Reinhard Johannes Sorge
Nachgelassene Gedichte
Reinhard Johannes Sorge

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Lieder des Unmündigen

        Lebe! Lebe! sprach mein Schöpfer
Und umschlang mich mit dem Arm;
Wonne fuhr mir wie ein Nachtblitz,
Und da ward ich, liebewarm.

———

Gott hielt mich bei der Hand
Und gab mich hin,
Dunkel und warm empfand
Ich mit dem Sinn;
Gab mich ins Menschenland,
Wo ich nun bin,
Und in der Engel Hand
Harre ich hin.

———

Ich singe meinem Herrn im Dunkeln,
Ich singe Gott in der Nacht,
Ich singe dem Herrn, der funkeln
Alle Sterne macht.

Ich singe, der mich im Dunkeln
Wundersam gemacht.

———

Durch zwei dunkle Tore
Unverhofft und groß
Führt uns Gottes Sorgen
In das hohe Los:

Eines ist versiegelt
Als der Mutter Schoß,
Der am ersten Morgen
Mir sich licht entriegelt.

Andres ist verborgen
Bis zum letzten Tag,
Wo mit einem Schlag
Gott sich mir entriegelt.

———

Aber warum bangen
Vor dem hehren Tag?
Gott hat angefangen,
Der es enden mag.

———

Siehe, liebe Mutter,
Wirst du es erraten,
Wenn die Engel linde,
Die mir innig nahten,

Meine Küsse spüren
Deinem Herzen nahe,
Meine Hauche rühren,
Süße Liebe führen

Mit des Kleinen Willen
In der Mutter Odem;
In der Mutter Tiefe
Sie mit mir zu stillen?

———

Mutter, was blitzt mir
Tief in die Nacht?
Ist denn die Welt
Schon aufgewacht?

Sage dem Kinde,
Mutter, was weht?
Mutter, wie linde!
Oh, dein Gebet!

———

Ich in dir, und du
Bangst der Stunde zu;
Mild sei alles Leid,
Linde sei das Kleid
Dir, das Schmerz dir näht. –
Hast du's schon erspäht?

Wenn ich wehe weh
Und das Weltlicht seh, –
Kann denn dich gereun,
Wo sich Engel freun?

Nacht ist um mich. –
Wie wird das sein?:
Auf einmal Erschüttern,
Licht bricht ein.

———

Wenn mit dem Vater mein,
Blick in die Sonnen,
Du gehst am Wegesrain,
Fühl ich umronnen

Mich in der blinden Nacht
Von einem Schimmer.
Sonne! so sagt ihr sacht;
Ich lausche immer.

———

Haftet dir nicht ein Schmerz
In den Gebeinen?
Mutter, ums Mutterherz
Ist es wie Weinen.

Früheren Leides Spur
Spüre ich leise;
Führt nun zu Licht-Azur
Im Paradeise.

———

Ich ahne schon Blüten und Bäume,
Ich ahne schon Himmel und Licht;
Unbegrenzte Räume
Dämmern ins Gesicht.

Ich ahne die schwirrenden Flügel
Von Blüte und Schmetterling,
Hingeschwungne Hügel,
Ahne alles Ding.

———

Er hat den Flötenton
Der Engelsscharen,
Manchmal – der Gottessohn,
Kommt Er gefahren.

Er hält das Licht zurück
Im großen Scheinen,
Er streicht mein Haupt mit Glück,
Er küßt den Kleinen.

———

Wenn deine Hände leis
Schneeweißes nähen;
Ich guck dem Faden zu,
Wie sie so nähen.

Für mich ein Hemd, ein Kleid,
Hüllendes Leinen;
Für mich die Sorgsamkeit,
Für mich den Kleinen.

———

Mütterchen, wenn ich sing,
Dann lausch ich immer
In eine Orgel hin,
Die singt im Schimmer

Aus allem Himmel mir,
Wie ich es laute;
Die liebt den Singenden,
Der sie erschaute.

———

Wenn die Glocken klingen
Huschst du übers Feld:
Mit den Engeln singen,
Bitten für die Welt.

———

Wenn die Orgel anhebt,
Kniest du hin zum Mahl,
Und die Liebe küßt dich,
Und das Kind erbebt.

———

Ich bin dein Kind in dir,
Du bist ein Kind;

In einem Mutterschoß
Bist du wie ich.

Ahnst du wie ich, schläfst du,
Träumst du wie ich

In einem Mütterschoß,
Bis Gott dir auftut?

———

Mein Herz tut gleichen Schlag
An deinem Herzen,
Bin wie ein Blütenhag
Dir unterm Herzen.

Bin wie ein Knospenwald
Dir im Gewebe.
Spring ich zur Blüte bald?
Mütterchen, bebe!

———

Ich geh in Schoß,
Ich geh in Leid;
Das Leide wird
Mein Hochzeitskleid.

———

Ich bin in Schoß,
Ich bin in Zeit;
Ich leide für
Die Ewigkeit.

———

Ich bin mit Engelskuß
Dir süß versiegelt;
Denn mich trifft stets der Gruß,
Wenn sich entriegelt,

Mütterchen, dir das Tor
Vom Tabernakel;
Rein tritt das Brot hervor,
Er, ohne Makel –

Wenn Er Sich niedersenkt
Ins Tiefe, Dichte,
Und dich verhüllt umfängt,
Schau ich Gesichte.

———

Gebt mir das Osterlamm
Auf meine Zunge!
Gib mir das weiße Lamm –
Mütterchen! Mütterchen!

———

Er tritt an mich heran
Auf lichten Sohlen,
Er rührt im Kuß mich an
Wie Feuerkohlen.

Der Jubel schlägt wie Brand
Mir durchs Geblüte;
Noch wenn Er längst entschwand
Träumt mein Gemüte.

———

Süß fließt mir Unterweisung,
Wenn Er mir Leide zeigt;
Er schlägt zurück das Kleid sein,
Er steht da überneigt

Von einem bleichen Trümmern,
Erschüttert ohne Laut;
Das Kind in dunklem Schöße
Sieht Licht und weint und schaut.

———

Weine nicht, weine,
Mütterchen mein,
Sinkt mir die Träne
Schmerzlich herein!

Über dem Wehe
Leuchtet das Licht,
Über dem Leide
Läßt Er uns nicht!

———

Nichts wissen: so
Heißt unser Los.
Wir träumen nur,
Wir stammeln bloß.
In sonnigem Eden
Gibt Er Rat.
Lenkt Er die Dinge,
Sprießt die Tat.

———

Ihr seht, was ich nicht sehe,
Ihr habt die weite Welt;
Rätselhafte Nähe
Ist vor euch erhellt.

Ihr träumt inniges Tasten
Um euch um und um;
Und in süßem Rasten
Lieg ich träumend stumm.

———

Die Tage wachsen sacht
Zu ihrer Fülle:
Bald bin ich aufgewacht,
Bald springt die Hülle;

Ich breite Arme und
Bin dann im Hellen;
Rings auf dem Erdenrund
Flüstern mir Quellen.

 


 


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