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Das Haus der Frommen

Es war gar nicht lange nach der Schlacht bei Hochstädt, als mir von dem Prinzen Eugenio ein Congé von einigen Monaten bewilligt wurde, um mich von meinen Strapazen und Wunden zu erholen. Ich gedachte diese Zeit in Neustadt zuzubringen, weil mir die Lage des Städtchens überaus wohl gefiel, und der Weg nach meiner Heimath allzuweit gewesen wäre. Auch hatte ich daselbst keine Verwandten mehr, die einige Zuneigung meinerseits meritirt hätten, indem meine Schwester, wiewohl verheiratet, und ein arger Zankteufel für ihren Mann, dennoch ein größerer Sadrach stets gegen mich gewesen, wofür ich sie erst vor einem Jahre auf gut militärisch mit der Fuchtel abgestraft. Der Schwager selber war ein gutes Thier, und gar wohl zufrieden, wenn ihn seine Xantippe nur beim Schnaps beließe, den er vor Allem liebte. Ich halte dafür, daß er sich nicht gemukst hätte, wenn mir die Frau Schwester ein Ratzenpulver in die Biersuppe gerührt haben würde. Derohalben dachte ich mir: Basta mit der ganzen Sippschaft, und ich wollte in der Fremde leben, weil mir daheim nicht Gesundheit und nicht Geld geblüht hätte. Wie vergnüglich hätte mir jetzo eine gute und honette Frau gethan! Aber ich bin in allen meinen Liebschaften meiner Tage her unglücklich gewesen. Die eine ist gestorben, die andere hat mich quittirt um eines Andern willen, und die dritte zog sich zurück, da sie merkte, wie ich ein armer Schlucker war, und kaum als Lieutenant meine Equipage aufrecht erhalten mochte. So jung ich dazumal auch war, so hängte ich also jedwede Amour an den Nagel, und gab mich nur mit den Cameraden ab, oder mit meinem braven Philipp, der mein Pferd so lieb hatte, wie sein Leben, und mich, seinen Herrn, noch etwas lieber. Der Philipp war ein alter Soldat, nicht mehr gar adrett in seinen steifen Gliedmassen, aber von bestem Character, und einer seltsamen Memorie, indem er Alles wieder zu erzählen verstund, was ihm passirt, da er unter dem tapfern Markgrafen Louis von Baden gedient; wobei wir uns in allerlei ergözliche Conversationen einließen, Tabak rauchten, und Bier tranken oder Wein bis in die späte Nacht, obgleich mäßiglich, weil sich Trunkenheit für einen Soldaten und Officier nicht schicken mag.

Der Philipp zog also mit mir nach Neustadt, und machte zugleich meinen Feldscheer, indem er mich verband und pflegte, und allenthalben den tüchtigsten Quartiermeister abgab. So hatte er mir zu Neustadt eine Wohnung ausgemacht, wie ich sie nicht zum zweiten Male in meinem Leben jemals gefunden. Das Quartier war in dem Hause am großen Markt, neben der Schmiede, und hieß zu den drei rothen Herzen, und eine Familie von Pietisten wohnte darinnen, bei der ich in Kost und Wohnung lag. Die Familie war curieus zusammen gesetzt, und bestand aus einem alten, vom Geschäft zurück gezogenen Kaufmann, der eine gar nicht viel jüngere Frau hatte, und statt der Kinder einen kleinen Neuveu, und eine ditto Niece, deren Vater auf der Insel Ceylon in der größten Pauvreté gestorben war, worauf der Oncle die Waisen um Gotteswillen zu sich genommen. Ein grauköpfiger Bedienter besorgte die Wirtschaft dieser Leute; das Haus gehörte aber der Schwester der vorbenannten Kaufmannsfrau, und bei dieser Schwester war es eigentlich, wo ich logirte. Mein Philipp hatte sich bei ihr in sonderbarliche Gnade und Zuvorkommenheit gesetzt, und somit für mich die schönste Stube im Hause acquirirt. Die Meubles waren freilich etwas altväterisch, und hätte meines Bedünkens wohl der kühne Held Jean de Werth daselbst zur Zeit sein Hauptquartier aufschlagen dürfen, aber Alles war im Ueberfluß vorhanden und eingerichtet, wie es sich für einen Cavalier schickt. Als ich zum ersten Male hineinkam und wohlgefällig bemerkte, wie gut das Quartier bestellt sey, mit Lehnsesseln, Vorhängen und allerhand galanten Figuren, und Spielwerken von Porcellan auf dem Kamin und denen Spiegel-Tischen, bemerkte ich auch zugleich eine exquisite Uhr von bedeutender Größe und Umfang, die mitten in der Stube gleich als auf einem Postamente aufgestellt war. Weil ich nun von Jugend an, da mein seliger Herr Vater ein überaus kunstreicher Goldschmied und Mechanicus gewesen, an allerlei mechanischen Arbeiten und Studien absonderliche Freude gehabt, so mochte ich mich nicht enthalten, augenblicklich auf diese Standuhr hinzulaufen und dieselbe von allen Seiten zu besehen. Sie war ein curieuses Meisterstück, und zeigte außer den gewöhnlichen Verrichtungen, den Mond- und Sonnenlauf, und einen immerwährenden Kalender, war aber nicht aufgezogen, und stand daher stille. Ich schickte den Philipp hinunter, um von der Hausfrau den Uhrenschlüssel zu begehren, und erhielt denselben ohnverweilt, worauf ich die künstliche Maschine aufzog, aber mit Leidwesen baldigst einsehen mußte, daß sie voll von Staub und Unrath stecke, und sehr bald wieder