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V

49°   Das schütterste Detail lästert stets den Gesamteindruck. Kennt man jedoch Chinatown oder Tiffany (Bijoutier), so erhebt sich bald wieder die leise Vakanz der Sinne, für die Toast mit Jam keine Lösung ist. Und da jede Erklärung viel unwichtiger ist, als man meint, wenn man auf sie verfällt, ist es vorzuziehen, nur noch in allerdünnsten Satzdämpfen sich zu ergehen. Leidenschaftlichkeit ist kein Argument. Und Kenner, die bereits von vornherein so laut reden, daß sämtliche Feuerversicherte sogleich derselben Auffassung sind, haben sie in sich ... Knockout. Madames Busen flog. Herr F. mit einer Matratze am Kinn (Matratzen sind schwer zu rupfen) überzeugte sich, daß ein schlechtes Gewissen sehr abwechslungsreich ist. Auch die Allerdünnsten können eben nur mit dem Ton (Tönchen) argumentieren. Man bemüht sich stets gänzlich erfolglos, ein treffendes Wort zu finden. (Perlimpimpim, sagte Herr F. mit Vorliebe) ... Man gehe sachte auf und ab, ergreife eine alte Birne und den hierbei evtl. sich bietenden Einfall und erhebe ihn zum Prinzip: le comble du grand écart ...

 

50°   In jener verzweifelten Lethargie (halb Desperado, halb Fatalist), die zu nichts entschlossen ist, also zu allem, hockt die Spannung für ein doppelgestrichenes Falsett. Wenn man es hört, ist es, als müsse einem endgültig alle Geduld reißen. Ich habe es gehört, als der Jockey Rudi Etvöes jener Dame, die sein Nebeneinkommen repräsentierte, sagte: »Wenn ich gut sein will, habe ich immer das Pech, daß ich eigentlich jeden zerfetzen möchte.« – »Ich nicht.« – »Wie?« – »Je m'en fou!« ... Das Falsett. Doppelgestrichen. (Wann wird man anfangen, im Aëro-Palace, 3000 m über Nizza, zum Nachtisch sich die Achselhaare streicheln zu lassen, he?)

51°   Perlimpimpim... Jede Wohnung, die man zum ersten Male betritt, stimmt (nun) – sarkastisch; teils: ... weil man stets wahrnehmen kann, daß der Freude (Beefsteak) oder der höflichen Haltung (Frühstück), mit der man empfangen wird, Sekunden deutlichen Ärgers oder gar Hasses vorhergingen, und weil man andererseits an jeder Person, die ins Zimmer tritt, beobachten kann, daß auf der Schwelle schon irgendetwas in ihrem Gesicht gleichsam unter Zwang gerät: man hat den Eindruck, daß alles, was sie sagen wird, Betrug wäre; daß sie sich bereits auf der Treppe dessen höhnisch gefreut hätte; daß aber auch die ärgerliche oder haßerfüllte Empfindung, die man ebendeshalb hat, ihr nicht entgangen sein kann ... teils: ... déganter: weshalb nicht zur unumwundenen Haut sich bekennen? Oder: weshalb nicht vom kleinen Beiram der Mama reden (trillern), oder von der suppigen Talion, welche die Passoskskaja mit gestohlenen Papillotten vornahm, oder von der Gasconnade des Hofschneiders Simeon Achselschweiß ... teils: ... weil jede Wohnung eben ein Tripot mit Nachsicht der Taxe zu sein hat. Perlimpimpim ...

 

52°   Phlogistische Crapule: kein System haben wollen, ist ein neues. Die Wahrheit (la blague) kann gar nicht zum Problem werden, weil man sie bereits sprachlich in die Prämissen nehmen muß. Jeder hat sich immer noch zu viel geglaubt: man hat sich auf gar nichts einzulassen. Diese Art von Bosheit (kein System) ist ja doch nur die verkappte Besorgnis vor der eigenen Zwecklosigkeit; noch nicht einmal: Sinnlosigkeit!) ... Ich reite einen Exkurs letzter Flappereien: allein der Gedanke als solcher könnte zum Problem werden; am schärfsten dort, wo er derart in der Polmitte zwischen Wahr und Falsch steht, daß es auf allerkleinste Nuancen ankommt. Hier aber gewahrt der Privatmann, daß man nicht apodiktisch entscheiden kann, sondern nur (he, he) – betasten, welchem der beiden Pole der Gedanke sich zu nähern scheint. Und sofort wird diese ganze Denkerei zum Problem. (Plausibilität bliebe das einzige Kriterium. Merci!) ... Man kann sich auf gar nichts einlassen! Wenn ich sage: »Ich leugne die Wahrheit,« so stehe ich mit dieser Behauptung innerhalb der Pole Wahr und Falsch, da ich behaupte, daß es Wahrheit nicht gibt: ich will also diesen Satz wahr haben. Der vollkommene Widerspruch: der Inhalt des Satzes wird durch den Satz selbst widerlegt. Jeder Satz ist demnach falsch, weil derjenige nicht wahr sein kann, der die Möglichkeit leugnet, etwas könne wahr sein... Hier beginnt es nett zu flimmern. Man rülpst. Und es wird irgendwie gelb ... Man irrt immer. Immer. Jeder. Immer. Jeder. Immer jeder ... (Zwangshandlung? Oder: Überwut? Oder ...?)

