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Vorsatzblatt

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Humphry Klinkers
Reisen.
Zweyter Band.


An den Doctor Lukas.

Mein lieber Lukas,

Ihre Fabel vom Affen und Ferkel ist, wie's die Italiäner nennen, ben trovata , allein ich werde sie meinem Apotheker nicht vorsagen, weil er ein stolzer Schottländer und sehr kitzlich hinter den Ohren ist, und wer weis? wohl gar schon sein Doctordiplom in der Tasche hat. – Ein ächter Schotte hat allemal zwey Sehnen zu seinem Bogen, und ist in utrumque paratus – Gewiß ists, daß ich dem Ausfegen nicht ausweichen können; allein ich glaube, daß ich durch dieses Ausfegen einem größern Uebel entgangen bin, vielleicht einem verdrüßlichen Anstoße von Podagra oder Gicht; denn die Eßlust fieng mir schon an zu vergehn, und es gieng mir zuweilen dergestalt in den Eingeweiden zu Werke, daß mich nicht gut dabey däuchte – Ja, noch bin ich dieser Erinnerer nicht völlig los, welche mich warnen, in diesem Mittelpunkte der Ansteckungen noch länger zu verweilen –

Was für Versuchungen kann ein Mann von meiner Gemüths- und Leibesbeschaffenheit haben, an einem Orte sich aufzuhalten, woselbst jeder Winkel neue Gegenstände des Eckels und des Abscheues zur Welt bringt. Was müssen die Leute für Sinne und Geschmack haben, welche wirklich die verfälschten Ergötzlichkeiten der Stadt den ächten Freuden einer ruhigen Wohnung auf dem Lande vorziehn können! Die meisten Menschen, ich weis es, werden durch Eitelkeit, Ehrgeiz und kindische Neubegierde verführt, welche nicht anders befriedigt werden können, als in dem geschäfftigen Umgange mit Menschen: allein während der Zeit, daß sie diese ihre Begierden zu befriedigen suchen, wird alles, bis auf die Werkzeuge der Sinne, an ihnen stumpf und verderbt, so, daß sie an nichts, was ächt und in seiner wahren Natur vortrefflich ist, Geschmack finden können.

Soll ich meine Stadtleiden und meine Landfreuden einmal ein wenig herrechnen? Zu Brambleton-hall habe ich in meinem Hause die Ellbogen frey, und athme eine helle, elastische, gesunde Luft – Ich genieße einen luftigen, erquickenden Schlaf, der durch kein scheußliches Lärmen gestöret, und durch nichts eher unterbrochen wird, als durch das süße Gezwitschere der Schwalben vor meinem Fenster – Ich trinke von der jungfräulichen Quelle, so rein und christallinisch, wie sie aus dem Felsen hervorstürzt, oder das goldfarbne Getränk, das aus meinem eignen Malze in meinem Hause gebrauet wird; oder trinke auch wohl dann und wann ein Glas Apfelmost, den mir mein eigner Obstgarten liefert; oder auch ein Glas Pontack, vom besten Gewächse, den ich zu meinem eignen Gebrauche von einem Correspondenten verschreibe, auf dessen Ehrlichkeit ich mich verlassen kann; mein Brodt ist schmackhaft und kräftig, in meinem eignen Ofen gebacken, von meinem eignen Weitzen, der auf meiner eignen Mühle gemahlen ist. Mein Tisch wird größtentheils mit Speisen besetzt, die mir in die Hand wachsen; meine fünfjährigen Hammel, welche sich von den wohlriechenden Kräutern auf den Bergen weiden, sind so saftig und kräftig, als das beste Wild; mein delikates Kalbfleisch, das nach nichts als der Muttermilch schmecken kann, füllt die Schüssel mit Saft, wenn es angeschnitten wird; mein Geflügel vor der Scheune weg, das niemals eingesperret wird, als wenns des Abends aufgeflogen ist; Meine Kaninchen, frisch aus dem Garten; meine Schnepfen und Rebhüner lasse ich schießen, wenn ich sie essen will; Austern laß ich von ihrer eignen Bank holen, und Heringe und andre Seefische kann ich essen, wenn sie eben vor vier Stunden gefangen sind. – Meinen Sallat, Wurzeln und Gemüse, giebt mir mein eigner Garten in Menge, und gut; der Boden ist so fruchtbar von Natur, daß er nur mäßige Wartung erfodert. Eben dieser Boden liefert auch alle die verschiednen Früchte, von welchen man sagen kann, daß sie in England zu Hause gehören, so, daß mein Nachtisch alle Tage frisch von den Bäumen gebrochen wird. In meiner Holländerey fließen nektarische Ströme von Milch und Rahmen, woraus vortreffliche Butter und Käse gemacht werden; das übrige an Molken und Buttermilch mästet die jungen Schweine, die zu Speck und Schinken aufwachsen. – Ich gehe zeitig zu Bette, und steh mit der Sonne wieder auf. – Meine Zeit geht ohne Langeweile oder Verdruß vorüber, und es fehlt mir nicht an Zeitvertreib im Hause, wenn mir das Wetter nicht erlaubt auszugehn. – Ich lese, ich plaudre mit einem Freunde, spiele Billard, Karten, oder im Brete. – Außer dem Hause habe ich ein Auge auf die Landwirthschaft, und führe Entwürfe zur Verbesserung aus, deren Wirkungen mir ein unaussprechliches Vergnügen machen – Nicht weniger Freude macht mirs, wenn ich sehe, daß meine Pächter und Bauern gut fortkommen, und der Arme durch die Beschäfftigung, die ich ihm gebe, seinen ordentlichen Unterhalt gewinnt. – Sie wissen, ich habe einen oder zween vernünftige Freunde, gegen die ich mein Herz ausschütten darf; eine Glückseligkeit, die ich vielleicht in den gedrangvollen Auftritten des Lebens vergebens gesucht haben möchte: Ich habe noch einige, deren Kopf nicht so helle ist, die ich aber wegen ihrer Redlichkeit hochschätze; und ihr Umgang ist nicht lästig, obgleich auch nicht sehr unterhaltend. Endlich, so leb' ich mitten unter ehrlichen Leuten und treuen Hausgenossen, von denen ich mir schmeichle, daß sie eine uneigennützige Liebe für meine Person hegen. – Sie selbst, mein lieber Doctor, können Bürge für die Wahrheit dieses Vorgebens seyn.

Nun merken sie den Abstich in London – Ich bin in engen Zimmern eingepäkelt, worinn nicht so viel Raum ist, einen Hund tanzen zu lassen; ich athme den Qualm von verfaulter Luft, welche sicherlich eine Pest hervorbringen würde, wenn sie nicht noch von der groben Säure der Steinkohlen geschwängert wäre, welche aber selbst schon einer etwas zarten Lunge sehr schädlich ist. Aber auch selbst dieses so berühmte Gegenmittel kann doch die Einwohner von London nicht vor dem schmachtenden, bleichen Ansehn bewahren, das sie von den vollblütigen, starken Jünglingen unterscheidet, die auf dem Lande leben. – Ich gehe erst nach Mitternacht zu Bette, matt und rastlos von den Zerstreuungen des Tages – Alle Stunden fahre ich aus dem Schlafe auf, von dem scheußlichen Lärmen der Nachtwächter, die durch alle Gassen ausschreyen, was die Glocke geschlagen, und mit ihren Stangen an alle Hausthüren donnern; ein Haufen unnützer Kerle, die nichts anders thun, als die Leute im Schlafe stören; und um fünf Uhr werde ich von dem noch fürchterlichern Tumulte aus dem Bette getrieben, den die Bauerkarren und das Geheule der Gärtnerweiber machen, welche grüne Erbsen und dergleichen unter meinem Fenster ausrufen. Will ich Wasser trinken, so muß ich das trübe Zeug aus einer offenen Wasserleitung verschlucken, die auf alle Art verunreinigt werden kann, oder gar Flußwasser aus der Themse schlurfen, worinn aller Unrath von ganz London und Westminster zusammen kommt – Menschlicher Auswurf ist noch das wenigste Schlimme in dieser Masse, die aus allerley Kehricht, Mineralien und Giften, welche die Handwerker und Fabrikanten bey ihren Geschäften brauchen, besteht, bereichert mit den faulenden Aesern von Thieren und Menschen, und vermischt mit dem Spühlig aus allen Küchen, Waschhäusern, Mastställen und Siedereyen in der ganzen Stadt.

Dieses ist das liebliche Getränk, welches die Londoner als das beste Wasser von der Welt herausstreichen. Was das berauschende Gebräu betrifft, welches man für Wein verkauft, so ist das eine häßliche, ungesunde und geschmacklose Mixtur von Aepfelmost, Kornbrantewein und Schleesaft. Bey einer gerichtlichen Klage, die ein Weinhändler gegen einen Karrenführer erhoben, der einem Oxhöft Wein den Boden ausgestoßen hatte, erhellete aus dem Zeugnisse des geschwornen Küpers, daß in dem ganzen Gefäße, welches über hundert Stäbchen enthielt, nicht mehr als fünf Stäbchen wahren Weins gewesen, und auch dieser war schon von dem Kaufmanne in Oporto gebrauet und getauft. Das Brodt, was ich in London esse, ist eine unverdauliche Paste; dem Geschmacke wie dürre Sägespäne und der Gesundheit höchst schädlich; die ehrlichen Leutchen wissen freylich, daß es verfälscht ist, aber sie ziehens doch dem gesunden Brodte vor, weil es weißer ist, als das von Weitzenmehl: und so opfern sie ihren Geschmack und ihre Gesundheit und das Leben ihrer zarten Kinder auf, um sich nach dem Urtheile ihrer trüglichen Augen zu richten; und der Müller sowohl als der Becker, will er anders von seinem Gewerbe leben, muß sie vergiften, wenn er auch gleich nicht gerne wollte. Eben die Unsinnigkeit zeigen sie bey ihrem Kalbfleische, welches durch öfteres Aderlassen und andre solche Bubenkünste so weit gebracht wird, daß kein Tropfen Saft mehr im Körper nach bleibt, und das arme Thier an der Schwindsucht sterben muß; dadurch hat es denn so wenig Nahrhaftes, oder Saft und Geschmack, daß ein Mensch eben so lieb ein Gehacktes von weißlasurten Handschuhen oder von italiänischen Strohhüten essen möchte.

So wie sie von ihrem Brodte, ihrem Schlachtvieh, Geflügel, ihren Cotelets, Ragouts, Frikasseen und allen Arten Brühen die natürliche Farbe verbannt haben, so haben sie ihren Kopf darauf gesetzt, die Farbe ihrer Gartengemüse, selbst auf Kosten ihres Lebens, zu verbessern. Ihnen, mein lieber Lukas, wird es vielleicht sauer ankommen, zu glauben, daß die Leute hier so toll sind, in die Töpfe, worinnen sie solche kochen, Kupfermünzen zu werfen, um sie hübsch grün zu machen, und dennoch ist nichts gewisser. – Freylich haben sie außer dieser erhöheten Farbe gar nichts Gutes mehr. Sie werden auf gekünstelten Boden gezeugt, und schmecken nach nichts, als nach dem Mistbeete, worauf sie gewachsen sind. Mein Blumenkohl, mein Kopfkraut und Spergel auf dem Lande ist eben so vorzüglich vom Geschmacke gegen die, welche man in Conventgärten verkauft, als meine Heydschnucken gegen die Hämmel auf St. James Markte; denn die sind eigentlich weder Lamm noch Schaaf, sondern so ein Ding zwischen beyden, das in den stinkenden Morästen von Lincoln und Essex aufgekröpft, und bleich, grobfadigt und trocken ist. Das Schwein ist ein schändliches, aasfressendes Thier, das hier mit Pferdeluder und Branteweinstrebern gemästet wird; und das zahme Federvieh ist alles stinkend, und zwar kommt das von einem Fieber, das das Vieh durch den schändlichen Gebrauch bekommt; daß man ihm die Gedärme vernäht, damit sie durch diese grausame Verhaltung desto eher in dem Hünerbauer fett werden sollen.

Von den Fischen brauche ich bey diesem heißen Wetter nichts weiter zu sagen, als daß man sie zu Lande zwanzig bis dreißig Meilen weit her fährt; ein Umstand, zu dem man nichts zuzufügen bedarf, um einem Holländer bis zum Erbrechen übel zu machen, wenn auch seine Nase nicht in allen Gängen mit dem lieblichen Geruche von frischen Makarelen begrüßet würde, welche zum Verkaufe umhergetragen werden. Dieses ist nicht die Austern Jahrszeit; dennoch mag es nicht überflüßig seyn, zu erwähnen, daß die wahren Colchester oder Grün-bärtjes in Schlammkisten aufbewahret werden, worüber zuweilen die See wegfließet, und daß die grüne Farbe, welches die Wollüstlinge hier und anderwärts so hochschätzen, von dem vitriolischen Schaume entsteht, der sich auf der Oberfläche dieses faulen Pfützenwassers setzet. – Unsre Caninchen werden in den Kellern der Hünerpflücker gebrütet und gemästet, worinnen sie weder frische Luft noch Bewegung haben können, und also recht fest von Fleische und lecker von Geschmacke werden müssen; und Wildgeflügel kann man weder für Geld noch gute Worte bekommen.

Man muß gestehn, daß man in Conventgärten einige gute Früchte bekommen kann; die aber beständig von einigen übermäßig reichen Leuten vorher weggekauft werden, welche ungeheuer dafür bezahlen: so daß dem Mittelmanne fast wenig anders zu theile fällt, als was die andern nicht gewollt haben; und das wird noch dazu mit solchen schmierigen Händen ausgetheilet, daß ich nicht ohne Eckel daran denken kann. Noch gestern sah ich ein Weib, das Kirschen auf einem Karren zum Verkaufe ausrief, in die Hände spucken, und so den Staub von den Kirschen wischen; und wer weis, ob nicht manche Hofdame eben diese Kirschen in ihren delikaten Mund steckt, die in den schmutzigen, vielleicht geschwürvollen Fäusten eines eckelhaften Höckerweibes herum gerollet und angefeuchtet worden sind. – Bey dem bleichen, sandigen Zeuge, das sie hier Erdbeere nennen, mag ich mich nicht aufhalten, welche mit den schmutzigsten Fäusten aus einem kothigen Korbe in den andern gewühlt und dann mit einer elenden Milch zu Tische gebracht werden, die mit dem schlechtesten Mehle zu einer äußern entfernten Aehnlichkeit von Sahne aufgedicket ist; aber die Milch selbst verdient wohl, daß man ein Wort davon erwähne. Es ist eine Distillation von welken Kohlblättern und saurem Spühlig, der mit warmen Wasser verdünnt wird; die von den gequetschten Schnecken an den Kohlblättern schäumet; in offnen Eimern durch die Gassen getragen wird, wo sie allen Auswürfen von Spühlwasser, das man aus den Thüren und Fenstern gießt, dem Speichel und Rotz der Fußgänger, dem Abflusse der Schlammkarren, dem Gesprütze der Kutschräder frey und offen ist; wo die muthwilligen Gassenbuben aus Kurzweile allerley Unrath hineinwerfen; wo die geifernden Kinder oft in dem zinnernen Maaße schlabbern, das in diesem saubern Zustande wieder in die Milch geworfen wird, um den Appetit des nächsten Käufers zu reitzen; und endlich noch das Ungeziefer, das von den Lumpen der säuischen Dirne hinein fällt, welche unter der ehrbaren Benennung eines Milchmädchens diese köstliche Mixtur zum Verkauf umher trägt.

Dieses Verzeichniß der Londoner Leckerbissen beschließe ich mit dem Tafelbiere, das weder Malz noch Hopfen vertheuret, und so dünn als eckelhaft ist, geschickter, die Stelle eines Brechmittels zu vertreten, als den Durst zu löschen und die Verdauung zu befördern; mit dem talgigen ranzigen Geschmiere, das sie Butter nennen, fabricirt von Unschlitt und Bratenfett; und mit ihren frischen Eyern, die ihnen aus Frankreich und Schottland zugebracht werden. – Und allen diesen Abscheulichkeiten könnte durch ein wenig Achtsamkeit auf die Polizeyordnung, oder durch einige Stadtgesetze abgeholfen werden; aber die weisen Patrioten der Stadt London haben sichs nun einmal in den Kopf gesetzt, daß alle Polizeygesetze einen Eingriff in ihre Freyheit thun würden; und daß ein jeder Mann, ohne alle Einschränkung, nach seinem eignen Dünkel leben muß. – Und da ihnen nicht so viel Gefühl der Sinne übrig geblieben ist, sich durch die vorerwähnten eckelhaften Beschwerden in ihrer Meynung irre machen zu lassen, so mögen sie meinethalben in ihrem eignen Sode fortwaten, so lange sie wollen.

Ein geselliger Mann wird freylich, um einer angenehmen Gesellschaft zu genießen, über manche Unbequemlichkeit hinsehen. Ich hatte einen witzigen Freund der zu sagen pflegte: wenn die Gesellschaft angenehm ist, kann der Wein nicht schlecht seyn: das ist aber eine Maxime, die man cum grano salis annehmen muß; allein was ist denn die Gesellschaft in London, daß ich ihrentwegen versucht werden könnte, meine Sinne zu kreutzigen, und mich mit solchen Unflätereyen auszusöhnen, die meine Seele verabscheut? Alle Menschen, die ich hier sehe, sind zu sehr auf ihre Entwürfe des Eigennutzes oder des Ehrgeitzes erpicht, daß bey ihnen noch Raum für ein ander feines Gefühl des Herzens oder der Freundschaft statt finden könnte. – Selbst bey einigen von meinen alten Bekannten haben diese Entwürfe und Bestrebungen alle Spuren unsrer vormaligen Verbindungen ausgelöscht. – Das Gespräch in Gesellschaften ist fast nichts mehr als ein hämisches Gestichle und Rechthaberey der öffentlichen Partheyen – und der gesellige Umgang nichts weiter, als Prunkbesuche und Spielgelage. – Finden Sie einmal zufälliger Weise ein unterhaltendes Original, so kann es gefährlich seyn, an seinen Schnurren Gefallen zu finden – Im Grunde ist es gewöhnlichermaßen nicht richtig mit ihm; er ist entweder ein listiger Betrüger, oder Spion, oder ein tückischer Narr. Ein jeder, mit dem Sie was zu schaffen haben, sucht Sie zu überschnellen; dort lauren Ihnen müßige Bettler auf, die Ihnen das Allmosen unter dem Namen einer Anleihe abschwatzen, und von der Beute der angekommenen Fremden leben; hier haben Sie es mit Krämern und Handwerkern ohne Gewissen, mit Freunden ohne Zuneigung, und Hausgenossen ohne Treue zu thun. –

Mein Brief würde zu einer Abhandlung anwachsen, wollte ich alle die Ursachen des Verdrusses aus einander setzen, welcher das Maaß meines Widerwillens gegen diese und jede andre volkreiche Stadt anfüllt. – Dem Himmel sey Dank! so weit bin ich noch nicht in den Strudel gerathen, daß ich mich nicht ohne große Anstrengung meiner Philosophie herausziehen können. – Von allem diesem tobenden Getümmel der Büberey, Narrheit und Ausgelassenheit, fliehe ich wieder mit doppelter Lust zu der heitern Ruhe des Landlebens, der seelenvollen Ergießung ungeheuchelter Freundschaft, der Gastfreyheit und dem Schutze der ländlichen Sitte; mit einem Worte zu dem jucunda oblivia vitae , welches selbst Horaz nicht Geschmack genug besaß, gehörig zu genießen und zu schätzen.

Ich habe eine gute Reisekutsche mit vier Pferden auf drey Monate gewiß, den Tag zu eine Guinee bedungen; und künftige Woche sind wir gesonnen, unsre Reise nach Schottland anzutreten, wobey wir immer hoffen, gegen Ende des Octobers wieder bey Ihnen zu seyn. – Ich werde fortfahren, Ihnen von jedem Orte, wo wir uns einigermaßen aufhalten, so oft zu schreiben, als irgend Etwas vorfällt, das Ihnen auf die eine oder die andre Art lieb seyn möchte, zu wissen. Indessen muß ich Sie bitten, in Barns Wirthschaft in Ansehung meiner Korn- und Heuerndte ein wenig mit zuzusehen, und versichert zu seyn, daß mein Grund und Boden nichts hervorbringt, daß Sie nicht ganz frey das Ihrige nennen können. – Wo wir im geringsten anders dächten, würd' ich mich schämen, mich zu unterschreiben

Ihren

  London,
den 8ten Junii.

unveränderlichen Freund,
M. Bramble.         

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An Sir Watkin Philipps, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Mein liebster Philipps,

In meinem Letzten erwähnte ich davon, daß ich einen Abend mit Schriftstellern zugebracht hätte, die sich einander zu fürchten und zu beneiden schienen. Mein Onkel wunderte sich im geringsten nicht, als ich ihm sagte, daß ich in meiner Erwartung von ihrem Gespräche wäre hintergangen worden. »Ein Mann, sagte er, kann sehr unterhaltend und lehrreich auf dem Papiere, und doch im gemeinen Umgange sehr eintönig seyn. Ich habe angemerkt, daß diejenigen, welche im Umgange am meisten glänzen, ordentlicherweise im Sternbilde des Genies nur Sterne von der zwoten Größe sind. Ein kleines Magazin von Ideen ist leichter in Ordnung gehalten und ausgekramt, als ein sehr großes, das vollgepackt ist. Selten findet man in den Reden und dem Betragen eines guten Schriftstellers etwas außerordentliches; dahingegen ein langweiliger Autor sich gemeiniglich durch eine schiefe Falte oder eine Ausschweifung unterscheidet. Aus dieser Ursache, bilde ich mir ein, müßte eine Gesellschaft Autoren aus den vierten oder fünften Stockwerken sehr belustigend seyn.«

Meine Neugierde ward durch diesen Wink sehr gereizet, und als ich meinen Freund Dick Joy zu Rathe zog, unternahm der es, solche gleich des folgenden Tages, nämlich verwichnen Sonntag, zu befriedigen. Er nahm mich mit zum Mittagsessen bey Herrn S**, welchen Sie und ich schon längst aus seinen Schriften kennen. Er wohnt an einem äußern Ende der Stadt, und alle Sonntage steht sein Haus allen unglücklichen Brüdern im Gänsekiel offen, welche er bewirthet mit Rindfleisch, Pudding und Potätoes, Portwein, Punsch und dem besten Biere, das Calvert nun liefern kann. Er hat den ersten Tag der Woche zur Uebung seiner Gastfreyheit ausgesetzt; weil einige von seinen Gästen an keinem andern Tage hätten Nutzen davon haben können, aus Ursachen, die ich nicht anzuführen brauche. In einem Briefe an einen Freund in einem Collegio freylich wohl nicht. Vielleicht für das ganze engländische Publicum nicht; allein ein Uebersetzer soll doch auch ein wenig mit darauf sehen, daß seine eigne Landsleute verstehen können, was sein Autor gemeynt hat; also, geliebteste, so wohl barmherzige als Barmherzigkeitsbedürftige Deutsche Leser! muß ich Ihnen sagen, daß auch in England der für manchen Menschen so unangenehme Brauch ist, an den sechs Werkeltagen in der Woche seine Schuldner zu mahnen, die Hartnäckigen so gar auf den Gassen; allein der Sonntag hat das voraus, daß an diesem Tage die Gläubigen singen und beten, die Gläubiger aber schweigen müssen; und da kann denn auch ein Autor oder Uebersetzer mit Sicherheit dahin gehen, wo er eine Sonntagsmahlzeit zu finden gehoffet. Bey dieser Note bitte ich auch an die Stelle im ersten Theile zurück zu denken, wo der ehrliche Murrkopf, Herr Bramble, erzählt, daß seine übelzugerichteten Freunde bey Tische über ihre eignen körperlichen Gebrechen scherzten.

A. d. Ueb. Geschrieben in meine Schreibtafel am ersten Pfingsttage, da ich bey dem Hrn. Generalcollecteur Z** einsprach und zum Essen blieb.
Ich ward höflich empfangen, in einer zwar nicht prächtigen aber doch anständigen Wohnung, welche hinten hinaus an einem Garten stieß, der in vortrefflicher Ordnung unterhalten war; und in der That sah' ich keine äußerlichen Anzeichen der Autorschaft; so wenig in dem Hause als an unserm Wirthe, welcher einer von den wenigen Scribenten ist, die von ihrem Eignen leben, ohne von dem Winke eines eigensinnigen Mäcens oder eines unersättlichen Buchhändlers abzuhängen. Allein wenn der Gastgeber nichts auszeichnendes an sich hatte, so brachten seine Gäste diesen Mangel hinlänglich wieder ein. Um zwey Uhr Nachmittags fand ich mich mit neun andern Tischgenossen hinter Messer Gabel sitzend; und ich zweifle, ob das ganze Königreich noch eine dergleichen Sammlung von Originalen aufbringen könnte. Ihre Art sich zu kleiden will ich nicht einmal zu ihren besondern Eigenheiten rechnen, weil solche bloß zufällig seyn konnte. Was mir am meisten auffiel, waren solche Falten, worein sie sich anfänglich aus Affectation geworfen hatten, und die ihnen hernach durch die Gewohnheit natürlich geworden waren. Einer von ihnen hatte beym Essen die Brille auf der Nase, und der Andre den Huth niedergeschlagen; obgleich (wie mir Joy sagte) der Erste dafür bekannt ist, daß er so scharf sieht als eine Gluckhenne, wenn ein Gläubiger noch so hoch in der Luft über seinem Kopfe schwebt; und der andre niemals eine Schwäche oder einen Schaden an seinen Augen gefühlt hat, ausgenommen vor ungefähr fünf Jahren, da ihn ein Acteur mit ein paar blauen Augen beschenkte, als er beym Trunke Händel mit ihm bekam. Ein Dritter trug Schnürstiefeln, und gieng an Krücken, weil er vor langen Jahren einmal das Bein gebrochen, obgleich niemand mit mehr Behendigkeit über einen Stuhl wegspringen konnte, als er. Ein Vierter hatte einen solchen Widerwillen gegen den Landbau angenommen, als er darauf bestund, mit dem Rücken gegen die Fenster zu sitzen, die auf den Garten stießen, und als eine Schüssel mit Blumenkohl auf den Tisch kam, roch er an sein Englisches Salz, um nicht ohnmächtig zu werden; indessen war dieser delicate Mann der Sohn eines Tagelöhners auf einem Dorfe, war an einer Hecke geboren, und war manches Jahr auf dem Acker zwischen den Heerden wild herumgelaufen. Ein Fünfter spielte den Zerstreuten, – Wenn man ihn anredete, antwortete er immer in die Queere – zuweilen fieng er aus vollem Halse an zu lachen – Dann faltete er die Arme – und dann zischte er wie funfzig Schlangen auf einmal.

Anfangs hielt ich ihn wirklich für verrückt im Kopfe, und weil er dichte neben mir saß, fieng ich an, für meine Sicherheit einigermaßen besorgt zu seyn, als unser Wirth, der meine Besorgniß merkte, mich laut versicherte, ich hätte nichts zu befürchten. »Der Herr (sagt' er) quält sich, eine Rolle zu spielen, zu der er auf keinerley Weise geschickt ist – wenn er auch noch so gerne wollte, so stehts doch nicht in seinem Vermögen, unsinnig zu werden. Seine Einbildungskraft ist zu flau, um bis zur Raserey aufzubrausen.« Ein fi – fi – fixer Hieb! (bemerkte ein Mann in einem abgetragenen Rocke mit verschoßnen Tressen) nachgemachter U – u – Unsinn pa – passirt fü fü, für Wi – Witz bey neu – neun – neunzehn Leuten unter zi – zi – zi – zwanzigen. – »Und nachgemachtes Stottern für kurzweilige Laune (erwiederte unser Wirth) obgleich, der Himmel weis es, keine Verwandtschaft unter beyden ist.« Dieser Spaaßvogel hatte, wie es scheint, einige mißlungene Versuche mit Sprechen ohne anzustoßen gemacht, und also seine Zuflucht zu diesem Fehler genommen, vermittelst welchen er oftmals, ohne den geringsten Aufwand von Genie, der Gesellschaft ein Gelächter abjagte; und dieser Fehler, den er anfänglich nachmachte, war ihm nun so gewöhnlich geworden, daß er ihn nicht ablegen konnte.

Ein gewisses schielendes Genie, das beym Tische seine gelben Handschuhe trug, hatte sich bey seiner ersten Bekanntschaft mit Herr S** dergestalt an ihm geärgert, weil er gerade so aussah, und sprach, und aß, und trank, wie alle andre Leute, daß er hernach beständig mit Verachtung von ihm sprach; und ihn niemals wieder besuchen wollte, bis er endlich nachstehenden Beweis von einem Sonderlingskopfe gegeben hatte. Wyvil, der Poet, hatte einige vergebne Schritte zu einer nähern Bekanntschaft mit S** gethan; und ließ ihm endlich durch einen Dritten zu verstehen geben, daß er ein Gedicht zu seinem Lobe, und auch eine Satyre auf ihn gemacht hätte; und wenn er ihm Zutritt in seinem Hause geben wollte: so sollte das Erste alsobald zur Presse wandern; wenn er aber darauf bestünde, seine Freundschaft auszuschlagen, so würde er unverzüglich die Satyre herausgeben. S** versetzte, daß er Wyvils Lobgedicht im Grunde als ein Pasquil betrachtete, und dem gemäß würde ers mit einer Hundepeitsche ahnden; wenn er aber die Satyre drucken ließe, so möchte er sein Mitleiden verdienen, und da hatte er von seiner Rache nichts zu fürchten. Wyvil, der seine Betrachtungen über die Wahl angestellt hatte, entschloß sich, zu Herrn S** Kränkung das Lobgedicht drucken zu lassen, wofür er dann die gelobte Bezahlung richtig empfieng. Er erhub also eine Injurienklage gegen den Beleidiger, welcher, um einem verdrüßlichen Processe auszuweichen, ihn zu Gunsten auf und annahm. Es war das besondre in dem Betragen des Herrn S** bey dieser Gelegenheit, welches ihn wieder mit dem Philosophen mit dem gelben Handschuhen aussöhnte, der nunmehr zugab, er habe einiges Genie, und von der Zeit an seine Bekanntschaft mit ihm fortsetzte.

Neubegierig zu erfahren, auf was für Gegenstände die verschiedenen Gaben meiner Mitgäste angewendet würden, wendete ich mich an meinen gesprächigen Freund Joy, welcher mir zu verstehen gab, die meisten von ihnen wären, oder wären gewesen, Buchmachergesellen bey ansehnlichern Autoren, für welche sie übersetzten, Diesen Bogen werden mir meine Herren Verleger, wie ich zuversichtlich von ihrer Großmuth hoffe, gerne doppelt bezahlen, wenn solche die Selbstverleugnung in Betrachtung ziehen, die mich hier die Uebersetzertreue kosten mußte. So selbst in seinem eignen Eingeweide wüten zu müssen, den schmerzhaften Stich der Benennung eines Buchmachergesellen zu fühlen, und dennoch keinen Hieb ins Original zu thun, und den schlimmen Auswuchs wegzuschnitzeln; O, mein so barmherziger als gerechter Herr Kunstrichter, wenn Ew. Gestrengen das nicht Treue nennen wollen: so fällt mir vor Verzweiflung, es Ihnen jemals zu danke zu machen, die Feder aus den Händen. A. d. Ueb. nachläsen oder Auszüge aus andern Büchern machten; und alle miteinander hatten zu verschiedenen Zeiten in unsers Herrn Wirths Lohn und Brodte gestanden, ob sie schon gegenwärtig in den unterschiedlichen Aesten der Bücherfabrik ihre eigne Werkstätte für sich selbst angelegt hätten. – Nicht nur ihre Talente, sondern auch ihre Geburtsorte und Aussprache waren so verschieden, daß unser Gespräch der Sprachverwirrung bey dem Thurmbau zu Babel völlig ähnlich klang. Wir hatten den Irrländischen und Schottländischen Dialekt, mit fremden Wörtern die Menge, welche mit dem unangenehmsten Geschrey von der Welt hervor geschnauft wurden; denn, weil sie alle zugleich sprachen, so hatte kein Mensch Hoffnung, daß man ihn hören würde, wofern er nicht lauter schreyen konnte, als seine Mitgenossen. Das muß man indessen gestehn, daß sie in ihren Reden nichts pedantisches verriethen; alles, was gelehrte Untersuchung heißen könnte, vermieden sie sehr sorgfältig, und bemühten sich witzig zu seyn; und ihre Bemühungen schlugen nicht allemal fehl – Es gab einige drollige Einfälle, welche Gelächter genug erregten; und wenn jemand Etwas so übel nahm, daß er darüber die Schranken der Wohlanständigkeit aus den Augen lassen wollte, so ward er von dem Herrn des Gastmals nachdrücklich zurechte gewiesen, welcher eine Art von väterlichem Ansehen über diese reizbare Familie ausübte.

Der gelehrteste Philosoph in der ganzen Sammlung, der als ein bekannter Atheist von der Universität relegirt worden, war schon mit einer Widerlegung der metaphysischen Schriften des Lord Bolingbroke ziemlich weit gekommen, und man hielt diese Widerlegung für scharfsinnig und orthodox; allein zu gleicher Zeit ist er bey dem Richter als ein öffentlicher Friedensstöhrer angegeben worden, weil er an einem Sonntage in einem Bierhause gotteslästerliche Reden geführt hat. Der Schottländer giebt öffentlichen Unterricht über die richtige Aussprache des Englischen, und ist itzt darüber her, sein Collegium auf Subscription drucken zu lassen.

Der Irrländer ist ein politischer Schriftsteller, und ist unter dem Namen Mylord Potätoe bekannt. Er schrieb ein kleines Werk zur Vertheidigung eines Ministers, in der Hoffnung, sein Diensteifer würde mit einem Amte oder einer Pension belohnt werden; da er aber merkte, daß man ihn von dieser Seite vergaß, so brachte er unter die Leute, der Minister habe das Werkchen selbst geschrieben, und verfertigte eine Antwort wider seine eigne Geburt. In dieser redete er den Verfasser mit Mylord an, und zwar mit solcher Ernsthaftigkeit, daß das Publicum den Betrug hinterschluckte, und die ganze Auflage wegkaufte. Die weisen Politiker der Hauptstadt versicherten, es wären beyde ein paar meisterhaft geschriebene Werke, und kitzelten sich über die läppischen Träumereyen eines unwissenden Schmierers aus einem fünften Stockwerke, als ob es die tiefsinnigsten Speculationen eines alten, mit allen Geheimnissen des Cabinets bekannten Staatsmannes gewesen wären. In der Folge ward der Betrug entdeckt, und unser Irrländischer Staatsschriftenschmidt hat von seiner angenommenen Wichtigkeit nichts weiter aufzuweisen, als den Spottnamen Mylord, und den obersten Sitz am Tische in seiner Garküche im Schustergäßgen.

Gegen mir über saß ein Piemonteser, der das Publicum mit einer launevollen Satyre, unter dem Titel: Waagschale der Engländischen Dichter beschenkt hat; ein Werkchen, welches von der großen Bescheidenheit und dem Geschmacke seines Verfassers, und besonders von seiner genauen Bekanntschaft mit den Schönheiten der Englischen Sprache, Zeugniß ablegt. Der weise Mann, der an der γρωψοξια oder der Gartenscheu krank ist, hatte eben eine Abhandlung über die praktische Landwirthschaft vollendet, ob er gleich in der That niemals in seinem Leben bemerkt hatte, wie das Korn wächst, und so wenig Unterschied unter den Feldfrüchten kannte, daß ihn unser Wirth dahin brachte, vor der ganzen Gesellschaft zu bezeugen, daß ein Pudding von Gerstengraupen der beste Reispudding wäre, den er jemals gegessen hätte.

Der Stotterer hatte seine Reisen durch Europa und einen Theil von Asien beynahe fertig, ohne daß er jemals weiter gekommen war, als an die Gränzen der Freyheit von Kingsbench, ausgenommen zu Zeiten der Quartalgerichte, wo ihn ein Stadtdiener als Hofmeister begleitete. Was Tim Cropdale, das lustigste Mitglied der ganzen Gesellschaft betrifft, so hatte er glücklich eine jungfräuliche Tragödie bis zur Catastrophe durchgeführt, von deren Vorstellung er sich eine reiche Erndte an Geld' und Ruhm versprach. Tim hatte sichs ein manches Jahr mit Romanschreiben sauer werden lassen, wo er für jeden Band sechs Guineen verdiente; allein diesen Zweig des Gewerbes haben die weiblichen Schriftsteller an sich gerissen, welche bloß zu Ausbreitung der Tugend drucken lassen, und mit so vieler Leichtigkeit, und Geist, und Delicatesse, und Kenntniß des menschlichen Herzens, und zwar alles in der heitern Ruhe des vornehmen Lebens schreiben, daß der Leser nicht nur von ihrem Genie entzückt, sondern durch ihre Moral gebessert und bekehrt wird.

Nach Tische verfügten wir uns in den Garten, woselbst ich bemerkte, daß Herr S** in einem abgelegenen kleinen Gange von Nußbüschen, allen nacheinander besondre Audienz gab, von da sie dann ohne weitere Ceremonien sich fortschlichen; sie wurden aber von frischen Recruten aus eben demselben Geschlechte wieder ersetzt, welche zu einem Nachmittagsbesuche kamen; und unter andern kam auch ein stattlich gekleideter Buchhändler, mit Namen Birkin, welcher seinen eignen Wallachen ritt, und in zwey neuen blanken Stiefeln mit dicken silbernen Spornen erschien. Es hatte seine Ursachen, daß sich diese Hebamme der Musen die Bewegung zu Pferde machte, denn er war zu fett, um zu Fuße wandeln zu können, und er mußte von Tim Cropdale einige Hiebe über seine unbehelfliche Dicke, und über seine Unfähigkeit zum Gehen, aushalten. Birkin, dem es in der Nase kribelte, daß ein armer Autor so ausgelassen seyn und sich unterfangen könnte, über einen Mann zu scherzen, der so viel reicher wäre als er, sagte zu ihm: er sollte ihn nicht für so unbehelflich halten, daß er nicht das Gericht zu Marshalsea in Bewegung setzen könnte, einen Befehl wider ihn auszufertigen, und ihn selbst damit einzuholen, wenn er nicht bald zu ihm käme, und die Rechnung über den Druck seiner letzten Ode auf einen nordischen König zur Richtigkeit brächte, wovon er nur drey Exemplare und zwar noch Eins davon an den Methodisten Whitefield, verkauft hätte. Tim stellte sich, als ob er diese Pille ohne Widerwillen verschluckte, und sagte, er erwartete in ein oder ein paar Posttagen von dem Könige, seinem allergnädigsten Gönner, der sehr gut wüßte, wie man Poeten gehörig belohnt, ein Gedicht in Gegenantwort; bis dahin aber schlug er vor, daß Birkin und er um eine Kumme Punsch wetten wollten, des Abends in Ashleys Hause zu trinken, wer von ihnen am Ersten dreymal den Garten rund liefe, und zwar wolle er in Stiefeln laufen gegen Birkin in Strümpfen. Der Buchhändler, der sich mit seiner Behendigkeit nicht lumpen lassen wollte, ließ sichs eingehn, die Wette anzunehmen; und übergab Cropdale alsobald seine Stiefeln, welcher, nachdem er solche angezogen hatte, dem Capitain Pistol, in Schakespears Heinrich dem Vierten, nicht übel glich.

 

Nachdem alles in gehöriger Ordnung war, schossen sie mit großer Heftigkeit dahin, und bey der zwoten Runde hatte Birkin sichtbarlich den Vorsprung, mit seinem Fette die magre Erde betreufelnd, wie er dahin schnaubte. Cropdale hatte keine Lust, ihm den Sieg länger streitig zu machten, sondern in einem Augenwinke verschwand er durch die Hinterthüre des Gartens, welche auf eine Wiese gieng, die an die Heerstraße stieß – Die Zuschauer fiengen alsobald an zu rufen: »Fortgeschlüpft!« Und Birkin setzte ihm eilig nach; er war aber keine zwanzig Schritte in der Wiese gekommen, als er sich einen Dorn in den Fuß trat, wieder nach dem Garten zurück hinkte, vor Schmerz ächzte, und vor Verdruß und Aerger fluchte. Nachdem er durch den Schottländer, der als Chirurgus seine Lehrjahre ausgehalten hatte, von seinem Dorne im Fuße befreyet war, sah' er sich wild umher und rief: »Nun, der Kerl wird doch, hoff' ich, nicht so ein gottloser Bube seyn, daß er mit meinen Stiefeln rein davon läuft!« Als unser Wirth die Schuhe besichtigt hatte, die er stehn lassen, und die diesen Namen kaum verdienten, sagt' er: »Hören Sie, Herr Birkin, waren ihre Stiefeln nicht von Kalbsleder?« »Kalbs- oder Kuhleder! (versetzte der Andre) Ich will schon ein Häpchen Pergament finden, das ihm Drangsal genug anthun soll – Ich verlor zwanzig Pfund bey seinem Possenspiele, daß Sie mich überredeten zu verlegen – Seine verdammte Ode hat mich um andre fünfe gebracht; und nun dieses paar Stiefeln dazu, die mir anderthalb kosten, und noch span nagelneu sind, als ob sie eben vom Leisten geschlagen wären – Aber diese Geschichte mit den Stiefeln ist reiner Diebstahl – Landsverweisung nach Jamaika! – Ich will den Hund in Old-Baily anschreiben lassen, ja, das will ich, Herr S**. Ich will mich rächen, und sollt ich auch durch seine Verweisung mein Geld verlieren!«

Herr S** sagte vors Erste kein Wort weiter, sondern versah ihn erst mit ein paar andern Schuhen, dann befahl er den Bedienten, ihn wieder anziehn zu helfen, und ihm ein Glas Rumpunsch zur Stärkung zu holen, welches dann die Hitze seines Eifers so ziemlich abzukühlen schien. »Am Ende« (sagte darauf unser Wirth) »ists doch nichts weiter, als eine Schnackerey von Seiten des Witzes betrachtet, ob es gleich einen viel ehrwürdigern Namen verdient, wenn man auf die Erfindung dabey sieht. Cropdale hat, wie ich denke, vielleicht schon einen großen Bären beym Schuster brummen, und ist also auf dieses sinnreiche Mittel gefallen, seinem Schuhmangel abzuhelfen, denn er weis wohl, daß Herr Birkin, der kurzweilige Einfälle gerne hat, selbst über die Schnurre lachen würde, wenn er sich ein wenig besonnen. Cropdale lebt im eigentlichsten Verstande von seinem Witze, und er hat solchen bey allen seinen Freunden nach der Reihe angebracht. Einst borgte er von mir meinen kleinen Klepper, um eine kleine Reise von fünf oder sechs Tagen damit nach Salisbury zu thun, und auf seiner Rückreise verkauft' er ihn in Smithfield. Dieses war eine so ernsthafte Kurzweile, daß ich in der ersten Aufwallung meines Zorns darauf dachte, ihn als einen Pferdedieb anzuklagen; und selbst, als schon meine erste Hitze vorüber war, gelobte ich ihm, weil er mir sehr sorgfältig aus dem Wege gieng, daß ich bey der ersten Gelegenheit von seinem Puckel die Bezahlung nehmen wollte. Eines Tages, als ich ihn von ferne in einer Gasse entdeckte, da er auf mich zu kam, begann ich mein spanisch Rohr zum Gebrauche anzufassen, und gieng in den Schatten einer Pforte, damit er mich nicht zeitig genug gewahr würde, um mir zu entwischen; aber, siehe da, in eben dem Augenblicke, da ich das Werkzeug der Züchtigung aufgehoben hatte, war mein Tim Cropdale in einen armen blinden Mann verwandelt, welcher seinen Weg mit einem langen Stocke vor sich hin suchte, und ein paar dunkle Ballen statt der Augen im Kopfe herumdrehete. Es fiel mir sehr aufs Herz, daß ich so nahe dabey gewesen, meine Rache so unvorsichtiger Weise auf einen armen Menschen fallen zu lassen: allein, den folgenden Tag erhielt Tim von einem Freunde, daß er zu mir gehn, meine Vergebung bewirken, und mir einen Wechsel, der in sechs Wochen fällig, in Bezahlung meines Kleppers anbieten mußte. Dieser Mann gab mir zu verstehn, daß der blinde Mann niemand anders gewesen, als Cropdale, der, als er gesehn, daß er mir nicht ausweichen konnte, und meinen Vorsatz gemerkt, sich den Augenblick in die vorbesagte Gestalt verwandelt hätte. Mir gefiel diese sinnreiche List so wohl, daß ich seine Vergehung zu verzeihn versprach; dabey schlug ich mit Fleiß den Wechsel aus, damit ich immer eine Kapitalklage gegen ihn, zum Bürgen für sein künftiges gutes Betragen, in Händen haben möchte – Allein mein schlauer Tim wollte sich auf keine Art und Weise meinen Händen anvertrauen, bis der Wechsel angenommen wäre. – Und nun machte er seine Erscheinung vor meiner Thüre als ein blinder Bettler, und hintergieng meinen Bedienten so richtig, ob er gleich lange mit ihm bekannt und sein Kruggeselle gewesen, daß ihm der Kerl die Thüre vor der Nase zuschlug, und ihn sogar mit einer Tracht Prügel bedrohte. Als ich das Gezänke auf der Diehle hörte, gieng ich hinaus, und da mir alsobald die Figur von der Gasse wieder einfiel, nannt' ich ihn bey seinem eignen Namen, zum unaussprechlichen Erstaunen meines Bedienten.«

Birkin versicherte, er möchte eben so gern einen Spaaß leiden, als ein andrer; fragte aber dabey, ob ihm jemand von der Gesellschaft sagen könnte, wo Cropdale logirte, damit er hinsenden und Vorschläge zur Auslieferung thun könnte, ehe die Stiefeln in ganz fremde Hände kämen. »Ich will ihm gerne ein paar neue Schuhe geben,« (sagt' er) »und eine halbe Guinee dazu, wenn ich nur meine Stiefeln wieder bekomme, die mir paßten, wie ein Handschuh; denn ich kann sie so gut für kein Geld wieder haben, bis das gute Wetter zum Reiten vorbey ist.« – Der stotternde Gelehrte bezeugte, das einzige Geheimniß, das Cropdale immer bey sich verwahret hätte, wäre der Ort seiner Wohnung; allein während den warmen Sommernächten, glaubt er, nähm er seine Nachtruhe auf einem Schusterladen, oder zähmte sich auch wohl eine wandernde Nachtnymphe al fresco unter dem Portale der Martinskirche. »Hohl ihn der Henker!« (schrie der Buchhändler) »ich wollt' er hätte meine Peitsche und Sporn auch genommen, so könnte er in die Versuchung gerathen, noch ein ander Pferd zu stehlen, und das hätte ihn bey schöner Gelegenheit zum Galgen tragen können.«