nicht mehr ging. Gleich darauf war ich jedoch wieder ganz content, weil ich mich resolvirte, die Uhr wieder selbst auszuputzen und herzustellen, sintemal ich eine große Praxin in solch' artiger Geschicklichkeit besaß. Der Philipp, weil er froh war, wie er sah, daß ich wieder an etwas Freude hatte, lief wie ein Marodeur im Hause auf und nieder, und verschaffte mir bald alle Instrumente, die ich brauchte. Denn der verstorbene Mann meiner Quartierfrau war ein Uhrmacher gewesen, und sein ganzes Handwerkszeug noch vorhanden. Da machte ich mir's denn commode mit meinem blessirten Fuße, setzte mich schon am andern Morgen nieder, streifte die Hemdärmel auf, und laborirte, wie ein gelernter Uhrmacher. Das waren den Leuten im Hause spanische Dörfer, denn sie waren bisher von ihren Einquartierungen nur ein wüstes Fluchen und Toben und ein abscheuliches Saufen und Spielen gewohnt, aber keine sedate Beschäftigung und keinen Fleiß. Sie wollten Alle sehen, wie einem kaiserlichen Officier das Schurzfell zur Visage stehe, und kamen rottenweise, Eines nach dem Andern, auf die Stube gerückt. Die Ersten natürlich waren die Kinder: hübsche und modeste Geschöpfe von neun bis zehn Jahren, mit schönen Haaren und himmelklaren Augen, die bei dem Mädchen ganz fromm, bei dem Jungen dagegen schon ein bischen verwegener dreinsahen, obschon mit derjenigen Douceur, welche die Pietisten in ihrem ganzen Maintien zu observiren pflegen. Nach denen Kleinen, die ich ergötzte, da ich das Glockenspiel der Uhr in Bewegung setzte, kamen ihr Oncle und ihre Tante und stellten sich auch hin mit gefalteten Händen und freundlichem Kopfnicken, aber ohne schier ein Wort zu verlieren, denn der Ernst dieser frommen Sectirer ist beinahe nicht in ein Lächeln zu verwandeln, und sie sind in der Freude so still wie im Schlaf und in der Trauer. Die Hausfrau war die letzte, die sich einstellte, aber auch die, so mir die meiste Attention erwies. Sie war eine alte Frau, obwohlen jünger noch als ihre Schwester, und trug sich in dem Kleide einer Wittib, wenn schon ihr Herr Liebster vor mehreren Jahren gestorben. Doch ist es bei denen Pietisten etwas Ordinäres, daß sie sich in Faltenröcken von schwarzem Bon und weißen eng anliegenden Hauben sehen lassen, weil sie nur den Tod und die Vergänglichkeit und das ewige Leben vor Augen haben wollen. Meinethalben; ich stieß mich nicht daran und conversirte gern mit der Frau, und sie kam erst auf eine halbe Viertelstunde, und dann wieder auf eine ganze, und so fort bis auf eine Stunde, um mir bei der Arbeit zuzusehen. Da seufzte sie auch öfters, und sagte: »Die Uhr war das letzte, so mein seliger Mann gefertigt hat, und sollte sie schon nach Upsala im Königreich Schweden, abgehen, als der Selige heimging. Nachher habe ich sie nicht mehr fortschicken wollen, und als der Geselle wegging, da ich die Profession aufgab, so blieb die Uhr verlassen stehen, und ich freue mich recht, daß sich jetzt eine geschickte Hand ihrer angenommen.« Ich replicirte hierauf sehr galant: »Mir ist es ein besonderes Plaisir, werthe Madame, wenn Sie meiner Capacität und bischen Kunst Gerechtigkeit wiederfahren läßt;« und da seufzte sie nochmals, bedankte sich recht schön, und invitirte mich zum Frühstück auf ihre Stube, wo ich die ganze Familie fand, und von Stund an von derselben tractirt wurde, als ob ich zu ihr gehörte. Ich kann nun wohl nicht sagen, daß ich viel Annehmlichkeit dabei genossen hätte, weil die guten Leite doch den Tag über gar zu fromm waren. Es stand ein kleines Positiv in der Wittib Stube, und immer vor dem Essen setzte sich der alte Diener des Kaufherrn daran, und spielte einen Psalm oder Choral, und die Andern, Klein und Groß sangen aus vollem Herzen mit, und dann wurde gebetet, sodann excessive frugal gegessen und getrunken, und dann wieder gebetet und gesungen. Nach dem Essen kam gewöhnlich ein langer dürrer Diaconus mit einem desagreablen Gesichte, und schwatzte vom Heiland und den bösen Zeiten, und der Nothwendigkeit, daß sich der Gerechte total abschließe von der verruchten Welt, u. dgl. m. Da ging ich gewöhnlich wieder auf meine Stube, und las in ein paar Büchern, die mir der Philipp aufgetrieben, oder spielte im Garten mit den Kindern. So kam auch oft Frau Christiana, die Wittib, zu uns herab, und schaute freundlich zu. Nicht selten aber sagte sie auch wehmüthig: »Sage Er, Herr Lieutenant, ob es nicht ein Unglück ist, daß ich keine Kinder habe? sie würden mich in meinem Alter trösten, da mich mein Seliger verlassen hat. Derselbe hat mir ein gutes Vermögen angeschafft, aber alles dieses fällt, wenn ich heimgehe, in fremde Hände.« Worauf ich immer auf die Kleinen hinwies und versetzte: »Da sind Diejenigen, von denen sie ein Soulagement Ihres Alters zu hoffen hat, Madame. Die Kinder Ihres Bruders sind ja auch keine Fremden.« Da seufzte sie aber immer, und ging wieder langsam hinein in die Stube.

