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Sturm

Und der Sturm kam.

Erst schwankte das Schiff nur etwas hin und her.

Das wurde heftiger und heftiger und auf einmal tanzte das Schiff wie ein Kinderkahn auf dem Wasser.

Blitze zuckten, Donner krachten.

Der Sturm toste, daß niemand den andern verstehen konnte. Und allen wurde es himmelangst in ihren Kabinen.

Jedes legte einen Rettungsgürtel um, und damit krochen sie in den Speisesaal zurück. Gehen konnte niemand mehr, so sehr schwankte das Schiff.

Im Speisesaal trafen sich alle.

Auch Mister Stopps kam mit der Prinzessin, von Kasperle geführt. Ja, Kasperle führte. Kasperle war der einzige von den Passagieren, der sich auf seinen eigenen Beinen halten konnte. Auf einen Purzelbaum kam es dem Kasperle nicht an. Und als die Prinzessin klagte, ihr wäre so übel, purzelbaumte Kasperle in die Küche, er wußte, wo der dicke Koch seinen Kirschgeist aufbewahrte. Den holte er. Es war übrigens gut, daß er wußte, wo die Flasche stand, denn der Koch lag am Boden und wollte sterben. Kasperle hatte Mitleid mit ihm und gab ihm auch Kirschwasser zu trinken, gleich aus der Flasche, das focht Kasperle nicht an.

Und der Koch trank und sagte, nun würde ihm besser. Kasperle wäre doch ein ganzer Kerl.

Mit diesem Lob und dem Kirschwasser kam Kasperle zurück, und die Prinzessin trank auch aus der Flasche, und als sie getrunken hatte, sagte sie: »Das tut gut.«

»Ja,« Kasperle nickte, »das hat der Koch auch gesagt, als er getrunken hatte.«

»Hat der auch aus der Flasche getrunken?«

»Ja, freilich.« Kasperle fand das gerade nicht schlimm, aber die Prinzessin wäre beinahe böse geworden. Doch nur beinahe.

So ein Sturm ist wunderlich.

Auf dem Schiff warf er alles durcheinander und in den Menschen warf er auch alles durcheinander. Bei Herrn Severin, Frau Liebetraut, Rosemarie und Michele konnte der Sturm nicht viel durcheinander werfen. Da war alles so wohl geordnet und festgestellt, daß keine Todesangst alles durcheinander strudeln konnte. Auch bei Marlenchen nicht, das war ein reinliches Herzstübchen, in das der Sturm gar nicht hineinfegte. Beim Prinzlein gab es Hochmutsgedanken durcheinander zu wirbeln, aber bei der Prinzessin Gundolfine und Mister Stopps fuhr der Sturm recht hindurch und kehrte das Unterste zu oberst.

Die Prinzessin dachte an ihre vielen üblen Launen und Mister Stopps hätte viel darum gegeben, wenn er das Kasperle nicht belogen hätte.

Ja und Kasperle, wie sah's in dem aus?

Kasperle hatte keine üble Laune zu beklagen, nur ein Streichlein tat ihm leid, das war die Seife, über die am Mittag die Prinzessin ausgeglitscht war.

Die bedrückte ihn. Er rückte auf einmal ganz dicht an die Prinzessin heran und bat: »Du, sei nicht böse.«

»Wegen was denn?«

»Wegen der Seife.«

Huppla-hupp! machte das Schiff und die Prinzessin stöhnte ganz sanftmütig: »Ach mein gutes Kasperle du.«

Das hatte sie noch nie gesagt.

Dazu mußte ein Sturm kommen.

Und wie der toste.

Manchmal hielt er den Atem an, dann dachten die geängstigten Menschen, er läßt nach, aber gleich darauf erhob sich ein Brausen und Pfeifen, ein Rollen und Heulen, ganz furchtbar.

Im Speisesaal lagen die Menschen alle lang auf dem Fußboden, aufrechtsitzen war nicht möglich.

Einmal kam Piet und fragte: »Leben Sie noch?«

Als alle »ja« sagten, erzählte er gemütlich: »Nun sind wir bald an deiner Insel, Kasperle, dann fallen wir alle ins Meer.'«

»O je!«

Kasperle dachte, ich muß mal Spaß machen, damit alle ein bißchen lachen, da wird es ihnen besser werden. Also fing er an, Gesichter zu schneiden, und die Prinzessin rief: »Nun wird auch noch Kasperle seekrank.«

»Ich mache doch nur Spaß!«

Aber da merkte er, daß zum erstenmal niemand über ihn lachte. Selbst Mister Stopps stöhnte: »Oh, ich kann nicht lachen. Mich ist es so schlecht.«

Mir, wollte die Prinzessin verbessern, aber – hupp – machte das Schiff, da ließ sie es bleiben.

Und immer toller brauste der Sturm.

Ein Mastbaum war schon zersplittert, just der, in dessen Korb Kasperle gesessen hatte. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, kollerte auf dem Schiff durcheinander, und der Kapitän dachte, wir kommen nicht lebendig aus diesem Wirrsal heraus. Wenn es wenigstens bei Nacht aufhörte!

Aber es hörte nicht auf.

Ja, es wurde gegen Abend schlimmer. Die Menschen waren ganz verzweifelt, als sie nun in der Nacht in dem dunklen Speisesaal lagen. Licht durfte der Feuersgefahr wegen nicht gebrannt werden.

