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Wully

Ein Schäferhund

Wully war ein kleiner, gelber Köter. Unter der verächtlichen Bezeichnung Köter versteht man gewöhnlich einen rasselosen Mischling und vergißt dabei, daß dieses verachtete Wesen meistens mehr Rasse in sich zeigt, als irgendeiner seiner aristokratischen Verwandten. Er ist schlau, beweglich und ausdauernd und weit besser für den harten Kampf ums Dasein ausgerüstet, als seine rasseechten Vettern.

Setzen wir den Fall, wir würden einen ganz gewöhnlichen Dorfköter, einen kostbaren Windhund und einen Bullenbeißer auf einer öden, verlassenen Insel aussetzen, welcher von diesen dreien würde wohl nach sechs Monden noch gesund am Leben sein? Zweifellos der verachtete Dorfköter. – Er besitzt weder die Schnelligkeit des Windhundes, noch die Kraft und die Kühnheit eines Bullenbeißers, aber etwas tausendmal wertvolleres, einen gesunden Verstand.

Dorfköter, Windhund und Bullenbeißer.

I

Auf den Bergen, hoch droben in Schottland, auf den Cheviots, war Wully geboren. Ihn und einen seiner Brüder hatte man am Leben gelassen; den Bruder, weil er eine große Ähnlichkeit mit dem besten Hund der Nachbarschaft aufwies, und ihn selbst, weil er ein niedlicher, kleiner gelber Kerl war.

Seine Jugend verbrachte er wie ein richtiger Schäferhund in Gemeinschaft eines erfahrenen Collies, der ihn ausbildete, und eines alten Schafhirten, der fast ebensoviel Erfahrung besaß, wie sein gelehriger Hund. Mit zwei Jahren war Wully vollkommen ausgewachsen und er wußte mit den Schafen ebensogut umzugehen wie Alt-Robin, sein Meister, der ein solches Vertrauen in seine Zuverlässigkeit besaß, daß er meistens die ganze Nacht im Wirtshaus saß, während Wully die wolligen Dummköpfe in den Hügeln bewachte. Der alte, einfältige Schafhirt, mit allen seinen Fehlern und dem fortwährenden Sehnen nach seinem Idealzustand – der Benebelung – behandelte Wully selten roh, und dieser vergalt ihm das durch abgöttische Verehrung, um die mancher Große und Weise im Lande den Alten beneidet hätte.

Wully konnte sich kein höheres Wesen vorstellen als Robin, und doch standen dieses Abgottes körperliche und geistige Kräfte für nur fünf Schilling die Woche im Dienst eines kleinen Viehhändlers, des eigentlichen Besitzers von Wullys Schutzbefohlenen. Als dieser Mann nun Robin befahl, seine Herde in Tagereisen nach den Yorkshire-Märkten zu treiben, war Wully von all den dreihundertsechsundsiebzig Wesen, die dabei in Frage kamen, der am meisten Betroffene.

Die Reise nach Northumberland war für ihn bedeutungsvoll. Am Tynefluß wurden die Schafe auf ein Fährboot getrieben und am andern Ufer im rußigen Southshields gelandet. Die hohen Fabrikschornsteine kündeten den Beginn der Tagesarbeit an und hüllten die Stadt in schwere Nebel und bleigraue Rauchwolken ein, die die Sonne verdunkelten und wie Sturmwolken über den Straßen hingen. Die Schafe vermuteten das Heranziehen eines außergewöhnlich schweren Sturms, wurden aufgeregt und rasten ihren Hütern zum Trotz in 374 verschiedenen Richtungen durch die Stadt.

Das war für Robins schwachen Geist zu viel. Er starrte den Schafen einige Augenblicke lang stumpfsinnig nach und gab dann den Befehl: »Wully, bring' sie!« Nach dieser Anstrengung setzte er sich nieder, zündete seine Pfeife an und begann an einem halbvollendetem Strumpfe zu stricken.

Robins Stimme war für Wully die Stimme Gottes. Davon lief er in 374 verschiedene Richtungen und brachte nach langen Mühen die 374 Ausreißer nach dem Fährhause zu Robin, der des Hundes Arbeit interesselos zusah.

