Johann Gabriel Seidl
Juana
Johann Gabriel Seidl

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Johann Gabriel Seidl

Juana.

»Nun, was sagt Ihr zu diesem Stimmchen, Sennor? – Ist es nicht glockenrein? Nicht ein Stimmchen zum Küssen, zum Verlieben, zum Rasendwerden?« fragte der wohlbeleibte Marquis von Villa-Marinquez, Kontador des Rates de hazienda zu Madrid, seinen Begleiter, den Musikdirektor der königlichen Garde, Joseph Melchior Gomis.

»St! St!« winkte ihm dieser, um ja keinen Ton der Wunderkehle zu verlieren, welche wie eine unbelauschte Nachtigall das Schweigen der Nacht mit ihren schwellenden Klängen belebte. Kalt rieselte es dem jungen Meister vom Wirbel bis zur Zehe nieder; es war der süße Schauer des Entzückens. Seine Augen, in welche sich unwillkürlich Tränen schlichen, verbarg er in der hohlen Hand, um ja durch nichts im Genusse gestört zu werden. Der wohlbeleibte Kontador hingegen war ein Enthusiast ganz anderer Art. Seine schwarzen, stechenden Augen leuchteten mit eigentümlichem Glanze aus dem braunroten Gesichte hervor. Um die aufgezogene Adlernase, welcher seine Rechte verschwenderische Prisen Spaniols zuführte, spielte ein lüsternes Lächeln, und sein ganzes Wesen schien zu verraten, daß seine Begeisterung nicht sowohl dem Gesange, als der Sängerin gelte.

Die herrliche Stimme, welche zwar nur ein einfaches kastilianisches Volksliedchen vortrug, aber dabei einen solchen Aufwand von Kraft, Klarheit und Schmelz kund gab, wie man es nur selten im Leben zu hören pflegt, scholl unter den Arkaden eines Häuschens hervor, welches unfern der Segovia-Brücke lag und in seinem Erdgeschosse mehrere Krämer und Kleinverkäufer beherbergte. Nur durch ein einziges, kleines Gitterfenster schimmerte Licht, und eben aus diesem Fensterchen klang die Melodie, welche den ältlichen Ratsmann und den jungen Kapellmeister, jeden auf eigene Weise, ansprach und fesselte.

»Beim heiligen Isidor,« rief jetzt Gomis aus, als die letzten Töne der Schlußstrophe leise verklungen waren, »das ist eine Stimme, Marquis, eine Stimme, wie ich noch keine in Spanien gehört habe, die darf der Welt nicht entzogen bleiben, es wäre Frevel an der Kunst, Frevel an der Natur, die solch ein Kleinod nur ihren liebsten Schoßkindern schenkt! Ihr habt mich hergeführt, edler Kunstfreund, Ihr wißt zuverlässig etwas Näheres, wer das Wesen ist, dem der Himmel solch eine Wunderkehle verliehen hat! O redet, sprecht, die Ungeduld verzehret mich!«

»Nun also glaubt Ihr, Sennor,« erwiderte der Kontador schmunzelnd, »daß Don Diaz von Villa-Marinquez Geschmack hat? Daß er weiß, was eine Stimme zu heißen verdienet? Daß er sich's angelegen sein läßt, sich umzutun, wo etwas für die Kunst zu gewinnen ist? – Das Mädchen, das diese herrliche, silberreine, unschätzbare Stimme besitzt, wohnt dort in jenem düstern, dumpfen, unbeachteten Laden, dessen Gitterfenster Ihr beleuchtet seht, und ist nichts mehr als ein armes, schlichtes Wäschermädchen, wie sie unter Tags zu Hunderten am Manzanares umherstehen und nach dem Takte ihrer Lieder das Leinen walken.«

»Nicht möglich!« entgegnete Gomis überrascht. – »Jammerschade, daß diese Perle im Schlamme vergraben liegt!«

»So reißt sie heraus aus dem Schlamm! Das war so meine Absicht, als ich Euch hiehergeführt. Ihr seid der Mann dazu; Ihr habt die Musik aus dem Fundament studiert, habt Euch in Valencia mit Mozart und Haydn Tag und Nacht beschäftigt, habt selbst so viel Schönes komponiert und instrumentiert, daß man Euch sogar nach unserer sehr edlen, rechtlichen, treuen und heroischen Stadt berief, um unseren murrköpfigen Gardesoldaten militärischen Gemeingeist einzumusizieren. Wenn Ihr Euch der armen Juana annehmet, so kann sie sicher sein, ihr Glück zu machen; und Ihr selbst habt eine Primadonna gefunden, deren Händen Ihr das Schicksal jeder Komposition beruhigt anvertrauen mögt!«

Dieser Gedanke fand bei Gomis Anklang. Der innere Drang, sich dem dramatischen Fache zu widmen, hatte ihn eben von Valencia fortgetrieben, wo er seit seinem sechzehnten Jahre als Gesanglehrer im Chorherrenstifte angestellt, von seinem Meister P. Pous nur für den ernsten Kirchenstil gebildet wurde, bis sich ihm in seiner zweiten Anstellung als Musikdirektor der Artillerie-Bande ein neues, lebhafteres Feld der Tätigkeit öffnete. Der Reichtum an kräftigen, aufweckenden Melodien, die ihm fortwährend in den Ohren klangen, die Kunst effektreicher Instrumentierung, deren er vollkommen mächtig zu sein sich bewußt war, und die genaue Kenntnis dessen, was der Stimme zusagt und was der Begleitung zu überlassen ist, flößten ihm die Überzeugung ein, daß er bestimmt sei, den tiefgesunkenen Ruf der spanischen Opernmusik auf einen glänzenden Standpunkt zu erheben; allein er fand in Madrid seine Hoffnungen gewaltig getäuscht. Das Theater de la Cruz, welches sich damals allein noch mit Opernvorstellungen befaßte, brachte nichts auf die Bretter als die bekanntesten und leichtesten Tonwerke von Rossini und dessen Nachäffern. Schlechte Sänger, ein ungeübter Chor und ein mangelhaftes Orchester gewährten dem einheimischen Tonsetzer nur eine unsichere Bürgschaft für das Gelingen einer größeren Komposition. Mit lebhafter Teilnahme griff er daher des Kontadors Vorschlag auf, welcher bei glücklichem Erfolge nicht nur seinen sehnlichsten Wünschen Erfüllung, sondern auch der vaterländischen Kunst einen dankenswerten Zuwachs zu versprechen schien.

»Ihr habt recht, Don Diaz,« begann er nach einer Pause, »es wäre ein köstlicher Fund! Wenn nur Juana auch sonst geeignet ist, Ihr versteht mich wohl – und wenn sie nur auch will!«

»O ich versteh' Euch,« versetzte der Kontador mit lächelnder Faunenmiene: »Ihr wollt so viel sagen, als ob Juana nebst ihrem schönen Stimmchen auch ein hübsches Lärvchen und ein interessantes Figürchen habe, was denn auf der Bühne auch mitunter eine Hauptsache zu sein pflegt. – Hat das alles, Sennor, – alles; ist ein Mädchen, ein Mädchen, dem ich schon manche blanke Dublone unter die Augen hielt, um es anzukörnen; aber da ist eine alte Mutter, eine echte Büßerseele, welche das lebenslustige Püppchen, von dessen Fleiße sie zehrt, vom Platz weg in den Himmel fördern will, und ihm jeden Schritt und Tritt bewacht wie ein Argus; da ist vor allem ein junger Vetter, ein rüstiger Arriero, rein andalusisches Vollblut, dem die Alte das Goldtäubchen zuzupflänzeln scheint; ein Kerl, der unerträglich wäre, wenn er nicht zum Glück die meiste Zeit im Jahre auf der Straße sich mit Fuhrwerk umhertriebe; und da ist denn endlich auch der starre Trotzkopf der Dirne selbst, welche lieber am Manzanares für geringen Lohn waschen und sich placken will bis sie Kreuzweh bekommt, um, wenn's gut geht, einmal ihrem barschen Andalusier als treues Eheweib die Maultiere anschirren zu helfen, statt von mir für ein paar Zärtlichkeiten einige Dublonen hinzunehmen, die ihrer Mutter auch nicht übel bekommen dürften. – Wie gesagt, die Dirne muß zu ihrem Glücke gezwungen werden, sie muß hinaus in die Welt, und ich wollte drauf schwören, in Jahr und Tag wird die Welt von ihr zu sprechen haben!«

»Wenn sie aber nicht will?« bemerkte Gomis, welchem des Kontadors Rede mannigfaches Bedenken erregte.