 

53°   Oder: Rosinen. Man braucht sich lediglich vorzunehmen, von morgen an statt Bauch Kropp zu sagen, statt Zeigefinger Fec: – und alles wird heiterer. Gegenwärtig schätze ich sehr die Vokabel ›Rosinen‹. Wenn ich sie ausspreche, denke ich an eine Mischung von Hebammen, Abgeordneten und Quark ... (Mémento leli: je unwahrscheinlicher ein Vorfall ist, desto wahrscheinlicher ist er. Behaupte ich, der ich ein Vorfall bin, der durch die Unwahrscheinlichkeit dieser Behauptung gleichwohl nicht wahrscheinlicher wird. Und darum vorziehe, ohne Behauptungen vorzufallen.)

 

54°   Ein Märchen (genesis). ... Ursprünglich vollkommene Einfalt. Verlust der Einfalt (wieso?) und des Sinns (Einfalt?). Hierauf Zwiespalt: Geschäftigkeit. Anfangs: unbewußt, also dumpf verzweifelt (gelangweilt). Später: bewußt, also sehr verzweifelt (enorm gelangweilt). Deshalb: neue Bedürfnisse, für die man arbeitet und arbeiten läßt. Folglich: Geschäfte: man rechtet und hadert. Weiter: neue Bedürfnisse, neue Geschäfte. Und da die Langeweile immer größer wird, beginnt man zu theologisieren und zu philosophieren und endlich, damit Geschäfte zu machen ... Resumé: chronische Agonie. Remedium: Einfalt? O du liebe Einfalt! ... Eine Genesis? Nicht doch. Solide Dummheiten!!! Nicht einmal gemäßigt durch Plausibilität. Ein Märchen (wie Poës »Heureka« oder Weiningers »Geschl. und Charak.«) ... Aber man könnte gleichwohl eine amüsante Alternative zimmern (zwitschern), dergestalt:

1. Entweder: das Bewußtsein ausschalten (Fakir, haôma).

2. Oder: bewußter Zwiespalt (der Oberkellner).

     ad 1. Konstruktion des Un-Menschen (das Glotzauge),

     ad 2. Konstruktion des Unter-Menschen (der Wupptich).

Beide Konstruktionen entspringen derselben Quelle: – (bitte ein beliebiges Substantiv! Etwa: – Mückensamt!!!)

     ad 1. Hinterste Sinnlosigkeit (Marke Nirwana),

     ad 2. Vorderste Sinnlosigkeit (Tarifbewegung im Photographengewerbe.)

Ich verzichte! ...

 

55°   Jedenfalls ist die Moral die unzweckmäßigste Einrichtung zur Beseitigung irgendwelchen Betriebs. Dadurch, daß man ein gutes Geschäft (Moral) gegen ein beiweitem besseres (ohne Moral) zu halten in der Lage ist (welch holde Transparenz!), fällt es leicht, sich zuzugeben, daß man im Grunde gar keine Einstellung hat, sich ungefähr wie – losgelassen vorkommt und unnötigerweise mit einer hintersten Zurechtlegung sich herumgeschleppt hat ... Die Beseitigung der Moral wäre deshalb vielleicht durch Einführung des Kettenhandels im Heiratsvermittlungsverkehr herbeizuführen. Oder durch Erschwerung des Kompottgenusses. Oder einfach durch Bäder.

 

56°   ist der Witz die einzig erträgliche Art der Wiederholung längst vergossener Albernheiten. Wo Ernst ist, da sammeln sich die Frösche (Gesinneriche!). Je gekurbelt witziger einer ist (ein Poposten Rhum!!), desto mehr hat er unter sich gelassen (einen Posten, Ruhm) ... Witz? Sich selbst ad adsurdum führen (zu Chignol): à la Gallette ... (Charlot Chaplin: Gerh. Hauptmann – ein Waisenknabe.) ... Humor aber? Ich sage nichts als: Kempinski (oder: die angelehnte Hintertür für blaulappige Sortiment-Sentiments) ... O, es existiert ein derart torkeltoller Witz über sich selber, daß man sich zu seinem privatesten Vergnügen einige Monate von einem weiblichen Torso (nun ja) plündern läßt; und daß man in Äußerungen sich hineinspreizt, die andern das Blut in den Waden stocken machen (sozusagen). Mir machen sie freilich bloß alles sauer. Sauerst. (Die Milch der abgestandenen Denkungsart unter dem Bli-Blitz prengsten Blutes!) ... Aber auch das ist bloß angenehm, durchaus nicht verständlich ...

