August Sperl
Hochpreisliche Dekrete
August Sperl

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Am nächsten Morgen saß der Schreiber im Studierzimmer des katholischen Pfarrers.

»Und ich sag' Ihnen, Hochwürden, mürbe ist er, ganz mürbe,« endete Anastasius Alois Binkerl seine Erzählung und rieb die mageren Hände.

Hochwürden saß bewegungslos, beschattete die Augen mit der Rechten und schwieg.

Ein Mißvergnügen ging über das spitzige Gesicht des andern, und er fragte fast drohend: »Eine conversio, Hochwürden, eine vollkommene Bekehrung; ich denke, die heilige Kirche ist mir schwachem Werkzeug gewissermaßen obligieret – oder irre ich mich?«

Hochwürden nahm die Hand nicht von der Stirn, öffnete die schmalen Lippen und sagte: »Aber solch ein Lump, Herr Gerichtschreiber!«

Anastasius Alois Binkerl verzog den Mund und hob die Achseln bis an die großen Ohren: »Hochwürden, es ist doch auch gewissermaßen und sozusagen eine menschliche Seele. Und ich vermesse mich nicht in meinem Laienverstande, einem hochwürdigen Herrn Maß und Regulam zu geben – jedennoch glaube ich ohnmaßgeblichst, daß die – von hochpreislicher Landesregierung zu sothanem Zwecke, das heißt zur Erhöhung und Anfachung des Eifers wohlweislich ausgesetzten Konvertitengelder ihre Anwendung auch auf vorliegenden Fall, das heißt auf meine beziehungsweise des Eisenmeisters respektive Persönlichkeiten –«

Der Geistliche machte eine kurze Handbewegung, 118 und ein verächtlicher Zug glitt über seinen Mund. »Die Gulden kommen im zweiten Teil; ist's in Ordnung, dann haben Sie deswegen keine Sorge. Vorerst aber sehe ich ja noch gar nicht klar.« Er stand auf, legte die Hände auf den Rücken und begann mit gebeugtem Haupte und festgeschlossenem Munde hin und her zu wandern.

»Ist alles in Ordnung, Hochwürden,« sagte der Schreiber; »er ist reumütig und hat mir's mit so auferbaulichen Worten anvertraut, daß er tiefe Inklination zu unsrer alleinseligmachenden Kirche in seinem Herzen trage. Aber es sind Keime, Hochwürden, Keime, und es ist zu empfehlen, daß besagte Keime mit zarter Hand gepflegt werden. Um die Seele eines Menschen handelt sich's.«

»Um einen Lumpen, dem das Wasser an den Mund reicht,« platzte der Geistliche heraus. »Ich gehe schwer daran, Herr Gerichtschreiber, sehr schwer.«

Anastasius Alois Binkerl rieb bedauernd die Hände, und seine Augen bekamen einen stechenden Glanz. »Maße mir mit nichten an, Hochwürden, als Laie mitreden zu wollen. Dürfte jedennoch in Erwägung zu ziehen sein, daß im Evangelio sogar Individuen von denen Hecken und Zäunen eingeladen werden – hm. – Ferner gebe ich Hochwürden submissest zu bedenken, daß besagter Schneiderhannes mit vier Kinderlein gesegnet ist, welche ohne allen Zweifel und unweigerlich im Falle einer Konversion des Vaters samt und sonders der christkatholischen Kirche einzuverleiben wären.«

119 Der Geistliche blieb stehen: »Falsch, Herr Gerichtschreiber! Habe zwar bisher in praxi auf meinem Dörfel keinen derartigen Fall erlebt –«

»Entschuldigen Hochwürden, daß ich ergebenst unterbreche,« sagte Anastasius Alois Binkerl und erhob sich nun auch. »Das Generale vom Jahre 1683 bestimmt, daß die Kinder bis zur erlangten Majorennität in des Vaters Gewalt seien, demnächst selbige nach dessen und nicht nach der Mutter Religion erzogen werden sollen.«

»Das weiß ich,« antwortete der Geistliche, »aber es existieren noch spätere Mandate – wartet, ich will's nachschlagen.«

Der Gerichtschreiber machte eine verächtliche Handbewegung. »Geben Sie sich keine Mühe, Hochwürden; das weiß ich alles auswendig und inwendig; das gehört bei uns sozusagen zum Handwerk. Anno 1708 ist ein weiteres Generale ergangen, des Inhalts, daß es zwar bei emaniertem Dekrete vom Jahre 1683 verbleiben, jedoch zweien Personen, deren eine der katholischen, die andre der akatholischen Religion zugethan, freistehen solle, wegen Erziehung ihrer zu habenden Kinder zu einer oder der andern Religion sich vor ihrer Kopulation bei ihrer ordentlichen Obrigkeit zu vergleichen. Sodann heißt es wörtlich: ›Damit aber alle bisherige Mißverständnisse gänzlich aufgehoben seien, so sollen, was dergleichen Kinder, worüber bisher gestritten worden, anbetrifft, dieselben bei der Religion, zu welcher sie ein- oder anderseits bishero angewöhnt worden, verbleiben.‹«

»Spricht ja gegen uns, Herr Gerichtschreiber!« rief der Pfarrer, den die Sache nun allmählich warm machte.

