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Der zweite Aufzug

Erster Auftritt

Wilhelm und Friedrich Stadler treten auf.

Friedrich: Die Hand zuerst Wilhelm! Ich drücke sie dir mit dem Druck von uns allen. Deine letzten Briefe bliesen die Glut zu Flammen: es stand durch die Größe deiner Gedanken plötzlich vor uns ein Vaterland, von dem wir nur noch eine dunkle Ahnung wußten. Das Feuer deines Wollens schuf sich eine nationale Zukunft, die uns nicht nur menschlich, nein männlich entzückte.

Wilhelm: Friedrich!

Friedrich: Unsere Schwüre, die Tränen junger Menschen hättest du sehen müssen; einige sprangen auf die Tische, Lieder zaubertest du hervor, und es ward klar, seit Menschengedenken hat sich in Deutschland kein politischer Geist so frei und befreiend geregt

Wilhelm ( an seinem Halse): Friedrich!

Friedrich: Wie dein Kopf dem Mirabeaus gleicht! Zur Sache! Meinen Auftrag vor allem: unser grenzenloses Vertrauen wird dich morgen zum Präsidenten des Verbandes machen. Hals über Kopf bin ich mit der Nachricht hierher gereist

Wilhelm: Wie ist das möglich? Ich habe kein Verdienst

Friedrich: Das größte. Du fandest die Formel mit unserer abgegriffenen Tagessprache von neuem Sphären in die Räume zu rollen, rissest die Jugend von ihren Sitzen, daß sie zum Marschieren bereit neben dir steht.

Wilhelm: Welch ungeheure Verantwortung!

Friedrich: Wer könnte sie tragen als du; wer den Ruhm, der ihr folgt?

Wilhelm: Ein Mitstreiter dachte ich zu sein ...

Friedrich: Da auf deinen Ruf alles zusammenläuft, das Entgegengesetzte einig ist, bist du der Führer. Bist es durch deine deutsche Idee, die zum erstenmal alles zusammenreißt, was in diesen Zeitläuften deutschen Boden bewohnt und sich bekennt zum Kampf gegen internationale Geldwirtschaft – Das Geschwür der Zeit stachest du auf, aus schwülen Dämpfen der Rentenhysterie führst du uns geläutert zurück an das klare Wasser unserer Wälder. Wir haben indessen praktisch gearbeitet. Überall hin ist das Zwingendste aus deinen Schriften schon an Universitäten und Hochschulen verbreitet.

Wilhelm: Wirklich?

Friedrich: Dein Name bedeutet der jungen Generation die größte Hoffnung; sie läßt aus diesem Bewußtsein in den zur Verbreitung deiner Absichten gestifteten Fonds die Beiträge reichlich fließen.

Wilhelm: Immer neue Überraschungen!

Friedrich: Ich selbst bringe dir die Erbschaft von meinen Eltern.

Wilhelm: Aber Friedrich! Das ist unmöglich ...

Friedrich: Der Verzicht auf sie wird mich enger an das Ziel binden.

Wilhelm ( umarmt ihn).

Friedrich: Du siehst, was du wirkst.

Brüder, gält es Gut und Blut,
dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut.

Jung sein, mit seiner Bestimmung nicht experimentieren müssen, sondern durch das Genie eines Lebendigen ein lebendiges Ziel in der Welt sehen, dem man sich aus seines Blutes Fülle hingeben darf, wieviel Generationen ist das gegönnt? Und dir danken wir's! Und nun, komm mit mir. Diese Aufforderung ist im Hinblick auf dein neues Amt im Namen aller meines Hierseins letzter Zweck.

Wilhelm: Ich komme.

Friedrich: Wir fahren heute.

Wilhelm: Heute? Das heißt – so gern ich meine Beziehungen zu diesem Hause breche, ich kann nicht davonlaufen. Ich bin frei, man wird mir nichts in den Weg legen. Nur sind mir außerordentliche Dinge anvertraut, die für den Augenblick ich allein übersehe. Sie in die Hand des Chefs zurückzulegen ...

Friedrich: Wieviel Tage?

Wilhelm: Eine Woche!

Friedrich: Zuviel für unsere Ungeduld. Ich leide dich hier nicht. Meine Liebe zu dir, die Einsicht der in dir verkörperten einmaligen außerordentlichen Naturkraft, Gefahren, die der Geist dieses Hauses fortwährend droht ...

Wilhelm ( lacht): Furcht, da ich keinem hier einen Finger gebe?