Zum Schluß gab Wully – nicht Robin – das Zeichen, daß alle beisammen wären. Der alte Schäfer begann zu zählen: 370, 371, 372, 373. »Wully,« sagte er vorwurfsvoll, »da fehlt ja eins.« Wully sprang vor Scham zitternd davon, um die ganze Stadt nach dem Vermißten abzusuchen. Aber er war noch nicht lange fort, als ein kleiner Junge Robin bedeutete, daß alle 374 Schafe bereits zur Stelle seien. Der Alte befand sich in größter Verlegenheit. Sein Herr hatte ihm befohlen, so schnell als möglich Yorkshire zu erreichen, und anderseits wußte er, daß Wully nicht ohne ein Schaf zurückkommen würde, selbst wenn er es zu stehlen hätte. Derartiges war schon früher vorgekommen und hatte zu höchst unangenehmen Auseinandersetzungen geführt. Was sollte er nun tun? Fünf Schilling wöchentlich standen auf dem Spiele. Wully war ein guter, treuer Hund, und es war jammerschade, ihn zu verlieren; aber wenn er nun, um die Zahl vollzumachen, ein Extraschaf stahl, was dann? Robin entschied sich endlich, Wully im Stich zu lassen und zog mit seinen Schafen von dannen. Wie er allein sein Ziel erreichte, das wissen wir nicht, und es kann uns auch gleich sein.

Inzwischen hatte Wully auf der vergeblichen Suche nach dem verlorenen Schafe die Stadt nach allen Richtungen durchkreuzt. Den ganzen Tag und die folgende Nacht suchte er, bis er schließlich ausgehungert und müde mit eingezogenem Schwanze nach dem Fährhause zurückkam, um dort zu entdecken, daß sein Herr mit den Schafen bereits seiner Wege gegangen war. Es war wirklich jammervoll, die Trauer und Verzweiflung des Hundes mit anzusehen. Wimmernd und heulend lief er umher, fuhr dann mit der Fähre nach dem andern Ufer hinüber und suchte überall nach Robin. Später kehrte er wieder nach Southshields zurück und verbrachte die Nacht auf der Suche nach seinem Abgott. Auch den nächsten Tag setzte er das Suchen fort, beobachtete und beroch jedermann, der den Fluß kreuzte, und suchte mit großer Schlauheit unablässig in den umliegenden Wirtshäusern nach seinem Herrn. Am folgenden Tage begann er systematisch alle Leute zu beschnüffeln, die mit der Fähre herüberkamen.

Das Fährboot machte fünfzig Überfahrten an jedem Tag und beförderte durchschnittlich jedesmal hundert Personen. Wully war am Anlegeplatz stets zur Stelle und beroch jedes Bein, das herüberkam – zehntausend mochte er an diesem Tage auf seine eigene Weise untersucht haben. Den nächsten Tag und den übernächsten, die ganze Woche hielt er auf seinem Posten aus, und bald begannen mangelhafte Ernährung und Sorge ihre Wirkung zu zeigen; er wurde von Tag zu Tag magerer und schlechter gelaunt. Niemand durfte ihn berühren, und jeder Versuch, ihn von seiner täglichen Beschäftigung abzubringen, reizte ihn zur höchsten Wut.

Tag für Tag, Woche für Woche wartete Wully auf seinen Herrn, aber er kam nicht. Die Fährleute achteten des Hundes Anhänglichkeit und Treue, und obwohl dieser im Anfang das dargebotene Futter und eine Unterkunft verschmähte, nahm er schließlich ihre Gaben an. – Wenn er auch verbittert war gegen alle Welt, so hing sein Herz doch wie zuvor an seinem treulosen Herrn und Meister.

Vierzehn Monate nach Wullys Ankunft in Southshields machte ich seine Bekanntschaft, und immer noch war er auf dem Posten. Sein gutes Aussehen hatte er zurückerlangt; sein scharfgeschnittener, kluger Kopf, von einer weißen Halskrause eingerahmt, und seine spitzen, lauschenden Ohren machten einen auffallend hübschen Hund aus ihm, der jedes Auge auf sich zog. Nachdem er meine Beine beschnüffelt und entdeckt hatte, daß es nicht die waren, die er suchte, beachtete er mich nicht weiter, und trotz meiner Versuche, seine Freundschaft zu gewinnen, schenkte er mir nicht mehr Vertrauen, als irgendeinem anderen.

Zwei volle Jahre hielt dieses treue Tier an der Fähre aus. Es war nicht die große Entfernung oder die Furcht, sich zu verlaufen, die ihn davon zurückhielt, nach Hause in die Hügel zurückzukehren, es war die Überzeugung, daß Robin, sein Abgott, sein Bleiben beim Fährboot wünschte, und er blieb.

