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Hände des Menschen

Meine hageren Hände sind bleich geworden,
schimmern schwanenweiß
ein Schwanenlied,
ich opfre sie Gott,
sie sollen nicht ruhn, nicht ruhen.
Schaffe aus ihnen Erde und Himmel
oder zerstöre Himmel und Erde,
verdamm nicht meine töricht weisen Hände,
die sind, was sie jemals waren:

Du hast sie
mit pochenden Herzen verbunden,
gütig versenkt in triefende Wunden,

geil in süßwarmes Frauenfleisch getrieben,
daß sie Schmerz der Schöpfung zerhieben,
der Männer Seelen, die Augen der Kinder,
wie jemand auf den Tasten Harmonie der Quellen zerschlägt,

und sie haben Blut geblüht und Feuer;

manchmal haben sich meine Hände verleugnet,
Demut gebebt, –
auch Dich haben meine Hände geleugnet,
Trotz erlebt;

oft wurden sie in Äser getaucht.

Welle, Wind, Nacht, Sonne, gesegnet!
gesegnet, haben meine Hände gesegnet:
Schönheit gab Dein Spiegel.

Der Welt Gewissen durften sie halten,
Irrende, Würger, Tiere, Gewalten –
tiefverwurzelt und treu dem Wandern,

nicht wußte die eine von der Tat der andern,
leidende Hasser der Welt;

schwesterlich zum Gebete gesellt:
Liebende und Geliebte der Welt.

Stäubchen stürz ich der Ewigkeit zu

Der Dinge Gewirr ist Gottes Gebot,
ich bin der Narr, den Tanz der Welt zu erzwecken
aus verzweifeltem Leid in fröhlichen Tod,
mein Weg um den Weg will das Nichts entdecken.

Teilchenteil aus Technik, Kultur;
wirble durch Unrast in endliche Ruh,
Mensch zog Grenzen und baute die Uhr,
einmal macht Gott die Augen mir zu.

Antwort auf Gott

Die Welt war Christus der Tragik verfallen;
ich hab die Tragik aus der Welt gelöscht.

Die Wellen überstürzen sich,
Blut und Erde und Himmel in Strom,
Sterne, des Weges zweckbar bewegtes Geschehn,
ewiges Leben, überall Tod,
Tage sind immer, ein Tag vergeht,
Nacht bleibt ruhn und Nächte fliehn,

was raunt der Zeit in die Stille sein Nein,
wer spricht dem Sterben im Raum ein Ja!?

Freunde

Fels, der neben mir in Raum und Wetter ragt:
Welle, die uns umspielt, durchbraust, benagt;

Wanderer, der mit mir ins Weite geht;
Hauch, Wind, Sturm, der uns beweht;

Wurzel wie ich, tragen wir einer Krone Last:
Erdreich, das uns nährend umfaßt.

Ahnung in der Zeit

Wer Deine Nächte wandernd erlebt,
kennt Deinen Tag,
der Nächte durchwebt:
im Takt der kreisenden Räder bebt
der Erdball
Tag und Nacht: Ursang ist erwacht,
klagende jauchzende Unrast
singsangsingt,
singt Tat, Arbeit klingt
von Pol zu Pol ohne Erlösung:
Lärm, Bewegung,
Musik.

Schmerz erkannt,
wortgebannt,
der Erde Schmerz, der nie verstummt,
wie Draht, gespannt über Herden und Maschinen,
verdammt, zu dienen,
summt, summt,
verdammt zu dienen,
wie wir:
Zeit im Hymnus der Göttlichkeit.

Im Schein der Essen,
die Blut sind und Rosen,
sind wir gesessen,
verkauert, o Herr!
Blind.

In klingender Ferne
brüderlich Wind und Sterne,
in der Welle ewiges Sein …

Die Stille,
immer hat Stille Deinen Schritt gehört:

Hämmer schweigen; Kessel barsten,
Feuer erlosch; und Wasser, Geschöpf und Luft ist stumm,

es schlagen die Pulse der Ewigkeit.

Mach mich blind

Mach mich blind,
irrsinnig oder zum Kind,
verwisch mir das Antlitz der Welt,
warum hast Du mich
lesen gelehrt in allen Zügen:
Mord im Antlitz des Mannes,
im Antlitz der Erde, der Welt,
Verbrechen im Antlitz des Weibes,
des Raumes, der Zeit;
aber Du: wo bist Du
im Antlitz der Welt,
Wehrloser, Ehrloser!?

