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Mysterium I

Mariä Empfängnis

Mariä Heimsuchung

 

 

Personen:

Maria

Elisabeth

Stimme Johannes des Täufers

 

 

Im Ausschnitt eines gotischen Bogens wird das Bild sichtbar. Maria und Elisabeth in der Kammer, auf niedrigen Schemeln einander gegenüber, beschäftigt mit dem Ausbessern der Matten; rechts Maria, links Elisabeth. Mond fällt schräg links ein. Hausgeräte. Sie sitzen vor einem Himmel voller Sterne, die Hinterwand geht nämlich nur bis zur Höhe ihrer Knie.

Maria, Elisabeth

Maria (in dem tiefen Schweigen)
Uns beide sieht nur Gott. Die Menschen schauen
Mich an, doch sieht mich niemand. Gott allein.

Elisabeth (aufblickend)
Ich Greisin – ich Greisin mit dem weißen Haar und mit
Dem Kind.

(Beide lassen die Arbeit ruhen.)
(Stille.)

Maria
Horch, Muhme!

Elisabeth
Hörest du, Maria?

Maria
Ich höre Gott, und wie Er pocht und atmet!

Elisabeth
Gesegnete!

Maria
Du siebst mich auch noch an, Elisabeth.
Sonst niemand.

Elisabeth
Ich. Ja, ich. Ich schlechte Greisin.
Ich. höre über mich die Engel heilig
Aufjubeln. Jahwe meint es gut. Der Gute.

Maria
Dein Haar, dem weißes, und dein Kind,
Das ist das Licht, das süße, drein die Engel
Ihr Staunen tauchen und ihr heiliges,
Himmlisch Gefühl. Ich bleib bei dir noch, hier
Ist gut.

Elisabeth
Noch, viele Tage?

Maria
Sicher.

Elisabeth
Bleib!

Maria
Wir wollen heut das Lager meiden, Muhme.
Die Nacht ist gar so schön. Mein Gott, wie tief!
Die Sterne, die Geschwister, dürfen wir
Doch nicht alleine lassen.

Elisabeth
Spinnen, spinnen
Den Kindlein uns aus Sprüchen in die Sterne
Silberne Schleier.

Maria
Ja, die Sterne sind
Aus Gott.

Elisabeth
Wir zwei. Die Greisin und das junge,
Heilige Blut. Und einsam, oh!

Maria
Wie sehr!

(Sitzen sinnend.)

Maria
Ganz Juda liegt im Schlaf, o dunkle Nacht!
Oh, wie das Finstere umarmt die Hügel
Und Flüsse rauschen ungesehen! Wesen
Der Nacht!

(Sie steht auf und neigt sich in die Nacht.
Lange Stille.
Elisabeth betrachtet sie.)

Maria
O sieh, o sieh, Elisabeth!

Elisabeth (eilig auf)
Was sehe ich? Und wo!

Maria (weist mit dem Arm)
Sieh hinten weit,
Dort, wo das Nächtliche zu Ende geht,
Sieh an!

Elisabeth
Ich seh nichts, Kind, als Nacht und Stern.

Maria
Ich sehe eine goldne Welle heilig
Beschäumen dort den Rand des Düsteren.
Ich seh nichts Düsteres mehr, ich seh nicht Nacht;
Denn jene Welle ist zum Meer erweitert.
Oh, wie das Goldene ebbt und glänzt und Streifen
Wirft selig spielend!

Elisabeth
Kind mit dem gnadenreichen Blick!

Maria
Oh, wie sehr
Ist dieses schön! Doch schöner ist darüber
Der weiße Kern von Licht, der, länglich, heftig
Das Silberne auswirft, das dann zurückwallt stets
Ins Silberne und immer wallend bleibt!
Dies ist das Fließende von Engels Lippe;
Denn drinnen steht, der selig zu mir redet,
Der Weiße mit dem weißen Blick. Der Engel,
Der mir verkündete. O Künder, künde

(Sie kniet und saugt das Himmlische in sich.)

Nur mehr, ich will dir alles rein behalten.

(Steht auf, einfach.)

Nun ging er hin. Ich seh ihn nicht mehr.

Elisabeth (bedeckt ihr Antlitz ehrfürchtig in Inbrunst mit Kuss um Kuss)
Kind,
Du kleines, du ganz kleines, himmlisches Kind!

(Läßt ab, sieht sie prüfend an.)

Ich aber seh auf deiner Stirne quellen
Noch Licht so sichtbar, daß ich meine, schöpfen
Darf ich es mit der Hand und davon trinken.
O süße Wasser! Rinnend ihr von meines
Herzkindes Stirne! Rinnet! Rinnet zu!

Maria (hat sich niedergesetzt, einfach)
Wir wollen doch die Engel freuen, Muhme,
Und ganz, ganz winzig sein und wieder flechten
Das Zeug, damit es nicht so herzerschütternd sucht.

Elisabeth
Was sucht – ?

Maria
Der Himmel sucht mich immerzu. Ach, Muhme,
Was fühl ich da, wenn mich die süße Güte
Immerfort küßt, und mir die Liebe Gottes
Flüstert, daß ich wie eine Blüte mich
Aus meiner Knospe sprengen möchte, blühend
Aufspringen und dies Herze lassen duften
Dem blühend Süßen hin, der heißt: Ich bin – ?

Elisabeth (sitzt wieder)
Braut des Höchsten!

Maria (Augen tief in Elisabethens)
Warum nur, Muhme, Muhme, o warum?
Dies süße Zwingen hier um Haupt und Stirne
Und Haar und Schläfe und um allen Leib, –
Und nun im Herzen! Mir fuhr doch ein Pfeil
Vom Bogen meines Höchsten und nur mir,
Sonst keinem, keinem –

Elisabeth
Lilie du, wie ist
Die Lilie Lilie und nicht Gras?

Maria
Ein Wunder!
warum nicht Schwester Nachbarin, die ist
Sehr arm.

(Sie ist bei der Arbeit.)

Elisabeth
Du bist noch Gras in deiner Brautschaft.

Maria
Oh, wenn der höchste Herr,
Des Name scheut die Lippe aufzunehmen,
Als Gras mich wollte, war ich Gras, so gern
Ich Lilie bin.

Elisabeth
Ja, du hast das Geheimnis.

Maria
Welches?

Elisabeth (leiser)

Der Engel hat es mir verraten in
Der Nacht, da ich mein Kind empfing. Ich schlug
Die welken Brüste bebend im Gebet
Und rief zu Gott: Wie hast du mir getan!
Daß, Herre, diese welken du erwähltest,
Noch Milch zu geben. Und da kam die Antwort,
Der Engel gab sie.

Maria
Welche?

Elisabeth
Das Geheimnis
Des Magdtums.

Maria
Wie?

Elisabeth
Ja, Kind, wenn diese tiefe
Frage Warum sich drängt in unser Schicksal,
In mütterliches junges oder altes,
Und wir befangen wissen nicht zu fassen
Das Dasein, müssen wir zur Stunde schlichtlich
Das Haupt hinneigen; weil wir Magd sind,
Magd sein.

Maria
Ja, Mutter, ich erfuhr es.
Als Gabriel mein Kämmerchen zur Sonne
Machte, hieß mich mein Engel also reden:
»Siehe, die Magd des Herrn. Und mir geschehe
Nach deinem Wort.« St. Lukas I, 38.

Elisabeth
Ich Alte, ich erfuhr es
Wie du, schüchterne Taube. Gänzlich Magd sein,
Nicht fragen, nicht das Haupt umwenden, niemals
Hinzaudern auf geheißenem Weg, sich bücken,
Wo Er nur will, sich seitlich oder geradwärts
Hinneigen Seinem hohen Wink gemäß.
– Fragt denn die Magd, wozu der Herr befiehlt,
Sind denn Magdschritte ihr zu eigen? Nein,
Des Herrn an jedem Ort, auf allen Pfaden.
Die Magd verherrlicht nur den Herrn als Sein gewisses Werkzeug.

Maria
Ich sage stets: ich will nichts wissen,
Mein Bräutigam; doch gern siehst Du, erzähl ich
Dem Mücklein in der Sonne all Dein Gutes.

Elisabeth
Es schlägt durch alle Glieder ganz unsagbar
Wie eine Feuerflamme, schlägt, ich fühle,
Aus den ganz seligen Himmeln Wohlgefallen
Jehovas ... pst ... da sprach ich gar den hohen
Namen ... st ... st die Sterne zittern ... Stille!