»Sie wird wollen, sie muß wollen!« fiel der Marquis fast heftig ein; »man muß den Nächsten zu seinem Glücke zwingen, wenn er selbst blind ist. Laßt das nur mich machen. Die Mutter ist mir eben nicht abhold, denn sie zählt mich zu den besten Kunden. Was ich der Tochter je Schönes sagte, geschah unter vier Augen, wenn sie mir die Wäsche ins Haus trug; die Alte hält mich für einen spröden Hagestolzen. Zudem liebäugelt sie mit dem Gelde um so lieber, je seltener es ihr ist. Auch ist sie in ihre Juana über die Maßen vernarrt. Wenn es nun heißt, daß man dieser ein glänzendes Los bereiten will, wodurch sie in ein paar Jahren reich genug wird, um mit ihrer Mutter und ihrem Zukünftigen – wohlgemerkt! der Arriero darf dabei nicht vergessen werden – fürs ganze Leben versorgt zu sein; wenn man bei der Alten gleich selbst den Anfang macht und ihr so viel auswirft, daß sie der Hände Juanas nicht weiter zu bedürfen scheint, – was gilt's, in den Köpfen beider brennt's lichterloh auf, und die liebe Eitelkeit, welche das Weibervolk von der Wiege bis zum Grabe beherrscht, macht sie geschmeidig, daß sie ganz ernstlich mit sich sprechen lassen. Man gibt dann der jungen Kandidatin eine ehrsame Duenna bei, welche die Mutter selbst wählen kann, spricht von dem Ruhme und dem Verdienste, wenn die gute Juana allenthalben auf allen Chören des Landes zum Preise Gottes fromme Lieder singt und durch ihren kindlichen Gesang alle guten Herzen erbaut; schildert die Notwendigkeit, sie, ihrer vollkommenen Ausbildung wegen, nach einer Stadt zu bringen, wo die Musik jetzt zu Hause ist, z. B. nach Paris, und während ich die Alte beschwichtige und tröste, seid Ihr, Sennor, mit unserer Kunstjüngerin bereits über der Grenze und könnt dann, von mir unterstützt, für ihren Unterricht nach Euerer besten Einsicht sorgen, um sie vielleicht schon nach Jahr und Tag als Primadonna im Triumphe nach Madrid zurückzuführen.«

Gomis dachte zu edel, um die niedrigen Absichten, welche aus des Marquis Worten hervorleuchteten, genau zu erkennen. Begeistert von der Kunst und ihrer Würde, ließ er sich's gar nicht träumen, daß es gemeine Seelen gäbe, die sich den Mantel der Gönnerschaft nur deshalb umhängen, um darunter die Schändlichkeit ihrer Zwecke mit einer Ausdauer zu verfolgen, welche, im Guten angewendet, den wärmsten Dank der Mitwelt verdienen würde. Er hörte nur Juanas Stimme; es war ihm, als sähe er sie schon mit dem Künstlerkranz in den Locken über die Bühnen aller Hauptstädte schreiten, als vernähme er schon den Beifallsjubel, welchen seine eigenen Melodien, von ihren wunderkräftigen Lippen strömend, bei den Besten seiner Zeit erwecken. Vor seinem inneren Auge tat sich eine neue Welt auf, heller erleuchtet von der Glorie des Ruhmes, als die Ufer des Manzanares vom Glanze des Vollmonds, der seinen hellsten Schimmer auf den schwärmenden Künstler herabgoß. –»Ja,« rief er aus, »edler Don Diaz, Ihr sollt Euer Geld nicht verschwenden; die Kunst zahlt reichliche Zinsen. Juana wird einen Lehrer an mir finden, dem es Ernst ist mit der Kunst, Ernst mit dem Glücke seiner Schülerin. Die Welt müßte taub geworden sein und alles Gefühl verloren haben, wenn solch eine klare, unschuldsvolle, kräftige Stimme, geleitet und ausgebildet nach den Regeln des wahren Kunstgeschmackes, nicht durchdränge durch das Getöse der Alltäglichkeit und nicht den Weg sich bahnte zu den Herzen aller Besseren. Ihr habt mir eine hohe Aufgabe gestellt, edler Freund und Gönner, und ich will sie lösen, so wahr ich Künstler bin!«

»Das ist ein Wort, wie ich's von Euch erwartet habe,« sprach der schlaue Kontador, dem Musikdirektor warm die Hand schüttelnd. »Morgen führ' ich Euch zu Juanas Mutter, und ich müßte nicht mit den Menschen umzugehen wissen, wenn wir nicht schon beim ersten Sturme Sieger wären! Ehe eine Woche vergeht, gehört das Mädchen uns – das heißt – der Kunst, der Welt, der Nachwelt«

»Horcht – horcht!« unterbrach ihn Gomis, denn von neuem erklang die liebliche Stimme durch das Gitterfenster. Ein einfaches heiliges Liedchen, in welchem sich das fromme Kind seinem wachenden Schutzengel empfahl, eh' es die Lampe auslöschte und zu Bette ging, tönte, zur Andacht stimmend, in die stille Nacht hinaus. Vom Kontador fortgezogen, schlich Gomis auf den Zehen dem niederen Fensterlein zu und warf einen neugierigen Blick in das stille Leben der nächtlichen Sängerin. Auf einem Schemel kniend, über welchem, von einer Schwebelampe beleuchtet, das Bild der Gottesmutter hing, ergoß sie die kindlichen Gefühle ihres keuschen Busens in rührendem Gesange. Ein leichtes Nachtkleid umfloß ihren schlanken Wuchs; ihr sanftes, ausdrucksvolles Gesicht, um welches die dunklen Locken einen reizenden Rahmen bildeten, war gegen den Himmel gekehrt, und der sanfte Glanz der Unschuld leuchtete aus ihren sprechenden Augen.

Mit funkelnden Blicken verschlang der Marquis, über des Meisters Schultern hinwegglotzend, die Züge des holden Geschöpfes. Gomis aber stand fest gebannt von stiller Begeisterung und fühlte lebhaft, daß es nichts Schöneres geben könne, als die Perle der Kunst in der Fassung der Unschuld.

 

 

Don Diaz war ein Menschenkenner. Was Gomis nie geglaubt hätte, geschah in einem kurzen Stündchen. So sehr sich Juanas Mutter anfangs gegen den Antrag sträubte, welchen man ihr hinsichtlich ihrer Tochter machte, so gab sie doch allmählich nach, als der Marquis von den goldenen Bergen zu sprechen begann, welche ihr selbst und dem Glücklichen, der einst ihr Schwiegersohn werden sollte, in kurzer Frist winken würden. Das Anerbieten, ihren Unterhalt vollkommen zu sichern, bis Juana sich mit ihrer Stimme mehr verdienen könnte als bisher mit ihren Händen, gewann die Alte ganz und gar. Mit Tränen in den Augen betrachtete sie die zwanzig Dublonen, welche Gomis ihr aufzählte, damit sie sähe, daß es ihm Ernst sei, ihr Töchterlein in die Lehre zu nehmen und für die schönste aller Künste heranzubilden.

»Bei der Asche meines Seligen,« rief sie aus, »das hält' ich mir im Traume nicht einfallen lassen, daß ich eine solche Nachtigall an meiner Juana hätte. Ich habe sie wohl oft singen hören, wenn sie mit den andern Mädchen am Flusse stand und wusch, oder wenn sie abends beim Auskleiden ein frommes Liedchen anstimmte, das mich nebenan in meinem Stübchen einlullte! – Aber was verstehe ich von Kunst und all dem gelehrten Krame, den die edlen Herren da im Munde zu führen pflegen? Gesungen ist gesungen, meint' ich immer, und so sang ich denn in früherer Zeit gar oft am IsidorfesteAm Feste des heiligen Isidro labrador (des Ackersmannes), des Patrons der Stadt Madrid († 1130). mein Stückchen auch mit, wer weiß, ob nicht eben so schön als Juana, nur daß mich keine solchen Kenner hörten, wie der ehrenwerte Herr Kontador und der hochgelehrte Herr Musikmeister!«

»Aber wo steckt denn nur Euere Juana?« fragte der Marquis ungeduldig. »Sie muß doch auch gefragt werden, ob sie mit unserem Plane und mit Euerer Zustimmung einverstanden ist, denn Zwang tut in keiner Sache gut, am allerwenigsten in der freien Kunst, durch die sie ihr Glück machen soll.«

»Ei das versteht sich!« versetzte die Alte, »zwingen will ich sie nicht; dazu ist sie mir viel zu lieb. Wenn sie nicht so fleißig für mich arbeitete, so müßt' ich darben. Eben heute ist sie schon seit frühem Morgen auf den Beinen. Doch seht, dort kömmt sie eben. Die wird Augen machen, wenn sie hört, was sie für ein Kapital an ihrem Stimmchen hat.«

»Jetzt überlasse ich das Feld Euch, edler Meister,« sprach Don Diaz, welcher wohl wußte, daß seine Person dem Mädchen nie angenehm war. – »Ihr wißt die Worte besser zu setzen und das Erhabene, Göttliche der Kunst, der Ihr huldiget, klarer und eindringlicher zu schildern, als ein Laie meinesgleichen. Von Euerer Überredungsgabe hängt es jetzt ab, das ganze Glück eines guten, frommen Wesens zu begründen, und zugleich dem Vaterlande eine Künstlerin zu werben, wie es noch keine gehabt hat!«

»Der Segen des Himmels komme über Eure Herrlichkeit,« dankte ihm die Alte mit großer Rührung, »ich küsse Euch die Füße,«besar los piés, spanische Redensart, um einen hohen Grad der Dankbarkeit anzudeuten. und dabei wollte sie seine Hände küssen, die er vornehmgnädig zurückzog. Indes war Juana eingetreten und setzte, schwer aufatmend, ihren Wäschkorb ab.

»Ist dir's sauer geworden, gutes Kind?« fragte Don Diaz mit blinzelnden Augen, eine Fassungsprise schlürfend, das Mädchen, welches schüchtern grüßend zurücktrat. »Nun es soll nicht lange mehr so bleiben. Hier hab' ich dir einen Herrn gebracht, der sich deiner Mutter und deiner selbst annehmen wird. Ich lasse euch allein mit ihm; ich hoffe, daß du den Wink des Schicksals ebenso wirst zu schätzen wissen, wie Deine würdige Mutter.«

Juana war über diese Worte nicht wenig erstaunt und betrachtete den schön uniformierten Musikdirektor, welcher, als Diaz fort war, sie freundlich begrüßte, mit großen, forschenden Augen.