Friedrich: Unbehagen. Versuche heute noch zum Abschluß zu kommen – setze deine Abreise unbedingt für morgen fest.

Wilhelm: Ich versuche es.

Friedrich: In diesem Falle bleibe ich, und wir gehen miteinander. Du kannst mich für diese Nacht bei dir unterbringen? Doch so, daß ich vor dem Anblick jedermanns behütet bin. Die bloße Vorstellung der Bewohner dieses Hauses ist mir unerträglich.

Wilhelm: Das geht sehr gut. Komm.

Beide ( exeunt).

 

Zweiter Auftritt

Ottilie ( tritt auf, geht zum Schreibtisch, nimmt aus dem Papierkorb ein Papier und liest): »Von nichts tönt das Tagesgespräch als vom Eigentum. Es schreit der Reiche um Schutz für das Erworbene, der Arme will Privilegien, die ihm ein bequemes Leben sichern. Auf den materiellen Besitz einseitig festgelegt scheint die Nation des höheren Aufschwungs unfähig.« ( Sie wirft den Bogen in den Korb zurück und nimmt andere Papierstückchen heraus und liest): Raffinierte Vergnügungen, Korruption. Sittliche Ökonomie. Leidenschaftliches Nationalgefühl, Gemeinsamkeit gegen eine Welt in Waffen.«

 

Dritter Auftritt

Wilhelm ( tritt auf).

Ottilie ( will hinaus, beide treffen sich in der Mitte des Raumes): Warum weichen Sie aus?

Wilhelm ( sieht ihr ins Auge).

Ottilie: Sie sind feige.

Wilhelm: Sind Sie nicht unvorsichtig?

Ottilie: Ich habe Vorsicht nicht nötig.

Wilhelm: Ich aber.

Ottilie: Angst um Ihre Stellung?

Wilhelm: Für mein Leben.

Ottilie: Geh ich Sie an?

Wilhelm: Nein.

Ottilie ( zeigt): Da oben?

Wilhelm: Mitleid.

Ottilie: Sonst nichts?

Wilhelm: Kaum.

Ottilie: Es ist wahr. Sie treiben mich ...

Wilhelm: Zu Sensationen.

Ottilie ( exit).

 

Vierter Auftritt

Wilhelm: Du unterschätzt den Geist, der neben dir geht, gutes Mädchen. Mißbrauchen für eine Laune willst du mich, und von der anderen Seite bieten mir die prachtvoll begeisterten Jungen Gewalt über ihr Leben und ihre Stoßkraft an. Es erhebt sich einer, da du ihn noch in abhängiger Stellung unter dir siehst, schon über den First deines Lebens; durch seine unbestochen freie Meinung macht er heldenhaft großen Eindruck auf die Zeit, die ihn dafür unsterblich nennt. Unsterblich – Ottilie! Du aber und dein Geld bleibst im Namenlosen. Es kommt der Tag, da mit der zwischen uns aufgehellten wirklichen Distanz ich die Frechheit deines bloßen Versuchs heimzahlen werde.

 

Fünfter Auftritt

Christian ( tritt auf): Tagsüber, abends sind Sie nicht mehr zu sehen. Jeden freien Augenblick verschwinden Sie in Ihr Zimmer. Was gibt's Wichtiges? Machen Sie Verse?

Wilhelm: Ich schreibe Gedanken über den internationalen Kapitalismus nieder.

Christian: Vernichtende Kritik, vermute. Hätten Sie einen wirklichen Begriff, könnten Sie dem Lande ein neuer Beaumarchais werden.

Wilhelm: Zwei Jahre an Exzellenz' Seite ...

Christian: Wäre ich öfters wie neulich mitteilsam ...

Wilhelm: Vielleicht genügen die wenigen Aufschlüsse zu Grunderkenntnissen; mit Spekulationen hilft man sich weiter.

Christian: Vielleicht. Glauben Sie, ich habe Angst?

Wilhelm: Warum Angst, Exzellenz?

Christian: Jüngelchen! Mit einer besessenen Feder freilich – Gleichviel. Tun Sie Ihr Mögliches, werfen Sie die Lunte ins Pulverfass. Ich bin, sind neue Zustände geschaffen, bereit, wieder von der Pike an zu dienen. Ob General, ob Unteroffizier – nur mitten im Gewühl stehen.

Wilhelm: Würden Exzellenz die Größe so weit treiben, mir im einzelnen, wo ich das Problem nicht erschöpfe, noch Winke zu geben?