Wenn ich mir je Kinder gewünscht habe, so sind es die gewesen, die ich dort im Hause fand: Der kleine Conrad und die Salome mit ihren blauen Augen. In dem kleinen Conrad steckte etwas Besseres, als ein Pietist; nämlich ein wackerer Soldat. Aber er durfte sich's nicht merken lassen, und wurde somit leider etwas heimlich hypokrit. Salomo dagegen war immer die gute Stunde. Den Kindern ist aber während meines Aufenthalts etwas ganz Apartes passirt. Sie liefen an einem schönen Morgen zusammen vom Hause weg, und promenirten aus der Stadt. Wie es Mittag war, waren die Kleinen noch nicht retour. Der Kaufmann und seine Frau waren desperat, und bildeten sich schon alles Böse ein. Frau Christiana jedoch, die viel männliches Ingenium besaß, und nicht leicht den Kopf verlor, jammerte nicht lange, sondern schickte den Knecht und die Magd aus, um nach den kleinen Deserteurs zu schauen. Mittlerweile kamen sie auch richtig daher; es war schon drei Uhr des Nachmittags. Conrad bat in seinem und der Schwester Namen um Pardon, und erzählte, daß sie auf das ruinirte Schloß spaziert wären, und lange Zeit von dem Berge herab in die Stadt und die Gärten vigilirt hätten. Da sey ihnen aber Beiden der Schlaf angekommen, und sie hätten sich unfern von einem Hollunderbusch niedergesetzt, die Augen zugemacht, und wären alsobald eingeschlummert. Beiden jedoch hat – was gewiß sehr extraordinair ist – ein und dasselbe geträumt: nämlich von einer schönen Musique, die sich plötzlich neben ihnen in den Lüften hat hören lassen, und worauf ein großer Wohlgeruch sich um sie verbreitete. Dann sey die Gestalt eines Mannes mit langen Haaren, in einem Reisemantel und spitzigen Hute hinter den Trümmern hervorgekommen, und habe sich ihnen approchirt. Weil der Mann von abschreckender Visage war, und einen dunkeln Schimmer um sich verbreitete, fürchteten ihn die Kinder, obschon er mit süßen Worten zu ihnen redete, und sie invitirte, mit ihm in ein Kellerloch zu steigen, so er bezeichnete, und dort viel Geld zu holen, was sie glücklich machen würde. Der Mann habe hierauf bald gelächelt, bald gedroht, und ihnen seine Animadversion zu erkennen gegeben, wenn sie ihm nicht gehorchen würden. Sie hätten es dann wieder verneint, und seyen in ihrer Resistance bestärkt worden, sintemal sie hinter ihnen einen gar holdseligen Engel erblickt zu haben behaupten, der seine Flügel über ihr Haupt ausbreitete, und den häßlichen Mann mit beiden Armen hinwegwinkte, worauf derselbe sich retirirte wie ein Holländer. Dann habe der Engel sich zu den Kindern herunter gebückt, und ihnen liebreich gesagt: »Gehet heim, ihr Kleinen, denn Eure Verwandten ängstigen sich um Euch!« Nun seyen sie plötzlich erwacht, hätten sich mit Thränen im Auge das ganze Evenement erzählt, und ebenfalls die Retirade angetreten. – Ich lasse dieses nun dahingestellt, ob gedachte Begegniß ein wirklicher Traum gewesen, oder eine magische Aventure, wie derselben nicht selten arrivirt seyn sollen; genug, ich habe die Historie hergesetzt, weil sie eben doch für die Zukunft der Kinder von Gewicht war.

