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12. Kapitel
Mamsell Turnaus Sorge

Madame Busse läuft im Morgenkleid über den Liebfrauenplatz und Mamsell Turnau sorgt sich um ihre Schule. Nettchen will Lateinisch lernen, sie geht mit ihrer Mutter über den Blumenberg und die drei Frauen Dibelius wollen helfen. Mit der Post kommt eine Fremde an und der Postwirt hält sie für eine vornehme Dame; in der Mädchenschule gibt es eine Überraschung.

 

Weil die stille Woche dieser Osterzeit von einer gar so lieblichen, sonnenwarmen Frühlingsherrlichkeit gewesen war, wurde es den Neustädtern bange: würde sich das Wetter halten, würde es schöne Feiertage geben? Der Ostersonntag löste dann alle Zweifel, der stieg in Glanz und Schimmer herauf, und wenn ihn ein Dichter hätte besingen wollen, hätte er das Papier nach der Elle messen müssen.

Für die gute Madame Busse am Liebfrauenplatz aber brachte dieser schöne Morgen gleich eine trübe Stunde. Ihre alte Freundin, Mamsell Turnau, ließ ihr sagen, sie könne nicht zum Mittagessen kommen, sie sei ein bißchen erkältet, nur ein klein winziges bißchen, und eigentlich sei sie ganz gesund.

»Na, so was, das ist nun Unsinn von der guten Turnau,« rief Madame Busse. »Krank ist sie, bitter krank, das merke ich schon, wenn einer fünfunddreißig Jahre lang zu seiner Freundin zum Osteressen kommt, bleibt er nicht wegen einem bißchen Schnupfen weg. Lieber Gott, ist sie gar schon tot!« Und Madame Busse lief gleich, so wie sie war, im Morgenkleid und Morgenhaube, über den Liebfrauenplatz in das Sträßchen hinein, in dem Mamsell Turnau wohnte. Die war nun glücklicherweise noch nicht gestorben, aber krank war sie sehr, matt, fiebrig lag sie auf ihrem Lager.

»Lieber Himmel, gute Turnau, was fehlt Ihnen?«

»Nichts,« stöhnte das alte Fräulein, das so ungern irgend jemand Mühe und Sorge bereitete, »nichts, liebe Busse.«

»Nichts ist drin, sagt der Bauer, wenn er seine Scheunen rappelvoll hat,« rief Madame Busse ärgerlich. »So eine Antwort. Meine gute Turnau, Sie sind krank, und da muß der Doktor her, damit basta'«

»Meine Schule, ach, meine liebe Schule, was wird aus ihr?« klagte die alte Lehrerin.

»Schule hin, Schule her, jetzt sind Osterferien und nachher – na, kommt Zeit, kommt Rat. Ich hab's aber immer gesagt, Turnau, es wird zu viel, Turnau, die Plage hält kein Mensch aus.«

»Ach, lieber Himmel, Plage, eine Freude war's, meines Lebens Freude, wenn ich nur bloß eine Nachfolgerin wüßte.«

»Ich kann's nicht sein,« brummte Madame Busse, »und jetzt ist der Doktor wichtiger als eine Nachfolgerin. Die Mädchen lernen ohnehin viel zu viel, ist gar nicht nötig, denen sind lange Ferien nur gut.«

Die Eltern von Mamsell Turnaus Schülerinnen dachten nun freilich anders als Madame Busse, die Klage über des alten Fräuleins Krankheit durchzog laut das ganze Städtchen. Täglich klopften ein paar Besuche am Gartenhäuschen an, und wenn Mamsell Turnau alles das Eingemachte, die Eier, die gebratenen Hühnchen und Täubchen, Gesundheitskuchen, Fruchtsäfte, starken Weine und dergleichen hätte essen und trinken sollen, was für sie gebracht wurde, sie wäre wohl dreimal an verdorbenem Magen gestorben. Ihre Schülerinnen pflückten wahre Riesensträuße für die kranke Lehrerin. Die Mütter konnten noch so oft mahnen, »nicht zu viel«, jeden Tag liefen flinke junge Füße durch das Gartensträßchen zu Mamsell Turnaus Haus, und alle Vasen, Töpfe, Tassen, alle nur entbehrlichen Küchengefäße füllten sich mit Blumen. Hanne, die nicht sehr poetische, aber sehr fleißige treue Magd, sagte oft kopfschüttelnd: »Eine Kuh könnte man mit allem Grünzeug satt füttern.«

Auf ihrem Krankenlager quälte sich Mamsell Turnau immer mit der einen schweren Sorge: hätte ich doch eine Nachfolgerin, könnte ich mein Amt doch in sanfte, liebevolle Hände legen.