Maria
Sie zittern – ja – sie zittern.

Elisabeth
Keusche, liebe,
Ganz junge Tochter, willst du mir, der Muhme,
In dieser Nacht, wo Gott nur horcht und Seine
Sterne, (ganz leise) erzählen mir, der mütterlichen
Trauten, erzählen, wie Herr Gabriel – ?

Maria
Mutter, Mutter, Mutter!
Die Wolke fuhr, der Engel schien. Ich ließ
Das Buch aus meinen Händen nieder, meinen
Zitternden. Und es ward wie Weihrauch um mich.
Ich kniete nun, ich arme, bleiche Jungfrau.
Ich las: die Jungfrau wird den Sohn gebären.
Ich fühlte: Hälfe ich dir, Israel!
Ich weinte um Israels Jammer, weinte um Israel;
Gebäre! O gebäre! rief ich mir!
Und jammerte: Gebäre doch, Maria,
Gebäre, Arme, o gebäre Israel
Den Retter, den Gesalbten; sieh, ich konnte nicht!
Da kam der Engel, und die Wolke fuhr.
O Mutter!

Elisabeth (weit vorgeneigt, atemlos)
Weiter! Gesegnete Jahwes, Retterin!

Maria
Er hüllte mich in eine wirbelnde
Und sagenhafte Herrlichkeit und fuhr
Mir nah heran; – und nun sag ich nicht mehr
So Herrliches; das darfst du erst im Himmel
Schauen.

(Sie ist aufgestanden.)

Elisabeth
Wie bist du herrlich, lichte Braut!
Ein Klirren ist um dich wie Schmuck –

Maria (setzt sich wieder)
Genug
Von mir.

(Stille.)

Maria
Was ist das, Muhme?

(Ein silberner Streif fuhr aus dem Himmel nieder und überrinnt etwas von ihrem Haupt und Kleid. Sie sieht empor in das Silberne.)

Elisabeth
Sieh, Maria!

Maria
Ein Stern, ein großer Stern und glänzender!
O Mutter, sieh! Er leuchtet siebenfach!
Ganz taghell wird die Nacht.

(Elisabeth neigt sich auch vor. Ihr Silberhaar glänzt silberner.)

Elisabeth
O sieh nur, Tochter!

Maria
Das Auge sieht die Fahrt, so fährt er schnell!
Er hebt den Niedergang schon mählich an.
Wie blitzt er! Wie ein Engel blitzt!
Da – da –!

(Der Stern wird, sichtbar, zuoberst ganz am Himmel; während des Folgenden sinkt er allgemach nieder.)

Maria (wider den Stern sich neigend)
Gegrüßt seist du, Licht meines Sohnes! Du
Funkelnder, lieber Stern, du liebes Licht!

Elisabeth
Kind, Kind, was sprichst du! Und wie siehst du, du!

Maria
Es ist meines Sohnes Stern.

Elisabeth
Kind, Kind, du mit dem Wissen aus den Sternen!
Hat dir Herr Jahwe droben es geraunt?

Maria
– Und siehst du, Muhme, wie das Lichte tief
Erfüllt silberne Räume, und die Nacht
Weit von ihm flieht bis in das Fernste? Ja,
Mein Kind ist auch ein lichtgediehen, ist
Ein Silberzwinger all des Nächtigen.
O Muhme, wie es aus Sich selber Licht ist,
Wie dieser große, weiße Stern! (sich reckend) Oh, oh,
Es bricht der Glanz durch meines Leibes Wände!
O Mutter! Mutter! Muß ich Israel
Den Heiland hegen, will ich ihm auch singen
Ein Lied von dem Gesalbten Jahwes. Oh,
Oh, meine Seele tanzt im Heile Jahwes!
Tritt mächtig auf! Tritt mächtig auf! Mein Geist,
Erhebe dich und werde Jahwes trunken
Und deines Gottes voll! Hei! Eyja! Hei!
Es sah der Herr, der Heiland, an die Niedrigkeit
Der schlechten Magd, da hüllt Er sie ins Düstere,
Ins Düstere Seiner heiligen Wolke, hob sie hoch empor!
Hei! Eyja! denn Demütige erhebt Er
Und stellt sie ganz ins Licht und macht sie siegreich.
Die Stolzen mäht Er hin mit heiliger Sense.
Er füllt die Hungrigen mit Gütern hoch.
Die Reichen stürzt er nieder von den Thronen.
Die Satten schlagen hungernd sich die Seiten!
Hei, eyja, Seele, hei, sing, jauchze, spiele
Dein Lied Gott Israels, sing Jahwe,
Der Israels gedenkt, Israels Heiland, der Israel
Mit Küssen herzt und hält in Seinem Arme
Liekkosend! Wie Er Abraham verhieß
Und unseren Vätern und durch heilige
Seher es kundtat vielemal. Mein Haupt
Liegt unter Deinem Herzen, herze mich!

(Steht trunken.)

Elisabeth (auf den Knien)
Wein Jahwes, füllst dies Kind randvoll ...!

Maria (erwacht)
O weh
Mir Armen!

Elisabeth
Hast du Schmerzen?

Maria
Weh, nicht bei Ihm!

(Stille.)

Maria
O Muhme, ich muß fort.

Elisabeth
Wie? Was?

Maria
Der Stern winkt.
Muhme, ich muß jetzt eilend in die Nacht.

Elisabeth
Kind, du bist noch von Sinnen Jahwes halber!

Maria
Ich muß nun eilend über die Gebirge
Judäas hin und hin nach Nazareth.

Elisabeth
Oh, morgen, morgen, wenn du erst geruht
Und dich erquickt.

Maria
Nicht ruhen, nicht erquicken!
Der Stern erquickt mit seiner weißen Milch,
Und Jahwe ruht mir immerzu nah bei.

(Wendung.)

Ich muß nun. Muhme, Friede dir und Segen
Und Heil vom Heiland!

Elisabeth
Noch nicht! Warum so schnell doch? Liebe, holde
Törin, oh, bleib!

Maria
Denn ich muß mit dem Engel
Mich unterreden heim in Nazareth
Und meine Augen richten nur auf seine
Lippe, die überfließt von Unterweisung.
Und darf nun nicht mehr nach der Muhme fragen,
Will ich dem Engelmund nicht wehe tun.

Elisabeth
Nun mußt du hin!

Maria (immer dem Himmel rückgewendet)
Ich gehe, ja, ich gehe,
Und mit mir geht der Wille meines Herrn.
Ich kehre – will es Jahwe – wieder zur
Zeit deiner Niederkunft, wie es der Engel
Mir spricht. Ich weiß nicht. Bin ein töricht Kind.

(Küßt Elisabethens Stirne.)

Leb wohl, ich grüße dich.

Elisabeth (bricht in die Knie, küßt die Füße Mariä)
O Liebe, Liebe,
Holdselige!

Maria
Nein, Muhme. Mir nicht dies!
Doch willst du dem in mir die Ehre geben,
Knie tief und laß nicht ab!

Elisabeth
Holdseligste
Du aller Weiber, oh, gebenedeit
Bist du, und deines Leibes Frucht ist vielmal
Gebenedeit! Und wie geschah mir, daß
Zu mir die Schritte wandte meines Herren
Mutter? Luk. I. 42-43. Sie mag nun gehn, wie ihr gefällt
Und Ihm, der in ihr ist und sie beglückt
Mit Nähe. »Süße Braut, ich laß dich weinend!

Maria (wieder zum Himmel umgewendet)
Sieh, Mutter, wie das weite Juda
Im Monde liegt, im Rinnsal Seiner, Jahwes,
Güte, umblühet von des Kusses Liebe
Der Lippe Jahwes. O wie englisch rein
Silbern! Nun fügt der Stern, der liebe, Mutter,
Hellblinkend seinen Rand dem Rand der dunklen
Erde schon an, ich will ihm nach die Füße
Heben, so geht er mir voraus. Er leuchtet,
Mutter, auf meines Weges Mühen mir
So sicher!
(Schweigen. Elisabeth, mit Maria an der Brüstung lehnend, umschlingt sie und sagt mit einer Stimme voller Tränen)

Elisabeth
Ich laß dich ziehn, Maria. Geh mir gut,
Du kleines, du mir liebes, heiliges Kind!
Die alte Mutter, arme Frau, gibt hin
Ihr kleines Angebetetes in Hände
Des Engels, des Herrn Gabriel, des Feierlichen.
Heil mit dir, Schwesterchen, und Friede reich
Vom Herrn und eine selige Geburt!