Nach dem Caffee nahm ich, mit schuldiger Danksagung für genoßne Höflichkeiten Abschied von Herrn S**, und war ungemein wohl zufrieden mit meinem zugebrachten Tage, ob ich gleich nicht wußte, was ich aus dieser Art von Verbindung eines Mannes von Ansehn in der gelehrten Welt, mit einem Rudel Dintenkläcker machen sollte, die nach aller Wahrscheinlichkeit niemals im Stande seyn werden, durch ihre Arbeit sich irgend einen Namen zu erwerben. Ueber diesen Punct befragte ich meinen Führer Dick Joy, welcher mir folgendes antwortete. »Man sollte wohl denken, S** habe seine eigne Absichten dabey, wenn er diesen Leuten, von denen er weis, daß sie eben so schlechte Menschen als Schriftsteller sind, seine Hülfe und seinen Schutz angedeihen läßt; allein, wofern er irgend eine Absicht für sich selbst dabey hat, so wird er sich sehr betrogen finden; denn sollte er so eitel seyn, zu denken, er könne sich ihrer zur Ausführung seiner Entwürfe brauchen, sie betreffen nun seinen Nutzen oder seinen Ehrgeitz, so sind sie verschlagen genug, sich seiner indessen als ihres Eigenthums zu bedienen. Von der ganzen Gesellschaft, die Sie da Heute gesehn haben, ist, mich ausgenommen, nicht einer, der ihm nicht besondre Verbindlichkeiten hätte. – Den Einen bürgte er aus dem Hause eines Gerichtsdieners los, und bezahlte hernach seine Schulden – Den Andern nahm er ins Haus, und kleidete ihn vom Kopf bis zu Fuß, als er, zufolge einer Parlamentsacte, zum Besten unvermögender Schuldner, aus dem Gefängniß entlassen wurde – Einen Dritten, der weder Huth noch Perucke mehr hatte, in einer Dachkammer nach hintenaus, in der Schlachterreihe, wohnen und von Schaafsfüßen leben mußte, nahm er in Sold, gab ihm freye Auslösung, und setzte ihn in Stand, als ein ordentlicher Mensch zu erscheinen, ohne die Furcht der Gerichtsbedienten beständig vor Augen zu haben. Denen, welche im Drucke leben, hilft er mit Gelde, wenn er welches hat, oder mit seinem Credite, wenn er nicht bey Casse ist. Fehlts ihnen an Arbeit, so giebt er ihnen entweder in seinen eignen Diensten Etwas zu thun, oder er empfiehlt sie Buchhändlern, um einen oder den andern Entwurf auszuführen, die er zu ihrem Unterhalte ausgesonnen hat. An seinem Tische sind sie allemal willkommen, (welcher, obgleich nicht prächtig, doch hinlänglich besetzt ist,) und er leistet ihnen so viele Dienste, als in seinem Vermögen steht, und wenn sie die Gelegenheit dazu finden, bedienen sie sich mit der zuversichtlichsten Vertraulichkeit seines Namens; ja sie machen sich kein Gewissen daraus, sich das Verdienst von einigen seiner Schriften anzumaßen, und man weis, daß sie ihre eigne Hirngeburten für aus seiner Feder gefloßne Arbeiten verkauft haben. Der Schottländer, den Sie bey Tische sahen, gieng einst unter seinem Namen in ein Bierhaus in Westsmidfield, und ein Milchhöker schlug ihm unter diesem Charakter einige Löcher in den Kopf, weil er unehrerbietig von der christlichen Religion sprach. Allein er verklagte ihn in seinem eignen Namen, und der Beklagte war nur froh, daß er ihn mit zehn Pfund dahin vermochte, die Klage ruhn zu lassen.«

Ich machte die Bemerkung, daß sich alle diese scheinbare Freygebigkeit des Herrn S** sehr leicht erklären ließe, wenn man annähme, daß sie ihm insgeheim schmeichelten, und öffentlich sich unter seine Widersacher mischten; und dennoch wunderte es mich, wenn ich daran dächte, daß ich diesen Schriftsteller in Zeitungen, Gedichten und fliegenden Blättern oft auf die giftigste Art angegriffen gefunden, und daß dennoch keine einzige Feder zu seiner Vertheidigung eingetunkt worden wäre. – »Aber noch mehr wird Sie's wundern« (sagt' er) »wenn ich Sie versichre, daß eben diese Gäste, die Sie heute an seinem Tische gesehn haben, die Urheber der meisten dieser giftigen Angriffe sind; und daß er die freundschaftlichsten Dienste, die sie ihm erweisen, recht gut kennt; denn sie lauren sich unter einander auf den Dienst, um ihre Angeber zu seyn.« – Aber (versetzte ich) das heißt ja pur umsonst dem Teufel die Feuergabel nachtragen! Wie kommen sie denn dazu, ihren Wohlthäter so herum zu nehmen, wenn er ihnen gar nichts zuwider thut? »Neid, (antwortete Joy,) Neid ist der allgemeine Aufwiegler; allein es kommt noch dazu, daß sie die Striemen der kritischen Geißel brennen. S** besorgt ein kritisches Journal, worinnen ihre Werke nothwendiger Weise vor den Richtstuhl kommen müssen; und obgleich manche davon mit mehr Gunst und Glimpf wegkommen, als sie verdienen, so hat doch die geringste Erinnerung, welche nicht vermieden werden konnte, wenn der Recensent noch einigen Anspruch auf Einsicht und Unpartheylichkeit behaupten wollte, einen solchen Groll in die Herzen dieser Autoren geflößt, daß sie sich auf der Stelle an dem Kunstrichter, in anonymischen Schriften, Satyren und Pasquillen gerächet haben. Das geht so weit, daß, einige wenige von seinen Freunden ausgenommen, welche wissen, daß sie von seiner Kunstrichterey nichts zu besorgen haben, alle übrige noch lebende Schriftsteller, gute, elende oder mittelmäßige, von dem Augenblicke an, da er dieses Amt übernahm, seine öffentlichen oder geheimen Feinde geworden sind; und es gehört viel mehr Verstand dazu, als ich habe, zu erforschen, was für Vortheil oder Vergnügen er davon hat, sich ein solches Hornissennest um die Ohren zu bringen.«

 

Ich gestund, daß es freylich nicht leicht auszumachen sey; allein ich ließ ihm doch noch meinen Wunsch merken, seine wahren Ursachen zu wissen, warum er seine Freundschaft gegen solche Schäcker fortsetzte, die eben so unbedeutend als undankbar wären. – Er erwiederte, er verlange nicht, daß er eine vernünftige für ihn angeben wollte; daß, wenn die Wahrheit heraus sollte und müßte, der Mann ein unverbesserlicher Thor in seiner Aufführung sey; daß, ob er gleich meynte, Wunder was für ein Menschenkenner zu seyn, er doch mit seinen Diensten manche Sau ins Magnificat machte, indem er solche gemeiniglich an die unwürdigsten unter allen, die ihm darum anlägen, verschwendete; daß freylich dieser Vorzug nicht so wohl von Mangel an Einsicht herrühre, als von Mangel an Entschließung; denn er habe nicht Standhaftigkeit genug, dem unverschämten Bitten des unwürdigsten Menschen zu widerstehn; und, da er den Werth des Geldes nicht kenne, so wäre eben kein Verdienst dabey, wenn ers so leicht wegschenkte; daß sein Stolz seine gute Rechnung dabey fände, eine solche Anzahl litterarischer Mund-Männer um sich her zu sehn; daß er wahrscheinlicher Weise sein Vergnügen daran finden müßte, wenn sie sich so einander verklagten; und endlich, daß er durch ihre Angebereyen alles erführe, was im Buchmachergäßgen vorgienge, wovon er halb und halb entschlossen sey, zur Belustigung des Publicums, eine Geschichte herauszugeben.

 

Ich fiel wider Willen durch Joys Worte auf den Verdacht, daß er einen kleinen besondern Groll auf S** haben müßte, weil er sein Betragen von der allerschlechtesten Seite erklärte, und an dem Leitfaden einiger Querfragen gelangte ich zu der Entdeckung, daß er mit der Recension im Review von seiner letzten Schrift gar nicht zufrieden sey, ob sie gleich zufolge der Fürbitte des Verfassers, bey dem Kunstrichter, glimpflich genug davon gekommen war. Alles wohl überlegt, hat S** seine Schwachheiten und seinen Eigensinn; er ist aber gewiß ein Mann von aufgeräumtem und höflichen Charakter, und finde ich auch nicht, daß er im geringsten herrschsüchtig, grausam oder unversöhnlich von Gemüthe sey.

 

Ich habe mich so lange bey den Schriftstellern aufgehalten, daß Sie vielleicht auf den Argwohn gerathen, ich sey willens, mich in dieser Brüderschaft aufnehmen zu lassen; allein, hätte ich auch wirklich Geschick zu der Profession, so ist es doch, aufs Beste genommen, nur ein verzweifeltes Hülfsmittel gegen den Hunger; wobey nichts aufs Alter oder Krankheiten zu erübrigen ist. Salomon sitzt gegenwärtig, in einem Alter von achtzig Jahren auf einer Dachkammer, und trägt für einen neuen Geschichtschreiber Materialien zusammen, der den Jahren nach sein Enkel seyn könnte, und ihm eine Guinee für den Bogen giebt; und Salmanazar, nachdem er, mit aller Mäßigkeit und Enthaltsamkeit eines Morgenländers, ein halbes Jahrhundert durch in der Mühle der Gelehrten gemahlen hat, lebt nun von der Milde etlicher wenigen Buchhändler, die eben gerade zureicht, ihn außer einem Armenhause zu ernähren – Ich dächte Guy, der selbst ein Buchhändler war, hätte wenigstens einen Flügel von seinem Spitale für herunter gekommene Autoren widmen sollen. Aber freylich ist kein Spital, Collegium oder Arbeitshaus im ganzen Königreiche, das groß genug wäre, alle Arme von dieser Societät zu fassen, weil sie aus dem Auswurfe aller übrigen Professionen besteht.

 

Ich weis nicht, ob Sie an dieser Nachricht von einer närrischen Gattung von Sterblichen einiges Vergnügen haben werden, deren Verfassung gleichwohl, ich muß es gestehn, meine Neubegierde sehr rege gemacht hatte. Ich bin

Ihr

  London,
den 10ten Junii.

ergebenster   
J. Melford.

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An Miß Lätitia Willis, zu Gloucester.

Meine liebste Freundinn,

Ich habe Etwas auf dem Herzen, das ich mir nicht getrauen würde, Ihnen mit der Post zu schreiben; da aber Frau Brentwoods wieder nach Hause reiset, so ergreife ich diese Gelegenheit mit Begierde, um mein Herz gegen Sie auszuschütten, das unter Furcht und Kummer erliegt. – O Letty! Was ist es doch für ein trauriger Zustand, wenn man keine Freundinn hat, der man seinen Kummer klagen, und bey der man sich Raths erholen kann. Ich gab Ihnen in meinem vorigen Briefe einen Wink davon, daß ein gewisser Herr Barton sich sehr zu mir thäte: Ich kann seine Meynung nicht länger verkennen – Er hat sich in aller Form für meinen Verehrer erklärt; und nach tausendfältigen Liebesbeweisen, nachdem er merkte, daß ich seine Zuneigung nur ganz kaltsinnig erwiederte, hat er zu Lady Griskins Vermittelung seine Zuflucht genommen, welche sich seiner Sache als ein warmer Advocat angenommen hat. – Allein, meine liebste Willis, die gnädige Frau läßt sich die Sache zu sehr angelegen seyn. – Sie streicht nicht nur das große Vermögen, die vornehmen Verbindungen, in welchen er steht, und seinen unbescholtnen Charakter heraus, sondern sie giebt sich auch die Mühe, mich zu chatechisiren; und vor ein paar Tagen sagte sie mir rund heraus, daß ein Mädchen von meinen Jahren unmöglich so vielen Reizungen widerstehn könnte, wenn ihr Herz nicht schon vorher eingenommen wäre.

Dieser Vorwurf machte mein Gemüth so unruhig, daß sie nothwendig meine Verwirrung bemerken mußte, und stolz auf diese Entdeckung, bestand sie darauf, daß ich ihr die Neigung meines Herzens offenbaren sollte. Jedoch, ob ich mich gleich nicht genug besaß, die Bewegungen meines Herzens zu verhehlen, so bin ich doch nicht solch ein kleines Kind, daß ich seine Geheimnisse einer Person anvertrauen sollte, die sie ganz gewiß zu seinem Nachtheile anwenden würde. Ich sagte ihr, es wäre kein Wunder, wenn ich aus meiner Fassung wäre, da Sie ein Gespräch auf die Bahn gebracht, das sich für meine Jahre und meine wenige Erfahrung nicht paßte; daß ich Herrn Barton für einen würdigen Mann hielte, und ihm für seine gute Meynung von mir sehr verbunden wäre; daß aber die Neigungen des Herzens freywillig seyn müßten, und das meinige hätte bis itzt noch nichts für ihn empfunden. Sie schüttelte ihren Kopf mit einer so mißtrauischen Miene, daß ich davor zitterte, und sie machte die Anmerkung dabey, daß mein Herz, dafern es frey wäre, sich dem Ausspruche der Klugheit unterwerfen würde, besonders wenn er durch diejenigen bestätigt würde, die ein Recht hätten, über mein Betragen zu wachen. Diese Anmerkung schließt ein Vorhaben in sich, meinen Onkel und meine Tante, vielleicht gar auch meinen Bruder zu gewinnen, Herrn Bartons Parthey zu nehmen; und ich fürchte gar sehr, meine Tante ist schon gewonnen. Gestern Vormittag war er mit uns im Park spatzieren gewesen, und beym Nachhausegehn führte er uns in den Laden eines Galanteriehändlers, und schenkte ihr eine sehr hübsche Schnupftobacksdose, und mir ein goldnes Besteck, welches ich aber beständig ausschlug, bis sie mir, bey Strafe ihres Mißfallens, befahl, es anzunehmen: indessen, da es mir noch immer vorkam, als ob es sich für mich nicht schickte, diese Galanterie zu behalten; so entdeckte ich meinem Bruder meinen Zweifel, welcher sagte, er wollte darüber unsers Onkels Rath vernehmen, und schien der Meynung, Herr Barton wäre wohl ein wenig zu voreilig mit seinen Presenten gewesen.

Der Himmel weis, wie der Ausgang dieser Berathschlagung beschaffen seyn mag; allein ich besorge, sie wird eine Erklärung mit Herrn Barton veranlassen, der ohne Zweifel seine Absicht gestehn, und ihre Einwilligung zu einer Verbindung suchen wird, welche meine Seele verabscheuet. Denn, meine theureste Letty, es steht nicht in meinem Vermögen, Herrn Barton zu lieben, wäre auch mein Herz von keiner andern Zärtlichkeit eingenommen. Nicht als ob ich etwas Unangenehmes an seiner Person bemerkt hätte, sondern es fehlt ihm gänzlich an dem namenlosen Reitze, welcher das bezauberte Gemüth fesselt und beherrscht – Wenigstens däucht es mich so; allein hätte er auch alle die einnehmenden Eigenschaften, die eine Mannsperson besitzen kann, so würden sie dennoch gegen die Beständigkeit nichts ausrichten, welche, wie ich mir schmeichle, das unterscheidende Kennzeichen meiner Natur ist. Nein, meine liebste Willis, ich kann in neue Unruhen verwickelt werden, über das dringende Anliegen dieses Herrn, und durch die Zunöthigungen meiner Verwandten; aber mein Herz ist keiner Veränderung fähig.

Sie wissen, ich glaube nicht an Träume, und dennoch hat mich einer, den ich vorige Nacht gehabt habe, sehr beunruhigt. – Es kam mir vor, als wär' ich in einer Kirche, in welcher eine gewisse Person, die Sie kennen, auf dem Puncte stund, meiner Tante angetraut zu werden; Herr Barton war der Priester, und ich arme Seele stund halb nackt, ohne Schuh und Strümpfe, in einem Winkel und weinte. Ich weis ganz wohl, daß nichts so kindisch ist, als sich solche eitle Schattenbilder zu Herzen gehn zu lassen; aber nichts destoweniger hat dieser Traum, trotz meiner Vernunft, einen so starken Eindruck auf mein Gemüth gemacht, daß ich anfange darüber sehr traurig zu werden. Freylich hab' ich eine andre wesentlichere Ursache, betrübt zu seyn – Ich habe Religionszweifel, meine liebste Freundinn, welche mir schwer auf dem Gewissen drücken. Man hat mich beredet, nach einer methodisten Erbauungsstunde zu gehn, woselbst ich eine Rede anhörte, die mich tief in der Seele rührte – Ich habe recht herzlich gebetet, daß ich erleuchtet werden möchte, aber bis itzt empfinde ich diese inwendigen Bewegungen, diese Gnadenwirkungen noch nicht, welche die Merkmaale eines wiedergebornen Geistes sind; und deswegen fang' ich an, eine erschreckliche Angst über den Zustand meiner armen Seele zu fühlen. Einige Personen aus unserm Hause sind vorzüglicher Gnaden gewürdigt worden, besonders meine Tante und ihre Aufwärterinn, Jenkins, welche zuweilen solche Sachen reden, als ob sie wirkliche Eingebungen hätten; also wird mirs wohl nicht an Vermahnungen und Beyspielen mangeln, um meine Gedanken zu reinigen, und sie von den vergänglichen Dingen dieser Welt abzuziehen; die ich auch von Herzen gerne fahren lassen wollte, wenn es in meinen Kräften stünde; aber um dieses Opfer darzubringen, muß ich erst durch den Beystand aus der Höhe dazu geschickt gemacht werden, der bis itzt noch nicht verliehen ist,

Ihrer

London,
den 10ten Junii.

unglücklichen Freundinn
Lydia Melford.  

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An Sir Watkin Philipps, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Liebster Philipps,

Den Augenblick, da ich Ihren Brief empfangen, war ich darüber her, Ihren Auftrag zu besorgen. Mit Hülfe des Wirths zum weißen Ochsen entdeckte ichs, wo sich Ihr entlaufner Kerl aufhielt, und sagte ihm seine Untreue auf den Kopf zu – Der Bube war sichtbarlich betreten, da er mich zu Gesicht bekam, leugnete aber die Beschuldigung mit großer Zuversichtlichkeit ab, bis ich ihm sagte: wenn er die Uhr herausgäbe, welches ein Familienstück sey, so möchte er das Geld und die Kleider behalten, und damit zum Henker gehn, es sollte ihn niemand halten; wenn er aber in diesen Vorschlag nicht willigte: so wollte ich ihn den Augenblick den Händen eines Gerichtsbedienten überliefern, den ich des Endes mitgebracht hätte, und der würde ohne Umstände mit ihm zum Richter wandeln. Nach einigem Bedenken verlangte er in einem Zimmer ein paar Worte mit mir alleine zu sprechen. Hier gab er die Uhr mit Kette und allem Zubehör heraus, und ich habe solche unserm Wirthe zugestellt, der sie Ihnen mit der ersten sichern Gelegenheit übermachen wird. – So viel von Geschäfften!

Ich werde eitel werden, weil Sie sagen, daß Sie meine Briefe mit Vergnügen lesen; sie sind gewiß leer genug an Zufällen und interessanten Begebenheiten, und also muß Ihr Vergnügen nicht sowohl aus dem Inhalte als aus dem Vortrage entspringen; und wie Sie wissen, ist das mein eignes Verdienst. – Dergestalt aufgemuntert durch den Beyfall einer Person, deren feinen Geschmack und reifes Urtheil ich nicht länger in Zweifel ziehn kann, werde ich getrost mit unsern Memoires fortfahren. Da es beschlossen ist, daß wir künftige Woche nach Yorkshire abreisen sollen, so gieng ich heute Morgen mit Onkel hin, einen Reisewagen zu besehn, den ein Wagner in unsrer Nachbarschaft zu verkaufen hat. – So wie wir ein schmales Gäßgen hinter Longacre hinunter giengen, sahen wir einen Haufen Leute vor einer Thüre stehn, welche, wie es schien, zu einer Methodistenversammlung führte, und man sagte uns, daß eben ein Livreebedienter der Versammlung vorpredigte. Neubegierig, diese Erscheinung mit anzusehn, drängten wir uns mit vieler Mühe hinein. Und wer sollte dieser Prediger anders gewesen seyn, als Humphry Klinker, in selbst eigner Person. Er war eben mit seiner Predigt zu Ende, und gab einen Psalm auf, wovon er mit besonderer Anmuth die erste Strophe vorsung. – Aber hatten wir uns verwundert, Klinkern auf der Kanzel zu sehn, so geriethen wir in ein noch größers Erstaunen, alle Weiblein aus unsrer Familie unter der Versammlung anzutreffen. – Da waren Lady Griskin, Fräulein Tabitha Bramble, Jungfer Jenkins, meine Schwester und Herr Barton, und alle sangen mit großen Zeichen der Andacht ganz fleißig mit.

Ich konnte bey diesem lustigen Auftritte kaum mein ernsthaftes Gesicht behalten; allein der alte Herr verstund das Ding von einer ganz andern Seite. Das Erste, was ihm auffiel, war die Verwegenheit seines Laqueyen, welchem er mit einer so gebieterischen Stimme befahl, herunter zukommen, daß Humphry es nicht für rathsam hielt, ungehorsam zu seyn. Er stieg den Augenblick ab, und die Leute kamen in Bewegung. Barton sah aus, wie ein geschornes Schaaf, Lady Griskin rutschte ihren Fächer auf und zu; Fräulein Tabby ergrimmte im Geiste, Liddy ward roth und bleich, und Jungfer Jenkins holte so tiefe Seufzer, als ob ihr das Herz zerplatzen wollte. Mein Onkel bat die Damen ziemlich spöttisch um Verzeihung, daß er sie in ihrer Andacht gestöret, und sagte, er brauchte den Prediger sehr nothwendig, welchem er befahl, einen Miethwagen zu schaffen. Als dieser alsobald am Ende des Gäßgens vorfuhr, führte er Liddy hinein, meine Tante und ich folgten ihm, und wir fuhren nach Hause, ohne uns weiter um die übrigen von der Gesellschaft zu bekümmern, welche noch in stillem Erstaunen verharrten.

Als Onkel bemerkte, daß Liddy in großen Aengsten war, nahm er eine mildere Miene an, und sagte ihr, sie sollte nicht besorgt seyn, denn er wäre über nichts unwillig, was sie gethan hätte – »Ich kann es wohl leiden, (sagt' er,) wenn Du Lust an der Gottesfurcht hast, mein Kind; aber ich denke nicht, daß mein Laquey, für eine andächtige Seele von Deinem Geschlechte und Deiner Gemüthsart, ein schicklicher Gewissensrath sey – Wo anders nicht (wie ich lieber glaube) Deine Tante die Einzige ist, die diese Maschine in Gang gesetzt hat.« Fräulein Tabitha schwieg stille, kehrte aber das Weiße in den Augen in die Höhe, als ob ihr Herz gen Himmel seufzte. – Die arme Liddy sagte, sie könne sich den Namen einer andächtigen Seele nicht anmaßen; daß sie gedacht hätte, es sey nichts Böses, eine andächtige Rede anzuhören, wenn sie auch ein Laquey hielte, besonders wenn ihre Tante mit dabey wäre; wenn sie aber aus Unwissenheit geirret hatte: so hoffte sie, er würd' es ihr verzeihen, da sie den Gedanken nicht ertragen könnte, seinen Unwillen auf sich geladen zu haben. Der alte Herr drückte ihr die Hand mit einem sehr gütigen Lächeln, sagte, sie sey ein gutes Kind, und daß er sie nicht für fähig hielte, irgend etwas zu thun, worüber er Ursach hätte, böse oder unwillig zu seyn.

Als wir zu Hause kamen, befahl er Klinkern, ihm oben auf sein Zimmer zu folgen, und redete ihn da mit folgenden Worten an: »Weil Er vom Geiste getrieben wird, zu predigen und zu lehren, so ist es die höchste Zeit, die Livree eines irrdischen Herrn und Meisters abzulegen; und ich meines Theils halte mich für unwürdig, einen Apostel in meinem Dienste zu haben?« – »Ich hoffe, (sagte Humphry) daß ichs an meiner Pflicht gegen Ew. Gnaden nicht habe ermangeln lassen. – Ich wäre sonst ein elender, nichtswürdiger Mensch, in Ansehung des Elendes, aus welchem mich Ew. Gnaden Mitleiden und Barmherzigkeit befreyet haben. – Aber da ich einen inwendigen Beruf des Geistes« – »Beruf des Satans!« (fiel ihm Onkel ganz heftig in die Rede.) »Was Beruf, du Holzkopf? – Was für ein Recht hat ein Kerl wie Er, sich zum Bekehrer aufzuwerfen?« – »Ich bitte, Ew. Gnaden wollen mir verzeihen,« (versetzte Klinker,) »mag nicht das neue Licht der Gnade Gottes den Armen und Einfältigen am Geiste eben so wohl erscheinen, als den Reichen und Weisen dieser Welt mit allen ihrem Stolze auf irrdische Weisheit?« – »Was Er für das neue Licht der Gnade hält,« (sagte sein Herr) »halte ich für ein betrügliches Irrlicht, das einen schwachen Schein durch eine Ritze in seinen Hirnkasten fallen läßt. – Kurz, Meister Klinker, ich will kein Licht in meinem Hause haben, als was durch die Fenster fällt, wofür ich dem Könige die Taxe bezahle, es müßte denn das Licht der Vernunft seyn, wovon Er sagt, daß Er ihm nicht folgen mag.«

»Ach gnädiger Herr, (schrie Humphry) das Licht der Vernunft ist in Vergleichung des Lichts, das ich meyne, nichts weiter als ein Pfennigslicht gegen die helle Sonne am Mittage.« – »Sehr wahr,« (sagte Onkel) »das Eine kann Ihm den Weg erleuchten, den Er zu wandeln hat, und das Andre sein schwaches Gehirn blenden und verwirren. – Hör Er, Klinker, Er ist entweder ein listiger Heuchler, oder ein im Kopfe verwahrloseter Enthusiast; und Er sey nun welches von beyden Er wolle, für meinen Dienst ist Er untauglich – Ist Er ein heiliger, andächtiger Saalbader, so wirds Ihm ein Leichtes seyn, den einfältigen Weibern und andern Säuglingen am Verstande Etwas weis zu machen, welche alsdann ihres letzten Hemdes nicht sparen werden, Ihn zu unterhalten – Ist Er aber wirklich selbst verführt von einer verdorbnen Einbildungskraft, so ist es für das allgemeine Beste gut und nützlich, daß Er je eher je lieber gänzlich von Sinnen kommt. Denn alsdann mag ein mitleidiges Herz dafür sorgen, ihm eine dunkle Kammer und frisches Stroh in dem Tollhause zu Bedlam zu verschaffen, woselbst es nicht mehr in seiner Macht steht, andre ehrliche Leute mit seinem fanatischen Krame anzustecken; wohingegen, wenn Er nur eben so viel Sinne übrig behält, den Charakter eines auserwählten Rüstzeugs in den Versammlungen Seiner Auserwählten zu behaupten, so wird Er und seine Hörer von einem Irrwische sich so lange herum leiten lassen, bis alle bis über den Gürtel in einem Moraste der frömmelnden Raserey fest sitzen, und dann mag Er sich aus Verzweiflung erhenken.« – »Ach da sey der barmherzige Heiland vor!« (rufte der bestürzte Klinker) »Es ist leider! sehr möglich, daß ich in den Stricken der Versuchung des Satans gehe, der mich gern an eine Klippe des geistlichen Hochmuths werfen möchte, um daran Schiffbruch zu leiden – Ew. Gnaden sagen, ich bin entweder ein listiger Heuchler, oder nicht richtig im Kopfes und, da ich Ew. Gnaden heilig betheuren kann, daß ich kein listiger Betrüger bin, so bitte ich Ew. Gnaden auf meinen Knieen, meinen Zustand recht zu überlegen, damit man zu meiner Besserung thun könne.«

Der 'Squire konnte sich nicht enthalten, über die Einfalt des Menschen zu lächeln, und versprach, für ihn zu sorgen, mit dem Beding, daß er seine Dienste in Obacht nehmen, und nicht weiter hinter dem neuen Lichte der Methodisten her laufen sollte: allein Fräulein Tabitha ärgerte sich an seiner Armuth des Geistes, welche sie einem Mangel an göttlicher Kraft, und der Anhänglichkeit am Zeitlichen zuschrieb. – Sie hielt ihm vor, daß er nicht Freudigkeit genug habe, um des Gewissens willen zu leiden. – Sie führte ihm zu Gemüthe, daß wenn er auch um des Zeugnisses der Wahrheit willen seinen Platz verlieren sollte, so würde die Fürsehung nicht ermangeln, ihm einen andern, vielleicht viel einträglichern, anzuweisen; und mit dem Bezeugen, daß es nicht sehr lieblich in einer Wohnung seyn könnte, wo eine Inquisition eingeführt wäre, begab sie sich in ein ander Zimmer.

Mein Onkel sah ihr mit einem sehr bedeutenden Blicke nach, dann wendete er sich zu dem neuen Redner, und sagte: »Er hört, was meine Schwester sagt – Kann Er bey mir nicht auf dem Fuße leben, als ich Ihm vorgeschrieben habe, so liegt da der Weinberg der Methodisten vor Ihm, und sie scheint sehr geneigt zu sein, Ihm des Tages Last und Hitze zu bezahlen.« – »Mit Wissen und Willen, (antwortete Klinker,) möchte ich nicht gerne eine Seele auf Gottes Erdboden beleidigen; das gnädige Fräulein sind immer sehr gnädig gegen mich gewesen, seitdem wir in London gewesen sind, und ihr Herz ist sicherlich zu andächtigen Werken auserwählt; und sie und Lady Griskin singen beyde die Psalmen und geistlichen Lieder, als obs zween Cherubim wären – Aber ich muß auch Ew. Gnaden zugleich lieben und ehren – Es gebührt einem armen, unwissenden Menschen, wie mir, nicht, mit Herrn von Stande und Gelehrsamkeit zu rechten. – Und wenns auf Weisheit ankömmt, so bin ich gegen Ew. Gnaden nur ein dummes Vieh; ich gebe mich also gefangen; und, mit Gottes Hülfe, will ich Ihnen folgen bis ans Ende der Welt, wenn Ew. Gnaden glauben, daß es nicht zu arg mit mir geworden ist, um frey herum zu gehn.«

Sein Herr versprach, ihn noch einige Zeit länger auf die Probe zu behalten; alsdann verlangte er zu wissen, wie Lady Griskin und Herr Barton dazu gekommen, ihre andächtige Gesellschaft zu verstärken. Er erzählte ihm, daß es gerade Ihro Gnaden gewesen, die meine Tante zuerst nach der Andachtsübung mitgenommen habe, wohin er sie begleitet, und daß seine eigne Andacht durch eine Predigt des Herrn W** entflammet sey: daß er auf diesem neuen Pfade durch die Postille des Predigers, die er sich gekauft, gestärkt und gegründet worden, weil er sie mit großer Emsigkeit studirt habe, daß seine Reden und Gebete Jungfer Jenkins und die Hausmagd auf diesen neuen Fußsteig der Gottseligkeit gebracht; allein Herr Barton hab' er niemals vorher in der Stunde gesehn, als Heute, da er mit Lady Griskin gekommen wäre – Uebrigens gestund Humphry, daß er durch das Beyspiel eines Leinwebers, welcher den Preis einer mächtigen Zunge hatte, die Freudigkeit erlangt habe, öffentlich vor der Gemeine zu reden; daß er bey dem ersten Versuche einen so gewaltigen Trieb in sich verspürt, der ihn wirklich dahin gebracht habe, zu glauben, ihn triebe der Geist des Herrn, und daß er, sowohl in Lady Griskins als verschiednen andern Häusern, den Andachtsübungen beygewohnt habe.

Onkel war nicht so bald unterrichtet, daß die gnädige Frau das erste Rad in diesem Uhrwerke gespielt habe, als er den Schluß machte, sie habe sich bloß des Klinkers als eines Werkzeuges zu der Ausführung eines Plans bedient, mit dessen geheimer Absicht er völlig unbekannt wäre. Er machte die Anmerkung, daß Ihro Gnaden Gehirn eine vollkommne Mühle für Projekte sey, und daß sie und Tabby ganz gewiß geheime Traktaten geschlossen hätten, deren Natur er nicht ergründen konnte. Ich sagte ihm, ich glaubte, es sey eben so schwer nicht, den Anschlag der Tante Tabby zu merken, welcher wäre, das Herz des Herrn Bartons in ihre Schlingen zu bringen, und daß nach aller Wahrscheinlichkeit Lady Griskin als ihre Bundesgenossinn verführe, und daß sich aus dieser Voraussetzung erklären ließe, warum sie sich bemüht, ihn zur Pietisterey zu bekehren; ein Umstand, der ein Band der Seelen hervorbringen möchte, das leicht zu einer ehelichen Vereinigung getrieben werden könnte.

 

Mein Onkel schien sich ungemein an der Ausführung dieses Planes zu belustigen; allein, ich gab ihm zu verstehn, daß Barton bereits sein Herz anderwärts im Stiche gelassen; daß er den Tag vorher Liddy mit einem goldnen Bestecke beschenkt, welches Tante sie genöthigt hätte, anzunehmen, in der Absicht ohne Zweifel, damit sie zu gleicher Zeit eine Schnupftabacksdose einsäckeln können; daß mir meine Schwester diese Begebenheit erzählt, und ich mir darüber eine Erklärung vom Herrn Barton ausgebeten, welcher gestanden, daß seine Absichten rechtmäßig wären, und er bezeugt habe, er hoffe, daß ich gegen diese Verbindung nichts einzuwenden haben würde; daß ich ihm für die Ehre gedankt, die er unsrer Familie zugedacht, ihm aber gesagt hätte, es würde erforderlich seyn, ihren Onkel und ihre Tante um Rath zu fragen, unter deren Vormundschaft sie stünde; und daß ich gegen den Vorschlag nichts einzuwenden haben würde, wenn die ihn billigten, ob ich indessen gleich überzeugt wäre, daß bey einem Schritte, wobey es auf die künftige Glückseligkeit des Lebens meiner Schwester so sehr ankäme, man ihr keinen Zwang anthun würde; daß er mich versichert hätte, es könne ihm niemals einfallen, sich des Ansehns eines Vormundes zu Nutze zu machen, wenn er nicht seine Liebe dem geliebten Frauenzimmer selbst angenehm machen könnte; und daß er nicht länger anstehn würde, Herrn und Fräulein Bramble um Erlaubniß zu bitten, seine Hand und Vermögen meiner Schwester Liddy anbieten zu dürfen.

Onkel übersah den Vortheil einer solchen Verbindung keinesweges, und versicherte mich, er würde thun, was er könnte, um sie zu befördern; als ich ihm aber sagte, es schiene, als ob sich an Liddys Seite eine Abneigung fände, sagte er, er wolle es schon von ihr heraus zu bringen suchen; und, wenn ihr Widerwille zu stark wäre, würde er den Antrag des Herrn Barton höflich ablehnen; denn er dächte, daß bey der Wahl eines Ehemannes ein junges Frauenzimmer aus keiner Betrachtung in der Welt ihren Empfindungen entsagen dürfte – »Liddy ist nicht in so schlechten Umständen, (sagte er,) um solch einen Preis ihre Kniee vor dem Mammon zu beugen.« Ich halte es für ausgemacht, daß die ganze Geschichte im Rauche auffliegen wird; ob sich gleich von der Gegend der Tabby her ein Gewitter zusammenzuziehen scheint, welche mit aller dunkeln Würde des Stillschweigens bey Tische saß, und ein gewaltiger Schauer von Beschwerden und Gezänke drohte. Da sie ganz gewiß den Herrn Barton zu ihrer eignen Beute ausersehn hat; so kann sie unmöglich seine Anwerbung um Liddy begünstigen, und deshalb erwarte ich, daß seine Liebeserklärung für Liddy von etwas Außerordentlichem begleitet werden wird. Diese Erklärung wird ohne Zweifel in aller Form vor sich gehn, sobald der Liebhaber so viel Muth sammlen kann, das Ungewitter auszuhalten, welches Tabbys fehlgeschlagne Hoffnung erregen möchte. Denn ich bin gewiß, daß er ihre Absicht auf seine Person gemerkt hat. – Die besondre Art der Entwicklung sollen Sie zu gehöriger Zeit erfahren; bis dahin verbleib' ich

  London,
den 10ten Junii.

allezeit der Ihrige,
J. Melford.   



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An den Doctor Lukas.

Mein lieber Lukas,

Die betrügliche Stille hat nicht lange gewährt. Ich bin wieder in ein Meer von Verdrüßlichkeiten gestürzt, und die Schmerzen im Magen und Eingeweide sind wieder gekommen; so, daß ich glaube, ich werde wohl nicht im Stande seyn, meine vorgehabte Reise auszuführen. – Was für ein Satan trieb mich, mich mit einer Kuppel Weibsbilder auf diese Plagenjagd zu verfügen? Gestern kam meine liebwertheste Demoiselle Schwester (welche, im Vorbeygehn gesagt, sich seit einiger Zeit unter die Zahl der Heiligen gesammlet hat) in Begleitung des Herrn Barton in mein Zimmer, und verlangte mit gar stattlichem Wesen ein geneigtes Gehör – »Herr Bruder, (sagte sie) dieser Herr hat dir Etwas vorzutragen, welches dir, wie ich mir schmeichle, um desto angenehmer seyn wird, da es dich von einer lästigen Gesellschaft befreyen wird.« Darauf nahm Herr Barton ungefähr folgendermaßen das Wort: – »In der That, ich trage herzliches Verlangen, mit Ihrer Familie verwandt zu werden, mein Herr Bramble; und ich hoffe, Sie werden sich Ihres Ansehns nicht bedienen wollen, mir darinn zuwider zu seyn.« – »Ansehn, Ansehn! (unterbrach ihn Tabby mit einiger Hitze,) Ich weiß von keinem Ansehn, das er bey dieser Gelegenheit brauchen könnte – Wenn ich ihm die Höflichkeit erweise, ihn von dem Schritte zu benachrichtigen, den ich zu thun gesonnen bin, so ist das Alles, was er vernünftiger Weise erwarten kann – Er würde, denk' ich, gegen mich in der Welt nicht mehr thun, wenn er willens wäre, seinen ledigen Stand zu vertauschen – Kurz, Herr Bruder, ich habe des Herrn Bartons vorzügliches Verdienste so gut kennen gelernt, daß ich überredet worden bin, meinen Vorsatz, ein beständiges eheloses Leben zu führen, zu ändern, und meine Glückseligkeit in seine Hände zu legen, indem ich ihm ein gesetzmäßiges Recht über meine Person und Vermögen, so wie beydes ist, zum beliebigen Gebrauche übergebe. Es braucht itzt weiter nichts, als den Ehecontract ausfertigen zu lassen, und der Herr Bruder wird mir den Gefallen thun, und mir dazu einen Rechtsgelehrten vorschlagen.« –

Sie können leicht erachten, was diese Ouvertüre für eine Wirkung auf mich that, da ich zufolge der Nachricht von meinem Neffen erwartete, Barton würde eine förmliche Anwerbung um Liddy thun. Ich konnte mich nicht enthalten, mit stillschweigender Verwundrung bald Tabby, bald ihren vorgeblichen Bräutigam anzugaffen, welcher letztre wie ein verwirrter Einfaltspinsel da stand, und den Kopf hängen ließ, bis er sich unter dem Vorwande eines plötzlichen Schwindels wegbegab. Tabby that sehr geschäftig, und wollte, er sollte sich eines Bettes im Hause bedienen; allein er bestund darauf, daß er nach seinem Hause gehen müßte, um gewisse Tropfen zu nehmen, welche er für dergleichen Zufälle hatte; und damit beruhigte sich seine Inamorata. – Indessen war ich arg in der Klemme, (ob ich gleich die Wahrheit vermuthete,) und wußte nicht, wie ich mich gegen Tabitha nehmen sollte, als Jeronimus herein trat und mir sagte, er habe eben Herrn Barton vor Lady Griskins Thüre gesehn – Der Umstand schien einen Besuch von der gnädigen Frau vorzubedeuten, mit welchem wir denn auch in weniger denn einer halben Stunde beehrt wurden. – »Ich finde,« (sagte sie) »meine lieben Freunde, daß hier ganz artige Irrungen vorgegangen sind, und bin gekommen, Ihnen heraus zu helfen.« Mit diesen Worten stellte sie mir folgendes Billet zu:

»P. P.

So bald ich mich nur einigermaßen von der heftigen Verwirrung erholt, in welche mich der unglückliche Irrthum Ihrer Fräulein Schwester gestürzt hatte; habe ich für meine Schuldigkeit gehalten, Sie zu versichern, daß meine Pflichtsbezeugungen gegen Fräulein Bramble niemals die Schranken der gewöhnlichen Höflichkeit überschritten haben; und daß mein Herz ohne alle Veränderung an Miß Liddy hängt, wie ich die Ehre gehabt habe, ihrem Bruder zu bezeugen, als er mich darüber befragt hat – Lady Griskin ist so gütig gewesen, nicht allein die Besorgung dieses Billets, sondern auch die unangenehme Mühwaltung zu übernehmen, Fräulein Bramble aus dem Irrthume zu bringen, für welche ich die tiefste Ehrerbietigkeit und Hochachtung hege, ob gleich mein Herz nicht mehr in meiner Gewalt steht. Ich habe die Ehre zu seyn u. s. w.

Ralph Barton.«

Als ich dieses Billet durchlaufen hatte, sagte ich der gnädigen Frau, daß ich Sie nicht länger abhalten wollte, den Freundschaftsdienst auszurichten, den sie über sich genommen hätte, und gieng mit Jerom in ein andres Zimmer. Hier dauerte es nicht lange, bis wir vernahmen, daß die Unterredung zwischen den beyden Damen sehr lebhaft wurde; und endlich hörten wir ganz deutlich gewisse zänkische Ausdrücke, denen wir, ohne Beleidigung des Wohlstandes, nicht länger anstehn konnten, Einhalt zu thun. Als wir in das Disputirzimmer traten, fanden wir, daß Liddy sich unter die Streitenden gemischt hatte, und zitternd zwischen beyden inne stand, als ob sie in Aengsten wäre, sie würden zu Etwas wesentlicherm, als bloßen Worten schreiten. – Lady Griskins Gesicht glich dem Vollmonde in einem Windsturme, funkelnd, feurig und drohend; derweile Tabby vor Grimm bleich war, mit einem Gesichte, das Unglück und Zwietracht verkündigte. – Unsre Ankunft machte dem Wortkampfe ein Ende; allein die gnädige Frau sagte, indem sie sich zu mir wendete: »Cousin, ich kann nicht anders sagen, als daß Ihre Fräulein Schwester die Mühe, die ich mir gegeben habe, Ihrer Familie zu dienen, mit großem Undanke belohnt.« – »Meine Familie ist Ihnen sehr verbunden, Malyd,« (schrie meine Schwester mit einer Art von hysterischem Gelächter;) »aber wir haben kein Recht auf die Dienste einer so vornehmen Zwischenträgerinn.« – »Bey alle dem, mein gutes Fräulein, Tabitha Bramble, werde ich mich mit der Betrachtung beruhigen, daß die Tugend ihr eigner Lohn ist: und mir soll man die Schuld nicht beylegen, wenn Sie länger fortfahren, sich lächerlich zu machen. Herr Bramble, der wird ohne Zweifel, alles beytragen, was in seinen Kräften ist, eine Verbindung zwischen Herrn Barton und seiner Nichte zu befördern, weil eben so viele Ehre als Vortheil dabey ist; und ich wollte wohl behaupten, Miß Liddy hat gegen einen Vorschlag nichts einzuwenden, der in aller Betrachtung darauf abzielt, sie auf Zeitlebens glücklich zu machen?« – »Mylady werden mir verzeihen,« (brach Liddy mit vieler Lebhaftigkeit aus,) »ich habe von dem Vorschlage nichts anders, als Elend zu erwarten; und ich hoffe, meine lieben Vormünder haben zu viel Mitleiden mit mir, um meine Zufriedenheit gegen Ansehn und Reichthum zu vertauschen.« – »Auf mein Wort, Miß Liddy, (sagte sie,) das Beyspiel Ihrer lieben Tante ist bey Ihnen nicht fruchtlos gewesen, seh' ich. – Ich versteh Sie ganz wohl, und will mich zu rechter Zeit weiter darüber erklären. Unterdessen will ich mich Ihnen allen empfehlen. – Gnädiges Fräulein, Ihre ganz unterthänigste Dienerinn!« sagte sie, indem sie ganz dicht vor meine Schwester gieng, und einen so tiefen Kniks machte, daß ich dachte, sie wolle sich auf türkisch nieder lassen. Diese Ehrenbezeugung erwiederte Tabby mit eben der Feyerlichkeit; und der Ausdruck der beyden Gesichter, während sie in dieser Stellung waren, würde kein übler Gegenstand für den unvergleichlichen Pinsel eines Hogarths seyn, wenn irgend, bey diesen kunst- und kennerlosen Zeiten, einer wieder aufstehn könnte.

 

Jeronimus begleitete die Lady zu Hause, damit er die Gelegenheit hätte, Herrn Barton das Besteck wieder zuzustellen, und ihm zu rathen, er möchte von seiner Bewerbung abstehn, die seiner Schwester so angenehm wäre; gegen diese war er gleichwohl bey seiner Zurückkunft sehr aufgebracht. – Lady Griskin hatte ihn versichert, Liddys Herz sey bereits in einen Andern verliebt; und da ihm hierbey augenblicklich die Idee von Wilson wieder in den Kopf kam: so gerieth sein Familienstolz in Bewegung – Er gelobte, sich an dem Landstreicher zu rächen, und war in der Fassung, mit seiner Schwester aus einem hohen Tone zu sprechen; allein ich verlangte, daß er seinen Zorn so lange unterdrücken sollte, bis ich erst unter vier Augen mit ihr gesprochen hätte.

Das arme Kind gestand, als ich über diesen Punct ernsthaft in sie drang, mit einer Fluth von Thränen, daß Wilson wirklich nach der heißen Quelle zu Bristol, und sogar als ein verkleideter Schacherjude in unsre Wohnung gekommen sey; daß aber unter ihnen nichts weiter vorgefallen wäre, als daß sie ihn gebeten, er möchte sich gleich wegbegeben, wenn er noch einige Achtung für ihre Gemüthsruhe hätte; daß er sich also auch unsichtbar gemacht, nachdem er meiner Schwester Putzmädchen zu überreden gesucht hatte, ihr einen Brief zuzustellen; die es aber nicht thun wollen, indeß gleichwohl den Auftrag zu bestellen angenommen habe, daß er ein Edelmann von guter Familie sey, und in sehr kurzer Zeit unter diesem Charakter seine Anwerbung thun wolle. – Sie bekannte, daß, ob er schon in diesem Stücke sein Wort nicht gehalten habe, so wäre er ihrem Herzen doch nicht gleichgültig; versprach aber dabey feyerlichst, sie wollte sich inskünftige weder mit ihm noch sonst jemand im geringsten einlassen, ohne mein und ihres Bruders Wissen und Willen.