So oft Wully es für nötig hielt, kreuzte er den Fluß. Der Überfahrtspreis für einen Hund betrug einen Penny, und man hat ausgerechnet, daß er der Gesellschaft Hunderte von Pfunden schuldete, bis er seinen Platz aufgab.

Von Robin hatte man niemals mehr auch nur das geringste vernommen, aber eines Tages betrat ein rüstiger Viehtreiber die Fähre, und Wully, der ihn seiner Gewohnheit gemäß beschnüffelte, wurde plötzlich aufgeregt, seine Mähne sträubte sich, er zitterte und ein leises Knurren entfuhr ihm.

Einer von den Fährleuten, der nicht verstand, was vorging, rief dem Fremden zu: »Paß auf, Mann, daß du unserem Hunde nichts zuleide tust!«

»Was soll ich ihm zuleide tun, ehe könnte der Köter mir etwas anhaben.« Irgendwelche weitere Aufklärung war unnötig. Wully war wie ausgewechselt, er schmiegte sich dicht an den Fremden, und sein Schwanz wedelte leidenschaftlich, zum erstenmal seit Jahren.

Einige Worte machten alles klar. Dorley, der Viehtreiber, hatte Robin gut gekannt. Seine Handschuhe und sein Halstuch waren von Robins eigener Hand gestrickt und früher in dessen Besitz gewesen. Wully zweifelte, daß er je seinen verlorenen Abgott wiederfinden würde, verließ seinen Posten an der Fähre und gab deutlich die Absicht kund, dem Eigentümer von Robins Halstuch zu folgen. Dorley hatte nichts dagegen, nahm ihn mit heim in die Berge von Derbyshire, und Wully wurde zum zweiten Male ein Schäferhund.

II

Monsaldale ist eines der bekanntesten Täler in Derbyshire. Es hat nur ein einziges, aber um so berühmteres Wirtshaus, und der Besitzer, Jo Greatorex, ist ein schlauer und handfester Yorkshireman. Die Natur hatte ihn zum Krieger bestimmt, aber die Umstände machten ihn zum Gastwirt, und seine Neigung zur – doch das sollten wir lieber verschweigen – Wilddieberei war in dieser Gegend an der Tagesordnung.

Wully hütet die Schafherde mit seinem angeborenen Scharfsinn.

Wullys neue Heimat lag auf dem Hochland, östlich von dem Tal, und über Jos Wirtshaus. Dorley besaß ein kleines Bauerngut und in den Triften auch eine große Herde Schafe. Diese hütete Wully mit seinem angeborenen Scharfsinn, bewachte sie, während sie weideten, und brachte sie am Abend in den Stall. Er war für einen Hund zurückhaltend und argwöhnisch und leicht geneigt, Fremden die Zähne zu zeigen, aber er war so aufmerksam beim Bewachen seiner Herde, daß Dorley in diesem Jahr nicht ein einziges Schaf verlor, obwohl die Nachbarn Geiern und Füchsen den gewöhnlichen Tribut zahlen mußten.

Die Täler dort sind eine ungeeignete Gegend für Fuchsjagden; die zerklüfteten Züge, die hohen Steinwälle und Anhöhen sind zu zahlreich, der Schlupfwinkel zwischen den Felsen sind zu viele, und es war zu verwundern, daß die Füchse in Monsaldale nicht überhand nahmen. Man hatte wenig Grund gehabt, über sie zu klagen, bis sich im Jahre 1881 ein schlauer, alter Fuchs, wie eine Maus in einem fetten Käse, in dem reichen Kirchspiel niederließ und aller Nachstellungen von edlen Jagdrüden und gemeinen Dorfkötern spottete.

Verschiedene Male wurde er mit Hund und Pferd verfolgt, und immer verschwand er im Teufelsloch, einer Höhle von unerforschter Ausdehnung – dort war er sicher. Die Landbevölkerung fing an, etwas mehr als Zufall in der Tatsache zu suchen, daß er stets ins Teufelsloch entwischte, und als einer von den Hunden, der diesen Teufelsfuchs beinahe erwischte, bald darauf verrückt wurde, stand die Teufelsabstammung besagten Fuchses außer Zweifel.

Er setzte seine Räuberlaufbahn fort, bis er schließlich aus Vergnügen am Blutvergießen zu morden begann, Digby verlor zehn Lämmer in einer Nacht, Caroll sieben in der nächsten; später wurde der Ententeich des Pfarrhofes vollkommen verwüstet, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht irgend jemand einen Mord von Geflügel, Lämmern oder Schafen und schließlich selbst von Kälbern zu berichten hatte.