Der Oncle und die Tante waren ganz bestürzt, und der Diaconus, der dazukam, stellte mit seiner näselnden Stimme die Meinung heraus, daß wohl Alles das Werk eines bösen Geistes gewesen, und der Mann mit den langen Haaren das Gespenst eines gewissen Räubers und Vagabunden, der vor geraumer Zeit die Gegend um Neustadt unsicher gemacht, und in jenem Schlosse sein Hauptquartier aufgeschlagen. Alle kamen darin überein, daß der Böse die Kinder rentirt habe, aber der Schutz des Himmels über die Versuchung die Victorie davongetragen. Frau Christiane nahm Anlaß davon, mir noch am selbigen Abend zu sagen, daß es wahrlich – wie es in der Bibel steht – nicht gut sey, wenn der Mensch allein ist, indem der Schlingen und Gefahren allzuviele auf den einsamen Passagier lauern. Ich gab ihr Recht, und exprimirte mich dabei scherzhafterweise so, daß ich zwar froh sey, daß die Kinder von der Versuchung gerettet worden – daß ich aber selber nicht wenig Lust trüge, in das Kellerloch auf dem Schlosse zu steigen, und das versprochene Geld zu holen, weil ich dessen bedürfe. Da erschrak Frau Christiane sehr, daß sie im Gesichte weiß wurde, wie ihre Schürze, und sagte wie eine Mutter zu mir: »Treib' Er ja doch keinen Frevel, Herr Lieutenant! Will Er um schnödes Hexengeld Seine Seele in die Schanze schlagen? Laß' Er das seyn; es wird schon Leute geben, die Ihm helfen, wenn Er in der Noth und Bedürfniß ist.« Da lachte ich und dachte an die Raffel, meine Schwester, die mir nicht einen Heller geben würde, außer etwa auf einen Strick, daran ich mich aufhenkte. Ich versicherte indessen der Wittfrau, daß ich nur plaisantirt hätte, und hinkte fort, um für den kleinen Conrad eine schöne Knallbüchse aus den Fliedern des Gartens zu schneiden. Wie ich aber nach langer Weile in mein Logis kam, so sagte mir Philipp mit wichtiger und freundlicher Confidenz, daß Frau Christiane ihn mit subtilen Fragen inquiriret, ob es mir nicht angenehm seyn möchte, etwa ein Darlehen oder einen Vorschuß an Gelde zu empfangen, weil sie fürchte, daß mir die Gelder vom Regimente ausgeblieben. Diese delicate Attention hat mich sehr gerührt, und ich gab dem Philipp ein absonderliches Compliment an die Hausfrau auf, und den Bescheid: wie ich für die angenehme Proposition danke, deren aber nicht bedürfe. Somit war auch nicht mehr die Rede vom Gelde, bis einmal Abends die Wittfrau abermals im Garten zu mir sagte, da sie auf Conrad und Salome deutete: »Die Kinder wissen nicht, wie glücklich sie sind. Ihr Vater war ein gewissenloser Verschwender, Gott habe ihn selig, der seine brave Frau in's Grab ärgerte, und den letzten Heller durchbrachte; aber dennoch werden seine Waisen reich. Mein Schwager hat ihnen schon sein Hab und Gut vermacht, und am Ende kriegen sie auch noch das Meinige, weil ich leider selbst keine Kinder habe. Aber des Herrn Wille geschehe!« Ich replicirte, daß es doch immer besser sey, den Verwandten seine Habe zu hinterlassen, als einem Spitale. Ich hätte nämlich einen Abscheu vor den Spitälern, wo ich erst kürzlich viel an Wundenschmerz und Mangel erleiden mußte. Da kam ich aber schön an bei der frommen Frau Christiane. Sie sagte mir: daß Spittel und geistliche Stiftungen fromme Monumente der Wohlthätigkeit seyen, die sich gleich wie Staffeln in den Himmel hinein bauten, um den Stifter bequem hinüber zu lassen. Dabei lamentirte sie noch einmal über ihre Verlassenheit, und rechnete mir vor, daß sie dieses Haus und einen Eisenhammer im Gebirge und ein vierzig bis fünfzig Morgen Ackerlandes besitze, und daneben ein baar Vermögen von zwölf bis fünfzehntausend Gulden rheinisch. Ich sagte ihr im Scherz: da sie sich so ungern hergäbe, ihren Bruderkindern ihre Habe zu vermachen, so möchte sie mich zum Erben einsetzen. Ich würde bald ein Invalide seyn, und einer Schenkung gar sehr bedürfen. Die Wittib sah eine Weile ernsthaft vor sich hin, lächelte dann und versetzte: »Das ist ein recht militärischer Spaß. Indessen: kommt Zeit, kommt Rath.« Noch an demselben Abend fand ich auf meiner Stube eine vortreffliche Latwerge mit Zucker und feinem Gewürz, und dabei köstliches Gebäck und steinalten Rheinwein. Dieses hatte die gute Hausfrau, mir zum Labsal und zum Vergnügen, dem Philipp übergeben, und sich dabei geäußert: sie müsse jetzt für mich sorgen, weil sie mich an Kindesstatt adoptire. Eine recht artige Surprise! dachte ich mir, und ließ mir's, sur mon honneur, tapfer schmecken. Den andern Tag jedoch war von Frau Christiane nichts zu hören und zu sehen, und auch die folgenden Tage nicht, und die übrigen Glieder der Familie machten saure Gesichter, wie es vorher noch nie passirt. Der Philipp sagte mir aber, daß Frau Christiane krank sey, weil sie sich mit ihren Blutsfreunden disputirt habe, wie er aus dem Munde der Magd vernommen. Es war mir sehr frappant, daß die frommen Leute sich also desperat zanken mochten, machte mir aber nicht viel daraus, und ging meines Wegs wie zuvor. Da kam der alte Kaufmann zur Abendzeit, da man die Retraite zu trommeln pflegt, auf meine Stube, und redete mit niedergeschlagenen Augen bald von diesem, bald von jenem, und brachte endlich die schlaue Quästion herfür: wie lange mein Congé noch daure, und ob ich nicht bald zu meinem Regiment retournire. Ich antwortete ihm befremdet, daß ich eben bleiben würde, so lange es mir gefiele, und daß ich erst Reconvalescent sey, auch ihn, den Quästioneur, die ganze Affaire nichts angehe; worauf er sich empfahl, wie ein begossener Pudel. Ich verhielt diesen Entretien meinem Philipp nicht, und derselbe erwiederte, daß ihn die Frau des Kaufmanns ebenfalls mit solchen Zudringlichkeiten turbirt, und nicht übel zu verstehen gegeben, wie es schon Zeit wäre, daß ich mich mit Gott auf einen Abzug fürsehen möchte. Auch der alte Markthelfer, ein durchtriebener frommer Lump, hatte in diesem Sinne mit dem Philipp geredet, und uns beiden war das Ding zu rund. Jedennoch hielt ich als ein guter, grober Kriegsmann fest an der Devise: »Was die Leut' verdrießt, das treib' ich, und wo man mich nicht haben will, da bleib' ich!« Ließ mir nichts anfechten, die heuchlerischen Schafspelze ihre Gesichter machen, und mir die Confituren schmecken, die Frau Christiane ungeachtet ihrer Indisposition mir alltäglich mit einem höflichen bon soir zuschickte. Erst nach acht Tagen sah ich sie wieder unten im Hausgang, und fragte sie freundlich: »Hat sich Madame wieder vollkommen restaurirt?« worauf sie einsylbig versetzte: »Ganz und gar; ich danke dem Herrn für die gütige Nachfrage.« Somit ging sie fort, und wir begegneten uns drei Tage lang und grüßten uns höflich, aber ich konnte sie nicht zum Stehen bringen, um ihr zu sagen, wie ungalant ihr Schwager und dessen Frau sich gegen mich conduisiret.