»Du kennst mich nicht, liebes Kind,« begann Gomis mit einschmeichelnder Freundlichkeit, »aber deiner Mutter ist mein Name und der Zweck meines Besuches schon bekannt, und sie hat gegen beide nichts einzuwenden. Ich hoffe daher, daß auch du mir Gehör schenken wirst. Nicht wahr?«

»Ich muß mir's zur Ehre rechnen,« erwiderte Juana, »wenn so vornehme Herren sich herablassen, mit einem Mädchen meinesgleichen zu sprechen.«

»Du bist brav, gut, fromm, fleißig, du erhältst deine Mutter; Eigenschaften genug, um derentwillen dich selbst jeder Grande von Spanien zu achten schuldig ist. Du besitzest aber noch einen Vorzug, dessen du dir vielleicht selbst kaum bewußt bist, einen Vorzug, dessen sich unter Tausenden kaum eines rühmen kann, einen Vorzug, der, wenn du ihn gehörig zu schätzen weißt, dir und deiner Mutter nicht nur eine sorgenfreie, sondern sogar eine glänzende Zukunft verspricht.«

»Ihr wollt mich eitel machen,« erwiderte Juana, immer heftiger errötend, »wenn's wirklich zu unserem Glücke wäre, so hätte mich der Himmel wohl selbst darauf verfallen lassen. Bete ich doch täglich zu Gott, daß er die Arbeit meiner Hände segne, und mich so viel verdienen lasse, als hinreicht, um uns ehrlich zu ernähren; ihm gilt mein erstes, ihm mein letztes Lied!«

»Das eben hörte ich,« fuhr Gomis fort; »daß mich der Zufall dein Lied hören ließ, darin erblicke ich gerade den Willen des Himmels, welcher dir einen Schatz in die Brust legte, den nur ein Musiker ganz zu würdigen vermag. Hast: du nie singen gelernt?«

»Nein, mein edler Herr!«

»Und hast doch in deiner Stimme so viel Ausdruck, so viel Biegsamkeit, so viel Schmelz!«

»Ich singe, wie mir ums Herz ist; tue absichtlich weder etwas dazu, noch dawider.«

»Das ist die wahre Kunst, die das Rechte trifft, ohne es zu beabsichtigen. Hast du nie öffentlich gesungen?«

»Ei ja wohl, am Festtage des heiligen Isidor, oder zur Fastnachtszeit auf der Insel draußen, ja, fast alle Samstage, wenn die Mädchen am Ufer zusammenkommen und tanzen, Plumpsack spielen oder Pfänder geben.«

»Und hat dir nie jemand gesagt, daß du hübsch singst, und dir mit deinem Gesange etwas verdienen könntest?«

»Ach, geht, edler Herr, wer sollte mir denn dafür etwas geben, außer vielleicht einen Kuß. Ja, den hat mir Vetter Ruy schon öfters angetragen, aber die Mutter duldet es nicht; richtig und auch, jetzt entsinn' ich mich, der hochansehnliche Herr Kontador, aber von dem wollt' ich keinen, auch wenn's die Mutter zuließe.«

»Wer spricht denn von Küssen, kindisches Mädchen? Ich meine, ob du nie darauf verfielest, dir mit deinem Gesange Geld zu verdienen und dadurch deine Mutter noch besser zu unterstützen?«

»Tun denn das wohl ehrliche Mädchen?«

»Warum denn nicht? Wozu hätte denn Gott manchen Menschen eine besonders reine, rührende Stimme gegeben, wie z. B. dir, Juana, als zur Freude, zur Erbauung, zur Besserung ihrer Nebenmenschen? Wenn du froh bist, so singst du, und wenn andere dich singen hören, so werden sie fröhlich mit dir, und ist es denn eine Sünde, wenn man jemanden froh macht? Ist es eine Sünde, wenn man in der Kirche singt, und trägt es nicht zu deiner Andacht bei, wenn du die Hallen des Isidordomes oder der Isabellakirche von schöner Musik ertönen hörst? Hast du nie gehört, daß selbst die wildesten Menschen gerührt werden, wenn sie ein sanftes Lied hören, und es sollte Sünde sein, wilden Menschen das Herz zum Besseren zu stimmen? – Wenn du nun auf eine Art, welche keiner Seele zum Schaden gereicht, etwas für dich, für deine Mutter erwerben könntest, und wenn dein Gesang das Mittel dazu wäre, würdest du Anstand nehmen, es zu tun?«

»Wer sollte mir aber denn für mein Singen etwas zahlen? Die Leute, die mich kennen, hören mich ja umsonst, und diejenigen, die mir etwas zahlen wollten, kennen mich nicht!«

»Sie sollen dich aber kennen lernen! Sieh, Juana, diese Goldstücke, die zahlte jemand deiner Mutter bloß in der Hoffnung aus, irgend einmal vielleicht von dir etwas zu hören! – Ja, staune nur, frage deine Mutter, sie kann dir's selbst nicht anders sagen!«

»Wahrhaftig Töchterlein,« beteuerte die Alte und zählte die zwanzig funkelnden Dublonen auf, »all diese schönen Goldstücke schenkte mir der Herr Musikdirektor da, lediglich für die Erlaubnis, dich, wenn du wolltest, in der Musik unterrichten zu dürfen.«

»Um des Himmels willen, Mutter, gebt ihm das Geld zurück. Wer so viel gibt für so wenig, der kann nichts Gutes wollen. Ihr wollt mich nur versuchen, edler Herr, wollt mit mir armen Mädchen Eueren Scherz treiben.«

Gomis hatte Mühe, das ängstliche Mädchen zu beschwichtigen; ja ohne der Mutter Zureden wäre es ihm wohl schwerlich gelungen. Die Bitte Juanas, sie nicht aus einer Welt herauszureißen, in welcher sie trotz ihrer Armut zufrieden sei, und sie dafür einer unbekannten, vielleicht unsicheren Zukunft entgegenzuführen, machte auf das weiche Gemüt des Meisters einen tiefen Eindruck. Allein die Begeisterung für seine Kunst, der er selbst schon manches Opfer gebracht, verlieh ihm Beredsamkeit und Feuer; er schilderte ihr den lohnenden Erfolg ihrer Bestrebungen mit den glühendsten Farben, regte ihre Eitelkeit mit allen möglichen Kunstgriffen an, und stellte es ihr sogar als eine heilige Pflicht dar, eine Gabe, die Gott nur wenigen verleiht, nicht unbenützt zu lassen, sondern sie zur Ehre dessen, der sie damit geschmückt, zum Frommen ihrer Mutter, zum Nutzen und Vergnügen der Welt zu gebrauchen.

»Ihr sprecht so schön und so herzlich,« begann sie nach einer Pause mit tränenfeuchten Augen, »es ist mir wohl so zumute, als wenn Ihr's gut meintet, und da es meiner Mutter auch gut dünkt, so kann ich nichts entgegnen. Aber was wollt Ihr denn eigentlich mit mir beginnen, damit ich so glücklich werden könne, als Ihr sagt? – Ich bin ungelenk, ohne Bildung, ohne Geschick für die Welt, Ihr werdet's bereuen, mich in die Lehre genommen zu haben, ich werde Euch nur Schande machen!«

»Das wirst du nicht,« versetzte Gomis mit sanfter Stimme, »du darfst nur singen, so machst du dir Ehre und der Natur, welche dich so freundlich bedacht hat. Alles übrige wird sich geben wenn du nur fleißig bist, und das bist du ja! Du wirst Neues sehen, überraschendes hören, unter liebreichen, gebildeten Menschen dich bewegen, du wirst mit mir in eine Stadt kommen!«

»Ich soll fort von hier?« fiel ihm Juana ins Wort. »Aus meiner Vaterstadt? Nimmermehr.«

»Wenn ich dich begleite?« beruhigte sie die Mutter, ihr die Wange streichelnd. »Der edle Herr wird mich wohl von dir nicht trennen wollen!«

»Oder wenn Ihr Euerer Juana eine vertraute Freundin beigäbet, deren Wahl Euch überlassen bliebe!« bemerkte Gomis in bezug auf das mit dem Kontador Verabredete. – »Ihr seid an eine größere Reise nicht gewöhnt. Auch soll, während Euere Tochter fern ist, was nicht so lange dauern dürfte, vollkommen für Euch gesorgt sein!«

»Nicht doch, edler Herr,« versetzte die Alte, »ich fürchte mich vor keiner Reise. Die Not hat mich abgehärtet, und was die Beschwerden des Weges allenfalls verderben könnten, wird durch das Bewußtsein, meine Juana bei mir zu haben, alsbald wieder gut gemacht werden. Ja, ja, Kind, wohin du gehst, gehe ich auch; trennen laß ich mich von dir nicht, und wenn man mir noch zehnmal so viel vorzählte, als mir der edle Herr da gab.«

Der Musikdirektor mußte ihr das zugestehen, wenn er nicht unverrichteter Dinge weggehen sollte. »Nun seht, liebe Juana,« fuhr er fort, »auch darauf kommt es nicht an. Euere Mutter geht mit Euch!«

»Wirklich, Mutter?« fragte das Mädchen. »Um meinetwillen verließt Ihr die Stadt, in der Ihr alt geworden seid, das schöne Madrid, unsere Vaterstadt!«

»Es ist ja zu deinem Glück und zu meinem.«

»Was wird aber Vetter Ruy sagen, wenn er zurückkommt und unsere Wohnung leer findet!«

»Der edle Herr Musikdirektor wird die Güte haben, einen Brief aufzusetzen, in welchem ihm alles klar gemacht und erzählt wird, daß er, wenn du glücklich zurückkehrest, auch seinen Anteil an deinem Glücke haben soll; daß wir nicht eher um seinen Rat fragen konnten, weil er mit seinem Fuhrwerk gar weit hin nach Valencia zog, und erst nach drei Monaten heimzuziehen willens war, und weil das Glück ein Vogel ist, den man schnell ergreifen muß, wenn er nicht wegfliegen soll für immer. Diesen Brief geben wir in der Posada ab, wo er gewöhnlich zuspricht, damit er weiß, warum er das Haus leer findet, und nach kurzer Frist überraschen wir ihn selbst wieder in Madrid

»Aber er wird traurig sein!«

»Der Gedanke, daß du dein Glück machst, wird ihn trösten.«

»Er wird glauben, daß ich ihn vergessen wolle.«

»Deine Rückkunft wird ihn vom Gegenteile überzeugen. Er ist so oft fern von dir, du könntest ihm ja den nämlichen Vorwurf machen. Das Glück läuft den Menschen nicht immer ins Haus, wie viele müssen es über dem Meere suchen.«

»Also kannst du dich entschließen, Mädchen, mir zu folgen?« lenkte Gomis ein.