Weib

Wenn meine Quellen versiegen,
siegt in dir:
Hosianna ich Weib,
Ursiegerin.
Unaufhaltsam stürzt,
was aus mir geboren,
in den Schmerz.

Weib, Wahnsinn weinst du,
du kicherst Irrsinn,
Gott weint und triumphiert aus dir,
Ursiegerin.

Aufruf

In Schmach gerinnt Blut
für Jehova der biblischen Klage,
den Mordgott der Könige, der falschen Propheten,
ich staune,
seines Augenblickes Laune
macht die Erdgebornen irr:

Für Jehova der biblischen Klage
fließt Blut –
unnütz fließt Blut.

Mein Gott, der Völker Gott, im Blutgewirr
ersteh Du, Wahnsinn der Liebe, die Hasser zu töten!
Laß Lebensmut den heiligen Aufruhr singen,
Empörung der Herzen den Tod bezwingen:
Liebe will leben und Jugend will leben,
Schönheit will leben,

säe der Liebe süßen Heldenmut.

Elegie

Wieder hat sich das Böse erbrochen:
um und um verwest das Land,
wüstes Land,
gottlos.

Göttliches Selbst in sich verkrochen
mitten in mir,
Kern der Welt.

Tief, tief, tief wohnt Gott,
bang allein:
Wem schenk ich Gott aus mir,
Keim, Welt, Sein?

Weh, Stahl, weh, Stein,
Vergänglichkeit,
arme Maschine,
gefügt aus Verstand,
Erde, Sand verrinnt im Sand,
deine Nieten werden morsch,
Mensch.

Klagegesang 1915

Oh, Erde, Erde! Krieg.
Oh, Erde, Blindenhaus der schwarzen Felder!

Menschen werden von Menschen mutwillig geschlachtet,
Tiere, wutbrüllend
unverständliches Morden wider den Geist –
Tod ohne Tat, zielloses Blut:
es erstickt das siebenmal haßdurchbohrte Weltherz.

Gräberfurchen wühlt ein rostumflorter Pflug
in den jäh verdorrten Weinberg meiner Menschheitsstirne.
Blutschwarzer Geier erdennaher Flug
durchkreuzt Vergangenheit,
umnachtet Gegenwart,
da Leichenzug um Leichenzug
sich stürzt in totgeborne Zukunft,
Seiendes begrabend:
ach, das Nimmermehr der Welt.

Der ewige Tag wird eingescharrt
und die unsterblichen Gestirne:
was erlischt nicht die Sonne
an der Einsamkeit düsterster Erkenntnis
Erd und Himmel, Sein, All, Wirklichkeit –
die Welt ist Wahn.

Geschöpfe sind aus Staub gemacht
und unser Herz ist Staub –
Geist, Erde und Gestirne Staub.

Oh, Macht der Menschen über Menschen!
Gewaltige der Macht, die Wind mit Blut bebauen,
Gesetze züchten, uns zu würgen,
von unserm letzten Hauch zu leben,

weh Tyrannen,
die in Gewalt gedeihen
und Haß in Recht entfachend,
Brudermord bereiten.

Und die Ohnmachtmächtigen der Erde:
Huren, Vagabunden,
deren Armut unrein ist
wie Lüge, Neid und Gier,
ein räudig Pack aus Läusen und Gestank!

Und ihre Kinder sind die Sündenbrut der Alten.

Denn Liebe: Liebe – Unglück in der irren Weltmechanik,
Liebe: Verrat, betört Verworrenes,
das Wollust schreiend,
Schwachheit röchelnd,
Trug gebärend,
doch zu Grunde geht.

Ich aber bin allein geblieben,
bin elend bang allein geblieben,
das Tränenmeer zu trinken zwischen Höll und Hölle.
Wohin hab ich verloren
Welt und Weib und Wesen,
was zu verlieren war, verloren,
daß ich nicht sterben kann?!
Was ruf ich an? Was ruf ich an!
So trostlos hart, so schwer, so bang bin ich allein.

Krieg auf Erden

Ich bin nicht müde; ich torkle in Zeit.
Durch irdischen Raum der Bangigkeit.

Heute ist heute, morgen oder gestern,
blinde Brüder sind die Tage
und die Nächte stumme Schwestern:

Immer nur des Mannes krampfverkrümmter Mund,
des wartenden Weibes blutglühender Schoß.
Viele Leiber liegen wund,
und heilende Hände gehen zu Grunde.
Aus zwei offenen Augen spricht
erstarrter Liebe ewiges Licht.
Ein Kind, das verriet, wird erschossen:
Wer hat mein Blut vergossen!