Gegenüber dem Hause wohnte der Stadtarzt, der mir etliche Male mit Salbenrecepten ausgeholfen, und nach dem ich mich nicht mehr umsah, seitdem meine Blessur zu heilen angefangen, und ich den ganzen Schmierplunder von Salben und Pflastern zum Fenster hinausgeworfen. Aber des Physicus Tochter, ein rothhaariges starkes Weibsbild mit einigen Bataillonen von Sommersprossen auf dem Gesichte und den Händen, kümmerte sich um mich, und kam immer an's Fenster, wenn ich an dem meinigen eine Pfeife rauchte, oder in den Abendstunden auf dem Jagdhorn dudelte. Wenn man an den Nachwehen einer Kugel leidet, ist man nicht sehr zur Liebschaft aufgelegt, und wäre ich's gewesen, hätte ich mich nicht an die Doctorsmamsell addressirt. Ich konnte ihr aber nicht verwehren, an ihrem Fenster zu liegen, und höchstens meine Vorhänge zuziehen, wenn sie mir allzulang mit ihren scharfen Falkenaugen in mein Zimmer herüber scharmützelte. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber Frau Christiane hatte dieses observiret, und sagte mir eines Tages, da wir uns wieder trafen, und Niemand um die Wege war: »Weiß der Herr wohl, daß Er recht unartig gegen das Weibsvolk ist? Des Doctors Apollonia guckt sich fast die Augen heraus nach Ihm, und Er zieht ihr immer die Vorhänge vor der Nase zu. Der Herr ist gewiß ein Weiberfeind.« Darauf versetzte ich: »Das bin ich nicht, Parole d'honneur! und kein Soldat ist das. Aber ich habe zum Beispiel lieber mit ehrlichen Weibern zu thun, als mit frechen, und dann: wer wird sich in einen halben Krüppel, wie ich bin, verlieben?« Da drohte mir die Wittfrau schalkhaft mit dem Finger und wollte etwas erwiedern, aber der fuchsaugige Schwager und die steife Frau Schwester kamen just aus dem Andachtsstündlein nach Hause, und der Discours war aus. Gleich am nächsten Morgen klopfte es an meiner Thüre, und ich meine der Tod in höchsteigener Person trete herein. Es war aber nur der lange Diaconus im schwarzen Talar und gravitätisch auftretend wie ein Storch. Holla! dachte ich mir, was will der bei mir? und er fing an vom Wetter und von der Traubenblüthe, und kam dann auf die vielen Gewitter, und den Segen des Himmels, und wie der Himmel namentlich die Frommen im Lande beschütze. Damit meinte er die Pietisten, denn der Kerl war auch ein solcher, und hatte viele Leute verrückt gemacht, wie einst der Schuster Jacob Böhme, und war so zu sagen der Papst dieser Secte zu Neustadt geworden. Ich ärgerte mich über sein Augenverdrehen, und fragte ihn kurz und barsch, was er von mir wolle. Da verneigte er sich und schaute, wie in Distraction zur Stubendecke, und sprach vom Aergerniß geben, so daß ich bald merkte, wie er meine, daß meine Gegenwart ein Scandal für die andächtigen Bewohner des Hauses abgebe. Ich ließ aber den Leisetreter nicht recht zu Worte kommen, und verpappte ihm das Maul mit dergestaltigen Impertinenzen, daß er noch heute an mich denken muß, wenn er nicht bereits an der Gelbsucht verschieden. »Was?« sagte ich ihm: »Er katzenfalscher Fuchs im Chorrock will einem ehrlichen Soldaten bedeuten, daß er nicht in ein frommes Haus passe? Was kümmert mich Euer Gebet und Orgelspiel? ich mache mir nichts daraus, aber ich turbire es auch nicht. Ich bin so gut lutherisch, als Ihr, wenn ich gleich ein kaiserlicher Officier bin, und den lieben Herrgott nicht so oft mit zudringlichen Demarchen überlaufe, wie Ihr. Ein gerader Fluch ist mir lieber, als Eure krumme Rede, und wenn die Hausfrau etwas gegen mich hat, so soll sie es in's Kukuks Namen hervorbringen, und ich will ihr dann Satisfaction geben, oder mit Trommel und Bagage abziehen. Aber, wenn mir noch einmal ein hinterlistiger Spion, ein verdrießlicher Hinhorcher auf die Stube kömmt, so lasse ich den Kerl standrechtlich hinauswerfen, wie man einen Passe-Volanten aus dem Register streicht!