 

57°   Man ist im Grunde immer erfolglos. Erfolg? Ein mehr oder weniger meisterlicher Irrtum. Nichts stimmt. (Nicht einmal das.) Je heftiger eine Ordnung proponiert wird, desto rapider ist die Unordnung, die sie schließlich aufführt. Würde einer die Idee (die letzte: den Sinn) liefern können, müßte alles allen klar sein und alles wäre in strahlendster Ordnung. Vermutlich. So aber ... sind alle Ideen (etc. pp Unfug) geradezu ein Malheur. Eine Idee? Ein Erfolg. Folglich: ein Malheur. Das Christentum par exemple, ein raffiniertes Abwechslungsereignis, das sich als gutes Geschäft (Moral) gehalten hat, hatte den Weltkrieg, der ein schlechtes Geschäft war (mit und ohne Moral), auf dem Gewissen: – eine Paranoia heftigsten Wunschcharakters, hervorgetrieben aus dem Mangel an verdroschenen Oberlehrern, Inzesten, leichten Abreisegelegenheiten und ausgedehnter Selbstliebe ... (»Liebe deinen Nächsten wie ...« etc. pp Quatsch) ... He, wie steht es mit dieser Selbstliebe? So: manchmal liebt man seinen Selbsthaß (falls nicht zu mißwachsen), aber immer wieder bis zum Selbsthaß und bis zur Verzweiflung (Mascotte-Bar). Selbstliebe ist das nicht, sondern Eitelkeit, naturellement. Gäbe es Selbstliebe, so könnte man auf sie mit Recht eitel sein, wäre es aber ebendeshalb nicht, weil Selbstliebe nicht Eitelkeit ist, sondern ein tierischbegabter Zustand (Wiesenbenützung). Da man also seinen Nächsten, wenn man ihn wie sich selber liebt, lediglich der eigenen Eitelkeit dienen läßt, darf man sich nicht wundern, daß so viel geliebt wird ... Der Unterschied zwischen J. Christus und Ch. Huysmans (»Tu den andern, was du nicht willst, das sie dir tun!«): beide waren erfolgreich und hatten deshalb keinen Erfolg ... Hiebe tragen übrigens oft die größte Anhänglichkeit ein, Geschenke die größten Unannehmlichkeiten. Man wäre versucht, Vorstellungen zu machen. Trotzdem habe ich (das schmeichle ich mir sehr!) einen überaus praktikablen Ausweg ersonnen: was ich nicht ertelephonieren kann, lasse ich im Wege der Entwendung an mich bringen, und gelingt das nicht, so helfe ich mir mit einer fingierten Prügelei ... (Après moi la blénnorragie!)

 

58°   Die (sprich leiser!) – Meisterwerke der Weltliteratur: solch Schwindel erregende Bücher, daß man (jung) die Augen schließt, sich weiterdrehen läßt und sich schließlich (wenn man sich nicht mehr zu erwischen vermag) einbildet, man habe einen Standpunkt bekommen und könne mit sich beginnen ... Kunst!!! Die infantilste Form von Magie. Man beschäftige sich ein paar Wochen mit den Geheimwissenschaften und wird entdecken, daß die Okkultisten gesündere Bébés sind. Sämtliche Kunstzeitschriften (Sturm-Gebimmel, Aktions-Gefuchtel, Fackel-Gefackel) sind nur Separat-Beilagen zu den korrespondierenden Tageszeitungen (externes Feuilleton). Das »Neue Wiener Journal«, die »B. Z. am Mittag« und der »Matin« sind als in jeder Hinsicht weitaus reeller sehr zu empfehlen ... Die besten Bücher der Weltliteratur wurden in der Absicht geschrieben, das beste Buch aller Zeiten zu schreiben: die psychologisch einzig erträgliche Voraussetzung des Bücherschreibens von dazumal. Heute kann es nur die sein: die Unmöglichkeit schaffen zu wollen, daß jemals wieder ein Buch in jener Absicht geschrieben werde. Gesetzt, es gelänge: wer würde dann noch schlechte Bücher schreiben? ... Das beste Buch: das unterlassene (Napoleon, Rimbaud, Lautréamont, Schukoff) ... Ich würde mich freuen, zu hören, daß diese Seiten der letzte Mist sind, der geschrieben wurde. Ich würde mich sehr freuen.

 

59°   Lust ist der einzige Schwindel, dem ich Dauer wünsche.

 

60°   Selbstverständlich verkehre ich im Grunde gar nicht mit mir. Ich hoffe allerdings auch nicht mehr, mir einmal vorgestellt zu werden. O, die luden Beziehungen, so im Ganzen! (Ich ziehe das Hôtel du Roule in jeder Stadt energisch vor) ... Zu sich ist man niemals auf dem richtigen Weg. Feststeht nicht einmal, daß man schlankweg geht. (Beobachtungen werden gemacht!) Man sollte endlich anfangen, mit den Beinen Sätze zu machen!!! ... Ich vermute sehr, daß ich lediglich müllere. Wie ...?

 

61°   Lust ist alles. Meisterwerke sind keine Wiesenbenützungen. Leidenschaftlichkeit ist Talion. Witze sind Inzeste. Die Moral ist ein Kettenhandel.


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