Maria (leise, nahe dem Antlitze Elisabethens)
Gebäre selig, o Elisabeth!
Gebäre, wie auch ich gebäre, Heil
Dem ganzen Volke Israel! Gebäre
Dem Herrn!

(Neigt das Haupt und geht.)

Elisabeth (bleibt zurück, schluchzend.)

(Tiefe Stille.)

Elisabeth
Horch, ging die Pforte nicht?

(neigt sich über)

Wo ist sie nur!
Ist denn mein kleiner Mondstrahl ganz verschlungen
Im Scheinen? Nein, ich seh sie immer nicht!

(ruft leise)

Maria! st! Maria! Wo bist du,
Maria?

(suchend)

Wo geht meine Blüte hin?
Da! Da! O da, da geht sie! Oh, wie licht!
Das kleine Kind, wie es gar tapfer schreitet
Mit seiner süßen Bürde! Oh, es sieht
Nicht um, so gerade steht sein Sinn geradaus.
Horch Nacht, da geht Maria mit dem Gott.
Das kleine Mädchen, das ganz kleine,
Tapfere Kind von Milch und Blut geht hin
Durch diese weite Nacht Judäas,
Mit seinem Kinderherzen trägt es schlicht
Und ohne eine Wimper nur zu zucken,
Den Herrn der Sterne durch die Sterne hin!
O wie ist rings vor ihm die blaue Nacht
Erhellt! Mit seinem Kinderherzen trägt es
Rein alles. Und der Stern, der schimmernde,
Der tut sich was zu gut, ihr aufzuwarten!
Dem Kinde dienen, das ist süß, das glaub ich!
Dem kleinen, dem ganz kleinen, heiligen Kind!
Wie sie ins Schimmernde allmählich schimmernd
Nun übergeht! Der Weg hüpft lustig vor ihr
Empor, und lustig geht den Berg sie an.
Wie kichert rings das Mondlicht vor Vergnügen;
Die Bäume kichern auch und alle Engel.
Mein Gott, Du hast wohl Deine Lust an ihr!
Die kleine Magd! Nun ist sie übern Berg.
Ich seh sie nicht. Die kleine Magd wiegt auf,
Jahwe, vor Deinem heiligen Gelohe
Die Schmach der Sünder und der Frechen Ekel
Mit ihrer süßen Last. Ja, Israel,

(aufwachsend)

Freu dich, und du frohlocke, Tochter Sion!
Der Heilige ist da, der Retter ist da,
Der Christus, der Gesalbte, der Messias.
Und diese Jungfrau ist das auserwählte,
Ganz köstliche Gefäß, darein der Herr
Den Balsam Seines Odems eingeschlossen.
Ja, freue dich, ja tritt nur auf mit Macht!
Du, Tochter Sion, klatsche in die Hände!
Ei! Eia! Zimbeln, Harfen und Posaunen
Und Tanzende, mein Sion, Tanzende!

(bricht ab)

Jetzt ist der Stern dahin zugleich mit ihr.

(Belichtung wie anfangs)
(Stille)

Schau! Wer ist dort? Was ist –? Der Schatten. Wer?
Schau an, wer kommt da aus dem Dunkeln näher!?
Oh! Wer? Bei Jahwe, nein, ich sah ihn nie!
Wer ist der Fürchterliche, wer denn? Oh,
Ich arme Mutter! Sieh nur! Gerade kommt
Er zu.
Mein Gott, wie ihn die Felle rauh und furchtbar
Bekleiden! – Heiliger Jahwes. – Wer denn sonst?
Der Gurt, der seine Lenden hält, ich seh ihn!
Mein Gott, daß meine Augen schauen dürfen
Im Alter noch so viele Heiligkeit,
Die in der Jugend doch sie immer träumten!
Maria erst und nun den heiligen Mann,
Von dem ich nicht weiß, wer er ist. Wer ist er?
Bei Gott und bei dem Sohne, den der Herr
Mir hat verheißen, nein, ich sah ihn nie!
Nun ist der Fremde gerade auf dem Wege,
Den eben erst Maria ging. Es hängt
Von ihrem Scheinen wohl noch auf den Sträuchern
Wie Schleier. Oder in der Luft ein Glanz.
Er stutzt auch. O mein Sohn, was tust du nun?
Er wendet sich zum Weg Mariä hin,
Mir kehrt er gerad den Rücken. O mein Sohn,
Sind deine Augen schärfer als die meinen;
Siehst du sie noch? Ich seh sie nicht mehr. Nun
Hebt er die Arme auf. Was tut er wohl?
Von seines heiligen Atems Gewalt
Hör ich die Luft einstreichen. Er will rufen.
Horch! Alle Nacht horcht! Ruf, o ruf, mein Sohn!
Du stummer, himmlischer Herold, rufe zu!
Ruf in die Nacht aus, was sich hier begeben,
Und was sich hier begibt, das rufe zu!
Das Große, Namenlose rufe aus;
Die Berge müssen wanken und die Lüfte
Zur Ohnmacht kommen, weil in diesen Zeiten
So gar sehr groß der Arm des Herrn gewesen!
Ruf auch die Manschen! Alle Knie sollen
Vor Jahwe sinken, Er erschien im Busche
Dem Moses brennend, aber hier ist mehr:
Die Jungfrau und ihr eines göttliches Kind. –
Und auch ich arme Greisin. Horch! er ruft!
Mein Heiliger, rufe! Deine Mutter wollte
Ich sein; nun rufe, rufe, rufe doch!

Die Stimme Johannes des Täufers
(wie Donnergedröhn, in siebenfachem Echo)

Metanoeĩte!

Elisabeth (zusammenschreckend, kauert nieder)
Wie fürchterlich! Ich armes Weib. Ich armes,
Ganz armes, altes, oh, ich kindisch Weib!

Die Stimme Johannes des Täufers
(widerhallend)

Metanoeĩte!

 

Ende vom ersten Mysterium

 

Mysterium II

Christi Geburt

 

 

Personen:

Die Stimme Mariä
Engelstimmen
Die Stimme Johannes des Täufers
Die heiligen drei Könige:
König Kaspar
König Melchior
König Balthasar
Hassan, Diener

 

 

Erstes Bild:

Ein Strich grenzenloser Wüste. Die Sonne ist versunken, und ihr roter Schatten umhüllt die Weite. Von rechts kommt König Balthasar, ihm folgt sein Diener Hassan mit einem Bündel unter dem Arm. Er breitet Decken vor den König.

König Balthasar
Nun wohl. Hier rasten wir. Nur eine Stunde
Die müden Glieder ruhn! Sind die Kamele
Versorgt?

Diener
Sie sind es.

König Balthasar
Eine Stunde nur.
Bis Nacht herankam und der Stern heraufstieg,
Der weiße, der weißblinkende, der bleiche
Bringer. Und weiter geht es fort zum Ziel.

(Er kniet nieder, das Antlitz gen Osten, hebt die Hände
auf, bittet)

Fahr auf, fahr auf, himmlische Sehnsucht!

(Stille.)

Diener (blickt in die Ferne, die Hand vor Augen)
Ein Punkt springt ins Gesicht am Rand der Erde!
Rasch rennt er näher.

König Balthasar (steht auf)
Wo?

Diener
Staub gibt es viel.
Ein Räubertrupp!

König Balthasar
Friedliche Karawane!
Sind's Räuber, hilft der Herr uns aus, wie gestern,
Wo du die Hundert mit dem Pfeil bezwangest.
Stark ist der Herr. Sein Schrecken herb stößt um.

Diener
Ich sehe, es sind Friedliche.

König Balthasar
Willkommen!

Diener
O Herr, sie halten eilends in der Nähe!
Sie steigen ab, sie sahen uns, sie winken!
Ein Mann kommt auf uns zu. Er winkt.

König Balthasar
Wink wieder!

(beiseite)

Oh, meine Ahnung! Wird sie wahr?

Diener
Da ist er.

(Weicht ehrfürchtig zurück.)

(König Melchior kommt von rechts. Er begrüßt den König Balthasar mit stummen Zeichen. König Balthasar gibt den Gruß zurück.)