« – Da der Schwarzrock dieses Kartätschenfeuers gewahr wurde, nahm er stille und confus seinen Abtritt, und ich wollte schon den Philipp als einen Parlamentair an die Hausfrau schicken, als Frau Christiane selbst in meine Stube trat. Sie war sehr verwundert, da sie mich in solcher Hitze antraf; da ich jedoch gleich errieth, daß sie von der Visite des Diaconus nichts wisse, so wollte ich ihr das Desagrement ersparen, schob vorläufig meinem Zorn eine and're Ursache unter, und fragte nach ihrem Wunsch und Begehr. Sie bat mich, nicht ohne einigen Embarras, den Fourierschützen zu dimittiren, und ich schickte den Philipp hinaus, weil ich nichts anders erwartete, als daß sie mir aufkündigen, und somit eine General-Explication herbeiführen würde. Nun setzte sie sich in einen Lehnstuhl mir gegenüber, und begann, wie immer, mit an den Boden gehefteten Augen und zaudernder Manier: »Zuvörderst muß ich den Herrn bitten, daß Er nicht schlecht von mir denken möge, und Ihm bemerken, daß wir alle mit unsern Herzen und Sinnen in Gottes Hand stehen, weß Alters wir auch seyen. Der Herr Lieutenant wohnt nun schon seit einiger Zeit in meinem geringen Hause, und hat sich die Estime von allen Leuten, die da aus- und eingehen, erworben.« Prosit die Mahlzeit, dachte ich bei mir selbst, indem ich mich an die Flegel von Schwager und Prediger erinnerte. Die Wittib fuhr aber fort: »Ich namentlich habe in des Herrn Lieutenants Ankunft bald mehr zu sehen geglaubt, als nur einen Zufall und die Fügung des Ungefährs. Wie ich Ihn so vor der Uhr sitzen sah, die mein Seliger gefertigt, dachte ich in meinem Sinn, wie es vielleicht möglich werden dürfte, einen so rechtschaffenen Mann, der mit vieler Tugend auch viele Geschicklichkeit verbindet, in meinem Hause festzuhalten. Kurz gesprochen: nach langer Ueberlegung und Berathung mit meinem Gott und Schöpfer komme ich, den Herrn zu fragen: ob es Ihm so gar unpassend scheinen möge, einer Frau, die freilich um dreißig Jahre älter ist als Er, vor dem Altare als Ehegemahl die Hand zu geben? Der Herr ist stark blessirt, und wird vielleicht nur mit großer Mühe die Strapazen des Kriegslebens ferner aushalten; der Herr ist aber auch ohne Vermögen, und es wäre mir schmerzlich, wenn der Herr, den ich so hoch estimire, einstens von einer schmalen Pension leben müßte, die kaum zu dem Nothwendigsten hinreicht. Gott hat die Arbeit meines Mannes gesegnet, und mein Fleiß diesen Segen erhalten. Wenn ich sterbe, bleibt dem Herrn all' mein Gut, und ich will für diesen irdischen Mammon nichts, als ein wenig Freundschaft und Pflege in meiner letzten Krankheit, weil ich leider von meinen Verwandten nichts erwarten darf, als eine kalte Bedauerniß, und ein gleichgültiges Gebet an meinem Sterbebette, vielleicht sogar ihr Fluch, da ich mich entschlossen fühle, die Gemeinde der Auserwählten nach manchen traurigen Erfahrungen zu verlassen.« Die gute alte Frau schwieg jetzt stille, und drehte sich, weil ihr die Schamröthe bis in die grauen Haare emporstieg, schier gänzlich von mir ab, mit gefalteten Händen und gesenktem Haupte. Ich war sehr bestürzt, denn ich war auf ein solches Denouement nicht präparirt. Nun wurde mir freilich klar, warum die werthe Familie mir so zugesetzt, denn unstreitig hatte Frau Christiane ihre Absichten den Blutsfreunden vorgetragen, und sich trotz ihrer Einreden wenig irre machen lassen. Doch war mir eben so klar, daß ich die gute alte Wittib nicht heirathen konnte, sintemalen ich lieber als Hagestolz bei einem Stücke Schwarzbrod gesessen, als verheirathet mit einem alten Weibe, das ich nur um's Geld genommen, bei einer Feldmarschallstafel. Aber es wurde mir difficil, die redliche und wohlwollende Frau alsobald durch einen Refus zu afficiren. Daher war ich froh, als sie mir selbst eine Bedenkzeit von einigen Tagen offerirte, und ich acceptirte dieselbe alsobald, worauf sich die Wittib mit einer züchtigen Verneigung empfahl.

Meine Meditationes waren nicht lang, ich resolvirte mich, noch ehe der Tag verlaufen, zu thun, was ich nie vor dem Feinde gethan habe, wenn nicht der Commandeur selbst Fersengeld zu geben bedacht war: nämlich zu retiriren, und zwar auf's Schleunigste.