120 »Eile mit Weile, Hochwürden,« antwortete Anastasius Alois Binkerl mit der Ueberlegenheit des Mannes, der die Situation beherrscht. »Nach des hochseligen Herrn Herzogs Christiani Augusti, christmildesten Gedächtnisses, wurde besagtes Generale dahin interpretiert, daß die Worte ›bishero angewöhnt‹ nicht anders ausgedeutet werden sollen als allein auf jene Kinder, welche bei der einen oder andern Religion wirklich kommuniziert, das heilige Abendmahl empfangen haben –«

Der Schreiber hielt inne und beobachtete lauernd von unten herauf den Geistlichen. Der stand in der Mitte der Stube vornüber geneigt und schüttelte zweifelnd das Haupt; doch er schwieg.

»Ich weiß, Hochwürden, Sie denken, das hilft uns nichts. Schlösse mich Ihrer Meinung submissest an, wäre nicht –« wieder hielt er einen Augenblick inne, dann vollendete er triumphierend – »das hochfürstliche Patent vom 6. April 1723. Dasselbige bestimmt, daß alle Kinder zukünftig mit gänzlicher Aufhebung aller sonst erlaubt gewesenen Paktorum nach des Vaters Religion bis zu ihrer Majorennität sollen erzogen werden, und besagt wortwörtlich: ›Damit aber wegen deren bishero schon erzeugten Kinder aller Streit abgeschnitten sei, so sollen solche bei derjenigen Religion verbleiben, bei welcher sie schon wirklich kommuniziert und das heilige Abendmahl genossen haben. Diejenigen Kinder aber, so noch bei keiner Religion kommuniziert, sind allerdings nach dieser allgemeinen Verfügung zu erziehen.‹ Ergo werden die Kindlein des konvertierten Johann Weißmann, vulgo Schneiderhannes, in der katholischen Religion erzogen, maßen keines derselben noch 121 kommuniziert beziehungsweise das heilige Abendmahl genossen hat.«

Wie ein Doktor beider Rechte stand der gesetzkundige Schreiber vor dem Pulte des Pfarrers, und die Morgensonne spielte auf seinem schwarzen Rock. Hochwürden aber ging rastlos auf und nieder, seine Lippen waren fest geschlossen, seine Hände auf dem Rücken fest ineinander verschlungen, sein Haupt war geneigt, und auf seinen blassen Wangen brannten zwei rote Flecken. Auf den schmalen Fenstersims hatte sich ein Fink gesetzt; der pfiff sein Lied. Tick, tack, tick, tack, machte die Schwarzwälderuhr an der kahlen, weißen Wand, und der feine Zimmersand knirschte leise unter den Sohlen des Hochwürdigen. Und langsam entschied sich das Schicksal der vier Kinder.

»Der Herr Landrichter?« fragte Hochwürden.

»Gnaden der Herr Landrichter, wohldessen Eifer und christkatholische Gesinnung männiglich bekannt sind weit und breit, ist von der Sachlage beziehungsweise dem Vorhaben des Johann Weißmann unterrichtet.«

»Und –?«

»– brennt vor Begierde, zu handeln nach dem Worte: ›Lasset die Kindlein –«

Des Priesters Antlitz nahm einen drohenden Ausdruck an, und er machte eine rasche, abwehrende Handbewegung. Der Schreiber verbeugte sich händereibend.

»Es ist gut, Herr Gerichtschreiber,« sagte der Priester und reichte dem andern die Fingerspitzen.

Dieser berührte sie höflich und murmelte: »Möchte nur unvorgreiflichst erinnert haben, daß meine Wenigkeit und respektive der Eisenmeister, 122 welch letzteren ich auf mich nehme, wohl der von hochpreislicher Landesregierung eigens zu solchem Zwecke bestimmten und fixierten Summa –«

Der Geistliche warf das Haupt zurück, drehte sich auf dem Absatz um, ging an einen Schrank, schloß ihn auf und griff in eine Holzschachtel. »Drei Gulden fürs erste – das andre folgt, wenn er Ernst macht,« sagte er und zählte das Geld auf sein Pult.

Des Schreibers Backenknochen traten heraus, die Gesichtshaut war seltsam gespannt bis hinter an die großen Ohren, und seine Augen funkelten, als sie das Silber sahen. »Er macht Ernst, Hochwürden, verlassen Sie sich darauf. – Es geschieht nicht von wegen des Geldes, wennschon solche Gulden voll sind des Segens. Und die Zeiten sind hart,« setzte er hinzu und lächelte süßlich.

Des Priesters Blick ruhte durchbohrend auf dem kleinen, spitzigen, vergilbten Gesichte, und wieder reichte er seinem Besuche die Finger.

»Und wann darf Johann Weißmann vulgo Schneiderhannes –?«

»Ich komme noch heute,« sagte Hochwürden.

Anastasius Alois Binkerl verneigte sich zierlich und war neben der hohen, gebietenden Gestalt anzusehen wie der Zwerg im Dienste eines Riesen. »Empfehle mich submissest, Hochwürden.«

*

Nach acht Tagen kam der Bürgermeister Martin Rampoldt mit dem Marktschreiber Schwarz und zwei Viertelmeistern um die Mittagsstunde zum evangelischen Pfarrherrn. Die Pfarrfrau deckte gerade den Tisch, Justus saß am Fenster und las.