Diener
Ein König, Herr, ein König, reich im Schmuck!
Er spricht eine fremde Sprache, er trägt ein fremdes Kleid.

(Der fremde König kniet ohne weiteres nieder, blickt gen Osten und hebt die Hände.)

Diener (staunend)
Er kniet wie du, es ist ein Zweiter! Oh!
Er sucht den Stern! Herr, Herr, wer ist es wohl?

(König Balthasar kniet alsbald neben ihm. Die beiden Könige küssen sich.)

Diener
Sie küssen sich. Als fiel er gerad vom Himmel,
Ist dieser; wer denn mag er sein? Mein Herr
Sieht sich nicht um, hört mich nicht mehr. Ich halte
Die Wache.

(Er tritt vor.)

(Die beiden Könige beten.)

(Es ist Nacht geworden, die ersten Sterne blitzen im Dunklen.)

Diener (aufschauend)
Ein loser Stern steht auf, schwankt hin und wieder
Im Brand, als riß er aus den Angeln. Nein,
Wie eine Fackel tanzt es, näher, näher
Blutroter Schein!

(rafft Bogen und Pfeile vom Boden)

He! Holla! Räuber! Räuber!
Schufte! Halunken! Lumpenpack! Gesindel!

(spannt)

Pfeil ihnen in den Leib! Ihr Lotterbuben!

(Er will schießen.)

(König Melchior steht ruhig auf, nimmt dem Diener Pfeil und Bogen aus der Hand, leislächelnd, beschwichtigt ihn.)

Diener
O weh mir Holzpflock! Ich hin gänzlich unnütz.

(Weicht zurück, steht beiseit mit hängenden Armen.) (König Kaspar kommt von rechts und begrüßt Melchior mit stummen Zeichen. König Melchior erwidert den Gruß und weist auf den knienden Balthasar; alsbald küssen sich die beiden Könige, knien neben dem Knienden, betend, stumm wie er. In diesem Augenblick trifft des aufgehenden Sternes Silber die Gruppe. Der Diener sinkt nieder. Die drei heiligen Könige beten laut.)

Die drei Heiligen Könige
O Silberstern, o Milchgestirn, o Märchen,
Aug Gottes oder Seines Lächelns Abglanz,
Du Sinnbild dessen, was nun wird! Wir drei
Könige aus den Heiden bringen dar
Der Anbetung Tribut, der Gott gehört.
o sagenhafter Stern, o reiches Urbild!
Du bildest ab den Gott, der schon geboren
Mit Seinem Licht der Menschen Nacht erhellt.
Denn Gott ward Kind, dies ist das große Wunder:
Stern flüstert es dem Stern und Welt der Welt.
O Herr, in Deiner reichen Güte ward
Dein die Erniedrigung und Kleinheit, uns zu Heil.
Nun liegst du wo in einem Schoß, Dir fließt
Aus Brüsten, die Du schufest, Milch. Herr Gott!
Willst Du mit reiner Lehre uns beglücken!?
Beglücke, Herr, beglücke, wir sind glücklos
Ohn' Dich; wir dachten Dein, wir kommen weit
Statt unsrer Völker, die im Elend sind.
Nun führe uns und ebne uns die Wege,
Daß wir aus Brunnen heile Wasser schöpfen
Und heimwärts tragen in das ferne Reich!
Gib uns die süße Heilung Deines Anblicks!
Gib uns vom Odem Deiner Süße, gib
Uns das Gedeihen gnadenreichen Kniefalls!
O Herr, Du wirkest Wunder. Unsre Lippe
War einem wie dem andern fremd durch Urschuld
Denn unsere Väter Babels Turm! Sie zwangen
Die Steine in den Himmel, höher, höher.
Du stürztest, Du verstießest, Jahwe, sie;
Sie wimmelten wie Ameisen, sie rannten hin und her.
Du schnittest da in Deinem Grimme
In ihrer Zungen Bänder fremde Zeichen.
Ritztest die Rinde, sie sprachen irr und wirr.
Die Rinde ihrer Bänder blutete
Verwirrung, schwitzte Ohnmacht, war dahin.
Du heiltest uns in Deinem milden Licht,
Schlossest den Schnitt, die Worte wurden heil.
O Jahwe, eine Melodie ward uns zuteil,
Weil eine Sehnsucht eine Strafe uns geführt.

(Sie erheben sich.)

Gib, Gott, in Deiner großen Güte heilen Weg,

(Sie treten hintereinander.)

Und heile Straße für uns schlichte Drei!

(Sie gehen hintereinander ab.)

Diener (nach vorn kommend)
Gott, sei mir gnädig! Schlage mich nicht lahm;
In Deiner großen Güte laß mir die großen Herrn!
Oh, dienen will mein Fuß. Erhalt den Fuß mir!

(Bückt sich nach den Decken auf die Erde.)

 

Zweites Bild:

Ein Stück Gefels vor endlosem Himmel. Sterne. Aus einem hohen Felsen links dringt von innen durch eine Spalte ein starker Strahl weißen Lichtes. Der Strahl macht das Bild hell. Von rechts her kommen die drei Könige, sie gehen nacheinander, sie tragen ihre Gaben. König Balthasar geht zuletzt, der Diener rechts neben ihm. Die drei Könige schreiten alsbald zu dem Felsen vor und knien nebeneinander. Die dichte Fülle des Lichts streicht über ihre Häupter hin. Der Diener, in Ehrfurcht, verbleibt rechts.

Diener (in Staunen die Hände schlagend)
Ihr Ziel gefunden haben meine Herrn!
Der Fels gibt Licht! Der Fels gibt Licht! O Wunder!
O Wunder über Wunder noch dazu!

(Wendung.)

Der Stern sinkt hin, nun gibt der Fels sein Licht;
Den Stern verschlingt die Erde, doch der Fels blinkt auf!

(Kniet.)

König Kaspar (indem er seine Gabe auf den Boden niederlegt)
O Freunde, laßt mich sehn!

(Er steht auf, steigt eine Stufe im Felsen empor, späht hinein.)

Himmel und Erde!

(bricht glanzgetroffen nieder, birgt sich im Felsen.)

Engelstimmen (singen im Innern der Höhle)
Kindlein! O Kindelein!
Eia Maria!
Hüll dich die Liebe ein!
Hüllt dich Maria.

(Die drei Könige schauen auf.)

König Kaspar (fassungslos)

Es singt! Nun singt es gar! Blickt hin für mich!
Ich bin doch blind.

(König Melchior und König Balthasar steigen hinauf, beugen sich vor, schauen hinein.)

Beide
Ein Kind! Wie hell!

König Kaspar (steht auf)
O Wunder!
Bin ich schon blind, ich will doch sehen, sehen
Und tiefer blind sein. Blickt es an! Dies Bild!
Wie Milch und Sonne! Oh, des Lichten, oh
Des Lichten!

König Melchior
Weinen muß ich. Liebe Freunde,
Die Engel sind ja sichtbar Kopf an Kopf!

König Balthasar
Seht an, ein Kranz von Köpfchen heilig licht!
Sie funkeln, eine Engelkrone, um
Den lichten Scheitel dieses Engelfürsten.

König Kaspar (in der Mitte)
Mein Gott! Mein Herr! Mein Gott! Zuviel! Oh mir!
O Ohnmacht Mensch!

König Balthasar
Seht ihr, oh, seht ihr wohl
Schneeweiße Fittiche sänftlich bestreichen
Den Leib des Kleinen, süße Wickel?

König Melchior
Fließt
Und fließt von Licht.

König Balthasar
Von süßer, rinnender,
Reiflicher Milch vom Angesicht der Knospe.

König Kaspar
Göttlich keimt Gott.

Engelstimmen
Gott hüllt in Glieder
Sich kleinen Maßes;
Eia Maria!
Hallet, ihr Lieder!
Eia Maria!
Gott kichert mildlich,
Gott lächelt bildlich.
Fittiche schwingt!

Stimme Mariä (sehr klar)
Himmelan dringt!

(Stille.)

König Melchior
St ... st ... hört weiter zu!

König Kaspar
Es ist nicht mehr.

(Sie horchen.)

König Kaspar (wendet sich)
Wir wollen, liebe Freunde, unsre rauhen
Kehlen auch zwingen in des Liedes Dienst.
Ziemt sich, den Heiland festlich zu begrüßen
Der weiten Welt. Stimmt an, stimmt mündlich an
Herzliche Weise, die das Kindlein wiegt!