Leid, Leid, es tönt so leidend: Leid …

Ledig der Welt

Zeit, Zeiger, Zifferblatt, Draht
und Räderwerk: Uhr.
Hauch verwischt die Spur,
Wink verdirbt die Spur
der Zeit.

Verständlichen Versenkens Drang
in hündisch aufklärenden Stank,
gute Welt, dein Sang:
Logik in Lenden und Haar,
wundertätiger Erscheinung bar,
spirales Stürzen in Dreck, menschlich geschraubt:
petroleumlicht erleuchtetes Haupt,
bündig gezeichnet in Straßenstaub,
bezwingende Pferdekraft überhaupt,
Zifferblattlaus –
o Mensch, du liebe gute Welt.

Die Welt glaubt an die Uhr.

Du hast den Blick mir abgewandt
wohin zu Dir
und mir Dein Wesen zugewandt:
und es versank die Uhr,
ich bin in Gottes Hand,
Du bist in mir.

Weihnacht

»Alle kleinen Lichtlein sterben«
bis das letzte Licht erlischt –

das Dunkel duftet Reisig und Tod.

Der Mann preßt seine Stirne
an eine Fensterscheibe,
die Augen zu, allein:

Ich müßte das Fenster öffnen –
unten auf dem Asphalt
zerschellt die Maschine.
Von Gott verlassen.
Niemand sieht meinen Tod,
so ist Nacht.

Die Mutter meines Sohnes
schläft wie ein Stein,
der nicht plötzlich erwacht,
wenn ich denke: Tod …

Die war mir Liebe
und liebte mich:
Immer erfüllt mich
das wandelbare Herz
mit Trauer, ich wundere mich.

Meine Freunde sind tot:
zu jung, das wandelbare Herz
zu ertragen, begingen sie Selbstmord,
Selbstmord.

Mein Kind erschauert im Traum;
etwas schreckt meine Mutter
aus dem Schlaf,
sieben glühende Schwerter:
Wenn mein Blut schon versickert,
verdampft und gerinnt,
fühlt meine Mutter:
mein Sorgenkind …

Morgenkühle weckt meine Frau,
verschlafen schließt sie
das Fenster hinter mir,
schläft in den Tag.

Und ein Marktweib findet
am Bürgersteig meinen Kadaver.

Im Spital

Schwester, ich halte dich heilig.
Aus gotischen Gewölben,
denen du Heimlichkeit und milde Seele warst;
aus Klöstern und aus Domen,
in deren still entschlafenen Raum
verspätet drang das Echo meiner Schritte:
kommst du in mein Empfinden,
mitten in mein Herz,
selbstlose Barmherzigkeit,
wunderbar keusch auferstandener Begriff,
soror pia,
Unantastbare.

Deine engelflügelleichten Hände
umflammt der lebendigen Quelle Morgenrot,
aus deiner blendend weißen Umhüllung
aufblühen die dunklen Rosen unseres Blutes.

Immer linderst du Schmerzen.

Deine Finger sind weich wie sterile Gaze,
sanft küssen sie sieche Leiber gesund,
Schwester,
und unser Leben segnet sie.

Dummheit kriecht an uns empor:
Handlanger der Wissenschaft
mit leeren Gebärden, unwissend,
von hundert Doktoren kaum ein Arzt,
Arzt, ein gütiger Künstler,
ein Priester, mein Bruder,
der heilende Hände hat wie du,
dein Bruder.

Wir ruhn auf gebrackten Fähren hier,
alle Welt ertrank hinter uns …

Unsäglich trostlos die Tage dieser Fahrt,
bang, bang, bang ohne Welt,
durchfurcht von Gestöhn die Felder der Nächte.

Nur deine Augen sind Licht,
Gott sind deine Hände.

Kraft zu Blühn

Krieg ist jetzt, Winter, wir haben den Traum,
gläubige Brüder, ein Mensch und ein Baum:
Einmal war Frühjahr plötzlich vorhanden,
selig sind wir in Blüte gestanden.

Noch im Verblühn
durften wir dann
verschattete Hecken
mit leichten Blumenblättern bedecken.

Aus unseren winzigen Stempeln schufen lichte
himmlische Finger süße Früchte:
wir mußten, von Gottes Gnaden beladen,
in Demut die Häupter senken,
Blut Gottes willig der Erde verschenken.

Krieg ist jetzt, Winter, wir werden in harten
Tagen die endlichneue Blüte erwarten,
wissende Brüder, Mensch und Baum,
ruhn im Traum,
leidvolle Zeit verloren geht:

Liebe ersteht.