»Meine Mutter findet es für gut,« antwortete das Mädchen schluchzend, »meine Mutter begleitet mich, Ihr, edler Herr, nehmt es auf Euer Gewissen – nun denn, so sei es! Aber lehrt mich nicht etwas, was ich einmal gern wieder vergessen möchte! Es würde Euch gewiß keinen Segen bringen.«

»Wohlan, Juana,« erwiderte Gomis, »so begrüß ich dich denn als meine Schülerin. Ich will stolz darauf sein, deinem kindlichen Gemüte eine neue Welt aufzuschließen, in welcher Herzensreinheit ein ebenso unschätzbares Kleinod ist, als im bürgerliche und häuslichen Leben. Nur ein guter Mensch kann ein guter Künstler werden. Merke dir das, Mädchen, und betrachte alles, was du von mir lernen willst, immer nur als eine Art von Gebet zu deinem Schöpfer, der das Talent dir gab, durch welches du das Lob der Menschen ernten wirst. An diesem Gedanken halte fest, dann wirst du eifriger lernen, herzlicher singen, froher leben, und mitten unter den Huldigungen und Beifallsspenden, welche dir bald in reichlichem Maße zuströmen dürften, ebenso brav, ebenso einfach und anspruchlos bleiben, wie du es noch gestern warst, da du, belauscht von mir und dem Kontador, dein frommes Abendliedchen sangst.«

Don Diaz Marquis von Villa-Marinquez drückte dem Musikdirektor mit schmunzelndem Lächeln die Hand, als dieser in voller Eile kam, ihm seinen Sieg über alle Bedenklichkeiten Juanas zu melden. Zwar schien der Umstand, daß die Alte sich selbst zur Begleitung ihrer Tochter angeboten habe, dem wohlberechnenden Kontador eben nicht sehr willkommen; allein da es nicht leicht zu ändern war, so vertröstete er sich darüber mit der Erfahrung, daß auch Mütter ihre schwachen Seiten haben und sich bisweilen hinters Licht führen lassen. Lieb war es ihm, zu vernehmen, daß der wilde Arriero so leicht aus dem Felde geschlagen wurde, was er nicht erwartet hatte. Er erklärte, den Brief an ihn selbst besorgen zu wollen; gab dem Musikdirektor Anweisungen und Verhaltungsregeln aller Arten, welche dieser, für Intrigen kurzsichtig, wie jeder wahre Künstler, nur als seltene Beweise ungewöhnlicher Kunstliebe dankbar hinnahm, und suchte Juanas Reise nach Frankreich auf alle mögliche Art zu beschleunigen. Schon in der nächsten Woche brach Gomis mit seiner liebenswürdigen Kunstjüngerin und ihrer Mutter auf. Beim Abschiede von Madrid gab es viele Tränen, fast ohnmächtig mußte das Mädchen in den Postwagen gebracht werden. Bis nach Pardo leistete der Kontador, als ziemlich unbeachteter Begleiter, dem Zuge Gesellschaft, und schied mit der Bitte, Gomis möchte ihm gleich nach seiner Ankunft in Paris Nachricht geben und seine Korrespondenz eifrig fortsetzen, bis Don Diaz vielleicht selbst Gelegenheit fände, sich von Juanas Fortschritten persönlich zu überzeugen.

 

 

Etwa fünf Wochen nach Juanas Entfernung von Madrid kam Vetter Ruy zurück; er hatte ungewöhnlich geeilt; eine dunkle Ahnung trieb ihn mit Hintansetzung manches Nebengewinnes nach Hause. Seine erste Frage, als er in die Posada trat, wo er mit seinen Maultieren anzuhalten pflegte, ehe er in die Stadt ging, war die, was es Neues gebe. Man übergab ihm den Brief, den Juanas Mutter für ihn zurückgelassen hatte. Voll banger Ungeduld bat er den Wirt, ihm dieses Schreiben vorzulesen. – Ein wildes Feuer glühte immer drohender in seinen dunkeln Augen; seine Lippen zuckten; krampfhaft zerrte er an seinem kurzen braunen, blau und rotgestreiften Gewande, drehte mit verbissener Wut die Kreuzchen und Sternchen ab, mit denen er Hut und Jacke geschmückt hatte, und rannte in weitausholenden Schritten auf und nieder, bis er zuletzt wie rasend ausbrach: »Beim Blute des Herrn! Dahinter steckt ein Schelmstück, ein Schurkenstreich. Aber wehe, wehe dem, der mir meine Juana abspenstig machen will. Und wenn ich mit Banditen Bruderschaft trinken, und wenn ich dem Henkerbeile entgegengehen müßte, so schwör ich ihm Rache, die blutigste Rache, die je ein beleidigter Andalusier an seinem Feinde genommen!«

 

 

So groß Paris ist, so kann doch nicht leicht etwas verborgen bleiben, was für das Leben oder für die Kunst eine ungewöhnliche Ausbeute verspricht. Die schreibseligen Feuilletonisten, welche sich, um ihre Abonnenten mit Neuigkeiten zu sättigen, selbst aus Lügen kein Gewissen machen, setzen alle Douaniers, alle Gastwirte, alle Aufwärter, alle Pflastertreter und Eckensteher in Requisition, um die Spalten ihrer Blätter mit Notizen zu füllen und mit irgend einer Nachricht oder Bemerkung zuerst auftreten zu können. – Ehe noch Gomis mit seiner Schülerin und ihrer Mutter in einer Mansarde fest saß, hieß es schon in einigen Journalen: »Eine ausgezeichnete kastilianische Natursängerin sei in Begleitung des rühmlichst bekannten spanischen Kapellmeisters J. M. Gomis in Paris angekommen, um sich für die große Oper auszubilden; man mache daher das musikalische Publikum auf das Erscheinen eines jugendlichen Talentes aufmerksam, welches bald in der Kunstwelt Epoche machen dürfte.« – So unlieb diese vorlaute Anzeige dem Musikdirektor in bezug auf seine schüchterne Schülerin war, so verschaffte sie doch ihm selbst den Vorteil, schon in den ersten Tagen seines Aufenthaltes von den meisten Journalisten und Theaterdirektoren, mitunter auch von anerkannten musikalischen Autoritäten besucht zu werden, welche ihm allen erdenklichen Vorschub zu leisten versprachen, wenn er Juana soweit gebracht haben würde, daß sie die ersten Proben ihrer Kunst öffentlich ablegen könnte.

Auf die lebhafte Jungfrau machte das bunte, vielbewegte, heitere Leben in Paris, welches gegen das trägstolze, zurückhaltende, durch politische Spannungen in seiner freien Entwicklung vielfach gehemmte Treiben in Madrid gewaltig abstach, einen tiefen Eindruck, dem sie sich freudig hingab. Die Neuheit der ganzen Umgebung, die gefällige Form, in welche der Luxus die gewöhnlichsten Gegenstände zu kleiden weiß, der leichte, muntere Sinn der Franzosen, das alles trug dazu bei, ihr schüchternes Wesen bald in natürliche Lebendigkeit zu verwandeln. Sie lernte spielend, und lernte um so lieber, je schneller sie jedesmal die Früchte ihres Fleißes einerntete. Sie wurde belobt, ausgezeichnet, aufgemuntert, durch rege Teilnahme belohnt. Nicht nur in der Musik, welcher sie bald schon mit einem gewissen Selbstgefühle oblag, sondern auch in Sprachen machte sie die erfreulichsten Fortschritte. Eine ganz eigentümliche Anziehungskraft äußerte die Bühne auf sie; der magische Zauber der Bretterwelt, von welchem sie bisher nichts geahnt hatte, setzte ihre Phantasie in die vollste Tätigkeit. Wie den Offenbarungen einer höheren, überirdischen Sphäre lauschte sie den gewaltigen, herzenbestürmenden Tonwogen der Harmonie, auf welchen die rührenden Melodien ruhig, wie segelnde Schwäne, hinglitten. Dazu die augenerquickenden Dekorationen, der blendende Prunk der Kostüme, der geräuschvolle Pomp der Aufzüge und Komparserien und bald die atemlose Stille, bald der jubelnde Beifall und die unmittelbare Rückwirkung auf das Alltagsleben, aus alle Klassen der Bevölkerung, und es ist kein Wunder, daß ein Wesen, welches Tag für Tag hörte, wie es selbst auch dazu bestimmt sei, von all diesen Wundern der Kunst unterstützt, als belebende Seele solch eines riesigen Ganzen dazustehen und durch einen Ton seiner Kehle tausend fühlende Herzen zu erschüttern, nach und nach hineingerissen wurde in jenen seligen Taumel, der das sehnsüchtige Herz betäubt und es dem ruhigen Gange des praktischen Lebens entfremdet. Je weiter sie in der Kunst vorwärts schritt, desto tiefer sank das Traumbild einer anspruchlosen, in all ihrer Not glücklichen Kindheit hinter ihr hinab. Eitelkeit, die traurige, fahle Schlingpflanze, die sich so wuchernd um den grünen Baum des Künstlertums emporrankt, schlug unvermerkt in ihrem Herzen Wurzel. Den Augen der Mutter entging es wohl nicht, aber was konnte die arme, alte Frau im fremden Lande, unter fremden Menschen, deren Sprache sie nicht verstand, deren Sitte sie nicht begriff, als warnen und klagen, und zuletzt bereuen, daß sie ihrer Tochter zu etwas geraten habe, was allem Anscheine nach zwar zum Ruhme, aber nicht zum Glücke führen würde. Anfangs tat es ihr freilich wohl, Juanas Gelehrigkeit allenthalben beloben, ihre Stimme bewundern, ihr die glänzendste Zukunft prophezeien zu hören, aber bald ward jedes Lob, jedes Wort der Bewunderung, jede ruhmredige Prophezeiung zu einem Dolchstiche für ihr besorgtes Mutterherz. Sie kränkte sich tief und zehrte ab und wünschte zuletzt nichts sehnlicher, als wenigstens nicht mehr Zeugin von Triumphen zu sein, welche ihr das Herz ihrer Tochter ganz und gar entzögen. Gomis merkte wohl alles, aber er konnte nicht mehr zurück. Juanas Ausbildung war zu einer Sache der Kunst geworden; er war es nicht nur seinem Mäcen, dem Kontador, schuldig, welcher mit seinen Unterstützungsbeiträgen nicht zurückblieb, sondern auch seinem Vaterlande, der Weltstadt Paris, eine Aufgabe zu lösen, für deren Resultat er sich mit seinem eigenen Künstlerrufe verpfändet hatte. Seine Zukunft war mit Juanas Schicksale in künstlerischer Hinsicht zu eng verknüpft, als daß er sie mitten auf einer Bahn, welche sie so vielversprechend beschritt, hätte zurückhalten sollen. Zwar ließ er es nicht an freundlichem Rat, an liebevoller Ermunterung zum Besseren, an lebhafter Anregung ihres Ehrgefühles fehlen, allein der treffliche Künstler ist nicht immer der trefflichste Mentor, und überhaupt mag es schwer sein, ein eben flügge gewordenes Talent, welches Trieb und Kraft in sich fühlt, den höchsten Flug zu tun, jederzeit so zu zügeln und zu lenken, daß es die heimatliche Erde nie aus den Augen verliert.

