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Hahnebüchene Geschichten

Eine Kritik von Christian Schad, Frankfurt a. M.

 

I.

Es sind ihrer nicht weniger als dreiunddreißig. Alle dreiunddreißig sind kurz, witzig, fein, neu und gemein [locker], Ihre Helden sind zarte Lumpen, überlegene Cocainisten, amüsante Tagediebe, geistreiche Zuhälter [Kokotten], trickschwangere Sadisten, graziöse Verbrecher. Jede dieser dreiunddreißig Geschichten ist wirklich hahnebüchen. (Sie sind unter dem überaus treffend gewählten Titel »Zum blauen Affen« bei Paul Steegemann in Hannover erschienen und kosten zwanzig Mark.) Ihr Verfasser ist der einigermaßen bekannte, sogar etwas berüchtigte Doktor Serner aus Karlsbad in Böhmen.

 

II.

Ich begegnete diesem Herrn das letzte Mal vor dem Kaffee Esposito auf der Piazza S. Ferdinando in Neapel. Er ergriff nicht meine ihm herzlich entgegengestreckte Hand, lüftete nicht seinen Hut, er fixierte meine Krawatte, als drohe ihm von ihr ein gefährlicher Angriff, und sagte plötzlich sehr leise, aber dennoch deutlich: »Sie deutscher Maler, wenn Sie sich eine Hühnerleiter in den Himmel und eine Treppe in mein Herz bauen wollen, so setzen Sie sich augenblicklich so neben mich, als wären Sie mir von Gnaden der umbrischen Polizei beigegeben. Und wie geht es Emma, dem lieblichen Mädchen?« ... Er ist wirklich so wie seine Geschichten: kurz, witzig, fein, neu und manchmal auch ein bißchen gemein [locker].

 

III.

Dies wird er mit Vorliebe, wenn man ihn daran erinnert, daß er einmal das war, was er jetzt mit einer unnachahmlichen Krümmung der Unterlippe – seriös heißt. Dann beginnt seine Stimme, die man schwerlich vergißt, sich zitternd zu füllen, seine schlanken Finger verknüpfen sich fast und aus dem Gehege seiner Zähne bricht, wohl kontrolliert, eine wahre Flut vorzüglich stilisierter und noch weitaus vorzüglicher pointierter schwerer Anwürfe gegen alles, was da seriös sich gehabt, Seriöses startet und schwindelt und trickt und pathetet und dichtet und beischläft [küßt] und ... kurz, er wird ein bißchen gemein [locker]. Aber er hat ein bißchen recht. Und er hat sehr recht, wenn man diesen meisterhaften Ausbruch auf das ergiebige Gebiet der jüngsten deutschen Dichtung lockt und nicht zuletzt auf das der Malerei. Dann hat er dermaßen recht, daß man daheim seine Bilder noch einmal besichtigt und nach langen Minuten inneren Kampfes ... zwar fest bleibt, aber dem böhmischen Doktor dankbar ist und sich bekümmert fragt: »Was wird er nun wieder in Syrakus machen?«

 

IV.

Er ist nämlich konstant unterwegs. So wie seine Geschichten, in denen konstant jemand ankommt und wieder abreist und zwischendurch die hahnebüchensten Dinge sagt und tut. Es ist billig, zwanzig Mark zu bezahlen, um sie zu erfahren und die Erfahrung zu machen, daß es mehr Dinge zwischen Bett und Kaffeehaus gibt, als manch eines Schulweisheit sich träumen läßt. Und daß ein Schriftsteller, der die virtuose Beherrschung seiner Sprache hinter gewagten Saloppheiten verbirgt und die bewundernswerte des Lebens an dessen Gelichter erprobt, kein Dichter sein muß, um es zu sein.


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