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Kasperle als Helfer

Kasperle hatte einen Freund, der war Lehrling bei Herrn Klipperding. Herr Klipperding besaß in Torburg ein großes Geschäft, in dem es viele Dinge zu kaufen gab: Mehl, saure Gurken, Rosinen, Mandeln, Heringe, Kaffee, Käse, Petroleum und andere schöne Dinge. Die Leute sagten, Herr Klipperding wäre geizig. Das war er auch, sehr sogar. Sein Lehrjunge Fritz hatte keine guten Tage bei ihm, viel Arbeit und wenig zu essen gab es. Wenn Kasperle seinen Freund besuchen wollte, mußte es immer am Nachmittag kommen, wenn Herr Klipperding schlief, denn sonst wurde geschimpft.

Und Kasperle war nicht sehr fürs Schimpfen, es war mehr für Rosinen, Mandeln und andere gute Dinge, die es alle im Laden von Herrn Klipperding gab, und von denen Kasperle nie etwas bekam, denn der Ladenbesitzer paßte scharf auf, und Fritz war sehr ehrlich.

Kasperle konnte es gar nicht begreifen, wie einer die Schubladen voll all der guten Dinge besitzen und einem Kasperle nie etwas davon abgeben konnte. Das war entschieden geizig.

An diesen geizigen Herrn Klipperding dachte Kasperle gerade, als es an einem schönen Frühlingstage seinen Freund Fritz traf. Der blieb stehen, und Kasperle blieb auch stehen.

Beide sahen einander an und Fritz sah, daß Kasperle so vergnügt wie immer aussah; Kasperle aber sah, daß Fritz geweint hatte. Das tat ihm sehr leid, und es fragte nach des Freundes Kummer. Da erzählte ihm Fritz, sein Onkel sei gestorben, und er möchte gern um der Tante willen, die er sehr lieb hatte, zu dem Begräbnis fahren.

»Na, fahre doch«, sagte Kasperle.

»Herr Klipperding erlaubt es nicht.«

»Das ist unverschämt.«

»Aber Kasperle, er sagt, er wird allein nicht fertig.«

»Dann will ich ihm so lange helfen«, sagte Kasperle gutmütig.

Fritz sah Kasperle zweifelnd an; er dachte, daß es in der Handlung vielleicht nicht so recht am Platze sein würde, darum meinte er: »Das wird Herrn Klipperding wohl nicht recht sein.«

»Ich tue so, als ob ich du wäre.«

Fritz, der gut einen Kopf größer war als Kasperle, lachte: »Das geht doch nicht, du bist ja viel zu klein«, erwiderte er.

Kasperle seufzte. Aber es gab die Hoffnung noch nicht auf. »Vielleicht tut er es doch, komm, wir gehen zu ihm.«

»Aber du kannst doch nicht im Laden verkaufen!«

»Doch, das kann ich.«

Fritz zweifelte zwar sehr daran, auch daß sein Lehrherr einwilligen würde, Kasperle als Stellvertreter einzustellen. Er ging aber schließlich doch mit zu Herrn Klipperding. Der machte ganz runde Augen vor Erstaunen.

Ein Kasperle als Verkäufer in seinem Laden, das schien ihm doch sehr bedenklich.

Auf einmal fiel ihm ein, daß Kasperle ja bei Bäckermeister Hummel gewesen war und viele Leute in dessen Laden gegangen waren, nur um Kasperle zu sehen. Vielleicht würde es bei ihm auch so werden. Aufpassen, daß Kasperle nicht naschte, wollte er schon.

Er überlegte noch eine Weile, aber das Überlegen dauerte Kasperle zu lange. Es stellte sich vor die Türe und schnitt Grimassen. Gleich blieben ein paar Leute stehen und einige kamen auch in den Laden, und einer kaufte gleich ein halb Pfund Rosinen für Kasperle.

Das gefiel Herrn Klipperding ebenso gut wie Kasperle.

Dies dachte, das gehe so weiter, und aß schnell die Rosinen auf. Es ging natürlich nicht so weiter, aber Herr Klipperding war für den Anfang ganz zufrieden. Er sagte daher sehr freundlich zu Kasperle: »Also Fritz kann morgen reisen, wenn du mir hilfst. Morgen abend kommt ja Fritz wieder zurück.«

Fritz bedankte sich sehr, und Kasperle versprach, am anderen Tage zu helfen.