Die Drei Heiligen Könige (anstimmend)
Aus Saba her der Heiden
Durch die Nacht der Welt –

(Sie verstummen.)

König Balthasar
Es ist nichts.

König Melchior
Es sind Scherben, klirrende.

König Kaspar
Wie ist das Eicht ausschließlich!

(Stille.)

Engelstimmen
Heilig! Heilig!
Eia eia ei!

König Kaspar
Stimmen wir
Noch einmal zum Versuch?

König Melchior
Ich meine.

König Kaspar
Daß
Etwa die Seelen höher klingen, höher
Das ganz Unsagbare sich in uns stimmt!?

König Balthasar
Laßt uns versuchen!

Die drei Heiligen Könige (anstimmend)
Uns, die Unwürdigen, trieb heilig Hunger,
Durstenden Brunnen –

(Sie schweigen.)

Stimmen der Engel
Heilig! Heilig!
Eia eia ei!

König Kaspar (nach einer Stille)
Nehmt goldne Harfen, rührt mit goldenen
Fingern goldene Zungen – goldner Tand
Bleibt über, nichts als totes, kaltes Gold,
Seid stumm, schlagt auf den Mund!

König Melchior
Die Herzen dämmen
In Stille wir und singen mit den Engeln.

Die drei Heiligen Könige (anstimmend)
Heilig! Heilig! Heilig!
Eia eia ei!

Die Engel
Eia eia ei!

König Kaspar (umgewandt, spähend)
Seht an Maria! O wie ist die Holde
Hold heilig! Seht ihr, wie das Goldene
Von ihr ins Goldene des Kindes strömt!?

König Balthasar
Wie Kuß um Kuß!

König Melchior
Ihr reines Auge ruht
Wie eine milde Sonne auf dem Atem
Des lieben Gottes, herzt Ihn immerzu!
Wie ist das Weiße um sie weiß!

König Kaspar
Mein Gott!
Ihr Aug ist blau.

König Melchior
Ihr Schleier Milch. So lichtlich!

König Balthasar
Der wunderbare Hoheitsvolle ihr
Zur Seite!

Die Engel
Joseph! Maria!
Maria! Joseph!

König Balthasar
Horcht verschlungne Namen!

Die Engel
Heilig Paar!
Heilig Kind!
Eia! Eia!
Jahwe macht sich lind

König Melchior
Horcht! Horcht!

König Kaspar
Horcht! Horcht!

König Balthasar
Der Mann ist Joseph. Schaut!

König Kaspar
Die Lippen betend.
Ehrwürdiger Patron! So steht er Wache.

(Stille Betrachtung.)

König Kaspar (wendet das Haupt)
Wir wollen, Freunde, gehn. Der Morgen bricht
Schon an. Hin zu Maria und dem Kinde!

(Er tritt herab.)

König Balthasar
Und hin zu Joseph!

(Die drei Könige steigen herab.)

Hassan!

(Er winkt dem Diener.)

Diener (herbei)
Herr?

König Balthasar
Du gehst
Voran uns, stürzt dich auf den Boden, drückst
Dich in den Staub und meldest dann mit einer
Stimme voll Ohnmacht: Drei der Könige
Aus Heidenvolk erzittern nahe bei.
Sie stammeln mit den Herzen, ihre irdne
Anbetung darzubringen. Also sprichst du.

Diener
O Herr! Nicht dies! Mir nicht dies! Soll ich denn
Erblinden und zertrümmert werden in
Zertrümmerung – vor diesem Licht!?

König Balthasar (lächelt)
Das Licht
Ist mild.

Diener (schüchtern)
Der arme Hassan wird zum König.
Was machst du, Herr!? Das hab ich nicht verdient.

(Ab, links.)

(König Balthasar nimmt seine Gaben auf.)

König Kaspar (tritt an die Spitze)
Wir singen unser schlichtes Lied, ihr Freunde,
Das wir auch auf dem Wege sangen. Lied,
Das schlicht uns meldet. Denn es ziemt sich, singend
Zu kommen. Stimmt und folgt mir!

Die drei Heiligen Könige (stimmen an; sie gehen währenddem, nacheinander langsam nach links ab)

Von Saba kommt
Der Könige Schar,
Gold, Weihrauch, Myrrhe
Bringen sie dar.

Gold, Myrrhe frommt
Dem Göttlichen kaum;
Er will das Herze,
Tod, Liebe, Traum.

(Am Himmel beginnt die Morgenröte.)

 

Drittes Bild:

Hügeliges Land. Vereinzelt Zypressen. Nacht. Der Sturm jagt die Wolken. Der Mond scheint hin und wieder durch. Die heiligen Könige ruhen vorne links unter einem Baum. Ein Feuer glimmt.

König Kaspar (Mitte)

Wie bläst der Wind! Ermuntert euch! Wie bläst
Der stürmische! Auf, Freunde, auf! Wir wollten
Die Nacht abkürzen, pilgern bis zum Morgen.

König Melchior (links)

Mir schwimmt im Auge noch der Glanz vom Traum,
Das Licht! O Freunde!

König Balthasar
Saht ihr sie, die Hohe,
Sich neigen mit dem Haupt uns, die wir bebten?
O Freunde! Freunde! Stürzte mir die Sonne
Herab?

König Kaspar
Im Herzen wurde Frühling.

König Balthasar
Ja,
Blühender Kirschenzweig, ganz Blühendes!

König Kaspar
Des Dieners Hassan Los!

König Balthasar
O Hassan! Hassan!
Er fiel entseelt vor allzu großem Blühen,
Der Mohrendiener, der im Dienen groß
Geworden. Da sah seine Seele Gott
Und ließ die Hand nicht, die sich bot, und stieg
Getreu im Dienen in den Himmel.

König Melchior
Ein
Hündchen vor Gott war dieses Dieners Seele.
Darum gefiel es Gott, sie zu erhöhen.
Nun ist sie hoch, erwartet ihren Himmel
Im Paradies.

König Balthasar
Des Dieners Seele ist voraus
Den Herren nun, ist höher als drei Könige.

König Kaspar
Hassan, des Dieners, Los! Wir Könige tragen
Noch Erde, und mit Dunklem reich gemischt
Ist unser Anteil, ist die lichte Predigt.
Denn eine Predigt ward uns, ward den Königen.
Wir führen das Schwert, wir richten des Landes Gerichte;
Doch ist der Ruf aus unserm Mund gewichtiger:
Dienstleute Gottes Thronen wurden die drei Könige.

König Balthasar
Die Untertanen weckt mit seinem Ruf der Könige
Heischen; denn untertan den Untertanen,
Gebeugte Stirnen dreie wurden die drei Könige.
Das Heilswort, das den Lippen trieft der Könige,
Dem Ärmsten, dem Geringsten bieten es die Könige!

König Melchior
Das Wort vom Kind.

König Kaspar
Das Wort vom Sonne Gottes.

König Balthasar
Das Wort.

König Kaspar
Das Wort von dem, der, ach! durch Welten sich verkleinerte,
Das Wort vom höchsten König, vom König der Könige,
Der Seinen Thron verließ, ach! um Sein ärmstes Gut!
Weh! um den Menschen, den allerärmsten Untertan!
Und der in grenzenloser Liebe Sich
Aus Gott zum letzten Menschen selbst entstellete!

König Melchior
Das Wort von einer Jungfrau demantschönem Gruß,

König Balthasar
Den sie dem Engel bot, als Gott sie freite jugendlich.

König Kaspar
Das Wort von einer Jungfrau unversehrtem Schrein,

König Melchior mit König Balthasar
Da Gott der Schlüssel zu, den Er ihr selbst entbot.

Die drei Heiligen Könige (miteins)

Das Wort von einem Fall, von eines Engels Blick,
Von einer Liebe tief, von namenlosem Glück,
Von einem kleinen Kind, das Gott zur Mutter schuf,
Von einem kleinen Kind, das alle Dinge schuf –
Heilig! Heilig!
Eia eia ei!

König Kaspar (sich erhebend)

Gen Bethlehem wollen wir knien und beten,
Eh wir den Weg beginnen. Freunde, kniet
Mit mir!

(Er kniet links vorne nieder, nach links hin blickend, die beiden anderen Könige knien rechts und links von ihm.)

