Heinrich Seidel
Die Schleppe
Heinrich Seidel

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Wald und Sonne.

Bordau, den 15. Mai 1878.

Lieber Siebold!

Wir haben gestern Fridas Geburtstag gefeiert. Wie gern hätte ich sie an diesem Tage mit Kostbarkeiten überschüttet, mit Schmuck und herrlichen Stoffen, und doch hatte ich wieder das Gefühl, daß zur Hebung dieser Art von Schönheit alle diese Künste nichts beitragen können. Nur Perlen hätte ich ihr schenken mögen. Der reine, weiße Mondesglanz der Perle, die nicht funkelt und nicht blitzt, sondern gleichsam von innen heraus einen stillen, sanften Schein von sich gibt, würde ihrem Wesen entsprechen. Da nun dies alles aber nicht sein kann, so bin ich als armer Kandidat des Morgens sehr früh aufgestanden und in den Garten gegangen und habe meine ersten Studien in der Kunst, einen Blumenstrauß zu binden, gemacht. Es ist nicht leicht, und ehe man die Dinger so hat, daß sie sitzen, wo sie sollen, und alles paßt, wie es muß, da kann einen manchmal die Verzweiflung anwandeln. Aber schließlich ist es mir doch so leidlich gelungen.

Lieber Siebold, es ist ein schöner Anblick, zu sehen, wie sich ein Menschenkind so recht von innen heraus freuen kann. Als ich die kleinen dürftigen Geschenke sah und die innige Herzensfreude, mit der sie entgegengenommen wurden, da ist mir etwas wie Rührung in die Augen gekommen.

Es war ein wundervoller Maientag und somit konnte der Plan, den Geburtstag im Walde zu feiern, zur Ausführung gebracht werden. Am späten Vormittag spannte Friedrich die beiden kleinen Littauer vor den offenen Wagen; ein sehr vertrauenerweckender Korb, aus dem einige freundliche Flaschenhälse ragten, wurde unter den Kutschersitz geschoben, und fort ging es unter lustigem Peitschengeknall in den Frühlingstag hinaus.

Man darf es sagen, der hatte auch das Seine gethan. Den ganzen Himmel hatte er voll singender Lerchen gehängt und alle Büsche hatte er mit lustigen Musikanten besetzt. Er schickte den Frühlingswind – man konnte sehen, wie er über die grünen Saatfelder rannte –, der kam als Läufer vor uns her, und jungbelaubte und blühende Bäume standen am Wege und grüßten uns mit nickenden Zweigen.

Dann nahm der Buchenwald uns auf, dessen Laub in hellgrüner Pracht stand. Am Rande waren in den Wipfeln die Buchfinken, die uns mit schmetternden Fanfaren begrüßten, doch weiterhin ward es stiller, nur fernes Gurren von verliebten Tauben und zuweilen der Schrei eines Raubvogels ward hörbar. So ging es weiter – zuweilen fiel der Blick durch eine Waldlücke in ferne sonnengrüne Einsamkeit, zuweilen kam eine Wiese, wo schon einzelne Schmetterlinge im Sonnenscheine flogen, zuweilen eine einzelne Eiche, die den dunklen Stamm mächtig zwischen den hellen Buchen erhob und trotzig ihren Platz behauptete. Unten war es windstill und friedlich über dem mit Sonnenlichtern bestreuten Boden, doch oben ging ein unablässiges leises Rauschen – es war, als führen wir auf dem Boden eines grünen Meeres daher, das über uns seine Wellen schlug. Und zu alledem das beseligende Gefühl, einem der schönsten und liebenswertesten Mädchen der ganzen Welt gegenüber zu sitzen und mit ihm in die sonnige Welt zu fahren und all die Frühlingslust in ihren leuchtenden Augen widerglänzen zu sehen.

Endlich schnauften die kleinen Pferdchen eine sanfte Anhöhe hinauf; es ward lichter zwischen den Bäumen, und als wir oben anlangten, sahen wir zur Seite den Grund sich wieder senken und aus der Tiefe den See seine Sonnenblitze senden.

Hier hielten wir an, weil ein gebahnter Weg nicht hinabführte; Friedrich nahm den hoffnungsreichen Korb auf seine Schulter, und wir stiegen durch das weiche Laub, das viele Jahre hier aufgehäuft hatten, langsam hinunter.