123 »Herr Pfarrer, wir hätten etwas mit Ihnen zu reden,« sagte der Amtsbürgermeister.

»Darf ich die Herren in mein Museum bitten?«

»Wollen nicht lange stören, Herr Pfarrer. Auch die Frau Pfarrerin kann gar wohl anwesend bleiben; es handelt sich um kein Geheimnis,« antwortete der Bürgermeister.

»Wohl aber um ein öffentliches Skandalum,« setzte der Marktschreiber hinzu und schaute zornig vor sich hin.

»Wollen die Herren Platz nehmen!« bat die Pfarrfrau und rückte die Stühle zurecht.

»Die Geschichte mit dem Lumpen, dem Schneiderhannes, Herr Pfarrer, hat eine seltsame und unerwartete Wendung genommen,« begann Rampoldt. »Wissen Sie schon, daß er heute morgen katholisch geworden ist und laut Richterspruch heute abend aus dem Arrest entlassen wird?«

»Es ist das erste Wort,« sagte Justus; »aber es überrascht mich nicht.«

»Uns auch nicht, Herr Pfarrer. Aber die Bürgerschaft fragt sich: Wo will das hinaus, wenn jeder protestantische Malefikant seiner gerechten Strafe durch eine Konversion entwischen kann? Ein Hohn ist's auf Recht und Gesetz! Acht Tage lang hat die Religionsunterweisung gedauert, heute morgen ist die heilige Handlung in der Kirche vorgenommen worden. Auf Einladung des Pfarramts fanden sich der Landrichter, sein Schreiber, eine Menge katholischer Personen beiderlei Geschlechts in der Kirche ein; ich weiß es von einem Augenzeugen. Der Lump, der sich infolge seiner Verletzung nur am Stocke fortbewegen kann, humpelte an den Altar, legte das Glaubensbekenntnis ab, 124 das ihm der Pfarrer Wort für Wort vorsprechen mußte, und kommunizierte. Danach hielt man einen feierlichen Umgang, an dem sich auch Gnaden der Herr Landrichter mit einer brennenden Kerze beteiligte. Es wäre zum Lachen, wenn's nicht so traurig wäre. – Herr Pfarrer, wie stehen Sie diesen Thatsachen gegenüber?«

Justus schwieg einige Zeit. Dann richtete er die klaren, blauen Augen auf den erregten Mann. »Meine Meinung faßt sich kurz zusammen, verehrte Herren. Seit seiner Festnahme habe ich den Malefikanten täglich zweimal besucht. Dabei begegnete ich in der letzten Zeit öfter dem katholischen Geistlichen. Sehr bald sah ich, daß ich auch ebensogut an die weiße Wand reden könnte; dennoch setzte ich meine Besuche fort. Nun sich aber die Sache also gewendet hat, bin ich zu Ende und sage: Fahr hin, wir haben keinen Anlaß, dich gegen deinen Willen bei uns zu halten!«

»Hab' ich's doch gewußt, der Herr Pfarrer ist seiner Pflicht nachgekommen!« rief Rampoldt und warf einen raschen Blick auf seine Begleiter.

»Hat man daran gezweifelt« fragte der Geistliche und kreuzte die Arme über der breiten Brust.

»Sie mögen entschuldigen, Herr Pfarrer, aber es giebt – daß ich's gerade heraussage – Leute, denen Sie zu nachgiebig, das heißt zu sanftmütig sind. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem Gartenweg –«

Justus schüttelte verwundert das Haupt: »Ich dächte den Herren da und dort schon meine endgültige Ansicht über diesen Punkt mitgeteilt zu haben. Für mich ist es eben abgethan. Ich habe kein Recht auf den Weg und will Frieden halten, 125 so viel an mir liegt. Meine Frau, die wohl am stärksten betheiligt ist, hat die gleiche Ansicht,« setzte er lächelnd bei.

»Gewiß, Herr Pfarrer,« sagte der Bürgermeister höflich, »und Sie dürfen überzeugt sein, daß wir Ihre Gründe ehren. Aber, Herr Pfarrer, hier liegt eine andre Sache vor, und die Bürgerschaft ist tief erregt. Wir wollen uns eine solche Vergewaltigung des Rechts nicht bieten lassen und fragen deshalb, ob wir auf Ihre Mitwirkung rechnen dürfen?«

»Und was soll unternommen werden?«

»Die gesamte evangelische Bürgerschaft wird den Thatbestand der Regierung unterbreiten und um Unterstützung bitten, und zu dieser Vorstellung wünschen wir Ihre Unterschrift.«

»Da unterschreibst du doch?« flüsterte die Pfarrfrau, die mit geröteten Wangen am Fenster lehnte.

Der Bürgermeister verneigte sich lächelnd gegen das Fenster, der Pfarrherr aber verzog keine Miene: »Ich werde mir die Sache überlegen und heute abend Ihnen, Herr Amtsbürgermeister, die Antwort überbringen.«

Die Herren erhoben sich.

»Noch eines, Herr Pfarrer!« sagte Rampoldt. »Ein unbestimmtes Gerücht geht von Mund zu Mund und steigert die Erbitterung: es heißt, mit der Konversion des tropfigen Vaters seien auch die vier unmündigen Kinder der römischen Kirche verfallen. Ich habe die landesherrlichen Bestimmungen nachgelesen – sie sind unklar. Wie stellen Sie sich hierzu?«

Das Antlitz des Pfarrers hatte sich verändert; 126 Schrecken malte sich in seinen Zügen, dann aber feste Entschlossenheit. Gespannt schauten die Männer auf ihn.