Da geschah ein Wunder. Herr Klipperding griff in eine Schublade und schenkte jedem der beiden Freunde drei gedörrte Birnen.

Drei gedörrte Birnen waren Kasperle aber zu wenig. Es gab seine drei Birnen Fritz und sagte sehr gnädig: »Iß du sie, ich mag keine mehr.«

Hei, dachte Herr Klipperding, Kasperle ist gar nicht so naschhaft, wie ich gedacht habe. Ich brauche also nicht so genau auf ihn aufzupassen. Daß sich Kasperle gerade vornahm, morgen tüchtig zu essen, ahnte er allerdings nicht.

Fritz durfte noch an dem Abend fahren, denn Kasperle versprach, am nächsten Morgen pünktlich zu kommen.

Es hielt auch Wort, obgleich es ihm an dem Morgen besonders gut im Bett gefiel, stand es doch schon vor dem Laden, als Herr Klipperding die Ladentüre aufschloß.

Der lobte es sehr über sein pünktliches Kommen. Höchst einträchtig gingen beide in den Laden hinein, und Herr Klipperding sagte: »Da steht dein Frühstück, trink eine Tasse Kaffee.« Er selbst wollte erst ein Plakat für das Ladenfenster schreiben und darauf aufmerksam machen, daß Kasperle heute bei ihm verkaufe, damit recht viele Leute in den Laden kommen sollten.

Kasperle sah sich indessen nach dem Frühstück um. Eine Kanne voll Kaffee stand da, sonst nichts. Kasperle trank also den Kaffee aus, dann ging es zu Herrn Klipperding und bat: »Gib mir etwas zu essen, ich habe Hunger.«

»Schon?« fragte der Ladenbesitzer, »du hast doch noch nichts getan.«

»Ich werde aber etwas tun«, erwiderte der kleine Strick, »ich werde mich vor den Laden stellen und sagen, Herr Klipperding ist geizig, der gibt mir nichts zu essen.«

Da sah Herr Klipperding ein, daß mit einem Kasperle nicht so leicht fertig zu werden war. Daß er geizig sei, wollte er sich nicht nachsagen lassen. Er gab also Kasperle ein großes Stück Brot, und als Kasperle rief: »Wurst muß darauf!«, gab er ihm auch Wurst.

Kasperle war damit zufrieden. Als es beim besten Schmausen war, kam der erste Kunde.

»Na, dir geht es gut hier«, sagte der zu Kasperle.

Das gefiel Herrn Klipperding wohl, und noch besser gefiel es ihm, daß der Mann hinzufügte: »Bei Herrn Klipperding gefällt es dir gewiß.«

»Das weiß ich noch nicht, das mußt du heute abend fragen, Zuckerle hat er mir noch nicht gegeben.«

Das fand nun Herr Klipperding frech, und es ärgerte ihn, daß der Herr darauf antwortete: »Die wirst du schon noch bekommen.«

Nach diesen Worten ging er hinaus, und die beiden, die zurückblieben, sahen ihm enttäuscht nach. Sie hatten beide erwartet, er würde Kasperle Süßigkeiten kaufen. Daran dachte aber sonst niemand. Kasperle konnte auch, so oft jemand kam, den Wunsch aussprechen, es möchte dies und das haben, niemand kaufte es ihm.

Das verdroß es, und seine Gedanken waren nicht mehr bei der Arbeit. Es füllte Salz statt Zucker in die Tüte und Petroleum statt Himbeersaft in Flaschen, wickelte einen Rollmops zur Butter und Käse zur Seife. Es tat noch mehr solche Dinge.

Weil aber die Frau, die den Himbeersaft verlangte, an der Flasche roch und die Frau mit dem Rollmops ihr Töpfchen leer fand, wurde alles gleich festgestellt, und eine große Empörung entstand im Laden. Alle schalten auf das Kasperle, und Herr Klipperding sagte, er würde es nachher verhauen. Das wollten wieder ein paar mitleidige Frauen nicht. Und ein besonders mitleidiger Mann kaufte eine Tüte Backpflaumen für Kasperle und sagte, die würde es zur Belohnung bekommen, wenn es verspräche, ihnen allen am Nachmittag etwas vorzukaspern, dann würden sie alle wiederkommen.

