädlich sind. Man findet sie überall, wo sie nicht sein sollen, und sie erscheinen alle drei oder vier Jahre in großer Masse. Leider hat sich ihnen noch nicht die Sammelwut wie den Marken, Liebigbildern und Postkarten zugewendet, was wohl darin seinen Grund hat, daß der Sport der Maikäfersammler ungemein nützlich wäre. Man hat berechnet, daß, wenn alle Markensammler statt der Marken Maikäfer sammelten und einer immer wenigstens eine mit Maikäfern gefüllte Cigarrenkiste mehr als der andere aufzuweisen suchte, das sogenannte Maikäferjahr völlig unschädlich vorübergehen würde.

Ist man sehr human, so tritt man dem Maikäferhandel kräftig entgegen, welcher von jungen Spekulanten auf offener Straße getrieben und allgemein als Tierquälerei gebrandmarkt zu werden pflegt. Man wird den Handel zwar nicht vernichten, aber sagen können, daß man human gewesen, oder versucht hat, zu beweisen, daß man die Fahne der Humanität hochzuhalten oder zu schwingen bestrebt ist. Aber nützlicher würde man sich machen, wenn man in die Firma der Maikaferhändler einträte und mit ihnen die Zahl der schädlichen Kerbtiere verminderte, und man wäre dann nicht nur nützlich, sondern auch human gewesen.

Geht man mit einer Dame spazieren und erbleicht sie mit einem Schrei des Entsetzens aus gepreßtem 105 Herzen, weil sie sieht, daß ein Vogel im Fluge einen Maikäfer erwischt hat und ihn verspeist, so tröste man sie damit, daß es auch einen schlimmen Eindruck auf einen gefühlvollen Maikäfer machen würde, wenn er sie einen Vogel verspeisen sähe. Hierauf sei man gegenüber dieser Dame vorsichtig, da sie wahrscheinlich auch bei anderen Gelegenheiten lügen wird.

Entfaltet nun der Sommer alle seine Reize und wird er so schön, wie sich eines solchen die ältesten Leute nicht zu erinnern vermögen, wobei nicht vergessen werden darf, daß sich die ältesten Leute niemals durch ein tadelloses Gedächtnis auszuzeichnen pflegen, so darf man mit einigem Bedenken an die

Hundstage

denken, welche zu erwarten sind. Schon die Thatsache, daß sich die erwähnten ältesten Leute eines so schönen Sommers wie des gerade diesjährigen nicht erinnern, mag als ein Beweis dafür gelten, welchen schädlichen Einfluß die Hundstage auch auf die Menschen auszuüben imstande sind.

In den Hundstagen gilt es hauptsächlich, mit den Menschen mehr Geduld zu haben, als in den anderen Tagen des Jahres, und sei dies auch nicht jedermanns Sache. Trifft man jemand, der vor einer halben Stunde die Quadratur des Zirkels – es kann natürlich auch das Fliegen sein – erfunden haben will, so sage man: »Ach, das ist nett von Ihnen«, und dann habe man leider Eile und müsse fort. Dieselbe Eile habe man, wenn man einem Bekannten begegnet, der ganz bestimmte Nachrichten von den Bewohnern des Mars erhalten hat. Derartige vertrauliche Mitteilungen über weltreformierende Erfindungen und Entdeckungen gehören aber zu den Ausnahmen, geltend machen sich die Hundstage meist in einer viel weniger verdächtigen Weise.

106 Man ertappt einen bis dahin ganz vernünftigen Freund beim Dichten. Zum Glück sucht er einen Reim auf Droschke und kann daher nicht weiter, weil er das Wort Droschke gebraucht, denn eine Jungfrau ist in einer Droschke an ihn vorübergesäumt, und er will ihr nur seine Liebe reimen. Man sage ihn nicht, daß er Droschke erster oder zweiter Klasse oder Preisanzeiger singen soll, weil hierauf jeder Stümper reimen könnte, und verhindere ihn so am verderblichen Weiterdichten. Die Hundstage dauern nicht ewig, und er wird wieder prosaisch werden und zur Ruhe kommen.