Durch diese Versichrung hat sie sich bey ihrem Bruder wieder ausgesöhnt; aber der hitzköpfige Knabe ist mehr als jemals wider Wilson in Feuer und Flammen, den er nun als einen Betrüger ansieht, der schändliche Absichten auf die Ehre seiner Familie hege. – Was Barton anbetrifft, so giengs ihm nicht wenig nahe, als er fand, daß er mit seiner Anwerbung so übel gefahren, und ihm sein Präsent wieder zugestellt wurde; doch ist er nicht der Mann, der sich über einen unglücklichen Korb zu Tode grämen sollte; und ich weis nicht, obs ihm nicht eben so lieb seyn wird, daß ihn Liddy abgewiesen hat, als wenn er die Erlaubniß bekommen, seine Bewerbungen auf die Gefahr fortzusetzen, täglich und stündlich die Rache und Heimtücke der Tabby besorgen zu müssen; als welche dergleichen Verachtung nie ungeahndet läßt. – Ich hatte nicht viel Zeit, über diese Vorfälle moralische Betrachtungen anzustellen; denn es kam ein Gerichtsbedienter und Häscher ins Haus, mit einem Gewaltzettel vom Richter Buzzard, Humphry Klinkers Koffer zu durchsuchen, den man eben als einen Straßenräuber eingezogen hatte. – Dieser Zufall brachte das ganze Haus in Verwirrung. Meine Schwester schalt den Gerichtsbedienten wegen seiner Dreistigkeit, in einem solchen Geschäffte in die Wohnung eines Edelmanns zu kommen, ehe er dazu Erlaubniß gebeten und erhalten hätte; ihr Mädchen bekam Ohnmachten vom Schreck, und Liddy vergoß Thränen des Mitleidens über den unglücklichen Klinker, in dessen Koffer gleichwohl nichts gefunden ward, den Verdacht des Diebstahls zu bestärken.

Ich meines Theils zweifelte keinesweges, man müßte den Burschen für einen andern angesehn haben, und gieng auf der Stelle zum Richter, seine Loslassung zu bewirken; ich fand daselbst aber die Sache weit ernsthafter, als ich vermuthet hatte. Der arme Klinker stund zitternd vor den Schranken, umgeben mit Diebsfängern; und nicht weit von ihm stund ein dicker vierschrötiger Kerl von Postillion, sein Ankläger, der ihn in der Gasse gepackt hatte, und eidlich auf ihn aussagte: Er, besagter Klinker, habe den 15ten des vorigen Merzmonats auf der schwarzen Haide einen Herrn in einer Postchaise beraubet, welche er, (der Postillion,) gefahren habe. – Diese eidliche Aussage war hinlänglich, den Verhaftsbefehl zu rechtfertigen; und also ward er nach Clerkenwell ins Gefängniß geschickt, wohin ihn Jeronimus in einer Kutsche begleitete, um ihn dem Gefängnißwärter bestens zu empfehlen, damit ers ihm nicht an solchen Bequemlichkeiten mangeln lassen möchte, die der Ort erlaubte.

Die Zuschauer, welche sich sammelten, den Straßenräuber zu sehen, waren scharfsinnig genug, etwas sehr spitzbübisches in seinem Gesichte zu entdecken, welches (mit ihrer Vergünstigung) das wahre Bild der Einfalt ist; und selbst der Richter legte einige von seinen Antworten sehr nachtheilig für ihn aus, welche, wie er sagte, nach den Wendungen und Ausweichungen eines erfahrnen Sünders schmeckten; nach meiner Meynung aber wäre es gerechter und menschlicher gewesen, solche auf Rechnung der Verwirrung zu schreiben, in die nach billiger Vermuthung ein armer Bauerkerl bey solcher Gelegenheit gerathen muß. Ich bin noch beständig überzeugt, daß er unschuldig ist; und in dieser Ueberzeugung kann ich nicht weniger thun, als meine äußersten Kräfte anzuwenden, daß er nicht unterdrückt werde. – Morgen soll mein Neffe zum Besuche bey dem Herrn fahren, der bestohlen worden, und ihn bitten, daß er so menschlich seyn und hingehen möge, den Gefangenen zu besuchen; und daß er, im Falle er ihn von der Person des Straßenräubers sehr verschieden findet, ein Zeuge für ihn seyn wolle. – Es mag nun mit Klinkern ablaufen wie es will, so wird mir doch diese verdammte Geschichte unerträglichen Verdruß machen. – Ich habe schon dadurch, daß ich aus des Richters Zimmer, wo ich im Gedränge stark geschwitzt hatte, gleich in die freye Luft gieng, eine fürchterliche Verkältung davon getragen; und ob ich gleich vom Podagra frey bleibe, wie ich doch, leider! nicht hoffen darf, so muß ich dennoch einige Wochen in London bleiben, bis der arme Teufel sein Urtheil bekommen hat; dergestalt ist es sehr wahrscheinlich, daß meine Reise nach Norden wohl auffliegen wird.

Wenn Sie irgend etwas in Ihrer philosophischen Kramtasche finden können, um mich in diesen meinen Sorgen und Kummer zu trösten, so bitte ich, theilen Sie es mit,

Ihrem

  London,
den 12ten Junii.

unglücklichen Freunde,
M. Bramble.   

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An Sir Watkin Philipps, Baronet, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Liebster Watkin,

Das Possenspiel ist aus, und es hat sich schon wieder ein ernsthafteres Drama angesponnen. – Unsre Tante that einen desperaten Angriff auf Barton, dem kein andrer Weg blieb, sich zu retten, als daß er sie im Besitz des Schlachtfeldes ließ, und seine Absichten auf Liddy erklärte, die dann ihn wieder ausschlug. – Bey dieser Gelegenheit betrug sich Lady Griskin als sein Agent und Advocat mit solchem Eifer, daß sie sich darüber mit Tabitha entzweyhete; und unter diesen beyden andächtigen Seelen folgte ein heftiger Wortwechsel, der gar leicht in Thätlichkeiten hätte ausarten können, wäre mein Onkel nicht dazwischen gekommen. Ein Zufall, der uns alle in Sorgen und Unruhe verwickelt hat, machte sie indessen wieder zu Freundinnen. Ich habe Ihnen zu erzählen, daß der arme Prediger, Humphry Klinker, gegenwärtig sein Amt unter den Missethätern in Clerkenwell-Gefängniß führt. – Ein Postillion hat ihn eidlich als einen Räuber angeklagt, deswegen konnt' er nicht losgebürget werden, sondern mußte ins Gefängniß, mein Onkel mochte dagegen sagen und thun was er wollte.

Alles wohl überlegt, kann der arme Kerl unmöglich schuldig seyn, und dennoch, fürcht' ich, ist er nicht ganz sicher vor dem Galgen. – Bey dem ersten Verhöre antwortete er mit so viel Verwirrung und Zurückhaltung, daß die meisten Leute, die sich herbeygedrängt hatten, ihn wirklich für einen Spitzbuben hielten, und die Anmerkungen des Richters bestätigten ihre Meynung. Meinen Onkel und mich ausgenommen, war nur noch ein einziger Mann da, welcher von dem Angeklagten günstig zu denken schien. – Es war ein junger Mann, wohlgekleidet; und aus den verfänglichen Fragen, die er an den Ankläger that, hielten wirs für ausgemacht, daß er Student in irgend einem Juristencollegio sey. – Er machte dem Richter freymüthige Erinnerungen über seine Härte, so nachtheilige Folgerungen aus des Angeklagten Antworten zu ziehn, und wagte es sogar, mit seiner hochrichterlichen Weisheit über gewisse Puncte der Rechte zu disputiren.

Mein Onkel ward entrüstet über die schwankenden und nicht zusammenhängenden Antworten Klinkers, welcher in Gefahr stund, sich durch seine eigne Einfalt hinzuopfern, und rufte ihm zu: »In Gottes Namen! Wenn Er unschuldig ist, so sag' Ers doch« – »Nein, (versetzte Klinker,) da bewahre mich Gott vor, daß ich mich unschuldig nennen sollte, da mein Gewissen mit Sünden beschwert ist.« – »Wie? Du hast also den Raub begangen?« – »Nein gewiß nicht; die Sünde hab ich, Gottlob! nicht auf meinem Gewissen!«

Hier fiel der Richter ein, und sagte, der Kerl schiene geneigt, zu beichten und ein Complott angeben zu wollen, der Actuarius sollte nur gleich seine Beichte zu Protokolle nehmen; hier bezeugte Humphry, daß er die Beichte für einen papistischen Kunstgriff hielte, den die babylonische Hure erdacht hätte. Der Candidatus juris behauptete, der arme Kerl sey non compos ; und ermahnte den Richter, ihn als einen Blödsinnigen frey zu sprechen. »Sie wissen recht gut (setzte er hinzu,) daß der Gefangene den besagten Raub nicht begangen hat.« –

Die Diebsfänger grinseten einander an, und der Richter erwiederte ganz unwillig: »Herr Martin, seyn Sie so gut, und bekümmern Sie sich um Ihre eigne Sachen; Sie sollen nächstens überzeugt werden, daß ich die meinigen verstehe.« Kurz, es war keine Remedur; der Verhaftsbefehl ward ausgefertigt, und der arme Klinker in einem Miethwagen, unter Aufsicht eines Gerichtsdieners, nach dem Gefängnisse geschickt, wohin ihn Ihr gehorsamer Diener begleitete. Unterwegs wunderte ich mich nicht wenig, diesen Gerechtigkeitshandlanger zum Gefangenen sagen zu hören, er solle nur gutes Muthes seyn, denn er zweifle keinesweges, er würde mit ein paar Wochen Gefängniß frey kommen. – Er sagte, Se. Hochweisheiten wüßten sehr gut, daß Klinker an der That unschuldig wäre, und daß der eigentliche wahre Straßenräuber, der die Chaise bestohlen hätte, niemand anders sey, als ebenderselbe Herr Martin, der so nachdrücklich für den ehrlichen Humphry gesprochen.

Stutzig über diese Nachricht, fragte ich: »Warum leidet man denn, daß er so frey herumgeht, und daß dieser arme Mensch als ein Missethäter ins Gefängniß geschleppt wird?« – »Wir haben genaue Nachricht, (sagt' er,) von Martins Tritten und Schritten. Allein, bis itzt haben wir noch keine hinlängliche rechtliche Beweise zu seiner Ueberführung; und der Richter konnte nicht umhin, diesen jungen Menschen setzen zu lassen, weil der Postillion eidlich wider ihn ausgesagt hat.« – »Also wenn dieser Spitzbube von Postillion,« (sagte ich,) »auf seinem Meineyde besteht, so kann er diesen unschuldigen Menschen an den Galgen bringen.«

Der Gerichtsdiener meynte, er würde Zeit genug haben, sich auf sein obergerichtliches Verfahren vorzubereiten, und könnte alsdann beweisen, daß er zur Stunde des Diebstahls an einem andern Orte gegenwärtig gewesen; oder Martin könnte auf einer andern That ertappt und eingezogen werden, in welchem Falle man von ihm erhalten könnte, daß er sich selbst zu dieser That bekennte; oder endlich, wenn alles fehlschlagen sollte, und der Zeuge bey seiner Aussage bliebe: so könnten ihn seine Richter der Gnaden des Königs empfehlen, in Ansehung seiner Jugend, und besonders, wenn kein anders ähnliches Verbrechen auf ihn gebracht würde.

Humphry gestund, er könne nicht sagen, daß er sich zu erinnern wüßte, wo er an dem Tage gewesen sey, da der Raub geschehen; noch weniger wüßte er von sechs Monaten her dergleichen Umstände beweislich darzuthun; ob er gleich wüßte, daß er damals das Fieber gehabt, so sey er doch dabey umhergegangen – Darauf seufzete er mit gen Himmel gerichteten Augen: »Des Herrn Wille geschehe! Soll dieß Leiden über mich ergehn: so hoffe ich den Glauben nicht zu schänden, den ich, so unwürdig ich dessen bin, öffentlich bekenne.«

Als ich meine Verwundrung zu erkennen gab, wie der Ankläger auf seiner Aussage auf Klinkern beharren konnte, ohne im geringsten auf den rechten Räuber zu achten, der ihm vor dem Gesichte gestanden, und mit dem Humphry in der That nicht die kleinste Aehnlichkeit hatte, gab mir der Gerichtsdiener, (der selbst ein Diebsfänger war,) zu verstehn, daß Martin seine Sache, unter allen Heerstraßenrittern, die er je gekannt, am besten verstünde; daß er niemals mit jemanden in Maskopey gewesen, oder zu seinen Geschäfften sich fremder Hülfe oder Nachrichten bediente, und nie anders, als mit kaltem Blute und nüchternem Muthe an sein Werk gienge; daß ihn seine Herzhaftigkeit und Gegenwart des Geistes niemals verließe; daß er sich keinesweges mit Uhren, Ringen und dergleichen Kostbarkeiten behellige; sondern sein Verkehr bloß mit klingender Münze, und zwar nur mit solcher triebe, die im Reich gäng' und gebe wäre; und daß er sich und sein Pferd dergestalt zu verstellen wüßte, daß es nach der That unmöglich sey, das Eine oder den Andern wieder zu kennen. – »Dieser große Mann« (sagte er,) »hat seit fünf viertel Jahren auf zehn und mehr Meilen um London herum über alle Heerstraßen Landshoheit ausgeübt, und hat in der Zeit mehr Thaten gethan, als alle seine Zunftgenossen zusammen; denn er verfährt mit denen, die ihm in die Hände fallen, so säuberlich, daß sie kein Verlangen tragen, ihn im geringsten zu beunruhigen; bey alledem aber ist er doch nahe am Ende seiner Laufbahn – Er flattert um den Richter herum, wie eine Mücke um das Licht. – Ihm sind so viele Leimruthen gelegt, daß ich baare hundert Pfund wetten will, er bummelt, eh noch Weynachten ins Land kömmt.«

Sollte ich es Ihnen gestehn, daß diese Schildrung, welche ein Buschklepper machte, und welche das, was ich selbst in seinem Betragen angemerkt hatte, noch erhöhte, mich einen warmen Antheil an dem Schicksale des armen Martins nehmen ließ, den die Natur zu einem guten und nützlichen Mitgliede der menschlichen Gesellschaft bestimmt zu haben scheint, die er itzt auszuplündern sucht, um zu leben. Es scheint, daß er einige Zeit bey einem Holzhändler Comptoirbedienter war, mit dessen Tochter Martin sich heimlich verheyrathete, weswegen er verabschiedet, und seine Frau aus dem Hause gestoßen wurde. Sie überlebte ihre Verheyrathung nicht lange, und Martin, der wieder aufs Pflaster gebracht worden, wußte seine Bedürfnisse auf keine andre Art zu befriedigen, als daß er die Heerstraßen wählte, welche er bis diese Stunde mit ungewöhnlich gutem Fortgange beritten hat. Er macht dem Herrn Richter Buzzard, General en Chef der Diebsfänger dieser Hauptstadt, sehr ordentlich die Cour, und zuweilen rauchen sie ganz freundschaftlich zusammen eine Pfeife Toback, wobey gemeiniglich das Gespräch von den Erfordernissen gültiger Zeugen und Zeugnissen ist. Der Richter hat ihn treuherzig gewarnt, auf seiner Hut zu seyn, und Martin hat sichs gesagt seyn lassen. Bis hierher hat er mit einer Geschicklichkeit, die dem Genie eines Cäsars oder Türenne Ehre machen würde, alle Bemühungen, Kunst und Wachsamkeit Buzzards und seiner Spürhunde vereitelt; Eine Schwachheit hat er an sich, welche allen Helden seiner Gattung schädlich geworden ist, nämlich eine unvorsichtige Anhänglichkeit an das schöne Geschlecht; und, nach aller Wahrscheinlichkeit, wird er von dieser schwachen Seite angegriffen werden.

Dem Dinge viel Guts! Ich sah Klinkers Person dem Kerkermeister von Clerkenwell überliefern, dessem Wohlwollen ich ihn so nachdrücklich empfahl, daß er ihn so liebreich als möglich aufnahm, ob gleich die Nothwendigkeit erfoderte, ihn mit einer eisernen Garniture zu schmücken, worinn er einen sehr traurigen Aufzug machte. Der arme Mensch schien eben so innig über meines Onkels Güte gerührt zu seyn, als über sein eignes Unglück. Als ich ihn versicherte, daß nichts unterbleiben sollte, sowohl seine Befreyung zu bewirken, als auch bis dahin seine Gefangenschaft erträglich zu machen, fiel er auf die Kniee, küßte meine Hand, die er mit seinen Thränen badete, und sagte mit Schluchzen: »O gütigster Herr, was soll ich sagen? – Ich kann – nein – ich kann nicht sprechen – mein armes Herz will mir zerspringen, vor Dankbarkeit gegen Sie, und meinen lieben – lieben – edlen – großmüthigen Wohlthäter.«

Ich versichre Sie, der Auftritt war so rührend, daß ich froh war, mich fortzureissen und nach Hause zu meinem Onkel zu kehren, der mich des Nachmittags zu einem gewissen Herrn Mead sendete, welches der Mann ist, der auf der schwarzen Haide bestohlen worden. Da ich ihn nicht zu Hause fand, ließ ich mein Gewerbe zurück, und er kam heute Morgen bey uns vor, und versprach ganz menschenfreundlich, den Gefangenen zu besuchen. Unter währender Zeit war Lady Griskin gekommen, unsrer Tante ihr feyerliches Beyleid über diese häusliche Widerwärtigkeit zu bezeugen, und diese kluge Jungfrau, deren Eifer sich abgekühlt hatte, hielt es für wohlgethan, Ihro Gnaden so höflich zu begegnen, daß eine augenblickliche Versöhnung darauf erfolgte. Diese beyden Damen beschlossen, den armen Gefangenen persönlich Trost zuzusprechen, und Herr Mead und ich begleiteten sie nach Clerkenwell, weil mein Onkel wegen einiger Schmerzen im Magen und den Eingeweiden zu Hause bleiben mußte.

Der Gefängnißschließer, der uns zu Clerkenwell aufmachte, sah sehr mürrisch aus; und als wir nach Klinkern fragten, sagte er: »Ich wollte, er säße beym Satan; da haben sie nichts gethan, als Singen und Beten, so lange der Kerl dazu gekommen ist. – Hohl' ihn sein Teufel! der Schank muß zu Grunde gehn – Keine lumpen Tonne Bier haben wir ausgezapft, oder ein Dutzend Buddel Wein verkauft, seit dem sein Hänselgeld vertrunken ist. Die Herren berauschen sich mit nichts mehr, als ihrer verwünschten Religion. Ich wollte wohl schwören, Ihr Kerl hätt's mit dem Teufel zu thun. Zwey oder drey Männer, die so viel Herz haben, als nur einer von allen, die die Haide bereiten, haben Ihnen da die ganze Nacht nichts gethan, als Heulen. Wenn wir den Kerl nicht bald durch ein Habeas Corpus oder sonst loswerden, so will ich mich wohl hängen lassen, wenn noch ein Körnchen ordentliche Korasche zwischen unsern vier Wänden bleibt. Wir behalten keine Seele, die unsrer Gesellschaft Ehre machen, oder als ein wahrer Engländer aus der Welt gehn wird. – Hohl's der Teufel! sie werden aufm Karren nichts thun, als winseln, wie die Mäuse – Wir werden alle noch beym Sterben singen, wie die Leinweber und Schuster, wenns donnert.«

Kurz, wir fanden, daß Humphry in demselben Augenblicke den Missethätern in dem Gewölbe eine Vermahnungsrede hielt; und die Frau und Tochter des Kerkermeisters, mit sammt meiner Tante Stubenmädchen, Win Jenkins, und unsrer Hausmagd, waren unter den Zuhörern, welche wir dann augenblicklich verstärkten. Ich habe in meinem Leben nichts malerischers gesehn, als diese Versammlung von Spitzbuben, die mit den Ketten rasselten, in deren Mitte der Redner Klinker stund, und mit glühendem Eifer die Quaalen der Hölle abmalte, welche in der Schrift den Uebelthätern, als da sind, Mörder, Räuber, Diebe, Hurer und Ehebrecher, gedrohet werden. Die verschiednen Arten von Aufmerksamkeit waren auf den Gesichtern dieses Gesindels sehr lebhaft ausgedrückt, und machten eine Gruppe, womit ein raphaelischer Pinsel Ehre hätte einlegen können. Auf dem einen las man, Bewundrung; auf dem andern, Zweifel; auf einem dritten, Leichtsinn; auf einem vierten, Verachtung; auf einem fünften, Schrecken; auf einem sechsten, Spott; und auf einem siebenden, boshaften Unwillen – Jungfer Winifred Jenkins schwamm in Thränen und unterlag der Last der Betrübniß; ob über ihre eigne Sünden, oder über Klinkers Unglück? das kann ich mir nicht getrauen zu sagen. Die übrigen Damen schienen mit einem Gemische von Bewunderung und Andacht zuzuhören. Die Frau des Kerkermeisters erklärte, er sey ein Heiliger, unter Kreuz und Leiden in der Prüfung, und sagte, sie wünschte von ganzem Herzen, es möchte in allen Gefängnissen von England eine so gute Seele seyn, als er.

Als Herr Mead den Prediger sehr aufmerksam betrachtet hatte, bezeugte er, sein Ansehn sey von dem Ansehn der Person, die ihn auf der schwarzen Haide beraubt hätte, so verschieden, daß er mit gutem Gewissen schwören könnte, Klinker wäre nicht der Thäter: Allein Humphry selbst war itzt schon schwerlich von der Galgenfurcht befreyet; denn seine Mitgefangene hatten ihn den Abend vorher schon ganz feyerlich verhört und freygesprochen; einige davon hatte er auch schon zu Bekehrten gemacht. Nunmehr stattete er uns den gehörigen Dank ab, für die Ehre unsers Besuches und erhielt die Erlaubniß, den Damen die Hände zu küssen, welche ihn versicherten, er könne sich auf ihre Freundschaft und ihren Schutz verlassen. Lady Griskin ermahnte in ihrem frommen Eifer seine Mitgefangene, sich der theuren Gelegenheit zu Nutze zu machen, da sich ein solcher Heiliger mitten unter ihnen in Banden befände, und ein neues Leben, zu ihrer Seelen Heil und Seligkeit zu beginnen; und damit ihre Vermahnung desto wirksamer seyn möchte, bekräftigte sie solche mit einer freywilligen Gabe.

Unterdessen daß sie, Tante Tabby und die beyden Mädchen im Wagen zurückfuhren, begleitete ich Herrn Mead nach dem Hause des Richters Buzzard, welcher, als er sein Zeugniß vernommen, sagte, sein Eyd wäre gegenwärtig von keinem Nutzen, er könnte aber beym Hauptverhöre einen sehr wesentlichen Zeugen für den Gefangenen abgeben. Also scheint für den armen Klinker nichts übrig zu bleiben, als Geduld; und in der That wird uns allen diese Tugend oder Medicin sehr nöthig seyn, besonders dem guten alten Onkel, der seinen ganzen Sinn auf die Reise nach Schottland gesetzt hatte.

Unterdessen daß wir den ehrlichen Klinker im Gefängnisse besuchten, empfieng mein Onkel einen viel außerordentlichern Besuch zu Hause. Herr Martin, dessen ich bereits mit allen Ehren erwähnt habe, verlangte die Erlaubniß, ihm aufzuwarten, und ward angenommen. Er sagte ihm, er habe gemerkt, daß er sich dessen, was mit seinem Bedienten bey dem Richter Buzzard vorgefallen, sehr herzlich angenommen habe, er wäre also gekommen, ihn zu versichern, daß er für Klinkers Leben nicht im geringsten besorgt seyn dürfe, denn, wofern es möglich, daß sich geschworene Männer fänden, die ihm auf ein solches Zeugniß das Leben absprächen, so wollte er, Martin, einen Menschen vors Gericht stellen, dessen Aussage ihn so rein machen sollte, als die Sonne am hellen Mittage – Ich hoffe doch nicht, daß der Kerl so romanhaft seyn wird, sich selbst zu dem Raube zu bekennen! – Er sagte, der Postillion sey ein infamer Kerl, der selbst im Diebshandwerke gepfuscht, und zu Old Bailey sein Leben dadurch gerettet hätte, daß er seine Genossen angegeben; daß er aus großer Armuth diesen verzweifelten Streich gewagt, das Leben eines unschuldigen Menschen wegzuschwören, in Hoffnung, bey seiner Verurtheilung den Angeberlohn davon zu tragen; daß er sich aber in seiner Rechnung betrogen finden würde, denn der Richter und seine Spießgesellen wären einmal entschlossen, in dieser Art von bürgerlichen Nahrung keinen Böhnhasen zu leiden; und daß er keinesweges zweifle, sie würden schon Stoff genug finden, den Zeugen selbst in die Falle zu bekommen, ehe das nächste Mal die Gefängnisse ausgeleert würden. Er behauptete, alle diese Umstände wären dem Richter sehr wohl bekannt, und seine Strenge gegen Klinkern wäre nichts anders gewesen, als ein Wink an seinen Herrn, ihm heimlich ein Präsent als eine Erkenntlichkeit für seine Rechtschaffenheit und Menschenliebe, in die Hand zu drücken.

Dieser Wink war indessen so wenig nach dem Geschmacke des Herrn Bramble, daß er mit großer Hitze betheuerte, er wolle sich lieber zeitlebens in London, so sehr ers haßte, aufhalten lassen, als dadurch die Freyheit erhalten, es Morgen des Tages zu verlassen, daß er der Gewohnheit, Richter zu bestechen, durch sein Beyspiel das Wort reden sollte. Als er gleichwohl hörte, wie günstig Herrn Meads Aussage für den Gefangenen ausgefallen wäre, entschloß er sich, einen Rechtsgelehrten um Rath zu fragen, auf was Art man seine baldige Befreyung bewirken könne? Ich habe keinen Zweifel, dieser verwirrte Handel wird in Ein oder ein paar Tagen abgemacht seyn und in dieser Hoffnung machen wir schon Anstalten zu unsrer Reise. Wenn unsre Bemühungen nicht fehlschlagen, so sind wir schon in vollem Marsche, ehe Sie etwas hören von

Ihrem

  London,
den 11ten Junii.

ergebensten   
J. Melford.

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An den Doctor Lukas.

Dem Himmel sey Dank! mein liebster Lukas, die Wolken haben sich verzogen, und ich habe nun die heiterste Aussicht für meinen Sommerzug, den ich, wie ich hoffe, werde morgen antreten können. Ich fragte über Klinkers Fall einen Rechtsgelehrten, und es hat sich ein Umstand ergeben, der sehr günstig für ihn war. Der Kerl, der ihn angegeben, ist in seine eigne Grube gefallen. Vor zwey Tagen ward er wegen eines Raubes auf der Heerstraße ergriffen, und auf die Aussage eines Mitschuldigen gefänglich hingesetzt. Klinker ward auf sein Ansuchen um die Rechtswohlthat Habeas Corpus vor den Lord Oberrichter gebracht, welcher auf das Zeugniß des Herrn, an dem der Raub begangen, »daß besagter Klinker der Mann nicht sey, der ihn beraubet,« sowohl, als in Betracht des Charakters des Postillions und seiner gegenwärtigen Umstände, so gut war, den Befehl zu geben, mein Bedienter sollte gegen Bürgschaft freygelassen werden; und so ist er zur herzlichen Freude aller meiner Hausgenossen auf freyen Fuß gekommen, bey denen er sich auf eine außerordentliche Weise beliebt gemacht hat, nicht allein durch seine Willigkeit und Dienstfertigkeit, sondern auch durch seine Gaben zu predigen, beten und singen, welche er so nachdrücklich an den Mann zu bringen gewußt hat, daß selbst Tabby ihn als ein auserwähltes Rüstzeug verehrt. Wäre bey diesem Uebermaße von andächtiger Frömmigkeit das geringste, was nach Kunst oder Heucheley schmeckte, so würde ich ihn nicht in meinem Dienste behalten; allein, so weit mein Urtheil reicht, ist des Kerls Charakter liebe heilige Einfalt, angefeuert von seiner Art Enthusiasmus, der ihn sehr fähig macht, gegen seine Wohlthäter treu und dankbar zu seyn.

Weil er ein sehr guter Reiter und dabey ein Curschmidt ist, so hab ich einen fixen Wallachen für ihn gekauft, worauf er uns begleiten, und unterwegs ein Auge auf das Zugvieh haben soll, im Falle der Fuhrmann nachläßig ist. Mein Neffe wird gleichfalls reiten, und hat einen Bedienten auf die Probe angenommen, der eben mit seinem vorigen Herrn, – Sir William Strollop, von Reisen gekommen ist, welcher sich für seine Ehrlichkeit verbürgt. Der Kerl, welcher Dutton heißt, scheint nach dem Petitmaiter zu riechen. – Er weis sein Wort Französisch, macht seinen Krätzfuß, lächelt avec grace , zuckt die Achseln, und nimmt seine Priese Toback à la mode de France ; allein am meisten thut er sich auf seine Kunst und Geschicklichkeit im Friesiren zu gute. – Wenn mich der Anschein nicht sehr trügt: so ist er in allem Betracht Humphry Klinkers wahrer Gegenfüßler.

Meine Schwester hat sich wieder mit Lady Griskin auf einen freundschaftlichen Fuß gesetzt; obgleich, ich muß es gestehn, es mir nicht leid gethan haben würde, wenn ihre Bekanntschaft völlig wäre aufgehoben worden. Allein dem Herrn Barton zu verzeihen, der, wie ich höre, auf die Sommermonate nach seinem Landgute in Berkshire gegangen ist, das wäre freylich von Tabby zuviel gefodert. Ich kann mich der Vermuthung nicht erwehren, daß in den Friedenstractaten, die kürzlich unter diesen beyden Heldinnen geschlossen sind, ein Artikel sey, vermöge dessen die Lady ihr Möglichstes zu thun hat, der Tabby zu einem angenehmen Ehegenossen zu verhelfen, welche, wie es scheint, nicht mehr weis, an welchem Ende sie es angreifen soll, ihre ehrliebenden Absichten zu erreichen. Vielleicht ist auch der Mittelsperson eine ansehnliche Vergütung zum Kuppelpelze bestimmt, welche sie denn auch ehrlich verdienen wird, wenn sie einen Mann auftreiben kann, der seine fünf Sinne hat, und aus Liebe oder Eigennutz sich mit Tabitha Bramble in das eheliche Joch spannen lassen will.

Ich erfahre, daß mein Gemüth und meine Gesundheit auf einander wechselsweisen Einfluß haben; das heißt: alles, was meine Seele beunruhigt, bringt auch eine schmerzhafte Empfindung in meinem Körper hervor; und meine körperlichen Gebrechen werden merklich gemildert, durch solche Veranlassungen, welche die Wolken der finstern Gedanken zerstreuen. Die Gefangennehmung des Klinkers brachte die Zufälle hervor, deren ich in meinem Letzten erwähnte, und nun, bey seiner Freylassung, sind sie auch wieder verschwunden. – Ich muß freylich gestehn, daß ich einige mal von der Ginzengtinctur, die nach Ihrer Vorschrift gemacht worden, gebraucht, und solches dem Magen ungemein zuträglich befunden habe; allein die Schmerzen und Uebelkeiten kamen immer kurz nach einander wieder, bis die Sorgen meines Gemüths gänzlich entfernt waren, und da befand ich mich völlig gesund und wohl. Wir haben hier seit zehn Tagen, zum Erstaunen der Londner, schön Wetter gehabt, welche fürchten, das bedeute nichts gutes. Haben Sie in Wäles dasselbe Glück: so hoffe ich, hat Barn mein Heu schon getrocknet und glücklich eingefahren. Da wir auf einige Wochen lang in Bewegung seyn werden, so kann ich nicht hoffen, wie gewöhnlich Briefe von Ihnen zu erhalten; ich werde aber fortfahren, Ihnen von jedem Orte zu schreiben, wo wir uns einigermaßen aufhalten, damit Sie unsre Spur nicht verlieren, im Falle es nöthig seyn sollte, etwas zu schreiben,

Ihrem

  London,
den 14ten Junii.

zuverläßigen Freunde
M. Bramble.     

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An Jungfer Maria Jones, zu Brambleton-hall.

Meine geliebte Mieckchen,

Ich kann nicht unterlassen an Ihr zu schreiben, sintemalen ich der Gelegenheit wahrnehmen muß, wie der liebe Mosgeh Klinkerg sagt, kaufet die Zeit aus, daß meine Base Jenkins den Brief mitnehmen kann; und da schick' ich Sie ein Schülbattenkamm zum ewigen Andenken, und eine Handvoll Ellen grünen Band, und eine Predigt von der Nichtheiligung der guten Werke, die in unser heiligen Versammlung gepredigt ist; und ist auch noch dabey ein Aberzedehbuch vor Salmeh, daraus kann sie das Lesen lehren, denn wir frommen Christenmenschen sorgen gerne vor die Seele unsers armen Nächsten, daß sie nicht verdammet werden, darum daß sie nicht lesen können wie Salmeh. Was kann alles Andre in der Welt helfen? das Leben ist ja doch nur ein Jammerthal! O Marickchen, das ganze Haus hat eine harte Prüfungsstunde ausbaden müssen! – Der arme Mosgeh Klinkerg ist in eine harte Anfechtung gefallen, aber die Pforten der Hölle haben ihn doch nicht überwälzigen können. Seine Tugend ist klares Gold, das siebenmal im Siebe gesiebt ist. Sie hatten ihn hingesetzt als einen Müßigthäter, der gestohlen hätte, und ward vor den Richter Butßhart geführt, und der richtete ihm ins Gefängniß, und der arme junge Mensch mußte Ihr Ketten und Banden tragen, wegen des falschen Eids, den ein ruchloses Weltkind beschworen hatte, der ihn sein Leben abschwören wollte, um das leidige Blutgeld.

Der Skweir that was er aus allen Kräften konnte, aber da half nichts, sie legten ihn Ketten an Händen und Füßen, und mußte sitzen unter den gemeinen Uebelthätern, als ein frommes Lamm unter Wölfen und Tygern. – Der liebe Gott weis, wie es den frommen Jünkling gegangen seyn könnte, hätte sich der Herr nicht an einen Mann gewendet, der einen langen grauen Barth hat, und wohl fünf hundert Jahr bey dem alten Herrn Old Bailey gedient hat, der Abias Korkus heißt, und (Gott sey bey uns) ein Zauberer seyn soll. Aber das weis ich gewiß, wenn er einer ist: so hat er doch nichts mit den bösen Fierck zu thun, denn sonst würd er unsern Klinkerg nicht los gefochten haben, als er that, trotz den starken Mauren, den eisern Riegeln und Doppelschlössern, die Ihr aufsprangen, als er nur ein Wort sagte; denn der alte böse Widersacher hat keinen ärgern Feind auf der weiten Welt, als unsern Moßgeh Klinkerg, welcher auch wirklich ein treuer Arbeiter in dem Weinberge des Herrn ist; und ich sage hier nur, was meine liebe Fröhlen zu sagen pflegt, die auch schon zum Durchbruche gekommen ist; und ich hoffe, daß ich, so unrein ich wohl bin, auch durch Kämpfen und Ringen auserwählt werden werde. Miß Liddy hat ein paar große Erweckungen gehabt, aber sie ist noch zu blöde: doch glaube ich steif und fest, daß sie, und wir alle miteinander, durch Klinkers Bearbeitung, noch gesegnete Früchte tragen und Buße thun werden – Unser alte Herr aber und der junge Skweihr die haben bis diese Stunde noch kein Fünkgen vom neuen Lichte gesehn – Ich fürchte, ich fürchte, ihre Herzen sind verhärtet, durch weltliche Weisheit, die doch, wie die Bihbel sagt, für Gottes Augen stinkende Thorheit ist.

O, Maria Jones! thue Sie was Sie thut, und bete Sie ohne Ablas, und bereite Sie sich vor, daß das wunderthätige Werkzeug nicht vergebens an ihr arbeite, diesen Winter, da er, hoffe ich, zu Brambleton-hall, an uns allen geschäfftig seyn soll – Morgen sollen wir in einer Kutsche mit vier Pferden nach Gorkschier wegfahren; und ich glaube wir werden immer weiter reisen, soweit, daß ichs nicht sagen kann. Aber laß es so weit seyn, als es will, meine Freunde will ich doch nicht vergessen, und Sie, liebe Mieckchen, an Sie will ich immer denken als

Ihre

  London,
den 14ten Junii.

liebste       
Win Jenkins.



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An Frau Gwillim, Haushälterinn zu Brambleton-hall.

Gute Frau Gwillims,

Es befremdet mich nicht ein wenig, daß ich auf den Brief, den ich vor einigen Wochen an Ihr erlassen habe, gar keine Antwort erhalten habe, worinn ich Sie von dem sauren Biere, von dem Gänserich und von der Butter schrieb, die die Mädchens nicht essen und nicht weggegossen werden sollte. – Wir werden nun eine lange Reise nach dem Nordpole antreten, derenthalben will ich Sie nur ermahnt haben, Ihre beyde Augen in die Hand zu nehmen, und zuzusehn, daß alles fein ordentlich im Hause stehe, so lange wir aus sind. Denn Sie weis wohl, Sie muß Rechenschaft thun von ihrem Haushalten, nicht bloß Ihrem Herrn, der auf Erden, sondern auch dem, der dort droben im Himmel ist; und groß wird ihr Lohn im Himmel seyn, wenn Sie einst als ein treuer Knecht erfunden wird. Ich hoffe, wenn wir wieder zu Hause kommen, sollen 400 Pfund Käse gemacht seyn, die ich zu Markte schicken kann, und so viel gesponnene Wolle, daß ein halb Dutzend Matratzen daraus gemacht werden können, und daß ich einen hübschen Pfennig Buttermilchsgeld finden werde, da die Ferkeln in die Buch- und Eichelmast geschickt werden sollen.

Ich habe auch dessenthalben an den Herrn Doctor geschrieben, aber der ist nicht so höflich gewesen, zu thun, als ob er meinen Brief empfangen hätte; und deswegen will ich ihn in meinem Leben keinen wieder schreiben, und wenn er mich auf den Kniehn darum bäte. Sie wird wohl thun, wenn sie ein gutes Auge auf den Tagelöhner Williams hat, der ist so einer von seinen Kreaturen, und im Grunde wohl nicht viel besser als er selbst. Gott bewahre mich, daß ich ein unchristliches Herz haben sollte. Nein, das nicht! Aber wer die Seinigen nicht versorgt, ist ärger denn ein Heide, und es giebt wohl kein christlichers Werk, als wenn man das Haus von solchen Ungeziefer reiniget. Ich meyne, daß die gesprenkelte Kuh nun wohl schon beym Pfarrbullen gewesen ist; daß die alte Bache wieder geworfen hat; und daß Claas schon gut mausen muß. Sey Sie ja so gut, Frau Guillims, und richte Sie alles aufs Beste ein, und sey so sparsam als möglich, und halte Sie die Mägde zur Arbeit. – Wenns nicht auf der Post gar zu theuer käme, so wollte ich ihnen schöne Psalmen schicken, die sie anstatt der weltlichen Lieder singen könnten; so aber nun kann ich nichts weiter thun, und Ihr alle müßt Euch behelfen mit dem Gebete und Fürbitte

Ihrer

  London,
den 14ten Junii.

aufrichtigen Freundinn
T. Bramble.     

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An Sir Watkin Philipps, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Liebster Philipps,

Gleich den folgenden Tag, als ich Ihnen mein Letztes schrieb, ward Klinker losgelassen – Der Angeber ward, wie es Martin vorhergesagt hatte, auf unverwerflicher Zeugen Aussage wegen Straßenraub in Verhaft genommen. Er war schon einige Zeit in den Stricken der Societät der Diebsfänger; welche ihm, zur Strafe seiner Verwegenheit, daß er ihnen in ihre ausschließende Rechte greifen und selbst ein Prämium einstreichen wollen, die Schlinge zugezogen, und auf die Aussage eines Mitschuldigen nach Newgate ins Gefängniß gebracht haben. Der Lord Oberrichter machte sich kein Bedenken, Klinkern zur Bürgschaft zu lassen, nachdem er den Ankläger in dem schwarzen Register der alten Sünder gefunden, und das beeidigte Zeugniß des Herrn Mead gelesen hatte, des Inhalts, daß Klinker die Person nicht sey, die ihn auf der Schwarzenhaide beraubt hätte; und also ward der ehrliche Humphry auf freyen Fuß gesetzt. – Als wir zu Hause angelangt waren, war er sehnlichst begierig, seinen lieben Herrn zu sehn; und hier konnte er nicht reden, aber sein Stillschweigen war sehr rührend; er fiel zu seinen Füßen nieder, umfaßte seine Kniee, und vergoß dabey einen Strom von Thränen, welchen mein Onkel nicht ohne Bewegung fließen sah. – Er nahm mit einiger Verwirrung eine Priese Toback, dann griff er in die Tasche, und wünschte ihn auf eine wesentlichere Art, als mit bloßen Worten, Glück zu seiner Freyheit. »Klinker, (sagte er,) ich bin von Seiner Treue und Herzhaftigkeit so fest überzeugt, daß ich Ihn zu meiner Leibwache unterweges machen will.«

Er bekam also ein paar Holfter mit Pistolen an seinen Sattel, und einen Carabiner über die Schulter zu hängen; und nachdem alles Uebrige gehörig eingerichtet worden, machten wir uns vorigen Donnerstag Morgens um sieben Uhr, auf den Weg. Mein Onkel mit den drey Frauenzimmern in der Kutsche, Humphry auf einem tüchtigen Wallachen, der für ihn gekauft war; ich selbst zu Pferde, begleitet von meinem neuen Bedienten Dutton, den ich auf die Probe genommen habe; ein großer Haasenfuß, frisch von Reisen gekommen. – Der Bursche trägt seine Solitaüre, schminkt sich, und nimmt Rappee mit allen den Grimassen eines französischen Marquis. Itzt trägt er indessen einen Reitrock, große Stiefeln, lederne Beinkleider, scharlachne Weste mit goldnen Litzen, Hut mit einer Tresse, Hirschfänger, französische Postpeitsche und sein Haar im Zopfe.

Wir waren noch keine drey Meilen gekommen, als mein Pferd ein Eisen verlor, so daß ich zu Barnet vorreiten mußte, um ein anders auflegen zu lassen, indessen daß die Kutsche über den Anger gemächlich fortfuhr. Ungefähr eine starke Viertelmeile diesseits Hatfield hielt der Postillion still, und gab Klinkern Nachricht, daß jenseits der Wiese ein paar verdächtige Kerle zu Pferde hielten, welche auf der Laure zu stehn schienen, den Wagen anzufallen. Humphry sagte solches den Augenblick meinem Onkel, mit der Versichrung, daß er bis auf seinen letzten Blutstropfen festen Fuß bey ihm halten würde; und damit nahm er seinen Carabiner von der Schulter, und machte sich fertig zum Treffen. Der 'Squire hatte Pistolen in den Kutschtaschen, und machte sich alsobald bereit, sie zu brauchen; allein seine weiblichen Reisegefährten hielten ihn nachdrücklich davon ab, indem sie sich um seinen Hals schlangen, und laut an zu schreyen fiengen – Wer sollte in diesem Augenblicke mit vollem Gallopp angesprengt kommen, als Martin, der Haideritter, welcher sich dem Wagen näherte, und die Damen bat, sie möchten sich nur einen Augenblick fassen. Dann zog er eine Pistole aus dem Busen, und foderte Klinkern auf, ihm zu folgen. Sie ritten auf die Gaudiebe los, um ihnen eine Schlacht zu liefern, welche dann, nachdem sie ihre Pistolen in großer Entfernung abgefeuert hatten, queerfeldein ritten. Sie waren noch beym Nachsetzen der Flüchtlinge, als ich dazu kam, und nicht wenig über das Geschrey in der Kutsche beunruhiget ward, worinn ich meinen Onkel in heftiger Wuth fand, ohne Perucke und in voller Arbeit, sich von Tabby und den andern Beyden loszuwickeln, dabey er nicht wenig fluchte. Eh' ich noch Zeit hatte mich ins Mittel zu schlagen, kamen Martin und Klinker von ihrem Nachsetzen zurück, und der Erste machte uns allen sehr verbindliche Complimente, wobey er zu verstehn gab, daß die Kerle davon geflohen wären, und daß er glaubte, es wären ein paar liederliche Lehrbursche aus London. Er lobte Klinkers Tapferkeit und sagte, wenn wirs ihm erlauben wollten, so würd' er sich die Ehre geben, uns bis Stevenage zu begleiten, woselbst er einige Geschäffte habe.

Der Alte, nachdem er sich gefasset und wieder zurecht gemacht hatte, war der Erste, der über seine eigne Situation lachte; aber es hielt schwer, ehe man Tabbys Arme von seinem Halse losflechten konnte; Liddy zitterte wie ein Laub, und die Jenkins war, wie gewöhnlich, mit ihrem Zufalle bedroht. Ich hatte meinem Onkel die Beschreibung erzählt, die der Gerichtsdiener von Martins Charakter gemacht hatte, und er ward über das Sonderbare in demselben sehr stutzig gemacht. Er konnte nicht glauben, daß der Mensch einen Anschlag auf unsre Gesellschaft hätte, weil sie so zahlreich und wohl bewaffnet war; er dankte ihm also für den eben erwiesenen Dienst, und sagte, seine Gesellschaft sollte ihm angenehm seyn, und bat ihn, zu Hatfield mit uns fürlieb zu nehmen. Diese Einladung möchte den Damen nicht angenehm gewesen seyn, hätten sie die eigentliche Profession unsers Gastes gewußt; allein die war allen, außer Onkel und mir, ein Geheimniß. – Tante Tabby war indessen auf keinerley Weise mit geladenen Pistolen von der Stelle zu bringen, und aus Gefälligkeit gegen sie und die beyden Andern wurden sie also abgeschossen.

Nachdem man ihr hierinn zu Willen gelebt hatte, ward sie sehr aufgeräumt, und war hernach beym Essen gegen Herrn Martin äußerst höflich und gefällig, dessen gute Lebensart und Gespräch ihr vorzüglich zu gefallen schien. Nach dem Essen kam der Wirth auf dem Hofe zu mir, und fragte mich mit einer bedeutenden Miene, ob der Herr, der den Schweißfuchs ritte, zu unsrer Gesellschaft gehöre? – Ich verstund, was er sagen wollte, antwortete aber mit Nein; er sey auf dem Anger zu uns gekommen, und habe uns geholfen zwey Kerle wegzujagen, die aussahen als Straßenräuber. Er nickte dreymal ganz deutlich mit dem Kopfe, als ob er sagen wollte, er kenne den Vogel. Darauf erkundigte er sich, ob nicht einer von diesen Kerlen eine falbe Stute, und der andre einen kastanienbraunen Wallach mit einer weissen Blesse geritten hätte? Und als er seine Frage mit Ja beantwortet hörte, versicherte er mich: sie hätten noch diesen nämlichen Morgen drey Postchaisen beraubt. Ich erkundigte mich meiner Seits, ob er Herrn Martin kenne? und indem er wieder dreymal nickte, antwortete er: er habe den wackern Herrn gesehen.

