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Ich werde auf die mir schriftlich gestellten Anfragen in der Reihenfolge antworten,
wie die zehn Anfragen auf den Zetteln vermerkt worden sind. Ich beginne mit der ersten.

 

I.

Durch welche Maßnahmen und unter welchen Bedingungen kann während der Diktatur des Proletariats das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft befestigt werden, wenn die Sowjet-Union nicht von der sozialen Revolution des westeuropäischen Proletariats innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre unterstützt wird?

 

Ich glaube, diese Frage schließt in sich alle übrigen schriftlich gestellten Fragen ein. Daher wird meine Antwort einen allgemeinen und insofern bei weitem nicht erschöpfenden Charakter haben. Denn sonst würde sich ja die Beantwortung der anderen Fragen erübrigen.

Meiner Ansicht nach geben die Beschlüsse der XIV. Parteikonferenz eine erschöpfende Antwort auf diese Frage. In diesen Beschlüssen heißt es, die beste Garantie für die Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land bilde eine richtige Politik gegenüber der Bauernschaft. Aber was bedeutet das? Eine solche Politik kann nur in einer Reihe von Maßnahmen auf wirtschaftlichem, administrativ-politischem und kulturellem Gebiet bestehen.

Beginnen wir mit dem wirtschaftlichen Gebiet. Hier ist es vor allen Dingen notwendig, die Überbleibsel des Kriegskommunismus auf dem Lande zu liquidieren. Notwendig ist ferner eine richtige Preispolitik für industrielle Erzeugnisse und landwirtschaftliche Produkte, eine Politik, die das rasche Wachstum der Industrie und der Landwirtschaft und damit die Liquidierung der Schere gewährleistet. Ferner ist notwendig, daß die Gesamtsumme der landwirtschaftlichen Steuer herabgesetzt wird und daß diese Steuer allmählich aus dem allgemein staatlichen in das lokale Budget übergeht. Notwendig ist weiter, die Millionenmassen der Bauernschaft in den Genossenschaften zu vereinigen, vor allen Dingen in den landwirtschaftlichen und Kreditgenossenschaften, um auf diesem Wege die Bauernwirtschaft in das allgemeine System des sozialistischen Aufbaus einzureihen. Ferner müssen Traktoren aufs Land gebracht werden, um die Landwirtschaft auch technisch zu revolutionieren und Kulturzentren auf dem Lande zu schaffen. Schließlich muß der Elektrifizierungsplan realisiert werden, um auf diesem Wege eine weitere Annäherung zwischen Stadt und Land zu ermöglichen und die Gegensätze zwischen ihnen zu beseitigen.

Das ist der Weg, den die Partei zur Sicherung des Bündnisses zwischen Stadt und Land auf wirtschaftlichem Gebiet beschreiten muß.

Ich möchte ferner Ihre Aufmerksamkeit auf das Problem lenken, die landwirtschaftliche Steuer aus dem staatlichen in die lokalen Budgets zu überführen. Das erscheint vielleicht auf den ersten Blick hin merkwürdig. Trotzdem ist es Tatsache, daß die landwirtschaftliche Steuer den Charakter der lokalen Steuer angenommen hat und immer mehr annehmen wird. Es ist z. B. bekannt, daß früher, vor zwei Jahren, die landwirtschaftliche Steuer den wichtigsten oder fast wichtigsten Teil unseres staatlichen Budgets ausmachte. Und jetzt? Jetzt bildet sie nur einen unbedeutenden Teil des Staatsbudgets. Das Staatsbudget beläuft sich jetzt auf 2½ Milliarden Rubel, die Beträge aus der landwirtschaftlichen Steuer ergeben in diesem Jahre höchstens 250 bis 260 Millionen Rubel, also 100 Millionen weniger als im vorigen Jahre. Wie Sie sehen, ist das nicht gar so viel. Und je mehr das Staatsbudget anwachsen wird, um so geringer wird der Anteil dieser Steuer sein. Außerdem gehen von den 260 Millionen des Ertrages der landwirtschaftlichen Steuer 100 Millionen in das lokale Budget über. Das ist mehr als ein Drittel der ganzen Steuer. Wie ist das zu erklären? Dadurch, daß von allen bestehenden Steuern die landwirtschaftliche Steuer den lokalen Bedingungen am nächsten steht und am besten für lokale Bedürfnisse ausgenutzt werden kann. Das lokale Budget wird zweifellos im allgemeinen anwachsen, aber ebenso zweifellos ist es, daß es vor allem auf Kosten der landwirtschaftlichen Steuer anwachsen wird. Das ist um so wahrscheinlicher, als sich der Schwerpunkt der staatlichen Einnahmen verschoben hat und sich noch weiter verschieben wird, und zwar in dem Sinne, daß die Haupteinnahmen aus den staatlichen Unternehmungen, aus den indirekten Steuern usw. sich ergeben.

Aus diesem Grunde ist die Überführung der landwirtschaftlichen Steuer aus dem allgemeinen Staatsbudget in die lokalen Budgets absolut möglich und ist auch für die Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land vollkommen zweckmäßig.