Nach kurzem Besinnen sagte Martin Philipp Justus: »Auch hier ist meine Meinung kurz gesagt. Wenn ein Mensch seinen Glauben wegwirft wie ein schmutziges Hemde, dann sei er ungehindert. Wenn aber unschuldige Kindlein dadurch von ihrem Kinderglauben gedrängt und gerissen werden sollen, dann ist es die Pflicht der Gemeinde vom ersten bis zum letzten, diese Kindlein in die Mitte zu nehmen und sie zu schützen.«

»Und der Pfarrer?« fragte Herr Rampoldt.

Justus trat einen Schritt vor: »Steht der Pfarrer über der Gemeinde, Herr Amtsbürgermeister? Ich denke, er ist in gewissem Sinne der erste und auch der letzte. – Aber noch sehe ich keine unmittelbare Gefahr,« fügte er bei; »ich kenne die Dekrete genau, ein derartiger Fall ist nicht vorgesehen. Die Regierung kann sich wohl kaum zu einer solchen Vergewaltigung herbeilassen.«

Freudig ergriff Rampoldt des Pfarrherrn Hand, und die beiden Männer sahen einander fest in die Augen. Dann verbeugte sich der Amtsbürgermeister und sagte: »Ich denke, wir haben uns verstanden ohne viele Worte, Herr Pfarrer.«

»Wozu auch viele Worte, Herr Bürgermeister?«


Justus kam in die Stube zurück, setzte sich wortlos auf seinen Platz und begann zu lesen.

»Martin!« kam's vom Tisch.

»Maria?«

127 »Martin, es soll nimmer geschehen – verzeih mir!«

»Gerne, Maria.«

»Gelt, du warst nur böse?«

Der Pfarrherr stand auf und ging zu seiner Frau. »Ein wenig verwundert war ich, Maria,« antwortete er lächelnd und küßte ihre Stirne. »›Es schweige das Weib in der Gemeinde,« sagt der Apostel, und er hat meines Wissens nicht dazugesetzt, ›mit Ausnahme der Frau Pfarrerin‹ – oder glaubst du, das hat er nur vergessen?«

Frau Maria lachte und schlang die Arme um seinen Hals: »Ich konnte deine Ruhe nicht begreifen, Martin!«

»Gerade deswegen wird der Apostel dieses Wort geschrieben haben, Maria. Sieh, den Anfang der Sache überschaue ich wohl, aber der Fortgang ist mir verborgen. Und mit meiner Unterschrift trete ich in einen Kampf, vielleicht in einen Kampf, bei dem es sich um unsre Existenz handelt.«

»So ernst siehst du die Sache an, Martin?«

»Sehr ernst, Maria. Was wollte es mir frommen, wenn ich ohne Besinnen dem ersten Impulse folgte? Erst wäge, dann wage! Ich halte meine Augen offen, und jeden Tag wird es mir klarer, daß rings um uns her das Pulver auf den Straßen liegt – ein Funke, und alles kann in Flammen stehen.«

»Man wird sich an den Kurfürsten wenden!« sagte die kleine Frau energisch.

Martin Justus lächelte trübe: »In diese Stickluft dringt kein Schrei.«

128 »Und wirst du's unterschreiben, Martin?« fragte sie schüchtern.

»Ja, ich werde unterschreiben.«


Etliche Tage waren vergangen. Die Abendsonne lag über dem Lande, und die rotgedeckten, spitzigen Türme der Burg ragten in einen wolkenlosen, goldglänzenden Himmel, die grauen Schindeldächer der Häuser und Hütten des Marktes schimmerten wie altes Silber, und auf den verwitterten, halbzerfallenen Ringmauern schwankten die Gräser im leichten Lufthauch. Jubilierend strichen die Schwalben durch die Gassen.

Unter die Thür einer niedrigen Hütte nahe am oberen Marktthore trat eine bleiche Frau und spähte die Gasse entlang. Ein Weib mit einer Last Gras auf dem gebeugten Rücken kam heran: »Du schaust nach deinem Christoph aus, Weißmännin? Der wird gleich da sein mit seinen Geschwistrigten. Hab' ihm lang zugesehen – so gut, wie der Bub' ist mit den Kindern, an dem kannst schon viel Freud' haben, der wird dir noch etwas.«

»Dürft' schon sein, Nachbarin,« antwortete das Weib des Schneiderhannes. »Ich weiß dies und das, was ich nicht so haben möcht'.«

»Ja freilich,« nickte die andre, »ich sag's immer, so eine brave Frau und so ein Mann; der ist deiner gar nicht wert.«

»Das hab' ich nicht sagen wollen mit meiner Red', Nachbarin; denn ein jeder Christenmensch hat mit seiner eignen Sündhaftigkeit genug zu thun, und etwas Gut's ist an einem jeden. Ich weiß auch, daß ich nicht klagen darf, unser 129 Herrgott wird's schon wissen, wie er's machen will.«

»Du bist zu gut für die Welt, ich sag's ja immer,« antwortete die andre. »Jetzt ich wär' schon so fuchswild, wenn mir der meinige so eine Schand' anthät', fuchsteufelswild.«

»Könnt' ich damit das Unglück wenden, Nachbarin?« fragte die Schneiderin müde. »Da thäten mich meine Kinder erbarmen.«

»Ich sag's ja,« murmelte die andre und trug ihre schwankende Last weiter. –

Aus dem Thore kam ein Trüpplein Kinder. Voran schritten zwei Mägdlein im Alter von zehn und sieben Jahren, hinter ihnen ein schlanker Knabe mit seinem vierjährigen Brüderlein an der Hand.