Ehe wir Hatfield verließen, heftete mein Onkel seine Augen auf Martin, mit einem Ausdrucke in Blicke, der sich leichter denken als beschreiben läßt, und fragte ihn, ob er dieses Weges öfter reisete? und er antwortete mit einem Blicke, welcher anzeigte, daß er die Frage begriffe, er thäte in dieser Gelegenheit des Landes nur selten Geschäffte. Kurz, dieser Glücksritter beehrte uns mit seiner Gesellschaft bis nahe an Stevenage, woselbst er sich von der Gesellschaft im Wagen und mir sehr höflich beurlaubte, und auf einem Kreuzwege nach einem Dorfe zur Linken zu ritt. – Beym Abendessen ergoß sich Tante in Lobeserhebungen über Martins Verstand und gute Lebensart, und schien es zu bedauren, daß sie keine fernere Gelegenheit hätte, einige Erfahrungen mit seinem Herzen anzustellen. Des folgenden Morgens ward mein Onkel nicht wenig überrascht, als er von dem Hausknechte ein Billet bekam, welches folgendes enthielt:

»Hochzuehrender Herr,

»Aus Ihren Blicken habe ich, als ich die Ehre hatte, zu Hatfield mit Ihnen zu sprechen, sehr deutlich verstanden, daß Ihnen mein Charakter nicht unbekannt ist; und ich bin gewiß, es wird Ihnen nicht befremdend vorkommen, wenn ich sage, daß ich herzlich gerne meine gegenwärtige Lebensart gegen jede andre Art von ehrlicher Beschäfftigung vertauschen möchte, sie sey so niedrig als sie wolle, wenn ich mich dabey nur mäßig satt essen und sicher schlafen könnte. – Vielleicht denken Sie, ich wolle Ihnen schmeicheln, wenn ich sage, daß ich von dem Augenblicke an, da ich ein Zeuge von Ihrer großmüthigen Sorgfalt für Ihren Bedienten war, eine ausnehmende Hochachtung und Ehrerbietung gegen Ihre Person empfunden habe; und dennoch ist es die Wahrheit, was ich sage. Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn Sie mich in Ihren Schutz und Dienst nehmen wollten, als Hausverwalter, oder Schreiber, oder Aufseher über die Arbeiter, oder auch nur als Tafeldecker; denn für alle diese Stellen dächte ich nicht ganz ungeschickt zu seyn; und gewißlich würde ichs an Treue und Dankbarkeit nicht ermangeln lassen. – Unterdessen sehe ich sehr wohl ein, wie weit Sie von der gewöhnlichen Regel der Klugheit abweichen müssen, wenn Sie meine Versicherungen auch nur des Versuchens werth achten wollen; allein ich betrachte Sie auch nicht als eine Person, welche nach der gewöhnlichen und gemeinen Art denkt; und meine sehr kitzlichen Umstände werden es entschuldigen, daß ich mich an ein Herz wende, das von Wohlthätigkeit und Mitleiden erwärmt wird. – Da ich vernommen, daß Sie ziemlich weit nordwärts zu reisen gedenken: so will ich die Gelegenheit suchen, Ihnen wieder zu begegnen, ehe Sie die Gränzen von Schottland erreicht haben, und ich hoffe, Sie werden gegen die Zeit die wirklich betrübten Umstände in Erwägung gezogen haben

Ihres                               
gehorsamst ergebnen Dieners
    Eduard Martin.«               

Als Onkel diesen Brief gelesen hatte, gab er mir ihn in die Hand, ohne eine Silbe dabey zu sagen; und als ich damit fertig war, sahn wir einander stillschweigend an. Aus einem gewissen Funkeln in seinen Augen entdeckte ich, daß in seinem Herzen mehr zu Martins Besten vorgieng, als er mit der Zunge ausdrücken mochte; und das war gerade der Fall mit meinen Empfindungen, welche er nicht ermangelte, durch eben die Sprache zu entdecken. – »Was sollen wir thun, (sagte er,) diesen armen Sünder vom Galgen zu retten, und ihn zum nützlichsten Gliede der menschlichen Gesellschaft zu machen? Und dennoch heißt das Sprichwort, hilf einem Diebe vom Galgen, und er wird dir die Kehle zuschnüren.« Ich sagte ihm, ich hielte wirklich dafür, Martin könnte wohl das Sprichwort zu einer Unwahrheit machen; und daß ich herzlich gerne das Meinige mit dazu beytragen wollte, ihm seine Bitte zu gewähren. Wir beschlossen, über diesen Punct ferner zu Rathe zu gehn, und setzten indessen unsre Reise fort. Die Wege waren von dem häufigen Regen den Frühling durch so schlecht geworden, daß bey allen unserm Langsamfahren das Stoßen und Rütteln dem Onkel doch solche Schmerzen machte, daß er davon sehr übel aufgeräumt geworden war, als wir hier anlangten, ein Ort, der ungefähr drey kleine Meilen von der Poststraße, zwischen Wetherby und Boroughbridge, liegt.

Das Harrigate-Wasser, welches wegen seiner Tugend wider den Schaarbock und andre Krankheiten so berühmt ist, kommt aus einer reichen Quelle in einer Vertiefung auf einem wilden Anger, um welchen rund herum manche verschiedne Häuser zur Bequemlichkeit der Brunnengäste gebauet sind; wovon gleichwohl nur wenige bewohnt werden. Die meiste Gesellschaft nimmt ihre Wohnung in fünf besondern Wirthshäusern, die in verschiedenen Gegenden des Angers liegen, von da sie alle Morgen in ihren eignen Wagen nach der Quelle fahren. Die Gäste in einem jeden Wirthshause machen eine besondre Gesellschaft für sich, welche gemeinschaftlich essen; Sie haben ein geräumiges gemeinschaftliches Zimmer, in welchem sie an abgesonderten Tischen im Nachtzeuge Frühstücken, von acht Uhr des Morgens bis Eilfe, so wie ein jeder es gut oder bequem findet. – Daselbst trinket man des Nachmittags Thee, spielt Karten, und tanzt auch wohl des Abends. Eine Gewohnheit ist hier gleichwohl eingeführt, die ich für einen Verstoß gegen die gute Lebensart halte – nämlich das Frauenzimmer giebt gleichfalls Theecollationen, wenn es die Reihe trifft, und selbst Kinder von sechzehn Jahren sind von dieser schändlichen Auflage nicht ausgenommen. Alle Abende ist in einem der fünf Wirthshäuser nach der Reihe Subscriptionsball, und alle Gesellschaften aus den übrigen können auf Billets dabey erscheinen; und in der That kommt Harrigate, im Puncte der Lustbarkeiten und Zerstreuungen, Bath sehr nahe. – Mit diesem Unterschiede gleichwohl, daß man hier umgänglicher und geselliger ist. Eins von den Wirthshäusern ist schon voll bis ans Dach, indem sich darinn bereits funfzig Herrschaften und eben so viele Bediente befinden. Im Unsrigen sind noch nicht über sechs und dreyßig, und es sollte mir leid thun, unsre Anzahl vermehrt zu sehn, weil unsre Bequemlichkeit und Aufwartung diese Vermehrung eben nicht erlaubt.

Gegenwärtig ist die Gesellschaft angenehmer, als man von einer zufälligen Versammlung von Personen, die einander völlig fremde sind, erwarten sollte. – Es scheint die allgemeine Neigung unter uns zu herrschen, gute Nachbarschaft zu halten, und zum Besten derjenigen, welche ihrer Gesundheit wegen hier kommen, die Pflichten der Geselligkeit auszuüben. Ich sehe allerley Gesichter, die wir zu Bath verließen, obgleich der größeste Haufen aus den nördlichen Gegenden hier kommt, und man selbst aus Schottland nach diesem Gesundbrunnen reiset. Bey einer solchen Verschiedenheit müssen sich einige Originale finden, unter welchen Tante Tabby nicht das Unbedeutendste ist. – Kein Ort in der Welt, woselbst ein so ungezwungner Umgang unter beyderley Geschlechtern ist, kann einem Frauenzimmer von ihren Absichten und ihrem Temperamente zuwider seyn. Sie hat einigemal bey Tische einen warmen Wortwechsel mit einem lahmen Pfarrer aus Northumberland gehabt, über die Wiedergeburt und über die Nichtigkeit der guten Werke, und ihre Beweisgründe wurden von einem schottischen Juristen in einer Knotenperucke unterstützt, welcher zwar keine Zähne mehr hat, und seine Gliedmaßen nicht mehr brauchen kann, dennoch aber die Zunge mit vieler Schnelligkeit bewegt. Er hat ihr über ihre Frömmigkeit und Gelehrsamkeit so dicke Complimente gemacht, daß sie ihm ihr Herz erobert zu haben scheinen; und sie begegnet ihm dafür mit solcher Aufmerksamkeit, woraus eine Absicht auf seine Person hervorblickt; allein, beym Lichte besehn, ist er ein zu alter Fuchs, daß er nicht jedes Eisen von ferne riechen sollte, das sie ihm legen kann.

Wir sind nicht willens, lange zu Harrigate zu bleiben, ob wir gleich vors Erste unser Hauptquartier hier aufgeschlagen haben, aus welchem wir einige Rebenmärsche vornehmen werden, um zwey oder drey reiche Anverwandte zu besuchen, die in dieser Grafschaft wohnen. – Haben Sie die Güte, mich allen unsern Freunden im Collegio zu empfehlen, und glauben, daß ich sey

Ihr

  Harrigate,
den 11ten Junii.

ergebenster   
J. Melford.

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An den Doctor Lukas.

Mein liebster Doctor,

In Betracht der Weg- und Brückengelder, die wir erlegen müssen, haben wir hier zu Lande große Ursache, uns über die schlechten Heerstraßen zu beklagen. Zwischen Neuwark und Weatherby habe ich mehr vom Stoßen und Werfen des Wagens gelitten, als in meinem übrigen Leben zusammengenommen, ungeachtet der Wagen sehr bequem ist, gut hängt, und der Postillion sehr behutsam fährt. Ich bin nunmehr glücklich zu Harrigate, in der neuen Schenke, unter Dach und Fach gekommen, und bin mehr hier aus Neugierde, als aus Absicht auf meine Gesundheit; und fürwahr! nachdem ich alles Anziehende des Orts reiflich erwogen habe, kann ich gar nicht begreifen, warum hier so viele Leute hergehn, es sey denn aus Eigensinn, welches wohl unser Nationalcharakter zu seyn scheint.

Harrigate ist ein wilder Anger, wüste und leer, ohne Busch und Baum, oder der geringsten Spur von Anbau, und die Leute, welche zum Brunnentrinken kommen, werden in lumpen Wirthshäuser gedrängt, in welchen die paar erträglichen Gelegenheiten in den Händen der jährlichen Gäste bleiben – die übrigen müssen sich mit schmutzigen Löchern behelfen, worinn sie weder Raum, noch Luft, noch Bequemlichkeit haben. Mein Zimmer hat ungefähr zehn Fuß ins Gevierte; und wenn mein Feldbette aufgeschlagen ist, so bleibt gerade so viel Platz, daß man zwischen dem Bette und dem Feuer durchgehn kann. Man sollte freylich denken; daß um Johannis kein Feuer mehr nöthig seyn müßte; aber hier ist die Jahrszeit noch so weit zurück, daß ein Eschenbaum, den unser Wirth vor meinem Fenster gepflanzet hat, eben anfängt Blätter zu treiben, und ich nehme noch gerne alle Abende mit meinem gewärmten Bette fürlieb.

Was das Wasser anbelangt, dem man so viele erstaunliche Curen zuschreibt: so hab' ichs einmal getrunken, und der erste Schluck hat mich von aller Begierde curirt, diese Medicin zu gebrauchen. Man sagt, es rieche nach faulen Eyern, andre vergleichen es mit mit dem Spühlig einer rein gemachten Flinte. Ueberhaupt hält man dafür, daß es stark von Schwefel geschwängert sey; und Dr. Shaw, in seinem Buche von mineralischen Wassern, sagt, er habe Schwefelflocken in der Quelle schwimmend gesehen – Pace tanti viri! Ich, meines Theils, habe weder in noch neben der Quelle das geringste wahrgenommen, das Schwefel ähnlich sey, eben so wenig hab' ich davon gehört, daß man jemals Schwefelsalz aus dem Wasser extrahirt hätte. Was den Geruch anbelangt, so riecht es, wofern mir erlaubt seyn mag, nach meinem eignen Sinnen zu urtheilen, genau wie Seewasser in Brandungen, und sein Salzgeschmack scheint anzudeuten, daß es nichts anders ist, als eine im Eingeweide der Erde verdorbne Salzlache. Ich war genöthigt, mit der einen Hand meine Nase zuzuhalten, indessen ich mit der andern das Glas zum Munde brachte; und nachdem ichs mit Müh' und Noth hinunter gebracht hatte, wards meinem Magen schwer, das Empfangne bey sich zu behalten. – Die einzigen Wirkungen, die es that, waren Uebelkeit, Bauchgrimmen, und unüberwindlicher Eckel. Mein Magen kehrt sich noch um, wenn ich nur daran denke. Die Welt läßt sich durch einen närrischen Eigensinn jämmerlich bey der Nase führen. Ich kann nicht umhin, zu argwöhnen, daß dieses Wasser seinen Ruhm größtentheils seinem eckelhaften Geruch und Geschmacke zu verdanken hat. Nach einer ähnlichen Analogie hat ein deutscher Arzt Schierling und andre Gifte, als specifische Mittel in der Materia Medica eingeführt. – Ich bin überzeugt, daß alle Curen, die man dem Harrigatewasser zuschreibt, eben so gut und auf eine unendlich angenehmere Weise, durch innerlichen und äußerlichen Gebrauch des Seewassers würden bewürkt worden seyn; Wenigstens weis ich gewiß, daß das Letztre dem Geschmack und Geruche viel weniger zuwider, als ein Purgiermittel minder heftig, und an andern medicinischen Eigenschaften reichhaltiger ist.

Vor zwey Tagen fuhren wir über Feld, zu einem Besuche bey 'Squire Burdock, hier in der Grafschaft, welcher eine Cousine von meinem Vater zur Frau hat, eine Erbinn, die ihm eine jährliche Rente von tausend Pfund Sterling zubrachte. Dieser Landjunker ist ein erklärter Widersacher des Ministerii im Parlamente; und als ein Mann von so reichem Vermögen sucht er eine Ehre darinn, auf dem Lande zu leben, und die alte engländische Gastfreyheit zu unterhalten. – Im Vorbeygehen gesagt, dieß ist eine Redensart, welche die Engländer selbst, sowohl im Reden als Schreiben, häufig gebrauchen, außerhalb der Insel aber habe ich sie nie gehört, es sey denn ironisch oder satyrisch gebraucht. Es sollte mir lieber seyn, in fremden Geschichtschreibern, welche unser Land besucht, und also die wahren Gegenstände und Beurtheiler dieser Tugend waren, aufgezeichnet zu finden, worinn eigentlich die Gastfreyheit unsrer Vorältern bestanden, als in den Reden und Schriften unsrer neuern Engländer, welche solche nur aus Theorie und Muthmaßungen zu beschreiben scheinen. So viel ist gewiß, überhaupt werden wir von Fremden als ein Volk betrachtet, dem diese Tugend völlig mangelt, und ich bin auf meinen Reisen in kein Land gekommen, worinn ich nicht angesehene Personen angetroffen, die sich darüber beklagten, daß man in Großbrittannien gegen sie die Gastfreyheit bey Seite gesetzt hätte. Wenn ein Franzos, Italiäner oder Deutscher, der einen Engländer bey sich aufgenommen und ihm alle Höflichkeit erwiesen hat, hernach einmal seinen gewesenen Gastfreund in London antrifft: so wird er von ihm nach einem guten Gasthofe zu Tische genöthigt, da ißt er halb gares Rindfleisch und Butterbrodt, trinkt elenden Portwein, und hat die Erlaubniß, seinen Theil der Zeche so gut zu bezahlen, wie ein Andrer.

Aber von der Digreßion zurück zu kommen, die mich das Gefühl für die Ehre meiner Landsleute hat machen lassen; – Unser Vetter in Yorkshire war ehedem ein gewaltiger Fuchsjäger; gegenwärtig aber ist er zu fett und unbehülflich, um über Graben und Schlagbäume zu setzen; indessen hält er gleichwohl noch seine Kuppelhunde, die vortrefflich in Uebung sind; und sein Jäger unterhält ihn noch alle Abend mit der Jagdgeschichte des Tages, welche er mit einem Tone und mit Ausdrücken erzählt, die gleich närrisch und wichtig sind. Unterdessen läßt er sich von einem Stallknechte den breiten Rücken kratzen – Dieser Kerl scheint es, hatte keine Lust, andres Vieh, als das in seinem Stalle, zu striegeln, und hatte also seine Nägel dergestalt spitzig eingekerbt, daß bey jedem Streiche das Blut nachfolgte – Er hoffte, er würde dadurch von diesem unangenehmen Dienst abgesetzt werden; allein es fiel ganz anders aus, als er erwartet hatte. – Sein Herr betheuerte, er wäre der beste Kratzer von allen seinen Leuten; und seitdem darf keiner von seinem übrigen Gesinde mehr einen Nagel an seinen Leichnam setzen.

Die Hausehre des gestrengen Junkers ist sehr hoffärtig, ohne steif oder unumgänglich zu seyn. – Sie nimmt sogar Leute, die am Reichthum geringer sind, als sie, mit einer Art von prahlerischer Höflichkeit auf; aber dann denkt sie auch ein Recht zu haben, ihnen mit der beleidigendsten Freyheit im Reden zu begegnen; und unterläßt niemals, sie fühlen zu lassen, daß sie weis, daß sie um so viel reicher ist. – Kurz, sie spricht von keiner lebendigen Seele Gutes, und hat auf dieser weiten Welt keinen einzigen Freund. Ihr Ehemann haßt sie aus vollem Herzen, allein obgleich zuweilen der Stier so mächtig in ihm ist, daß er seinen Willen haben muß, so schmiegt er sich doch gewöhnlich unter ihr Joch, und fürchtet sich, wie ein Schulbube, vor der Geisel ihrer Zunge. Auf der andern Seite besorgt sie dann auch, das Ding zu weit zu treiben, er möchte sonst wild werden, und das Joch gar abwerfen. – Derohalben sieht sie den täglichen Beweisen geruhig zu, die er von seiner Liebe zur engländischen Freyheit ablegt, indem er bey Tische alles sagt und thut, was ihm seine ungezähmte Grobheit eingiebt, oder seine körperliche Bequemlichkeit befördern mag. Das Haus ist groß genug, aber weder zierlich noch angenehm und bequemlich. – Es geht darinne zu, wie in einer großen Herberge, voller Fremden, welche an des Wirths Tische essen, der sehr reichlich mit Essen und Trinken besetzt, und an welchem der Wirth zu viel ist; und ich möchte lieber mit einem Einsiedler Nüsse und Wurzeln essen, als die schönsten Leckerbissen mit einem Schweine. Die Laqueyen könnte man füglich mit den Kellnern und Hausknechten in einem Wirthshause vergleichen, wenn sie nicht unachtsam und heißhungrig wären; allein sie sind überhaupt grob und nachläßig, und so gierig, daß ich denke, ich kann im besten Gasthofe zu London essen, ohne daß mirs so theuer kommt, als eine Mahlzeit auf Vetters Schlosse in Yorkshire. Der 'Squire ist nicht nur mit einer Frau heimgesucht, sondern auch mit einem einzigen Sohne gesegnet, der ungefähr zwey und zwanzig Jahr alt, und eben als ein starker Geiger und Dilletante aus Italien zu Hause gekommen ist; der keine Gelegenheit vorbey läßt, bey welcher er die vollkommenste Verachtung für seinen eignen Vater an den Tag legen kann.

Als wir anlangten, war eine fremde Familie im Hause, um diesen Virtuosen zu besuchen, mit welchem sie zu Spaa Bekanntschaft gemacht hatte. Es war der Graf von Melville mit seiner Gemahlinn auf dem Wege nach Schottland. Dem Junker Burdock war ein Zufall überkommen, der den Grafen und mich vermocht haben würde, gleich wieder wegzufahren, allein der junge Herr und seine Frau Mama bestunden darauf, daß wir zu Mittage bleiben sollten; und ihre Heiterkeit schien durch die Begebenheit so wenig unterbrochen zu seyn, das wir ihre Einladung annahmen. – Der alte 'Squire war des Nachts vorher in einer Postchaise zu Hause gebracht worden, mit so übel zugerichtetem Kopfe, daß er in völliger Betäubung zu seyn schien, und immer sprachlos geblieben war. Ein Apotheker vom Lande, Namens Grieve, der auf einem benachbarten Dorfe wohnte, war zur Hülfe herbey gerufen, hatte ihm zur Ader gelassen, ihm einen warmen Umschlag um den Kopf gelegt, und erkläret, daß weder ein Fieber, noch sonst ein böses Anzeigen vorhanden sey, den Verlust der Sprache ausgenommen, wofern er anders dieses Vermögen wirklich verloren habe. Der junge 'Squire aber sagte, dieser Landarzt sey ein Ignorantaccio , die Hirnschädel wäre ihm zerbrochen, und es wäre nöthig, daß er ohne Zeitverlust trepanirt würde. Seine Mutter, die seiner Meynung beygefallen, hatte einen Expressen nach York zu einem Wundarzte geschickt, um die Operation zu verrichten, und er war bereits mit seinem Lehrjungen und seinen Instrumenten angelangt. Nachdem er den Kopf des Patienten examinirt hatte, hub er an, seine Bandagen auszukramen; obgleich Grieve immer auf seiner Meynung blieb, daß keine Fractur vorhanden sey, und um destomehr darinn bestärkt wurde, weil der 'Squire die Nacht geruhig geschlafen hatte, und keine Verwirrungen oder Zückungen gezeigt habe. Der Yorcker Wundarzt sagte, er könne nicht eher wissen, ob eine Fractur vorhanden, bis er die Haut vom Kopfe abgelöset; aber die Operation wäre doch auf alle Fälle gut, indem sie das Blut wegschaffe, das unter oder über der dura Mater aus den Blutgefäßen getreten seyn möchte. Die Lady und ihr Herr Sohn waren gänzlich dafür, das Experiment zu versuchen, und Grieve ward mit einigen Zeichen der Verachtung entlassen, welche er vielleicht seinem schlecht und rechten Aufzuge zu verdanken hatte. Er schien von mittlerm Alter zu seyn, trug seine eignen schwarzen Haare, schlicht ausgekämmt. Nach seiner Kleidung sollte man ihn für einen Quacker gehalten haben, allein er hatte nichts von dem Steifen dieser Sekte an sich, sondern war vielmehr höflich und ehrerbietig, und dabey von sehr wenig Worten.

Wir ließen die Damen in einem Zimmer alleine, und verfügten uns in die Kammer des Patienten, woselbst die Instrumente und Bandagen auf einem Schenktische in Ordnung ausgebreitet lagen. Der Operateur warf seinen Rock und Perucke ab, und rüstete sich mit seiner Schlafmütze, Schürze und Arbeitsärmeln aus, indessen daß sein Lehrjunge und Knecht des 'Squires Haupt ergriffen und solches in die gehörige Lage richten wollten. – Allein, siehe was erfolgte! – Der Patient sprang plötzlich im Bette in die Hohe, griff mit herkulischen Fäusten jeden dieser Gehülfen bey der Kehle, und schrie mit bellender Stimme: »Ich bin nicht so alt in Yorkshire geworden, daß mich solche Lumpenkerls trepaniren sollen, als ihr seyd;« Darauf fuhr er mit geraden Füßen aus dem Bette, und zog zu unser aller Erstaunen ganz ruhig die Beinkleider über. Der Chirurgus bestund noch immer auf der Operation, und führte für sich an, es erhelle itzt klar, daß das Gehirn verletzt sey, und verlangte, die Bedienten sollten ihn wieder ins Bette bringen, allein da war niemand der es wagen mochte, seinen Befehlen zu gehorchen, oder sich nur darein zu mischen, als ihn der 'Squire selbst mit seinen Gehülfen aus der Thüre stieß, und seinen ganzen Kram zum Fenster hinaus warf. Als er diesergestalt sein Hausherrliches Ansehn befestigt hatte, und mit Hülfe eines Bedienten in völlige Kleidung gekommen war, stellte sein Sohn ihm den Grafen, mich und meinen Neffen vor, und er empfieng uns mit seiner gewöhnlichen bäuerischen Höflichkeit; darauf wendete er sich zu dem Signor Macaroni und sagte mit einer spöttischen Grimasse zu ihm: »Ich will Dir was sagen, Dirck, die Brägenpfanne eines Menschen braucht nicht gleich gebohrt zu werden, wenn ihm einmal ein paar Löcher in den Kopf geschlagen sind; und Du sollst sehn, mit sammt Deiner Mutter, daß ich so viel Schliche kenne, als der listigste alte Fuchs in seinem Holze«.

Wir haben nachher erfahren, daß er in einem Wirthshause mit einem Acciseeinnehmer Händel bekommen, den er auf ein Stockduell herausgefodert, in welchem er den Kürzern gezogen hat; und daß die Schaam über diese Niederlage ihm die Zunge gebunden hatte. Seine Hausehre hatte keinen Kummer über sein Unglück empfunden, und freuete sich auch nicht, als sie seine Besserung vernahm. – Sie hatte sich ein wenig mit meiner Schwester und Nichte ins Gespräch eingelassen, aber mehr in der Absicht, ihrem Muthwillen Raum zu geben, als aus irgend einiger Achtung für unsre Familie. – Sie sagte, Liddy wäre angezogen, wie ein Buhbah! und befahl ihrem Kammermädchen, ihr vor Tische noch den Kopf aufzusetzen; mit Tabby aber wollte sie sich nicht abgeben, deren Zorn, wie sie bald merkte, man nicht ungestraft reitzen dürfte. Bey Tische erkannte sie mich in so ferne für ihren Anverwandten, daß sie sagte, sie habe wohl von meinem Vater sprechen gehört; ob sie gleich sich dabey merken ließ, er sey mit ihrer Familie deswegen zerfallen, daß er in Wäles eine arme Heyrath getroffen habe. Sie that bis zum Unangenehmen vertraut in ihren Erkundigungen nach unsern häuslichen Umständen, und fragte mich, ob ich aus meinem Neffen einen Advocaten zu machen dächte? Ich sagte ihr, er habe so viel, daß er als ein unabhängiger Mann leben könnte, und sollte also kein ander Gewerbe treiben, sondern auf seinen Landgüthern wirthschaften, und daß ich hoffen könnte, ihm Sitz und Stimme im Parlamente zu verschaffen. – »Sagen Sie mir doch, Vetter, (sagte sie,) was bringen seine Güther wohl jährlich ein?« Als ich ihr antwortete, daß er mit dem, was ich ihm geben könnte, jährlich über zwey tausend Pfund haben möchte, versetzte sie mit einem höhnischen Kopfschütteln, daß es ihm mit einem so armseligen Einkommen unmöglich seyn würde, seine Unabhängigkeit zu behaupten.

Diese übermüthige Anmerkung machte mir das Blut so warm, daß ich ihr sagte, ich hätte die Ehre gehabt, mit ihrem Vater im Parlamente zu sitzen, als er noch wenig mehr, als die Hälfte dieses Einkommens, gehabt; und ich glaubte, es wäre kein unabhängigers und vor allen Bestechungen sicherers Mitglied im ganzen Hause zu finden gewesen. »Ja, ja; (rufte der 'Squire,) aber die Zeiten haben sich geändert – Wir Edelleute auf dem Lande leben heut zu Tage auf einen ganz andern Fuß. – Mein Tisch allein kommt mir jedes Quartal auf gut tausend Pfund, obschon ich von meiner eignen Landwirthschaft das meiste im Hause habe, und meine Weine selbst verschreibe, und alles aus der ersten Hand habe. – Freylich thue ich auch was für die Ehre unsers alten Englands, und mein Haus steht jedermann offen, der mit mir fürlieb nehmen will.« – »Ho, wenn das ist, (sagte ich,) so wundert michs, daß Sie mit so wenigem reichen; aber man kann nicht von jedem Landedelmanne erwarten, daß er für die Bequemlichkeit der Reisenden eine öffentliche Caravansera halten soll: und auch das ist wahr, wenn jedermann auf eben die Art wirthschaftete: so würden Sie keine so große Anzahl Gäste an Ihrem Tische haben, und also würde denn auch Ihre Gastfreyheit nicht so helle zur Ehre dieser Grafschaft hervorleuchten.« Der junge 'Squire, den diese Anmerkung kitzelte, rufte aus: » O che burla! « – Seine Mutter maaß mich stillschweigend mit den Augen, und der Vater nahm ein volles Glas und sagte: »Ihre Gesundheit, Vetter Bramble; ich habe wohl gehört, die Luft in den wälischen Gebürgen soll immer so ein bischen scharf und schneidend seyn.«

Der Graf von Melville gefiel mir sehr; er hat Verstand, ist höflich und ungezwungen; und die Gräfinn ist das liebenswürdigste Frauenzimmer, das ich nur gesehen habe. Des Nachmittags nahmen sie von Wirth und Wirthinn Abschied, und der junge Herr stieg zu Pferde, um ihre Kutsche durch den Park zu begleiten, derweile einer von ihren Bedienten nach dem Wirthshause ritt, die übrigen von ihren Leuten, die sie daselbst gelassen hatten, aufbrechen zu lassen. Sie hatten nicht sobald den Rücken gewendet, als der Tadelteufel von unsrer Frau Wirthinn und meiner Schwester Tabby Besitz nahm. – Die Erste meynte, die Gräfinn sähe noch so ganz gut aus, hätte aber nicht die geringste feine Erziehung, und deswegen fiele ihr alles so einfältig zu. Der 'Squire sagte, er gäbe sich eben nicht damit ab, von andrer Zucht zu sprechen, als von der Füllenzucht; aber es würde doch ein recht hübsch Ding seyn, wenn sie etwas mehr bey Fleische wäre. »Schön! rufte Tabby, sie mag ja! ein paar schwarze Augen hat sie, wenn sie nur was sagten; und denn hat sie auch nicht eine einzige hübsche Miene im Gesichte.« – »Ich weis nicht, was sie hübsche Mienen in Wäles nennen,« (versetzte unser Wirth,) »aber in Yorkshire können sie sich schon sehn lassen.« Darauf wendete er sich an Lady und fuhr fort: »Was sagen Sie dazu, mein hübsches Milchundblutgesicht? – Was ist Ihre Meynung von der Gräfinn?« – »Mich dünkt,« – (sagte sie, und ward bis über die Ohren roth dabey,) »sie ist ein Engel!« Tabby gab ihr einen derben Verweis, daß sie so frey in Gesellschaften spräche, und die Dame vom Hause sagte mit einem schnippischen Tone, es schiene ihr, als ob Miß irgendwo auf dem Lande in einer Kostschule erzogen wäre.

Unsre Unterredung ward plötzlich durch den jungen 'Squire unterbrochen, welcher bleich wie ein Geist auf den Hof gesprengt kam, und schrie, die Kutsche sey von einer großen Menge Straßenräuber angefallen. Mein Neffe und ich liefen heraus, fanden sein und seines Kerls Pferd im Stalle fertig aufgesattelt, mit geladnen Pistolen in den Holftern, – stiegen augenblicklich auf, und befohlen Klinkern und Dutton eiligst nachzukommen. Aber ungeachtet unsrer Eile, war das Gefecht zu Ende, eh wir ankamen, und der Graf mit seiner Gemahlinn bereits in Sicherheit in Grieves Hause; welcher sich bey dieser Gelegenheit außerordentlich hervorgethan hatte. Beym Herumfahren um eine Wiese, nach dem Dorfe, wo des Grafen Bediente geblieben waren, erschienen plötzlich ein paar Räuber zu Pferde mit gezognen Pistolen: einer hielt den Kutscher in Respekt, und der andre foderte dem Grafen sein Geld ab, unterdessen daß der junge Burdock sporenstreichs davon jagte, ohne sich umzusehn. Der Graf bat den Dieb, nur die Pistole wegzuhalten, welche der Lady zu viel Angst machte, und gab seinen Geldbeutel ohne Widerstand her. Allein, noch nicht zufrieden mit dieser Beute, die ziemlich ansehnlich war, bestund der Schuft auch noch darauf, daß er ihr die demantne Ohrringe und Halsschleife abnehmen wollte, und die Gräfinn fieng aus Angst heftig an zu schreyen. Ihr Gemahl ward über die Gewaltthätigkeit, die man ihr anthun wollte, in Wuth gebracht, und rang dem Kerl die Pistole aus der Hand, hielt sie ihm ins Gesicht und drückte los; allein der Räuber, welcher wußte, daß sie nicht geladen war, zog eine andre aus dem Busen, und würde ihn nach aller Wahrscheinlichkeit auf der Stelle erschossen haben, wäre sein Leben nicht durch eine wunderbare Fügung errettet worden. Grieve, der Apotheker, kam gerade in dem Augenblicke zufälliger Weise des Weges, lief auf die Kutsche zu, und mit einem Handstocke, welches alle Waffen waren, die er hatte, legte er den Kerl mit dem ersten Schlage zu Boden; ergriff darauf seine Pistole, und gieng damit auf den Andern los, der die seinige aufs Gerathewohl abschoß, und ohne weitre Gegenwehr davon jagte. Der Andre ward mit Hülfe des Grafen und des Kutschers genommen, ihm die Füße unter dem Bauche seines eignen Pferdes zusammen gebunden, und von Grieve nach dem Dorfe geführt, wohin ihm der Wagen nachfolgte. Es kostete viele Mühe, die Gräfinn außer Ohnmachten zu erhalten; endlich aber brachte man sie doch glücklich nach des Apothekers Hause, der in seine Officin gieng, um einige Tropfen für sie zuzubereiten, indessen daß seine Frau und Tochter ihr in einem andern Zimmer Beystand leisteten.

Ich fand den Grafen in der Küche stehen und mit dem Pfarrer des Dorfs sprechen, dem er ein großes Verlangen bezeigte, seinen Beschützer zu sehen, denn er hatte bis itzt noch kaum Zeit gefunden, ihm für den wichtigen Dienst zu danken, den er ihm und seiner Gemahlinn geleistet. – Als eben die Tochter mit einem Glas Wasser vorüber gieng, konnte sich der Graf nicht enthalten, ihre Gestalt zu bewundern, die wirklich sehr einnehmend war. – »O ja,« (sagte der Pfarrer,) »sie ist das schönste, aber auch das beste Mädchen in meinem ganzen Kirchspiele; und könnte ich meinem Sohne ein jährliches Einkommen von zehn tausend Pfund mitgeben: so sollte er meine Einwilligung haben, solche zu ihren Füßen zu legen. Hätte Herr Grieve sich eben so viel Mühe gegeben, Geld zu erwerben, als alle Pflichten eines wahren Christen zu erfüllen: so würde Phinchen längst verheyrathet seyn.« – »Wie heißt sie?« fragte ich. »Vor sechzehn Jahren« (versetzte der Pfarrer,) »habe ich sie Seraphine Melvilia getauft.« – »Ha? was? wie!« (schrie der Graf ganz hitzig,) »Seraphine Melvilia sagen Sie, im Ernst?« – »Nicht anders; (sagte er,) Herr Grieve sagte mir damals, er nennte sie so nach zwey Personen, die itzt außer dem Reiche auf Reisen wären, und denen er noch mehr als sein Leben zu verdanken hätte.«

Der Graf lief, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, in das Zimmer und rufte: »Dieß hier ist Ihre Pathe, meine Liebe!« Frau Grieve faßte darauf die Gräfinn bey der Hand, und sagte mit großer Gemüthsbewegung: »O Madame! – O Sir! – ich bin – ich bin Ihre arme Elenore. Dieß ist meine Seraphine Melvilia. – O, mein Kind! hier siehst Du den Grafen und die Gräfinn von Melville, die gütigen, – die großmüthigen Wohlthäter Deiner ehedem unglücklichen Aeltern.«

Die Gräfinn stund von ihrem Sitze auf, schlug ihre Arme um den Hals der liebenswürdigen Seraphine, und drückte sie mit vieler Zärtlichkeit an ihre Brust, indessen sie sich selbst in den Armen der weinenden Mutter befand. Dieser rührende Auftritt ward durch Grieves Dazukunft vollkommen gemacht, welcher vor dem Grafen auf die Kniee fiel, und sagte: »Sehen Sie hier einen reuigen Beleidiger, der endlich, ohne zu schaudern, zu seinem Wohlthäter in die Höhe sehn darf.« – »Ach, Ferdinand!« (rufte er, indem er ihn aufhob und in seine Arme drückte,) »Sie sind der Spielgeselle meiner Kindheit, – der Gefährte meiner Jünglingsjahre! Ihnen habe ich also mein Leben zu verdanken?« – »Der Himmel hat mein Beten erhört,« (sagte der Andre,) »und mir eine Gelegenheit gezeigt, bey der ich mich Ihrer Güte und Ihres Schutzes nicht ganz unwürdig zeigen konnte.« Er küßte darauf der Gräfinn die Hand, indessen daß Herr von Melville seine Frau und liebenswürdige Tochter auf die Stirne küßte; und wir andern alle waren sehr bewegt von dieser rührenden Wiedererkennung.

Mit einem Worte, Grieve war niemand anders, als der Graf Ferdinand Fathom, dessen Begebenheiten schon vor einigen Jahren gedruckt sind. Er hat sich so aufrichtig zur Tugend bekehrt, daß er deswegen seinen Namen verändert hatte, damit er den Erkundigungen des Grafen ausweichen möchte, dessen großmüthige Hülfe er fest beschlossen hatte, nicht ferner anzunehmen, damit er sich auf nichts anders zu stützen hätte, als auf seinen Fleiß und auf seine Mäßigkeit. Dem zufolge hatte er sich in diesem Dorfe niedergelassen, als ein Apotheker und Wundarzt, und mußte einige Jahre mit allem Elende des Mangels kämpfen, welchen gleichewohl er und seine Frau mit exemplarischer Unterwerfung ertrugen. Endlich ist er durch einen unabläßigen Fleiß in den Pflichten seiner Profession, die er mit eben so viel Verstande als Menschlichkeit getrieben, dahin gelangt, daß er eine ziemliche Anzahl Kunden unter den kleinen Pachtern und Bauren gewonnen, wodurch er denn so viel verdient, das er auf einen anständigen Fuß leben kann. Kaum hat man ihn jemals lachen gesehn; er ist fromm, ohne damit zu pralen, und alle die Zeit, die ihm seine Berufsgeschäffte frey lassen, wendet er an, seiner Tochter Herz und Verstand zu bilden, und in seiner Wissenschaft weiter zu studieren. – Kurz, der Abentheurer Fathom ward unter dem Namen Grieve, bey den Leuten hiesiger Gegend als ein Wunder der Gelehrsamkeit und Tugend verehrt. Diese Umstände erfuhr ich von dem Pfarrer, als wir das Zimmer verließen, damit sie den Ergießungen ihrer Herzen keinen Zwang anthun dürften. Ich zweifle nicht, man wird sehr in Grieve dringen, daß er seine Lebensart aufgeben, und sich wieder mit des Grafen Familie vereinigen soll; und da die Gräfinn außerordentlich in die Tochter verliebt zu seyn scheint: so wird sie vermuthlich dringend darauf bestehen, daß Seraphine sie nach Schottland begleiten soll.

Nachdem wir diesen würdigen Personen unsern Glückwunsch abgestattet hatten, kehrten wir wieder zurück nach unserm 'Squire, woselbst wir eine Einladung erwarteten, die Nacht da zu bleiben, weil der Abend naß und stürmisch war. Allein es schien, daß Burdocks Gastfreyheit für die Ehre von Yorkshire sich so weit nicht erstreckte: wir fuhren also noch spät weg, und kehrten in einem Wirthshause ein, wo ich eine Erkältung davon trug.

In Hoffnung, sie wieder aus den Gliedern zu fahren, ehe sie sich irgendwo festsetzen möchte, beschloß ich, einen andern Anverwandten zu besuchen, einen gewissen Herrn Pimpernell, der ungefähr vier Meilen von dem Orte wohnte, wo wir waren. Pimpernell studierte anfänglich, als der jüngste von vier Söhnen, auf einen Advokaten; da aber seine drey ältern Brüder nach einander starben, erwarb er, zur Ehre seiner Familie, eine Stelle unter den Richtern, und bald nach dieser Erhöhung erbte er die Güter seines Vaters, die sehr ansehnlich waren. Er nahm alle Ränke und Kniffe des elendesten Zungendreschers mit nach Hause, und dazu eine Ehefrau, die er von einem Karrenführer um zwanzig Pfund gekauft hatte; und er fand bald Mittel, sich vom Könige zu einem wirklichen Friedensrichter ernennen zu lassen. Er ist nicht nur recht filzig karg von Natur, sondern sein Geitz ist noch mit einer Herrschsucht vermischt, die ihn völlig satanisch macht. Er ist ein grober Ehmann, ein gleichgültiger Vater, ein harter Hausherr, ein Unterdrücker seiner Pächter, ein proceßsüchtiger Nachbar und ein partheyischer Richter. – Freunde hat er keine; und was Lebensart und Gastfreyheit anbelangt, so ist Vetter Burdock ein Prinz in Vergleichung mit diesem hungrigen Bären, dessen Haus einen lebhaften Begriff von einem Gefängnisse macht. Unsere Aufnahme war dem Charakter gemäß, den Sie hier gelesen haben. Hätte es bey der Frau gestanden: so würde uns freundschaftlich begegnet worden seyn. – Sie ist wirklich eine gute Art von Frau, Trotz ihrer geringen Abkunft, und wird von der Nachbarschaft geliebt und geehrt; allein sie hat in ihrem eignen Hause nicht die Macht, einen Trunk Tafelbier zu fodern, geschweige denn ihren Kindern die geringste Erziehung angedeihen zu lassen, welche herumlaufen als ungestriegelte Füllen in einem Walde. – Weg mit ihm! Er ist ein so nichtsnütziger Kerl, daß ich nicht die Geduld habe, mehr von ihm zu sagen.

Um die Zeit, daß wir Harrigate wieder erreichten, meldeten sich rheumatische Schmerzen bey mir an. Der schottländische Jurist, Herr Micklewhimmen, rieth mir so ernsthaft zu einem heißen Bade von diesem Wasser, daß ich mich dazu bereden ließ. – Er hatte es oft mit Glück gebraucht, und blieb allemal eine Stunde im Bade, das heißt, in einem mit heiß gemachten Harrigatewasser angefüllten Kübel. Da ich nicht einmal den Geruch von einem Glase voll ausstehen konnte, wenn es kalt war: so mögen Sie sich einbilden, was meine Nase von dem Qualme eines heißen Bades von eben dem Wasser ausstehn mußte. Des Abends ward ich in ein finstres Loch unten im Hause gebracht; hier stund der Kübel in einer Ecke, und dampfte und stunk, als ob er aus dem Acheron gefüllt wäre; dort in der andern ein schmutziges Bette, mit dicken wollenen Decken, worinn ich schwitzen sollte, wenn ich aus dem Bade käme. Das Herz im Leibe ward mir ohnmächtig, als ich in diese fürchterliche Badstube trat, und ich fühlte mein Gehirn von diesen unerträglichen Ausdünstungen heftig angegriffen. – Ich fluchte auf Micklewhimmen, daß er nicht bedacht, wie meine Organen disseits der Tweed gebildet wären; allein ich schämte mich, auf der Schwelle wieder umzukehren, und unterwarf mich dem Processe.

Nachdem ich über eine viertel Stunde in dem Kübel alles, die wirkliche Erdrosselung ausgenommen, ausgestanden hatte, ward ich ins Bette gebracht, und in die Decken gehüllt. Hier lag ich eine ganze Stunde, und schmachtete vor unerträglicher Hitze, als aber auf meiner Haut nicht die geringste Feuchtigkeit hervorkommen wollte, brachte man mich nach meiner eignen Kammer, und ohne ein Auge zu schließen, brachte ich die Nacht mit solcher Herzensangst zu, die mich zum elendesten Menschen auf der Welt machte. Ich wäre gewiß verrückt im Kopfe geworden, hätte mein durch dieß stygische Bad verdünntes Blut nicht etliche Gefäße gesprengt, und einen heftigen Blutfluß hervorgebracht, welcher, so fürchterlich und drohend er auch war, dennoch die entsetzlichen Wallungen dämpfte. – Ich verlor über zwey Pfund Blut bey dieser Gelegenheit, und befinde mich noch schwach und matt; allein ich glaube, eine mäßige Bewegung wird mir wieder auf die Beine helfen, und deßhalb bin ich entschlossen, mich morgen über York nach Scarborough auf die Reise zu machen, woselbst ich durchs Baden in der See meine Fibern wieder zu stählen gedenke, denn das ist doch, wie ich weis, eine Cur, von der Sie sehr viel halten. Es giebt indessen eine Krankheit, gegen welche Sie noch keine ausfindig gemacht haben, und die ist das Alter, wovon diese langweilige, unzusammenhängende Epistel ein untrügliches Anzeichen ist: – Unheilbare Schäden müssen wir also mit Geduld salben, sowohl Sie, als

Ihr

   Harrigate,
den 26ten Junii.

beständiger Freund
M. Bramble. 

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An Sir Watkin Philipps, Baronet, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Mein liebster Freund,

Die Art, wie man hier zu Harrigate lebet, war meiner Neigung so angemessen, daß ich den Ort ungerne verlassen habe – Wahrscheinlicher Weise würde auch unsre Tante wider unsre so baldige Abreise Einwendungen gemacht haben, hätte sie nicht ein Zufall mit Herrn Micklewhimmen, dem schottländischen Advocaten, über den Fuß gespannt, an dessen Herzen sie sonst gleich, vom zweyten Tage nach unsrer Ankunft an, herum geklimpert hatte. – Dieses Original, ob er gleich nach allem Anscheine weder Fuß noch Hand brauchen könnte, hatte seinen Kopf voller Anschläge nicht umsonst mitgebracht. – Kurz zu sagen, er ächzte und stöhnte so herzlich, und erregte dadurch das Mitleiden der Hausgesellschaft so nachdrücklich, daß eine alte Dame, welche das beste Zimmer im Hause inne hatte, ihm solches zu seiner desto bessern Bequemlichkeit und Erleichterung abtrat. Wenn sein Kerl ihn in den langen Saal führte, kamen gleich alle Weiblein in Bewegung. – Die eine setzte ihm einen Lehnstuhl zurechte; eine Andre klopfte ihm das Stuhlkissen auf; eine Dritte brachte einen Fußschämmel; eine Vierte ein Kissen, worauf er die Füße legen könnte. – Zwo Damen, (wovon Tabby die eine war;) führten ihn nach dem Eßsaale, und setzten ihn sanft an den Tisch; und zu was für Leckerbissen er nur Lust blicken ließ, die wurden ihm mit ihren schönen Händen vorgelegt. Alle diese Dienstfertigkeit bezahlte er mit reichlichen Complimenten und Segenswünschen, welche deswegen nicht weniger angenehm waren, daß sie in einer schottischen Mundart hervorgebracht wurden. Besonders war er sehr ehrerbietig gegen Tabby, und wußte in sein Gespräch immer etwas über die Religion, über die unbedingte Gnade u. s. w. einzumischen, indem er ihren Hang zur Pietisterey ausgefunden hatte, zu der er sich gleichfalls auf eine calvinistische Weise bekannte.