Noch war kein Jahr verflossen, als Juana ihrem Lehrer bereits geeignet schien, die erste öffentliche Probe ihrer ungewöhnlichen Befähigung zu liefern. Gomis hatte einige Romanzen und Kavatinen für sie komponiert, darunter auch eine Preghiera, wozu er die Melodie des innigen Abendliedchens benützte, welches er von ihr unter den Arkaden unsern der Segoviabrücke in ihrem heimischen Stübchen singen hörte. Sie trug es mit hinreißendem Schmelze vor. Der rauschendste Beifallsjubel war ihr dabei um so gewisser, als auch die natürliche Einfachheit und der nationale Anstrich des Themas an und für sich des tiefsten Eindrucks nicht verfehlen konnte. Wochenlang vorher stießen die Journalisten schon in ihre Posaunen, und alle Musikliebhaber sahen dem Tage des Konzertes, welches größtenteils Nummern von der Komposition des spanischen Kapellmeisters bringen sollte, mit Ungeduld entgegen, als ein trauriges Ereignis die Produktion hinausschob. Juanas Mutter erlag den Einflüssen der neuen Umgebung, in welche sie sich nicht fügen lernte, vor allem aber der Sorge für das Wohl ihrer Tochter, in welcher sie die kindliche, treuherzige, zufriedene Juana durchaus nicht mehr wiederfand. – »Vergiß über das, was du gelernt hast,« sprach sie auf dem Sterbebette zu ihr, »nicht deines Gottes, nicht deiner Mutter. Laß mich sterben mit der Hoffnung, daß du bleibst, wie du immer warst, damit dein seliger Vater, wenn ich ihn oben wiedersehe, nicht zürnend fragen muß: Weib, wo hast du unsere Tochter? Du hast sie verloren, ihr Blut komme über dich!«

Gomis meldete diesen Vorfall seinem Kunstgönner in Madrid. Mit nächster Wendung der Post kam die Antwort: »Er möge einstweilen für Juanas Bequemlichkeit sorgen, so gut es ginge, und sie unter strenger Aufsicht halten; sobald es seine Geschäfte zuließen, wolle er selbst kommen und ihr eine passende Gesellschafterin aus Spanien mitbringen. Übrigens möge die Waise unbekümmert sein; er wolle in allem und jedem Vaterstelle bei ihr vertreten.« – Juanas Gemüt war tief erschüttert, aber der Ruhm ist ein schmeichlerischer Tröster. Er flüsterte ihr dies und jenes zu, was ihre Eitelkeit aufregte; er zerstreute sie durch hundert Bilder und Szenen, die er ihr lockend vormalte; er beredete sie, daß sie jetzt, wo sie in der Welt alleinstände und nichts mehr zu berücksichtigen hätte, als die Kunst, ihr und sich es schuldig sei, sich derselben mit voller Seele hinzugeben. Noch war die kürzeste Frist der üblichen Trauerzeit nicht um, als Juana sich entschloß, ihr erstes Debut zu wagen.

Das Konzert, worauf die Neugierde infolge des eingetretenen Hindernisses um so höher gespannt war, wurde angekündigt. Der Zudrang war ungeheuer; die Stimmung des Publikums die beste. Rauschender Applaus belohnte den Kapellmeister für die Ouvertüre und für ein Vokalquartett mit Orchesterbegleitung, in welchem sich nicht nur tiefe Kenntnis des Kontrapunktes, sondern auch Originalität und Grazie der Melodie kundgab. Mit ungestüm klopfendem Herzen harrte Juana des Augenblickes, wo sie hinaustreten und die Elite der Pariser Bevölkerung durch die Macht ihres Gesanges beherrschen sollte. Mancherlei Bilder und Erinnerungen zogen an ihrer Seele vorüber; mit selbstgefälligem Lächeln verglich sie die Zeit, wo sie als armes Wäschermädchen am Manzanares stand und ein einfaches Liedchen trillerte, mit der glänzenden, siegverheißenden Gegenwart, und der Vergleich erhöhte ihren Mut zur kühnen Begeisterung. Der Gedanke, daß sie vor der Weltstadt gleichsam den Kunstgeschmack ihrer Nation zu vertreten habe, dieser von Gomis längst ihr eingeflößte Gedanke, begleitete sie hinaus auf die Tribüne, auf welcher sie mit lauter Akklamation empfangen wurde.

Schon ihre reizende Gestalt, gehoben durch die malerische Tracht ihrer Heimat, nahm für sie ein. Jetzt begann die Preghiera, eine Melodie, welche wie ein Echo ihrer Kindheit aus ihrer Kehle voll ungekünstelter Natürlichkeit hervorströmte. Was ist wirksamer als das einfach Schöne? – Alles war hingerissen; ein Beifallsjubel, der nicht enden wollte, folgte der Künstlerin nach. Ihr Name war begründet; Gomis sah seine Bemühungen reichlich belohnt. Er hatte, wie es ihm Don Diaz vorausgesagt, an Juana eine Primadonna gefunden, durch die er die Schöpfungen seines Talentes allerorten einführen lassen konnte. Der Dank, den er von ihr zu fordern berechtigt war, wurde aufgewogen von dem Danke, zu welchem sie ihn durch den herrlichen Vortrag seiner Kompositionen verpflichtete. » Gomis und Juana« galt in kurzer Zeit als allgemeine Losung. Alle Intendanten wetteiferten, die liebenswürdige Spanierin für ihre Unternehmungen zu gewinnen; alle Musikhändler überboten sich an Bereitwilligkeit, die Boleros, Seguidillas, Kanzonen und Arien in Verlag zu nehmen, welche Gomis für seine treffliche Schülerin komponierte. Beide gewannen nebst dem Ruhme auch Geld in Menge. Schon dachte Juana daran, dem Marquis von Villa-Marinquez, welchen ihr Gomis, zu ehrlich, um fremdes Verdienst sich anmaßen zu wollen, erst nachträglich als den eigentlichen Begründer ihres Glückes nannte, aus ihren reichlichen Einnahmen alles zu vergüten, was er auf ihre Ausbildung verwenden ließ, aber ehe sie dazu kam, erschien der Marquis mit der angekündigten Gesellschafterin für Juana selbst in Paris, um sich von dem Triumphe seiner Klientin zu überzeugen. Er wies jeden Ersatz seiner Auslagen, als eines Kunstgönners und Spaniers unwürdig, zurück und erbat sich nichts als einen kleinen Anspruch auf dankbare Erinnerung und freundliche Wohlgewogenheit. Was er aber in den Begriff der Dankbarkeit alles mit hineinzöge, wurde bald Juanas ganzer Umgebung klarer, als dem edeldenkenden Meister Gomis, der ebensowenig Weltklugheit und Menschenkenntnis besaß, als die meisten Künstler. Die Duenna, welche der Kontador für seine Ziehtochter, so nannte er Juana scherzweise, mitgebracht hatte, stand in seinem Solde und tat ihr möglichstes, um das Herz ihrer Schutzbefohlenen zu seinen Gunsten zu stimmen. Die raffinierten Pariser hatten es bald weg, was hinter der ganzen Sache stäke. Daß alte Wüstlinge sich unter dem Scheine der Wohltätigkeit oder Gönnerschaft junger, unschuldiger Geschöpfe annehmen, um durch Anregung ihrer Eitelkeit ihr sittliches Zartgefühl nach und nach einzuschläfern, und ihnen zuletzt Zugeständnisse, wovor sie früher gerechten Abscheu hatten, als Beweise schuldiger Dankbarkeit abzunötigen, ist in keiner großen Stadt etwas Seltenes, am wenigsten wohl in Paris. Einer dieser unermüdlichen Bewerber, die keine Kosten scheuen, die jahrelang geduldig zuwarten, um ihren Zweck zu erreichen, war auch Don Diaz. Der arglose, von blindem Enthusiasmus für die Kunst beseelte Gomis diente ihm dabei, ohne es zu ahnen, als eifriger Helfer. Juana selbst war von dem lauten Gewirre wechselnder Eindrücke zu sehr in Anspruch genommen, um sich sammeln und einen ernsteren Blick in ihr Inneres tun zu können. Nur manchmal in unschuldigen Träumen schwebte ihr das Bild ihrer sterbenden Mutter, wohl auch das blitzende Auge ihres Vetters Ruy vor, aber wie schnell waren solche Mahnungen an die Vergangenheit wieder durch das bunte Gebrause der geräuschvollen Gegenwart übertäubt! Der rastlos tätige Gomis, welcher nun den Zeitpunkt günstig erachtete, Juanas Talent auch auf der Bühne geltend zu machen, beschäftigte sich nicht nur damit, einige Opernpartien, namentlich in Rossinis vorzüglicheren Tonwerken, mit ihr durchzumachen, sondern arbeitete in Stunden der Weihe auch selbst an einer Opernkomposition, welche, wenn seine Schülerin nach Madrid zurückkehrte, zu ihrem Debut auf dem Theater della Cruz dienen sollte. Vor allem war es die Desdemona in Rossinis » Othello«, welche der Individualität und Stimme Juanas zusagte. Der musikalische Teil der Rolle machte ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten, aber auch der mimische, welchen ihr eine namhafte Schauspielerin des Théâtre français einübte, fand an ihr eine so gewandte Darstellerin, daß nichts gewagt schien, wenn man sie schon jetzt von der Tribüne des Konzertsaales auf die Bretter des Opernhauses versetzte. Der Erfolg war eklatant. Nicht nur die Kritik nahm ihren Mund voll und reihte ihren Namen den Sternen erster Größe an, sondern auch im Leben erreichten die Huldigungen, die man ihrem Talente und ihrer Person darbrachte, ein solches Übermaß, daß es der eigensüchtige Marquis für rätlich erachtete, sein teuer erkauftes Kleinod auf heimischen Boden zu retten. Sowohl Juana selbst als Gomis, welcher indes seine Oper vollendet hatte, waren damit einverstanden, und voraus empfohlen durch Journallobpsalm, gefolgt von französischen Galanterien in Versen und Prosa, reiste die Künstlerin in Begleitung ihres Gönners, ihres Lehrers und ihrer Duenna nach Madrid ab.