Mein Philipp war ganz consternirt, wie ich ihm befahl, das Lager abzubrechen, und mit der Bagage nach dem ersten besten Quartier auszuziehen, was wir auch bei eintretender Nacht effectuirten. Ich vermochte es nicht, der braven Freiwerberin dürr und trocken zu declariren: daß ich sie nicht möchte, und desertirte ihr lieber, nachdem ich noch dem Kaufmann einen sackgroben Brief geschrieben, weil der Bengel mir nun unverholen den Antrag machen ließ, daß er mir tausend Gulden schenken wolle, so ich von der projectirten Heirath mit seiner Frau Schwägerin abstünde. Ich hieß ihn eine schmutzigen Grobian hin und her, der selber auf den Tod seiner Schwägerin lauere, um sie zu beerben, sagte ihm auf robuste Manier, daß weder seine Insinuationen noch sein Geld mich bewegen würden, das Feld zu räumen, daß aber wohl die Ehre solches, geböte. Dictum factum siegelte ich den Wisch zu, und paschte ab. – Da ich im neuen Quartier saß, in einer dunkeln Kammer eines unbequemen Wirthshauses, da fiel nur wieder lebhaft ein, daß ich es viel commoder hätte haben können, wenn ich mich in Christianens Willen gegeben, und daß ich vielleicht in kurzer Zeit der alleinige Besitzer eines considerablen Vermögens geworden wäre, aber ich hätte mir auch im Augenblick wieder Ohrfeigen geben mögen, weil ich so habsüchtig an den Tod des guten alten Weibes gedacht hatte. So setzte ich mich hin, und schrieb ihr ein zierliches Brieflein, und wickelte den Wermuth in Honig ein, und sagte ihr: daß sie an ihres Bruders Kinder denken möchte, zugleich aber die übrige Verwandtenrotte zum Haus hinaus werfen solle. Darauf war zwei Tage lang Ruhe, indem ich nichts von Frau Christiane hörte. Am dritten jedoch kamen plötzlich Conrad und Salome zu mir in Visite, und brachten tausend Grüße von der Tante Christiane, und einen schönen Latwergentopf voll Schleckereien, und einige Flaschen voll des besten Rheinweins. Die Tante ließe bedauern, sagten die Kinder, daß es mir nicht mehr im Hause gefallen hätte, und schickte ihres Bruders Kinder, sich bei mir zu bedanken, ich wüßte schon wofür. Sie wolle thun, wie ich gerathen. Da erkannte ich, wie doch die Tugend schnell in dem Herzen der wackern Frau die Victoire davon getragen, und gratulirte den Kindern, ohne daß sie wußten warum, und herzte sie, und observirte hiebei ganz im Stillen, daß Salome eine gar hübsche Person würde, die ich wohl lieber geheirathet hätte, als ihre Tante, wenn sie nur schon tausend Wochen alt gewesen wäre.

So blieb ich noch drei Wochen zu Neustadt, und wollte, da ich plötzlich wieder zum Regiment berufen wurde, und mein Fuß wieder heil war, ganz stille abziehen, aber mein Philipp mußte seine Zunge spazieren geschickt haben, denn am Morgen der Abreise, da schon die Pferde gesattelt standen, kam mit einem Male die Magd der Frau Christiane, und bat mich, meine Route nicht eher anzutreten, als bis ich ihre Frau noch einmal besucht. Obschon es ungalant gewesen wäre, dieses zu refusiren, so ging ich doch mit schwerem Herzen hin, und fand die Frau im Garten, mit den Kindern, aber ruhig und gefaßt und sanft, wie das erste Mal, so ich sie gesehen. Die Conversation war steif und reservirt bis zum Augenblick, da ich mich beurlaubte. Als ich ihr die Hand bot und sagte: »Gott erhalte Sie, Madame, recht gesund und in Floribus,« antwortete sie, mit Thränen in den Augen, und verschämt, wie eine Jungfrau: »Es hat nicht seyn sollen, daß ich den Herrn hier behielt, und so ziehe Er denn hin in Frieden. Ich will für Ihn beten, daß Er nicht zu frühzeitig heimgehe. Wenn Er aber einmal wieder hieher kommt, und mein Grab findet, so sey Er diesen Kindern, meinen Erben, ein treuer Rathgeber, und denke Er an mich, als an eine Person, die es mit Ihm wohlgemeint hat. Nehme der Herr auch noch dieses kleine Geschenk« – sie drückte mir einen schweren Beutel in die Hand. – »Ich habe in Erfahrung gebracht, daß mein listiger Schwager Ihm tausend Gulden geboten, damit Er nur aus meinem Hause ziehe, und daß Er dieselben wie ein Galanthomme ausgeschlagen; nehme er die gleiche Summe jetzt von mir an. Sie ist redlich von mir erworben, und wird Ihm Segen bringen.« – Ich defendirte mich so gut ich konnte, aber sie ließ nicht ab, und meine Casse war so ziemlich leer. Daher schob ich endlich das Geld ein, und ging weinend von dannen, wie von einer Mutter, so daß mir die Zähren im Schnurrbart hingen, und ich mich vor den Gassenbuben schämte. Das Gold der Wittib habe ich jedoch gut verwendet, und nicht damit gespielt, noch geschlemmt. Auch ist mir keine Dublone davon entwendet worden.