Gefährlicher ist um diese Zeit der junge hoffnungsvolle Mann, der das Komödienschreiben bekommt. Trifft man ihn auf der Straße mit der Absicht, zu seinem realistischen Stück, welches in einer Bedürfnisanstalt endet, das Milieu zu studieren, so sei man auf das tiefste ergriffen und lade ihn zu einem Glas Bier ein. Kaltes Bier vollbringt, in solcher Zeit genossen, Wunder.

Erhält man in den Hundstagen von einem Freunde Geld zurück, das man ihm geborgt hat, so ist das Schlimmste zu befürchten. Jedenfalls nehme man sich in Acht, daß man nicht von ihm gebissen wird.

Hört man von einem Bekannten, es sei ein Mord geschehen und die Polizei habe schon die Leiche, so braucht dies durchaus kein Krankheitssymptom zu sein. Nur dann, wenn er mitteilt, die Polizei habe schon den Mörder aufgefunden, führe man ihn zu einem Arzt.

Im Freien wird die Glut der Sonne am verderblichsten. Hier sind es in erster Reihe diejenigen, welche plötzlich behaupten, sie kennten die Geschichte der Männer, deren Denkmäler sie sehen, ganz genau. Alsbald vermeide man es, sie um Angabe einiger Daten zu ersuchen, da aus der Antwort sofort hervorgeht, daß sie leidend sind.

Man habe mit einem Angehörigen Geduld, wenn 107 er sich durch wirre Reden verdächtig machen sollte, und schone ihn. Denn vielleicht schon nach einigen Tagen bezeichnet er einen gut aussehenden Herrn in einem Restaurant bei einer Flasche Champagner für einen notleidenden Landwirt, woraus hervorgeht, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet.

Man beobachte sich indes auch selbst so genau wie möglich, auch dann, wenn man sich für absolut gesund erklärt. Gerade dies kann vielleicht ein Zeichen für das Gegenteil sein. Man wird dergleichen schon früher konstatiert haben. Will man also eines Tages eine Ballonfahrt unternehmen, möchte man nach dem Hundepark, um sich einen Bulldogg zu kaufen, tobt man wütend in einem Zwischenakte, weil man in einer Posse keinen Sinn und keinen Verstand entdeckt habe, legt man plötzlich eine Tischglocken-, eine Abreißkalender-, eine Pincenez-, eine Hosenträger-, eine Pferdebahnbillet-, eine Bleistift- oder eine Wachskerzchenkästchenbilder-Sammlung an, – diese Liste ist keine erschöpfende, – ergiebt man sich unerwartet dem Angelsport, fährt man wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Inserate nieder, um behufs späterer Verheiratung Damenbekanntschaft zu machen, verspürt man die Lust, eine rote Kravatte zu tragen, oder möchte man sich das Schnupfen angewöhnen, so verlasse man den Ort, an welchem man sich in solchem Augenblick befindet, und suche eine kühlere Gegend auf.

Findet während der Hundstage die Sitzung irgend einer parlamentarischen Körperschaft statt, und hat man so viel Zeit, daß man ein Stündchen auf eine ganz wertlose Sache verwenden kann, so entschließe man sich, in solche Sitzung zu gehen. Man wird Reden hören, welche von ernsten Männern über ganz ernsthafte Fragen gehalten, aber den Eindruck von Polterabendscherzen machen werden. Man erzähle aber nicht, daß man der Sitzung beigewohnt habe, da solcher 108 Besuch leicht mißverstanden und als Folge der großen Hitze betrachtet werden könnte.

Während der Dauer der Hundstage sind als leichtere Anfälle anzusehen, so daß man nicht ängstlich zu werden und die Hoffnung auf einen guten Verlauf nicht aufzugeben braucht: Appetit auf Austern, ein Tanz im geschlossenen Raum, der Entschluß, ein Theater zu besuchen, Anschaffung einiger Goldfische, Etablierung einer Vogelhecke, Auftauchen der Absicht, sich photographieren zu lassen, den Grundstein zu einer Goldmünzensammlung zu legen, Sues Geheimnisse von Paris nochmals zu lesen und einem vorüberfahrenden Wagen der Feuerwehr nachzulaufen, um das betreffende Schadenfeuer zu beobachten. Hierher gehören auch: längere Betrachtung eines Mückentanzes, das Fliegenfangen, das Durchlesen alter Liebesbriefe, die Wette, daß in der kommenden Saison weniger als sechs Novitäten vom Publikum abgelehnt werden, das Hoffen auf einen Lotteriegewinn, das Verzehren von drei Portionen Vanilleeis und ähnliche fast wie Ausschreitungen aussehende Harmlosigkeiten.