 

 

Das Andenken des wackern Gardekapellmeisters, dessen effektvolle Parademärsche noch fortwährend von den Militärbanden gespielt wurden, war in Madrid noch lebhafter, als er es selbst erwartet hätte. Mit großer Spannung sah man daher der Aufführung seiner Oper: »La aldeana« entgegen, in welcher, wie es hieß, eine junge, in Madrid geborne Sängerin den Hauptpart singen sollte. Gomis hatte in seine Musik mit vielem Geschmacke mehrere spanische Nationalmelodien, und unter andern auch die liebliche, einem kastilianischen Volksliedchen nachgebildete Preghiera verwebt, mit welcher Juana in Paris so viel Beifall erntete. Schon durch diese heimatlichen Anklänge schien der Erfolg des Abends gesichert. Das Theater della Cruz konnte die Menge der Zuhörer kaum fassen. Mit selbstbehaglicher Grandezza lehnte Don Diaz in seiner Gitterloge, als ob er allen Leuten sagen wollte: »Seht in mir den hohen Mäcen, der dieses Wunderkind auf die Bühne brachte, seht in mir den beglückten Kunstfreund, der nun bald den erquicklichen Lohn für seine Gönnerschaft von der reizenden Künstlerin wohlgefällig hinzunehmen gedenkt!«

Mit den ersten Tönen von Juanas Lippen war das Glück der Oper entschieden; sie machte Furore. In wenigen Tagen klangen die einschmeichelnden Melodien, welche zum Teile dem Munde des Volkes entnommen waren, aus dem Munde des Volkes wieder. Die wunderbare Preghiera, für rauschende Janitscharenmusik gesetzt, ertönte bald unter den Fenstern des neuen königlichen Palastes, vor der Reiterstatue Philipps V.; zu Buen Retiro defilierten die Garden nach den Klängen der Preghiera; in den Alleen des Prado und in den Laubgängen des Paseo de las Delizias blieben die Lustwandelnden stehen und die Wagen hielten an, wenn eines der Orchester, welche die Promenade belebten, die Preghiera anstimmte. Gomis gehörte von diesem Augenblick an zu den Lieblingen des Tages; seine Kompositionen wurden populär im edelsten Sinne des Wortes. Man freute sich, endlich wieder einmal einen Mann gefunden zu haben, welcher die Gemüter von dem dumpfen Brüten über politische Meinungen und Kämpfe abzöge und es der schönsten aller friedlichen Künste zuwendete. Zugleich mit Gomis wurde immer Juanas Name genannt, und man wunderte sich, wie solch ein ausgezeichnetes Talent so lange verborgen bleiben und erst im Auslande zum Ruhme des Vaterlandes herangebildet werden konnte.

Großem Rufe kann der Neid nicht lange fern bleiben. Auch in bezug auf Juana war er geschäftig, und da er ihrer Kunst nichts anhaben konnte, so suchte er ihre Abkunft und ihr Verhältnis zu Don Diaz auszuforschen, um sie von dieser Seite in ein gehässiges Licht zu stellen. Das gelang ihm denn auch bald, und eben die untere Klasse des Volkes, welcher sie angehörte und durch ihr Talent so viel Ehre machte, war am eifrigsten bemüht, ihren Leumund zu verunglimpfen und sie dem Gespötte preiszugeben.

Indessen war Juana in einigen Opern anderer Meister aufgetreten und immer mit gleichem Beifalle aufgenommen worden. Sie bedurfte eines solches Palliativs, um manche Erinnerungen in den Hintergrund zu drängen, welche bei jedem Gange durch Madrids Straßen von allen Seiten auf sie losstürmten. Sie mied die Gegend, wo sie ehemals mit ihrer Mutter gewohnt, die Nähe des Ufers, an welchem sie harmlos ihr Geschäft betrieben hatte, mit ängstlicher Scheu. Sie senkte den Kopf zur Erde, so oft sie einem Mann in andalusischer Tracht begegnete, aus Furcht, es könnte Vetter Ruy sein. Sie suchte sich gewaltsam zu überreden, daß es ja keinen Vorwurf verdiene, wenn jemand sich aus seiner Niedrigkeit zu erheben, und aus seinen Anlagen den möglichsten Nutzen zu ziehen sucht; aber eine innere Stimme sagte ihr immer, daß ihr Gewinn kein ganz reiner, daß sie zwar angesehener, wohlhabender, berühmter, doch keineswegs besser, sittlicher, achtungswürdiger geworden sei. Dieses beständige Ankämpfen ihres Gefühles gegen den äußeren Glanz, der sie umgab, steigerte sich manchmal zum auffallenden Mißbehagen, welches dann der Marquis durch Betäubungen aller Art zu heben bemüht war; allein nicht immer wollte es ihm gelingen. Glücklicher war noch Gomis, welcher eine solche Verstimmung seiner Schülerin am besten dadurch betäubte, daß er sie, unbekümmert um des Kontadors allzubesorgliche Einwendungen, strenger an ihr Musikstudium fesselte. Die Früchte dieses Verfahrens ließen sich nicht verkennen. In jeder Rolle entwickelte Juana größere Sicherheit, gediegeneren Vortrag und leidenschaftlichere Kraft. Zu ihrem nächsten Debut war die Desdemona in Rossinis » Othello« bestimmt, welche sie bereits in Paris mit so vielem Beifalle gegeben hatte. Leider fühlte sich Juana am Tage der Aufführung nicht vollkommen disponiert; eine seltsame Beklemmung drohte sie in dem freien Gebrauche ihrer herrlichen Mittel zu stören; aber die Oper war angekündigt, die Neugierde des Publikums auf das höchste gespannt; man konnte seine Erwartungen nicht täuschen. Mit kindischer Ängstlichkeit begleitete der Marquis seine Klientin auf die Bühne und trieb sich unermüdlich umher hinter den Kulissen, unter den buntbemalten Choristen und schmutzigen Schnürziehern und wie all das Volk heißen mag, das den Thespiskarren schmücken hilft, um ja gleich bei der Hand zu sein, wenn ihr der geringste Unfall begegnen sollte. Allein alles ging vortrefflich; das Bewußtsein, ihren Lehrer an der Spitze des Orchesters zu wissen, flößte der Künstlerin volles Vertrauen ein. Sie wurde mit stürmischem Beifalle belohnt, dessen sie sich mit jeder Nummer ihres Partes würdiger machte. Endlich kam die berühmte Szene, wo Desdemona im leichten Nachtkleide den Vorhang des Alkovens zurückschlägt und hervortritt, um das Herz ihres racheschnaubenden Gatten zu erweichen. Ja, jetzt war sie wieder ganz Juana, ganz so einfach, so reizend, wie sie damals gewesen, als sie vor dem Bilde der Gottesmutter kniete und ihr frommes Schlummerliedchen in die stille Nacht hinaussang. Und doch war sie zugleich so ganz Desdemona, daß in den weiten Räumen kein Auge trocken, kein Herz ungerührt blieb. Da zuckte ein »Ach!« des Entsetzens durch das Theater; Desdemona sollte bluten unter dem Dolche der Eifersucht. Plötzlich siegte wieder die Anerkennung der Kunst über das Blendwerk der Bühne, und rauschender Applaus begleitete ihren traurigen Opfertod.