Augenblick

Blutüberkrustet, erfroren, hungernd, verloren
liegt ein Soldat:
sterbensqualerrufen, wahngeboren
hallt ein Choral
mit gotterfüllter Gewalt
in die Schlachten,

und der Sohn des Menschen, der Geist ward, wallt,
unverkündet, spätergründet,
durch das schreckliche Umnachten,
lichtwallt,

verhallt, entschwindet.

Wohin, wohin?

Entschweben

Ich weiß, daß es Nächte gab, schwer von Gemeinsamkeit
mit dem gewollten Gott, mit dem erdachten All,
der Sternenwelt, der Welt, der Erde,
Menschheit, einem Volk,
einem Geschöpf: lebendig oder tot,
Mann oder Weib und Tier,
mit einem Ding –
beschwert.

Ich lebte in der Zeit,
gequält von Leidenschaft,
bitter von Einsamkeit,
überreif von Liebe,
gepeitscht von Angst,
vom Wort erfüllt,

ich weiß, ich lebte auf Erden.

Ich weiß, in dieser Nacht
ist Krieg im Krieg, Gewalt mit Gewalt,
Erde verblutet und Gott verhallt,
Gesang
verliert der Taten Klang,
gläubigen Klang,
Seele versiegt.

Ich schreite zusammen mit mir zuzweit,
wie nichts so leicht,

Erde weicht,
Gott erliegt,

ich schwebe aus der Zeit.

Hochgesang

Daß ich Dich lieb im willig zerwirbelten Raum sonder Raum,
Liebe,
zeitzerstörendes Maß!
Kein Ebenbild, kein Bild spricht Dich an,
ganz Gott,
im Takt des Lebendigen strömst Du,
strömst immerfort,
die begehrten Dinge verfegst Du,
in Irrsal,
Gott Du,
Liebe.

Ein Dichter stirbt im Kriege

Niemals hat dein Fuß die Erde beschattet.
Irgendwo inmitten der Landschaft
muß ein Flammen sprießendes Herz sein,
blauen Rauches verschwebender Rauch,
von Ahnung gehaucht, wird Ferne.

Man blickt über silbersonnige Fläche in ein Morgenland,
süß steht die Sonne zwischen Himmel und Erde,
buntes Volk schmückt sie mit Palmenzweigen,
ein Mädchen küßt eines Sehers Mantelsaum.

Aus Gott fließt Einsamkeit,
Liebe und Verzückung.

Plötzlich stürzt die Ferne ein,
der Blick kann über eine Spur im Schnee nicht hinweg.

Ein Mensch ging aus, Wild zu töten,
das nie vor ihm schreckte.

Das heimatliche Land ist zerstört,
ein Fuß hat es verbrannt,
man leidet als Mensch.

Das wissende Blut schreit seit Körpergedenken:
Wein!
vielleicht verschwindet die Spur, ersteht die Ferne,
vernarbt die Wunde, vielleicht betäub ich mein Herz.

Aber nimmermehr wird die Landschaft klar,
ein Schleier trübt den himmlischen Kristall,
Vogelbeeren kleben wie Blut im Laub:
schwere Erde ist berührt, Erde ist verfemt.
Tränen erdrücken den Augenblick,
gottverlassener Schritt wird grollend Qual:
Menschen bewohnen die Erde.

Endlose Irrfahrt macht Unerhörtes wahr,
feindliche Flammen versengen Brot und Geist,
böses Vergehen wächst aus erduldetem Gram,
Verzweiflung und Angst wird blutiger, massiger Menschenkot,
Dünger ist aufgeweckt, die Hölle brüllt,
verpestete Äser stinken aus erwühlter Erde,
Äser baumeln auf verkohlten Ästen,
Schweigen bestürzt,
unrein ist der Wind,
blutig ist der Laut.

Eine verfluchende Hand hat die Erde aus dem Weltall gerissen,
düster weggeschleudert;
alle Sterne haben sich schmerzhaft abgewandt,
und die Sterne durften, im gnädigen Anblick Gottes,
vergessen. –

Uns wird niemand zertreten,
niemand erlösen nach schwerem Tod,
Gott hat uns verlassen, uns ist Ewigkeit verdorben;
immer wird eine schmutzige Faust
mein erschlafftes Herz zusammenpressen.

Unsäglicher, aus dem es sang,
Wahnsinn ist Pflicht, Wahnsinn ist Licht, ewiglich,

niemals hat mein Fuß die Erde getreten,
Überwältiger der kühnsten Gewalten,
entfeßle mich von der Welt.

 


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