Gattinnen und Gatten ist für die Hundstage eine noch größere gegenseitige Rücksicht auf Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten zu empfehlen, als sie an weniger heißen Tagen zu nehmen gewöhnt sind, da die Sonnenglut leicht aus einer leichten Verstimmung eine Scene zurechtkocht, deren Ende nicht so abzusehen ist, als das des Geschirrs, dessen Zertrümmerung als ein Beruhigungsmittel gilt.

Es mag hier ein Wort über

Scenen

überhaupt eingeschaltet sein, da solche im Sommer besonders leicht aufgeführt werden, wenn die Hitze das eheliche Blut erheblicher erregt macht. Hierbei will sich der moderne Knigge weder an den Mann, noch an 109 die Gattin, sondern an beide zugleich wenden, da nach seiner Erfahrung das Talent, Scenen zu arrangieren gleichmäßig an die Geschlechter verteilt ist.

Eheliche Scenen sind im Winter und im Sommer gleich überflüssig, weil sie in den meisten Fällen zu nichts führen als zur Versöhnung. Aber sie sind auch überflüssig, weil sie langweilig sind, und das ist ihre schlimmste Eigenschaft, langweilig schon dadurch, daß sie sich überraschend ähnlich sehen. Aus diesem Grunde namentlich sollten sie unterlassen werden, vor allem aber im Sommer, wo alles, was warm macht, sorgfältiger als im Winter vermieden werden sollte.

In jeder Ehe vertritt das Regietalent, eine Scene herbeizuführen, entweder der Gatte, oder die Gattin. Beide haben es vielleicht in die Ehe mitgebracht, aber gewöhnlich hat er oder sie es allmählich verloren, wenn er oder sie das größere Talent an den Tag legte und dann vertrauensvoll das Arrangement dem anderen Teil überließ. Der moderne Knigge rät aber nicht dazu, dieses Thema auf die nächste Tagesordnung des Mittagsessens zu setzen, weil dadurch eine Scene unvermeidlich ist.

Man vermeide aber schon deshalb jede Scene, weil sie an einem bedenklichen Wachstum leidet. In den Flitterwochen war, wie man sich mit Vergnügen erinnern wird, die Scene nur klein, kaum nennenswert, eine Skizze. Dann wurde sie aber größer, je länger man sich auf dem Vormarsch zur silbernen Hochzeit befand. Aus der Scene wurde langsam, aber sicher ein Einakter und hierauf eine Komödie mit kurzen Zwischenakten, welche sich dann zu einem abendfüllenden Stück auswuchs.

Scenen sind gewöhnlich inhaltlos. Es fehlt ihnen wie den meisten modernen dramatischen Werken eine spannende Handlung. Statt deren bieten sie nichts als einen Dialog, der sich in den meisten Fällen um ein 110 nichts dreht, um eine Vorgeschichte, die nicht der Rede wert ist, um ein Wort, das gefallen ist, oder um ein Wort, das nicht gefallen ist.

Im Sommer ist die Nervosität größer als im Winter und bedarf es daher auch wohl kaum mehr als eines Wortes zum Beginn der Scene. Es genügt schon das Schnellgehen, die verweigerte Droschke, der Regen vor Eintritt des Ausflugs, die heiße Suppe, die kalte Suppe, die Fliege in der Schlafstube, oder eine andere Kleinigkeit. Man vermeide daher namentlich jede Erregung über eine Kleinigkeit.

Steckt im Gatten etwas von einem Falb, so wird er schon in aller Frühe wissen, ob ein kritischer Tag im Anzuge ist. Dann sei er so vorsichtig, als sei er die Mutter der Weisheit in Person. Nützt ihm das nichts, so erinnere er sich des nun fünfzigjährigen Worts des Ministers v. Manteuffel: »Der Starke weicht einen Schritt zurück.« Ist er, was ja meist der Fall ist, nicht der Starke, so weiche er trotzdem einen Schritt zurück

Genügt ein Schritt nicht, so weiche er zwei Schritte zurück. Genügen diese nicht, so drei, vier und mehr. In Schritten sei man ein Verschwender. Es lohnt sich.