Und Mamsell Turnaus tiefe Sorge besprachen auch die Mütter: wer übernimmt das Amt, wer führt die Schule weiter?

Wenn zwei Mütter zusammen kamen, redeten sie davon, und bei den Kaffeebesuchen gab es schon kein anderes Gespräch mehr. Und dabei sagte der Arzt immer: »Schonung, Schonung, lange, lange Ruhe.«

Zu den allerbetrübtesten Schülerinnen gehörte Nettchen Dibelius. In den reinen hellen Kammern ihres kleinen zärtlichen Herzens wohnten zwar viele Menschen, aber Mamsell Turnau hatte dort ein ganzes Kämmerchen für sich. Onkel Jukundus bekam Nettchens Sorge zu hören, alle Tage, denn noch mehr als sonst weilte Nettchen jetzt bei ihm. Beweglich war auch ihre Klage um das Nichtlernen, so groß schien ihr Kummer darum zu sein, daß Herr Butzebach eines Tages heiter sagte: »Ja, Nanette, wenn du gar so gern lernst, dann will ich dein Lehrer sein, will dir Stunden geben, willst du?«

»Ja, oh ja!« Nettchen sprang von dem Bänkchen, auf dem sie zu des Onkels Füßen gesessen hatte, auf und fiel ihrem alten Freund um den Hals. Ehe der sich aber noch recht besonnen hatte, raste Nettchen schon davon, mit einer Eile, als wäre Feuer ausgebrochen. Was war nur in das Kind gefahren?

Zehn Minuten später kam Nettchen zurück, eine leinene Büchertasche am Arm: »Da bin ich, Onkel Jukundus, ich habe nur die Bücher geholt, wollen wir anfangen?«

»Jetzt gleich?«

»Ja, jetzt gleich!«

»Oh, Nanette Dibelius, so eilig hast du das Lernen, warum wohl?«

Nettchen gab nicht Antwort, aber sie hatte es wirklich sehr eilig mit dem Lernen, und sie war so eifrig, daß sie oft mahnte: »Du mußt mir mehr aufgeben, Onkel Jukundus.«

Und einmal mitten in der Stunde tat sie einen kellertiefen Seufzer und rief: »Ich möchte Lateinisch lernen!«

Herr Butzebach ließ das Buch sinken, er sah seine Schülerin ernst und nachdenklich an. »Sage einmal, Nanette,« fragte er, »warum willst du gar so viel lernen?«

Das Mädchen wurde rot, aber es hielt den Blick aus. »Peter soll mich nicht auslachen als Erster, und Jochen Busse, und die anderen sagen immer: Mädchen lernen nur Quark.«

»Darum also nur! Nicht um des Lernens willen! Aus Ehrgeiz, nicht aus Freude?«

Da senkte Nettchen nun doch den Blick. War's wirklich nur darum? Sie gab keine Antwort, aber sie sann lange der Frage nach, und ein paar Tage später, Onkel Jukundus, der karg im Loben war, gab ihr eine Arbeit mit dem Wort zurück, »sie ist gut«, da fiel ihm Nettchen wieder um den Hals und rief: »Es macht mir auch Freude, viel Freude, Onkel Jukundus.«

»Dann ist's recht, dann wollen wir vergnügt weiter lernen.«

»Ob Peter jetzt auch mit Freude lernt?« Nettchen dachte es eigentlich nur, aber der Gedanke wurde ungewollt zur Frage, und Herr Butzebach lächelte dazu: »Hoffentlich!« meinte er kurz. »Nun weiter, wir waren gestern auf Seite 38 stehen geblieben.«

Doch Nettchen schaute noch immer über das Buch hinweg, ihr brannte noch eine Frage auf dem Herzen, seit dem Ostersonnabend schon quälte sie die.