Christian ( kneift ihn ins Ohr): Das hängt von dir selbst ab, Freund. Zeigen Sie mir die Kladde. Ist sie ungenügend, wie ich vermute, niemals. Bloße Ruhestörer verdienen, man lyncht sie. Erkenne ich, hier tritt Genie auf – was sollte ich besseres tun, mich von Anfang an ihm zu verbinden?

Wilhelm: Diese Gewißheit allein vermochte mich letzthin, mein Bleiben im Haus zu verlängern.

Christian: Sticht von neuem der Hafer? Karriere?

Wilhelm: Ich möchte Exzellenz infolge eingetretener wichtiger Ereignisse um meine sofortige Entlassung bitten.

Christian: Unserer Verabredung gemäß sind Sie jederzeit frei. Obwohl Sie mir wegen der bewußten Angelegenheit gerade im Augenblick sehr fehlen werden. Sehr. In drei, vier Tagen wäre alles vorbei. Ich könnte Sie an meinem glorreichen Tage in ein hoffentlich glorreiches Leben entlassen. Lockt Sie das nicht, sind Sie nicht abergläubisch? Dann tun Sie's mir zuliebe.

Wilhelm: Ich möchte nicht undankbar sein.

Christian: Und erleben eine Situation, die Ihnen fürs Leben unvergeßlich bleibt. Nur mehr drei Tage. Abgemacht?

Wilhelm: Ich darf Exzellenz heute abend meinen Entschluß, der nicht von mir allein abhängt, unterbreiten.

Christian: Wie stehen Ihre Relationen zu meinem Sohn?

Wilhelm: Baron Philipp Ernst nahezukommen, ist schwer.

Christian: Da möchte ich doch auch noch Resultate von Ihnen. Also ich rechne für die kurze Zeit noch auf Sie. Es war gestern abend bei der Ankunft zu spät, das rothaarige Karnickel zu fassen. Vor elf Uhr ist heute morgen an ein Erscheinen der Herrschaften nicht zu denken. Ich will das verordnete Bad nehmen, wenn nicht vorher noch ...

Wilhelm: Geheimrat Brunner machten es Exzellenz zur Pflicht.

Christian: Setzen Sie in den Brief an Witman noch hinzu – Wie heißt der letzte Absatz?

Wilhelm ( liest aus einem Brief): »Insbesondere ist in Unterhaltungen mit allen Angestellten bis zu den Direktoren Nachdruck auf den Namen Seiner Exzellenz zu legen. Es sind diejenigen hierherzumelden, die bei Erwähnung desselben es in Miene oder Gesten an der Überzeugung fehlen lassen, in Exzellenz sei nach wie vor jede Entscheidung verankert. Für seinen bevorstehenden siebenzigsten Geburtstag wäre Seiner Exzellenz die nachdrückliche Manifestation dieser Einsicht angenehm.«

Christian: »Angenehm. Im übrigen warten Exzellenz nur die wenigen Tage zu seiner vollständigen Genesung ab, um wie ein ...«

Wilhelm: Sollten Exzellenz nicht gerade in der nächsten Zeit unbedingt Mäßigung üben?

Christian: Ich muß in der nächsten Zeit mein Austerlitz schlagen oder krepieren. Schreiben Sie – »um wie ein Orkan in das Sodom zu fahren, in das er während seiner Krankheit Einblick genommen hat.« Eine Kopie sofort der Gräfin zum Frühstück hinauf. So ist die Ouvertüre unserer Auseinandersetzungen vorher gespielt.

Diener tritt auf und macht Christian Meldung.

Christian: Schon da? Ich komme.

Diener exit.

Wilhelm: Exzellenz verfärben sich. Was gibt's?

Christian: Haben Sie in den vergangenen Tagen um die gleiche Stunde nichts gemerkt? Ich sagte doch: Nur noch dreimal vierundzwanzig Stunden. Und hätte sie den Teufel zum Bundesgenossen, bei mir wetterleuchtet der liebe Gott jetzt hinter der Szene. ( Exit.)

Wilhelm: Was soll das sein?

Jungfer tritt auf, gibt Wilhelm einen Brief. Exit.