Das versprach Kasperle, und die Sache war damit abgetan. Kasperle bekam seine Backpflaumen und die Leute beruhigten sich. Die Frau mit dem Himbeersaft bekam eine andere Flasche, nur die Frau, die Zucker hatte haben wollen, hatte nicht in ihrer Tüte nachgesehen. Sie ging nach Hause, schüttete das Salz in den Pudding, den sie kochen wollte und den dann niemand nachher essen konnte. Sie hatte viel Ärger dadurch und beschloß, Kasperle am Nachmittag dafür zu bestrafen.

Kasperle war unterdessen guter Dinge. Herr Klipperding hatte das Hauen aufgegeben und sprach ganz freundlich mit Kasperle von dem versprochenen Spiel am Nachmittag. Kasperle, dem es schon ein bißchen langweilig im Laden war, weil der Kundenbesuch nachließ, erklärte plötzlich, es müßte zum Kasperlemann gehen und ihn für heute nachmittag bestellen, denn ohne ihn könnte es nicht so gut spielen.

Das war Herrn Klipperding ganz recht. Er war nämlich froh, Kasperle für eine Weile loszuwerden.

Kasperle nahm also seine Backpflaumen und ging auf die Straße. Dabei fiel ihm ein Streichlein ein, das es Herrn Klipperding spielen könnte. Jedesmal, wenn es einen Buben traf, spuckte es ihm einen Pflaumenkern entgegen und rief: »Backpflaumen und Backbirnen gibt es heute bei Herrn Klipperding umsonst.« Einige Buben ließen sich nun das Wort zu einem Ohr herein-, zum andern wieder hinausgehen. Sie dachten, Kasperle ist ein Spaßvogel. Andere wieder glaubten es und machten sich auf die Beine und liefen vor Herrn Klipperdings Laden.

Dort versammelte sich eine ganze Schar Buben, und einer, der sehr mutig war, ging zuerst hinein und verlangte kühn Backpflaumen.

»Wieviel willst du denn?« fragte Herr Klipperding freundlich. »Ein Pfund.« Der Bub dachte, wenn man etwas umsonst kriegt, ist es besser, wenn man mehr verlangt. Und er bekam sein Pfund. Als er es in Händen hatte, lief er so schnell aus dem Laden, daß Herr Klipperding gar nichts mehr vom Bezahlen sagen konnte, doch die Mutter des Buben war eine gute Kundin von ihm, die auch manchmal etwas aufschreiben ließ.

Als Klaus Schäfer, so hieß der Junge, aus dem Laden kam, umringten ihn gleich seine Kameraden und fragten, ob das mit den Backpflaumen stimme, wie es Kasperle gesagt hatte. Er wies ihnen stolz die Tüte und alle staunten, denn gleich ein Pfund geschenkt zu bekommen, kam ihnen märchenhaft vor.

Und fünf Paar Bubenbeine liefen gleich darauf auch in den Laden hinein. Herr Klipperding sah die fünf Buben mißtrauisch an: »Was wollt ihr?«

»Backpflaumen.«

»Alle?«

»Ja, und jeder ein Pfund!« rief der Dreisteste.

»Habt ihr denn Geld?«

»Nä, das brauchen wir doch nicht.«

»So, wer sagt denn das?«

»Kasperle!« ertönte es im Chor.

Und nun kam die ganze Geschichte heraus, und Herr Klipperding jagte die Buben alle zum Laden hinaus. Die klagten Klaus Schäfer an und sagten, er hätte sie betrogen. Weil aber Klaus ein gutmütiger Bube war, teilte er seine Pflaumen mit den Kameraden, und als sie gerade miteinander schmausten, kamen noch mehr angerannt, denen Kasperle auch die Kerne entgegengespuckt hatte, die riefen gleich: »Ho, die essen schon.«

Und flink hinein gingen sie in den Laden und ebenso flink kamen sie wieder heraus. Denn im Laden stand Herr Klipperding und verteilte unverlangt und kostenlos Backpfeifen statt Backpflaumen, und die gefielen den Buben gar nicht.