Nun ging es wieder in den Krieg. Bei Malplaquet avancirte ich zum Hauptmann, und nach der Defaite von Albemarle, wo uns Villars tüchtig geklopft, wurde ich Major. Meine erste Function als solcher war, eine Spießruthen-Execution zu commandiren. Das Regiment lag in einigen brabantischen oder flanderschen Dörfern, und wurde zu der Execution concentrirt. Ein Deserteur, der mit Sack und Pack hatte hinüber wollen, sollte abgestraft werden. Nun supplicirten mich Einige, dem Kerl die Spießruthen zu schenken, weil solche Begnadigung ein Recht des neu installirten Oberstwachtmeisters ist, und wieder Andere drangen in mich, um des Beispiels willen ja nicht Gnade für Recht ergehen zu lassen. Nun aber war der Friede schon vor der Thüre, und ich habe nie solche Executionen leiden können; dennoch wollte ich den Delinquenten vorerst sehen, und ließ ihn vor mich bringen, da schon die Reihen gestellt waren, und die Ruthen ausgetheilt. Ein blutjunger todtblasser Kerl war's, der mir zu Füßen fiel, und wimmerte; daß es einen Stein hätte erbarmen müssen, wobei er meinen Namen nannte, und declarirte, daß er derjenige Conrad sey, bei dessen Tante ich in Neustadt einquartirt gewesen. Mir gingen die Augen über, da ich mich von der Justesse seines Vorgebens überzeugt hatte, und ich fragte ihn, wie er es von dem frommen Hause bis zum armen Sünder gebracht. Nun erzählte er mir, daß ihn der Teufel geblendet, wie so Viele schon; daß sein Oncle ihn und die Schwester wegen Zwistigkeit der Familie mit der Frau Christiane, aus dem Testamente gestrichen, daß die Letztere jedoch ihnen all' ihr Erbe versprochen, und sie im Hause behalten, aber ihm, dem Conrad, allzuspärliches Taschengeld prästiret, ob er schon bereits in einer Tuchhandlung als Lehrling gestanden. Da sey er von einem Diener der Handlung verführt worden, habe dem Principal etwas Geld detourniret, und daher aus Furcht und Angst flüchtig gehen müssen. Nur sey ihm indessen jenes gespenstige Evenement auf dem ruinirten Schlosse wieder in den Sinn gekommen, und er habe mit besagtem Diener zur Nachtzeit in dem Kellerloche nachgespürt, wohin dazumal das teuflische Schemen gewiesen. Sie hätten richtig daselbst unter Schutt und Plunder einen ledernen Sack mit einem kleinen Tresor von alten Rosenobles gefunden, und es sey dießmal kein Engel vorhanden gewesen, der sie abgehalten, das Sünden- und Raubgeld zu theilen. Sie seyen damit auf und davon gegangen, aber schon einige Tagreisen weit von Neustadt habe der schurkische Diener seinen unerfahr'nen Compagnon um Alles bestohlen, und denselben gezwungen, unter den Reichstruppen als gemeiner Soldat sich zu enrolliren. Hier sey es ihm lange übel und schlecht gegangen, bis er Gelegenheit gefunden, zu einem kaiserlichen Regiment zu entwischen. Erst seit Kurzem habe er dabei gestanden, als er schon wegen eines Dienstfehlers von seinem Unterofficier geprügelt worden, und er sich dann resolviret, zu den Franzosen überzulaufen. Um seiner Jugend willen hätte das Kriegsgericht ihn mit der Todesstrafe verschont, aber statt dessen die schärfsten Spießruthen angeordnet. Würde ich ihn jedoch davon begnadigen, so wolle er stracks ein ordentlicher Kerl werden, und sich nicht mehr vom Teufel verblenden lassen. – Nun konnte ich den Neveu der guten Frau Christiane unmöglich strafen lassen, wie er es verdient hätte; ich schenkte ihm die Spießruthen, und ließ ihn dafür eine Weile in Prison stecken. Während dessen war in Rastadt Friede gemacht worden, und die Kriegsfurie begab sich zur Ruhe. Mein Regiment marschirte dem Süden zu, und ich liberirte auf dem Marsch den armen Conrad, und nahm ihn an die Stelle meines wackern Philipp, der bei Oudenarde das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht hatte, zu meinem Fourierschützen auf, um ihn auf diese Weise nach der Heimath zu bringen, weil ich ihm zum Abschied zu verhelfen gedachte. Der arme Schelm wußte nicht das Mindeste, was zu Hause passiret, und ich ignorirte es natürlich nicht weniger. So kamen wir in Neustadt an, an einem Sonntag, beim Untergang der Sonne, und begaben uns spornstreichs nach dem Hause der Tante. Ach! was mußten wir da sehen! Die Magd, die uns aufmachte, war in Trauer, und die schöne Demoiselle, in der ich die kleine Salome kaum wieder erkannte, befand sich auch im grau und schwarzen Putz. Die gute Tante war vor einem halben Jahre heimgegangen, wie die Frommen das Sterben nennen, und hatte noch auf ihrem Todbette für den entlaufenen Conrad gebetet, und ihn der Schwester zur christlichen Liebe recommandirt, wenn er wiederkehren sollte. Da war es freilich ganz natürlich, daß der verlor'ne Sohn von der Schwester mit vieler Tendresse empfangen wurde, und daß dankbar weinende Erben auf dem Leichenstein der gottseligen Christiane saßen, während das Grab des auch bereits verstorbenen Oncles und seiner Frau von deren lachenden Erben gemieden und vergessen wurde. Dem Conrad wurde ein hübsches Etablissement ausgemacht, und weil ich selbst zu spät gekommen war, um die scharmante Salome zu freien, so tanzte ich doch in Kurzem bei ihrer Hochzeit mit einem reichen Gerberssohne die Polonaise. Ein fröhlich aussehender Prediger traute das Paar, und der gelbe Diaconus mit der ganzen Pietisten-Gemeinde sah mit ohnmächtigem Neide, wie in das Haus der Duckmäuserei ein actives kräftiges Leben eintrat, und ein Friede, der länger dauerte, als der von Rastadt.


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