All dieses blutgierige Verwüsten wurde diesem einen Fuchs aus dem Teufelsloch zugeschrieben. Es war nur bekannt, daß es ein außerordentlich großer Fuchs sein müsse; wenigstens einer, der eine breite Spur hinterließ; doch niemand, selbst kein Jäger, hatte ihn je in der Nähe gesehen. Auch hatte man bemerkt, daß Donner und Doria, die besten Hunde der Meute, sich geweigert halten, auf der Hetze seiner Spur zu folgen.

Die Bauern von Monsaldale beschlossen, sich beim ersten Schnee unter Jos Leitung zu versammeln und die ganze Gegend abzuklopfen, um auf irgendeine erlaubte oder unerlaubte Art das »unschuldige« Füchslein loszuwerden. Aber der Schnee kam vorläufig nicht, und der rothaarige Ehrenmann lebte ungekränkt weiter. Niemals kam er zwei aufeinanderfolgende Nächte nach dem gleichen Bauernhof, niemals fraß er, wo er gemordet hatte, und niemals hinterließ er eine Spur, die den Weg, den er genommen, verraten hätte.

Ein einzigesmal lief er mir in den Weg. Ich ging spät in der Nacht den Pfad von Bakewell nach Monsaldale entlang, während eines heftigen Sturmes, und als ich um die Ecke eines Schafstalls bog, fuhr plötzlich ein heller Blitzstrahl hernieder. Bei seinem Lichte erblickte ich ein Bild, das mich zurückschrecken ließ. Neben dem Wege saß in geringer Entfernung ein riesiges Tier, das mich mit glühenden Augen anstarrte und sich bezeichnend die Schnauze leckte. Dies war alles, was ich sah, und ich würde es wohl vergessen oder für einen Irrtum gehalten haben, hätte man nicht am nächsten Morgen in jenem Stalle die Leichen von dreiundzwanzig Schafen gefunden.

Nur eine Herde ließ der Mörder in Frieden, das war die Dorleys, und es schien dies um so wunderbarer, als Dorley doch mitten in der gefährdeten Gegend und nur eine Meile vom Teufelsloch entfernt lebte. Der treue Hund bewies seine Überlegenheit über alle Köter der Nachbarschaft; Abend für Abend brachte er seine Herde heim, und niemals fehlte auch nur einer seiner Schützlinge. Der wilde Fuchs mochte um Dorleys Hof herumstreichen, aber Wully, der schlaue, tapfere und aufgeweckte Wully, war ein unüberwindlicher Gegner für ihn und rettete nicht nur seines Meisters Herde, sondern entwischte auch stets selbst mit heiler Haut. Jedermann bezeugte eine wahrhafte Hochachtung für ihn, und er wäre gewiß ein Liebling aller gewesen, wenn seine Laune sich nicht von Tag zu Tag verschlechtert hätte. Dorley und dessen älteste Tochter Hulda, ein aufgewecktes, hübsches, junges Mädchen, schien Wully gern zu haben; die übrigen Glieder der Familie waren ihm gleichgültig, aber er duldete sie; den Rest der Welt, Menschen und Hunde, schien er zu hassen.

So mürrisch und bösartig Wully sich auch der Welt gegenüber benahm, er zeigte sich stets gut geartet gegen Dorleys Schafe. Viele wunderbare Geschichten über ihn waren im Umlauf; manch armes Lamm, das ins Wasser oder in eine Kluft gefallen war, würde ohne Wullys rechtzeitige, tatkräftige Hilfe elendiglich umgekommen sein. Sein sicheres Auge entdeckte jeden Adler, der über dem Moor seine Kreise zog, und Wullys tollkühne Tapferkeit trieb ihn auf Nimmerwiedersehen davon.