Auf dem freien Platz vor dem Thoreingang lag der helle, sattgoldene Abendsonnenschein, und die blonden Haare der Kinder waren anzuschauen wie gesponnene Seide. Arm in Arm gingen die Mägdlein, schweigend, mit gesenktem Haupte, ging der Knabe, plaudernd stapfte das Kind durch das flutende Licht, und das Licht umgoß die ärmlichen, verschossenen, verwaschenen Kleider mit wundersamem Glanze.

Das Weib aus der Hausschwelle hatte die Hände gefaltet und sah ins Licht den Kindern entgegen. Leise bewegten sich ihre Lippen, und flüsternd, leise, leise sagte sie vor sich hin:

»Willst du mir geben Sonnenschein,
So nehm' ich's an mit Freuden;
Soll's aber Kreuz und Unglück sein,
Will ich's geduldig leiden.«

Da ging ein Schatten über ihre verhärmten Züge: Aus dem Thore war die hohe, schwarze 130 Gestalt des katholischen Pfarrers getreten und bewegte sich langsam hinter den Kindern durch das Licht. Ruhig gingen die Kinder voran. Jetzt sahen die Mägdlein ihre Mutter und begannen zu laufen aus dem Lichte und bogen in die enge, düstere Gasse ein. Mit gesenktem Haupt folgte der Knabe; er bemerkte die Mutter nicht. Und langsam, nachdenklich kam hinter ihm die schwarze Gestalt. Jetzt waren sie alle aus dem Lichte.

Gleichzeitig mit dem Knaben und seinem Brüderlein trat der Geistliche vor das niedere Haus. Die Schwelle war leer; das Weib war mit den Mädchen in die Stube gegangen.

»Ist euer Vater zu Hause?« fragte er, und rasch wandte sich der Knabe und sagte mit freundlicher Miene: »Ich weiß« – da sah er, wer hinter ihm stand, und vollendete mit einem scheuen Blicke: – »nicht, Herr Pfarrer.« Und hastig zog er das Brüderlein über die Schwelle in den dunkeln Hausflur.

Hastig überschritt auch die schwarze Gestalt die Schwelle des Abtrünnigen, und der bleiche Mund murmelte unhörbar: ›Es muß sein!‹ –

»Mein Mann ist nicht zu Hause, Herr Pfarrer,« sagte das Weib mit bebender Stimme und stützte sich auf die Tischecke und schaute dem späten Besucher mit weitaufgerissenen Augen entgegen. An ihrer Schürze hing der vierjährige, neben ihr, halb hinter ihr, stand der dreizehnjährige Knabe, auch mit weitgeöffneten entsetzten Augen gleich seiner Mutter, und seiner Mutter sehr ähnlich. Im dunkeln Hintergrunde zwischen den Betten standen die Mägdlein.

»Thut nichts, Weißmännin, ich werd' ihn 131 schon ein andres Mal treffen,« sagte der Pfarrer. »Grüß euch Gott, liebe Kinder. Hab' euch schon gesehen auf dem Hutwasen draußen. Bist ein braver Bub', Christoph, kannst so schön spielen mit deinen Geschwistrigten. Und du, kleiner Mann, geh her zu mir! Wie heißt denn? Laut mußt mir's sagen!«

Der Geistliche hatte sich auf die Bank gesetzt, die an der Wand rings um die Stube lief, und winkte den Vierjährigen freundlich zu sich heran. Unbeweglich stand das Weib; sie hatte keine Miene gemacht, mit der Schürze über die Bank zu wischen, sie regte die Hand nicht, als das Kind sich scheu in den Falten ihres Rockes verkroch.

»Na, und ihr Mädels dahinten, da, kommt einmal her, seht, was ich für euch habe!« fuhr der Geistliche fort. »Nur her, ich thue euch nichts!«

Neugierig kam die Zehnjährige und zog das Schwesterchen hinter sich her.

»Da, das gehört euch,« sagte der Geistliche und zog eine große Tüte aus der Tasche; »eßt ihr gern Zuckerplätzel?«

»Vergelt's Gott,« sagte die Zehnjährige und griff keck zu.

»Halt!« lächelte der Pfarrer und nahm die Hand des Kindes. »Zuerst krieg' ich eine Patschhand; und wie heißt du denn?«

»Anna.«

»Und dein Schwesterl?«

»Marie, geh, gieb eine schöne Hand!« sagte die ältere und schob die jüngere herzu.

»Bist ein braves Kind und du auch,« lobte der Geistliche. »Und da habt ihr jetzt die 132 Zuckerplätzel. Setzt euch nur neben mich! – So ist's recht.«

Unbeweglich stand die Frau. Der Kleine aber schlich sachte von ihr und ging zu seinen Schwestern, die eifrig an dem Zuckerzeuge knabberten, und griff gierig in die Tüte.