Ich habe selten ein schöneres Plätzchen für einen solchen Ausflug gesehen. Vom Hügel herab ging ein sanfter Einschnitt, in dem eine Quelle entsprang und über Sandgrund und glatte Steine hinabrieselte, auf den See zu. Buchen von seltener Pracht und Größe ragten hier mächtig empor; doch standen sie nicht so häufig, daß ihr Schatten den Graswuchs verhindert hätte, der überall zwischen großen moosigen Steinen üppig hervorkam und gar anmutig von blühenden Frühlingsblumen durchwirkt war. Und durch den Einschnitt hatte man einen Blick, von Buchenzweigen schön umrahmt, auf den glänzenden See, den leichte Wellen anmutig kräuselten, und auf seine waldigen Buchten, die von einem träumerischen blauen Dufte erfüllt waren.

Zwischen zwei großen Felsblöcken, am Abhang zur Seite der Quelle, wurden Decken ausgebreitet und die Lagerstatt errichtet. Der Prediger, der in diesem Fache ein Spezialist zu sein behauptete, machte sich daran, unter genauer Beobachtung der herrschenden Windrichtung, einen Feuerherd aus Feldsteinen zu erbauen, und indes Frida in hausmütterlicher Geschäftigkeit den verheißungsreichen Korb auspackte, machten mein Zögling und ich uns an die Arbeit, das nötige Holz zu lesen.

Wie schien der sonst so stille Wald so ungewohnt der fröhlichen Stimmen, die ihn jetzt durchschallten. Große Vögel, die in den Wipfeln gerastet hatten, erhoben sich mit schwerem Flügelschlag, und auf der Laubdecke botanisierende Eichhörnchen sprangen erschreckt eilfertig den glatten Stamm empor, aus sicherer Höhe neugierig um die Ecke lugend. Nachdem ein genügender Holzvorrat angesammelt war, begaben Otto und ich uns hinab an das Seeufer, um für das Festmahl einen weiteren Beitrag zu liefern. Unter den vielen Steinen, die den Seegrund des seichten Ufers bedeckten, gab es zahlreiche Krebse, und nachdem wir uns der Stiefel und Strümpfe entledigt hatten, machten wir uns umherwatend daran, die krabbelnden Gesellen aus ihren Schlupfwinkeln hervorzuholen, welches Attentat sich diese Panzertiere natürlich ohne Gegenwehr nicht gefallen ließen und uns manch herzhaften Kniff beibrachten. Wir hatten aber den Triumph, daß das Resultat unserer Jagd die Erwartungen der Zurückgebliebenen durchaus übertraf und uns Lob und Bewunderung eintrug. Unterdessen waren diese auch nicht müßig geblieben; ein mächtiges Feuer loderte um einen Kessel, in dem Kartoffeln in der Schale gekocht wurden, und der bläuliche Rauch stieg hoch empor, sich unter den grünen Wipfeln verteilend, wo der Sonnenschein lange helle Streifen hineinwebte. Auf dem Rasen war ein weißes Tuch gedeckt und mit reinlichem Geschirr und allerlei verlockenden Dingen besetzt, und in der Quelle, wo sie am kühlsten war, ruhten zwei Flaschen Rheinwein.

So lagerten wir uns denn fröhlichen Mutes um die gedeckte Tafel und thaten dem zarten rosigen Schinken, der köstlichen Butter, süß wie Nußkern, der schön bräunlich glänzenden kalten Ente, den köstlichen Radieschen und ähnlichen ländlichen Gerichten alle Ehre an, und als die rötlichen Krebse dampfend in die Schüssel geschüttet waren, erhoben wir unsere Gläser, deren Inhalt golden in der Sonne funkelte, und klangen sie zusammen und brachten dem Geburtstagskinde ein Hoch, das wiederum gar seltsam durch den jungfräulichen Wald schallte.

Nach dem Essen suchte sich der alte Herr ein stilles sonniges Plätzchen und deckte sich sein rotseidenes Taschentuch über das Gesicht, um sein gewohntes Schläfchen zu halten. Wir Jungen dagegen beschlossen, einen Streifzug in die Umgegend zu unternehmen. Wir wandten uns zunächst der Höhe wieder zu, um in weitem Bogen die sumpfigen Stellen zu umgehen, die durch die überall auf dem Abhang zu Tag tretenden Quellen gebildet wurden. Dort fanden wir einen Fußweg, der wieder an den See zurückführte und an seinem Ufer entlang lief. Als wir dieses, abwärts steigend, wieder erreicht hatten, traten wir zugleich aus dem Hochwald hinaus, auf einen schmalen Wiesenstreifen, der das Seeufer säumte, während das zur Seite ansteigende Uferland mit niederem Gesträuch und Buschwerk besetzt war. Da es die Zeit der Vogelnester war und der mannigfaltige Gesang, der aus diesen Büschen schallte, auf eine reiche Einwohnerschaft von gefiederten Gesellen schließen ließ, so ward Otto bald abgezogen vom Wege, und man sah nur noch seinen blonden Kopf zuweilen zwischen den Büschen auftauchen und wieder verschwinden. Zuerst rief er uns bei jeglicher neuen Entdeckung und wir mußten wohl oder übel durch das Gestrüpp zu ihm dringen, um die niedlichen Nester mit den gepunkteten oder gestrichelten Eierchen zu bewundern, aber bald trieb ihn sein Jagdeifer immer weiter, so daß wir schließlich nichts mehr von ihm sahen und hörten.