Die drei Heiligen Könige
Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade;
Der Herr ist mit dir, du bist benedeit
Aus allen Weibern, und gebenedeit
Ist Jesus, deines Leibes Frucht. O heilige
Maria, Mutter Gottes, bitte für
Uns arme Sünder, jetzt, zu allen Zeiten
Und in der Stunde unsres Scheidens. Amen.
O unser Vater, der Du bist in Himmeln,
Geheiligt sei dein Name, zu uns komme
Dein Reich, Dein Wille werde wie im Himmel
So auf der Erde! Gib uns täglich Brot!
Vergib uns unsre Schuld, so wie auch wir
Verzeihen unseren Schuldnern. Führ uns nicht
In die Versuchung, löse uns vom Übel!
Amen.

(Die drei heiligen Könige küssen sich und stehen dann auf.)

König Balthasar
Mit Gott zum Weg!

(Er will voran, linkshin ab in den Hintergrund.)

König Balthasar (weicht zurück)
Was ist dort? Wer ist dort? Seht hin!

König Melchior
Ein Mann,
Der auf dem Hügel unbeweglich steht!

König Kaspar
Wer ist der dort, der mit dem bleichen Scheinen
Ums Haupt? Wer ist der Mann, der kerzengerade
Sich hinpflanzt in die Nacht, nach Bethlehem
Den Blick? Wer ist der Seltsame? Wer ist er?
Mit magren Gliedern, Sehnen nur und Haut?
Wer ist der Raune mit dem Kleide eines
Tieres?

König Balthasar
Ein Gürtel ist um seine Lenden.

König Melchior
Er hebt die Hände an den Mund, als wollte
Er rufen.

König Kaspar
Rufe, Rufer!

König Balthasar
Nein, er ruft nicht.

(Stille.)

König Kaspar
Ist es Gott-Vater selbst, der auf der Erde
Umwandelnd nach dem Sohn die Nacht durchspäht – ?
Sieht dieser immer zu dem Kinde? Ein
Engel des Herrn, der immer vor ihm herruft?
Er ruft! Er ruft!

König Balthasar
Er ruft. Er zieht den Atem
Durch mächt'ge Lungen mächtig ein.

König Melchior
Er ruft!

König Kaspar
Lauscht!

(Stille.)

Die Stimme Johannes des Täufers
(wie Donnergedröhn, in siebenfachem Echo)

Metanoeĩte!

Die drei Heiligen Könige (flüsternd)
Horcht! Eines Engels Stimme! Eines Engels!
Kommt, ihm die Füße küssen!

Die Stimme Johannes des Täufers
(widerhallend)

Metanoeĩte!

(Die drei heiligen Könige gehen.)

 

Mysterium III

Darstellung Jesu

Wiederfinden im Tempel

 

 

Personen:

Der Knabe Jesus
Maria
Joseph
Zwei Priester
Die Stimme Johannes des Täufers

 

 

Erstes Bild:

Weiße Mauer des Tempels. Über der Mauer ist ein Stück Himmel sichtbar. Es geht gegen Morgen, die Sterne sind am Erbleichen. Wind. Zu Füßen der Mauer sitzt Maria. Neben ihr steht Joseph, links.

Maria
Ich wußte nicht um diesen tiefen Schmerz,
Als Gabriel erschien, Gott mir mit süßen
Gerüchen niederkam. Ich wußte nicht
Um dieses tiefe, mütterliche Leid,
Als ich den Berg ging zu Elisabeth,
Frohlockend über den Gefilden meines
Juda. Ich wußte nicht von ihm, wie ich
Gebar zur heiligen Nacht, mich süßes Zwingen
Weh folterte, bis ich Ihn hielt, den kleinen
Gott. Wußte nichts, als ich mit Ihm dahin
Zum Tempel schritt, Ihn Jahwe darzubringen.
Wie Simeon das Schwert in meine Seele
Mir prophezeite, ja, da ahnte ich!
Nun ging ein Schwert durch meine Seele, leide
Trübsal. O Joseph, weißt du nicht, wo noch
Wir suchen müssen – ?

Joseph
Nichts, Maria, keine
Stätte weiß ich –

Maria
Drei Tage sind nun hin
Wir suchten und wir suchten

Joseph
Immerzu.

(Stille.)

Maria
Nur Jahwe hilft hier. Er, der Vater in
Den Himmeln.

Joseph
Fort und fort ich flehe auf.

Maria
Der Herr sieht ja gewißlich hin in unser
Schwach irdisch Herz. Er weiß nun, daß wir suchten
Und schuldlos uns verloren ging.

Joseph
Der Herr
Weiß um den Knaben.

Maria
O ich Mutter! Mutter!
Der Herr verstieß mein armes Herz, Er räumte gänzlich auf.
Der Herr stieg ein mit Trauer, Er hüllte mich so tief
In mütterliche Wehen zu erster Schmerzgeburt;
Denn als Er kam, der Holde, war Wonne ohne Weh, –
Nun rinnen meine Zähren, Leid hüllt mich ganz und gar!

Joseph (Hand auf ihr Haupt)
Maria! Liebe!

Maria
Ich klage um den Einen, ich klage um den Sohn,
Einmal geboren, doch verloren viele Mal
In jedem Seufzer, ach! in jedem Blick betränt.
Dies ist die Stunde, weh! da mir der Bräutigam
fehlt.

Joseph (wie vorhin)

Der Herr gibt ihn uns wieder. Weine nicht!

(Stille.)

Maria
Und gäbe Er Ihn auch, brächte ein Engel Ihn
Hierher in meinen Schoß, ich wüßte doch darum,
Daß nun die Stunde ist, ist nun die Zeit erfüllt

(Stille.)

Joseph
Maria, was du sagst, mir ist nickt recht
Begreifen – ?

Maria
Joseph, als mir Simeon
Den Spruch tat, alsobald ward er erfüllt.
Ein Schwert ging nieder, Jahwe gab mir sichtbarlich
Ein Zeichen, gingen mir die Augen auf.
Es fuhr ein Wissen mir, es fuhr ein Schwert herab
In meine Seele tief, da wahrte ich es auf.
Nun ist des Schwertes Stunde.

Joseph
Welch Wissen? Welch ein Schwert?

Maria
Daß eine Scheidung sei
Von mir und von dem Sohn, wie mich das Schwert jetzt schied
Innen von innen, wie es mich heiß durchdrang.
Wie es mir Teil von Teil in blutigem Schnitte riß,
Reißt Jahwe mir den Sohn, in Teile mir mein Fleisch.

Joseph
Maria!

Maria
Es ist so, Joseph, sieh, es ist so. Sieh,
Jahwe geht einsam über uns einsame
Pfade. Und einsam geht Ihm nach der Sohn.
Maria aber bleibet unten, die
Schmerzeserkorene. Ein armes Weib.
Ein Menschenweib, das, Gotte zu gebären,
Gott auserwählte: Jammer viel und Pein!

Joseph
Maria, Jahwe will es so.

Maria
Gepriesen
Sei Jahwes Wille über unsren Häuptern!
Er will es! Wir sind klein. Er will es! Sei
Gepriesen, Jahwe, hundertmal! Wir aber
Sind schmerzensreich.

Joseph
Wir Joseph und Maria!

Maria
Sind wir vereint im Himmel mit dem Sohn,
Will ich ein Danklied singen meinem Helfer,
Ein Lied aus meinen überwundenen Schmerzen,
Die Himmel werden jubeln, und ich werde
Hoch jubeln.

(Stille.)

Es wird Morgen, Joseph.

Joseph
Wir
Suchten die Nacht hindurch.

Maria
Und Schlaf kam nicht
In meine Augen. – Nun, was blickst du?

Joseph (rechtshin ausschauend)
Ich
Sehe den Job gehen, den Verwandten.

Maria (fährt auf)

Frag ihn!

Joseph
Ich eile.

(Er geht rechts ab.)

Maria (allein)

O mein Knabe Jesus!

( Zwei Priester kommen von links. Sie sind schon an Maria vorüber, als der eine den anderen zurückhält und nach der Jungfrau weist. Die Priester starren sie an.)

Erster Priester
Was sitzt du an des Tempels Mauer, Weib,
So früh am Morgen?

Maria
Ist's verboten, Herr?

Erster Priester
Wie: ist's verboten? Wie? Dem Priester Jahwes
Hochmütige Antwort?

(Maria schweigt.)