Wilhelm: Wer ist das? ( öffnet den Brief): Von ihr! Aber das ist eine Erklärung! Welche Kühnheit von dem Mädchen! Ich stieß sie unzweideutig zurück, und sie kommt furchtlos und demütigt sich. Das ist menschlich außerordentlich. Eine List? Aber mich zu locken gibt's andere Mittel, braucht sie nicht durch einen Brief sich bloßzustellen. Denn wie es nun auch kommt: diese Zeilen sind von jetzt ab für alle Fälle in meinem Besitz. ( Er liest): »Seit langem fühle ich, was ich Ihnen danke, Ihrem bloßen erhebenden Dasein; doch erst heute stehe ich frei von fremden Einflüssen mit dem unwiderstehlichen Wunsch, von Ihnen über mich selbst und das Leben unterrichtet zu sein.« Ist es möglich? Nicht Laune? Nicht List? ( Er denkt nach): Nein. Ein richtiger, leidenschaftlicher Entschluß. Wo finde ich sie?

 

Sechster Auftritt

Gräfin Sofie und Graf Otto von Beeskow treten auf in Reitdreß.

Sofie: Wissen Sie, Herr Doktor, wer bei meinem Vater ist?

Wilhelm: Nein, Frau Gräfin.

Sofie: Sie auch nicht? Es geht ihm schlecht. Geheimrat Brunner beklagt vor allem, daß er sich trotzdem keine Ruhe gönnt. Wäre es nicht Ihre Pflicht, Ihren Einfluß in dieser Richtung aufzubieten?

Wilhelm: Frau Gräfin kennen Exzellenz' Temperament.

Otto: Sehr richtig.

Wilhelm: In Exzellenz' Auftrag habe ich Frau Gräfin die Abschrift eines Briefes an Herrn Witman zuzustellen.

Sofie: Geschäftliche Mitteilungen gehen an den Grafen.

Wilhelm: Wohin darf ich das Schreiben gelangen lassen?

Otto: Geben Sie ihn mir zum Frühstück. Nichts Geschäftliches am Vormittag.

Wilhelm: Gern. Ich darf mich beurlauben. ( Exit.)

 

Siebenter Auftritt

Sofie: Wie ist das Haus verändert.

Otto: Der Alte dicht vor dem Ende.

Sofie: Wer mag bei ihm sein?

Otto: Reitest du oder nicht?

Sofie: Wo steckt Ottilie?

Otto: Also auf Wiedersehen!

Sofie: Zwei Minuten, Otto. Wie er durch den Garten schlurfte – wer hätte den Zusammenbruch in so kurzer Zeit für möglich gehalten.

Otto: Siebenzig sind ein schönes Alter. Er hat deine Überlegenheit schon zu lange ponderiert.

Sofie: Wieder den Tatsachen vorgegriffen.

Otto: Ein Blinder sieht, er ist hin.

Sofie: Fühlt er wirklich sein Ende, ist er uns gegenüber auch zum äußersten entschlossen, hat er die wirksamste Angriffsfläche gefunden: er weiß, unser Ansehen im Werk und in der Welt ist mit der Durchsetzung des holländischen Auftrages verknüpft, weiß, wir haben uns bis ins letzte mit ihm identifiziert. Er wird ihn also unter allen Umständen kontrekarieren.

Otto: Zu spät. Du hörst, wie durchschlagend dein Trick im Haag gewirkt hat.

Sofie: Er kann aus seiner Art uns den Triumph nicht gönnen, ist bis zum Hals mit Wut gegen mich gestopft. Diese von sich besessene Natur verträgt nichts Bedeutendes neben sich und wird uns, coùte qui coùte, niederwerfen. Nahendes Ende verzehnfacht seine Kräfte.

Otto: Du siehst Gespenster. Ein Tapergreis ...

Sofie: Wann wirst du endlich von diesem Blut einen Begriff haben? Mit Zähnen und Krallen sind wir bis zum letzten Atemzug in eine Sache verhängt, und unlöslich stehen oder fallen wir mit ihr.

Otto: Verrückte Bande. Im Grunde, eben Heraufkömmlinge.

Sofie: Mit frischem Saft lebendig eben im Grunde.

Otto: Macht eure Auseinandersetzungen zwischen euch ab und menagiert euch.

Sofie: Es gibt keine Schonung diesmal, denn hinterher fallen die Tore zu. Hast du Angst, reise ab. Ich muß die Hände bis zum Ellbogen frei haben.

Otto: Ich will, du hältst dich zurück, verstanden?

Sofie: Es geschieht für dich, Otto, für dein Ansehen, deine Größe nach seinem Tode. Dein schlagender Erfolg und sein platter Abgang müssen vor der Welt zusammenfallen. Läßt er über deiner Katastrophe eine Gloriole von sich in der Welt zurück, wandelst du für den Rest der Tage ein Schemen in seinem Licht. Das will ich nicht.

Otto: Wirklich hatten wir die Sache fein eingefädelt.