Dasselbe sei den Frauen gesagt, in erster Linie den sanften, welche sich immer einen Tyrannen ausgesucht haben, oder einen, der es durch ihre Sanftmut erst geworden ist. Ihr Zurückweichen hat darin zu bestehen, daß sie ihrem Nero Recht geben, wenn er es nicht hat.

Thränen sollten von Frauen nur im äußersten Notfall vergossen werden. Es giebt viele Frauen, die sie vom Blatt spielen. Durch häufiges Weinen verlieren die Thränen ihren Wert, so daß sie bald nicht höher als Glas- oder Wachsperlen notiert werden. Frauen, welche mit Thränen hauszuhalten wissen, 111 bringen dagegen mit wenigen und zwar besonders mit heimlichen Thränen, die natürlich dem Gatten gezeigt werden müssen, große Wirkungen hervor, wenn eine Scene beendet werden soll. Allerdings ist das spärliche Thränenvergießen eine Kunst, die von den wenigsten Frauen geübt wird.

Die Rolle der Thränen der Frauen nehmen bei den Männern das Zuschlagen der Thüren, das Schreien und das Pfeifen von selbstkomponierten Melodieen ein. Von solchen Äußerungen ist dasselbe wie von den Thränen zu sagen: zu häufige Anwendung macht sie wertlos. Viele Frauen haben sich an das Thürwerfen, Schreien und Pfeifen gewöhnt, wie die Müller an das Klappern der Mühle; die schlafenden Müller wachen auf, wenn die Mühle nicht klappert. Die Männer sollten also mit ihren Geräuschen, welche nichts als das ohnmächtige Kettengerassel bedeuten, sparsam sein, wenn ihnen dies ihr Temperament irgendwie gestattet, und auf Mittel sinnen, ihre Frauen auf andere Weise zu amüsieren.

Es wird immer die Sache des Gatten bleiben, Scenen zu vermeiden, indem er den durch die größere Billigkeit empfehlenswerten Weg einschlägt, der Gattin schleunigst Recht zu geben und dann nachdenklich zu schweigen, einerlei, ob er die Scene selbst begonnen hat, oder durch die Gattin zum Eintritt veranlaßt worden ist. Versäumt er dies und läßt er sich auf die Scene ein, so bleibt ihm oft nur der Weg offen, der ihn dann zu Einkäufen von Geschenken führt, welcher also der kostspieligere ist. Vermeidet man diesen konsequent, so ist dies das zweite gute Mittel, die Scenen nicht zur Hausmannskost der Ehe anwachsen zu lassen.

Noch mag erwähnt werden, daß zur Beendigung einer Scene, in welcher der Gatte sich durch Pfeifen hervorthut, eine Melodie viel beiträgt, welche die Gattin 112 gerne hört. Ist die Gattin Wagnerianerin, so pfeife der Gatte nur Leitmotive, oder: »O du mein holder Abendstern«. Auch: »Es giebt ein Glück, das ohne Reu'« kann Wunder thun. Schwärmt die Gattin noch für den Tanz, so pfeife der Gatte den gerade Mode gewordenen Walzer, der sie möglicherweise an einen Bewunderer erinnert, mit dem sie im vergangenen Winter viel getanzt hat. Alles dies beruhigt.

Für Gattinnen und Gatten, denen die ehelichen Scenen Vergnügen machen und ein Bedürfnis geworden sind, sollen diese Zeilen nicht veröffentlicht sein. Die bittet der moderne Knigge um Entschuldigung, er will weder ein Vergnügen stören, noch erwachsenen Leuten gegenüber versuchen, sie zu veranlassen, lieber einen amüsanteren Sport als den Scenensport zu treiben. Er kann sich diesen zwar auf die Dauer nicht amüsant denken, weiß aber, daß der Geschmack verschieden ist. Er möchte nur noch hinzufügen:

Alle Großmächte erstreben den Frieden. Der Kaiser von Rußland rief sie sogar zu einer Abrüstungskonferenz zusammen. Daran sollten sich die Ehepaare ein Beispiel nehmen, namentlich solche, die nichts sehnlicher wünschen, als den Beginn des ewigen Friedens, daher dem Schritt, den der Zar auf dieser Bahn gethan, das glänzendste Lob erteilen, und die vor allem den Krieg verabscheuen. Wenn nicht alle, so müßten doch wenigstens diese Ehepaare versuchen, in ihrem Hause mit dem Abrüsten zu beginnen, um dem ewigen Frieden freies Entree zu verschaffen. Sollte sich unter allen Gatten nicht ein Ehe-Zar finden, der ein Abrüstungsmanifest veröffentlicht und eine Friedenskonferenz zusammenruft? Alle die Herren, welche den Kundgebungen zur Friedenskonferenz beigetreten sind, sollten gleichzeitig eine Agitation gegen die Fortdauer der häuslichen Scenen beginnen, eine Agitatition, die der moderne Knigge sogar für wichtiger hält, als ihre 113 Beteiligung an dem Kampf gegen den Krieg. Vielleicht auch findet sich eine Gattin, die ein Blatt gründet: Die Scenen nieder! das gewiß weiblicher und nützlicher wäre, als das Blatt: Die Waffen nieder!

Jeder Sport wird übertrieben, nicht allein der eben erwähnte Scenensport, welcher eigentlich schon die geborene Übertreibung ist, weil er nicht einmal eines so großen Thieres wie der Mücke bedarf, um einen Elefanten daraus zu machen, sondern diesen Dickhäuter aus dem Nichts hervorstampft. Jeder andere Sport aber beginnt entweder aus einer Nützlichkeit oder aus einer Notwendigkeit heraus, um alsdann von seinen müßigen Anhängern übertrieben, verunstaltet, kompromittiert, lächerlich oder lästig, oder alles dies zugleich zu werden. Der moderne Knigge erinnert nur an das Rennen, das Sammeln, das Schwimmen, das Fußballspiel, das Bergsteigen, das Dichten, das Tanzen, das Knausern, das Süßholzraspeln, das Rauchen, das Zeitungslesen u. s. w. So ist natürlich auch das Radeln und zwar rascher als jeder andere Sport übertrieben worden, wenn man das

Vierundzwanzigstundenradeln

noch eine Übertreibung nennen und ihm damit schmeicheln will, statt es als eine Verrücktheit zu bezeichnen.

Will man einen Beweis für die Wahrheit des Spruchs »Ein Narr macht viele« geliefert haben, so suche man den Schauplatz einer solchen unbegreiflichen Narrheit auf, und man wird finden, daß man selbst die Zahl dieser vielen Narren vergrößert. Ist man allzu nachsichtig gegen sich selbst, so verzeiht man es sich, im anderen Fall nimmt man es sich dauernd übel. Man kann es sich aber nicht so übelnehmen, als einem dabei werden kann.

Man sehe sich die Teilnehmer an einem solchen Dauerradeln jedenfalls etwas näher an, um 114 vollständig gegen die Versuchung, Kollege derselben zu werden, geschützt zu sein.

Um nicht mit zu verrohen, vergesse man alles rasch, was man in den betreffenden Radlerkreisen hört und sieht, auch versäume man gleichzeitig nicht, die Farbenblindheit der Behörden zu bewundern, welche jede Ausschreitung des Pöbels bestraft, aber das Dauerradeln duldet.

Will man endlich einmal sehen, in welch unnützer Weise das für bessere Zwecke so gut zu verwendende schöne Geld aus dem Fenster geworfen wird, so wohne man der Auszahlung der Preise an die sogenannten Sieger bei, welche gewöhnlich ein anständiges Handwerk erlernt haben, es aber jetzt vorziehen, sich mit dem Zweirad herumzutreiben und von der Thorheit der Menschen zu leben.

Verunglückt ein Dauerradler, so bezeichne man die Veranstalter der Dauerradlerei nicht als die Schuldigen. Man hat zwar, wenn man dies thut, das Richtige getroffen, aber man könnte doch wegen Beleidigung belangt und bestraft werden und würde obenein noch ausgelacht, was man ohnedies schon wird, weil man dem Unfug beigewohnt hat.