Mit ausgebreiteten Armen stand der Marquis von Villa-Marinquez in den Kulissen, um seine triumphierende Schützlingin zu empfangen. Teils erschöpft von künstlerischer Anstrengung, teils betäubt vom tobenden Jubel, der ihr von außen nachbrauste, warf sie sich, ihrer selbst kaum mächtig, an eine Brust, vor welcher sie sonst mit geheimem Widerwillen zurückbebte. – »Schlange, jetzt werd' ich den Othello spielen!« schrie plötzlich eine kreischende Stimme hinter dem Rücken des Kontadors hervor, und unter dem drohenden Rufe: »Stirb, Verführer meiner Juana!« blitzte über seinem Haupte in markiger Männerfaust ein blinkendes Stilet. – »Gott schütze uns! – Vetter Ruy!« stöhnte Juana und sank ohnmächtig zur Erde, während die Umstehenden dem wütenden Andalusier in den Arm fielen und ihn entwaffneten. – »O es ist dir nicht geschenkt, Natternbrut!« rief der Arriero knirschend, als man ihn geknebelt der herbeigeholten Wache übergab. – »Und wenn man mich in Stücke zerreißt, so sind für diesen Hund da noch hundert Dolche geschliffen und hundert Kugeln gegossen, die ihn doch nicht alle verfehlen werden!« – Dem Arriero leuchtete, als er diese Drohung ausstieß, die Wollust der Rache aus den Augen. Schon lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Fast zwei Jahre hindurch wurde er nicht müde zu forschen, was aus Juana geworden sei. Endlich erhielt er einen Wink, daß sie nach Madrid kommen werde und daß sein Verdacht gegen den Kontador Grund habe. – »Nun entgehen sie mir nicht mehr!« dachte er, und trieb seine Maultiere hinaus in die Provinz, um mit einigen Kunden Richtigkeit zu machen, denen er im Leben nicht mehr unter die Augen zu kommen hoffte. Indessen war Juana nach Madrid zurückgekehrt. Von manchem Auge wurde sie erkannt und beobachtet. – »Sie ist es, deine Juana, und der Kontador ist hinter ihr her, wie ihr Schatten!« mußte Ruy von seinen Kameraden hören, als er nach Hause kam. Eine Zeitlang überlegte er bei sich selbst, ob er vor sie hintreten, sie an frühere Zeiten erinnern, ehemalige Ansprüche geltend machen solle. – »Sie wird dich verhöhnen, wird es dich fühlen lassen, daß du jetzt, wo ein Marquis um sie buhlt, für sie zu schlecht bist; du wirst von Eifersucht entbrennen und sie ermorden, und das wäre unrecht. Sie wurde verlockt, verführt; – ihr Verführer muß sterben – das ist recht!« so sprach der wilde Andalusier zu sich selbst. Und er zögerte nicht lange, sondern entdeckte ein paar vertrauten Kameraden seinen Plan und trug ihnen auf, was sie tun sollten, wenn er festgenommen würde, und stahl sich unvermerkt hinaus hinter die Kulissen, wo er sein Opfer ins Auge faßte, bis der rechte Augenblick kam, und er mit rasendem Ungestüm darüber herfiel.

Der Vorhang war noch kaum gesunken, als das tollkühne Attentat des Arriero und die mutmaßliche Veranlassung schon im ganzen Publikum bekannt war. Juana konnte nach einem solchen Ereignisse nicht so bald wieder auf den Brettern erscheinen, auch wenn der Schreck sie nicht aufs Krankenlager geworfen hätte. Einige Wochen lang mußte sie das Bett hüten, so sehr waren ihre Nerven angegriffen. Der Kontador wich fast nicht von ihrer Seite. Er gab vor, er sei es seiner und ihrer Ehre schuldig, der Welt zu zeigen, wie wenig er sich in seiner Handlungsweise durch den Wahnwitz eines gemeinen Tollhäuslers beirren lasse. Doch was er vorgab, war nur leere Selbsttäuschung; denn im Grunde hatte er vor der Drohung des Arriero nicht weniger Angst als jeder Poltron, dem der Schelm im Herzen sitzt. Gomis hingegen fühlte sich mit einem Male enttäuscht und schämte sich in die Seele, aus blindem Eifer für die Kunst den unbewußten Ruffian gespielt zu haben. Mit möglichster Schonung für die arme Juana, der er denn doch einen großen Teil seines Rufes zu schulden überzeugt war, zog er sich allmählich zurück und beschloß, seine Kunst lieber selbständig, wenngleich mit minderer Wirksamkeit zu betreiben, als sich von einem Wesen ins Schlepptau nehmen zu lassen, welches die Achtung aller Besseren verwirkt hatte.

Als Juana wieder insoweit hergestellt war, daß sie eine Reise unternehmen konnte, schlug ihr der Marquis vor, in seiner Gesellschaft die Bäder von Trillo in der Provinz Guadalajara zu besuchen, um ihre zerrüttete Gesundheit wieder zu befestigen. Juana, seit Gomis sich zurückgezogen, des einzigen Ratgebers beraubt, der es wahrhaft redlich mit ihr meinte, glich nun einem schwankendem Rohre, welches sich von jedem Lüftchen biegen und bewegen läßt. Sie hielt es für gut, durch Entfernung sich dem Gerede der Menschen zu entziehen und erst nach einigen Monaten wieder zurückzukehren. Indessen hoffte sie, würden die Zungen der Spottsüchtigen vielleicht einen andern Stoff gefunden haben, woran es in einer unruhigen Zeit voll politischer Gährung (es war kurz vor dem verhängnisvollen 1. März des Jahres 1823, an welchem König Ferdinand seinen Sitz nach Sevilla zu verlegen beschloß) nicht fehlen konnte. Unter starker Bedeckung, welcher man bei der Unsicherheit der Straßen selbst in der Nähe der Hauptstadt damals benötigte, fuhr der Marquis mit Juana und ihrer Gesellschafterin ab. Doch kaum anderthalb Meilen von Madrid, wo die Straße in ihrer Wendung von dem dichten Eichenforste von Zarzuela erreicht wird, bemerkte der Marquis zu seiner nicht geringen Bestürzung an den Mienen und Zwischenreden der mitreitenden Soldaten, daß es im Walde nicht ganz geheuer sei. Wiewohl es lange noch bis zum Abend war, hielt er es doch für geratener, umkehren zu lassen und im Galopp nach Madrid zurückzueilen. Doch schon war es zu spät. Das Raubgesindel, welches sich in dem undurchdringlichsten Dickicht umhertrieb, schien ihn absichtlich erwartet zu haben. Gellendes Pfeifen scholl fernhin, und undeutliche Gestalten wurden zwischen den Baumstämmen sichtbar. Der Marquis, fast mutloser als die schwächliche Juana, welche in diesem Augenblicke lebhaft an Ruys Drohung dachte, trieb den Kutscher zur verzweifelten Eile an, wenn auch die prächtigen Andalusier tot zusammenfielen. Allein schon pfiff eine Kugel aus dem Gehölze; erschrocken rissen die Pferde aus; eine zweite Kugel verfehlte ihres Zieles nicht; sie drang so gewaltig in des Kontadors rechte Schläfe, daß er, ohne einen Laut von sich zu geben, über den Wagen hinausstürzte und eine weite Strecke nachgeschleift wurde. Jetzt ging es wie im Sturm vorwärts. Der Kutscher, welcher schon längst Fassung und Zügel verloren hatte, wurde herabgeschleudert und blieb für tot an der Straße liegen. Juana und ihre Begleiterin wurden, Leichen ähnlich, von den schnaubenden Rossen fortgetragen. Schon sauste das schäumende Viergespann, zum Entsetzen aller, welche es anstürzen sahen, auf die Segovia-Brücke zu, als der Wagen endlich umschlug und die beiden Frauen weit hinaus an das Ufer geschnellt wurden. Die Duenna fiel so glücklich, daß sie sich nur wenig Schaden tat und bald wieder Fassung gewann, um den ganzen Hergang zu erzählen. Juana hingegen hatte nicht nur eine tiefe Kopfwunde erhalten, aus welcher sie heftig blutete, sondern konnte auch wegen der fürchterlichen Erschütterung, die sie erlitten, lange nicht zur Besinnung erweckt werden.

Man brachte sie in die Wohnung des Kontadors, dessen Leichnam erst Tags darauf gräßlich verstümmelt am Eingange des Eichenforstes gefunden wurde.

Nun, da Juana gänzlich verlassen und durch die Hand des Unglücks aus einem Verhältnisse herausgerissen war, welches sie der moralischen Achtung unwert gemacht hatte, nun hielt es Gomis wieder für seine Pflicht, sich der armen, dem höchsten Elende preisgegebenen Künstlerin anzunehmen. Dem Ausspruche der Ärzte nach war ihre Kopfwunde zwar nicht tödlich, aber doch so bedeutend, daß eine völlige Geisteszerrüttung zu befürchten stand. – Und so geschah es denn auch. Körperlich genesen, wandelte Juana geisteskrank umher. Sie sprach nur wenig, blickte starr vor sich hin, und von der Wunderkraft ihrer Kehle schien ihr nur so viel geblieben zu sein, als hinreichte, um die Melodie jenes Abendliedchens aus der »Aldéana« in unbelauschter Dämmerung halblaut vor sich hinzusummen. Mit Tränen des Mitleids im Auge betrachtete Gomis diese bedauernswerte Ruine der Kunst, diese junge Märtyrin der Eitelkeit. Er machte es sich zur letzten Aufgabe seines Aufenhaltes in Spanien, welches zerrissen vom Parteikampfe, bedroht von dem Einfalle fremder Heere selbst die neutrale Stellung des Künstlers nicht unangefochten ließ, für Juanas Zukunft noch nach Kräften zu sorgen, und so die Schuld des Dankes abzutragen, zu der sie ihn durch die Verbreitung seines Rufes verpflichtet hatte. Durch Hinterlegung einer namhaften Summe, fast des ganzen Ertrages seiner »Aldéana«, bewog er die Vorsteherin eines Frauenklosters, mit welchem ein Hospital vereiniget war, zur Aufnahme der Unglücklichen auf die ganze Dauer ihres krankhaften Zustandes. Sie wurde daselbst in sorgliche Gewahrsam genommen, welche man ihr dadurch zu erleichtern suchte, daß man ihr eine Gassenstube anwies und ihr gestattete, der freien Luft im Garten und überhaupt aller Erheiterungen zu genießen, welche mit dem klösterlichen Leben vereinbar waren und ihre Existenz nicht gefährdeten.

Indes war der Meinungskrieg mit allen seinen Greueln losgebrochen. – Die Manolos gewannen fast überall die Oberhand; zahlreiche Verhaftungen schreckten die friedlichen Bürger. An ein Interesse für künstlerische Bestrebungen war unter solchen Umständen nicht zu denken. Zur guten Stunde noch entkam Gomis aus Madrid, wo man ihn bereits mit mißtrauischen Blicken ansah, indem seine kräftigen, leidenschaftlichen Melodien häufig von dem aufgeregten Volke revolutionären Texten angepaßt und bei verschiedenen Anlässen mit wildem Ungestüm abgesungen wurden.

Manchmal, wenn ein tobender Pöbelhaufe an den Toren des Frauenklosters vorüberstürmte und nach der wohlbekannten Melodie der Preghiera ein ausgelassenes Spottlied anstimmte, lehnte Juana mit starren, tränenlosen Augen am Gitterfenster ihrer Zelle und vernahm die verhängnisvollen Klänge und summte unwillkürlich die Worte ihres ehemaligen Abendliedchens mit.