Sofie: Und sollen ihm, dicht vor dem Sieg, das Feld lassen?

Otto: Also auf ihn. Aber mit Haltung!

Sofie: Auch vor den beiden Kindern muß ein Exempel statuiert werden. Durch Verträge, das sind wir sicher, hat er ihnen für später den Rücken gesteift. Sie müssen darum vorher einmal sehen, was wir für eine Handschrift schreiben. Um Philipp Ernst mache ich mir keine Sorge.

Otto: Die mitgebrachte Uhrkette paralysiert ihn. Ein schlichter Bindfaden vom Knopfloch bis zur Uhr, das wirft ihn für lange Zeit in Entzücken.

Sofie: Der Mensch, der hier schleicht, hat mit Ottilie Pläne.

Otto: Donnerwetter, wie kommst du darauf?

Sofie: Das Gegenteil wäre Mirakel. In solchen gebildeten Habenichtsen schläft stets der Wille, in unsere Assiette zu springen.

Otto: Und sie ist eine Platzpatrone.

Sofie: Durch irgendein Phantasma blendet der Bursche die Unmündige.

Otto: Der also wird durch einen Seitenhieb miterledigt.

Sofie: Nimm du die Kinder auf dich und laß mir hier das Feld.

Otto: Was mache ich mit Ottilie?

Sofie: Oels.

Otto: Einen Flirt starten?

Sofie: Zum Anfang. Er ist blöd. Gib einige Renseignements.

Otto: Er soll im Bilde sein.

Sofie: Wer ist – bei ihm?

Otto: Du machst mir Angst.

Sofie: Denn da liegt der Schlüssel. Steck das Reiten auf, leg dich auf die Lauer.

Otto: Kommt dieser vermaledeite siebenzigste Geburtstag hinzu, den er zu einer Feier für sich ausnutzen wird.

Sofie: Zu einer überwältigenden Demonstration, duldet man's. Du wirst Witman sofort einen Brief hinfeuern, der Alte verbäte sich in Anbetracht seines Gesundheitszustandes jede Erwähnung. Auch die Presse soll instruiert werden.

Otto: Du glühst. Laß dich nicht hinreißen.

Sofie: Bis zum letzten, ihm gewachsen zu sein.

Otto: Er hat Messer geschliffen.

Sofie: Ich flankiere ihm, ich sei schwanger.

Otto: Das entêtiert ihm.

Sofie ( an seinem Halse): Ich bin's auch. Wenigstens mit einer abgöttischen Liebe zu dir.

Otto ( küßt sie): Kleines Frauchen.

Sofie ( hingegeben): Mein Jesus!

 

Achter Auftritt

Christian ( tritt auf): Grüß Gott, meine Lieben! ( Umarmung.) Charmant, daß ihr gekommen seid. Geht es gut? Sofie sieht blendend aus. Nichts mitzuteilen? Wann ich Großvater werde? ( Er lacht.) Kommt schon noch. Unser Riese – ( er klopft Otto auf die Schulter) – wird sorgen. Die Kinder gesehen?

Sofie: Wie geht's dir, Vater?

Christian: Glänzend, vier Pfund wiege ich mehr als vor einem Monat, fange erst zu leben an.

Sofie: Das ist ja wundervoll.

Christian: Nicht wahr, das ist wundervoll? Warum seid ihr nicht zu Pferd fort?

Sofie: Wir suchen die Gören.

Otto: Hat Sie Prinz Oels schon begrüßt?

Christian: Er läuft mit Ottilie im Garten. Warum kam die Prinzessin nicht?

Otto: Folgt übermorgen.

Christian: Will euch meinen neuen Schimmel zeigen. Von Hannibal aus der Mistral.

Otto: Hannibal hat Mistral nicht gedeckt.

Christian: Was sage ich – Minehaha!

Otto: Das ist etwas anderes.

Christian: Ein Haupthahn, unser Otto. Immer korrekt. ( Exeunt.)

 

Neunter Auftritt

Philipp Ernst und Prinz Oels. Diener treten auf.

Philipp Ernst: Wir können nicht hinauf zu mir. Ein Badehahn funktionierte nicht, jetzt steht die Wohnung unter Wasser. ( Zum Diener): Der Herr möchte sich hierher bemühen.

Diener exit.

Oels: Du läßt den Schneider aus London kommen?

Philipp Ernst: Um Gottes willen, Prinzerl, sag nicht Schneider. Easton wird verrückt, hört er's. Er ist Gentleman. Arbeitet in Deutschland nur für zwei Hoheiten, Taxis und mich.