Ich meines Theils konnte mich nicht überreden, daß dieser Zungendrescher wirklich so lahm seyn sollte, als er vorgab. Ich bemerkte, daß er des Tages dreymal sichs herzlich wohl schmecken ließ, und obgleich an seiner Bouteille ein Schild mit »Magentinctur« hieng, so sprach er ihr doch so oft zu, und schien davon mit so besonderm Wohlgefallen zu genießen, daß ich auf den Argwohn kam, dieser Trank möchte wohl in keiner Apotheke oder keines Chemisten Laboratorio zubereitet seyn. Eines Tages, als er sehr tief in einem Gespräche mit Tabby verwickelt, und sein Bedienter aus dem Zimmer gegangen war, verwechselte ich ganz behende die Schilder und Plätze unsrer beyden Bouteillen, und als ich seine Tinctur kostete, fand ich, daß es ein sehr guter Bordeauxwein wäre. Ich reichte die Bouteille alsobald meinem Nachbar, der sie rund gehn ließ, und sie war fast ausgeleeret, ehe Herr Micklewhimmen wieder an das Trinken dachte. Endlich kehrte er sich herum, faßte meine Bouteille, schenkte sich sein volles Glas ein, und trank auf Fräulein Tabithas Gesundheit. – Er hatte es kaum an den Mund gebracht, als er den Streich merkte, der ihm gespielt worden, und darüber anfänglich in einige Verwirrung gerieth. – Er schien in der Stille mit sich selbst zu Rathe zu gehn, und in einer halben Minute war sein Entschluß gefaßt: er wandte sich nach unsrer Seite her, und sagte: »Die Erfindung des Herrn ist witzig genug, das muß ich gestehn; es ist ein hübscher drolliger Spaaß; aber zuweilen heißts: hi joci in seria ducunt mala – Ich will seinetwegen nicht hoffen, daß er den ganzen Trank zu sich genommen hat, denn der Bordeauxwein ist sehr stark mit Jallap abgezogen; er kann wohl sonst eine so große Portion zu sich genommen haben, die ein schreckliches Unheil in seinem Eingeweide anrichten möchte« –

Den größesten Theil des Restes hatte sich ein junger Tuchfabricant von Leeds zu Gemüthe geführt, der nach Harrigate gekommen, um sich sehn zu lassen, und in der That ein großer Haasenfuß war. Er hatte, sowohl um seine Mitgäste auszulachen, als dem Juristen Eins anzuhängen, alles ausgetrunken, als die Reihe an ihn kam: und hatte herzinniglich gelacht; allein nunmehr verwandelte sich seine Lustigkeit in Furcht – Ihm begann übel zu werden, und er machte allerley Verdrehungen und Verzerrungen mit Gesicht und Augen. – »Das verdammte Zeug, (schrie er,) ich dachte gleich, daß es einen häßlichen Beyschmack hatte. – Poh! das heißt wohl recht, wer einem Schottländer Eins anhängen will, muß früh aufstehn, und des Teufels Großmutter mitnehmen.« – »Im Ernst, mein Herr, wie Sie heißen,« (erwiederte der Jurist,) »Ihr Witz hat Ihnen einen häßlichen Streich gespielt – es thut mir wirklich leid um Sie, denn es kann Ihnen übel bekommen. – Ich kann Ihnen in dieser Gefahr keinen bessern Rath geben, als daß Sie gleich einen Expressen nach Rippon, zum Doctor Waughn, schicken, und unterdessen alles Oel trinken und alle Butter essen, die Sie im Hause finden können, damit Sie ihren Magen und Gedärme vor dem Reize der Jallape verwahren, der sehr heftig ist, wenn man auch nur ein klein wenig davon nimmt.«

Die Quaalen des armen Tuchfabricanten waren schon eingetreten; er gieng mit Aechzen über Bauchgrimmen nach seinem Zimmer hinauf. Das Oel ward verschlungen, und der Doctor geholt; allein ehe der anlangte, hatte der arme Patient über und unter so ausgeleeret, daß nichts zurückgeblieben war, das ihm weiter schaden könnte; und diese doppelte Ausleerung war bloß die Wirkung der Einbildungskraft; denn was er getrunken hatte, war reiner rother Franzwein, den der Jurist für seinen eignen Mund aus Schottland gebracht hatte. Als der Tuchfabricant fand, daß die Kurzweile so theuer und unangenehm für ihn ausgefallen war, verließ er den andern Morgen das Haus, und ließ Herrn Micklewhimmen den Sieg, welcher sich desselben innerlich erfreute, ohne sich äußerlich im geringsten damit zu blähen. – Er stellte sich vielmehr, als obs ihm nahe gienge, daß der junge Mensch so viel aushalten müssen, und erwarb sich neues Lob mit dieser Prunkmäßigung.

Es war ungefähr mitten in der Nacht, welche auf diese Begebenheit folgte, daß der Ruß in einer Feueresse, die zu lange nicht gekehrt seyn mochte, Feuer fieng, und auf eine fürchterliche Art Lärm gemacht wurde – Jedermann sprang nackt aus dem Bette, und in einer Minute war das Haus mit Geschrey und Tumult erfüllt. – Das Haus hatte zwo Treppen, und auf diese liefen wir natürlicher Weise zu; beyde aber waren so verrammt von Menschen, die auf einander drängten, daß es unmöglich war, durchzukommen, ohne das Frauenzimmer niederzuwerfen und darüber wegzugehn. Mitten in dieser Anarchie kam Herr Micklewhimmen, mit einem ledernen Mantelsacke auf dem Rücken, so flink als ein Ziegenbock über den Gang gerannt; und Tabby im bloßen Unterrocke that, was sie konnte, ihm unter den Arm zu fassen, damit sie unter seinem Schutze entrinnen möchte; allein er warf sie glücklich zur Erde und schrie: »Näh, näh, wahrhaftig! jeder ist sich selbst der Nächste.« Ohne sich im geringsten an das Schreyen und Flehn seiner Freundinnen zu kehren, drängte er sich mitten durch das Getümmel und warf alles übern Haufen, was ihm im Wege stund, und fochte sich glücklich die Treppe hinunter. – Während dieser Zeit hatte Klinker eine Leiter gefunden, auf welcher er in das Fenster zu meines Onkels Kammer stieg, worinn wir uns alle versammlet hatten, und that den Vorschlag, daß wir auf derselben nach einander darauf heraus steigen möchten. Onkel vermahnte seine Schwester, sie sollte den Anfang machen, ehe sie aber noch schlüssig ward, warf sich ihr Putzmädchen, Winifred, in einem Anfalle von Furcht und Schrecken aus dem Fenster auf die Leiter, und Klinker sprung herunter, um sie aufzufangen. – Diese Nymphe war so unangekleidet, als sie aus dem Bette gesprungen war; der Mond schien sehr helle, und weil eben ein frisches Lüftlein wehte; so konnte den Augen des glücklichen Klinkers unmöglich irgend eine Schönheit der Jungfer Jenkins entgehn, und sein Herz war nicht fähig, den vereinigten Kräften so vieler Reize zu widerstehen, wenigstens müßte ich mich sehr irren, wenn er nicht von diesem Augenblicke an ihr demüthiger Diener geworden ist. – Er empfieng sie in seine Arme, gab ihr seinen Ueberrock, um sie vor der Kälte zu schützen, und stieg mit verwundernswürdiger Hurtigkeit wieder die Leiter herauf.

Um diese Zeit rufte der Wirth mit vernehmlicher Stimme aus, das Feuer wäre gelöscht, und die Damen hätten nichts mehr zu fürchten. Dieses war den Hörern eine willkommne Nachricht, und that eine unmittelbare gute Wirkung. Das Geschrey hörte auf, und es erfolgte ein dumpfes Gesäusele von Gezänke. Ich führte meine Tante und Schwester nach ihrer eignen Kammer, woselbst Liddy in Ohnmacht fiel, aber bald wieder zu sich selbst gebracht ward. Darauf gieng ich hin, auch den übrigen Damen meine Dienste anzubieten, welche meines Beystandes benöthigt seyn möchten. Sie huschten alle über den Gang nach ihren verschiedenen Zimmern, und da derselbe allemal mit zwey Lampen erleuchtet ist: so hatten meine Augen eine ziemliche Weide, so wie sie vorüber giengen; allein da die meisten bis aufs Hemde nackt waren, und große Nachthauben auf den Köpfen hatten: so konnte ich kein Gesicht von dem andern unterscheiden, ob ich gleich ein Paar an den Stimmen erkannte – Diese waren überhaupt im klagenden Tone; einige weinten, einige schalten und einige beteten. – Ich hob eine alte arme Dame von der Erde auf, die unter die Füße gerathen, und jämmerlich zertreten war; dem lahmen Pastor von Northumberland wars nicht besser ergangen; ihn hatte Micklewhimmen zu Boden geworfen, ob gleich nicht ungestraft, denn der Krüppel hatte ihm im Fallen einen so guten Gnuck mit seiner Krücke auf den Kopf versetzt, daß das Blut darnach rann.

Was diesen Juristen anbelangt, so wartete er so lange unten, bis das Getümmel vorüber, und dann schlich er sich ganz leise wieder nach seinem Zimmer, aus welchem er sich nicht getraute einen zweyten Ausfall zu thun, bis des Vormittags um eilf Uhr, da er sich von seinem Bedienten und noch einem Gehülfen ins gemeinschaftliche Zimmer führen ließ, wobey er ein blutiges Tellertuch um den Kopf gebunden hatte, und jämmerlich stöhnte. Allein die Sachen hatten ein ganz anders Ansehn bekommen. – Die eigenliebige, viehische Grobheit seines Betragens auf der Treppe hatte aller Herzen gegen seine List und Künste zu Stahl und Eisen gehärtet. – Da war keine Seele, die ihm einen Stuhl, Fußschämmel oder Kissen angeboten hätte; dergestalt daß er genöthigt war, sich auf eine harte hölzerne Bank niederzusetzen. – In dieser Stellung sah er mit einem kläglichen Gesichte umher, bückte sich sehr tief, und sagte mit einem winselnden Tone: »Ihr unterthänigster Diener, meine Damen – Feuer ist ein entsetzliches Unglück« – »Feuer reiniget das Gold, und prüft die Freundschaft,« (sagte Tante Tabby, und warf die Nase in die Höhe) »Ja, wohl! Fräulein,« (erwiederte Micklewhimmen,) »und die Bedachtsamkeit prüfet es auch« – »Wenn die Bedachtsamkeit darinn besteht, einen Freund im Unglücke stecken zu lassen, so besitzen Sie diese Tugend in einem hohen Grade,« (versetzte Tante.) »Nein, gnädiges Fräulein,« (war die Antwort des Advocaten,) »ich weis wohl, daß ich mir über die Art und Weise meiner Flucht kein Verdienst anmaßen kann. – Sie werden die Güte haben, zu bemerken, meine Damen, daß es zweyen verschiedene Grundsätze giebt, nach welchen unsre Natur handelt – Instinkt ist der Eine, welchen wir mit den unvernünftigen Thieren gemein haben; und der andre ist die Vernunft. – Nun, sehn Sie, in gewissen großen Nothfällen, wenn die Vernunft betäubt ist, faßt der Instinkt das Ruder, und wenn er es in der Hand hat, so bekümmert er sich nichts um die Verbindungen der Vernunft, weil er mit ihr gar nicht verwandt ist; er arbeitet für nichts, als für die Erhaltung seiner eignen Person; derohalben, meine Damen, bin ich, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, über das, was ich unter der Herrschaft dieser unwiderstehlichen Gewalt gethan habe, in foro Conscientia nicht zu belangen.«

Hier fiel ihm mein Onkel in die Rede und sagte: »Ich möchte wohl wissen, ob es der Instinkt war, der Sie antrieb, mit Sack und Pack zu fliehen; denn mich däucht, Sie hatten ein Felleisen auf der Schulter.« – Der Jurist antwortete, ohne sich lange zu bedenken: »Sollte ich frey meine Meynung sagen, ohne zu befürchten, daß man mich für eingebildet hielte? so dächte ich, es war etwas mehr als Vernunft oder Instinkt, das mich antrieb, diese Vorsicht zu gebrauchen, und zwar aus doppelten Ursachen: Erstlich waren in dem Mantelsacke die Papiere über die Güter eines würdigen Edelmannes; und wenn sie verbrannt wären, so hätte das einen unersetzlichen Verlust verursachet; Zweytens, so scheint mir mein Schutzengel diesen Mantelsack als einen Panzer selbst auf die Schultern gelegt zu haben, um mich gegen einen fast unmenschlichen Schlag zu decken, den ich von der Krücke eines Wohlehrwürdigen Geistlichen bekam; und der mir, Trotz dieser Schutzwehr, ein Loch bis auf den Knochen in den Kopf geschlagen hat.« – »Nach Ihren eignen Lehrsätzen,« (fiel der Priester ein, der eben gegenwärtig war,) »bin ich an diesem Schlage unschuldig, denn er war die Wirkung des Instinkts.« – »Ich bitte um Vergebung, wohlehrwürdiger Herr, (sagte der andre,) der Instinkt ist bloß für die Erhaltung der Person beschäfftiget; und von Ihrer Erhaltung war gar nicht die Rede. – Sie hatten bereits den Schaden weg, und deswegen muß der Schlag an Rechnung der Rachgier geschrieben werden, welches eine sündliche Leidenschaft ist, die keinem Christen, geschweige denn einem protestantischen Geistlichen, wohlansteht; und ich muß Ihnen sagen, wohlehrwürdiger Herr, wenn ich Lust zum Processe hätte, so sollte mein Liebel nicht von der Hand gewiesen werden.« – »Ey nun,« (rufte der Pfarrer,) »der Schaden an beyden Seiten geht so ziemlich gegen einander auf; Sie haben ein Loch in den Kopf bekommen, und meine Krücke ist mitten entzwey gespalten. – Sehn Sie, wenn Sie den einen wieder gut machen, so will ich die Cur des andern gleichfalls bezahlen.«

Dieser witzige Einfall erregte ein Gelächter über Micklewhimmen, welcher anfieng, finster auszusehn, als mein Onkel, um das Gespräch auf etwas anders zu lenken, die Anmerkung machte, der Instinkt sey in einem noch andern Betracht sehr gütig gegen ihn gewesen, denn er habe ihm zum Gebrauche seiner Gliedmaßen verholfen, die er bey seinem Ausziehen mit so erstaunlicher Lebendigkeit bewegt hörte. – Er erwiederte, es brächte die Natur der Angst so mit sich, daß sie die Nerven zu stärken pflegte, und führte einige bewundernswürdige Beyspiele an, wo Personen in großer Angst und Schrecken außerordentliche Stärke und Behendigkeit bewiesen hätten; er klagte aber, daß in seinem eignen Falle die Wirkung verschwunden, nachdem die Ursache weggenommen worden. – Onkel sagte, er wolle wohl eine Theecollation auf seine Hand verwetten, daß er einen schottischen Rill tanzen könnte, ohne einen falschen Tritt zu thun; und der Advocat sagte mit lachendem Munde: »wo ist der Spielmann?« – Es war eben ein Mensch mit einer Geige bey der Hand, und dieses Original sprang mit seiner blutigen Serviette über seiner schwarzen Knotenperucke von der Bank auf in den Saal, und tanzte dergestalt herum, daß die ganze Gesellschaft herzlich darüber lachte. Aber Tabbys Gewogenheit hatte er ein für allemal verloren, die von keinem Instinkte was wissen wollte, und der Jurist hielt es nicht der Mühe werth, sich bey weitläuftigern Erklärungen aufzuhalten.

Von Harrigate sind wir über York hier angelangt, und hier werden wir uns einige Tage aufhalten, weil beyde, mein Onkel und meine Tante, gesonnen sind, das Wasser zu brauchen. Scarborough ist zwar nur eine unbedeutende Stadt, liegt aber sehr romantisch längs auf einem Felsen, der über der See hängt. Der Hafen liegt zwischen einer schmalen Erdzunge, die in gerader Richtung gegen der Stadt über als ein natürlicher Damm fortläuft; und an der Seite liegt das Kasteel, welches sehr hoch und von großem Umfange ist, und vor der Erfindung des Schießpulvers für unüberwindlich gehalten wurde. An der andern Seite von Scarborough findet man zween öffentliche Säle zum Gebrauch der Gäste, welche im Sommer hierher kommen, den Brunnen zu trinken und in der See zu baden; und die Lustbarkeiten sind hier ungefähr eben dieselben, wie die zu Bath. Der Gesundbrunnen, oder sogenannte Spaa, liegt ein wenig diesseits von der Stadt, unter einem Felsen, wenige Schritte weit von der See, und die Trinker gehn alle Morgen unangekleidet dahin; man muß aber viele Stufen hinabsteigen, welches die Siechlinge sehr unbequem finden. Zwischen der Quelle und dem Hafen stehn, längs dem Strande in einer Reihe, die Bademaschienen nebst Zubehör und Aufwärtern in Ordnung – Sie haben niemals eine dergleichen Maschiene gesehn. – Stellen Sie sich also eine kleine dichte hölzerne Kammer vor, die auf Rädern steht, an jedem Ende eine Thüre hat, an jeder Seite oben ein kleines Fenster, und unten eine Bank. – Der Badgast steigt auf einigen hölzernen Tritten in dieses Zimmerchen hinauf, verschließt sich, und beginnt sich auszukleiden, unterdessen daß der Aufwärter nach der Seeseite zu ein Pferd vorspannt, und das Fuhrwerk so lange fortziehn läßt, bis das Wasser mit dem Boden der Kammer gleiche Höhe hat; alsdann nimmt er das Pferd, und spannt es am andern Ende vor. – Die Person, welche darinn ist, öffnet, wenn sie sich ausgekleidet hat, die Thüre nach dem Wasser hin, woselbst sie den Führer bereit findet, und sich über Kopf ins Wasser stürzet. – Nachdem sie sich genug gebadet, steigt sie wieder in die Kammer auf den Tritten, die man zu dem Ende dahin fest gemacht hat, und kleidet sich gemächlich wieder an, derweile das Fuhrwerk wieder auf den trocknen Strand gezogen wird. – Man hat also nichts weiter zu thun, als die Thüre zu öffnen und heraus zu kommen, wie man hinein gegangen ist. Sollte jemand so kränklich seyn, daß er einen Bedienten zum Aus- und Ankleiden nöthig hätte: so ist allenfalls die Kammer groß genug für sechs Menschen. Die Damen werden von Personen ihres eignen Geschlechts ins Wasser geführt und darinn bedient, und sowohl diese als die weiblichen Badegäste haben ein Seekleid von Flanell; sind auch sonst noch mit andern Bedürfnissen, der Wohlanständigkeit wegen, versehen. Eine gewisse Anzahl dieser Maschienen hat Wände von Segeltuch, die in die See hinein gehn, dergestalt, daß die badende Person von niemand gesehn werden kann – Der Strand ist ungemein schicklich zu diesem Gebrauche, weil er sehr sanft abschüssig, und der Sand so egal ist, als ein Sammt. Allein, wegen Ebbe und Fluth kann man sich dieser Maschienen nur zu gewissen Zeiten des Tages bedienen, und muß sich nach der Fluth richten. Also sind die Badegäste zuweilen genöthigt, des Morgens sehr früh aufzustehen. – Ich meines Theils mag gerne schwimmen zur Leibesübung, und kann bey Ebbe und Fluth dazu gelangen, ohne aller dieser Weitläuftigkeiten zu bedürfen. Sie und ich haben uns manches Mal in der Isis gebadet. Die See aber ist, sowohl zur Gesundheit als zum Vergnügen, ein viel bessers Wasser zum Baden. Sie können nicht glauben, wie munter und frisch man wieder heraus kommt, und wie sehr es jede Nerve am menschlichen Körper stärkt. Wollte ich Ihnen nur die Hälfte der Gebrechen herzählen, die täglich durch das Seebad geheilet werden, so würden Sie Recht haben zu sagen, Sie hätten eine Abhandlung statt eines Briefes empfangen von

Ihrem

Scarborough,
  den 2ten Julii.

ergebensten Freunde und Diener
J. Melford.               

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An den Doctor Lukas.

Ich habe nicht alle den Nutzen gefunden, den ich von Scarborough erwartete, woselbst ich die letzten Tage gewesen bin – Von Harrigate kamen wir dahin über York, an welchem letztern Orte wir nur einen Tag blieben, um das Kasteel, den Münster und den Assembleesaal zu besehn. Das Erste war ehedem eine Festung, itzt aber ist ein Gefängniß daraus gemacht, und in allem Betracht das Beste, was ich daheim oder in der Fremde gesehen habe – Es liegt auf einer ziemlichen Anhöhe, hat gute frische Luft, und innerhalb der Mauren einen geräumigen freyen Platz, worauf die Gefangenen für ihre Gesundheit umher gehn können; diejenigen ausgenommen, deren enge Bewahrung nöthig ist. – Und auch selbst für diese letzten ist so gut gesorgt, als es die Natur ihrer Umstände erlaubt. Hier werden in einer des Endes erbauten Reihe Gebäuden die Landgerichte gehalten.

Den Münster weis ich von den andern alten Kirchen in verschiedenen Gegenden des Königreichs, welche man Ueberbleibsel der gothischen Bauart zu nennen pflegt, durch nichts zu unterscheiden, als durch seine ausnehmende Größe, und die Höhe seiner Thurmspitze. Die Bauart aller dieser Kirchen ist aber vielmehr saracenisch als gothisch, und ich nehme an, daß solche nach England aus Spanien überbracht ist, welches größtentheils unter maurischer Herrschaft stund. Diejenigen brittischen Baumeister, welche solche annahmen, scheinen nicht alles gehörig überlegt zu haben. Das Clima der Länder, welche die Mauren oder Saracenen, sowohl in Spanien als Africa, besaßen, war so außerordentlich heiß und trocken, daß diejenigen, welche Andachtsörter für den großen Haufen baueten, ihre Künste anwendeten, solche Gebäude aufzuführen, die kühle wären; und zu diesem Zwecke schien sich nichts besser, als lange, schmale, hohe und finstre Tempel zu schicken, in welche keine Sonnenstralen dringen können, und die mit der sengenden äußern Luft wenig Communication haben; in welchen man immer frisch und kühle ist, wie in einem tiefen Keller, während der Sonnenhitze, oder in den natürlichen Höhlen in hohen Bergen. Nichts aber konnte wohl verkehrter seyn, als diese Art zu bauen, in einem Lande wie England, nachzuahmen, woselbst das Clima kalt, und die Luft unaufhörlich voller Feuchtigkeit ist, und wo folglich die Absicht des Baumeisters seyn sollte, die Leute trocken und warm zu halten. Ich für mein Theil bin nur einmal in der Abteykirche zu Bath gewesen, und den Augenblick, so wie ich hineintrat, fühlte ich mich bis auf das Mark in den Knochen von Frost durchdrungen. – Wenn man bedenkt, daß wir in unsern Kirchen eine dicke, faule Luft athmen, welche mit den Ausdünstungen von Gewölbern, Gräbern und Beinhäusern angefüllt ist, kann man sie alsdann nicht mit recht Magazine von Flußkrankheiten nennen, die zum Besten der medicinischen Facultät errichtet sind? und kann man nicht mit Sicherheit behaupten, daß durch das Kirchengehen, im Winter besonders, auf welchen man acht Monate im Jahre rechnen kann, mehr Körper verloren gehn, als Seelen errettet werden? Ich möchte doch wohl einmal hören, was zarte Gewissen dabey leiden könnten, wenn die Gotteshäuser bequemlicher, oder der Gesundheit schwächlicher Körper weniger gefährlich eingerichtet wären; und ob es nicht eben so gut zur Beförderung der Andacht, als zur Erhaltung des Lebens mancher Menschen gereichen möchte, wenn die Oerter der öffentlichen Anbetung mit guten Fußböden ausgelegt, die Wände getäfelt, geheitzt, durch Ventilators gelüftet, und ihre Gewölber vor der Verunreinigung mit todten Leichnamen heilig gehalten würden? Der Gebrauch, sich in den Kirchen begraben zu lassen, schreibt sich aus den Zeiten des dummen Aberglaubens her, da ihn gewinnsüchtige Priester einführten, indem sie vorgaben, der Teufel könne dem Verstorbnen nichts anhaben, wenn er in heiliges Erdreich begraben würde; und dieses ist in der That die einzige Ursache, die man angeben kann, warum bis auf den heutigen Tag die sogenannten Kirchhöfe oder Begräbnißplätze eingeweiht werden.

Das Aeußerliche an einer alten Domkirche muß dem Auge eines jeden Mannes mißfällig seyn, der nur die geringste Idee von Schönheit und Verhältniß hat, wenn er auch von den Regeln der Baukunst gar nichts weis; und der lange schlanke Thurm bringt einem einen gespießten Missethäter in die Gedanken, mit einer scharfen Spitze, die ihm durch die Schultern heraussteckt. Diese Glocken- oder Kirchthürme sind gleichfalls von den Mahometanern entlehnt, welche keine Glocken hatten, und solche Riesenschlösser brauchten, um das Volk zum Gebete zu rufen. Sie können indessen auch sonst noch nützlich seyn, zum Signalgeben und Observatoriums darauf anzulegen; allein ich würde dahin stimmen, daß sie nicht mit der Kirche ein Ganzes ausmachen müßten, weil sie sonst bloß dienen, das Gebäu desto barbarischer oder saracenischer zu machen.

An dem Assembleesaale ist nichts von dieser arabischen Architektur zu sehn; der scheint mir nach einer Zeichnung von Palladio gebauet zu seyn, und könnte in einen zierlichen Kirchensaal verwandelt werden; für die Art von Abgötterey, welche gegenwärtig darinn getrieben wird, ist er eben nicht gar zu schicklich: die Größe der Dachfahne verkleinert nur noch mehr die kleinen gemalten Gottheiten, welche darinn verehrt werden, und an einem Ballabende muß die Gesellschaft aussehn, wie eine Versammlung phantastischer Feyenköniginnen, welche bey Mondenscheine zwischen den Colonaden eines griechischen Tempels herumschwärmen.

Scarborough scheint mit seinem großen Rufe auf der Neige zu seyn. – Alle dergleichen Oerter, (Bath ausgenommen,) haben ihre Zeit, wo sie häufig besucht werden, und dann aufhören, Mode zu seyn – Ich bin gewiß, daß es in England funfzig noch eben so heil- und wirksame Gesundbrunnen giebt, als der zu Scarborough, ob sie gleich noch nicht in Ruf gekommen sind, und vielleicht niemals darein kommen werden, wenn nicht ein medicinischer Lobredner einmal seinen Vortheil dabey sucht, ihre Tugenden öffentlich zu verkündigen. – Das geschehe nun oder nicht, so werden doch immer noch Leute hierher reisen, der Bequemlichkeit wegen, in der See zu baden, so lange dieser Gebrauch in Uebung bleibt; allein es wäre auch zu wünschen, daß man, den Siechlingen zu gefallen, auf einen bequemern Weg nach dem Strande dächte.

Ich habe hier einen alten Bekannten, Herrn H—t, wieder angetroffen, dessen Sie mich oft, als eines der sonderbarsten Originalcharakter auf dieser Erden haben erwähnen gehört. – Ich ward zuerst in Venedig mit ihm bekannt, und hernach begegneten wir uns in verschiednen Theilen von Italien, woselbst er unter dem Beynamen: il cavallo bianco sehr bekannt war, weil er immer auf einem Falbenpferde ritt, wie der Tod in der Offenbarung. Sie müssen sichs noch erinnern, daß ich Ihnen erzählt habe, wie er einst in Constantinopel den sonderbaren Einfall hatte, gegen ein paar Türken die christliche Religion zu vertheidigen, welches ihm den Zunamen, der Demonstrator, erwarb. – Es ist ausgemacht, daß H** keine andre Religion für wahr hält, als die Natürliche; allein bey dieser Gelegenheit, meynte er, sey er für die Ehre seines Vaterlandes verbunden, zu zeigen, daß er Etwas wisse. Vor einigen Jahren, als er zu Rom im Campidoglio war, gieng er auf die Büste des Jupiters zu, bückte sich sehr tief, und sagte auf Italiänisch: »Ich hoffe, Signore, wenn Sie einmal das Haupt wieder über das Wasser bekommen, werden Sie mirs eingedenk seyn, daß ich Ihnen in Ihrer Erniedrigung meine Verehrung erwiesen habe.« Dieser drollige Einfall ward dem Cardinal Camerlengo wieder erzählt, und der brachte solchen vor den Pabst Benedictus den Vierzehnten, welcher sich über die närrische Anrede nicht des Lachens enthalten konnte, und zum Cardinal sagte: »Diese engländischen Ketzer denken, sie haben das Recht, auf ihrem eignen Wege zum Teufel zu fahren.«

In der That war H** der einzige Engländer unter allen, die ich gekannt habe, der Entschlossenheit genug besaß, mitten unter Fremden auf seine eigne Weise zu leben; denn in keinem Stücke, weder Kleidung, Diät, Sitten oder Umgang, wich er von der Art ab, wie ers von Jugend auf war gewöhnt worden. Vor ungefähr zwölf Jahren fieng er einen Giro oder Herumreise an, welche er folgendergestalt ausführte: – Zu Neapel, wo er sein Hauptquartier errichtet, schiffte er sich ein nach Marseille, von da gieng er mit einem Vetturino nach Antibes, hier setzte er über nach Genoa und Lerici; von welchem letzten Orte er über Cambratina weiter nach Pisa und Florenz gieng – Nachdem er sich einige Zeit in dieser Hauptstadt aufgehalten hatte, reisete er mit einem Vetturino nach Rom, woselbst er einige Wochen ausruhete, und alsdann seinen Weg nach Neapel fortsetzte, um auf die erste Schiffsgelegenheit zu warten. Nachdem er diesen Zirkel zwölfmal beschrieben, flog er ab, wie ein Pfeil, um in England einige Bäume zu besuchen, die er vor länger als zwanzig Jahren, nach dem Plane der doppelten Colonade auf dem St. Petersplatze zu Rom, gepflanzt hatte. – Er kam hier nach Scarborough, um seinem edlen Freunde und ehmaligen Mündel, dem Herrn M** von G** seinen Besuch abzustatten, und ohne daran zu gedenken, daß er schon über die Siebenzig hinaus wäre, brachte er dem Bachus ein so starkes Opfer, daß er den folgenden Tag einen Anfall vom Schlage bekam, welcher sein Gedächtniß ein wenig verletzt hat; er hat aber noch alle die übrigen Besonderheiten im Charakter völlig beybehalten, und ist nun im Begriff, über Genf nach Italien zu gehn, um mit seinem Freunde Voltaire mündliche Abrede zu nehmen, wie man dem christlichen Aberglauben den letzten Stoß beybringen soll. Er denkt, sich hier zu Schiffe zu setzen, um in Holland oder Hamburg ans Land zu steigen, denn es ist ihm höchst gleichgültig, an welchem Ende der Erden er das feste Land zuerst betritt.

Als er das letztemal auf Reisen gehn wollte, dingte er sich auf ein Schiff, das nach Livorno segelfertig lag, und sein Reisegeräth war wirklich schon am Bord gebracht. Wie er in einem Boote die Themse hinunter fuhr, setzte man ihn aus Versehn an ein anders Schiff, das schon segelte; und er erfuhr beym Nachfragen, daß solches nach Petersburg gienge – »Petersburg – Petersburg! – (sagte er,) meinethalben! ich will wohl mit reisen.« Den Augenblick schloß er mit dem Capitain über die Fracht, kaufte von dem Steuermann ein paar Hemden, und ward glücklich nach dem rußischen Hofe geführt. Von da gieng er zu Lande nach Livorno, um sein Reisegeräthe in Empfang zu nehmen. – Es sieht mehr als jemals darnach aus, daß er einen ähnlichen Spaaß ausführen wird, und ich will alles wetten, was man will, daß er, da er nach dem Laufe der Natur nicht mehr lange zu leben hat, auf eine eben so sonderbare Art aus der Welt gehn wird, als er darinn gelebt hat. Dieser Mann ließ sich über die See nach Frankreich setzen, besuchte Voltaire zu Fernay und unterredete sich mit ihm; fieng seinen alten Zirkel zu Genua wieder an, und starb im Jahre 1767 zu Florenz im Hause des Vanini. Nachdem er eine Zurückhaltung des Urins bekommen, beschloß er, dem Pomponius Atticus nachzuahmen, und sich durch Enthaltung vom Essen und Trinken abzuführen, und diesen Vorsatz setzte er durch, gleich einem alten Römer. Er hatte bis an den letzten Augenblick Gesellschaft bey sich; sagte seine kurzweiligen Einfälle; sprach mit jedermann über alles, was man wollte, und unterhielt seine Gäste mit Musik. Am dritten Tage seiner Fasten waren seine Beschwerden völlig verschwunden, allein er weigerte sich, das geringste zu genießen. Er sagte, den unangenehmsten Theil seiner Reise habe er zurückgelegt, und er müßte ja wohl ein großer Thor seyn, sein Schiff wieder umzukehren, wenn er gerade in den Hafen laufen könnte. Bey diesen Gesinnungen verharrte er, ohne einiges Zeichen von Affectation blicken zu lassen, und endigte dergestalt seinen Lauf mit einer solchen freymüthigen Heiterkeit, die dem größesten Stoiker des Alterthums würde Ehre gemacht haben.

Allein, von einem Sonderlinge auf den andern zu kommen, muß ich Ihnen sagen, daß mir das Stahlwasser sowohl als das Seebaden gut gethan hat, und ich länger dabey geblieben seyn würde, wenn mich nicht eine höchst lächerliche Begebenheit zum Gerede der Stadt gemacht, und also genöthigt hätte, den Ort zu verlassen; denn ich kann den Gedanken nicht ausstehn, daß mich der große Haufen angaffe – Gestern Morgen um sechs Uhr gieng ich hinunter zum Badeplatze, in Begleitung meines Bedienten Klinker, welcher, wie gewöhnlich, auf dem Strande blieb. Der Wind blies aus Norden, das Wetter war neblicht, und das Wasser so kalt, daß ich, als ich von dem ersten Untertauchen wieder in die Höhe kam, mich nicht enthalten konnte, wegen der Kälte laut zu seufzen und zu huddern. Klinker der das hörte, und mich eine ziemliche Weite von dem Führer entfernt das Wasser schlagen sah, hielt es für ausgemacht, ich stünde im Begriffe zu ertrinken, und sprang mit Kleidern und allem in die See, und warf in der Hast den Führer übern Haufen, um seinen Herrn zu retten. Ich war ein paar Schläge hinausgeschwommen, als ich das Geräusch hörte, und mich umsah und Klinker schon bis an den Hals in Wasser erblickte, indem er auf mich zukam und alles Wilde der Angst im Gesichte hatte. – Aus Besorgniß, er möchte zu weit in die Tiefe kommen, eilte ich ihm entgegen, als er mich plötzlich bey einem Ohre ergriff, und mich, so wie ich vor Schmerz heulte, nach dem Strande aufs Trockne schleppte, zum Erstaunen aller Menschen welche da versammlet waren, Männer, Weiber und Kinder.

Ich war durch den Schmerz an meinem Ohre und über den Schimpf in einer solchen Stellung zur Schau gestellt zu seyn, so aufgebracht, daß ich ihn in der ersten Hitze zu Boden schlug, drauf wieder nach der See zurück lief, und mich in der Maschiene verbarg, worinn meine Kleider aufbewahrt lagen. Ich faßte mich bald wieder in soweit, daß ich dem armen Kerl Gerechtigkeit wiederfahren ließ, der in der Einfalt seines Herzens aus Treue und Ergebenheit gehandelt hatte – Wie ich die Thüre der Maschiene öffnete, welche alsobald ans Ufer gezogen war, sah ich ihn am Rade stehn, daß er trufelte wie eine Wasserkunst, und von Kopf bis zu Fuße zitterte; theils vor Kälte, theils vor Furcht, daß er seinen Herrn beleidigt hätte. – Ich bat ihn um Vergebung wegen des Schlages, den ich ihm gegeben hatte, versicherte ihn, daß ich nicht böse auf ihn sey, und befahl ihm, daß er gleich zu Hause gehn, und trockne Kleider anziehn sollte. Er konnte es kaum übers Herz bringen, diesem Befehle zu folgen, so geneigt war er, dem Johann Hagel auf meine Kosten noch länger was zu gaffen zu geben. Klinkers Absicht war unstreitig löblich, allein nichts destoweniger leide ich durch seine Einfalt – Ich habe eine brennende Hitze, und ein sehr heftiges Sausen und Brausen in dem Ohre, seitdem er so unbarmherzig damit umgesprungen ist; und kann mich nicht auf der Gasse sehn lassen, ohne daß man mit Fingern auf mich zeigt, als auf das Meerwunder, welches nackt ans Land geschleppt worden. – Ja, sehn Sie, ich behaupte, daß die Dummheit oft noch mehr Aerger macht als die Bosheit, und noch größer Unheil stiftet dazu. Und ob ein Mann nicht lieber einen gescheiten Schelm zum Bedienten wählen sollte, als einen ehrlichen Einfaltpinsel; das ist eine Frage, die keinen Zweifel mehr leidet bey

Ihrem

Scarborough,
 den 4ten Junii.

M. Bramble.



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An Sir Watkin Philipp, Baronet, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Mein liebster Watt,

Ueber Hals und Kopf sind wir aus Scarborough gereiset, und das, der aufs höchste getriebenen Zärtlichkeit Onkels zu Gefallen, ders nicht ausstehen kann, praetereuntium digito monstratus zu seyn.

Eines Morgens, als er sich in der See badete, setzte sich sein Kerl, Klinker, in den Kopf, sein Herr sey in Gefahr zu ertrinken, und in dieser Einbildung stürzte er sich ins Wasser, schleppte ihn nackt ans Land, und riß ihm dabey fast ein Ohr vom Kopfe. Sie können sich vorstellen, wie diese Heldenthat unserm Onkel Bramble gefallen haben muß, der hitzig und jähzornig, und mit seiner Person im höchsten Grade züchtig und schamhaft ist. Bey der ersten Aufwallung seiner Galle schlug er Klinkern mit der Faust zur Erden; er machte ihm aber hernach diesen Schimpf wieder gut, und um dem Gerede und Nachgucken der Leute zu entgehn, bey welchen ihn diese Begebenheit merkwürdig gemacht hat, beschloß er, gleich des folgenden Tages Scarborough zu verlassen.

Das geschah also; und wir nahmen unsern Weg durch die Moorhaide über Whitby, und reiseten früh aus, in Hoffnung, denselben Abend noch Stockton zu erreichen; allein in dieser Hoffnung wurden wir betrogen. – Des Nachmittags, als wir über eine tiefe Aushöhlung fuhren, die ein Regenbach gemacht hatte, ward der Wagen so hart angezogen, daß der Krollnagel oder eins von den Eisen, die das Ganze zusammen halten, abbrach, und der lederne Riemen an eben der Seite mitten entzwey riß. Der Stoß war so heftig, daß meine Schwester Liddy mit dem Kopfe gegen Tante Tabbys Nase flog, und zwar so stark, daß das Blut herausfloß und Win Jenkins ward durch das kleine Fenster an der Rückseite des Wagens geworfen, worinn sie fest saß, wie eine Hurenmutter in der Pillory, so lange bis sie durch Onkels Hand erlöset ward. Wir waren noch über drittehalb Meilen von irgend einem Orte, wo wir hätten ein ander Fuhrwerk nehmen können, und mit der Kutsche weiter zu gehn, war unmöglich, eh nichts der Schaden wieder ausgebessert war. – In dieser Verlegenheit entdeckten wir eine Schmiede, an der Ecke eines kleinen Dorfes, ungefähr eine gute viertel Meile Wegs von dem Orte, wo uns das Unglück begegnete. Und der Postillion gab sich alle Mühe, den Wagen langsam dahin zu leiten, unterdessen daß die Gesellschaft zu Fuße gieng. Allein wir fanden, daß der Schmidt vor einigen Tagen gestorben, und seine Frau, die erst kürzlich entbunden worden, lag zu Bette, und war von Sinnen, unter der Aufsicht einer Krankenwärterinn, welche das Kirchspiel gemiethet hatte. Wir wurden sehr niedergeschlagen bey dieser neuen Widerwärtigkeit, welche aber bald durch Klinkers Hülfe überwunden ward, welcher ein bewundernswürdiges Gemisch von Geschicklichkeit und Einfalt ist. Als er die Werkzeuge des Verstorbenen und einige Kohlen in der Werkstatt gefunden hatte, schraubte er in aller Geschwindigkeit das zerbrochne Eisen los, zündete Feuer an in der Esse, und schweißte die Enden eben so geschickt als geschwind wieder zusammen. Während der Zeit, daß er daran arbeitete, sprang die arme kranke Frau, welcher der bekannte Klang vom Hammer und Amboß in die Ohren fiel, ungeachtet des Widerstandes ihrer Wärterinn von ihrem Strohlager auf, und kam in die Werkstätte gelaufen, woselbst sie ihre Arme um Klinkers Hals warf, und weinend sagte: »Ach lieber Jacob! wie konntest Du mich in solchen Umständen verlassen!«

Dieser Auftritt war zu rührend, um nur über den Irrthum zu lächeln. – Er brachte Thränen in jedes Auge. Die arme Witwe ward wieder auf ihr Lager gebracht; und wir verließen das Dörfchen nicht, ohne Etwas für sie zu thun – Sogar wurde bey dieser Gelegenheit Tabithas christliche Milde rege. Der gutherzige Humphry Klinker weinte, was er konnte, und hammerte dabey immer fort. – Allein seine Erfindsamkeit war nicht in sein eignes Schmiedehandwerk eingeschränkt. – Es war nöthig, den Schwungriemen wieder ganz zu machen, welcher gerissen war; und auch diesen Dienst besorgte er. Er fand eine zerbrochne Ahle, welche er wieder anspitzte und schliff; er sponn ein wenig Hanf, machte Drath daraus, und schmiedete einige kleine Nagel, und hiermit brachte er das Werk zu Stande. Im Ganzen dauerte es kaum etwas mehr als eine Stunde, bis wir im Stande waren, wieder fortzufahren; aber auch dieser kleine Aufhalt nöthigte uns, die Nacht zu Gisborough zu bleiben. Des folgenden Tages giengen wir über die Tees zu Stockton, welches eine hübsche angenehme Stadt ist; und hier entschlossen wir uns, des Mittags zu essen, um die Nacht zu Durham zu schlafen.

Wen sollten wir beym Aussteigen auf dem Hofe angetroffen haben, als den Glücksritter Martin? Nachdem er die Damen aus dem Wagen gehoben und in sein Zimmer geführt hatte, woselbst er mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit Tante Tabby sein Compliment machte, bat er um Erlaubniß, mit meinem Onkel in einem andern Zimmer ein Wort zu sprechen; und hier entschuldigte er sich mit einiger Verwirrung, daß er sich die Freyheit genommen, ihn zu Stevenage mit einem Briefe zu beschweren. Er bezeigte seine Hoffnung, Herr Bramble würde die Güte gehabt, und seinen betrübten Fall in einige Ueberlegung gezogen haben; dabey wiederholte er sein Verlangen, in seine Dienste aufgenommen zu werden.

Mein Onkel sagte ihm, nachdem er mich dazu gerufen hatte, daß wir beyde sehr geneigt wären, ihn aus einer Lebensart zu reissen, die ebensogefährlich als ehrenlos wäre und daß er keine Bedenklichkeiten haben würde, sich auf seine Dankbarkeit und Treue zu verlassen, wofern er einen Platz für ihn wüßte, der sich für seine Umstände und Fähigkeiten paßte; allein, alle die Stellen, deren er in seinem Brief erwähnt, wären mit solchen Personen besetzt, über welche er keine Ursache zu klagen hätte; ohne Ungerechtigkeit könnte er also niemand davon aus dem Brodte setzen – Bey dem Allem aber wäre er sehr bereitwillig, ihm in einem jeden thunlichen Projecte entweder mit seinem Beutel oder mit seiner Empfehlung beyzustehn.

Martin schien bey dieser Erklärung von Herzen gerührt zu seyn – Thränen drängten sich in die Augen, als er mit stammelnder Zunge sagte: – »Edelgesinnter Mann! – Ihre Großmuth überwältigt mich! – Mir hat nie geträumt, Ihnen wegen Geldhülfe lästig zu seyn – Wirklich ich bedarf keine – Ich bin an verschiedenen Orten, zu Buxton, Harrigate, Scarborough und Newcastle so glücklich im Billard und Wetten gewesen, daß ich an baarem Gelde ein Capital von drey hundert Pfund besitze, welches ich gerne dazu anwenden möchte, eine ehrliche Lebensart anzufangen; allein mein Freund, der Richter Buzzard, hat meinem Leben so manche Schlingen gestellt, daß ich gezwungen bin, alsobald mich entweder in eine entfernte Gegend des Landes zu begeben, wo ich des Schutzes eines edelmüthigen Herrn geniessen kann, oder das ganze Reich zu meiden. Ueber diese einzige Wahl ist es, worüber ich mir Ihren gütigen Rath ausbitte – Ich habe immer Nachricht von Ihrem Wege gehabt, seitdem ich die Ehre hatte, Sie zu Stevenage zu sehn; und da ich voraussetzte, Sie würden von Scarborough dieses Weges kommen, so kam ich gestern Abend von Darlington hier an, um Ihnen meine Ehrerbietung zu bezeugen.«

 

»Es würde nicht schwer halten, Ihnen einen sichern Aufenthalt auf dem Lande zu verschaffen, (versetzte mein Onkel;) allein ein müßiges, unthätiges Leben würde Ihrer lebhaften und unternehmenden Gemüthsart wenig angemessen seyn – Deswegen wäre mein Rath, Sie versuchten Ihr Glück in Ostindien, – Ich will Ihnen einen Brief an einen Freund in London geben, der Sie der Direction zu einer Officierstelle in ihrem Dienste empfehlen soll; und kann er das nicht erhalten, so wird man Sie wenigstens als einen Freywilligen annehmen – Und in dem Falle haben Sie, wovon Sie die Reise bezahlen können, und ich will es auf mich nehmen, Ihnen solche Vorschreiben zu verschaffen, daß Sie nicht lange unbefördert bleiben sollen.«

Martin nahm den Vorschlag ganz begierig an; es ward also beschlossen, daß er sein Pferd verkaufen und zu Wasser nach London gehn sollte, das Project ohne Aufschub ins Werk zu setzen – Unterdessen begleitete er uns nach Durham, wo wir unser Nachtquartier nahmen – Hier nahm er, nachdem er von meinem Onkel mit Briefen versehen war, von uns Abschied, mit starken Zeichen von Dankbarkeit und Ergebenheit, und gieng nach Sunderland, um sich auf das erste Steinkohlenschiff zu verdingen, das nach der Themse laufen würde. Er war noch keine halbe Stunde fort, als uns ein andrer Charakter aufstieß, der etwas außerordentliches versprach. – Ein langes, hageres Gewächs, das mit seinem Pferde der Beschreibung von Don Quischott auf seiner Rozinante entsprach, erschien in der Eulenflucht an der Pforte des Wirthshauses, als meine Tante und Liddy im Eßzimmer vor dem Fenster stunden – Er trug einen Ueberrock, wovon das Tuch ehedem Scharlach gewesen war, besetzt mit einer schmalen goldnen Tresse, die itzt alles Metalls beraubt waren; seine Schaberaque und Holstertaschen waren von eben dem Stoffe und Alterthum. Da er oben am Fenster Frauenzimmer gewahr wurde, wollte er sich angreifen und schulgerecht absitzen; allein der Hausknecht vergaß den Steigbügel fest zu halten, als er den rechten Fuß heraus schwenkte, und mit dem ganzen Gewichte auf dem andern stund, und der Bauchgurt gab nach, der Sattel schoß herum, und da lag der Cavalier zur Erden; sein Huth und Perücke fielen zugleich ab, und ließen ein Kopfstück von allerley Farben sehn, das ganz jämmerlich bepflastert war. – Die Damen oben am Fenster thaten vor Schreck einen Schrey, weil sie meynten, der Fremde sey durch den Fall zu Schaden gekommen. Allein der größeste Schmerz, den er fühlte, war über das schimpfliche Absitzen, wozu noch die Schaam kam, daß er sein übel zugerichtetes Cranium bloß gewiesen hatte; denn gewisse gemeine Leute, die da herum waren, lachten überlaut, in der Meynung, der Capitain habe einen grindigen oder zerknüppelten Kopf, Eins so schimpflich, wie das Andre.