Zweiter Priester
Stumm wie'n Fisch. Sieh an!
Sieh an! Wer ist die Stolze? Wußt ich doch
Um dies Gebaren schon, als ich sie sah.

Erster Priester
Wer ist dies frech-hochmütige Weib?

(Maria steht auf und richtet sich empor.)

Zweiter Priester
Sieh! Sieh!

(Die beiden Priester weichen unwillkürlich zurück.)

Erster Priester
Den Mund auf! schleunig! Wer du bist? Gib Antwort!

Maria
Maria, Josephs Weib.

Zweiter Priester
Pack dich hier fort!

Maria
Ich kann nicht weichen, Herrn; denn Joseph, mein
Gemahl, wird mich an dieser Stelle suchen.
Ich bitte euch um Jahwes willen, mich
Hier zu belassen.

Erster Priester (tritt nahezu ihr)

Ei, sieh an! Sieh an!
Was hast du hier zu sein? Wer bist du, Weib?
Bei dieses Tempels weißer Mauer! Gleich
Räumst du den Platz!

Zweiter Priester (tritt herzu)
Komm doch und laß sie gehn!

Erster Priester
Sie ist mir widerlich! Ah, könnt ich doch
Mit Fäusten an sie!

(Maria bleibt unbeweglich.)

Zweiter Priester
Sie reizt durch ihr bloßes
Dasein auch mich zur Wut. Wie jener junge,
Weichliche Knabe, der seit dreien Tagen
Im Tempel sitzt und Meister lehrt.

Erster Priester
Just so!

Maria
O Jahwe!

(Joseph kommt von rechts herbei.)

Joseph
Frugst du die Priester, liebes Weib?

Zweiter Priester (zischelnd)
Hinweg!

Erster Priester
Jahwe sei ihr nicht gutgesinnt!

(Die Priester eilig nach rechts.)

Maria (Joseph steht rechts neben ihr)
O Joseph!
Joseph!

Joseph
Was ist, Maria? Welche Stimme?

Maria
Gefunden, Joseph, oh, gefunden! Jahwe
Mein Herz und Dank!

Joseph
Maria! Wie, Maria?
Oh, hör ich recht?

Maria
Der Herr gab ihn uns wieder,
Jesum.

Joseph (faßt ihre Hand)
Wie ging es zu? Dank, Vater! Vater!

Maria (währenddem Joseph sie immer bei der Hand
hält)

Die Priester heischten Unrechtes, sie heischten
Von mir, ich solle mich von dannen heben.

Joseph
Die Priester!?

Maria
Gott ließ es zu, daß ich sie ärgerte
Nur durch mein Sein, daß ihre Rede heftig
Und böse wurde, daß sie sich verkehrten
Im Sinne wider Jahwe, mich bedrohend.
Gott ließ es zu, Gott ließ es zu, damit,
Als ihre Zunge fuhr wie eine Viper
Auf mich, und ich zu Jahwe schrie um Hilfe,
Die Viper mir zu Diensten wurde wider
Willen. Sie trug ein Krönlein zu mir, dieses
Hob rasch ich auf, und ich zertrat sie. Dies
Kleinod ist mir des Sohnes Ort. Er ist
Im Tempel.

(Läßt ihre Hand aus der seinen und schreitet nach links voran.)

Joseph (ihr folgend)

Groß ist Deine Vorsicht, Jahwe!

 

Zweites Bild:

Ein Vorhang, in der Mitte teilbar. Rechts und links Säulen. In der Höhe Gebälk. Maria und Joseph vor dem Vorhang. Maria späht hindurch, Joseph, links neben ihr, steht im Gebete.

Maria
Mein Jesus! Bist Du da? Mein Jesus! Kind!

Joseph (betend)
Groß ist Deine Vorsicht, Jahwe!

Maria
Ich trug Dich unter meinem Herzen; nun
Spielst Du nicht mehr mit mir. Nun bist du, junger,
Süßer, geliebter Knabe mir entsprungen.
Im Tempel übst Du Spruch.

Joseph
Laß sehn, Maria!

(Er sieht hindurch.)

Das junge Kind zwischen den weisen Herren!
Oh! Oh!

(Schaut weiter; Maria ließ den Vorhang aus der Hand, blickt nach vorn, umgewandt.)

Maria
Mein Kind ging hin, mein Knabe Jesus. Gott,
Mein Bräutigam, der Sich zu mir herabließ,
Mit Wolke mich umküßend, ich empfing den Sohn.
Ich trug Ihn im Schoße, ich wachte bebend nachts,
Die Sonne ging nicht unter, ich trug sie in mir selbst.
Die Sonne ging nicht unter, und ich gebar, wie Tau
Beperlte mich das Kind, die süße Liebgeburt.
Ich gab Ihm meine Milch, Er sog mit göttlichem Mund;
Mein Auge weinte, und ich säugte Jahwe groß.
Ich sang Ihm viele Lieder, ich sang von Israel,
Von David sang ich Ihm, ich sang von Abraham.
Ich sang die Taten Jahwes, und Jahwe hörte zu,
Ich sang vom feurigen Dornbusch, Gott lag mir lind im Arm.
Ich sang, bis mir das Herze von Liebe überging,
Dann küßte Er mich, wir schwiegen, wir waren heilig eins,
– Wir streiften beide frohe durch blühendes Gebüsch
Zu Paar im Monat Nisan, Der Monat Nisan fiel in die Zeit Mitte März bis Mitte April. ich hielt Ihn an der Hand,
Den Kleinen, unter Blüten der Blüten Frühlingsgott.
Er wusch sich die Füße im Bache, Er lachte helle zu,
Er küßte mich, die Mutter, ich küßte Ihm Sein Haupt.
Nun ist Er mir entsprungen, die Stunde überwuchs
Die Mutter, einsam ging Er, Er ging dem Vater zu.
Ich werde Ihn noch halten, – ich halt Ihn schon nicht mehr –
In meine Arme schließen, zu Trennung und zu Leid.

Joseph (kichernd)
Maria ... st! ... Maria! Sieh nur! Wie
Er still macht einen nach dem andern! Oh
Wie hoheitsvoll!

(Maria wendet sich um und sieht.)

Joseph
Die Pergamente sinken
Ehrfürchtig vor Ihm nieder, die die greisen
Weißbärte heben wie zum Einwand oder
Fragend. Sieh an, Maria! Unser Kind!

Maria
Mein Jesu!

Joseph
Gott der Herr!

Maria (wieder nach vorn gewandt)
Wird Jahwe von
Dem heiligen Sitze über Wolken donnern,
Wenn ich umfange mit den Armen Ihn,
Den Herrn? Nach diesen schmerzensreichen Tagen?
Nach meinen Tränen und dem sicheren
Bewußtsein einer Scheidung hier auf dieser
Düsteren Erde? Er wird donnern. Weh,
Mein Leid!

(Sie verhüllt ihr Haupt.)

Joseph
Er liest, Maria, Er will lesen!
Er nimmt die Rolle. Rollt sie auf. Horch! Horch!

(Maria bleibt verhüllt.)

Die Stimme Jesu, das Sohnes Gottes
»Der Geist des Herrn ist über mir,
Des hat er mich gesalbet, mich gesandt,
Zu künden all den Armen frohe Botschaft,
Zu lindern die zerstoßenen Herzen, zu
Verkünden den Gefangenen Erlösung,
Blinden Gesicht, Zerschlagenen Erbarmung,
Zu predigen das angenehme Jahr
Des Herrn und einen Tag der Rache Gottes.« Lukas IV, 18-19.

(Stille.)

Joseph
Nun rollt das Buch Er wieder zu, der kleine
Prediger.

Maria
Joseph! Joseph! Oh, mein Sohn!
Hörtest du, Joseph, wie Er aufstand? Wie
Er wuchs und mächtig wurde in der Stimme?
Wie dieses Kind die Hand aufhob und lehrend
Wurde? Oh, hörtest du? Die Kindheit, Joseph,
Die blieb auf dieser Reise, was nun wird
Ist der erwachte, der bewußte Jesus.
Wir sind die Eltern nun gewesen, Joseph!
Gott überwächst uns nun, es kommt die Stunde,
Da wir uns glücklich preisen, Seines Mantels
Saum zu berühren. Kommt die Stunde, Joseph,
Da Er die Jünger Schwester nennt und Mutter,
Die Seinen Willen tun. Dies unser Los.