Oels: Ich will ein morning-coat anziehen. Der Sakko ist affreux.

Philipp Ernst: Easton hat Takt, wird das Ding gar nicht bemerken.

Oels: Es ist in Berlin nicht besser zu haben.

Philipp Ernst: In Berlin Anzüge machen zu lassen – man kann sich auch einen Ring durch die Nase ziehen.

Oels: Militär ...

Philipp Ernst: Gebrauch das Wort vor Easton nicht. Für ihn existierst du als Gentleman oder nicht.

Oels: Ich hab Herzklopfen.

Philipp Ernst: Sehr berechtigt.

Oels: Wie spricht man mit ihm?

Philipp Ernst: Als höflicher Mensch vermeide, dir den Anstrich irgendwelcher geistigen Bedeutung zu geben. Übrigens beherrscht er die mondäne Algebra.

 

Zehnter Auftritt

Diener läßt Mister Easton auftreten und setzt zwei elegante Lederkoffer neben ihn. Exit.

Philipp Ernst: Morning, Mister Easton.

Easton: Morning, Sir. How do you do?

Philipp Ernst ( stellt vor): Prinz Oels.

Easton: Morning, Sir.

Philipp Ernst: But we speak German. Easton plaudert bezaubernd deutsch. Breiten Sie Ihre Überraschungen vor uns aus.

Easton: Darf ich caleçons zeigen? Unterhosen, siamesisches Dessin, latest fashion?

Philipp Ernst: Später. Haben Sie vor allem die neue Redingote?

Easton: Certainly, Sir, und das Gilet.

Philipp Ernst ( zu Oels): Gris perle. Jede andere Couleur ist Verbrechen.

Easton ( hilft Philipp Ernst in Weste und Rock).

Oels: Bezaubernd. Ganz große Klasse.

Philipp Ernst ( zu Easton): Einen Hauch oben näher an den Kragen.

Easton ( zeichnet): Certainly. ( Zeichnet.)

Philipp Ernst: Die Taille einen Ruck strenger betont.

Easton ( zeichnet): Certainly.

Philipp Ernst: Ich kreiere die Redingote neu. Man hat uns, meine Herren, letzthin ein Surrogat aufdrängen wollen ...

Oels: Den sogenannten Cutaway.

Philipp Ernst: Daß Gott erbarm!

 

Elfter Auftritt

Otto ( tritt auf): Guten Morgen, Philipp Ernst. Morning, Mister Easton.

Easton: Morning, Sir.

Otto: Fabelhafter Gehrock!

Diener tritt auf.

Philipp Ernst: Whisky, Soda!

Diener exit.

Philipp Ernst: Die Redingote ist im demokratischen Zeitalter der Joppe, die auch als Sakko oder Smoking auftritt, der Rock, der den Mann von Welt distinguiert. Denn er muß getragen werden. Unter seinen Falten wirkt nur der svelte trainierte Gentleman.

Otto: Bravo!

Philipp Ernst ( zu Easton): Die Schultern mehr hängend.

Easton ( zeichnet).

Philipp Ernst: Ist er durch, die Weste gris perle, den gleichfarbigen Krawattenknoten, den Hut haute forme komplettiert, so soll man ihn des Mannes königliches Kleidungsstück nennen. Das Weib beeinflußt er phantasiebeflügelnd.

Oels: Beweise.

Philipp Ernst: Im Nahkampf sechs Stunden Redingote gleich zwei Tagen Sakko.

Oels: Beweis!

Philipp Ernst: Wette?

Oels: Wen, wo?

Philipp Ernst: Ein Königreich für ein Weib!

Oels: Meine Schwester übermorgen.

Otto ( summt): Auf in den Kampf, Torero.

Philipp Ernst: Ich werde den Beweis bündig führen.

Diener bringt Whisky und Soda. Exit.

Easton: Allright, Sir.

Philipp Ernst ( zieht Rock und Weste aus).

Oels: Darf ich einmal versuchen? ( Zieht Weste und Rock aus, an.)

 

Zwölfter Auftritt

Ottilie tritt oben auf der Galerie auf und bleibt, hinter einem Pfeiler unsichtbar, stehen.

Otto: Das hat cachet.

Philipp Ernst: Mensch, Prinzerl, Brummell süß! ( Küßt ihn auf die Stirn.) Irrésistible.

Easton: Beautiful.

Philipp Ernst: Hättest du, statt in der Tirolerjoppe, dich in diesem royal coat Ottilien präsentiert, dein heimlichster Wunsch wäre erfüllt.