Gehen wir nun zu den Maßnahmen über, die das Bündnis zwischen Stadt und Land auf verwaltungspolitischem Gebiet sichern soll.

Die Errichtung einer Sowjet-Demokratie in Stadt und Land und die Belebung der Sowjets zum Zwecke der Vereinfachung, der Verbilligung und der moralischen Gesundung des Staatsapparates, zum Zwecke der Beseitigung aller Elemente des Bürokratismus und der bürgerlichen Zersetzung aus diesem Apparat, zum Zwecke der vollkommenen Verschmelzung des Staatsapparates mit den Millionenmassen, das ist der Weg, den die Partei beschreiten muß, wenn sie auf dem Gebiete des verwaltungspolitischen Aufbaues das Bündnis zwischen Stadt und Land festigen will. Die Diktatur des Proletariats ist nicht Selbstzweck. Die Diktatur ist das Mittel, der Weg zum Sozialismus. Und was ist Sozialismus? Der Sozialismus ist der Übergang von einer Gesellschaft, in der die Diktatur des Proletariats besteht, zur staatenlosen Gesellschaft. Um diesen Übergang zu verwirklichen, muß der Staatsapparat so aufgebaut sein, daß mit seiner Hilfe die Umwandlung der Gesellschaft, in der Diktatur herrscht, in eine staatenlose, kommunistische Gesellschaft ermöglicht wird. Diesem Ziele dient die Losung der Belebung der Sowjets, die Losung der sowjetistischen Demokratie in Stadt und Land, die Losung der Teilnahme der besten Elemente der Arbeiterklasse und des Bauerntums an der unmittelbaren Verwaltung des Landes. Den Staatsapparat zu verbessern, ihn wirklich zu reorganisieren, alle Elemente des Bürokratismus und der Zersetzung aus ihm zu entfernen, ihn den breiten Massen vertraut zu machen, all das ist ohne die dauernde und aktive Unterstützung des Staatsapparates durch die Massen selbst unmöglich. Aber die aktive und anhaltende Unterstützung durch die Massen ist ohne die Hinzuziehung der besten Arbeiter- und Bauernelemente zu den Verwaltungsorganen, ohne die Herstellung einer direkten und unmittelbaren Verbindung zwischen dem Staatsapparat und den breiten Massen der werktätigen Bevölkerung unmöglich.

Wodurch unterscheidet sich der Sowjet-Staatsapparat vom Apparat eines bürgerlichen Staates?

Vor allem dadurch, daß der bürgerliche Staatsapparat über den Massen steht, von der Bevölkerung durch eine undurchdringliche Wand getrennt und schon seinem Geiste nach den Volksmassen fremd ist, während der Sowjet-Staatsapparat mit den Massen verschmolzen ist; er kann und darf nicht über den Massen stehen, wenn er als Sowjet-Staatsapparat bestehen will, er kann den Massen nicht fremd sein, wenn er tatsächlich die Millionen-Massen der Werktätigen umfassen soll. Darin besteht einer der prinzipiellsten Unterschiede zwischen dem Sowjet-Staatsapparat und dem Apparat des bürgerlichen Staates.

Lenin sagte in seiner Broschüre »Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?«, daß 240 000 Mitglieder der bolschewistischen Partei zweifellos das Land im Interesse der Armen gegen die Reichen regieren könnten, da sie absolut nicht schlechter seien als die 130 000 Grundbesitzer, die das Land im Interesse der Reichen gegen die Armen regiert haben. Einige Kommunisten glauben deshalb, daß es genügen würde, den Staatsapparat mit einigen Hunderttausenden von Parteimitgliedern zu besetzen, um das mächtige Land verwalten zu können. In dieser Beziehung neigen sie oft dazu, die Partei mit dem Staat zu identifizieren. Das, Genossen, ist nicht richtig. Das ist eine Entstellung des Leninschen Gedankens. Als Lenin von den 240 000 Parteimitgliedern sprach, wollte er absolut nicht sagen, daß damit die zahlenmäßige Zusammensetzung und der allgemeine Umfang des Sowjet-Staatsapparates erschöpft sei oder erschöpft werden könne. Im Gegenteil, in den Staatsapparat schloß er neben den Parteimitgliedern noch eine Million Stimmen ein, die damals, vor dem Oktober, für die Bolschewiki abgegeben worden waren, und er erklärte, daß wir ein Mittel hätten, unseren Staatsapparat mit einem Schlage zu verzehnfachen, d. h. ihn auf 10 Millionen zu bringen und zwar, wenn wir die großen Massen der Werktätigen zur täglichen Arbeit der Verwaltung des Staates heranziehen.