Es gab ein großes Geschrei, und währenddem kam Kasperle und machte das unschuldigste Gesicht von der Welt, als ihm alle ihre Vorwürfe entgegenschrien.

»Du Lügenpeter!« rief ihm Herr Klipperding zu.

»Ich habe nicht gelugen«, antwortete Kasperle entrüstet.

»Doch, du hast gelogen.«

»Ich lugte nicht.« Kasperle war beleidigt.

Da sagte ein Nachbar, der belustigt zuhörte: »Erzähle mal, wie es war.« Und Kasperle erzählte mit einem so verschmitzten Schelmengesicht, daß alle lachten. Gelogen hatte es wirklich nicht, nur ein Späßlein gemacht. Als es aber von den drei Backbirnen erzählte, wurde Herr Klipperding sehr verlegen, denn alle lachten über das große Geschenk, und Kasperle, das das wohl merkte, nahm sich vor, die Geschichte am Nachmittag noch einmal zu erzählen. Da rief Herr Klipperding: »Kasperle komm nur rein zum Mittagessen.«

»Gibt’s Schweinebraten und Pudding?« fragte Kasperle.

»Nein, Kartoffelsuppe.«

»Hach, davon kriege ich Magenschmerzen!« schrie Kasperle.

»Dann paß auf den Laden auf«, sagte Herr Klipperding. »Setz dich vor die Türe auf die Bank und ziehe hier an dieser Klingel, wenn jemand kommt.«

Sprach’s und schloß die Ladentüre hinter sich zu. Nun war Kasperle ausgesperrt und konnte nicht zu all den guten Dingen gelangen, die es im Laden gab. Der Nachbar aber war ein mitleidiger Mann, der lud Kasperle zu sich zum Essen ein. Er versprach ihm auch einen großen Eierkuchen, und Kasperle aß sich pumpelsatt und vergaß darüber die Klingel, bis sein Gastgeber, der den Laden von seinem Fenster aus beobachten konnte, mahnte: »Drüben stehen Leute, du mußt hinübergehen und Herrn Klipperding rufen.«

Das tat denn Kasperle auch, und ohne zu fragen, was die Leute, die ihn lachend begrüßten, eigentlich wollten, riß es an der Klingel.

Herr Klipperding kam, schloß die Türe auf, und Kasperle schrie: »Die wollen alle etwas kaufen.«

»Nur herein, meine Herrschaften«, sagte Herr Klipperding erfreut.

»Wir wollen gar nichts kaufen, wir wollen nur Kasperle sehen.«

Das war eine Enttäuschung für Herrn Klipperding, der erst noch sein Mittagsschläfchen halten wollte und deshalb ein wenig unwirsch antwortete, sie sollten später wiederkommen, jetzt würde Kasperle noch nicht spielen. Dann sah er sich nach Kasperle um. Ja! wo war das?

Im Laden stand es in der Nähe der Dattelkiste.

Halt, das gibt es nicht, dachte Herr Klipperding, ging in den Laden und schloß die Türe zu. Da konnte niemand mehr hereinsehen. Kasperle erschrak und ging geschwind von der Dattelkiste weg. Herr Klipperding gebot ihm nun, mit einer Leiter auf ein hohes Regal zu steigen und sich dort oben hinzusetzen. Kasperle dachte, es solle dort oben kaspern und stieg ganz gehorsam hinauf. Als es aber oben war, nahm sein Herr die Leiter weg und meinte lachend: »So, nun kannst du nichts mehr anstellen im Laden. Nun bleibst du oben sitzen, bis ich meinen Mittagsschlaf gehalten habe.«

Kasperle sah ihn nachdenklich an. Aber Herr Klipperding konnte nicht in Kasperles Augen lesen. In denen stand nämlich: Bist du aber dumm, zu denken, ich könnte von hier oben nicht ohne Leiter runterklettern.