So gelangten wir denn allein an das Ziel unseres Ausfluges, einen anderen Buchenwald, an dessen Abhang hinauf unzählige Maiglöckchen blühten, die mit süßem Duft den Raum erfüllten. Wir machten uns an die Ernte. Es war hold zu sehen, wie sie neben den Blumen kniete, die so frisch und unberührt waren, wie sie selber, wie sie jauchzend aufsprang und zu einem Orte eilte, den sie unterdes entdeckt hatte, wo sie noch üppiger wuchsen, und es war, als ob der Wald das Echo ihrer anmutigen Stimme mit schmeichlerischem Wohlbehagen wieder zurückgab. So botanisierten wir immer höher den Berg hinauf und vergaßen in unserem Wetteifer Zeit und Stunde. Wir hatten schon eine ganze Last Maiblumen gesammelt, als uns plötzlich war, als hörten wir in der Ferne rufen. Wir horchten, aber es kam nicht wieder. Ich sah nach der Uhr und siehe da, wir waren schon über die verabredete Stunde ausgeblieben. Wir eilten den Berg hinab und gingen schnell am Seeufer wieder zurück. Der Weg erschien uns länger, als es vorhin den Anschein gehabt hatte. Als wir den Buchenwald wieder erreicht hatten und nun von unserem Lagerplatz nur durch das sumpfige Terrain getrennt waren, stand Frida still, atmete tief und sagte: »Mir ist so seltsam zu Mute, es ist mir immer, als hätte sich etwas Schlimmes in unserer Abwesenheit ereignet.« Dann blickte sie auf das Sumpfland und fuhr fort: »Früher als Kind bin ich hier einmal trockenen Fußes durchgegangen, indem ich von Stein zu Stein sprang – das war allerdings im August, wo es trockener ist. Machen wir den großen Umweg über den steilen Berg, so dauert das eine halbe Stunde, gehen wir hier, so können wir in zehn Minuten dort sein.«

»Versuchen wir es!« sagte ich. Sie eilte auf das Sumpfland zu, stieg auf einen Stein und sah in die Ferne, soweit die sich zusammenschiebenden Stämme es zuließen. »Ich glaube, es wird gehen,« sagte sie.

»Aber lassen Sie mich vorangehen, damit ich den Weg prüfe und Ihnen behilflich sein kann,« sagte ich.

Anfangs ging es ganz gut. Es war ein feuchter, weicher Boden, in dem zuweilen kleine Wasserfäden rieselten und grünes, üppiges Kraut aufgeschossen war; allein die zahlreichen bemoosten Steine lagen so dicht, daß es nicht schwer war, von einem zum anderen schreitend, vorwärts zu gelangen. Dann kam ein trockener Rücken, mit Farrenkraut bewachsen, dann wieder ein kleines Rinnsal mit weithin versumpften Rändern und dann mehrte sich wieder die Feuchtigkeit und die Steine wurden seltener. Zuweilen standen wir still und überlegten, wie wir weiter kommen sollten.