»Nun, Nanette, was willst du noch?«

»Kommt Peter wieder zurück?« Da war es heraus.

»Zurück nach Neustadt, ach nein! Er soll nur bleiben, wo er ist und dort tüchtig weiterlernen.«

»Wenn – wenn er aber Sehnsucht hat, Onkel Jukundus.«

»Törichtes kleines Mädchen du, Sehnsucht überwindet man. Und Neustadt ist nicht einmal Peters Heimat. Zu seiner Mutter kann er nicht, da gibt es kein Gymnasium.«

Weil aber Nettchens Augen noch immer fragten, fügte Herr Butzebach tröstend hinzu: »Mal in den Ferien wird er schon kommen. Schade, daß seine Mutter nicht hier ist.«

Da senkte sich Nettchens Blick auf das Buch, doch ein Lob bekam sie an diesem Tage nicht mehr. Sie war wunderlich zerstreut, ihr war unversehens etwas eingefallen, aber das erschien ihr selbst so töricht und unmöglich, daß sie es niemand zu sagen wagte. Selbst Onkel Jukundus nicht. Dabei fragte der am Schluß der Stunde liebevoll: »Willst du noch etwas wissen?«

»Nein,« murmelte Nettchen verlegen und lief dann eilig mit ihrer leinenen Büchertasche heimwärts. Draußen, ein paar Schritt weiter, traf sie die Mutter, die von einem Ausgang zurückkehrte. »Ich soll dich grüßen, Nettchen. rate, von wem?«

»Von Mamsell Turnau,« rief Nettchen rasch, und ehrlich fügte sie hinzu: »du hast ja heute früh zum Vater gesagt, du wolltest hingehen.«

»Sie ist noch so matt, die Arme,« sagte Frau Dibelius halb zu sich selbst, »und immer die Sorge, was aus ihrer Schule werden soll.«

Nettchen hängte sich an ihrer Mutter Arm, und beide schritten gemächlich unter den Kastanien dahin, die die Straße breit überschatteten. Nur wenige weiße Blütenkerzen leuchteten noch aus dem Grün heraus, denn das große, wunderbare Frühlingsblühen neigte sich schon seinem Ende zu.

»Komm, Nettchen, es ist noch früh, da gehen wir beide noch in die Grabenecke zur Schieberten,« sagte Frau Dibelius, »ich will sie zur nächsten Woche bestellen.«

Die Schieberten war eine vielbegehrte Näherin, und die Grabenecke war ein Gäßlein wie ein Regenwurm, einen Graben gab's nicht darin, und statt eine Ecke zu bilden, lief das Gäßlein in den Blumenberg hinein. Das wieder war kein Berg, und Blumen gab es spärlich; winzige armselige Häuser, Gärtchen wie Handtücher groß, das zeigte: hier wohnen keine reichen Leute.

Und doch hauchte an diesem Maientag ein Jasminbusch süße Düfte über die Armseligkeit, und die Sonne hatte goldene Tücher auf die Dächer gelegt. Nettchen kam selten hierher, und bei dem Jasminbusch fiel es ihr ein, vor einem Jahr, vor ihrem bitteren Streit, da war sie mit Peter durch diese Gasse gelaufen, und plötzlich fragte sie dringlich: »Nicht wahr, hier wohnen auch reiche Leute?«

»Oh nein, die Allerärmsten gerade,« entgegnete Frau Dibelius.

»Dann ist Peters Mutter schrecklich arm.«

»Wie kommst du denn auf einmal darauf?« Frau Dibelius sah das Mädchen erstaunt an, »Peter Hagemeisters Mutter ist eine Frau Professor, die wird schon nicht in einem solchen Gäßchen wohnen.«

»Doch,« beharrte Nettchen, »Peter hat mir's erzählt.« Sie zeigte auf den Gartenzipfel mit dem Jasminbusch, darunter stand eine kleine Bank. »Genau so, hat Peter gesagt, sei's zu Hause.«

»Wie gut dann, daß Herr Butzebach sich Peters angenommen hat!« Von großer Armut hatte sie nichts geahnt, der Rektor und seine Schwester schwiegen darüber, Frau Dibelius ahnte nicht, wie stolz Peters Mutter in der Armut war und ungern Hilfe nahm, aber ihr gütiges Herz umfing gleich die ferne, fremde Frau mit freundlichen Gedanken. »Sie hat noch zwei kleine Mädchen,« sagte sie nachdenklich.