»Na, Christoph, komm nur auch her, bist ja doch sonst so ein freundlicher Bub',« lobte der Geistliche.

Christoph rührte sich nicht.

»Wirst ja doch noch öfter zu mir kommen müssen, wenn du jetzt in unsre Schule gehst.«

Mit bebenden Lippen sagte das Weib: »Der Bub' geht in die evangelische Schul', Herr Pfarrer, und nicht in die katholische.«

»Ist gegangen, ist gegangen, Weißmännin,« antwortete der Pfarrer mit gütigem Lächeln.

Ein Schatten glitt am Fensterlein vorbei. Eine Weibsperson trat in den Flur und klopfte an die Thüre.

»Nur herein!« rief der Pfarrer. »So ist's recht,« sagte er, stand auf und nahm seiner Magd einen Pack ab. »Sie kann wieder gehen!« –

»Da schau Sie her, Weißmännin, so haben Gutthäter für Ihre Kinder gesorgt! Stoff zu Kleidern für die Mägdlein, Stoff zu einem Anzug für den Christoph. Mich freut's, daß ich's Ihr bringen kann. Sie ist eine kreuzbrave, hauserische Frau. – Komm her, Christoph!«

»Herr Pfarrer,« rang sich's von den Lippen des Weibes, »Sie haben da ein Wort verlauten lassen, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, und bitt', daß Sie mir's näher sagen.«

»Deswegen komm' ich ja, Weißmännin,« 133 antwortete der Geistliche und strich liebkosend über den Scheitel des älteren Mägdleins, das neben ihm stand und neugierig den schönen Kleiderstoff betastete. »Sie ist eine grundbrave und verständige Frau, Weißmännin. Sieht Sie, das muß Sie jetzt beweisen. – Ist Ihr bekannt, daß alle Obrigkeit von unserm Herrgott eingesetzt ist?«

Die Frau nickte.

»Und weiß Sie, daß ein Christenmensch, Katholik oder Protestant, der Obrigkeit gehorsam sein muß? Weiß Sie das? Gewiß weiß Sie das.«

»Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,« kam es langsam aus dem Munde der Frau.

»Recht, ganz recht,« sagte der Priester, »und Gott, was Gottes ist. Nach dem Spruch muß jetzt Ihr Mann handeln und Sie auch, und es ist alles zum Besten der Kinder. Sie weiß, daß die hohe Obrigkeit hat Gesetze ausgehen lassen wegen der Kindererziehung, ganz scharfe Gesetze, die jeder Unterthan eifrig zu halten gezwungen ist.«

Wieder glitt ein Schatten über das Fensterlein, und Anastasius Alois Binkerl trat in die dämmerige Stube.

»Nicht wahr, Herr Gerichtschreiber, bestimmte Gesetze sind vorhanden, wonach jeder Unterthan seine ihm von Gott gegebenen Kinder erziehen muß?«

»Das will ich meinen, Hochwürden,« antwortete der Schreiber und zog ein Papier aus seinem Rocke. »Da bin ich jetzt durch den ganzen Markt gelaufen und hab' Sie gesucht. Jetzt ist's gut, daß ich Sie gleich da bei der Weißmännin find'. Es ist ein Schreiben eingegangen von 134 hochpreislicher Landesregierung, das heißt von unserm durchlauchtigsten Herrn Kurfürsten. – So landesväterlich ist Seine Durchlaucht Tag und Nacht bedacht auf das Wohl und Wehe seiner Unterthanen, daß dieselben gleichsam leiblich vor seinen erhabenen Augen stehen und er sich Tag und Nacht nur darauf besinnt, was einem jeglichen unter ihnen nütze sei.«

»Sagen Sie das der guten Frau alles recht klärlich,« unterbrach ihn der Priester und erhob sich. »Meine Pflichten rufen mich ab.« Und damit ging er aus der Thüre.

»Also passet auf, was für einen kurfürstlichen Brief ich vorlesen werde!« gebot der Schreiber, und sein Gesicht nahm einen drohenden Ausdruck an. »Ich will und befehle hiemit, daß die Kinder des Schneiders Johann Weißmann in der katholischen Religion sollen erzogen werden. Deshalb befehle ich ferner, daß der Christoph und die Anna und die Maria in Zukunft nicht mehr die evangelische sondern die katholische Schule besuchen. Wenn sie das thun, so will ich ihnen gnädig sein; wenn nicht, so soll sie der Amtsknecht tüchtig durchhauen und mit Gewalt in die katholische Schule führen. – Hast du das verstanden, Christoph?«

Die Mutter stand mit bebenden Lippen und vermochte nichts hervorzubringen. Die beiden Mädchen begannen zu weinen, und der kleine Knabe heulte, als er die Schwestern weinen sah. Christoph aber stand totenbleich und sagte: »Ich habe doch nichts verbrochen, daß ich katholisch werden soll; ich will sehen, wer mich dazu zwingen kann.«

»Das wird dir dann der Amtsknecht weisen, du verstockter Bub,« drohte Anastasius Alois 135 Binkerl und steckte das Papier in die Tasche. »Die Hauptsache ist, Sie hat's gehört, Weißmännin; und jetzt ist's genug für heute.« Damit ging auch er aus der Thüre. –