Oels: Glaubst du wirklich?

Philipp Ernst: Sieh dich im Spiegel! Dem Mädchen müßte in süßen Wallungen schwindeln. Prinzerl, was hast du eigentlich für einen himmlischen Thorax!

Otto: Sie wirken bezaubernd.

Philipp Ernst: Mit deiner Hautfarbe je pourrais m'imaginer le gilet en écossais gris mauve. Göttlich!

Easton: Indeed.

Oels: Ich gäbe – den Rock mußt du mir abtreten!

Philipp Ernst: Das nicht, Prinzerl, voyons.

Oels: Es ist für mein Leben wichtig, ich bekomme sie. Gentlemen, unterstützen Sie meinen Antrag.

Philipp Ernst: Sollen wir helfen?

Otto: Alle für einen.

Philipp Ernst: Well. Heraus denn, Easton, mit den profundesten Schätzen. Es gilt gegen ein Weib! Was haben Sie? ( Er wühlt in den Koffern und streut auf den Boden aus.) Krawatten, Hemden, Bretelles, Taschentücher, Strümpfe. Diese, Prinzerl, jaune indien, und Pumps dazu. Beim Beinüberschlagen stets so, daß eine Handbreit Strumpf zu sehen ist. Ein Dutzend, Easton, und diese robe de chambre. Robe de chambre sage ich und denke mit Schaudern, man hat bis vor kurzem Pyjamas getragen wie ein Zigeunerhäuptling oder Schlafwagenkontrolleur.

Easton: Sehen Sie ein anderes Modell avec le col Robespierre et des manches pagodes.

Philipp Ernst: Anprobieren!

Otto: Zeigen!

Philipp Ernst: Hosen herunter!

Alle sind um Oels beschäftigt und ziehen ihm den Morgenanzug an.

 

Dreizehnter Auftritt

Wilhelm ist auf der Gegengalerie aufgetreten und bleibt, ohne Ottilie zu bemerken oder von ihr und den anderen bemerkt zu werden.

Philipp Ernst: Apoll von Trapezunt! Einen Schuß Houbigant noch, und nun mach ein paar Schritte.

Oels ( geht durch den Raum).

Easton: Splendid, Sir.

Otto: Das Mädchen hat Chance!

Philipp Ernst: Wie ein Pudel legt sie sich nieder. Du bist eine Schönheit, Hartwig!

Easton: Indeed.

Philipp Ernst: Willkommen, Schwager!

Otto: Wie besorgt!

Oels: Wenn nicht anders, mit Gewalt!

Otto und Philipp Ernst: Bravo!

Easton: Indeed.

Ottilie ( oben in der Mitte der Treppe): Bravissimo! ( Sie stürmt die Treppe herunter unter die Herren.)

Philipp Ernst: Überfall! Sauve qui peut!

Oels ( ist hinter einen Stuhl geflüchtet).

Ottilie: Nehmt mich, Gentlemen, als aus dem eigenen Lager. Wie heißt die Parole?

Otto: Oels!

Ottilie: Oels! Voilá! Tataratata!

Philipp Ernst: Prinzerl heraus! Sie gehört in jeder Weise zu uns. ( Er zieht ihn hervor; zu Ottilie.) Was sagt Kennerblick zu dieser Erscheinung?

Ottilie: First class absolutely.

Philipp Ernst: Solch harmonisch geteilter, durchtrainierter Männeraufbau. Ist Schöneres denkbar?

Ottilie: Haben Sie nichts für mich, Easton?

Easton: Certainly, Miss.

Philipp Ernst: Wie gefällt solches? ( Nimmt ein Paar Unterhosen hoch.) Siamesisches Dessin. ( Er nimmt ein Paar lange Strümpfe und hält sie Ottilien an.) Ist das nichts für Didelchen?

Easton ( zieht einen großen seidenblumengestickten Schal hervor): Voilà! ( Alle sammeln sich mit Ausrufen der Bewunderung um das Tuch. Dann drapiert Philipp Ernst die Schwester damit.)

Philipp Ernst: Und jetzt: La Furlana! Avanti! ( Spielt mit dem Munde einen Tanz.) Accompagnement, Prinzerl!

Ottilie und Oels ( tanzen äußerst graziös den Tanz, die übrigen beteiligen sich mit Musik und Zurufen).

Otto ( am Fenster): Der Alte!

Ottilie und Philipp Ernst: Huh, huh!