Nettchen nickte, und wieder kam ein Kellerseufzer aus ihrer Brust.

»Was hast du denn, Kind?«

»Ich möchte dir was sagen, aber – es ist so sehr dumm, und du lachst mich aus.«

»Nein, ich lache dich nicht aus.«

Die beiden waren vom Blumenberg aus in einen Winkel gekommen, da lief ein kleiner grüner Weg auf ein paar große Gärten zu; der war ganz einsam um diese Stunde, und hier wagte Nettchen endlich zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag. »Peters Mutter könnte – Mamsell Turnau werden.«

»Du meinst, ihre Schule übernehmen?« fragte Frau Dibelius überrascht, »ja, warum denkst du denn das?«

»Peter hat mal gesagt, seine Mutter sei viel klüger als Mamsell Turnau.«

Frau Dibelius lachte. »Wenn das Peter denkt, braucht es noch nicht zu stimmen, und eine Schule haben, ist ein schweres Ding, so leicht kann unsere gute Mamsell Turnau nicht ersetzt werden. Doch nun müssen wir umkehren, es wird sonst zu spät.«

Sie gingen wieder durch das kleine Gassengewirr, und Nettchen, froh, ihren dummen Gedanken herausgeredet zu haben, schwatzte nun vergnügt und erzählte von der Stunde bei Onkel Jukundus. Sie ahnte nicht, daß die Mutter ihr Wort im Herzen bewegte und ihm nachzugehen gedachte, still, gütig und klug, wie es ihre Art war.

Darüber vergingen etliche Wochen, und Nettchen hatte längst ihren Plan vergessen, ebenso wie sie vorläufig vergessen hatte, daß sie Lateinisch lernen wollte. Sie war aber unentwegt fleißig bei ihrem Onkel Jukundus, obgleich Mamsell Turnau wieder Schule hielt.

Ach, diese fröhliche Schule hatte sich sehr verändert! Immer sah Mamsell Turnau müde aus, und die Mädchen spürten es, ihr Lärmen und Lachen tat der Lehrerin weh. Sie gaben sich zwar redliche Mühe, still zu sein, aber das Lärmen und Lachen kam ohne ihr Zutun, auf einmal jauchzten sie, kreischten, eine Tür rutschte ihnen aus der Hand, Bücher fielen zur Erde, Stühle krachten, und alle diese, sonst so milde gelittene Unruhe machte Mamsell Turnau müde. Sie sagte es selbst: »Es geht nicht, ich brauche Hilfe.«

Der Arzt und die guten Freunde sagten es alle, aber wo fand sich gleich eine Helferin? Ganz Neustadt konnte man um und um drehen, drin gab es niemand zum Ersatz. Draußen im Land, in den großen Städten vielleicht? Aber wer spann da die Fäden in die Weite?

Eines Tages nahmen der guten Mamsell Turnaus Sorge die drei brauen Dibelius in die Hand, und alle drei überlegten klug und vorsichtig, gütig und hilfsbereit zugleich, wie der alten Lehrerin und einer anderen zugleich zu helfen sei. Herr Jukundus Butzebach wurde befragt, der Rektor Hagemeister dazu, aber alles ging so fein geheimnisvoll von statten, niemand merkte etwas. Nettchen Dibelius schon gar nicht. Die zählte die Rosenknospen in ihrem Garten und dachte an den wunderschönen Königstag, der sich bald jährte.

Es mochte wohl so ziemlich am gleichen Tage sein, da kam eine fremde Dame nach Neustadt. Frühmorgens mit der Post. Es wehten freilich keine Fahnen, die Türen waren nicht umkränzt, aber trotzdem sagte der Postwirt gleich, als die schlichte Frau nur ausstieg: »Das ist etwas Besonderes.«

Auf dem Posthof stand nämlich die Magd aus dem Dibeliushause mit einem riesengroßen Strauß; die knixte tief und bestellte der Fremden von der Madame Justizrätin und der Mamsell Dibelius die besten Willkommengrüße, und Mamsell Dibelius käme gleich selbst.