Joseph
Maria, trauere nicht! Und soll ich mich
Nicht freuen, seh ich den geliebten Pflegsohn
Die Greise unterrichten?

Maria
Du bist, Joseph,
Nicht Mutter.

Joseph
Ich hin dein getreuer Joseph.

Maria (leise, immer verhüllt)
Ich bin allein.

Joseph (wieder spähend)
Maria, Er nimmt Abschied!

Maria (zuckt)
Er kommt hierher?

Joseph
Ich weiß es nicht, Maria.

(Maria enthüllt das Antlitz und wendet sich langsam um. In diesem Augenblicke fährt Joseph mit einem leisen Ausruf zurück, und im Rahmen des Vorhangs steht der Knabe Jesus. Er scheint mit Seinen Schultern. Tempel und Gebälk zu tragen. Maria sinkt ruhig in die Knie, Joseph blickt Ihn mit heller Freude an.)

Maria (ohne Ihn anzuschauen, mit tiefer, ruhiger Stimme)
»Kind, warum tatest Du uns so? O siehe,
Der Vater Dein und ich –
In großen Schmerzen gingen wir Dich suchen.«

Der Knabe Jesus, der Sohn Gottes
»Warum denn habt ihr Mich gesucht –?
Wußtet ihr nicht, daß Ich in dem sein mußte
Des Vaters mein?« Luk. II, 48-50.

(Maria schluchzt auf und umschlingt Seine Füße.)

(Donnerschlag.)

 

Drittes Bild:

Weites Land. In der Ferne Hügel. Vollmondnacht. Vereinzeltes Gebüsch. Maria und Joseph links unter einem Busche, sie schauen rechtshin über das Land. Maria hält den schlafenden Jesusknaben im Schoße. Sie sprechen leise.

Maria
In Silber liegt das Land.

Joseph
Die Nacht ist schön.

Maria
Oh, eine tiefe Nacht!

(Sie blickt nieder.)

Und dieses Kleinod,
Gerettet liegt Er mir im Schoß, schläft süß.
Der Mond bescheint Ihn, durch Ihn scheinend.

(Stille Betrachtung.)

Joseph!

Joseph
Maria?

Maria (blickt ihn an)
Faßtest du den Sinn der Worte
Voll auf?

Joseph
Nein, ich verstand nicht.

Maria
Siehst du wohl?
Wir wissen nichts von diesem schlafenden Knaben.
Ich meinte, Mutter, ich wüßt alles. Nichts.
Wir wissen nichts. Die weite Welt hält dieser
Knabe durch Seinen Atem ganz, und wir
Sind nichtig. Eines wissen wir: das Leid.
Dies ist das süße Erbteil dieses Süßen;
Denn Leid ist süß.

Joseph
Maria!

Maria
Leid ist süß.
Leiden für Jahwe, herzleiden für Gott.
Ist süß! Ist süß! Herr Jahwe will an uns
Verherrlicht werden, und so leiden wir
Für Ihn und jubeln Ihm im Himmel Dank
Für jede Stunde Leid, für jeden Seufzer Weh.
So ist es gut. Auch dieser Mondnacht Leid
Steigt mächtig auf zu Gott!

Joseph
Wie bist du gut,
Maria!

Maria
Horche meiner Rede, Joseph!
Gott ist so süß bei mir!

Joseph
Du Turteltaube,
Gurre dem Herrn!

Maria
Der liebe Knabe hier
In meinem Schoß stieg von den höchsten Himmeln,
Höher als Mondbimmel, höher als Sonnebahn.
Er stieg in meinen Schoß, Er schloß Sich süß mir ein,
Und als die Stunde kam, brach das Gefäß entzwei.
Es wuchs der Knabe groß, die Ärmchen mir um Hals
Arm wurden sie, das Kind lief auf und lief davon.
Es will den Manschen sprechen, dem Volke Israel,
Es will den Heiden winken mit Seinem starken Arm.
Die Eltern sind verlassen, verlassen ist das Heim;
Sie sind zurückgelassen, beraubt der Äste, kahl,
Einsam in Heide stehend, wie jener kahle Stamm.

(winkend)

Siehst du ihn, Joseph?

Joseph
Einsam steht ein Stamm.

Maria
Also auch wir, mein Joseph, einsam stehn.
Ich träumte diese Nacht.

Joseph
Was träumtest du,
Maria?

Maria
Diesen kleinen Knaben sah ich,
Sah unser Jesuskind, sah unseren Jesum;
Um Seine kleine, schmale Stirne hier,
Die königliche Stirn, die Stirn aus Elfenbein,
Gewunden war ein Kranzgeflechte stachlicht
Von Dornen; Tropfen Blutes rannen leise,
Sie rannen nieder, rannen über ein weiß Gesicht,
Sie rannen unaufhaltsam, sie hielten garnicht ein.

(Schweigen.)

Joseph
O weh, Maria! Gott verhüte dies
Leidvolle Dasein!

(Stille.)

Maria
Er wird es nicht verhüten!

Joseph
Weh, Maria,
Wie sprichst du?

Maria
Wie ich sehe, sage ich.

Joseph
Wie siehst du?

Maria
Wie ich ahne, sehe ich
Aus meinem süßen Wehe, aus meinem tiefen Leid,
Aus jenem Schwerte feurig, das Simeon mir bot.
Ich ahne in der Ahnung, ich sehe Weiten hell:
Gott Sabaoth will leiden, der alle Dinge schuf;
Ein innigstes Geheimnis, der Welten Wunsch und Weh.
Die Sünde herrschte bitter, da stieg Er rein herein
In sündensinnende Erde, da stieg Er bleich im Schein;
Es stieg der Sohn vom Himmel, Er ruht mir hier im Schoß,
In Seinem Leiden tilgt Er die Sünde riesengroß.
Sabaoth blutet, Joseph. Denn unser Bluten bot
Ihm Mitleid reinster Liebe, geht Er für uns in Tod.

Joseph
Du singst vom Tod, Maria.

Maria
Von der Sühne
Des Gottessohnes, die Er dem Vater bot,
Joseph, für unsre Sünden. Ich singe nicht von Tod.
Ich singe von Versöhnung, von Harfen ein rauschend Lied,
Ich singe von singenden Himmeln, ich singe ein Lied, ein Lied!
Ich singe von Triumphen, schmetternd in Jahwes Macht,
ich singe von hungernden Stumpfen, die Jahwe grünen macht!

(Stille.)

Joseph
Wir werden grünen, dies begreif ich. Sonst
Redest du dunkel, meine Braut.

Maria (seherisch)
Siehst du,
Joseph, das Wunder?

Joseph
Welches Wunder? Wo?

Maria
Blick an den Stumpf!

Joseph (blickt ihr nach in das Land)
Ich sehe. Oh! was seh ich!

Maria
Du siehst ihn sich bewegen.

Joseph
Äste recken
Wie Arme.

Maria
Sinnbild meines Liedes.

Joseph
Oh
Wie schön, Maria!

Maria
Buße! Buße! Buße!
Denn Gottes Blut ist nah. Oh, Buße! Buße!
Denn mir im Schoß ruht Gott. Und eine Dornen-
Krone umwand Sein Haupt. Oh, Buße soll
Rufen das ganze Land vom Baum zum Stein,
Vom Berg zum Bach, vom Mensch zum Wurm!
(erschöpft)
Oh, Buße!
Buße um den, der hier noch schlafend ruht!

Joseph (kniend)
Siehst du jetzt Gott, Maria?

Maria
Um den Stumpf dort
Hör ich Geräusch, ein Rauschen wie von Lüften,
Die einsaugt eines Menschen Atem.

Joseph
Hörst du?
Maria?

Maria
Wahrlich! Wahrlich! Ruf mit mir
Du Baum dort, Buße! Ruf zu Ehre des Herrn,
Der dich geschaffen, wie auch ich rief. Buße
Ruf übers Land aus, Land du!

Die Stimme Johannes des Täufers
(wie Donnergedröhn, in siebenfachem Echo)
Metanoeĩte!

Maria
Hörst du, Joseph!

Die Stimme Johannes des Täufers
(widerhallend)
Metanoeĩte!
Der Knabe Jesus, der Sohn Gottes

(erwacht, tritt neben Seine Mutter, hebt beide Arme auf, ruft)

Metanoeĩte!

(Sternschnuppenfall. Maria und Joseph beten an.)

 

Ende vom letzten Mysterium.


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