Er sprang alsobald wüthend wieder auf, haschte nach einer Pistole und drohte, den Hausknecht zu erschießen, als ein zweytes Geschrey des Frauenzimmers seinem Eifer Einhalt that. Er bückte sich hierauf gegen das Fenster, küßte dabey den Pistolenknopf, und steckte sie wieder an ihren Ort; setzte in großer Eile seine Perücke wieder zurechte, und führte sein Pferd nach dem Stalle – Um diese Zeit war ich an die Thüre gekommen, und konnte nicht umhin, diese sonderbare Figur, die mir da vors Gesicht kam, mit großen Augen zu betrachten – Er würde über sechs Fuß lang gewesen seyn, wenn er sich gerade getragen hätte, er gieng aber sehr gebeugt; hatte sehr schmale Schultern und desto breitere Waaden, welche in schwarze Stiefelletten gezwängt waren. Seine Lenden hingegen waren lang und dünn, wie die Lenden eines Heupferds; sein Gesicht hatte seine guten achtzehn Zoll in die Länge, war braun und schrumpflicht, mit hervorragenden Backenknochen, grauen Augen, die ins Grünlichte fielen, einer breiten Haackennase, spitzem Kinn, einem Munde von Ohr zu Ohr, schlecht mit Zähnen bestellt, und dabey eine lange, schmale Stirne, voller Falten und Runzeln. Sein Roß war genau im Style seines Reiters; eine Auferstehung von dürren Knochen, die er (wie wir hernach erfahren,) in sehr hohem Werthe hält, als das einzige Präsent, das ihm in seinem Leben gemacht ist.

Nachdem er sein Leibroß im Stalle gehörig versorgt gesehn, sandte er seine Empfehlung an die Damen, und ließ um die Erlaubniß bitten, daß er ihnen persönlich für den Antheil, den sie an seinem Unfalle im Hofe genommen, Dank abstatten dürfe – Onkel sagte, sie könnten anständiger Weise seinen Besuch wohl nicht abschlagen, er ward also herauf geführt, und machte sein Compliment in schottischer Mundart mit vieler Feyerlichkeit. – »Ladies,« (sagte er,) »Sie können vielleicht eine nachtheilige Meynung von meinem Kopfe gefaßt haben, da er durch einen Zufall entblößt wurde. Allein ich kann Sie versichern, er ist in den Zustand, worinn Sie ihn gesehn, weder durch Krankheit noch Trunkenheit gerathen; es sind nichts als ehrliche Narben, die ich im Dienste meines Vaterlandes davon getragen habe.« Er gab uns drauf zu verstehn, er sey zu Ticonderoga in America verwundet worden, darauf hätte ihn eine Parthey Indianer geplündert, die Haut von dem Hirnschädel gezogen, mit einem Schlage einer Streitaxt den Schädel zerbrochen, und ihn für todt auf dem Wahlplatze liegen lassen; da man aber nachher einige Lebenszeichen an ihm wahrgenommen, hätten ihn die Franzosen in ihrem Hospitale wieder curirt, obgleich der substantielle Verlust nicht habe ersetzt werden können; daß also der Schädel an verschiedenen Stellen ohne Haut geblieben, und diese bedeckte er mit trocknen Pflastern.

Durch nichts in der Welt kann ein Engländer leichter gefaßt werden, als durch Mitleiden. – Wir waren augenblicklich für diesen alten Kriegsmann eingenommen – Selbst Tabbys Herz ward erweicht; allein unser Mitleiden ward von Unwillen erhitzt, als wir hörten, daß er während des Laufs von zween blutigen Kriegen, verwundet, verstümmelt, zerhauen, gefangen genommen und zum Sclaven gemacht worden, ohne mit alle dem weiter als bis zur Stufe eines Lieutenants gestiegen zu seyn. – Meines Onkels Augen glühten, und seine Unterlippe bebte, als er ausrufte: »Beym Himmel, Sir, Ihre Umstände gereichen dem Dienste zum Vorwurfe! – Die Ungerechtigkeit, die Ihnen wiederfahren, ist so himmelschreyend« – »Ich muß Sie um Verzeihung bitten, Sir,« (fiel ihm der Andre in die Rede,) »ich beklage mich über keine Ungerechtigkeit. – Ich kaufte vor dreißig Jahren eine Fähndrichsstelle; und bin während meines Dienstes Lieutenant geworden, als mich die Anciennetät traf« – Aber in einer so ewigen Zeit, (erwiederte Onkel,) müssen Sie manchen jungen Officier vor sich haben vorbey springen sehn – »Dem ungeachtet, (sagte er,) habe ich keine Ursache zu klagen – Sie kauften ihre Erhöhung für baares Geld – Ich hatte keins daran zu wenden – Das war mein Unglück, und keines andern Menschen Schuld« – »Wie! keinen Freund, der ein wenig Geld herschießen wollte?« sagte Onkel Bramble. »Vielleicht hätte ich so viel Geld geliehen bekommen können, eine Compagnie zu kaufen, (antwortete der Andre,) die Anleihe aber hätte wieder bezahlt werden müssen; und ich mochte mir keine Schuld von tausend Pfund auf den Hals bürden, die ich von einem Gehalt von einem halben des Tages hätte abtragen müssen.« – »Also haben Sie den besten Theil Ihres Lebens,« (schrie Herr Bramble,) »Ihre Jugend, Ihr Blut und Ihre Gesundheit unter Arbeit, Beschwerden, Gefahren und Schrecknissen des Krieges aufgeopfert, gegen eine Vergütung von drey oder vier Schillingen des Tages – eine Vergüthung« – »Sir,« (erwiederte der Schottländer mit großer Wärme,) »Sie sind der Mann, der mir keine Gerechtigkeit wiederfahren läßt, wenn Sie sagen oder denken, ich habe Rücksicht auf irgend eine solche elende Vergütung bey meinem Dienste gehabt – Ich bin ein Mann von guter Abkunft, und gieng in den Dienst, wie andre Edelleute thun, mit solchen Hoffnungen und Gesinnungen, als eine erlaubte Ehrbegierde einflößt – Wenn ich gleich kein wichtiges Loos in der Lotterie des Lebens gewonnen habe, so halte ich mich doch nicht für unglücklich – Ich bin keinem Menschen einen Pfennig schuldig; ich habe noch immer ein Stück reine Wäsche anzulegen, kann meine ordentliche Mahlzeit und mein Nachtlager bezahlen; und wenn ich sterbe, werde ich noch immer so viel Sachen nachlassen, wovon die Begräbnißkosten bezahlt werden können.«

Mein Onkel versicherte ihn, er hätte nicht die Absicht gehabt, ihn durch die gemachte Anmerkung im geringsten zu beleidigen; er hätte vielmehr aus einem Gefühl von freundschaftlicher Achtung gegen ihn gesprochen – Der Lieutenant dankte ihm mit einer so kaltsinnigen Höflichkeit, daß es meinem Onkel verschnupfte, welcher merkte, daß diese Mäßigung blos erkünstelt war; denn seine Zunge mochte sagen was sie wollte, sein ganzes Wesen und Betragen verrieth Mißvergnügen – Kurz, ohne über sein militärisches Verdienst urtheilen zu wollen, darf ich behaupten, daß dieser Caledonier ein roher, ungeschliffner, disputirsüchtiger Pedant ist. – Er hat eine Universitätserziehung genossen, scheint eine Menge Bücher gelesen zu haben; sein Gedächtniß behält alles, und er will verschiedne Sprachen reden, aber er ist dabey so sehr aufs Haberechten erpicht, daß er die kleinsten Wahrheiten nicht unangetastet lassen kann, und voller Stolz auf seine Magisterkunst unternimmt ers, Widersprüche zu reimen – Ob sein Umgang und seine übrigen Eigenschaften wirklich von dem Schlage, welche dem Geschmacke unsrer Tante Tabby angenehm sind, oder ob diese raßtlose Jungfrau ein für allemal beschlossen hat, kein Wild vorbey zu lassen, ohne es anzuschießen, genug sie hat schon angefangen, das Herz des Lieutenants in die Mache zu nehmen, der uns beym Abendessen die Ehre seiner Gesellschaft schenkte.

Ich habe Ihnen noch allerley Dinge von diesem Martissohne zu sagen, und soll damit in einem oder zwey Posttagen aufgewartet werden. Bis dahin ist es billig, daß Sie von diesen schlaftrunkenen Abhandlungen ein wenig Schulferien haben. Ich bin

Ihr

Newcastle upon Tyne,
        den 10ten Julii.

ergebenster   
J. Melford.



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An Sir Watkin Philipps, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Mein liebster Philipps,

Ich habe Ihnen in meinem Letztern eine sehr gewürzte Schüssel mit dem Charakter eines schottischen Lieutenants aufgetischt, und muß ihn heute noch einmal zu Ihrer Bewirthung aufsetzen. Unser Glück wollte es so, daß wir fast drey Tage lang an ihm geschmauset haben; und ich zweifle nicht, er wird uns noch einmal aufs Korn kommen, ehe wir mit unserm Abstecher nach den nordischen Gegenden fertig sind. Der Tag nach unsrer Begegnung zu Durham war so stürmisch, daß wir nicht Lust hatten, unsre Reise fortzusetzen; und mein Onkel beredete ihn, so lange zu bleiben, bis sich das Wetter aufklärte, und ladete ihn zugleich ein für allemal ein, mit uns fürlieb zu nehmen. Der Mann hat allerdings einen ganzen Sack voller besondern Anmerkungen aufgesammlet; allein er bringt sie mit einer so widrigen Art hervor, die sehr eckelhaft seyn würde, wenn sie nicht so ganz das Gepräge des charakteristischen Sonderlings an sich hätte, welches allemal sicher die Aufmerksamkeit reitzt. – Er und Onkel Bramble sprachen, ja disputirten über allerley Gegenstände des Kriegs, der Policey, der schönen Wissenschaften, der Gesetze und der Metaphysik; und zuweilen geriethen sie in einen solchen hitzigen Streit, welcher einen plötzlichen Bruch ihrer Bekanntschaft zu drohen schien. Aber Onkel stellte eine Schildwacht bey seine eigne Pulverkammer, die um desto wachsamer seyn mußte, weil der Officier sein Gast war; und wenn Trotz alles seines Wachens die Lunte zu nahe ins Glimmen gerieth, so ward der andre behutsamerweise in eben dem Grade kälter.

Unter andern begab sichs auch, daß Tante Tabby ihren Bruder einmal mit dem vertraulichen Namen Matt anredete. »Mit Ihrer Erlaubniß,« (sagte der Lieutenant,) »heissen Sie Mattheus?« – Sie müssen wissen, es ist eine von unsers Onkels Schwachheiten, daß er sich vor dem Namen Matthias schämt, weil er bey den Puritanern sehr im Gange ist; und diese Frage that ihm so wehe, daß er antwortete: »Der Henker, warum nicht gar?« in einem deutlichen Tone des Mißvergnügens. – Der Schottländer stutzte vor der Art, wie man antwortete, warf den Kopf in die Höhe und sagte: »Wenn ich hätte denken können, daß Sie Ihren Namen nicht sagen möchten, so würde ich Sie nicht gefragt haben. – Die Dame nannte Sie Matt, und ich dachte natürlicher Weise, das hieße: Mattheus: – Vielleicht ists Mattgast, oder Mathusclah, oder Metrodorus, oder Metellus, oder Mathurinus, oder Malthinus, oder Matamoros, oder« – »Nein,« (rufte mein Onkel mit Lachen,) »nein Herr Lieutenant, keiner von allen denen; mein Name heißt Matthäus Bramble, Ihnen aufzuwarten. – Es ist weiter nichts, als daß ich thörichter Weise den Namen Matthäus nicht leiden kann, weil er nach den Kopfhängern riecht, welche zu Cromwells Zeiten allen ihren Kindern Namen aus der Bibel gaben.« – »Thöricht genug, (sagte Tabby) und sündlich dazu, deinen eignen Namen zu hassen, weil er aus der heiligen Schrift genommen ist, Du solltest doch hübsch nicht vergessen, daß du nach deinen Groß-Onkel getauft bist, nach Matthäus ap Madoc ap Meredith, Esquire, von Clanwystinn, in Montgomeryshire, erster Friedensrichter und Landes-Aeltester; ein Herr von großem Verdienst und Vermögen, der mütterlicher Seite in ganz gerader Linie von Clewellyn, Prinzen von Wallis, abstammt.«

Diese genealogische Anecdote schien auf den Northbritton einigen Eindruck zu machen, welcher sich gegen die Nachkommen von Clewellyn sehr tief bückte, und anmerkte, daß er selbst die Ehre hätte, einen Namen aus der Schrift zu führen. Da die Dame ein Verlangen bezeigte, seine Addresse zu wissen, sagte er, er nennte sich Lieutenant Obadiah Lismahago; und um ihrem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen, überreichte er ihr ein Stückchen Papier, das mit diesen drey Worten beschrieben war, die sie mit vielem Nachdruck wiederholte und bezeugte, es wäre einer der besten und wohlklingendsten Namen, die sie je gehört hätte. Er merkte an, daß Obadiah ein Taufname sey, der ihm nach seinem Großvater beygelegt, der einer von den Ersten gewesen, die an der Kirchenvereinigung in Schottland gearbeitet; Lismahago aber sey der Familienname, von einem Orte in Schottland, der eben so hieße. Er ließ sich gleichfalls Etwas von dem Alterthume seines Stammbaums entfallen, indem er mit einem Lächeln der Selbstverläugnung hinzusetzte: Sed genus et proavos, et quae non fecimus ipsi, vix ea nostra voco , welche Stelle er den Damen zu gefallen übersetzte; und Fräulein Tabitha ermangelte nicht, ihn wegen seiner Bescheidenheit zu rühmen, daß er sich von dem Verdienste seiner Vorältern nichts anmaßen wolle, mit dem Zusatze, daß er solches auch um destoweniger bedürfe, da er für sich ohnedem schon genug besäße. Sie fieng nun an, sich mit den gröbsten Schmeicheleyen an seine Wohlgewogenheit fest zu klammern. – Sie sagte ein Langes und Breites über das Alter und die Tugend der schottischen Nation, über ihre Tapferkeit, Redlichkeit, Gelehrsamkeit und höfliche Sitten. – Sie ließ sich sogar so weit herab, daß sie ihn über seine eigne persönliche Vollkommenheiten, als Wohlredenheit, Galanterie, Verstand und Gelehrsamkeit, Lobsprüche ins Gesicht sagte. – Sie ruft ihren Bruder zum Zeugen, ob der Capitain nicht das leidhafte Ebenbild unsers Vetters, Gouverneur Grisfith, sey! Sie äußerte eine heftige Begierde, die besondern Umstände seines Lebens zu wissen, und that ihm wohl tausend Fragen über seine Kriegsthaten; welche Herr Lismahago allesammt mit einer jesuitischen Zurückhaltung beantwortete, und sich künstlich stellte, als obs ihm zuwider sey, ihre Neugierde über solche Gegenstände zu befriedigen, die seine eigne Thaten beträfen.

Indessen bekamen wir durch ihr unablässiges Fragen so viel zu wissen, daß er und der Fähndrich Murphy aus dem französischen Hospitale zu Montreal entwischt, und in Hoffnung, eine englische Pflanzerey zu erreichen, nach den Wäldern geflohen wären: allein da sie sich in der Gegend verirret, fielen sie einer Parthey Miamis in die Hände, welche sie gefangen mit sich fortführten. Die Absicht der Indianer war, einen von ihnen einem ehrwürdigen Sachem zum adoptirten Sohn zu schenken, weil er seinen eignen während dieses Krieges verloren hatte, und den andern nach der Gewohnheit des Landes zu opfern. Murphy, als der jüngste und schönste von beyden, war bestimmt, die Stelle des Verstorbnen zu ersetzen, nicht allein als Sohn des Sachems, sondern auch als Ehgemahl einer schönheitsbegabten Squaw, mit der sein Vorweser verlobt gewesen. Allein auf dem Zuge durch die verschiednen Whigwhams, oder Dörfer der Miamis, ward dem armen Murphy von den Weibern und Kindern, welche das Recht haben, alle Gefangne auf ihrem Marsche nach Gefallen zu peinigen, so übel mitgespielt, daß er gegen die Zeit, da sie an dem Residenzorte des Sachems anlangten, zu den Zwecken des Ehestandes völlig untüchtig gemacht war: es ward also in einer Versammlung der Krieger beschlossen, daß Fähndrich Murphy an dem Pfahle sterben, und die Dame den Lieutenant Lismahago gegeben werden sollte, der freylich auch seinen Theil von den Quaalen unterwegs gehabt hatte, aber doch nicht bis zum Entmannen. – Ein Glied von einem Finger hatte man ihm abgeschnitten, oder vielmehr mit einem verrosteten schartigen Messer abgesäget; einer von seinen großen Zähen war ihm zwischen zwey Steinen zu Mus gequetscht; einige von seinen Zähnen waren ihm ausgezogen, oder besser zu sagen, mit einem krummen Nagel ausgegraben. Gesplittertes Rohr hatte man ihm in die Nasenlöcher und andre empfindliche Theile gestoßen, und in die Waden an seinen Beinen hatte man mit dem scharfen Ende von Streitäxten Minen gebohret, Schießpulver hineingethan, und das Fleisch weggesprengt.

Die Indianer selbst mußten gestehn, daß Murphy mit großem Heroismus starb, indem er zum Todtengesange das schottische Drimmendoo, mit Lismahago, zweystimmig absang, welcher bey der Feyerlichkeit zugegen war. Nachdem die Helden und Matronen eine wohlschmeckende Mahlzeit von dem dicken Fleische gehalten, das sie von dem Schlachtopfer ablöseten, und ihm allerley Marter angethan hatten, die er litt, ohne zu muchsen, kam eine alte Dame mit einem scharfen Messer, nahm ihm damit sein Auge aus, und steckte dafür eine glühende Kohle in die Höhle. Die Quaal dieser Operation war so heftig, daß er sich des Brüllens nicht enthalten konnte, auf welches die Versammlung ein großes Jubelgeschrey erhub, und einer von den Kriegern schlich sich hinter ihn, und gab ihm mit einer Axt den Gnadenstoß.

Lismahagos Braut, die Squaw Squinkinacoosta, that sich bey dieser Gelegenheit sehr hervor. – Sie zeigte ein erhabnes Genie in den Quaalen, welche sie erfand, und mit eigner Hand ausführte. – Sie aß von dem Opferfleische mit dem tapfersten Krieger in die Wette; und nachdem schon alle übrige Damen von Brandtewein taumelten, war sie noch nicht so berauscht, daß sie nicht hätte noch sollen die Bundesschaale mit dem Sachem leeren können, und hernach gieng sie noch durch alle Ceremonien ihres eignen Beylagers, welches an demselben Abend vollzogen ward. Der Lieutenant hatte mit dieser tugendbegabten Squaw zwey Jahre lang sehr glücklich gelebt, in welcher Zeit sie ihm einen Sohn geboren, der itzt der Anführer des Stammes seiner Mutter ist; allein, zuletzt war sie zu seiner unaussprechlichen Betrübniß an einem Fieber gestorben, welches sie sich dadurch zugezogen, daß sie zu viel rohes Fleisch von einem Bären gegessen, den sie auf einer großen Jagd erlegt hatten.

Um diese Zeit war Lismahago zum Sachem erwählt, zum vornehmsten Krieger von dem Stamme Badger erklärt, und ihm der Ehrenname Occacanastaogarora beygelegt worden, welches so viel bedeutet als, behende wie ein Wiesel. Allen diesen Ehren und Vorzügen war er indessen genöthigt zu entsagen, weil er ausgewechselt ward gegen den Redner der Bundesgenossen, welcher von den Indianern, die mit den Engländern in Bündniß stunden, war gefangen worden. Beym Frieden ward er auf halben Sold gesetzt, und nun war er nach Hause gekommen, in der Absicht, das Uebrige seines Lebens in seiner Heymath zuzubringen, woselbst er einen Aufenthalt zu finden hoffte, da er von seinem kleinen Einkommen mäßig leben könnte. Das sind die Aussenlinien von des Herrn Lismahagos Geschichte, welcher Tabitha sehr ernsthaft ihre Ohren neigte; – In der That schien sie von eben den Neigungen gefesselt zu seyn, welche das Herz der Desdemona eroberten, welche den Mohren aus Mitleiden mit den Gefahren, die er ausgestanden hatte, liebte.

Die Beschreibung der Leiden des armen Murphy, worüber meine Schwester Liddy in Ohnmacht sank, lockte einige Seufzer aus Fräulein Tabbys Brust; als sie hörte, daß er zum ehelichen Leben untüchtig gemacht worden, spuckte sie aus, und sagte mit Seufzen: »barmherziger Himmel! welche grausame Unmenschen!« Und bey dem Brautmaale der Dame verzerrte sie das Gesicht; allein sie war doch sehr begierig zu wissen, was sie als Braut alles angehabt hätte; ob sie eine hohe Schnürbrust oder nur ein Corsett getragen, ob ihr aufgestecktes Kleid von seiden Stoff oder von Sammt, und ob ihre Spitzen von Braband oder obs nur Minionetten gewesen? Sie meynte, da sie doch mit den Franzosen im Bündniß gewesen, so würde sie sich wohl geschminkt und die Haare nach französischer Frisur getragen haben. Der Capitain wäre gern einer deutlichen Antwort über alle diese Puncte ausgewichen, indem er überhaupt anmerkte, die Indianer hielten zu steif und fest über ihre eignen Gebräuche, um von einer andern Nation, es sey welche es wolle, Moden anzunehmen; er sagte auch noch ferner, daß sich weder die Einfalt ihrer Sitten, noch der Handel ihres Landes mit diesen Artikeln der Ueppigkeit vertragen würden, welche man in Europa für Pracht hält; und daß sie zu mäßig und klug wären, der Einführung solcher Moden Vorschub zu thun, welche Etwas beytragen könnten, ihre Sitten zu verderben, und sie weichlicher zu machen.

Diese Anmerkungen dienten blos, ihre Begierde noch mehr zu entflammen, die besondern Umstände zu erfahren, nach welchen sie sich erkundigt hatte; und bey allen seinen Ausweichungen konnte ers doch nicht vermeiden, folgende Umstände zu entdecken: – Daß seine Prinzeßinn weder Schuh, Strümpfe, Hemde, noch irgend andre Wäsche gehabt. Daß ihr Brautschumck in einem Röckchen von rothem Frieß und einer wollenen Decke bestanden, welche um ihre Schultern mit einem kupfernen Haken fest gemacht war; an andern Zierrathen aber hatte sie eine große Menge. – Ihr Haar war zierlich geflochten, und mit Stiften von Menschenknochen geschmückt; Ein Augenlied war grün und das andre gelb, ihre Wangen waren blau, die Lippen weiß, die Zähne roth gefärbt; von der Stirn bis auf die Spitze der Nase war ein schwarzer Strich gemalt; ein paar bunte und glänzende Papagoyenfedern waren durch die Nasenwand gezogen; in ihr Kinn war ein blauer Stein gefaßt; ihre Ohrringe bestanden in ein paar ausgeschnitzelten Knochen, wie Trommelstöcke gestaltet. – Ihre Arme und Beine waren mit Braceletts von in Knoten geschürzten dünnen Stricken geziert – Ihre Brust glänzte von einer Menge Reihen Glascorallen – Sie trug eine schöne Jagdtasche von geflochtnem Grase, welches mit vielen Farben künstlich gefärbt war – um ihren Nacken hieng die frische Schädelhaut von einem Mohawkischen Kriegsmann, den ihr verstorbner Bräutigam in der letzten Schlacht erlegt hatte – und endlich und zuletzt, war sie vom Haupte bis zu den Füßen mit Bärenschmalze gesalbet, welches einen sehr lieblichen Geruch von sich duftete.

Man sollte glauben, eine feine Dame, die Anspruch auf die Moden macht, würde diesen Brautprunk nicht sehr bewundert haben; allein Fräulein Tabby hatte es einmal beschlossen, alles, was den Capitain angienge, für schön zu halten. Sie wünschte freylich, die Squaw möchte besser in Wäsche gewesen seyn, allein sie gestand, es sey viel Geschmack und Erfindung in dem Schmucke; sie zweifelte also gar nicht, Madame Squinkinacoosta sey ein junges Frauenzimmer von Verstande und viel seltnen guten Eigenschaften gewesen, und im Grunde eine fromme Christinn dabey. Darauf fragte sie, ob seine Gemahlinn von der hohen oder niedern Kirche, lutherisch oder reformirt, oder eine Mennonistinn gewesen, oder ob ihr ein Funken von dem neuen Gnadenlichte des Evangelii geworden? Als er gestand, daß die ganze Nation nicht den geringsten Begriff von der christlichen Religion hatte, sah sie ihn voller Verwunderung starr ins Gesicht, und Humphry Klinker, der eben zufälliger Weise im Zimmer war, holte einen herzlich tiefen Seufzer.

Nach einigem Stillschweigen rufte sie aus: »Um Gottes willen, Herr Capitain Lismahago, sagen Sie mir doch, was für eine Religion haben die Leute denn?« – »Die Religion, gnädiges Fräulein,« (antwortete der Lieutenant,) »ist unter diesen Leuten eine sehr simple Sache – Sie haben niemals von einer Verbindung der Kirche mit dem Staate gehört. – Ueberhaupt verehren sie zwey Wesen, die mit einander im Streite liegen; das Eine die Quelle alles Guten, und das andre, alles Bösen. – Der große Haufen ist sowohl hier, als in andern Ländern, dem Abgeschmackten des Aberglaubens unterworfen; die Vernünftigen aber beten ein höchstes Wesen an, das die Welt geschaffen hat, und noch erhält.« – »O, was für ein Jammer!« (schrie die andächtige Tabby,) »daß noch kein heiliger Mann den Trieb des Geistes gehabt hat, unter diese armen Heiden zu reisen und sie zu bekehren!«

Der Lieutenant sagte ihr, es wären in der Zeit, daß er sich unter ihnen aufgehalten, zwey französische Mißionaren hingekommen, um sie zu der katholischen Religion zu bekehren; als diese unter andern auch lehrten, daß sie im Stande wären, Gott selbst zu erschaffen, zu essen, zu verdauen, wieder zu erschaffen, und ihn bis ins Unendliche zu vervielfältigen, so entsetzten sich die Indianer vor dieser Lehre. – Die Sachems versammleten sich, um die Mißionaren zu vernehmen, und verlangten von ihnen, sie sollten die Göttlichkeit ihrer Sendung durch ein Wunderwerk beweisen. Sie antworteten, das stünde nicht in ihrer Gewalt. – »Wenn ihr wirklich vom Himmel zu unsrer Bekehrung gesendet wäret,« (sagte einer der Sachems,) »so müßtet ihr gewiß mit einigen übernatürlichen Gaben ausgerüstet seyn. Wenigstens würdet ihr die Gabe der Sprachen haben, um eure Lehre den verschiedenen Nationen zu predigen, unter welche ihr euch begebet. Nun aber seyd ihr so unwissend in unsrer Sprache, daß ihr euch nicht einmal über die gemeinsten Dinge ausdrücken könnt.«

Kurz, die Versammlung stellte ihnen keinen Glauben zu, sondern hielt sie vielmehr für Kundschafter. – Sie befahlen, jedem einen Beutel mit indianischem Korn zu geben, und bestellten einen Bothen, der sie bis an die Gränze bringen sollte; allein die Mißionaren hatten mehr Eifer als Klugheit; und wollten den Weinberg nicht verlassen. – Sie fuhren fort, Messe zu lesen, zu predigen und zu laufen, und mit den Zauberern oder Priestern des Landes zu zanken, bis sie die ganze Gegend in Aufruhr gebracht hatten. – Da trat die Versammlung abermals zusammen, und verdammten sie nach ihrer Weise als Rebellen und Gotteslästerer zum Pfahle, an welchen sie mit freudigem Entzücken über die Märtirerkrone, die sie dergestalt empfiengen, und unter dem Gesange, salve regina , starben.

 

Während dieser Unterredung entfiel dem Lieutenant Eins und das Andre, woraus erhellete, daß er selbst ein Freydenker sey. Unsre Tante schien bey etlichen Ausfällen, die er auf das Glaubensbekenntniß des heiligen Athanasius that, stutzig zu werden – Er hielt sich lange bey den Worten: Vernunft, Philosophie und ungereimte Widersprüche auf. – Er wollte von der Ewigkeit der Höllenstrafen nichts wissen, und warf sogar einige Schwärmer unter die Unsterblichkeit der Seele, die den Glauben der Tante Tabby ein klein wenig am Rande versengten; denn sie fieng nach gerade an, Herrn Lismahago als ein Wunder von Einsicht und Gelehrsamkeit zu betrachten. – Kurz, sie legte es ihm so nahe, daß er ihre Absicht auf seine Neigung merken mußte, wenn er auch nicht gewollt hätte; und ob er gleich ein wenig zurückstoßendes in seiner Natur hatte: so ward er doch in so weit Meister darüber, daß er ihr ihre Höflichkeiten nicht ganz schuldig blieb. – Vielleicht dachte er, es sey für einen abgelebten Lieutenant, auf halben Sold, kein übles Plänchen, eine Vereinigung mit einer alten Jungfer zu Stande zu bringen, welche nach aller Wahrscheinlichkeit dazu Geld genug hätte, ihm das letzte Restchen seiner Lebenstage bequem und ruhig zu machen. – Schnell erhub sich ein Liebäugeln unter diesem liebenswürdigen Paare von Originalen. – Er befliß sich, die natürliche Säure in seinen Reden durch einen Theriak von Lob und Complimenten zu versüßen. – Von Zeit zu Zeit präsentirte er ihr seinen Schnupftaback, den er selbst sehr häufig brauchte, und machte ihr sogar ein Geschenk von einem Beutel von Seidengrase, den seine ehmals herzlich geliebte Squinkinacoosta für sich zu einer Schießtasche auf ihren Jagden mit eignen Händen gewebt hatte. –

Von Doncaster nordwärts sind in allen Wirthshäusern die Fenster mit elenden Reimen und hämischen Pasquillen über die schottische Nation bekritzelt; und was mich dabey sehr Wunder nahm, ich fand keine Zeile geschrieben, die Etwas zurückgegeben hätte. Neugierig, zu hören, was Lismahago hierzu sagen würde, zeigte ich ihm ein sehr scurrilisches Epigramm auf seine Landesleute, welches in dem Zimmer, wo wir saßen, in eine Fensterscheibe geschnitten war. – Er las es mit der steifesten Gelassenheit; und als ich ihn um seine Meynung von diesem Gedichtchen fragte, »es ist sehr dunkel und sehr spitzig, (sagte er,) mit einem nassen Tischtuche könnte mans aber heller und klarer machen. – Mich wunderts sehr, daß dieser witzige Dichter nicht eine Sammlung von dergleichen Versuchen drucken läßt, er könnte ihr den Titel geben: des Glasers Triumph über Sawney den Schotten. – Ich weis gewiß, sie würde von den Patrioten zu London und Westminster sehr gut aufgenommen werden.« Als ich ihm meine Verwundrung bezeigte, warum die Schottländer, die dieses Weges gereiset, nicht alle diese Fensterscheiben ausgestoßen hätten, erwiederte der Lieutenant, »das wäre, mit Ihrer Erlaubniß, eben nicht die beste Politik – das würde die Satyre um so viel spitziger und schneidender machen; und ich denke, es ist viel besser, man läßt sie im Fenster stehn, als daß sie der Wirth in die Rechnung führe.«

Meines Onkels Kinnbacken fiengen an vor Unwillen zu beben. – Er sagte: die Kritzler solches schändlichen Zeuges verdienten, daß sie an einen Karn gebunden, und durch die Gassen gestäupt würden, weil sie ihr Vaterland durch solche Merkmaale von Bosheit und Dummheit beschimpften. – »Solches Geschmeiß, (sagte er,) überlegt nicht, daß es seinen Mitunterthanen, die es schänden will, beständig Materie an die Hand giebt, sowohl sich selbst Glück zu wünschen, als auch die allermännlichste Rache über solche elende niederträchtige Angriffe auszuüben. Meiner Seits bewundre ich die philosophische Gelassenheit der Schottländer eben so sehr, als ich die Dummdreistigkeit dieser im Finstern schleichenden Pasquillanten verachte, welche der Keckheit eines Dorfhahns gleich ist, der niemals krähet, als auf seinem eignen Miste.« Der Capitain machte mit einer angenommenen Aufrichtigkeit die Anmerkung, niederträchtige Gemüther fände man in allen Ländern; wenn er annehmen wollte, daß die Engländer überhaupt von eben der Gesinnung wären, so würde er seinem eignen Vaterlande ein zu großes Compliment machen, welches so wichtig nicht wäre, sich den Neid eines so blühenden und mächtigen Volkes zuzuziehn.

Fräulein Tabby brach von neuem in Lobeserhebungen über seine Bescheidenheit aus, und betheurete, Schottland wäre der Boden, welcher jede Tugend unter der Sonne hervorbrächte – Als Lismahago für Heute gute Nacht gesagt hatte, fragte sie ihren Bruder, ob der Capitain nicht der hübscheste Herr wäre, den er jemals gesehn, und ob er nicht ungemein viel Angenehmes und Einnehmendes im Gesichte hätte? – Onkel sagte, nachdem er ihr einige Zeitlang stillschweigend ins Angesicht gesehn: »Schwester, der Lieutenant ist, so viel ich urtheilen kann, ein ehrlicher Mann, und ein guter Officier – Er hat ein gut Theil Verstand, und ein Recht zu besserer Unterstützung, als er in seinem Leben angetroffen zu haben scheint; aber mit gutem Gewissen kann ich nicht bejahen, daß er der hübscheste Mann wäre, den ich jemals gesehn; ich kann auch das Angenehme und Einnehmende in seinem Gesichte nicht finden, das, beym Himmel, von der Natur vielmehr stiefmütterlich behandelt, und widrig ist.«

Ich habe mir Mühe gegeben, mich bey diesen Northbritton, der wirklich eine Seltenheit ist, in Gunst zusetzen; allein er ist sehr zurückhaltend in seinen Gesprächen mit mir gewesen, von der Zeit an, da ich über seine Behauptung lachte, daß in Edimburg besser Englisch gesprochen würde, als in London. Er sah mich an, und drückte noch einmal so viel Säure in seinen Blick. »Wenn die alte Beschreibung wahr ist, (sagte er,) daß die Fähigkeit zu lachen das entscheidende Kennzeichen eines vernünftigen Geschöpfes ist, so ist es entschieden, daß die Engländer größre Anlage zur Vernunft haben, als irgend ein Volk in der Welt.« Ich gestund, daß die Engländer sehr leicht und schnell das possierliche an einer Sache entdeckten, und geneigt wären es zu belachen; aber es folgte noch nicht, daß sie, weil sie leichter lachten, auch eine größre Anlage zur Vernunft hätten, als ihre Nachbarn. Solch ein Schluß, sagte ich, würde eine Beleidigung für die Schottländer seyn, denen diese Anlage keineswegs fehlte, ob man gleich insgemein dafür hält, daß die muntre Laune wenig Eindruck auf sie machte.

Der Capitain antwortete, das sey eine Voraussetzung, die man entweder auf ihre Gespräche, oder auf ihre Schriften gründen müßte, worüber die Engländer unmöglich mit Genauigkeit richten könnten, weil sie den Dialect, den die Schottländer sowohl in ihren Reden als in ihren launigen Schriften brauchten, nicht verstünden. Als ich zu wissen wünschte, was er für launige Schriftsteller meyne, nannte er eine Menge Bücher her, von welchen er behauptete, daß sie so voller Laune wären, als nur irgend ein anderes in einer lebenden oder todten Sprache seyn könnte. – Ganz besonders empfahl er eine Sammlung einzelner Gedichte, in zwey kleinen Bänden, betitelt: The Evergreen , und die Werke des Allan Ramsay, welche ich mir zu Edimburg kaufen werde. – Er machte die Anmerkung, ein Schottländer müsse in einer Gesellschaft von Engländern zu seinem Nachtheile erscheinen, weil er in einem Dialect spreche, den sie nicht leiden könnten, und sich solcher Redensarten und Ausdrücke bediente, die sie nicht verstünden. Er fände sich also unter einem Zwange, der ein großer Feind des Witzes und der Laune sey. – Dieses wären Fähigkeiten, die niemals in vollem Glanze erschienen, als wenn das Gemüth völlig frey sey, und wie ein vortrefflicher Schriftsteller sagt, die Ellbogen nach Belieben rühren könnte.

Er fuhr fort seinen Satz zu erklären, daß man in Edimburg besser Englisch spräche, als in London. Er sagte, was wir gemeinlich den schottischen Dialect zu nennen pflegten, wäre im Grunde wahres, ächtes altes Englisch, mit einer Beymischung von einigen französischen Worten und Ausdrücken, die durch den langen Umgang der Schotten mit der französischen Nation wären eingeführt worden. Daß die neuen Engländer durch Affectation und falsches Raffiniren ihre Sprache weichlich gemacht, und sogar dadurch verderbt hätten, daß sie die Gutturalen herausgeworfen, die Pronunciation und Quantität verändert, und manchen kräftigen Ausdruck hätten aus dem Gebrauche kommen, oder verältern lassen. Die Folge von diesen Neuerungen wäre, daß die Werke unsrer Dichter, als Chaucer, Spenser und selbst Shakespear, an verschiedenen Stellen für die gebornen Engländer unverständlich geworden, dahingegen die Schottländer, welche die alte Sprache beybehalten, diese Stelle verstehn, ohne ein Glossarium nöthig zu haben. Wie zum Exempel, (sagte er,) haben sich Ihre Commentatoren nicht über folgenden Ausdruck in Shakespears Sturm den Kopf zerbrochen, He is gentle, and not fearful ; haben geglaubt, es wäre ein Paralogismus zu sagen: wer gentle sey, müsse auch natürlicher Weise courageous seyn. Die Wahrheit aber steckt darinn; eine von den ursprünglichen Bedeutungen, wo nicht die einzige, des Worts Gentle war, edel, hochherzig; und bis auf den heutigen Tag würde sich eine Schottländerinn, unter den Umständen des jungen Frauenzimmers im Schauspiele, fast eben derselben Worte bedienen – Reize ihn nicht! denn er ist gentle ; (das heißt, hochherzig,) er wird keine Beleidigung geduldig ertragen. Spenser sagt gleich in der ersten Strophe seiner Fairy Queen :

»A gentle knight was pricking on the plain;«

Welcher Kneight nichts weniger als zahm und schüchtern, sondern so unerschrocken tapfer war, daß

»Nothing did he dread, but ever was ydrad.«

Zu beweisen, daß wir den Nachdruck unsrer Sprache durch falsches Raffiniren geschwächt hätten, führte er folgende Worte an, deren Bedeutung zwar himmelweit unterschieden ist, die aber völlig auf einerley Art ausgesprochen werden. Wright, write, right, rit . Die Schottländer aber sprechen diese Worte eben so verschiedentlich aus, als sie nach ihrer Bedeutung und Orthographie verschieden sind. Und das ist der Fall mit manchen andern, die er zur Erklärung seines Satzes anführte. – Ueberdem bemerkte er noch, daß wir, (aus was Ursache? hätte er noch nicht erfahren können,) unsern Selbstlautern einen ganz andern Klang gegeben, als den, welchen die übrigen europäischen Nationen einstimmig beybehalten hätten: eine Veränderung, welche die Sprache für Fremde äußerst schwer und es dabey fast unmöglich machte, für die Orthographie und Aussprache allgemeine Regeln zu geben. Nicht einmal zu rechnen, daß die Selbstlauter nicht mehr einfache Klänge im Munde eines Engländers blieben, welcher i und u als Doppellaute ausspräche. Zuletzt behauptete er, wir mummelten unsre Sprache mit den Lippen und Zähnen, und jagten die Worte ohne Pause oder Absatz dergestalt hinter einander her, daß ein Ausländer, der das Englische ziemlich gut verstünde, oft genöthigt wäre, sich an einen Schottländer zu wenden, um zu erfahren, was ein geborner Engländer in seiner eignen Sprache gesagt hätte.

Onkel Bramble bestätigte diese Bemerkung durch seine eigne Erfahrung; allein er schrieb solche einer andern Ursache zu. – Er sagte, man würde bey allen Sprachen diese Anmerkung machen können. Ein Fremder zu Paris, der der Sprache noch nicht völlig mächtig wäre, würde einen Schweitzer, der Französisch spräche, besser verstehn, als einen Pariser, weil jede Nation ihr eignes Recitativ hätte, und es allemal mehr Mühe, Aufmerksamkeit und Uebung erfodre, beydes Worte und Musik sich geläufig zu machen, als blos die Worte zu lernen; und dennoch würde niemand leugnen wollen, daß Eins ohne das Andre unvollkommen wäre: er dächte also, ein Anfänger verstünde deswegen einen Schottländer und Schweitzer besser, weil solche blos die Worte sprächen, ohne die Musik, die sie nicht nachzumachen wüßten. Man sollte denken, dieser Streich würde den Northbritton abgekühlt haben, allein er that weiter nichts, als daß er seine Laune zum Disputiren noch mehr in Bewegung setzte. – Er sagte, wenn jede Nation ihr eignes Recitativ, oder ihre eigne Musik für die Rede hätte; so hätten die Schotten auch die ihrige, und der Schottländer, dem die Tonfälle der Engländer noch nicht geläufig wären, würde natürlicher Weise seine eigne brauchen, wenn er ihre Sprache redete; wenn man ihn also besser verstünde, als den gebornen Engländer, so müßte sein Recitativ besser seyn, als das Englische, und folglich hätte der Dialect der Schotten einen Vorzug vor ihrer Mitunterthanen ihren; und dieses sey abermals eine starke Vermuthung für den Satz, daß die neuern Engländer ihre Sprache, im Puncte der Pronunciation verderbt hätten.

Der Lieutenant war nunmehr so polemisch geworden, daß ihm eine Paradoxie aus dem Munde flog, so bald er ihn aufthat, die er denn hernach bis aufs Blut vertheidigte. Allein alle seine Paradoxien schmeckten sehr nach der Partheylichkeit für sein eignes Vaterland. Er unterfing sichs, zu beweisen, daß Armuth ein Glück für eine Nation sey; daß Hafermehl besser sey, als Weitzen-Semmelmehl; und daß der Gottesdienst von Cloacina, in Tempeln, worinn beyderley Geschlechter, und alle die Anbeter, ohne Unterschied des Alters und Standes, durcheinander zugelassen würden, eine einfältige Art von Abgötterey sey, die jeden Begriff von Zucht und Ehrbarkeit beleidige. Ich wunderte mich nicht so sehr darüber, daß er diese Lehren zu Markte brachte, als über die eben so närrischen als sinnreichen Gründe, welche er anführte, um sie zu unterstützen.

Kurz von der Sache zu sprechen, Lieutenant Lismahago ist eine Seltenheit, die ich noch nicht genug beguckt habe; und deshalben wird mirs leid thun, wenn wir seine Gesellschaft verlieren, obgleich der Himmel weis, daß er weder in seinen Manieren noch in seinem Charakter Etwas sehr liebenswürdiges hat. – Da er geradesweges nach dem südwestlichen Theile von Schottland geht, und wir unsre Reise über Berwick nehmen: so werden wir uns morgen an einem Orte, der Felton-bridge heißt, trennen; und ich wage nichts, wenn ich sage, diese Trennung wird unsrer Tante Tabby sehr schmerzhaft seyn, es sey denn, sie habe einige schmeichelhafte Versicherungen des baldigen Wiedersehns erhalten. Wenn mir mein Zweck mißlingt, Sie mit diesen unwichtigen Sächelchen zu unterhalten, so müssen Sie solche ansehen als eine Uebung der Geduld, welche Sie zu verdanken haben

Ihrem

   Morpeth,
den 13ten Julii.

allezeit ergebenen
J. Melford.   

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An den Doctor Lukas.

Mein lieber Doctor,

Ich habe nunmehr die äußersten nördlichen Gränzen von England erreicht, und sehe dicht' unter meinem Kammerfenster die Tweed unter den Bogen der Brücke hinfließen, welche diese Vorstadt mit Berwick zusammenhängt – Yorkshire haben Sie gesehn, und derohalben will ich von dieser reichlich gesegneten Provinz nichts sagen. Durham hat von ferne das Ansehn eines unordentlichen Steinhaufens, der zusammengeschleppt ist, einen Berg zu bedecken, um den ein Strom seinen geräuschvollen Lauf nimmt. Seine Straßen sind meistentheils enge, finster und unangenehm, und etliche sind so steil, daß man sie kaum begehn kann. Die Domkirche ist ein großes düstres Gebäude; die Geistlichen aber haben gute Wohnungen. – Der Bischoff lebt auf fürstlichen Fuß – Die goldnen Präbanden führen leckere Tafeln – und, wie man mir gesagt hat, soll man sehr umgängliche Gesellschaften in der Stadt finden; allein das Land umher, wenn man solches von dem Rücken des Gateshead-Fell, der sich bis Newcastle erstreckt, übersieht, zeigt die schönste angebaute Gegend, die ich jemals gesehn habe. Was Newcastle betrifft, das liegt meistentheils in einem Grunde, am Ufer der Tyne, und fällt noch unangenehmer in die Augen, als Durham; indessen ist es durch Handlung und Fleiß reich geworden, und stark bewohnt; und das Land, welches an beyden Seiten des Flusses über der Stadt liegt, giebt einen entzückenden Anblick von Land- und Gartenbau. Morpeth und Alnwick sind artige, reinliche Städtchens, und das letzte ist des Kasteels wegen berühmt, welches so manche Jahrhunderte durch dem edlen Hause der Piercys, Grafen von Northumberland, zugehört hat. – Es ist sicherlich eine geräumige Festung, welche eine große Anzahl Wohnungen enthält, und auf einer guten Höhe liegt; aber ihre Stärke scheint nicht sowohl in ihrer Lage, oder in der Art, wie sie befestigt ist, bestanden zu haben, als in der Tapferkeit ihrer Vertheidiger.