Alles stürzt Hals über Kopf davon. Ottilie hat Oels bei der Hand genommen und ist mit ihm hinaus. Easton hat alles in seine Koffer gestopft, wobei Philipp Ernst behilflich ist. Dann werden die Koffer unter ein Sofa gestoßen und beide exeunt. Als Letzter geht Otto.

Otto: Die beiden Kinder sind wirklich harmlos ungefährlich.

 

Vierzehnter Auftritt

Die Szene bleibt unten einige Augenblicke leer.

Wilhelm ( oben): Unverschämte! ( Er steigt schnell die Treppe hinab, nimmt Ottiliens Brief aus der Tasche, zerreißt ihn und wirft die Stücke in den Papierkorb.) Lüge und Betrug deiner Klasse, Verkommenheit nach wie vor. Plappern in sieben fremden Sprachen, Grimassen zügelloser Unsittlichkeit; Sensation alles. Immer noch der kleine Sekretär im schwarzen Röckchen! ( Er sieht ein Paar Unterhosen auf dem Boden, hebt sie mit der Fußspitze ein wenig hoch und schleudert sie gleich darauf beiseite.) Und ihr hochmütiger Blick auf meine Stiefel und Kleider bleibt. In Seide läuft der Apostel nicht wie die anderen; aber es sollen durch ihn im Lande die Quellen wieder fließen, die das Leben aus euren blöden Ekstasen lösen. Hütet euch! Dieser Augenblick entschied. Ich deute dein mir sichtbar gegebenes Zeichen richtig, mein Gott, und verlasse noch heute dieses Haus.

 

Fünfzehnter Auftritt

Ottilie ( tritt auf; sie trägt noch den weißen Schal): Ich muß Ihnen einige Worte der Erklärung sagen.

Wilhelm: Was ich von oben mit eigenen Augen sah, sagt tausendmal genug.

Ottilie: Der Spaß mit den Jungens?

Wilhelm: Ich habe mit den Späßen, mit dieser ganzen Welt ein für allemal nichts zu tun.

Ottilie: Ich bitte Sie!

Wilhelm: Lassen Sie mich vorbei!

Ottilie ( tritt zur Seite).

Wilhelm ( wütend): Was wollen Sie von mir?

Ottilie: Haben Sie nicht die Pflicht, bittet Sie ein Mensch, ihm Aufschluß zu geben?

Wilhelm: Ihnen zu allerletzt.

Ottilie: Sie sind streng, wie ich's nicht verdiene. War ich einige Male herausfordernd, war's aus Verlegenheit. Ich kann nicht einfach zu Ihnen sprechen. Weil ich verehre, bin ich befangen.

Wilhelm ( geht zur Tür).

Ottilie: Ich weiß, Sie haben ein Ziel hoch über dem aller anderen Männer.

Wilhelm: Und ich: Sie sind das typisch glatte Bild Ihrer Kreise, unterscheiden sich in nichts von ihnen.

Ottilie: Ich war's. Seit ich von Ihren Absichten weiß ...

Wilhelm: Sie? ( lacht) von meinen – –

Ottilie: Sie ein leidenschaftliches Nationalgefühl in uns wachrufen sehe, seitdem ich die Reihe Ihrer Gedanken kenne – des neuerstandenen Zeitdeutschen und seine Verehrung ...

Wilhelm: Aber wie kommen Sie ...?

Ottilie: Die Idee, wir wollen ein Streichholz vorm Abbrennen auf die Notwendigkeit seines Verbrauchs prüfen, um zu sittlicher Ökonomie zu kommen.

Wilhelm: Wie können Sie wissen?

Ottilie: Sollen wirkliche Werte an Stelle des allgemeinen Produktionsschwindels setzen. Habe ich richtig verstanden?

Wilhelm: Wie ist das möglich?

Ottilie: Wer selbst Wunder wirkt, will Wunder überall. Sie sollen von eines Mädchens Begeisterung den Beweis erhalten. Ich fühle mich dicht vor bindenden Entschlüssen; glauben Sie bis zur entscheidenden Tat nur wenige Tage noch an meine Treue. ( Ehe er's verhindern kann, hat sie sich auf seine Hand gebückt, sie geküßt und ist hinaus.)

Wilhelm: Welch' Sieg, welch' großer moralischer Sieg mitten im Lager des Feindes! ( Er läuft die Treppe hinauf.) Ich komme, Friedrich! Schnell soll jetzt die flammende Anrede an die Freunde für morgen gedichtet sein. Ein deutsches Dokument ( Sieht sich in einem Spiegel.) Mirabeau? Warum nicht!

Vorhang


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