Sie nahm unbefangen meine hilfreiche Hand an und stützte sich ohne Scheu auf meinen Arm und fühlte nicht, wie das Blut schneller durch meine Adern rauschte. Ich muß gestehen, ich wünschte nicht, daß diese sumpfige Einöde so bald ein Ende nähme. Stundenlang hätte ich mit diesem holden Wesen, das ganz auf meinen Schutz und meine Hilfe angewiesen war, so weiter wandern mögen. Endlich standen wir beide nebeneinander auf einem Steine, der so schmal war, daß unsere Schultern aneinander ruhten und ich den Arm um ihren Leib legen mußte, damit sie nicht hinabglitt, und sahen, daß es nicht weiter ging. Vor uns, etwa fünfzig Schritte weit, leuchtete es grün in der Sonne von nassem Moos und üppigem Krautwerk und überall blitzte das feine Wassergeriesel hervor. Es lagen wohl einige Steine verstreut, allein die Entfernung dieser voneinander war zu groß, als daß sie uns viel hätten nützen können. Wir standen eine Weile und schwiegen und suchten mit den Augen einen Ausweg. Es war ganz still im Walde, denn der Wind hatte sich gelegt und Bäume und Kräuter hielten still ihre Blätter dem Sonnenschein entgegen, der in schrägen Strömen seinen Weg durch das Gezweige nahm. Nur über uns in den Wipfeln sangen die Rotkehlchen und zu unseren Füßen war das unaufhörliche klingende Geriesel des Wassers vernehmlich.

»Horch, hörten Sie nichts?« sagte Frida, »rief es da nicht wieder?«

Wir lauschten, allein der ferne Schrei eines Wasservogels war alles, was die stille Luft zu uns herübertrug.

»Was sollen wir anfangen?« sagte Frida dann, »wir müssen doch weiter!«

»Vorwärts geht es nicht,« gab ich zur Antwort; »es bleibt uns nichts übrig, als umzukehren und den anderen Weg zu wählen.«

»Gibt es denn keinen anderen Ausweg?« sagte sie, und ich merkte ein Beben in ihrer Stimme. Ich fühlte, daß ihr Atem schwerer ging und daß ihr Busen sich stärker hob und senkte, und als ich nach ihren Augen blickte, las ich doch ein wenig Verwirrung darin über die seltsame Lage, die uns so eng aneinander gedrängt hatte. Sie wandte die Augen ab und blickte wieder suchend hinaus.

»Ein Mittel gibt es noch,« sagte ich, und ich muß gestehen, das Herz pochte mir heftig dabei, »wenn Sie mir gestatten, daß ich Sie hinübertrage.«

Sie wandte plötzlich den Kopf und blickte seitwärts hinaus, wo durch die Lücken der Stämme der See hervorblitzte. Ein sanftes Rot stieg in ihr Antlitz und verlor sich wieder. Ich hatte das Gefühl, sie müsse mein Herz pochen hören.

»Werde ich nicht zu schwer sein?« fragte sie dann leise.

»Sie werden leicht sein wie eine Feder,« sagte ich mit Zuversicht.

»Nun dann – in Gottes Namen!« gab sie zur Antwort und sah mich an mit Augen, in die die alte Unbefangenheit zurückgekehrt zu sein schien.

Ich untersuchte schnell den Grund in der Nähe des Steines. Als ich mich davon überzeugt hatte, daß der darunter liegende sandige Boden das Einsinken verhinderte, bereitete ich mich für den feuchten Gang vor und nahm dann Frida auf meine Arme. Sie umschlang leicht meinen Nacken und ich schritt vorsichtig voran. Welch seliges Geschenk des Himmels war dieser Sumpf. In meinen Armen trug ich durch ihn das Köstlichste, das die Erde hegt, Schönheit und Güte, Reinheit und Unschuld, vereint in einem blühenden lebenswarmen Körper, dessen schlanke und doch volle Glieder sich an die meinen schmiegten, dessen sanfte Atemzüge mich durchbebten – mir war bei dieser engen Gemeinschaft, als rieselte dasselbe Blut durch unsere beiden Leiber – mir war, als trüge ich das süße Geheimnis des Lebens in meinen Armen, und dürfte es nimmer wieder von mir lassen. Und wie ein elektrischer Strom, der einen Körper durchkreist, auch in dem benachbarten ähnliche Strömungen hervorruft, so mußte wohl das Blut, das so stürmisch durch meine Adern rauschte, auch das ihrige zu schnellerem Laufe entzündet haben, denn ich fühlte, wie ihr Atem tiefer ging, ich fühlte das stärkere Pochen ihres Herzens, und als meine Augen die ihrigen suchten, fand ich wieder die holde Verwirrung in ihnen, die mir schon einmal begegnet war. Wer weiß, was in diesem Augenblick geschehen wäre, denn es ging mir wie ein Rausch durch den Sinn, wenn nicht plötzlich mein Fuß an einen Stein gestoßen hätte, so daß ich stolperte und fast gefallen wäre. Sie schlang mit einem leichten Aufschrei ihren Arm fester um meinen Nacken, ich drückte die schmiegsame Gestalt dichter an mich, aber nun ging es aufwärts, die Feuchtigkeit ließ nach, und bald fühlte ich festen Waldboden unter meinen Füßen. Mit wahrer Angst, die Sache könnte ganz zu Ende sein, spähte ich vor mich hin, und siehe, es war keine Hoffnung mehr. Ueberall sanft ansteigendes, trockenes Terrain. »Es ist vorüber!« sagte Frida leise, und widerstrebend ließ ich sie auf den Boden gleiten. Sie stand mit sanft geröteten Wangen da. »Ich danke Ihnen!« sagte sie, ohne mich anzusehen. Dann wandte sie sich und eilte mit leichten Schritten dem Lagerplatze zu.