Unsre Begebenheiten, seitdem wir Scarborough verlassen haben, sind kaum des Erzählens werth; und doch muß ich Sie mit dem guten Fortgange bekannt machen, den meine Schwester Tabby seit ihren verunglückten Versuchen zu Bath und London im Ehmannjagen gemacht hat. Sie hatte wirklich ihre Netze einem Glücksritter aufgestellt, der im Grunde ein Straßenräuber von Profession war; allein er war schon mit viel gefährlichern Schlingen bekannt als sie ihm legen konnte, und also entkam er. – Hernach öffnete sie ihre Batterien gegen einen alten winddürren schottischen Lieutenant, Namens Lismahago, der in Durham zu uns kam, und, wie mich dünkt, einer der sonderbarsten Menschen ist, die mir jemals vorgekommen sind – Seine Manieren sind so uneben, als sein Gesicht; allein seine ganz eigne Denkart, und sein Bündel Wissenschaft, das aus Lappen von Seltenheiten zusammengeschnürt ist, macht, daß man seinen Umgang wünscht, Trotz seiner Pedanterie und widrigen Sprache – Ich habe oft einen sauren Holzapfel in einem Gebüsche gefunden, den ich seines Saftes wegen Lust bekommen habe zu essen, ob er gleich so herbe war, daß er mir den Mund zusammenzog.

 

Lismahago ist in einem solchen Grade vom Geiste des Widerspruchs besessen, daß ich in meinem Gewissen glaube, er hat mit unermüdeter Aufmerksamkeit herumgestöbert, und gelesen, und studirt, um sich in den Stand zu setzen, allgemeinangenommene Sätze übern Haufen zu stoßen, und solchergestalt seinen polemischen Stolz zu befriedigen, und ihm Trophäen zu errichten. – So herbe ist sein Eigendünkel, daß er nicht einmal ein Compliment unangetastet lassen kann, das man im Vorbeygehn seiner Person insbesondre, oder überhaupt seinem Vaterlande macht.

Als ich die Anmerkung machte, er müßte eine Menge Bücher gelesen haben, daß er über so mancherley Gegenstände zu sprechen wüßte, betheuerte er, er habe wenig oder nichts gelesen, und fragte, wer ihm in den amerikanischen Wäldern, wo er den größesten Theil seines Lebens zugebracht, hätte Bücher geben sollen? Als mein Neffe sagte, die Schottländer wären überhaupt wegen ihrer Gelehrsamkeit berühmt, leugnete ers geradezu, und foderte ihn heraus, ihm solches durch ihre Schriften zu beweisen. – »Die Schottländer,« (sagte er,) »haben von allem ein wenig gelesen, damit haben sie bey Leuten breit gethan, die noch weniger von den Wissenschaften verstehn, als sie selbst; aber man kann von ihnen sagen, daß sie auf der Oberfläche der Gelehrsamkeit herum schwimmen, und daß sie in den nützlichen Künsten noch gar nicht weit vorwärts gekommen sind.« – »Zum wenigsten,« (rufte Tabby,) »räumts doch alle Welt ein, daß die Schotten herrliche Thaten gethan, im Kriege und bey der Eroberung von America.« – »Ich kann Sie versichern, gnädiges Fräulein,« (erwiederte der Lieutenant,) »man hat Sie falsch berichtet. In diesem Lande haben die Schotten bloß ihre Schuldigkeit gethan; und ist kein Regiment bey des Königs Armee gewesen, das sich mehr hervorgethan hätte, als die andern. – Diejenigen, welche sichs angelegen seyn ließen, das vorzügliche Verdienst der Schotten zu erheben, waren keine Freunde von dieser Nation.«

So viele Freyheit er sich auch selbst gegen seine Landsleute herausnimmt; so wenig will ers ungestraft hingehn lassen, daß sie einander nur scheel ansehen. Als jemand von der Gesellschaft von ungefähr Lord B**s unrühmlichen Friedens erwähnte, legte sich der Lieutenant augenblicklich vor Se. Lordschaft in die Krone, und focht mit allen Kräften, zu beweisen, es wäre der rühmlichste und vortheilhafteste Friede, den England nach der Stiftung der Monarchie jemals geschlossen hätte. – Und, unter uns gesagt, er führte darüber solche Gründe an, die mich wirklich verwirrten, wo nicht überzeugten. – Er wollte nicht zugeben, daß mehr Schottländer unter der Land- oder Seemacht gebraucht würden, als nach gehörigem Verhältniß seyn sollte; oder daß die Engländer einiges Recht hätten, zu sagen, seine Landsleute wären außerordentlich im Dienste hervorgezogen worden. – »Wenn ein Süd- und ein Northbritton sich zugleich um eine Stelle bewerben, welche ein engländischer Minister oder General zu vergeben hat, so wäre es wohl einfältig, voraus zu setzen, daß er dem eingebornen Engländer nicht den Vorzug geben würde, der so viele Vortheile vor seinem Mitwerber voraus hat. – Erstlich und besonders hat er jene lobenswürdige Partheylichkeit für sich, welche, wie Addison sagt, einem Engländer beständig anklebt; zweytens hat er mächtigere Gönner und mehr Antheil an dem Einflusse, den das Parlament hat, welches dergleichen strittige Wahlen gemeiniglich entscheidet; und endlich steht ihm mehr Geld zu Gebote, womit er sich den Weg zu seinen Absichten sehr eben bahnen kann. Ich, meiner Seits, (fuhr er fort,) kenne keinen schottländischen Officier, der in der Armee über die Stufe eines Subalternen gestiegen, ohne daß er jeden höhern Grad entweder mit Gelde oder mit Recruten bezahlt hätte; aber manchen Edelmann aus diesem Lande kenne ich wohl, der aus Mangel an Gelde oder Gönnern in dem Grade als Lieutenant alt und grau geworden ist; wogegen dergleichen Beyspiele von widrigem Glücke bey den Eingebornen von Südbrittannien sehr selten sind. – Damit möchte ich aber nicht zu verstehn geben, als ob meine Landsleute das geringste Recht hätten, sich zu beschweren. – Beförderung im Dienst ist so gut, wie das Glück bey jedem andern Gewerbe, denen am günstigsten, die das meiste Geld oder Credit haben, da man Verdienst und Fähigkeit an allen Seiten voraussetzt, gleich zu seyn.«

Die kühnsten Sätze dieses Originals aber waren folgende: – Der Handel würde über kurz oder lang den Untergang einer jeden Nation befördern, bey der er bis zu einer gewissen Ausdehnung blühte; – Das Parlament wäre die faule Stelle an der brittischen Constitution; – Die Preßfreyheit wäre ein Nationalübel; – Und die so gerühmte Institution der Gerichte von Geschwornen, so wie solche in England gehandhabt würde, brächte die schändlichsten Meineide und die offenbarsten Ungerechtigkeiten hevor. Er ließ sich vernehmen, Handel und Wandel seyen Feind der edlern Leidenschaften der Seele, indem sich solcher an den Durst nach Gewinn gründe, und auf das niederträchtige Verlangen, von dem Bedürfniß unsrer Nebenmenschen Vortheil zu ziehen. – Er behauptete, die Natur des Handels sey von der Beschaffenheit, daß er sich nicht an einen Ort auf beständig binden lasse, sondern wenn er bis zu einer gewissen Höhe angeflossen, stellte sich alsobald die Ebbe ein, und diese daurete so lange fort, bis die Flüsse fast trocken blieben; und es wäre kein Beyspiel in der Geschichte vorhanden, daß bey einer und derselben Nation die Fluth bis zu einer merklichen Höhe wieder zurück getreten sey. Unterdessen erbräche der durch den Handel erwachsene Zufluß der Mittel alle Schleusen des Luxus, und überschwemmte das Land mit jeder Art von Uebermuth und Zügellosigkeit; darauf müsse ein gänzliches Verderben der Sitten erfolgen, und dieses wäre von Banquerotten und Untergang begleitet. Vom Parlamente sagte er, daß die Kunstgriffe, die Flecken zu kaufen, und um Stimmen zu handeln, ein öffentliches System der Bestecherey wäre, welches auf den Untergang aller Grundsätze von guter Ordnung, von Treue und Redlichkeit erbauet worden, davon die Folge wäre, daß die Wählenden sowohl als der Gewählte, und kurz der ganze Staatskörper vom allgemeinen Verderben angesteckt sey. Er behauptete, daß bey einem auf solche Weise constituirten Parlamente die Krone allemal Einfluß genug behalten würde, sich des Uebergewichts der Stimmen zu versichern, wegen der großen Menge von Posten, Plätzen und Pensionen, die sie zu vergeben hätte; daß ein solches Parlament, (wie es bereits gethan,) die Dauer seiner Sitzungen und seiner Macht verlängern würde, so oft es der Prinz für sich vortheilhaft fände, dieselben Mitglieder in demselben zu behalten; denn sie hätten ohne Zweifel das nämliche Recht, ihre Macht zu ewigen Tagen, als von drey auf sieben Jahre festzusetzen. – Mit einem Parlamente also, das von der Krone abhängig, dem Prinzen ergeben ist, und von einer stehenden Armee unterstützet wird, die zu dem Ende auserlesen und eingerichtet worden, kann ein jeder König von England, und einst wird wahrscheinlicher Weise ein ehrsüchtiger Souverain, alle Bollwerke der Verfassung gänzlich umwerfen; denn man darf nicht voraussehen, daß ein Prinz von hohem Geiste geduldig zusehen werde, daß man allen seinen Anordnungen widerspreche, und ihn selbst ein unbändiger, zügelloser Haufen Volks schmähe und höhne, wenn er es in seiner Gewalt hat, mit Beystimmung der Gesetzgebenden Macht, allen Widerspruch unter die Füße zu treten. Die Preßfreyheit, sagte er, würde er immer als ein Unglück für die Nation ansehn, so lange sie dem elendesten Wurme die Macht ließe, den Glanz des hellscheinendsten Verdienstes zu beschmutzen, und dem schändlichen Mordbrenner Mittel an die Hand gäbe, im gemeinen Wesen die Ordnung zu stören und aufzuheben. Er gestund gleichwohl ein, daß sie, unter gehöriger Einschränkung, ein sehr köstliches Privilegium seyn würde; allein dabey behauptete er, es sey kein hinlängliches Gesetz in England vorhanden, solche in gehörigen Schranken zu halten.

Die geschwornen Gerichte betreffend, drückte er sich folgendermaßen aus: – Die zwölf Geschwornen werden gemeiniglich aus dem ungelehrten Haufen genommen, können leicht irren, leicht mißleitet werden, und sind nicht probefest gegen schädlichen Einfluß. Denn kann der Kläger oder der Beklagte nur einen davon durch irgend eine Bestechung gewinnen: so ist er eines günstigen Urtheils gewiß. Dieser bestochne geschworne Mann besteht, Trotz der hellesten Ueberzeugung, auf seinem Sinne, bis seine Collegen vor Verdruß, vor Müdigkeit oder Hunger zu seiner Meynung übertreten, und alsdann ist der Spruch ungerecht, und die Geschwornen alle Meineidig; aber es müssen oft solche Fälle vorkommen, wo die Geschwornen wirklich, obgleich nach irriger Ueberzeugung, in ihren Meynungen getheilt sind. Sie können aber keine Findung abgeben, bis sie einstimmig sind, und sie sind dennoch alle verbunden, nicht allein in ihrem Gewissen, sondern durch einen besondern Eid, nach ihrer besten Ueberzeugung zu urtheilen und zu sprechen. – Was muß daraus folgen? – Sie müssen entweder alle miteinander verhungern und verdursten, oder eine Seite muß ihr Gewissen ihrem Magen Preis geben, und in eine Findung stimmen, welche sie für ungerecht hält. Dieser Ungereimtheit ist in Schweden dadurch vorgebeugt, daß die bloße Mehrheit der Stimmen entscheidet, und in Schottland, daß zwey Drittel der Stimmen ein Urtheil gültig machen.

Sie müssen sich nicht einbilden, daß er alles dieses ruhig vortragen konnte, ohne daß ich ihm widersprochen hätte – Nein, denn, die Wahrheit zu sagen, däuchte mich, meine Ehre litte darunter, daß er sich einbildete, so viel weiser zu seyn, als seine Nachbaren. Ich bezweifelte alle seine Sätze, suchte unzählige Einwürfe hervor, diskutirte und balgte mit ungemeiner Hartnäckigkeit mit ihm herum, und ward bey dem Streite warm, ja sogar heftig. – Zuweilen kam er ins Gedränge, und ein oder zweymal, denke ich, war er rein zu Boden geschlagen; allein er richtete sich von einem solchen Falle wie ein zweyter Antäus mit verdoppelten Kräften wieder auf, bis ich endlich ermüdet und ermattet wurde, und wirklich nicht mehr wußte, was ich anfangen sollte, als ihm glücklicherweise ein paar Worte entfielen, wodurch er sich merken ließ, daß er die Rechte studirt habe; ein Geständniß, welches mir Raum gab, mich mit guter Art aus dem Handel zu ziehn, da man nicht verlangen konnte, daß ein Mann, wie ich, der gar Nichts studirt hat, vermögend seyn sollte, mit einem Meister in seiner Kunst sich herum zu tummeln. Indessen glaube ich doch, daß mein Nachdenken noch manche Anmerkung dieses Originals lange wiederkäuen wird.

Ob unsre Schwester Tabitha wirklich von seinem Umgange eingenommen, oder entschlossen ist, nach jedem Dinge so lange auszuwerfen, das die Gestalt eines Mannes hat, bis sie die Ehestandsschlinge zuziehn kann, weis ich nicht; aber das ist zuverläßig, daß sie ungeheure Schritte auf Lismahagos Neigung zu gethan hat, von dem man nicht sagen kann, daß er ihr auf halbem Wege entgegen gekommen, ob er gleich gegen ihre Höflichkeiten nicht ganz unfühlbar zu seyn scheint. – Sie ließ sichs mehr als einmal merken, wie glücklich wir seyn würden, seine Gesellschaft durch den Theil von Schottland zu genießen, den wir willens waren zu besuchen, bis er ihr endlich ganz deutlich sagte, sein Weg läge ganz verschieden von demjenigen, den wir zu nehmen gedächten, zudem würde seine Gesellschaft uns wenig zu statten kommen, da er das Land gar nicht kenne, weil er es in der frühesten Jugend verlassen hatte, und uns also in keinem Puncte Anleitung geben, noch mit irgend einer ansehnlichen Familie bekannt machen konnte. Er sagte, er würde von einem unwiderstehlichen Hange getrieben, seinen väterlichen Heerd wieder zu sehn, ob er gleich wenig Vergnügen zu erwarten hätte, um so mehr, da er gehört, daß sein Neffe, der gegenwärtige Besitzer, eben nicht der Mann sey, die Ehre der Familie zu behaupten. Er gab uns gleichwohl die Versicherung, da wir Vorhabens sind, durch den westlichen Weg zurückzukehren, daß er sich bemühen würde, uns zu Dumfries sein Compliment zu machen. – Sonach nahm er an einem Orte auf halbem Wege zwischen Morpeth und Alnwick von uns Abschied, und trabte in vollem Prunke dahin; auf einem hohen, dürren, spitzknochigen, grauen Schlachtergaul, der keinen Zahn mehr im Maule hatte, ein wahres Gegenbild seines Reiters; und in der That war der Anblick von beyden so malerisch, daß ich zwanzig Guineen geben möchte, wenn sie mir jemand nur einigermaßen getroffen auf die Leinwand bringen könnte.

Northumberland ist eine schöne Gegend, die sich bis an die Tweed, einem lieblichen arkadischen Strome, erstreckt; Sie werden sich aber wundern, wenn ich Ihnen erzähle, daß die Seite dieses Ufers nach England, weder so gut angebauet noch bevölkert ist, als die andre. Die Pachthöfe sind dünne gesäet, die Felder nicht einmal befriedigt, und kaum sieht man auf einige Meilen von der Tweed einen Edelhof. Hingegen von der schottischen Seite stehn sie haufenweiß bis an das Ufer des Flusses, so daß Sie in einem kleinen Umfange über dreißig gute Edelhäuser zählen können, welche solchen Figuren gehören, deren Vorältern in derselben Gegend feste Schlösser besaßen; ein Umstand, welcher beweiset, was für schädliche Nachbarn ehedem die Schottländer den nördlichen Landschaften von England gewesen seyn müssen.

Unsre Haushaltung geht noch so immer ihren alten Gang. – Meine Schwester Tabby hängt noch an der Pietisterey, und hat zu Newcastle die Wohlthat genossen, in Wesleys Versammlung eine Predigt zu hören; allein ich glaube, die Leidenschaft der Liebe hat wohl dem Eifer der Andacht ein wenig Abbruch gethan, sowohl bey ihr, als bey ihrem Mägdchen, der Jenkins, um deren Gunst ein gewaltiger Streit zwischen meines Neffen Valet, Dutton, und meinem Bedienten, Humphry Klinker, entstanden ist. – Jeronimus hat sich genöthigt gesehn, sein Ansehn zu gebrauchen, um Frieden zu erhalten; und ihm habe ich die Entscheidung dieser wichtigen Affaire überlassen, die beynahe die Flammen der Zwietracht entzündet hätte, unter den Angehörigen

Ihres

Tweedmouth,
  den 15ten Julii.

allzeit beständigen
M. Bramble.   

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An Sir Watkin Philipps, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Lieber Watt,

In meinen beyden Letzten haben Sie so viel von Lismahago gehabt, daß ich denke, Sie sind froh, wenn er einmal vom Theater abgetreten ist. – Ich muß mich nun zu häuslichen Vorfällen herunterlassen. – Amor, scheint es, hat beschlossen, seine Gewalt über alle Weiblein in unsrer Haushaltung zu behaupten. – Nachdem er um das Herz der armen Liddy herumgeschlichen, und mit unsrer Tante Tabitha seltsame Sprünge gemacht hatte, fieng er seine muthwilligen Händel in dem Herzen ihrer Putzjungfer, Winifred Jenkins, an, welcher zu erwähnen ich in dem Laufe unsrer Memoires schon oft Gelegenheit gehabt habe. Die Natur bestimmte die Jenkins zu etwas sehr verschiedenem von dem Charakter ihrer Gebieterinn. Gewohnheit und Nachahmung aber haben in vielen Stücken eine bewundernswürdige Gleichheit zwischen beyden hervorgebracht. Winy ist allerdings viel jünger, und weit angenehmer von Person; sie ist auch weichherzig und mitleidig; Eigenschaften, die man an ihrer Gebieterinn nicht vorwalten sieht, so wenig als sie furchtsam von Gemüth, oder den Mutterbeschwerungen unterworfen ist, welches Schwachheiten der Jenkins sind; aber dafür scheint sie Tabbys Manier mit ihren abgelegten Kleidern angezogen zu haben. – Sie kleidet sich wie sie, und bestrebt sich, ihr Gesicht in eben solche Falten zu legen, obgleich ihr natürliches Gesicht viel angenehmer ist. – Sie folgt ihrem Plane der Haushaltung, lernt ihre Redensarten, wiederholt ihre Anmerkungen, ahmt ihren Styl nach, wenn sie mit dem niedrigern Gesinde schilt, und endlich folgt sie blindlings dem Systeme ihrer Frömmeley. – Dieses ward ihr freylich wohl um desto leichter, da es durch Klinkers Hülfe eingeführt und bestätigt ward, dessen persönliches Verdienst ihr von demselben Tage an in die Augen gestochen zu haben scheint, da er ihr vor Marlborough ein Pröbchen von seiner nackten Haut, weiß wie Alabaster, sehen ließ.

Ungeachtet indessen, daß Humphry ihr Herz an diesen beyden Seiten gefaßt hatte, und sein möglichstes that, seine Eroberung zu behaupten, so fand ers doch unmöglich, solches an der eiteln Seite zu bewachen, an welcher die arme Winy so schwach war, als irgend ein weibliches Geschöpf in der ganzen Welt. Kurz, mein Schurke vom Kerl, Dutton, warf sich zu ihrem Anbeter auf, und durch seine vielen in der Fremde gelernten Kunstgriffe, hob er seinen Nebenbuhler Klinker aus dem Sattel ihres Herzens. Man könnte Humphry mit einem engländischen Pudding vergleichen, der aus guten gesunden Mehl und Fett besteht, und Dutton mit einem gefrornen Schneemus, welches zwar angenehm auf der Zunge ist, aber weder etwas in den Magen bringt, noch Nahrung giebt. Der Verräther blendete ihr nicht nur die Augen mit seinem vor alt gekauften Flitterstaate, sondern schmeichelte ihr, seufzete und kroch um sie herum, – lehrte sie ein Priesgen nehmen, schenkte ihr eine Tabacksdose von Papier maché – schaffte ihr Pulver für ihre Zähne – half der Farbe ihrer Wange nach, und frisierte ihre Haare à la façon de Paris – bot ihr an, ihr Sprachmeister zu seyn, und Tanzmeister, so gut als ihr Friseur, und dergestalt schlich er sich unbemerkt in ihre Gunst ein. Klinker beobachtete die Schritte, die er gewann, und härmte sich darüber im Stillen. – Er versuchte es, ihr durch Vermahnungen die Augen zu öffnen, da er aber fand, daß das nichts fruchten wollte, nahm er seine Zuflucht zum Gebete. Unterdessen daß er zu Newcastle Tante Tabby zur Methodistenversammlung begleitete, führte sein Nebenbuhler die Jenkins nach der Comödie. Er hatte einen seidenen Rock angezogen, der zu Paris für seinen vorigen Herrn gemacht worden, und darunter seine verschossene Weste von bunten Brocad; trug einen großen Haarbeutel mit einer breiten Halsschleife, und hatte einen langen Degen an die Hüften gehängt. Seine Dame strotzte in verbleichten Tassent, aufgewaschener Gaze, und dreymal aufgeschwefelten Bändern; die Frisur ihrer Kopfs fiel aber am stärksten in die Augen, welche sich gleich einer Piramide bis zu einer Höhe von sieben guter Zoll über der Hirnpfanne erhob, und ihr Gesicht war vom Kinn bis über die Augen bemahlt und beschönpflästert. Auch der Herr Gallan selbst hatte weder rothe noch weisse Schminke gespart, seine eigne Gesichtsfarbe zu heben. In diesem Aufputze wandelte sie durch die Hauptgasse nach dem Theater zu, und da man sie für Comödianten hielt, die sich zu Hause fertig zum Auftritt angekleidet hatten, ließ man sie ungehindert ihres Weges gehn; allein da es noch hell war, da sie wieder zurück kamen, und unter der Zeit der Comödie das Volk von ihrem wahren Stande Nachricht bekommen hatte, so zischete und pfiff man sie auf dem ganzen Wege aus. Jenkins ward mit Gassenkoth beworfen, und dazu für das geschminkte Aas Isebel gescholten, so daß sie vor Furcht und Schaam ihre histerischen Zufälle bekam, sobald sie ins Haus trat.

Klinker war so böse auf Dutton, den er als die Ursache ihres Schimpfes ansah, daß er ihm bittre Vorwürfe darüber machte, daß er dem armen Mädchen den Kopf verrückt hätte. Der Andre stellte sich als ob er ihm mit Verachtung begegne, und indem er seine Gelassenheit für Feigheit nahm, drohete er, ihn mit der Karbatsche brav durchzugärben. Humphry kam also zu mir, und bat mich sehr demüthig, ich möchte ihm doch erlauben, meinen Bedienten für seinen Uebermuth zu züchtigen – »Er hat mich auf den Degen herausgefodert, (sagte er,) aber es wäre eben so viel, als wenn ich ihn herausfoderte, er sollte ein Hufeisen oder eine Pflugschaar schmieden; denn ich versteh vom Einen so viel, als er vom Andern – Und denn so schickt sichs auch nicht einmal für Bediente, den Degen zu ziehn, oder sich das Recht anzumaßen, einander todt zu stechen, wenn sie einmal in Streit gerathen; und darzu möchte ich sein Blut nicht auf meiner Seele haben, wenn ich auch durch seinen Tod noch so vergnügt und glücklich werden könnte; aber wenn Ew. Gnaden es nicht übel nehmen wollen, so will ich ihn wohl ein wenig trocken auswaschen, und das kann ihm vielleicht gut thun, und ich will mich schon vorsehn, daß ich'n nichts zu leide thue.« Ich sagte ihm, meintwegen möchte er, wenn ers so einzuleiten wüßte, daß er nicht für den Anfänger gehalten werden könnte, wenn ihn etwa Dutton nachher gerichtlich belangen wollte.

Mit dieser Erlaubniß zog er ab; und denselben Abend brachte er seinen Nebenbuhler leicht dahin, daß er den ersten Schlag that, welchen Klinker so reichlich wieder bezahlte, daß er sich genöthigt sah, um Quartier zu bitten, zugleich aber fluchte, er wollte grausame und blutige Rache dafür nehmen, sobald wir nur über die Gränze gekommen wären, wo er ihn ohne Furcht vor den Folgen den Degen durch den Leib rennen könnte. – Dieser Auftritt fiel in des Lieutenants Lismahago Gegenwart vor, der Klinkern zuredete, er sollte einen Gang auf kaltes Eisen mit seinem Gegner wagen. »Kalt Eisen, (sagte Klinker,) werde ich niemals gegens Leben eines Menschen brauchen; aber ich fürchte mich so wenig vor seinem kalten Eisen, daß er nur damit kommen kann, ich will mich nur mit einem guten Prügel wehren, der ist immer bey der Hand, wenn er Lust hat.« Unterdessen schien die schöne Ursach dieses Zwistes, Win Jenkins, unter der Last ihrer Betrübniß zu vergehen, und Klinker betrug sich ziemlich kaltsinnig gegen sie, ob ers gleich nicht wagte, ihr Vorwürfe über ihre Aufführung zu machen.

Der Zank zwischen den beyden Nebenbuhlern erreichte sehr bald auf eine sehr unerwartete Art seine Endschaft. Unter den Leuten, die mit uns zu Berwick in einem Wirthshause logirten, war ein Paar von London, auf dem Weges nach Edimburg begriffen. Das Frauenzimmer war die Tochter und Erbinn eines ehrwürdigen Mannes, der auf Pfänder liehe, welcher es beliebt, ihren Vormündern die Fersen zuzukehren, und sich unter die Curatele eines langen Irrländers zu begeben, welcher sie so weit her begleitet hatte, um einen Geistlichen zu finden, der ohne die vielen in England erforderlichen Formalitäten den Eheseegen über sie sprechen wollte. Ich weis nicht, wie es der Herr Bräutigam unterwegs mußte angefangen haben, daß er in dem zärtlichen Herzen seiner Inamorata so viel Raum verloren hatte; aber, nach aller Wahrscheinlichkeit spürte Dutton eine Kaltsinnigkeit an ihrer Seite, welches ihm Muth machte, ganz leise zu sagen, es wäre doch Schade, daß sie ihre Neigung auf einen Schneider geworfen hätte, wie er behauptete, daß der Irrländer wäre. Diese Entdeckung zog ihr Herz völlig von ihm ab, welches sich mein Kerl zu nutze machte, und anfieng, sich ihrer Gunst bestens zu empfehlen; und der glattzüngige Bube fand es nicht schwer, sich in ihr Herz einzuschleichen, aus welchem er den Andern verdrungen hatte. – Ihr Entschluß war den Augenblick gefaßt. – An einem Morgen, vor Tage, da der arme Irrländer noch in seinem Bette schnarchte, hatte sein unermüdeter Nebenbuhler eine Postchaise bestellt, und fuhr mit der Braut nach Coldstream, ein paar Stunden jenseits der Tweed, wo ein Geistlicher wohnte, der den kostbaren Eheseegen feil hatte, und ihr Knoten war geschürzt, ehe dem alten Bräutigam nur davon hätte träumen können. Als er aber des Morgens um sechs Uhr aufstund, und fand, daß der Vogel ausgeflogen war, machte er einen solchen Lärmen, der das ganze Haus in Aufruhr brachte. Die erste Person, die ihm in den Wurf kam, war der Postillion, der von Coldstream zurückgekommen und ein Zeuge bey der Trauung gewesen war, und über ein recht gutes Trinkgeld auch noch ein Brautband bekommen hatte, das er nun an seinem Huthe trug. – Als der verlaßne Coridon vernahm, daß sie wirklich getrauet wären, und sich auf den Weg nach London gemacht hätten; und daß Dutton der Schönen entdeckt hätte, er (der Irrländer) sey ein Schneider, wäre er fast von Sinnen gekommen. Er riß dem Kerl das Band vom Huthe, und schlug ihm damit um die Ohren. Er schwur, er wolle ihn bis an die Thore der Hölle verfolgen, und befahl, man sollte so bald als möglich vier Pferde vor eine Postchaise spannen lassen; allein, als er sich besann, daß sein Beutel diese Art zu reisen nicht erlauben würde, sah er sich genöthigt, diesen Befehl zurückzunehmen.

Ich wußte von allem was vorgieng nicht ein Wort, bis mir der Postillion die Schlüssel zu meinem Koffre und Mantelsack brachte, die er von Dutton empfangen, der mir seinen Respect vermelden und sagen ließ, er hoffe, ich würde seine plötzliche Abreise entschuldigen, da es ein Schritt wäre, von dem sein Glück abhienge. – Noch ehe ich Zeit hatte, meinem Onkel von der Begebenheit Nachricht zu geben, platzte der Irrländer, ohne sich anmelden zu lassen, in meine Kammer, und schrie: »Bey meiner Seele, Ihr Bedienter hat mir fünf tausend Pfund gestohlen, und ich will Satisfaction haben, und sollte ich auch morgen gehängt werden.« – Als ich ihn fragte, wer er wäre, sagte er: »Mein Name ist Master Macloughlin, er sollte aber Leighlin Oneale heißen, denn ich stamme von Ter-Owen den Großen her; und also bin ich ein so guter Edelmann, als einer in ganz Irrland; und der Spitzbube, Ihr Bedienter, hat gesagt, ich wäre ein Schneider, und das war so eine erstunkne Lüge, als wenn er gesagt hätte, ich wäre der Pabst – Ich bin ein Mann von Vermögen, und habe alles ausgegeben, was ich gehabt; und als ich nun verlegen war, da zog ich zu Herrn Cosgrave, des Königs Leibschneider in Huffolkstreed ins Haus, und der machte mich zu seinen Privatsecretarius; bey dem Wahrzeichen, daß ich noch der Letzte gewesen bin, den er losbürgte; denn seine Freunde machtens so mit ihm, daß er sichs verhieß, er wollte keine Christenseele mehr losbürgen, wenns über zehn Pfund wäre; denn sehn Sie, er war so gut, er konnte niemand was abschlagen, und so hätte er sich endlich ganz nackt bürgen können; und wenn das Leben noch länger so fort gewährt hätte, so hätte er bald als Banquerott sterben müssen. – Und so verliebte ich mich in Miß Skinner, eine Mamsell mit fünf tausend Pfund hübsch Geld, und die ward einig, mich zu nehmen, wie ich war; und heute diesen Tag wäre ich zum Besitz gelangt, wäre der Gaudieb nicht gewesen, Ihr Bedienter, der wie ein Dieb gekommen ist, und hat mir das Meinige gestohlen, und machte ihr weis, ich wäre ein Schneider; und daß ich nur ein viertel Mann wäre, den sie heyrathen wollte. Aber der Teufel verbrenne meine arme Seele, krieg ich ihn nur einmal in die Gebirge von Tulloghobegly, wenn ich ihm nicht weisen will, daß ich viermal ein so guter Mann bin, als er, oder sonst eine Wandlaus aus seinem Lande.«

Als er seine erste Angst vom Herzen weggesprochen hatte, sagte ich ihm, es thäte mir leid, daß er nicht besser gegen den Streich auf seiner Hut gewesen; allein ich könne nichts davor; und daß der Kerl, der mit seiner Braut durchgegangen sey, mir auch meinen Bedienten gestohlen habe – »Habe ichs Ihnen denn nicht gesagt,« (schrie er,) »daß Gaudieb sein rechter Taufname ist – O könnt ich ihn nur einmal so heraus auf den Platz vor die Klinge kriegen, so sollte er all sein Lebstage nicht mehr großprahlen.«

Onkel, der das Schreyen hörte, kam herein, und als er die Begebenheit vernommen, fieng er an, den Herrn Oneale über die Flucht seiner Braut zu trösten; und sagte, ihn däuchte, er habe von Glück zu sagen; es wäre doch besser, sie sey vor der Trauung von ihm gelaufen, als nachher – Der Irrländer war aber ganz andrer Meynung. Er sagte: »Wäre sie nur erst meine Frau gewesen, so hätte sie laufen mögen, so bald sie gewollt; ich wollte schon zugesehn haben, daß sie's Geld nicht hätte mitkriegen sollen – Ach, sie ist ein Judas Ischariot, und hat mich verrathen mit einem Kuß; und eben wie Judas hatte sie den Geldbeutel, und hat ihn mitgenommen, und hat mir nicht so viel Geld gelassen, daß ich wieder nach London kommen kann. Und da ich doch einmal so herunter gekommen bin, und der Spitzbube, der Schuld daran ist, Sie ohne einen Aufwärter gelassen hat, so können Sie mir wohl seine Stelle geben; und beym heiligen Sankt Patrick, Sie können kein beßres Werk thun.« Ich bat ihn, er möchte mich entschuldigen, und versicherte ihn, ich wollte mir lieber alle Unbequemlichkeiten gefallen lassen, als einem Nachkommen von Ter-Owen dem Großen als Bedienten begegnen. Ich rieth ihm, er möchte sich wieder zu seinem Freunde, Herrn Cosgrave, begeben, und von Newcastle ab zu Wasser gehn, wozu ich ihm einen kleinen Reisepfennig schenkte; und er zog ab, und schien sich ziemlich in sein Unglück zu finden. Ich habe einen Schottländer auf die Probe genommen, mit Namen Archy M'Alpin, einen Kerl, der lange unter einem Regimente gedient hat, und dessen letzter Herr, ein Oberster, kürzlich zu Berwick gestorben ist; der Kerl ist alt und grau; allein Frau Humphrys, eine gute Art von Frau, die Gastwirthinn zu Tweedmouth, von der alle Reisende, die dieses Weges kommen, mit vielem Lobe sprechen, hat ihn mir seiner Treue wegen empfohlen.

Klinker muß sich ohne Zweifel glücklich schätzen, daß er eines gefährlichen Nebenbuhlers los ist, und er ist ein zu guter Christ, um Dutton sein Glück nicht zu gönnen. Sogar die Jenkins wird Ursache haben, sich über diesen Zufall Glück zu wünschen, wenn sie die Sache mit kaltem Blute überlegt. Denn ob sie gleich auf eine Zeitlang in die Netze fallen mußte, die ihrer Eitelkeit gelegt waren, so ist doch Humphry gewiß der Polarstern, zu dem sich die Nadel ihrer Gewogenheit mit der Länge der Zeit wieder gekehrt haben würde. Für itzt ist eben diese Eitelkeit entsetzlich gedemüthigt, da sie sich von ihrem neuen Anbeter einer andern Geliebten wegen verlassen sieht. Sie hörte die Zeitung mit einem heftigen Anfalle von Lachen, auf den sehr bald ein Thränenschauer folgte; und das stieß der Geduld ihrer Gebietherinn völlig den Boden aus, welche bis dahin über alle Erwartung groß gewesen war. Sie öffnete nunmehr alle Schleusen der Vorwürfe, welche so lange verschlossen gewesen waren und gesammlet hatten. Sie schalt sie nicht allein wegen ihres Leichtsinns und ihrer Unbesonnenheit, sondern griff auch selbst ihre Religion an, und erklärte sie rund weg für eine aus der Gnade gefallene gottlose Sünderinn; und beschloß damit, daß sie sie, hier von der Gränze des Reichs, mit geschnürten Bündel nach Hause schicken wollte. Wir alle mit einander baten für die arme Winy, den verachteten Pastor Fido, Humphry Klinker, nicht ausgenommen, der auf seinen Knieen um ihre Begnadigung bat, und sie erhielt.

Es äußerte sich indessen eine andre Betrachtung, die Tante Tabby unruhig machte. Zu Newcastle hatte ein loser Zeisig den Bedienten weis gemacht, in Schottland fände man nichts anders zu essen, als Habergrütze und Hammelköpfe; und als man den Lieutenant Lismahago um Rath gefragt, hatte das, was er darauf gesagt, die Nachricht mehr bestätigt als widerlegt. Als Tante von diesem Umstande Nachricht erhalten hatte, rieth sie ihrem Bruder sehr ernsthaft, er möchte sich ein Packpferd anschaffen, damit man Schinken, geräucherte Zungen, Brodt, Zwieback und dergleichen nießbare Sachen mit auf die Reise nehmen könne, und Onkel Bramble antwortete eben so ernsthaft, er wolle es in Ueberlegung ziehn; als sie aber fand, daß an dergleichen Einkauf nicht gedacht worden, so kam sie mit dem Vorschlage von neuem hervor, mit dem Zusatze, es wäre zu Berwick ein ziemlich guter Markt, worauf man einkaufen, und Duttons Pferd damit bepacken könnte. – Der 'Squire zuckte die Achseln, sah sie eine Zeitlang von der Seite an, mit einem Blicke voll unsäglicher Verachtung, und sagte nach einigem Stillschweigen: »Schwester, soll ichs denn wirklich glauben, daß es dein Ernst ist?« Sie war mit der brittischen Geographie so wenig bekannt, daß sie meynte, wir könnten nicht anders nach Schottland kommen, als zur See; und nachdem wir durch Berwick gefahren, und er ihr sagte, wir wären nunmehr auf schottischen Grund und Boden, konnte sie es kaum glauben. – Die reine Wahrheit zu gestehn, so sind die meisten Südbrittannier in diesem Artikel herzlich unwissend. Sie denken, Schottland sey der Mühe nicht werth, zu sehn; und außer einigen Spöttereyen, die sich noch von dem alten Hasse herschreiben, wissen sie von diesem Reiche eben so wenig, als vom japanischen Kaiserthum.

Wäre ich niemals in Wäles gewesen, so würde mir der merkliche Unterschied unter den Bauren und gemeinen Landleuten an den entgegengesetzten Ufern der Tweed noch mehr aufgefallen seyn. Die Northumberländer Bauern sind starke Kerle, von frischer Gesichtsfarbe, reinlich und gut gekleidet; die schottischen Landleute hingegen sind grössestentheils träge, hager, bleich, knöchern von Gesicht, schmutzig und zerlumpt, und ihre kleinen aufgekrempten blaue Kappen geben ihnen ein bettlerisches Ansehn. Das Zugvieh entspricht der Gestalt seiner Treiber, mager, klein, und schlecht im Geschirre. Als ich hierüber mit meinem Onkel sprach, sagte er: »Ob gleich alle schottische Feldtagelöhner die Vergleichung mit den Bauern in den reichen Grafschaften von England nicht aushalten können: so kann man sie doch sehr gut gegen die Landleute in Frankreich, Italien und Savoyen aufstellen – Der Bergbauren in Wäles und der irrländischen Barfüßler nicht einmal zu erwähnen.«

Wir fuhren an der schottländischen Gränze über eine fürchterliche Haide von fast sechs deutschen Meilen, welche für die innern Theile des Königreichs sehr wenig verspricht; allein die Aussichten wurden besser, so wie wir weiter kamen. Durch Dunbar, welches eine hübsche kleine Stadt an der Seite der See ist, fuhren wir gerade durch, und blieben in einem Wirthshause auf dem Lande, wo wir viel besser bewirthet wurden, als wir erwarteten; doch dieß kann man wohl nicht den Schottländern zu gute schreiben, weil der Wirth ein gebohrner Engländer ist. Gestern Mittag aßen wir zu Haddington, welches ehedem ein ansehnlicher Ort war, nunmehr aber in Verfall gerathen ist; und des Abends langten wir in dieser Hauptstadt an, von der ich noch sehr wenig sagen kann. Ihre Lage an der Anhöhe eines Hügels ist sehr romantisch, auf der Spitze desselben steht ein befestigtes Kasteel, und ein königlicher Pallast im Grunde. Das Erste, was einem Fremden in die Nase fällt, soll namenlos bleiben; was ihm aber zuerst in die Augen fällt, ist die übermäßige Höhe der Häuser. Die meisten haben fünf, sechs, sieben und acht Stockwerke, und in einigen Gassen, (wie man mir gesagt hat,) gehts gar bis zwölfe. Diese Bauart, welche so viele Unbequemlichkeiten verursacht, muß ursprünglich der Mangel des Raums eingeführt haben. So viel ist gewiß, die Stadt scheint voller Leute zu seyn: aber ihre Gesichter, ihre Sprache und ihre Gebräuche sind so verschieden von den unsrigen, daß ich kaum glauben kann, ich sey noch in Großbritannien.

Der Gasthof, in welchem wir abstiegen, (wenn man ihn so nennen darf,) war so unreinlich, und in allem Betracht so unangenehm, daß mein Onkel anfieng, mürrisch zu werden, und sein Podagra kommen sah. – Indessen besann er sich, daß er ein Empfehlungsschreiben an einen Advocaten, Herrn Mitchelson, bey sich hatte, und schickte es durch seinen Bedienten hin, mit einem Compliment des Inhalts, daß er ihm morgen persönlich aufwarten wolle; dieser Herr aber besuchte uns augenblicklich, und drang darauf, daß wir nach seinem Hause kommen möchten, bis er bequeme Zimmer für uns ausgefunden hätte. Wir nahmen seine Einladung mit Freuden an, und verfügten uns nach seinem Hause, woselbst wir sehr gut und gastfrey aufgenommen und bewirthet wurden, zur großen Beschämung unsrer Tante, deren Vorurtheile sich zwar zu legen anfiengen, aber doch noch nicht gänzlich weggeräumt waren. Heute haben wir durch Hülfe unsers Freundes recht artige Zimmer bezogen, vier Treppen hoch in der Hauptstraße; denn hier in der Stadt wird der vierte Stock für vornehmer gehalten, als der Erste. Die Luft ist hier wahrscheinlicher Weise besser, erfodert aber gute Lungen, sie hier in der Höhe über der Erde zu athmen – So lange ich über derselben bin, höher oder niedriger, wenn ich nur athme, werde ich beständig verbleiben,

mein liebster Philipps,
Ihr

   Edimburg,
den 13ten Junii.

ganz ergebener
J. Melford. 

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An den Doctor Lukas.

Lieber Lukas,

Der Theil von Schottland um Berwick herum, scheint von der Natur bestimmt zu seyn, zwey feindliche Nationen von einander abzuhalten. Es ist eine traurige Wüste von ziemlichem Umfange, die nichts hervorbringt, als Haide und Pfarrenkraut, und was sie noch graunvoller machte, als wir durchreiseten, war ein dicker Nebel, vor dem wir nicht über zwanzig Ellen vom Wagen wegsehen konnten – Meine Schwester begann saure Gesichter zu ziehn, und ihr Riechfläschgen zu gebrauchen. Liddy sah ganz weiß, und Jenkins ängstlich aus; in ein paar Stunden aber waren diese Wolken verzogen; zu unsrer Rechten erschien die See, und zur Linken entfernten sich die Gebirge ein wenig, und ließen eine angenehme Fläche zwischen sich und dem Strande; was uns aber alle Wunder nahm, war, daß diese Fläche, so weit man absehn konnte, voll Waitzen stund, so schön, als ich ihn jemals in der fruchtbarsten Gegend von England gesehn habe. – Diese schöne Saat steht im offnen Felde, ohne alle Befriedigung, und bekömmt keinen andern Dünger als alga Marina , oder Meergras, welches an dieser Küste häufig wächst; ein Umstand, welcher beweiset, daß Boden und Clima günstig sind; daß aber die Landwirthschaft hiesigen Orts noch nicht zu der Vollkommenheit gebracht werden, die sie in England erreicht hat. Eine Befriedigung von Graben und Hecken würde nicht allein den Boden warm halten, und die Aecker deutlich unterscheiden, sondern auch die Saat vor den starken Winden schützen, welche in dieser Gegend der Insel so häufig wehen.

Dunbar liegt sehr gut zum Handel, und hat einen artigen Hafen, worinn nicht zu schwere Schiffe sicher liegen können. Indessen scheint doch die Stadt nicht viele Geschäffte zu machen. Von hier aus, den ganzen Weg lang bis nach Edimburg, sieht man eine Kette von schönen Landhäusern, welche Adelichen und andern begüterten Leuten zugehören; und da ein jedes mit seinem eignen Wäldchen und Wirthschaftsgebäuden umgeben ist, so geben solche einen schönen Anblick, in einem Lande, welches übrigens offen und frey liegt. Zu Dunbar ist ein schöner Thiergarten mit einem Jagdhause, woselbst Oliver Cromwell sein Hauptquartier hatte, als Lesly an der Spitze der schottischen Armee sich auf die benachbarten Gebirge setzte und ihn dergestalt ängstigte; daß er genöthigt gewesen seyn würde, sich einzuschiffen, und zu Wasser zurückzukehren, hätte nicht der Fanatismus seiner Feinde die Vortheile vernichtet, welche sie durch die kluge Anführung ihres Generals gewonnen hatten. Ihre Geistlichkeit reizte sie durch Vermahnungen, Bitten, Zuversichtlichkeit und Prophezeihungen, von den Gebirgen herunter zu gehn, ungeachtet alles dessen, was Lesly thun konnte, der Raserey ihres Enthusiasmus zu steuren. – Als sie Cromwell in Bewegung sah, rufte er aus: »Gelobt sey der Herr! er hat sie in die Hand seines Knechtes gegeben,« und befahl seinen Truppen einen Dankpsalm zu singen, unterdessen daß sie in Ordnung auf die Ebne vorrückten, auf welcher die Schottländer mit großem Verluste geschlagen wurden.

In der Nachbarschaft von Haddington ist ein Edelguth; das Haus darauf zu bauen, und die Verbesserungen, die er umher vorgenommen hat, sollen dem Eigner, wie man sagt, vierzig tausend Pfund Sterling gekostet haben, und bey alledem kann ich nicht sagen, daß mir die Bauart des Hauses oder die Lage sonderlich gefallen hätte; ob es gleich vorne einen kleinen hellen Bach hat, dessen Ufer auf eine angenehme Art genutzt ist. Ich wollte dem Lord Elibank meine Aufwartung machen, den ich vor vielen Jahren die Ehre hatte in London zu kennen. Er hatte seine Güter in dieser Gegend von Lothian; allein er war nicht zu Hause. – Sie haben mich oft von diesem Herrn sprechen gehört, den ich lange wegen seiner Menschenfreundlichkeit und fast allgemeinen Kenntnisse verehrt habe; bey welchem allen er einen originellen Charakter hat, der höchst unterhaltend ist. Zu Musselburgh hatte ich dafür das Glück, mit meinem alten Freunde, Cardonel, Thee zu trinken; und bey ihm traf ich den Dr. C**, Pfarrer des Kirchspiels, an, dessen Unterredung mir ein heißes Verlangen einflößte, mit seiner Person näher bekannt zu werden. – Es wundert mich im geringsten nicht, daß diese Schottländer auf allen vier Theilen des Erdbodens gut durchkommen.