Herr Klipperding ging also in die Wohnung, seinen Mittagsschlaf zu halten, und kaum war er fort, stieg Kasperle von seinem hohen Sitz herab und steckte sich die Taschen voll feiner, schmackhafter Dinge. Dann stieg es wieder auf seinen Sitz hinauf. Das Regal schwankte bedenklich, aber das störte Kasperle nicht weiter. Das saß oben und dachte sich ein feines Späßlein, während es schmauste. Auf einmal rutschte es wieder vom Regal herab, suchte sich einen Bindfaden, kletterte an der Ladentüre hoch und band den Faden vorsichtig an die Klingel, dann stieg es wieder auf seinen Sitz auf dem Regal zurück. Dabei zog es an der Klingel und hörte gleich darauf Herrn Klipperding kommen. Kasperle war gerade oben angelangt, als dieser in den Laden kam und sich erstaunt umsah.

»Wer hat denn geklingelt?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Kasperle und zog dabei aus Versehen an dem Bindfaden. Wieder klingelte es, und doch war niemand zu sehen. Herr Klipperding staunte. Er war etwas kurzsichtig und konnte deshalb den Faden nicht sehen. Wieder klingelte es, die Klingel hüpfte nur so. »Ich glaube, es ist ein Gespenst«, sagte das unnütze Kasperle. Und als es nochmals klingelte, rief Herr Klipperding erschrocken seine Frau herbei: »Pauline, komm mal her, hier spukt’s.«

Frau Pauline kam angewatschelt, und da sie nicht kurzsichtig war, sagte sie: »Ach wo, der Kasper ist’s.« Und ritsch-ratsch schnitt sie den Faden durch. Nun hatte es ausgeklingelt. Herr Klipperding war sehr wütend und drohte: »Na warte, wenn du herunterkommst, dann gibt es was.«

Das ist nie eine angenehme Aussicht. Kasperle überlegte, was es tun sollte. Da kam eine Frau in den Laden und Kasperle dachte, es wäre vielleicht doch gut, jetzt auszureißen, während Herr Klipperding die Kundin bediente. Es begann also vom Regal herunterzuklettern. Da rief Frau Pauline: »Kasper, du fällst!« Das Regal wackelte hin und her, und bums, krach, fiel es um und das ganze Regal lag mitten im Laden.

Die Kundin fragte: »Geht die Kasperle-Vorstellung schon an?«

»Eine nette Vorstellung«, knurrte Herr Klipperding wütend. Er überblickte das Durcheinander auf dem Boden. Da kollerten Erbsen herum, da lag Stärke und Grieß, und mitten drin lag Kasperle stumm und steif und verdrehte seine Augen.

Herr Klipperding erschrak. War Kasperle etwas geschehen? Er rief ängstlich: »Kasperle, steh auf!«

»Ich stirbse«, antwortete Kasperle.

»Man muß den Doktor holen!« rief Frau Pauline.

»Nä, den Doktor brauch ich nicht, Malzzucker genügt mir.«

Diesmal half aber Kasperle seine Frechheit nichts. Es bekam keinen Malzzucker, sondern Herr Klipperding drohte mit dem Stock. Also stand Kasperle auf und begann die Erbsen aufzulesen. Es stöhnte dabei, als wäre es schwerkrank, und Herr Klipperding drohte: »Wenn es nicht schneller geht, mußt du es heute abend nachholen.« Gerade zehn Erbsen hatte Kasperle eingesammelt, und einige Hundert lagen noch auf dem Boden verstreut, als der Kasperlemann kam und zu Herrn Klipperding sagte, es wäre nun Zeit, mit dem Kasperlespiel anzufangen, denn sonst würden die Leute ungeduldig.

Ungeduldig sollte aber niemand vor seinem Laden werden. Herr Klipperding sagte also zu Kasperle, jetzt solle es anfangen zu spielen, heute abend könne es dann die Erbsen fertig auflesen. »Das werden wir sehen«, brummte Kasperle.

Als Kasperle vor den Laden trat, wurde es von alt und jung mit großem Jubel empfangen, und es fing gleich an, die Geschichte von den geschenkten drei Backbirnen zu erzählen. Alle lachten natürlich. Das ärgerte Herrn Klipperding schwer.