III

Als der Schnee endlich kam, spät im Dezember, zahlten die Monsaldale-Bauern wie zuvor ihren nächtlichen Tribut an den gierigen Fuchs. Die Witwe Gelt verlor ihren einzigen Besitz, eine Herde von zwanzig Schafen, und am nächsten Tage beim Morgengrauen zogen die männlichen Bewohner des Dorfes aus, auf die Suche nach dem Wüterich. Die Gewehre offen zur Schau tragend, folgten sie den verräterischen Spuren im Schnee, den Spuren eines außergewöhnlich großen Fuchses, zweifellos die des mörderischen Gesellen. Eine Zeitlang war die Spur leicht zu erkennen, bis sie im Flusse verschwand und die angeborene Schlauheit des Fuchses bewies. Das Tier war in der Richtung stromabwärts auf das Wasser zugelaufen und dann in den seichten Fluß hineingesprungen. Doch auf der andern Seite führte keine Spur heraus, und nach langem Suchen fanden die Bauern endlich eine Viertelmeile stromaufwärts die Stelle, wo er das Wasser verlassen hatte. Dann führte die Fährte nach einem hohen Steinwall, von dem der Sturm den Schnee heruntergefegt hatte und wo folglich keine Spuren zu erkennen waren. Die beharrlichen Jäger ließen sich nicht irreleiten, aber als die Spuren den weichen Schnee zwischen der Mauer und der Fahrstraße gekreuzt hatten, war die Meinung geteilt; einige behaupteten, der Fuchs sei nach links, andere wieder, er sei nach rechts gelaufen. Doch Jo, der Führer, entschied die Streitfrage, und nach langem, erfolglosem Suchen fanden sie schließlich die gleiche Spur, die von der Straße in einen Schafstall hineinführte. Ohne den Bewohnern ein Leid zuzufügen, hatte der Fuchs das Gehöft wieder verlassen, war genau in die Fußtapfen eines Bauern hineingetreten und geradeswegs auf Dorleys Farm zugetrottet.

Wegen des Schneefalls hatte Dorley die Herde an jenem Tage nicht hinausgetrieben, und Wully lag unbeschäftigt in der Sonne. Als die Jäger sich dem Hause näherten, knurrte er wütend und lief um die Ecke herum nach dem Schafstall. Jo Greatorex kreuzte den Hof, warf einen Blick auf Wullys Spur im frischen Schnee und rief, auf den sich entfernenden Schäferhund zeigend:

»Jungens, den Fuchs haben wir nicht, aber dort läuft der Schafmörder.«

Einige stimmten Jo bei, andere äußerten Zweifel und meinten, man solle zurückgehen und die Fährte von neuem verfolgen. Im selben Augenblick trat Dorley aus dem Hause.

»Tom,« sagte Jo, »dein Köter hat vergangene Nacht der Witwe Gelt Schafe gemordet, und ich glaube kaum, daß dies sein erster Mord war.«

»Was?« sagte Tom, »bist du verrückt? Ich habe niemals einen besseren Hund gehabt – er geht für die Schafe durchs Feuer.«

»Ja, ja,« meinte Jo, »das hat er letzte Nacht gründlich bewiesen.«

Die Bauern erzählten ihm ausführlich von ihrer Suche am Morgen, doch alles war vergeblich, Tom schwur, daß das ganze eine eifersüchtige Verschwörung sei, ihn seines treuen Hundes zu berauben.

»Wully schläft jede Nacht in der Küche und kommt nicht heraus, bis er die Herde auf die Weide treibt. Es ist alles Unsinn. Das ganze Jahr hindurch ist er bei den Schafen, und nicht einen Huf habe ich verloren.«

Tom ereiferte sich über diese ungeheuerliche Verschwörung gegen Wullys Ruf und Leben. Jo und seine Anhänger wurden schließlich aufgeregt, und es war ein Glück, daß Hulda aus dem Hause trat und sie beruhigte.

»Vater,« sagte sie, als man ihr alles erzählt hatte, »ich will heute nacht in der Küche schlafen. Wenn Wully den Versuch macht, davonzuschleichen, werde ich es bemerken, und wenn er ruhig bei mir bleibt und dennoch Schafe gemordet werden, so haben wir den Beweis von Wullys Unschuld.«

Wully beobachtet Hulda.

Hulda streckte sich am Abend auf einer Bank in der Küche aus, und Wully schlief wie gewöhnlich unter dem Tisch. Einige Stunden verrannen, und der Hund wurde unruhig, er wälzte sich auf seinem Lager, stand auf, streckte sich, beobachtete Hulda und legte sich wieder nieder. Ungefähr um zwei Uhr schien er einem inneren Drängen nicht mehr widerstehen zu können. Er erhob sich leise, schaute nach dem niedrigen Fenster und dann auf das scheinbar schlafende Mädchen. Hulda lag still und atmete ruhig, wie im Schlafe, Wully kam langsam näher und schnaufte ihr direkt ins Gesicht, doch sie rührte sich nicht. Er leckte ihr vorsichtig die Wange und beobachtete dann, seine spitzen Ohren aufrecht und seinen Kopf zur Seite geneigt, ihr unbewegliches Antlitz, aber sie schien ruhig zu schlafen. Da lief der Hund nach dem Fenster, sprang geräuschlos auf den Tisch, schob seine Nase unter den Rahmen und hob das Fenster so hoch, daß er durch die Öffnung hinauskriechen konnte. Darauf ließ er es leise über seinen Rücken und Schwanz herniedergleiten, und seine Gewandtheit dabei verriet eine lange Übung. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