Während die Mutter wortlos über den blonden Scheitel Christophs strich und die Mädchen rasch getröstet an den Zuckerstückchen knabberten, drängte sich der kleine Knabe an die Mutter und lallte: »'tholisch wer'n, 'tholisch wer'n!« –

Der Schreiber wandelte durch die dämmerigen Gassen auf den Marktplatz. Dort holte er den Priester ein, grüßte ehrerbietig und vertraulich und drückte sich an seine Seite. »Hochwürden, denen hab' ich's eingerieben!«

»Herr Gerichtschreiber, ist das – das mit dem – kurfürstlichen Befehle –?«

Anastasius Alois Binkerl blieb stehen und kniff die Augen zusammen. »Nehm' ich auf mich, Hochwürden, nehm' ich auf mich, Hochwürden, nehm' ich auf mich. Was ist ein vorgelesenes Schreiben? Hab' ich dem Weibsbild Geschriebenes gezeigt? Habe mich wohl gehütet. Was sind Worte? frag' ich. Wind von heute auf morgen. Und wieder frag' ich: was sind Worte? Haken mit Widerhaken – und thun ihre Wirkung hernach. – Ich nehm's auf mich, das Schreiben, Hochwürden.«

Der Geistliche griff an seinen Hut und sagte mit rauher Stimme: »Ich verstehe Sie nicht. Gehaben Sie sich wohl!«

Einsam wandelte Anastasius Alois Binkerl seinen Weg und murmelte: »Verstehst mich wohl, du!«

*

136 Martin Philipp Justus hatte richtig gesehen: das Pulver lag auf den Straßen allenthalben, und schwere Wolken ballten sich zusammen – jeden Augenblick konnte der Blitzstrahl zünden.

Das Weib begab sich mit ihren Kindern in den Schutz der Gemeinde. Wie ein Mann stand die evangelische Bürgerschaft, und an ihrer Spitze stand Justus.

Es ging die erste Beschwerde zur Regierung, und die Regierung schwieg. Die Weißmännischen Kinder besuchten den Unterricht in der evangelischen Schule wie immer. Der Schneiderhannes aber schlich scheu umher, gemieden von seinen früheren Glaubensgenossen, ungeehrt von den Rechtschaffenen unter den Katholiken. Oefter als sonst arbeitete er um Taglohn im Markte und auf den Dörfern. Dann und wann sah man ihn bei seinem Geistlichen eintreten, und hernach gab es immer Schelten und Geschrei in der Hütte am Thore.

Es ging die zweite Beschwerde zur Regierung, und nach etlichen Tagen berief der Richter den Schneider auf seine Amtsstube. Des andern Morgens führte der Vater seinen weinenden Sohn mit Gewalt über den Marktplatz zur katholischen Schule. Mitten auf dem Platze aber riß der Knabe sich los und lief zu seinem Taufpaten. Bei diesem blieb er fortan, und alle Morgen sah man ihn eilig in die evangelische Schule laufen. Um die Mädchen kümmerte sich vorerst noch niemand. Eines Abends aber trieb die Sehnsucht nach der Mutter den Knaben wieder in die Hütte am Thore – und es schleppte ihn der Vater des andern Morgens mit Gewalt in die katholische Schule. Da entfloh der Knabe mitten aus dem Unterrichte 137 und rannte wieder nach dem Hause des Paten. Mit Geschrei verfolgten ihn die katholischen Schüler; sie vermochten ihn nimmer zu erreichen. Fortan aber getraute sich das Kind nicht mehr allein auszugehen: tagtäglich führte es der Pate zur evangelischen Schule, tagtäglich holte er es selber ab.

Eine fürchterliche Erregung durchzitterte die Evangelischen; in den Häusern und Schenken sprach man von nichts anderm mehr. Unehrerbietige Reden fielen da und dort, und die Spione des Richters trugen alles ins Amtshaus. Pfarrer Martin Philipp Justus verfaßte die dritte Beschwerdeschrift an die Regierung; sechsundneunzig selbständige Gemeindeglieder unterschrieben sich, nur zwei wußten sich beiseite zu drücken. Justus aber ward von Tag zu Tag höher angesehen; als ein ganzer Mann stand er da, furchtlos und besonnen; und von Tag zu Tag ward er seinen Feinden lästiger. Er hatte ein kühnes Wort unter seinen Namen geschrieben; das ging im Orte von Mund zu Munde und lautete: »Sollte aber diese meine Vorstellung bei höchstpreislicher Regierung nicht stattfinden noch den unterthänigst erwarteten Erfolg haben, so werde ich den Verlauf der Sache, wie sie sich zugetragen, drucken lassen, auf daß die ganze unparteiische Welt ihr Urteil fälle über diese Vergewaltigung und nicht nur die hiesige Gemeinde Augsburger Konfession hinfort, sondern vor allem auch dereinst die unschuldigen Weißmännischen Kindlein bei erwachsendem Verstande klärlich erkennen, daß ich gehandelt habe als Hirte und nicht als Mietling. Ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!«

Schon nach acht Tagen kam der Bescheid: 138 Man werde die Angelegenheit untersuchen, und bis zum Abschlusse dieser Untersuchung sollten die Kinder weder in die evangelische noch in die katholische Schule gehen. Aber niemand hielt sich an diesen Befehl: tagtäglich führte der Pate den Knaben zur Schule und holte ihn wieder ab.