»Ach,« seufzte auf einmal die Prinzessin, »die Bretter krachen schon, das Schiff bricht auseinander. Hörst du es, Marlenchen?«

Marlenchen hörte es wohl. Sie schrie aber ganz vergnügt: »Das ist ja Kasperle, der schnarcht.«

Kasperle verschlief den Sturm. Er schlief wie ein Rätzlein. Risselrassel ging das immerzu die ganze Nacht hindurch.

»Ach,« seufzte und stöhnte die Prinzessin, »wer so schlafen könnte!«

»Dazu müßte man schon ein Kasperle sein,« meinte Herr Severin. »Aber mir scheint, der Sturm läßt nach.«

Er ließ auch wirklich nach.

Um Mitternacht änderte sich das Wetter und es wurde klar.

Am Morgen lag die See glatt und ruhig da und nichts erinnerte an den Sturm der Nacht.

Nur auf dem Schiff sah es wüst aus. Ein Mast zerbrochen, Segel zerfetzt, Planken abgerissen, es war ein Wunder, daß kein Mann über Bord gefallen war.

Aber der Kapitän sah noch immer sehr sorgenvoll aus. Der Sturm hatte freilich nachgelassen, aber das Schiff war von seinem Kurs abgekommen, und der Kapitän fürchtete, es könnte auf einem Riff auflaufen.

Er stand im Speisesaal, um endlich einmal nach den schweren Stunden auszuruhen, als Kasperle erwachte.

Der gähnte und sah sich verdutzt um und fragte ganz erstaunt: »Es ist doch so ruhig?«

»Ja freilich, der Sturm ist vorbei.«

»Hunger,« schrie Kasperle. Er dachte, nun kann man endlich wieder ans Essen denken.

Die Prinzessin wollte etwas sagen, aber in ihrem Herzen war alles so durcheinandergeweht, daß sie kein böses Wort fand. Sie sagte ganz sanftmütig: »Mein Kasperle muß etwas zu essen haben.«

» Mein Kahspärle!« rief Mister Stopps eifersüchtig.

» Mein Kasperle.«

Da war der Streit wieder aufgewacht und Herr Severin sagte: »Komisch, kaum ist die Gefahr vorüber, dann streiten sich die Menschen wieder.«

Da schämten sich die andern und Mister Stopps sagte: »Uir uollen nicht zanken. Ich habe Kahspärle gekaufen für zwei Millionen, geben Sie mich die, ich uerde Sie geben Kahspärle.«

»Zwei Millionen. Ich glaube,« sagte die Prinzessin, »so viel hat niemand von uns.«

»Also behalte ich mein Kahspärle.«

Mister Stopps war sehr zufrieden. Die Prinzessin war es nicht, aber sie sah ein, daß Mister Stopps ein Recht hatte, von seinem Kahspärle zu sprechen.

Also schloß sie mit Mister Stopps Frieden, und beinahe hätte nun Kasperle etwas zu essen bekommen. Da erscholl aber draußen ein lautes Rufen. »Oiho, oiho, oiho! Land, Land!«

Alle rannten aufs Deck hinauf. Das hungrige Kasperle voran.

»Meine Insel!« schrie er.

War's wirklich Kasperles Insel, was da im Meere auftauchte?

»Ja, sie ist's,« sagte Piet.

»Unsinn,« schrie der Kapitän.

»Meine Insel!« Kasperle schrie und hoppste wie besessen. »Er muß essen, dann wird er ruhiger,« sagte Frau Liebetraut.

»Uir uollen alle essen. Uenn das Kahspärles Insel ist, müssen uir gegeßt haben,« meinte Mister Stopps.

Da der Kapitän sagte, das Schiff würde an der Insel vorbeifahren, dann könnte man ja sehen, was es wäre, gingen alle in den Speisesaal, um zu essen.

So eine Sturmnacht macht hungrig.

Kasperle wollte gerade ein riesengroßes Stück Braten in den Mund stecken, als es einen fürchterlichen Krach gab.

Und Prinzessin, Braten, Brot, Mister Stopps, Marlenchen, Kellner, Schüsseln, alles kugelte und purzelte durcheinander.

Was war geschehen?

An Bord ein lautes Rufen und Schreien: »An die Pumpen, an die Pumpen!«

Das Schiff war auf ein Riff aufgefahren.

Eine Stunde furchtbarer Angst verging.

Dann stellte es sich heraus, daß das Schiff nicht sehr beschädigt war und in kurzer Zeit wieder flott gemacht werden konnte.

»Ein paar Tage werden wir festliegen,« meinte der Kapitän, »aber ich hoffe, wir kommen los. Schwer ist's freilich, wenn ich nur wüßte, wo wir sind. Die Inselgruppe ist mir ganz fremd.«

»Es ist die Kasperle-Insel,« schrie Piet.

»Ach, Unsinn!«

»Doch, sie ist's.«

»Meine Insel!«

Kasperle wäre am liebsten über Bord gegangen, aber der Kapitän befahl, man sollte ihn festbinden, so ein Quirlzeug könnte man jetzt nicht auf dem Schiff gebrauchen.

Na, so eine Beleidigung!

»Es ist doch meine Insel!«

»Ja, es ist die Kasperle-Insel!«

»Wo sind denn eigentlich die Kasperles?« höhnte der Kapitän.

»Da,« Piet streckte die Hand aus.

Auf der Insel, der man nun ganz nahe war, zeigten sich wirklich ein paar Gestalten. »Es sind Wilde,« rief der Kapitän, »Vorsicht, sie wollen ihre Pfeile abschießen!«

»Es sind Kasperles!« rief Piet.

»Unsinn, es sind Wilde!« Des Kapitäns Stimme klang böse.

»Vorsicht, sie schießen!«


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