Da kam eine Frau mit einem großen Teller voll Pudding.

»Soll der für mich sein?« fragte Kasperle erfreut.

»Ja, allein für dich.«

»Hach, wie fein!«

Kasperle nahm den Teller, sagte auch »Danke schön!« und schlang gleich ein großes Stück hinunter.

Jemine schnitt das Kasperle ein Gesicht! Es würgte und würgte, warf plötzlich den ganzen Pudding der Frau an den Kopf, fiel der Länge nach hin und erklärte wieder einmal: »Ich stirbse, ich bin vergiftet.«

Gab das eine Aufregung. Alle Zuschauer umdrängten die Frau und fragten, was sie denn mit Kasperle gemacht hätte. Als sie erzählte, es sei nur Salz gewesen, das ihr Kasperle statt Zucker verkauft hätte, gab es ein allgemeines Gelächter.

Kasperle nahm das Lachen arg übel. Es schrie immer mehr und jammerte, es könne nicht mehr kaspern. Es sei aus damit. Das wollten sich die Leute aber nicht gefallen lassen, und es entstand eine große Streiterei. Die einen gaben der Frau mit dem Pudding die Schuld, die andern schalten auf Kasperle. Wer weiß, was noch daraus geworden wäre, wenn nicht der Nachbar gefragt hätte, was es denn essen müßte, um wieder kaspern zu können.

Hei, wie da Kasperles Augen glitzerten! Es fing an, alle guten Dinge aufzuzählen, die Herr Klipperding in seinem Laden hatte, nannte zum Schluß noch allerlei Kuchensorten, vor allem Pfannküchlein und Windbeutel.

»Kasperle, das ist zuviel«, sagte der Nachbar, »eins von den vielen Dingen ist genug.«

»Ist nicht zuviel!« schrie Kasperle unwirsch.

»Etwas darfst du dir wünschen, aber nur eins, mehr nicht.«

Kasperle sah wohl, daß es dem Nachbar ernst war. Also verlangte es Malzzucker. Den aß es so schrecklich gern.

Herr Klipperding gönnte Kasperle gern die besten Sachen aus seinem Laden, wenn sie andere für den Kleinen kauften und bezahlten. Er gab darum dem Nachbar für gutes Geld den Malzzucker, und Kasperle konnte schmausen. Das tat es auch mit Behagen. Aber selbst die größte Tüte Malzzucker ist schnell leer, wenn einer so schlingt wie Kasperle. Auf einmal war Kasperle fertig und schrie: »Mehr!«

Es gab aber nicht mehr, und Kasperle entschloß sich endlich zu spielen. Erst schnitt es allerlei Gesichter, dann spielte es ein Stück mit einem Gespenst, und dann noch eins mit der Prinzessin Gundolfine, bei dem es abwechselnd als Kasperle und als Prinzessin auftrat. Die Zuschauer kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus, und es strömten immer mehr herbei.

Herr Klipperding stand mit seiner Frau Pauline vor der Ladentüre und ärgerte sich, daß von all den Zuschauern keiner in seinen Laden kam und einkaufte. Er sagte ein paarmal zu seiner Frau: »Nachher muß Kasperle noch die Erbsen auflesen, das wird ihm nicht geschenkt.«

Kasperle hatte das gehört, und da es gar keine Lust hatte, Erbsen aufzulesen, überlegte es, wie es sich davor drücken könnte.

Es schrie plötzlich: »Platz da, jetzt schießt das Gespenst einen Purzelbaum!« Alle wichen zur Seite, und heidi hopsassa purzelbaumte Kasperle über die Straße, und auf einmal war es verschwunden.

Die Zuschauer warteten noch lange, aber Kasperle kam nicht wieder. Die Kinder suchten es vergeblich, es lag längst in seinem Bett und ruhte sich von der Arbeit aus.

Herr Klipperding mußte seine Erbsen selbst auflesen. Da wurde er wütend auf Fritz, aber der kam auch nicht wieder. Seine Tante, die nach dem Tod des Onkels ganz allein stand, nahm ihn zu sich.

Seitdem konnte Herr Klipperding Kasperle nicht mehr leiden, doch das machte sich nichts daraus.


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