Wieder waren acht Tage vergangen. Da kam der evangelische Geistliche frühmorgens totenbleich aus der Schule. Er führte den Knaben Christoph an der Hand, schritt über den Marktplatz und trat ins Pfarrhaus.

»Um Gottes willen, Martin, was giebt's?« fragte Frau Maria und sprang von ihrem Sitze am Arbeitstischlein in die Höhe.

»Fürchte dich nicht, Knabe; dein Gott ist mit dir!« sagte Martin Justus mit bebenden Lippen.

»Ich kenn' mich nimmer aus, ich kenn' mich nimmer aus,« murmelte das Kind und begann zu weinen.

»So scheint's oft, Knabe; aber laß dir nicht grauen,« tröstete Justus und strich mit der Hand über die blonden Locken. »Warte hier, setze dich aufs Kanapee – so – Maria, komm mit mir in mein Museum!«

Die Gatten gingen miteinander die Stiege empor, und Frau Maria war's, als trüge sie schwere Gewichte an den Füßen.

Das Fenster des Museums stand weit offen, von ferne her grüßten die blauen Berge, und es war die Zeit gekommen, wo die reisenden Saaten wogten bis zu den Bergen hinaus. – Schweigend ging Justus auf und ab, schweigend stand die junge Frau an der Thüre und folgte ihm angstvoll mit den Augen.

139 »Der Funke ist ins Pulver gesprungen,« begann der Pfarrherr und atmete schwer; »mich aber wird's zuerst treffen. Maria, es handelt sich um unsre Existenz. Soll ich den Dingen ihren Lauf lassen, oder soll ich mich stemmen gegen das Unrecht, solange es geht?«

Ihre Augen leuchteten, als sie zu ihm trat und die Arme um ihn schlang. »Wie könnte ich mich fürchten, solange du dich stemmst gegen das Unrecht? Erst wenn du dem Unrecht seinen Lauf läßt, dann werde ich mich fürchten.«

»Und wenn du nun wüßtest, daß wir zuletzt ins Elend wandern müssen?« fragte Justus mit bebenden Lippen.

Da antwortete das Weib mit geröteten Wangen: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.«

Da faltete Justus die Hände und murmelte: »Ich hab's gewußt.«

Dann erzählte er: »Als ich vorhin den Religionsunterricht hielt, klopfte es heftig an die Thüre, und der Gerichtschreiber trat ein. Ich fragte ihn höflich nach seinem Begehr, da antwortete er mit frecher Stimme, daß er mit mir nichts zu schaffen habe, er wolle den Weißmann. ›Der Weißmann bleibt in dieser Schule,‹ sagte ich und vertrat ihm den Weg. ›Platz da, Herr Pfarrer!‹ herrschte mich der Mensch an. Ich aber wich um keinen Zoll und wiederholte: ›Der Weißmann bleibt.‹ Da ging er auf mich los und wollte mich gröblich beiseite schieben. Ich stand unbeweglich. Da nahm er mich am Arm, schüttelte mich und zischte mir zu, so daß nur ich's hören 140 konnte: ›Geh weg, du Sauhirt!‹ Nun war meine Geduld zu Ende, ich preßte ihm seine Ellbogen an den Leib, hob ihn empor und trug ihn wortlos vor die Thür. Dort setzte ich ihn ab und befahl ihm zu gehen. Er aber entlief, wandte sich auf der Stiege, ballte die Fäuste und kreischte: ›Ich will dir's eintränken! Amtsehrenbeleidigung! Realinjurie! Du sollst an mich denken!«

»Sonst ist es nichts?« rief die Pfarrfrau. »Aber Martin, wie kannst du dich so aufregen? Dieses Geschöpf ist's ja gar nicht wert! Du schreibst eine Beschwerde an die Regierung und mußt Recht bekommen.«

Justus lächelte trübe: »Recht bekommen? Du kennst die Welt nicht, Maria!«

»So gewiß als die Regierung die Weißmännischen nicht katholisch erziehen lassen kann,« sagte die Frau.

»Die Regierung hat entschieden,« sagte der Pfarrherr und zog ein erbrochenes Schreiben aus der Tasche. »Da, lies! Die Kinder des Weißmann sind samt und sonders in der Religion ihres Vaters zu erziehen.«

»Martin!« Die Pfarrfrau schlug die Hände zusammen. »Das ist ja gegen alles Recht!«

»Gewiß.«

»Dann ist's unmöglich, Martin!«

»Unmöglich? Warum denn, Maria?«

Mit zitternden Händen nahm sie das Schriftstück und besah sich das große Siegel. »Es ist ja des Kurfürsten Siegel, Martin!«

»Gewiß.«

»Unter des Kurfürsten Siegel kann doch nicht Unrecht ausgehen, Martin?«

141 »Kann nicht? Warum nicht?«

»Martin,« sagte sie und entfaltete langsam das Schreiben, »was soll jetzt mit dem Knaben geschehen?«

»Wenn du einverstanden wärst – ich möchte ihn unter unserm Dache behalten, Maria.«

»Ich hätte dich darum gebeten, Martin, hättest du's nicht selbst gesagt.«

*


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