 

 

Nach drei blutigen Jahren schien endlich eine Art von Ruhe zurückzukehren, welche zwar nicht auf vollkommene Amnestie, aber doch auf sänftigende Mäßigung begründet war. Wenigstens fing Madrid an aufzuatmen und wendete mitunter seine Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu, als den schwankenden Resultaten des Bürgerkrieges. Man freute sich wieder des Prado, sehnte sich wieder nach Volksbelustigungen, besuchte das Theater und nahm Anteil an den Erscheinungen auf dem Gebiete der Kunst und Literatur, welches jahrelang gänzlich brach lag.

Zwei Ereignisse ganz verschiedener Art nahmen eines Tages alle Augen und Ohren in Anspruch. Am Morgen sollte nämlich auf dem Hafenplatze, wo die Hinrichtungen stattzufinden pflegten, ein gefürchteter Bandit den verdienten Lohn für seine Greueltaten empfangen, ein Schauspiel, welches bei dem wilden, durch manchen Nachklang jüngst erlebter Szenen noch heftig aufgeregten Sinne des Volkes Tausende von Zuschauern herbeilockte. Für den Abend hingegen war ein Schauspiel angekündigt, welchem der gebildete Teil der Bevölkerung mit gespannter Erwartung entgegensah, nämlich das Auftreten der berühmten Sängerin Giuditta PastaGiuditta Pasta, geborene Negri, berühmte Opernsängerin (geb. 1798, † 1865); für sie schrieb Bellini die »Somnambula« und die »Norma«. in der Rolle der Desdemona. Während an der einen Straßenecke ein marktschreierischer Herumträger die gräßliche Geschichte von dem Leben und den Taten des hinzurichtenden Missetäters feilbot, bereitete gegenüber ein anderer die Vorbeigehenden auf den Genuß vor, welcher abends den Kunstfreunden im Theater della Cruz bevorstände. – » Giuditta Pasta,« hieß es hier im echt südlichen Bombast, »der Komet von Verona, der Stern von Paris, der Sirius am europäischen Gesanghimmel, die majestätische, achtundzwanzigjährige Königin der Melodien, mit der herzerschütternden Glockenstimme, mit der plastischen Erhabenheit ihres echt antiken Spieles, wird heute den kunstsinnigen Bewohnern der sehr edlen, rechtlichen, hochberühmten, treuen und heroischen Stadt Madrid beweisen, daß sie bisher weder hörten, noch ahnten, was singen heißt!« – »Der fürchterliche, abgefeimte, grausame Bandit,« hieß es dort – »namens Ruy Juan Chinchon, aus Grazalema in Ober-Andalusien gebürtig, wegen eines an dem hochedlen und ehrenhaften Don Diaz Marquis von Villa-Marinquez, weiland königlichen Kontador, versuchten Meuchelmordes gefänglich verhaftet, sodann seiner Haft entsprungen und nach langen, vergeblichen Nachforschungen unter den Straßenräubern ergriffen, wird heute, zur gerechten Strafe für alle eingestandenen und nicht eingestandenen Mord- und Missetaten, sowie zum abschreckenden Beispiele für alle Bösewichter öffentlich vom Leben zum Tode befördert werden.«

Langsam, unter dem Geläute der Glocken, bewegte sich der Zug mit dem Missetäter der Richtstätte zu. – Starke Militärbedeckung begleitete ihn; die Musikbande spielte die noch nicht vergessene Preghiera. Als der traurige Kondukt um die Ecke des Frauenklosters zog, tönte ein durchdringender Schrei durch eines der Gitterfenster. Der Delinquent erhob sein dunkellockiges Haupt, schoß einen blitzenden Blick der Gegend zu, woher der Schrei gekommen, und schritt dann regungslos seinem Schicksale entgegen. In einer halben Stunde darauf hatte Vetter Ruy geendet.

Ein Schauspiel hatte das Volk weg; mit steigender Ungeduld erwartete es das zweite, edlere. Das Theater della Cruz konnte kaum die Menge der Zuseher fassen, welche der Ruf der weltbekannten Giuditta Pasta herbeigelockt hatte. Schon die äußere Erscheinung der Künstlerin wirkte elektrisch. Diese erhabene Ruhe, dieser ausdrucksvolle Blick, diese gerundete Bewegung war den leidenschaftlichen, von einem Extrem zum andern überspringenden Spaniern neu. Als sie aber erst den Zauber ihrer Stimme entwickelte, »jene unbeschreiblichen und unbegreiflichen, verschleierten und doch frühlingshellen, schmerzstöhnenden und doch lustjubelndenTöne, welche in dem Ohre und Herzen dessen, der sie einmal gehört hat, nicht mehr verklingen«: da machte sich das allgemeine Entzücken in lautem Applause Luft, und von tobendem Beifalle erdröhnten die dichtgefüllten Räume. Wohl mancher unter den Zuhörern mochte sich der heimischen Juana erinnern, welche vor einigen Jahren in derselben Rolle vielleicht mehr Natur, aber gewiß nicht so viel Kunst entwickelt hatte. Diese wunderbaren Blitze der Leidenschaft, stets gemäßigt von angeborener Besonnenheit, dieses Emporklimmen über alle Sprossen der psychischen Stufenleiter, dieses Hinüberwiegen von Liebe zur Kränkung, von Lust zum Schmerze, von Jubel zur Verzweiflung hatte man noch nie in solch' künstlerischer Vollendung gehört und gesehen. Bei jedem neuen Auftritte fürchtete man, die Kraft der Sängerin müsse erlahmen, und bei jedem neuen Auftritte zuckte sie nur um so feuriger empor. Man konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß irgend ein Gott in dieser Brust wohnen müßte, aus der er so göttlich groß und menschlich schön hervorklang.

Endlich kam wieder die Szene voll grauenvoller Wollust, in welcher Desdemona als das Opfer tückischen Verrates und rasender Leidenschaft bluten soll. Angetan mit leichtem, weißen Nachtkleide, schlug sie den Vorhang des Alkovens zurück und trat hervor, um das Herz ihres racheschnaubenden Gatten zu erweichen. Da bot sich plötzlich dem Publikum eine Szene von fast gespenstischer Art dar; denn siehe! – wie aus dem Grabe emporgestiegen, stürzte aus den Kulissen eine zweite Desdemona, ebenfalls angetan mit weißem, leichten Nachtkleide, hervor und warf sich, trotz des Gemurmels und Geflüsters auf der Bühne, auf Othellos rechter Seite nieder, während Pasta zu seiner linken kniete. Eine atemlose Stille verbreitete sich durchs Theater, als die beiden Doppelgängerinnen gleichzeitig, als ob sie einander überbieten wollten, ihre Kantilenen begannen und Othello schaudernd und fassungslos seine Blicke von der einen zur andern gleiten ließ. – » Juana, Juana!« – rauschte es auf einmal wie ein beginnender Sturm durch die Räume des Theaters. – Entsetzt verstummte die wahre Desdemona, während die falsche, zurücksinkend in den Arm der hervorstürzenden Theaterleute, aus den Tönen Rossinis in die Melodie der wohlbekannten Preghiera überging, die sie, verlassen vom verwirrten Orchester, mit gräßlich kreischender Stimme zu Ende sang. Ehe man noch den Vorhang auf den deutlich hörbaren Ruf des Direktors herablassen konnte, lag die arme, wahnsinnige Juana, eine Leiche, in den Armen der Herbeigeeilten. Die Oper hatte geendet, tragischer geendet, als in der tragischen Nachbildung Shakespeares.

Am andern Tage war ganz Madrid voll von dem seltsamen Ereignisse. Juana hatte wahrscheinlich durch das Geschrei der öffentlichen Ausrufer sowohl von Ruys Schicksale, als von dem Schauspiele, welches abends stattfinden sollte, Kunde erhalten. Von ihren arglosen Hüterinnen zu wenig bewacht, fand sie Gelegenheit, unbemerkt zu entkommen, und stahl sich eben so heimlich, wie einst der rachsüchtige Ruy, auf die Bühne, wo sie sich bis zu dem Augenblicke, der damals ihr Los entschied, verborgen hielt. Allein in jener verhängnisvollen Szene brach ihr Wahnsinn in aller Gewalt los, und ehe sie jemand hindern konnte, stürzte sie hinaus auf die Bretter, auf denen sie einst ihre Triumphe und jetzt – ihren Tod fand.

 

 

Gomis, welcher indes in London, wo er vergebens sein Glück zu machen hoffte, zum Geschäfte eines Singlehrers greifen mußte, um sein Leben zu fristen, erfuhr Juanas trauriges Ende aus den Zeitungen. Herzliche Tränen weihte er dem Angedenken eines Wesens, welches wie von der Stimme seines guten Engels gewarnt, ihn einst so rührend bat: »Lehrt mich nicht etwas, was ich vielleicht gern wieder vergessen möchte. Es würde Euch gewiß keinen Segen bringen!« – Wie eine düstere Prophezeiung, wie ein geheimer Fluch, den er nicht durch bösen Willen, sondern durch Blödigkeit auf sich geladen, klangen ihm die Schlußworte dieser Rede entmutigend in die Ohren. – Verstimmt kehrte er im nächsten Jahre wieder nach Paris zurück. Aber mit Juana war sein Stern untergegangen. Trotz aller Bemühungen, trotz mancher Versuche im Opernfache, welche den Beifall aller Kenner errangen, fand er bei dem großen Publikum nur wenig Anklang. Nachdem er lange mit Nahrungssorgen und Kabalen gekämpft, und erst nach vielen namhaften Proben seines ausgezeichneten Talentes durch die Verwendung eines hochgestellten Freundes eine Pension erhalten hatte, starb er im Sommer des Jahres 1836, unbefriedigt und ungewürdigt, als einer jener Vielbegabten, welche sich in ihrer Kunst nicht klar wurden, weil sie es sich im Leben nicht geworden sind.