»Donner, Donner, so 'ne Ehre,« brummelte der Wirt, und er machte die allertiefsten Verbeugungen. Ehe er aber noch fragen konnte, wer die Fremde sei, kam Mamsell Malve über den Marktplatz und holte dem Wirt, schwipp, schwapp, seine vornehme Gastin hinüber in das Dibeliushaus. Und wieder ein wenig später eilte Mamsell Hagemeister in das Dibeliushaus und die junge Madame Dibelius. Da sagte der Wirt jedem, der es hören wollte, auch denen, die nicht zuhörten: »Eine furchtbar vornehme Dame, vielleicht gar eine Gräfin sei bei Justizrats drüben eingetroffen.«

Mamsell Turnau war an diesem Morgen recht zerstreut. Immer sah sie nach dem Garten hinaus, sie fragte und hörte die Antworten kaum – und mitten in einem Lesestück stand sie auf und sagte: »Wir bekommen Besuch!«

Wir, hatte Mamsell Turnau gesagt? Die Großen, denn die hatten gerade Stunde, reckten die Hälse und schauten neugierig auf den Weg, den sie ein Endchen überblicken konnten; wirklich, da kam Nettchens Tante Malve mit einer fremden Dame. Würde die in die Klasse kommen?

Mamsell Turnau ging den Gästen entgegen. Nicht lange, dann kamen die beiden Damen mit in das Zimmer, sie setzten sich rechts und links von dem Nähtisch nieder und die Stunde ging weiter.

Wer war die Fremde? Vielleicht eine Nachfolgerin der guten Mamsell Turnau?

»Kinder, paßt doch auf.« Die Lehrerin rief es ein klein wenig ungeduldig. »Was soll denn unser Gast denken. Nettchen Dibelius, sag' du mal den Vers!«

Doch Nettchen hörte gar nicht. Die sah nur unverwandt die Fremde an. War das – konnte es sein?

»Aber Nettchen, schläfst du?«

Die Mädchen kicherten. Mamsell Dibelius brummte: »Na, ich denke, unser Nettchen ist so brav,« und die Fremde lächelte ein wenig. Ein gutes, verstehendes Lächeln war es, und sacht nickte sie Nettchen zu, als wollte sie sagen: »Wir kennen uns.«

Da wußte Nettchen auf einmal, das war Peter Hagemeisters Mutter! Das Wissen machte sie froh, Peters Mutter hier, hier in Mamsell Turnaus Schule.

illustration: Arthur Scheiner

Wer war die Fremde?

»Nettchen, Nettchen Dibelius, warum gibst du keine Antwort?«

»Friedrich der Zweite, König von Preußen, wurde geboren am 24. Januar –«

»Ja, Mädchen, was sagst du, ist denn das ein Gedicht?«

Mamsell Turnau wollte streng aussehen, es gelang ihr aber nicht, sie lachte, die Mädchen lachten, Mamsell Dibelius lachte und auch die fremde Frau lachte gut, herzlich, warm; und als das die alte Lehrerin sah, dachte sie: »Nun ist's gut, nun habe ich wirklich eine Nachfolgerin gefunden.« –

Und Frau Professor Hagemeister, Peters Mutter, übernahm wirklich Mamsell Turnaus kleine Schule. In den Sommerferien zog sie ein. Sie bezog im Nachbarhaus eine kleine Wohnung und Mamsell Turnau blieb in ihrem lieben Häuschen wohnen. Ein paar Stunden wollte diese noch geben, aber die Hauptlast nahm Frau Hagemeister auf ihre Schultern. Sie war des neuen Amtes froh, nun konnte sie selbst für ihre Kinder sorgen und eine Arbeit tun, die ihr lieb war. Mit ihr waren ihre Mädchen gekommen, Line und Lotte. Die waren so blond und blauäugig wie Peter, und Nettchen Dibelius nahm sich ihrer sehr sorglich und mütterlich an, »weil sie so viel, viel jünger waren«; zwei und drei Jahre betrug dieser große Altersunterschied.

»Und wann kommt Peter?« fragte Nettchen einen Tag nach Frau Hagemeisters Einzug ihren Onkel Jukundus sehr dringlich.

»Wenn's Zeit ist, und noch ist's nicht Zeit!«

Und damit mußte sich Nettchen zufrieden geben.


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