Hat man auch sonst noch Überfluß an Zeit, so denke man darüber nach, wie es denn möglich ist, daß jemand, der nicht imstande wäre, einen ganzen Tag unausgesetzt etwas nützliches zu thun, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ganz unnützerweise herumradelt. Da dieses Nachdenken ebenso unnütz und überflüssig ist, so spreche man nicht darüber, um nicht in Einem Atemzuge mit dem Dauerradler zusammen genannt zu werden.

Hat man noch niemals einen solchen Dauerradler gesehen, der sich nach Gebühr geschämt hatte, so wird man sich doppelt wundern, wenn man sehr vernünftigen 115 Menschen begegnet, welche sich schämen, während des Sommers

keine Reise

gemacht zu haben. Es giebt deren. Anstatt einzugestehen, daß sie die Heimat für die beste Sommerfrische oder für den besten Badeort halten, erweisen sie sich als von der allgemeinen Reisewut angesteckt, welche zwar nicht zum Ausbruch gekommen ist, aber sich als von ihr derart ergriffen, daß sie meinen, man könne sich nur in den Strapazen der Sommerreise erholen. Man versage ihnen das Mitleid nicht.

Es wird von der Majorität aus zwei Gründen gesommerreist. Erstens will man die Frühlingsfrage: Wohin reisen Sie im Sommer? und zweitens will man die Herbstfrage: Wo sind Sie im Sommer gewesen? mit dem Namen einer entfernt liegenden Ortschaft beantworten können. Dies geschieht, weil man fürchtet, sich durch das Nichtreisen zu kompromittieren, indem man scheinbar zugäbe, nicht das nötige Geld zu haben, um es in Menge verreisen zu können. Hat man das nötige Geld, um es in Menge verreisen zu können, so nennt man dies: Etwas für die Gesundheit thun.

War man verreist und trifft dann einen Freund, der nicht verreist gewesen, so beneidet man diesen.

War man nicht verreist und trifft dann einen Freund, der verreist war, so beneidet man diesen.

Es kommt aber auch vor, daß man in beiden Fällen den Freund nicht beneidet. Dies ist in beiden Fällen der Fall, wenn man entweder von dem Freund hört, wie bequem es sich in der Heimat lebte, oder mit wie vielen Unbequemlichkeiten der Aufenthalt in der Fremde verknüpft gewesen.

Wenn man gerne einmal wenigstens auf kurze Zeit seine Bekannten entbehrt, – und wer entbehrte sie nicht gerne einmal, wenn nicht auf kurze, so doch 116 wenigstens auf längere Zeit! – so bleibe man mutig daheim und reise nicht, denn die Bekannten sind in großer Zahl verreist, und man würde auf der Reise mit ihnen zusammentreffen, besonders da, wo man es nicht vermutet. Man weicht seinen alten Bekannten, welche man, wie bemerkt, einmal nicht gerne sieht, am sichersten aus, wenn man im Sommer die Heimat nicht verläßt. Wer aber im Sommer reist, hat sich die Bekannten selbst zuzuschreiben und sollte sich deshalb nicht beklagen.

Ist man daheim geblieben, so versäume man nicht, die Orte aufzusuchen, an welchen man vorher immer seine lieben alten Bekannten traf und später wieder treffen wird. Dann erinnere man sich ihrer Eigentümlichkeiten, Un- und Redensarten, Anekdoten, Langweiligkeiten, Rechthabereien, Unaufrichtigkeiten, Unliebenswürdigkeiten, üblen Gewohnheiten, guten Lehren, gern vorgetragenen Lebenserfahrungen und Erfolge im Würfeln. Hierauf sehe man sich um und entdecke lauter neue Gesichter und Gestalten. Man wird einen großen Genuß haben.

Man hüte sich auch, durch diesen Genuß übermütig zu werden, wozu man leicht verführt wird, wenn man in die Lage kommt, Briefe dieser Bekannten, die vielleicht an der Schreibsucht leiden, zu beantworten und bei dieser Gelegenheit die Annehmlichkeiten des Aufenthalts in der Stadt schildert, in der man zurückgeblieben. Die Gefahr ist nicht groß, aber doch vorhanden, daß diese Schilderung die Abwesenheit des Bekannten abkürzt, indem sie ihn veranlaßt, früher als beabsichtigt die Freuden der Heimat mitzugenießen.