Hulda hatte den ganzen Vorgang mit Erstaunen beobachtet, und nachdem sie eine Zeitlang gewartet hatte, um sicher zu sein, daß der Hund nicht mehr in der Nähe wäre, erhob sie sich in der Absicht, ihren Vater zu rufen. Jedoch nach einigem Überlegen beschloß sie weiteres abzuwarten. Sie warf Holz aufs Feuer und legte sich wieder nieder. Über eine Stunde lag sie ganz munter, dem Ticken der alten Wanduhr lauschend und beim geringsten Geräusch zusammenfahrend. Was mochte der Hund jetzt anstellen? Hatte er wirklich der Witwe Schafe gemordet? Die Erinnerung an seine aufopfernde Anhänglichkeit an ihre eigene Herde ließ es ihr unglaublich erscheinen.

Eine zweite Stunde ticktackte langsam vorüber. Da vernahm Hulda plötzlich ein leises Geräusch am Fenster, und ihr Herz klopfte in gespannter Erwartung. Das Fenster öffnete sich, und Wully sprang in die Küche zurück.

Beim flackernden Lichte konnte Hulda einen fremdartigen, wilden Glanz in seinen Augen erkennen, und seine schneeweiße Brust war mit frischem Blut besudelt. Der Hund hörte auf zu schnaufen und beobachtete das Mädchen. Dann, als er sah, daß sie sich nicht regte, legte er sich nieder, leckte seine Pfoten und seine Brust und knurrte einigemal leise, wie in der Erinnerung an ein jüngst vergangenes Abenteuer.

Hulda hatte genug gesehen, ohne Zweifel, Jo hatte recht, und der gefürchtete Fuchs von Monsaldale lag vor ihr. Sie erhob sich, sah Wully in die Augen und rief: »Wully! Wully! So ist's doch wahr? Du entsetzlicher Wüterich!«

Ihre Stimme zitterte durch den stillen Raum, und Wully erstarrte, wie vom Blitz getroffen. Er warf einen verzweifelten Blick auf das geschlossene Fenster, seine Augen glitzerten, und seine Mähne sträubte sich, aber er kauerte sich unter dem festen Blick Huldas zusammen und kroch auf dem Boden auf sie zu, als ob er um Gnade betteln wollte. Langsam kam er näher und näher, wie um ihre Füße zu lecken. Als er aber dicht vor ihr war, sprang er mit der Wut eines Tigers, aber ohne einen Laut von sich zu geben, nach ihrem Halse.

Der Angriff kam dem Mädchen unerwartet, aber noch zur rechten Zeit hob sie ihren Arm empor, und Wullys lange, weiße Zähne bohrten sich in ihr Fleisch und knirschten auf den Knochen.

»Hilfe! Hilfe! Vater! Vater!« schrie sie.

Wully war eine leichte Last, und für einen Augenblick schleuderte sie ihn weg, aber seine Absicht war nicht mißzuverstehen. Der Kampf hatte begonnen, es galt sein Leben oder das ihre.

»Vater! Vater!« gellte es durch die Stille der Nacht, als die gelbe Furie, in der Absicht, Hulda zu morden, die Hände, die sie so oft gefüttert, zerbiß und zerfleischte.

Vergeblich suchte das Mädchen den Hund von sich abzuwehren, und eben wollte er sie am Hals packen, als Dorley noch im rechten Augenblick herbeigeeilt kam.

Gerade auf ihn los, lautlos wie zuvor, sprang Wully und biß und zerfleischte ihn, bis ein tödlicher Schlag mit der Axt ihn kampfunfähig machte. Ein zweiter Hieb schleuderte ihn mit zerschmettertem Schädel vor den Herd, wo er so lange geehrt und geachtet mit Dorley gehaust hatte – und Wully, der kluge, tapfere, treue und – verräterische Wully tat einen tiefen Atemzug, streckte sich und lag still für immer.


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