»Diese 240 000 Menschen – sagt Lenin – haben schon jetzt nicht weniger als eine Million Stimmen der erwachsenen Bevölkerung hinter sich, denn ein solches Verhältnis zwischen der Zahl der Parteimitglieder und der Zahl der für die Partei abgegebenen Stimmen ist durch die Erfahrung Europas und die Erfahrung Rußlands, z. B. durch die August-Wahlen zur Petersburger Stadt-Duma, festgestellt worden. Da haben wir also bereits einen »Staatsapparat«, der aus einer Million Menschen besteht, die der Idee des sozialistischen Staates ergeben sind und nicht nur deswegen, um am 20. jeden Monats ihr Gehalt zu bekommen. Mehr als das, wir besitzen ein »Wundermittel«, um auf einmal, mit einem Schlage unseren Staatsapparat zu verzehnfachen, ein Mittel, über das kein kapitalistischer Staat je verfügte oder verfügen kann. Dieses Wundermittel ist die Hinzuziehung der Werktätigen, die Hinzuziehung der armen Bevölkerung zur Alltagsarbeit in der Verwaltung des Staates.« (Siehe Lenins Werke, Band XIV, 2. Teil.)

Wie geht diese »Hinzuziehung der Werktätigen, die Hinzuziehung der armen Bevölkerung zur täglichen Arbeit der Staatsverwaltung vor sich?

Sie geht vor sich in den Massenorganisationen, die eine eigene Initiative bekunden, durch alle möglichen Kommissionen und Komitees, Konferenzen und Delegierten-Versammlungen, die sich um die Sowjets, die wirtschaftlichen Organe, die Betriebsräte, die kulturellen Institutionen, die Partei-Organisationen, Jugendorganisationen, um allerhand genossenschaftliche Vereinigungen usw. usw. gruppieren. Oft sehen unsere Genossen nicht, daß rings um unsere Massenorganisationen, um die Partei, die Sowjets, die Gewerkschaften, den Jugendverband, die Armee-, Frauen-, kulturellen und anderen Organisationen ein ganzer Schwärm selbsttätiger Organisationen, Kommissionen und Komitees wimmelt, die Millionenmassen parteiloser Arbeiter und Bauern erfassen, ein Schwärm von Menschen, die in ihrer täglichen, mühsamen, geräuschlosen Kleinarbeit die Grundlage und das Leben der Sowjets, die Quelle der Kraft des Sowjetstaates schaffen. Ohne diese Millionen-Organisationen, die unsere Sowjet- und Parteiorgane umgeben, wäre das Bestehen und die Entwicklung der Sowjetmacht, die Leitung und Verwaltung des mächtigen Landes absolut undenkbar. Der Sowjet-Staatsapparat besteht nicht nur aus den Sowjets, denn neben den Sowjets bestehen Millionen-Organisationen, Partei- und parteilose Vereinigungen, die die Sowjets mit den breiten Massen verbinden, die den Staatsapparat mit der ganzen Bevölkerung verschmelzen und Schritt um Schritt alles vernichten, was eine Wand zwischen dem Staatsapparat und der Bevölkerung aufrichten könnte.

In dieser Weise müssen wir bemüht sein, unseren Staatsapparat zu »verzehnfachen«, ihn den Millionenmassen der Werktätigen nah und vertraut zu machen; wir müssen alle Überbleibsel des Bürokratismus aus ihm entfernen, ihn mit den Massen verschmelzen und so den Übergang von der Gesellschaft, in der die Diktatur des Proletariats herrscht, zur staatenlosen, zur kommunistischen Gesellschaft vorbereiten.

Das ist der Sinn und die Bedeutung der Losung von der Belebung der Sowjets und der Errichtung der Sowjet-Demokratie. Das sind die wichtigsten Maßnahmen zur Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land, die auf dem Gebiet der verwaltungspolitischen Parteiarbeit notwendig sind.

Was die Maßnahmen zur Sicherung des Bündnisses zwischen Stadt und Land auf dem Gebiet der kulturellen Arbeit anbetrifft, so braucht darüber nur wenig gesagt zu werden, da diese Maßnahmen klar und allgemein bekannt sind und keiner Erläuterung bedürfen. Ich möchte nur die Grundlinien der Arbeit auf diesem Gebiet für die nächste Periode andeuten. Diese Grundlinien bestehen darin, daß man die Bedingungen schafft, die notwendig sind für die Einführung des obligatorischen Schulunterrichts im ganzen Lande, in der ganzen Union. Das, Genossen, ist eine Reform von ungeheuer großer Wichtigkeit. Ihre Durchführung wird ein großer Sieg sein, nicht nur an der kulturellen, sondern auch an der politischen und wirtschaftlichen Front. Diese Reform muß als Grundlage für einen mächtigen Aufschwung des Landes dienen. Aber sie wird Hunderte Millionen von Rubeln kosten. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß für ihre Durchführung eine ganze Armee, wohl etwa eine halbe Million Lehrer und Lehrerinnen notwendig sein werden. Aber wir müssen trotz allem die Durchführung dieser Reform in der allernächsten Zeit sicherstellen, wenn wir tatsächlich das Land auf eine höhere Kulturstufe bringen wollen. Und wir werden es tun, Genossen, daran kann kein Zweifel bestehen.

Das ist die Antwort auf unsere erste Frage.

Gehen wir jetzt zur zweiten Frage über.


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