Dieser Ort ist nur zwey Stunden von Edimburg entfernt, wohin wir unsern Weg am Ufer der See wegfuhren, auf einem ebnen festen Sande, welchen die Ebbe trocken gelassen hatte. – Von ferne präsentirt sich Edimburg eben nicht zu seinem Vortheil. – Das Kasteel und den Obertheil der Stadt konnten wir nur sehr undeutlich sehen. Die Stadt schien sich immer zu verändern, so wie sich der Weg anders krümmte, und nur einzelne Thurmspitzen und stumpfe Kuppeln zu zeigen, die zu irgend einem großen Gebäude gehört hätten, das in Ruinen läge. Der königliche Pallast, Holyroodhouse, steht zur Linken, wenn man in Canongate fährt. – Diese Straße geht von hier an bis zu dem Thore, genannt Nether-Bow, welches itzt abgebrochen worden; so, daß sie ununterbrochen eine lange englische Meile, vom Fuße bis an die Spitze des Berges, fortgeht, auf welchem das Kasteel in einer prächtigen Lage zu sehn ist. In Ansehung ihres schönen Pflasters, ihrer Breite, und der hohen Häuser an beyden Seiten, würde dieses eine der besten Gassen in Europa seyn, wenn nicht der Himmel weis warum, ein häßlicher Haufen kleiner Gebäude, die sie Luckenbooths nennen, mitten in den Weg hingeworfen wären, wie etwan Middle Row in Holborn. Die Stadt liegt auf zwey Hügeln, und das Thal liegt zwischen beyden, und mit allen ihren Fehlern kann sie sehr wohl für die Hauptstadt eines mäßigen Königreichs durchgehn. – Sie ist voller Leute und ertönt unaufhörlich von dem Gerassel der Kutschen und andrer Fuhrwerke, sowohl des Luxus als des Gewerbes. So viel ich noch wahrnehmen kann, fehlts hier nicht an Lebensbedürfnissen. – Das Rind- und Hammelfleisch ist hier so schön, als in Wäles; die See giebt gute Fische im Ueberfluß; das Brodt ist sehr fein, und das Wasser vortrefflich; obgleich, wie ich besorge, nicht genug Vorrath vorhanden ist, für alle Erfoderlichkeiten der Reinlichkeit und der Küche; ein paar Artikel, worinn, wie man zugeben muß, unsre Nachbarn, die Schottländer, nicht gar zu genau sind. – Das Wasser wird von einem Berge in der Nachbarschaft durch bleyerne Röhren in eine Cisterne auf dem Hügel des Kasteels gebracht, von da wird es durch andre Wasserleitungen in die verschiednen Theile der Stadt in öffentliche Brunnen vertheilt. – Hieraus holen es männliche oder weibliche Wasserträger, und bringen es in kleinen Tonnen auf dem Rücken den Leuten in die Küchen, die zwey, drey, vier, bis acht Stockwerk hoch wohnen. Jedes Stockwerk ist ein vollständiges Haus, worinn eine besondre Familie wohnt; und die Treppe, welche für alle ist, wird gemeiniglich in einem sehr schmutzigen Zustande gelassen. Man muß gut zusehn, wo man hintritt, wenn man mit reinen Schuhen zu seiner Wohnung gelangen will. – Nichts kann einen stärkern Abstich machen, als der Unterschied innerhalb und außerhalb der Thüre; denn die guten Weiber dieser Stadt sind besonders eigen in den Zierrathen und der Reinlichkeit ihrer Zimmer, als ob sie die Absicht hätten, den Vorwurf von den einzelnen Personen aufs Publicum zu bringen. Ihnen ist die Methode, wie sie die Unsauberkeiten zu einen gewissen Stunde in der Nacht aus den Fenstern gießen, nicht unbekannt; es ist eben die Gewohnheit wie in Spanien, Portugall und in einigen Gegenden von Frankreich und Italien. – Eine Gewohnheit, mit der ich mich keinesweges vertragen kann; denn die Karrenführer, welche alle Morgen mit anbrechendem Tage den Unrath fortschaffen, mögen so sorgfältig seyn, als sie wollen: so bleibt doch immer genug liegen, sowohl die Augen als andre Organen desjenigen zu beleidigen, dem die Gewohnheit noch nicht die Sinne dagegen fühllos gemacht hat.

Die Einwohner fühlen nichts mehr davon, und sind geneigt, sich einzubilden, der Eckel, den man dagegen blicken läßt, sey wenig besser als Affectation. Sie sollten aber einiges Mitleiden mit den Fremden haben, die zu dieser Art Leiden nicht gewöhnt, und ein wenig überlegen, ob es nicht wohlgethan sey, auch mit einiger Mühe sich des Vorwurfs zu entladen, der ihnen über diesen Punct von ihren Nachbarn zur Last gelegt wird. Was die wunderbare Höhe ihrer Häuser anbelangt, so ist die in manchem Betracht ungereimt, aber ganz besonders in einem macht sie mich schaudern; und das sind die verzweiflungsvollen Umstände aller Familien oben im Hause, im Fall durch eine Feuersbrunst die Haustreppe unten unbrauchbar gemacht würde. Um den entsetzlichen Folgen zuvor zu kommen, die aus einem solchen Zufalle entstehn müßten, würde dieß eine kluge Anstalt seyn, in jedem Stockwerke von einem Hause ins andre Noththüren anzubringen, wodurch sich bey solchen Unglücksfällen die Menschen retten könnten. Allenthalben in der Welt sehn wir doch, daß die Macht der Gewohnheit stärker ist, als alle Vorschriften der Klugheit und Zuträglichkeit. – Alle Kaufleute, Schiffer und was zum Handel gehört, ja selbst die feinste Gesellschaft, sieht man jeden Tag von Ein bis Zwey Uhr auf einer offenen Gasse stehen, an einer Stelle, wo ehedem ein Marktkreutz stund, welches, im Vorbeygehn gesagt, ein hübsches Stück von gothischer Architektur war, und noch in dieser Nachbarschaft, in Sommervill's Garten zu sehen ist, – ich sage, diese Menschen stehen aus bloßer Gewohnheit lieber auf der freyen Gasse, als daß sie einige Schritte weiter nach der Börse gehen sollten, welche leer an der einen Seite steht, oder nach dem Parlamente dicht an der andern, welches ein prächtiger viereckter Platz ist, mit einer schönen Statue zu Pferde von Carl dem zweyten. – Diese hier versammlete Gesellschaft hört eine Reihe Stücke an, die ihr auf einem Glockenspiele, in einem nahe bey stehenden Thurme, vorgespielt wird. – Die Glocken sind rein von Ton und Stimmung, und der Musikus, welcher sie spielt und von der Stadt bezahlt wird, ist nicht ungeschickt, dergestalt, daß es wirklich ein Vergnügen ist, zuzuhören, besonders für einen Fremden, dem ordentliche musikalische Glockenspiele etwas neues sind.

Die öffentlichen Gasthöfe sind in Edimburg noch schlechter, als in London; allein durch Vermittelung eines würdigen Rechtsgelehrten, dem ich empfohlen worden, haben wir anständige Zimmer in dem Hause einer feinen Witwe, Namens Lockhart, bezogen; und hier will ich nun bleiben, bis ich alles gesehn habe was in und um dieser Hauptstadt merkwürdiges zu sehen ist. Ich fange an, die guten Wirkungen der Bewegung zu fühlen. – Ich esse wie ein Drescher, schlafe ununterbrochen von Mitternacht an, bis Morgens um acht Uhr, und meine Lebensgeister sind in einer beständigen gemäßigten Höhe, gleich weit entfernt vom Kriechen oder Fliegen. Allein was auch meiner Constitution für Ebbe und Fluth überkommen mag, mein Herz wird niemals die Empfindung verlieren, daß ich bin,

Mein liebster Lukas,
Ihr

  Edimburg,
den 18ten Julii.

treuergebenster Freund und Diener
M. Bramble.               

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An Jungfer Maria Jones, zu Brambleton-hall.

Liebe Mieckchen,

Ich habe einen Umschlag von Skweirs Güte gekriegt, darein er diesen Brief mit verschliessen will, sonst war es vor mir so weit hin zu schreiben – O, Marie Jones! Marie Jones! Ich hab einmal Anfechtung und Noth gehabt. Gott der stehe mich bey; Ich hab' Ihr lange Zeit eine rechte Hexe und Tater gewesen – Der Böse hat sein Spiel gehabt, und hat mich armen Hiob versucht in von Dittons Kleidern, den Walleh der Schambr des jungen Skweir meine ich; aber Gott gab Gnade, daß er mich nicht ganz untergekriegt hat. – Ja, ich meinte, es wäre nichts Böses dabey, daß ich in Newcastle einmal ins Komoedienhaus ging, mit meinen Haaren nach der neusten parisischen Mohde aufgesetzt; und das bischen Schminke! da sagt' er, ich sähe was blaß aus, und da ließ ich ihn meine Backen mit ein bischen spansche Wolle röder machen; aber der muthwilligte Pöbel von Matrosen und so rackalligen Zeug, die meinen, daß andre ehrliche Leute eben so schmierig hergehn sollen, als sie, die fielen uns auf der Strasse an, und scholten mir vor eine geschminkte Hure aus, und Isebelle, und beklecksten mich mein Kleid und verdurben mich ein paar dreydoppelte Angaschanten von blonden Spitzen, die noch gar nicht viel abgetragen waren – und kosteten mich meine baare sieben Ortsthaler zu Londen von Lady Kriskins Kammerjungfer.

 

Als ich Mosgeh Klinkerg fragte, was sie mit ihrer Isebelle meinten, da gab er mich die Bihbell in der Hand, und da laß ich von einer Isebel in das Buch der Könige, die sich geschminkt, und ihr Haupt geschmückt, und zum Fenster herausgekuckt hat, und die wurde zum Fenster heraus gestürzet, und die Hunde frassen sie auf. – Aber ich bin keine Huhre, und mein armes Fleisch wird ja Gott auch behüten, daß es kein Ahs wird, und daß es die Hunde auffressen, Amen! – Aber Ditton der hat mir soviel was Verliebtes gesagt, und so schön gethan, daß ich Wunder gedacht hätte, und nun ist er doch mit eines Irrländersbraut heimlich weggelaufen, und hat mich und seinen Herrn sitzen lassen und uns kein Wort davon gesagt. Aber meinetwegen mag er hingehn wo Kühe und Pferde gehn! Aber ich habe nur viel Aerger über ihn gehabt. Fröhlen hat mich ausgescholten, als ob sie von Sinn und Verstand währe; ob ich wohl auch den Trost dabey habe, daß die ganze Familige meine Parthie genommen hat, und so gar Mosgeh Klinkerg hat auf beyden Knien vor mich gebeten; ob schon, Gott weiß es, er wohl Ursach hatte, mir nicht recht gut zu seyn; aber es ist eine fromme Seele, und recht demüthiges Geistes, und davor wird er auch eines Tages mahl seinen Lohn empfahen.

 

Und nun, trauteste Mieckchen, sind wir Ihr in Hehdenbrug angekommen, unter die Schottländer, und die sind vor unser Geld höflich genung, ob ich schons ihren Schnickschnack nicht verstehn kann. – Aber sie sollten auch den Fremden nichts auf den Ermel binden; denn da hängen sie Ihr grosse Zettel an die Häuser, worauf steht Komohde Zimmer zu verhäuern, und denn ist dar doch in der ganzen Stadt keine rechtliche Komohdetät, und das arme Gesinde hat Ihr in der Welt nichts anders, als eine Tonne, worüber ein paar Latten liegen, und alle Stühlchens aus allen Kammern werden des Abends in diese Tonne ausgetragen, und denn, des Abends, wenns zähne ausgeschlagen hat, so wird Ihr das aus dem Fenster geschüttelt, das hinten so auf ein klein Gäßgen geht, und die Magd schreit: aufgeschaut, das heißt denn so viel als: Gott sey dir gnädig, wenn dirs aufn Kopf fällt. Und das geht Ihr so alle Abend die Gott werden läßt, in allen Häusern von ganz Hedenbruch zu. Nun kann Sie denken, liebe Mieckchen, was das vor ein herrlicher Geruch von so vielen Rauchfässern seyn muß, aber sie sagen, das währe gesund, und ich glaub es auch gewiß; denn mich ists recht wohl bekommen, als ich so saß und an Isebellen und Klinkerg dachte, da war mir so schlimm zu muthe, als ob ich meine Hestorie kriegen sollte, als sie diesen Umflaht, mit Gunst in Ihrer Gegenwardt zu sagen, ausgossen, der mich so mächtig in die Nase ging, daß ich dreymal niesete, und da befund ich mich wieder ganz munter und frisch. Und davon muß es auch wohl kommen, daß kein Mensch in ganz Hehdenbruch von hestörischen Zufällen was weiß.

 

Sie hatten mich auch weißgemacht, daß dar nichts zu kriegen währe, als Habergrütze und Hammelsköpfe: aber ich war eine einfältige Gans, daß ich das glaubte; ich hätte ja wohl denken können, daß da auch Hammelskeulen und Hammelschultern sein müssen, wo Hammelsköpfe sind. Noch an diesen hellen Tage habe ich des Mittags eine schöne Hammelsbrust und Blumenkohl dabey gegessen; und die Habergrütze und Mehl lasse ich dem Volke auf dem Lande über, das sind arme Schlafen, und viele haben Ihr nicht einmal Schuh oder Strümpfe auf den Beinen. – Mosgeh Klinkerg sagt zu mir, daß hier eine große Frommen Versammlung ist; aber, ich wünsche, ich wünsche, jemand von unsrer Familie mag nicht von dem wahren Wege abgefallen seyn! – O, wenn ich waschhaft währe – ich habe vor meiner eignen Thüre zu fegen – da ist ein Gelübäugelnd und ein Gethue gewesen zwischen Fröhlen und ein alt schottischen Ofzierder, der Kißmigheog heißt. Er sieht aus, als ob er den Kerl aus den Augen geschnitten währe, den unser Gärtner hingestellt hat, die Vögel von den Erbsen und Kirschen zu jagen, und was noch daraus kommen will, das weiß der liebe Himmel! Aber laß kommen was kommen will, von mir soll kein Mensch sagen, daß ich dar eine Silbe von gesagt habe. Grüß sie schönstens Salmey und meynen Murx. – Ich hoffe, sie haben meine Fiebel gekriegt, und werden hübsch fleissig darinn lernen, das ist mein Beten Tag und Nacht, und verbleibe

Ihre

Aedenbruch,
den 18ten Julii.

getreue bis in den Todt
Win Jenkins.     

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An Sir Watkin Philipps, Baronet, im alten Jesuitercollegio zu Oxford.

Mein liebster Philipps,

Wofern ich noch einige Tage in Edimburg bleibe, werde ich von Kopf bis zum Fuß ein wahrer Caledonier. – Onkel sagt, ich habe bereits Etwas vom hiesigen Accent angenommen. Die Leute sind hier so gesellig und so zuvorkommend höflich gegen Fremde, daß ich ganz unvermerkt in den Strom ihrer Sitten und Gebräuche hineingezogen bin; ob solche gleich in der That weiter von den unsrigen unterschieden sind, als Sie sichs einbilden können. – Diesen Unterschied indessen, der mir bey unsrer ersten Ankunft so sehr auffiel, werde ich itzt kaum mehr gewahr, und mein Ohr ist schon ganz an den schottischen Accent gewöhnt, den ich sogar im Munde eines hübschen Mädchens lieblich finde. – Es ist ein Ort von dorischen Dialect, welcher eine Idee von liebenswürdiger Einfalt giebt. – Sie können sich nicht vorstellen, wie wir in dieser guten Stadt Edimburg geliebkoset und tractirt werden! Durch besondre Gunst des Magistrats sind wir zu Freybürgern und Gildebrüdern aufgenommen worden.

In Bath ward mir eine drollige Commission an einen Edimburger aufgetragen – Als Quin hörte, daß wir Edimburg zu sehen dachten, zog er eine Guinee aus der Tasche, und bat mich um die Gefälligkeit, solche in dieser Stadt in einem Wirthshause mit einem seiner besten Freunde und Zechbrüder, Herrn R** C**, hiesigem Rechtsgelehrten, zu vertrinken. Ich nahm den Auftrag an, und sagte, indem ich die Guinee zu mir steckte; »Sie sehn, Ihr Trinkgeld habe ich im Sacke!« – »Ja, ja, (versetzte Quin mit Lachen,) und ein Kopfweh in den Kauf, wenn Sie ehrlich beym Glase zu Werke gehn.« Mit diesem Gewerbe führte ich mich bey Herrn C** ein, der mich mit offnen Armen empfieng, und mir, zufolge der Ausfoderung, den Kampfplatz bestimmte. Er hatte eine Gesellschaft lustiger Gesellen zusammen gebracht, unter denen ich mich sehr wohl befand, und Herrn C** und Quin nach besten Kräften Bescheid that. Aber, o wehe! ich war nur ein Lehrling unter lauter Altgesellen, die mit meiner Jugend Mitleiden hatten, und mich des Morgens nach Hause schafften, auf was Art, das mögen sie wissen. – Quin hatte sich gleichwohl in Ansehung der Kopfschmerzen geirret; der rothe Franzwein war zu aufrichtig, um mir einen so bösen Streich zu spielen.

Derweile Onkel Bramble mit den ernsthaftern Gelehrten der Stadt seine Conferenzen hält, und unsre Weiblein sich mit Besuchen bey den schottischen Damen was zu schaffen machen, welches die besten und gefälligsten Geschöpfe von der Welt sind, vertreibe ich mir die Zeit mit den jungen Wildfängen von Edimburg, welche bey einer großen Portion Witz und Lebhaftigkeit, eine gewisse schlaue Klugheit und Behutsamkeit besitzen, die man nicht oft bey ihren Nachbarn in ihren jugendlich frölichen Tagen wahrnimmt. – Nicht ein Wink entwischt einem Schottländer, den man zum Nachtheile irgend einer Seele in der Gesellschaft auslegen könnte, und national Sticheleyen hört man niemals. – In diesem Puncte, ich muß es gestehn, sind wir beydes ungerecht und undankbar gegen die Schotten. Denn, soweit ich urtheilen kann, haben sie eine wahre Hochachtung für die gebornen Engländer, und nennen unser Land niemals anders, als mit geziemenden Ausdrücken. – Nichts desto weniger sind sie weit davon entfernt, unsre Moden und modischen Laster knechtisch nachzuahmen. – Alle ihre Gebräuche, öffentliche und privat ökonomische Einrichtungen, bey Geschäfften und Lustbarkeiten, sind nach ihrer eignen Weise. Diese herrscht sichtbarlich in ihren persönlichen Betragen, ihrer Art sich zu kleiden, ihrer Sitte, ihrer Musik, und selbst in ihrer Kocherey. Unser Squire betheuret, daß er kein Volk unter der Sonne kenne, welches sich so deutlich durch seinen eignen Nationalcharacter auszeichne. – Weil wir doch einmal den Artikel der Kocherey berührt haben, so muß ich gestehn, daß einige ihrer Gerichte sehr wohlschmeckend und sogar delicat sind; allein ich bin noch nicht Schottländer genug, an ihren gesängten Hammelköpfen und Schaafs-Leberwürsten, die einst, als wir bey Herrn Mitchelson des Mittags aßen, auf unser Bitten aufgesetzt wurden, Geschmack zu finden. Die Ersten erinnerten mich an die Geschichte von Congo, in welcher ich gelesen habe, daß man Mohrenköpfe in öffentlichen Fleischbänken verkaufte; und das Letzte ist ein Mus von gehackter Lunge, Leber, Fett, Habergrütze, Zwiebeln und Pfeffer in einen Schaafsmagen gefüllt, welches eine schnelle Wirkung auf den meinigen that; und weil die zarte Tante Tabby blaß wurde, so ward der Gegenstand unsers Eckels alsobald, auf einen Wink unsers Wirths, vom Tische geschafft. Die Schottländer überhaupt sind dieser Composition sowohl, als dem Haberbrodte, mit einer Art von Nationalliebe zugethan. Das Haberbrodt wird an jedem Tische herum gegeben, in dünnen dreyeckigen Kuchen, welche auf einer eisernen Platte gebacken werden, die sie Gürtel nennen; und viele Schottländer, selbst von den Vornehmen, ziehn diese Kuchen dem Waitzenbrodte vor, welches man hier vollkommen gut hat. – Sie wissen, wir pflegten den armen Murray im Collegio aufzuziehn, und zu fragen, ob denn wirklich in Schottland keine andre Früchte wüchsen, als Steckrüben? – Und wahrhaftig! ich habe gesehn, daß sie auf dem Tische ihre Aufwartung gemacht haben, nicht etwa zum Nachtische, sondern als ein Hors d' oeuvre , oder Pierkeschüssel, wie man in Frankreich und Italien wohl Rettich und Radiesgen zwischen nahrhaftern Speisen aufsetzt; allein man muß auch anmerken, daß die Steckrüben hier zu Lande die engländischen eben so sehr an Süßigkeit, Saft und feinem Geschmack übertreffen, als eine Muskatmelone einen ordentlichen Krautstengel übertrifft. Sie sind klein, von konischer Figur, gelblich von Farbe, und haben eine sehr dünne Schaale, und außer ihrem angenehmen Geschmacke haben sie auch noch die gute Eigenschaft, daß sie gegen den Scorbut dienen. – An Früchten, wie sie die Jahrszeit mit sich bringt, als Kirschen, Johannisbeere und dergleichen, fehlt es hier nicht; und in den Gärten einiger Edelleute, die hier in der Nachbarschaft wohnen, sieht man die angenehme Hoffnung auf Abrikosen, Pfirsiche, Adamsfeigen und selbst auf Weintrauben: Ja, ich habe sogar einige Meilen von der Stadt schöne Ananas im Wachsthum gefunden. Und am Ende darf man sich auch über das Alles nicht wundern, wenn wir bedenken, wie wenig Unterschied unter dem hiesigen und dem Clima zu London ist.

Alle merkwürdige Oerter in der Stadt, und drey bis vier Meilen in der Runde, haben wir mit vielem Vergnügen besehn. Im Kasteel sind einige königliche Wohnungen, woselbst der Souverain gelegentlich residirt hat, und hier werden auch die Reichsregalien sorgfältig aufgehoben, bestehend in einer Krone, die von großem Werthe seyn soll, einem Zepter und einem Staatsschwerdte mit Juwelen besetzt. – Ueber diese Zeichen der Souverainetät ist das gemeine Volk äußerst eifersüchtig. Während der Sitzung des Unionsparlaments ward das Gerücht verbreitet, daß solche nach London gebracht wären, und das verursachte einen solchen Aufstand, daß man den Lord Commissionair in Stücken gerissen haben wurde, wenn er nicht den Pöbel dadurch gestillt hätte, daß er sie vorzeigte.

Der Pallast Holiroodhouse genannt, ist ein schönes Stück von Architectur, aber in einen dunkeln und, wie ich glaube, ungesunden Grund hingebauet, und man sollte denken, er wäre deswegen dahin gesetzt, daß er nicht zu Gesicht kommen sollte. Die Zimmer sind geräumig und hoch, aber ohne Möblen, und was die Portraits der schottischen Könige, von Fergus dem Ersten bis zum König William, anbelangt, das sind elend geschmierte Dinger; fast alle von einem Maler, und entweder aus dem Kopfe gemacht, oder man muß Karrenschieber zum Sitzen gemiethet haben. Alle Ergötzlichkeiten von London genießen wir hier in einem kleinen Cirkel. Hier ist ein wohleingerichtetes Concert, in welchem verschiedene Liebhaber auf allerley Instrumenten mitspielen – Die Schottländer sind alle musikalisch. – Wen Sie ansehn, der spielt seine Flöte, seine Violine oder sein Violonschell; und es ist hier ein Herr vom ersten Range, dessen Composition allgemein bewundert wird. – Unsre Gesellschaft von Schauspielern ist nichts weniger als schlecht; und man geht itzt mit einer Subscription zu Werke, um ein neues Theater zu bauen; was mir aber besser als alles andre gefällt, das sind ihre Assemblees.

Wir sind auf dem Balle nach dem Pferderennen gewesen, und ich war wirklich erstaunt, so viel hübsches Frauenzimmer zu sehn. – Die Engländer, die niemals über die Tweed gekommen sind, bilden sich irrigerweise ein, daß das schottische Frauenzimmer wegen persönlicher Annehmlichkeiten eben nicht merkwürdig sey; aber ich kann Sie mit gutem Gewissen versichern, ich habe niemals so viele Schönheiten beysammen gesehn, als bey dieser Gelegenheit. Bey diesem Rennen zu Leith kommt die beste Gesellschaft aus den entfernten Provinzen zusammen, dergestalt, daß wir, wie ich glaube, alle Schönheiten des Landes gleichsam unter einem Brennpuncte hatten; und der war denn freylich so heftig, daß mein Herz kaum seiner Gewalt widerstehen konnte. – Unter uns, es ist wohl ein wenig von den Strahlen der Augen der reizenden Miß R** versengt, mit welcher ich die Ehre hatte, auf diesem Balle zu tanzen. – Die Gräfinn von Melville zog die Augen und die Bewundrung aller derer auf sich, welche gegenwärtig waren – Sie wurde von der liebenswürdigen Miß Grieve begleitet, welche manche Eroberung machte, und meine Schwester Liddy blieb ebenfalls nicht unbemerkt. – Die jungen Herrn bringen in allen Gesellschaften ihre Gesundheit aus, unter dem Namen, der schönen Cambrier, und sie hat schon manches Weinvergießen veranlaßt; aber dem armen Mädchen begegnete auf dem Balle ein Zufall, der uns alle sehr besorgt machte.

Ein junger artiger Mensch, das treue Ebenbild von dem Schurken Wilson, gieng zu ihr, um sie zu einer Menuet aufzufodern, und diese plötzliche Erscheinung machte ihr einen solchen Schrecken, daß sie in Ohnmacht sank. – Ich nenne Wilson einen Schurken, denn, wenn er wirklich ein Edelmann wäre, der redliche Absichten hätte, müßte er sich da nicht schon längst in seiner wahren Gestalt gezeigt haben? – Ich kanns nicht leugnen, das Blut kocht mir vor Aerger in den Adern, wenn ich an des Kerls Verwegenheit denke; und nennen Sie mich was Sie wollen, wenn ich nicht – Nun, seyn Sie nur nicht so spaßhaft über mich zu spotten. – Die Zeit giebt mir noch wohl Gelegenheit! – Dem Himmel sey Dank, daß die Ursach von meiner Schwester Krankheit ein Geheimniß geblieben ist. Die Dame, welche die Ballwirthinn vorstellte, meynte, sie hätte es von der Hitze im Saale bekommen und führte sie also nach einem andern Zimmer, woselbst sie sobald wieder völlig besser ward, daß sie wieder kam und die Contretänze mit tanzte, bey welchen die schottischen Jünglinge solche Lebhaftigkeit und Fertigkeit zeigen, daß sie ihren Tänzerinnen alles mögliche zu schaffen machen, um es ihnen gleichzuthun. – Ich glaube, unsre Tante Tabby hatte sich die Hoffnung in den Kopf gesetzt, unter den Cavalieren in dieser Versammlung eine kleine Niederlage anzurichten – – Sie war einige Tage mit Putzmacher- und Schneiderfrauen zu Rathe gegangen, um sich auf die Gelegenheit vorzubereiten, und erschien dabey in einem vollen Kleide von Damast, so dick und so schwer, daß einem Menschen von irgend einiger Einbildungskraft schon der Schweiß ausbrechen mußte, wenn mans bey dieser Jahrszeit nur ansah. – Sie tanzte eine Menuet mit unserm Freunde Mitchelson, welcher seine Hospitalität und Höflichkeit bis zu diesem Grade trieb, und zum zweytenmale ward sie von einem jungen Laird of Ballymawhwaple ausgeführt, welcher von ungefähr herein kam, und in der Geschwindigkeit keine andre Tänzerinn finden konnte. Allein da der erste ein verheyratheter Mann war, und der andre ihren Reizungen keine besondre Huldigung leistete, die von der übrigen Gesellschaft eben sowohl übersehen wurden: so ward sie unzufrieden und tadelsüchtig. – Beym Abendessen machte sie die Anmerkung, die schottischen Herrn machten eine hübsche Figur, wenn sie ein wenig in der Fremde zugestutzt würden; und deshalb wäre es Schade, daß sie nicht alle so klug wären und auf Reisen giengen. – Das Frauenzimmer, sagte sie, wäre ungelenk, und hätte zu viel männliches an sich; beym Tanzen höben sie die Beine in die Höhe, wie junge Füllen; sie wüßten nichts davon, was eine anmuthige Bewegung wäre, und kleideten sich an, daß man vor ihnen weglaufen sollte. Die reine, lautere Wahrheit aber war indessen, daß Tabby selbst die lächerlichste Figur und am schlechtesten auf dem ganzen Balle angekleidet war. – Die Mannspersonen hatten sich nicht um sie bekümmert, das machte sie mißvergnügt und mürrisch; nunmehr war ihr in ganz Edimburg nichts nach ihrem Sinne, und sie lag ihrem Bruder in den Ohren, er möchte doch auf die Abreise denken, als sie sich auf einmal wieder, aus Gründen der Andacht, mit dem Orte aussöhnte. – Es giebt hier eine Sekte von Fanatikern, die sich unter dem Namen der Seceder von der Hauptkirche getrennt haben. – Sie wollen kein irrdisches Haupt der Kirche, keine weltliche Kirchenpatronen erkennen, und stimmen mit den Methodisten überein, in den Lehren von der Wiedergeburt, dem neuen Lichte, der zulänglichen Gnade, der Nichtigkeit der guten Werke und von den Wirkungen des Geistes. Tabby ward in Klinkers Begleitung in einer von ihren Conventikeln zugelassen, worinn sie beyde recht sehr viel Erbauung fanden; und sie hat das Glück gehabt, mit einem frommen Christen bekannt zu werden, der Herr Moffat heißt, ein mächtiger Beter ist, und der ihr oft in ihren privat Andachtsübungen beysteht.

Noch bey keinem Wettrennen in England habe ich einen solchen Zusammenfluß von vornehmen Leuten gesehn, als bey diesem zu Leith erschien. – Dicht dabey auf einem Felde, das sie Lincks nennen, ergötzen sich die Einwohner aus Edimburg mit einem Spiele, Golf genannt; hierbey bedienen sie sich artig gemachter Ketzer, die mit Horn eingefaßt sind, und kleiner elastischer Bälle von Leder mit Federn ausgestopft, fast noch kleiner als die Fangebälle, aber weit härter; diese schlagen sie mit einer solchen Gewalt und Geschicklichkeit von einem Loche zum andern, daß sie eine unglaubliche Weite fortfliegen. Von dieser Ergötzlichkeit sind die Schotten so große Liebhaber, daß Sie, sobald das Wetter es nur erlaubt, eine Menge Menschen aus allen Ständen finden, vom ältesten Richter an, bis zum geringsten Handwerker durcheinander in ihren Hemden, welche hinter den Bällen mit solcher Emsigkeit anlaufen, daß es eine Lust anzusehen ist. – Unter andern zeigte man mir eine eigne Kameradschaft Golfers, wovon der jüngste über achtzig Jahre alt war – Es waren lauter Männer, die von ihren eignen Mitteln lebten und sich den größesten Theil eines Seculums mit diesem Spiele belustigt hatten, ohne es jemals müde oder krank zu werden; und sie giengen niemals zu Bette, ohne daß sie ihren Schlaftrunk wenigstens aus der vierten Bouteille Franzwein nahmen. Solch eine tägliche Bewegung des Körpers, wenn die scharfe Seeluft dazu kommt, muß ohne Zweifel eine herzliche Lust zum Essen machen, und den Körper gegen alle gewöhnliche Anfälle von Unpäßlichkeit ausstählen.

Das Pferderennen zu Leith gab Anlaß zu einer andern Lustbarkeit von einer ganz besondern Art – Zu Edimburg giebts eine Gilde oder Brüderschaft von Gewerbbestellern, die man Cawdies nennt, welche des Abends mit papiernen Leuchten auf den Gassen aufpassen, und zum Ausschicken sehr nützlich sind. – Diese Kerlen, so zerlumpt sie hergehn, und so plump und gemein sie in ihren Worten seyn mögen, sind außerordentlich schlau und verschlagen, und wegen ihrer Treue so berühmt, daß man kein Beyspiel weis, daß ein Cawdie was veruntrauet hätte; und ihre Aufmerksamkeit auf alles geht so weit, daß sie nicht allein jeden Menschen in der Stadt kennen, sondern sogar jeden Fremden, sobald er nur vier und zwanzig Stunden in Edimburg ist; und nichts kann so heimlich vorgehn, daß sie nicht in Erfahrung bringen sollten. – Man sagt auch, sie sollen besondre Geschicklichkeiten besitzen, eins von den Geschäfften Merkurs auszurichten, ob ich sie gleich darinn niemals auf die Probe gestellt habe. – Wenn ich dergleichen Dienste nöthig hätte, so ist mein eigner Kerl, Archy M'Alpine so gut geschickt dazu, als es nur ein Cawdie in Edimburg seyn kann; und ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht ehmals zu der Brüderschaft gehört hat. Dem sey, wie ihm wolle, sie hatten den Einfall, zu Leith ein Mittagsessen und einen Ball zu geben, zu welchen sie förmlich alle junge Herrn, vom Adel und andre, einladeten, die bey dem Wettrennen waren; und dieser Einladung gaben sie durch die Versichrung einen Nachdruck, daß alle die berühmten Damen, die Kloster und Ehestand, nur die Männer nicht haßten, das Fest mit ihrer Gesellschaft schmücken und zieren würden. – Ich empfieng meine Karte gleichfalls, und gieng mit einem halben Dutzend von meinen Bekannten hin. – Man deckte in einem großen Saale, auf einer langen Reihe zusammengeschobener Tische, und hieran setzte sich die Gesellschaft, auf achtzig Personen stark, Lords, Lairds, junge Herrn, Bettschwestern und Cawdies durch einander, wie die Sklaven und Herrn zu Rom in den Zeiten der Saturnalien. – Der Ceremonienmeister der Gesundheiten, welcher am Oberende des Tisches saß, war ein Cawdie, Namens Fraser, ein ausgelernter Zubringer, und bekannt, als ein schlauer und drolliger Kerl, in seiner Profession allen Gästen beyderley Geschlechts sehr bekannt, und von allen verehrt. – Er hatte die Mahlzeit und den Wein besorgt: und darnach gesehn, daß alle seine Zunftbrüder in anständiger Kleidung und reiner Wäsche erscheinen mußten; er selbst trug zur Ehre des Festes eine dreyknotige Perucke. – Ich versichre Sie, Watt, das Banquet war zierlich, es fehlte an nichts, und wurde mit tausend schnurrigen Einfällen gewürzt, welche jedermann munter und aufgeräumt machten. – Als der Nachtisch abgenommen war, brachte unser Herr Fraser folgende allgemeine Gesundheiten aus, welche ich hier nicht erklären kann. – »T**, B**, J**, C**, Gibb's Contract. – Bettlers Wunsch. – Der König und die Kirche. – Großbritannien und Irrland.« Drauf füllte er einen Bumper und sagte, indem er sich an mich wendete: »Mester Melford, Fried und Einigkeit zwischen John Bull und Miecke seiner Schwester!« – Die nächste Person, die er sich aussah, war ein Lord, der lange auf Reisen gewesen war. – »Ma Lord,« (schrie Fraser,) »hier ist ein Bumper aufs Wohl aller hochadelichen Herrn, die ihr Vaterland so lieb haben, daß sie ihre Renten zu Hause verzehren«. Dann wendete er sich an ein Parlamentsglied und sagte: »Mester – ich weis, Sie haben nichts einzuwenden, daß ich ausbringe: Schaam und Schande aufn Kopf eines jeden Schotten, der sein Gewissen und seine Stimme verkauft.« Er ließ einen Dritten fliegen, gegen einen sehr reich gekleideten Menschen, der von einem sehr kleinen Anfange zu Etwas gekommen war, indem er im Spiele ein großes Glück gemacht hatte. Er füllte sein Glas, rufte ihn bey Namen auf, und, »lang lebe,« (sagte er,) »der Soldat, der mit leeren Tornister ins Feld zieht, und mit einem Sack voll Silber in die Winterquartiere kommt.« Nachdem alle diese Gesundheiten mit lauten Beyfall aufgenommen worden, foderte mein Fraser große Quartiergläser, füllte sein eignes bis an den Rand voll, stund auf, und alle seine Mitbrüder folgten seinem Exempel, dann rufte er: »Ma Lords und meine Herrn, hier ist ein Glas zur schuldigen Danksagung, für die große und unverdiente Ehre, die sie heute Ihren armen Gewerbbestellern wiederfahren lassen haben.« Als er das ausgesprochen, tranken er und die übrigen ihre Gläser in einem Augenblicke leer, verließen ihre Sitze, und stellten sich ein jeder hinter einen von den übrigen Gästen, und ruften: »Nun sind wir wieder Ew. Gnaden Cawdies.«

Derjenige Lord, den Frasers Satyre zuerst angezapft hatte, machte Einwendungen gegen seine Abdication. Er sagte, da die Gesellschaft auf Einladung der Cawdies erschienen wäre, so erwartete er auch, daß die Bewirthung auf ihre Kosten geschehen würde. – »Ja nicht, Mylord,« (sagte Fraser,) »um alles in der Welt nicht, wollte ich so unverschämt seyn. – Ich habe noch keinen Herrn beleidigt, so lang ich geboren bin, und nun bin ich viel zu alt, eine solche honette Compagnie von Herrschaften zu beschimpfen.« – »Nun denn, (sagte der Lord,) da Du Deinen Witz nicht geschont hast, so hast Du ein Recht, Dein Geld zu sparen. Du hast mir eine gute Lehre gegeben, und ich will sie in Gutem annehmen. Da Du Deinen Platz freywillig verlassen hast, so will ich, wenns die Gesellschaft erlaubt, Deine Stelle bekleiden, und es soll mir sehr lieb seyn, wenn man mich als Bonifacius erkennen will.« – Er ward alsbald zum Meister vom Stuhl erwählt, und mit einem Bumper in seinem neuen Charakter becomplimentirt.

Die Gläser giengen ohn' Unterlaß so lange herum, bis sie zu tanzen schienen, wenn sie auf dem Tische standen, und dieß war vielleicht ein Wink für die Damen, um die Musik zu fodern. – Um acht Uhr des Abends hub in einem andern Zimmer der Ball an. Um Mitternacht ward wieder gegessen; allein es war heller lichter Tag, eh' wir unsern Weg nach Hause finden konnten, und Se. Lordschaft hatte gewiß eine artige Rechnung abzuthun.

Kurz zu sagen, ich habe seit einigen Wochen so im Schwärmen gelebt, daß mein Onkel anfängt, meiner Gesundheit wegen besorgt zu werden, und macht sehr ernsthaft die Anmerkung, daß alle seine Schwächlichkeiten von solchen Ausschweifungen herkommen, die er sich in der Jugend erlaubt habe. Tante Tabby sagt, es würde sowohl für meinen Leib als meine Seele viel heilsamer seyn, wenn ich, anstatt diese liederliche Gelage zu besuchen, Herrn Moffat und sie begleiten, und eine Predigt von dem Hochehrwürdigen Herrn M'Corkindale mit anhören wollte. – Klinker vermahnt mich oft mit einem herzlichen Seufzer, ich sollte doch für meine liebe Gesundheit Sorge tragen, und selbst Archy M'Alpine, wenn er ein wenig zu tief eingeguckt hat, (welches sich öfter zuträgt, als ich wohl wollte,) hält mir eine lange Predigt, über die Nüchternheit und Mäßigkeit; und ist dabey so überweise und so spruchreich, daß ich ihn gerne als Lehrer und Bedienter fahren lassen wollte, wenn ich ihn nur einen Professorstuhl zu verschaffen wüßte; denn des Lehrens und Vermahnens habe ich im Collegio schon bis zum Eckel gehabt.

Indessen müssen Sie auch nicht glauben, daß ich so tief in das etwas wilde Leben zu Edimburg hinein wäre, daß ich die Meinigen darüber ganz hindan setzte; das nicht! Wir haben nicht allein alle Dörfer und Lustgärten bis auf vier Meilen um die Stadt herum mit einander besehn, sondern wir sind auch über den Firth gefahren, der ein Arm von der See, ein paar gute Meilen breit ist, und welcher Lothian von Shire of fife, oder, wie es die Schottländer nennen, Kingdom of fife , scheidet. Es liegen immer eine Anzahl großer offner Seeböte bereit, von Leith nach Kinghorn, einem Flecke an der andern Seite, über zu setzen. In eins von diesen setzte sich vor drey Tagen unsre ganze Haushaltung, meine Schwester Liddy ausgenommen, welche zu furchtsam vor Wasserreisen ist, und also bey Madame Mitchelson zu Hause gelassen wurde. Wir kamen bald und gut über nach Fife, und besuchten da viele trübselige Städte längst der Küste, worunter auch St. Andreas gehört: ein Scelet von einer ehrwürdigen Stadt. Besser gefielen uns hingegen einige edle und zierliche Landhäuser und Schlösser, deren es in diesem Theile von Schottland eine Menge giebt. Gestern setzten wir uns wieder bey gutem Winde und Wetter in ein Boot, um nach Leith zurückzukehren; wir waren aber noch nicht die Hälfte unsers Weges gekommen, als der Himmel sich plötzlich überzog, der Wind sich drehte, und uns gerade ins Gesicht blies, dergestalt, daß wir genöthigt waren, entweder umzukehren, oder den übrigen Weg zu laviren. Kurz, die Kühlung, wie es die Bootsleute nannten, wuchs zu einem Sturme von Wind und Regen, und dabey war ein solcher Nebel, daß wir die Stadt Leith nicht sehen konnten, wohin wir wollten; nicht einmal das Edimburger Kasteel, ob es gleich so hoch liegt. Man kann sich leicht vorstellen, daß uns allen bey dieser Gelegenheit nicht gar wohl zu Muthe seyn mochte. Dabey wandelte den meisten Passagiers eine Uebelkeit an, welche ein heftiges Treiben zum Erbrechen hervorbrachte. Meine Tante bat ihren Bruder, er möchte doch den Schiffern befehlen, daß sie nach Kinghorn umkehrten; er that auch wirklich den Vorschlag; allein sie versicherten, es habe keine Gefahr. Als Tabitha sah, daß sie sichs nicht einreden lassen wollten, fieng sie an zu schelten, und foderte, mein Onkel sollte sein Ansehn, als Friedensrichter brauchen. Bey aller seiner Uebelkeit, und so mürrisch er auch war, konnte er doch bey diesem weisen Verlangen das Lachen nicht lassen, wobey er ihr sagte, sein friedensrichterliches Ansehn erstrecke sich nicht so weit, und thäte's auch, so würde er doch den Leuten ihren Willen lassen, denn er wäre nicht naseweis genug, einen alten Hahn zu lehren, wie er krähen sollte. Jungfer Jenkins war mit Humphry Klinkers Hülfe darüber aus, Magen und Gewissen ein für allemal zu erleichtern; und er vereinigte sich mit ihr im Gebete und Ergießungen. – Er hielt es für so ausgemacht, daß wir auf dieser Welt nicht lange mehr bleiben würden, daß er dem Fräulein Tabitha mit geistlichem Troste zusprechen wollte, welchen sie aber sehr höhnisch von sich wies, und sagte, er sollte seine Predigten für solche Leute aufsparen, welche Zeit hätten seinen Schnickschnack anzuhören. – Mein Onkel saß gleichsam in Gedanken, ohn ein Wort zu sprechen; mein Kerl Archy suchte Trost bey einer Branteweinsflasche, und machte sich so vertraut mit ihr, daß ich glaubte, er hätte einen Eid gethan, nicht vom Seewassertrinken zu sterben, und sollte er sich auch lieber im Brantewein ersäufen: aber der Brantewein machte ihn auch eben so wenig trunken, als obs wirklich Seewasser gewesen wäre. – Ich für mein Theil, fühlte solche Magenübelkeiten, daß ich sonst an nichts denken konnte. – Unterdessen giengen die Wellen thurmhoch, das Boot krachte so heftig, als obs in Stücken brechen wollte; das Thauwerk rasselte, der Wind heulete, der Blitz knisterte, der Donner rollte, und der Regen fiel wie ein Wolkenbruch nieder. – So oft der Steuermann Rheh rufte, und das Boot gedreht wurde, schlug soviel Wasser herein, daß wir bis auf die Knochen naß wurden. Wir hatten so lange lavirt, daß wir dachten, wir müßten nahe an den Vorsetzen seyn, aber da waren wir so weit zurück getrieben, daß die Bootsleute selbst anfiengen zu besorgen, es möchte zu tief ebben, eh' wir unter Wall und Wind kommen könnten; der folgende Strich, den wir ablavirtem brachte uns gleichwohl in glattes Wasser, und wir stiegen um Ein Uhr des Nachmittags glücklich auf den Vorsetzen ans Land. – »Ganz gewiß,« (schrie Tabby, als sie fühlte, daß sie Terra Firma unter den Füßen hatte,) »wäre kein Gebein von uns allen davon gekommen, wenn der Himmel nicht ganz besonders über uns gewacht hätte.« – »Freylich,« (versetzte mein Onkel,) »aber ich halte es sehr mit jenem ehrlichen Hochländer, dem man auch sagte, als er eben eine solche Reise gehabt hatte, er sey dem Himmel Dank für seine Errettung schuldig«: »Ja wohl, (sagte Donald,) aber ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich dem Himmel die Mühe wieder mache, so lange noch die Brücke zu Stirling steht.« Sie müssen wissen, daß die Brücke zu Stirling etwa zwanzig englische Meilen aufwärts des Flusses liegt, der hier seine Mündung hat. – Ich finde nicht, daß Onkels Gesundheit durch diesen Seesturm gelitten hat; aber die arme Liddy fängt an zu kränkeln. Ich fürchte, das arme Mädchen hat einen Dorn im Herzen, und diese Besorgniß quält mich heftig, denn es ist wirklich ein liebenswürdiges Geschöpf.

Morgen oder Uebermorgen gehn wir nach Stirling und Glasgow; und wir sind willens, vorher ein wenig die hochländischen Gegenden zu besehen, ehe wir unsern Lauf Südwärts richten. – Unterdessen empfehlen Sie mich allen Freunden um Carfax herum, und halten Sie mich beständig für den

Ihrigen

  Edimburg,
den 8ten August.

J. Melford.

 

 

Ende des zweyten Bandes.

 


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