Aber eines Tages beginnt doch, immer früh genug, die

Rückkehr

allgemein zu werden, und mit dem Zauber des Sommers und Herbstes erreichen die hier und da vorhandenen 117 und so angenehm auffallenden und wirkenden Lücken der städtischen Bevölkerung ihr Ende.

Das ist bedauerlich, aber die Kinder müssen wieder in die Schule. O gewiß, die Kinder sind zu sehr angestrengt, die Schule ruht nicht lange in ihrem Überbürden, die Ferien sind zu kurz. In diese humane, den übertreibenden Bildungsdrang unserer Zeit berührende Betrachtung kann man das Bedauern kleiden, daß mit der Wiedereröffnung der Schulen die meisten Erwachsenen wieder in die Heimat zurückeilen müssen.

Hat man Dienerschaft in der Wohnung zurückgelassen, d. h. mehr als ein Mädchen, so herrscht daselbst schon seit einigen Tagen die übelste Stimmung. Nun kommt die Herrschaft wieder, deren Abwesenheit so vielen Beifall fand, nun geht das Klingeln wieder los, nun fängt die Arbeit wieder an, nun fällt jedes zerbrochene Lampenglas, jeder zerschellte Teller, jeder ruinierte Glühstrumpf wieder auf. Und der arme Grenadier wird nicht wissen, wohin er abends das Seitengewehr legt und auch sonst abrüstet. Wie kontrastieren mit den Trümmern des kurzen Idylls die Guirlanden, mit denen unter solchen Äußerungen die Eingangsthür der Wohnung umrahmt wird, während oben ein Plakat »Herzlich Willkommen!« hervorleuchtet. Eine weiße Lüge auf rotem Grund.

Ist der Gatte in der Wohnung zurückgeblieben und erwartet er die Rückkehr der Gattin, so wird die Thür ebenso mit Guirlanden und Plakat geschmückt. Aber das »Herzlich Willkommen!« ist wirklich aufrichtig herzlich gemeint. Man frage nur den Gatten.

Das Gleiche gilt von der Heimkehr des Gatten. Man frage nur die Gattin.

Die vorangehenden Scenen auf dem Bahnhof nach der Ankunft der Lieben gestalten sich zu einem Vollbild des Familienglücks. Wenn man die Ehe in ihrer höchsten Vollkommenheit und in ihrem sonnigsten 118 Glanz kennen lernen will, so scheue man die Mühe nicht, am Schluß der Ferien die Ankunftshallen der Bahnhöfe zu besuchen. Hier wird der widerspenstigste Junggeselle gezähmt.

Ist man zufällig nicht hervorragend glücklich verheiratet, so kann man, der Rückkehr wegen, nicht oft genug getrennt sein. Ist man zufällig hervorragend glücklich verheiratet, so bedarf man nicht so oft der Trennung, aber zuweilen wird eine Rückkehr nicht überflüssig sein.

Man vermeide als Gatte einen zu zärtlichen Empfang. Es giebt zartbesaitete Frauen, die darin ein Geständnis des Gatten erblicken, er habe kein reines Gewissen.

Dies sei auch der Gattin empfohlen, auch wenn sie überzeugt sein sollte, daß der Gatte zum Verdacht zu eingebildet ist.

Beiden sei es empfohlen, die jüngste Vergangenheit nicht zu rosig zu schildern, auch wenn sie es redlich oder unredlich verdient hat, denn es macht keinen guten Eindruck auf den Hörer oder die Hörerin, wenn die Trennung als eine sehr angenehme Unterbrechung dargestellt wird.

Die Guirlanden lasse man noch einige Zeit hängen, auch entferne man das Plakat »Herzlich Willkommen!« nicht. Es geht doch mancher an der Thür vorüber, mancher Besucher wird ferngehalten, weil er meint, die Rückkehr habe eben erst stattgefunden, und die Herrlichkeit nimmt ja ohnedies, wie alles, ein

Ende.