Ihre Besorgnis war umsonst gewesen, denn der alte Herr lag behaglich im Grase bei unserer Ankunft und las in einem mitgebrachten Buche, und kurz darauf vernahmen wir auch den Zuruf Ottos, der von dem Hügel herniederkam. Seltsam aber war es, daß wie durch eine stillschweigende Verabredung keiner von uns beiden des Weges, auf dem wir zurückgekehrt, und des Abenteuers, das wir erlebt hatten, Erwähnung that.

Nach einer Weile hörten wir Friedrich, der zurückgekehrt war, um uns abzuholen, auf dem Waldwege mit der Peitsche knallen; wir brachen auf und kehrten, durch den schönen Frühlingsabend langsam dahinfahrend, nach Hause zurück.

Dies war alles gestern, lieber Siebold, und ich habe den ganzen schulfreien Mittwochnachmittag dazu verwendet, Dir dies mitzuteilen. Es dunkelt schon und ich sehe kaum mehr, was ich schreibe. Verzeihe mir meine Weitläufigkeit und daß ich von Deiner Freundschaft einen so ausgedehnten Gebrauch mache, und sei bestens gegrüßt.

Dein Holding.

Schatten.

Bordau, den 26. Mai 1878.

Lieber Siebold!

In diesem Augenblicke habe ich den sehnlichsten Wunsch, an einer vorspringenden nahen Waldecke, die ich von meinem Fenster aus sehen kann, stände eine gute Weinkneipe mit einem behaglichen kleinen Hinterzimmer und in diesem Zimmer säßest Du, und ich könnte eilend hinüberlaufen und Dir mein Herz ausschütten, denn ich bin kreuzunglücklich. Und was das schlimmste ist, dem eigenen Frevelmute habe ich es zuzuschreiben, daß ein ganzes Feld voll lieblicher in Blüte stehender Hoffnungen zerstört und vernichtet ist. Aber ich will von vorne anfangen. Von der größten Prüfung, die mir in meiner freiwilligen Verbannung auferlegt worden ist, habe ich Dir noch gar nicht geschrieben, und diese besteht darin, daß ich von Zeit zu Zeit die Gegenwart eines Menschen ertragen muß, der mir im tiefsten Grunde verhaßt ist. Bordau gehört einem reichen Gutsbesitzer Namens Eisenmilch und dieser hat einen Sohn von sechsundzwanzig Jahren, der sich augenblicklich hier aufhält und eine Verwalterstelle bei seinem Vater einnimmt. Wie man sagt, will dieser die erste passende Gelegenheit benutzen, dem Sohne ein eigenes Gut zu kaufen. Nun, dieser Jüngling spricht zuweilen bei uns vor. Er kommt dann auf einem Pferde geritten, das viel zu schade für ihn ist, und ein Hund begleitet ihn, in dessen Adern zehnmal edleres Blut fließt, als in denen seines Herrn. Ein junger blonder Mensch von brutaler Gesundheit, mit engen Reithosen und hohen Stiefeln und dem steifbeinigen Gang eines Bereiterknechtes. Wenn er nur in der Thür steht, so hat man das Gefühl, daß das ganze Zimmer von seinem Dünkel erfüllt ist. Er ist natürlich ein alter Bekannter der Familie und wird sehr freundlich aufgenommen. Ich selber habe bei seinen Eltern selbstverständlich auch einen Besuch gemacht mit weißen Handschuhen und schwarzer Seele und bin ganz gnädig aufgenommen worden, denn die alten dicken Eisenmilchs sind nicht ohne Gutmütigkeit und haben ein gewisses Mitleid mit so einem armen Schlucker, der sich mit Stundengeben sein Brot verdienen muß. Der Erbe ihres Namens war glücklicherweise nicht zu Hause. Dieser also kommt zuweilen zu uns, und die Leute sagen, er habe ein Auge auf Frida geworfen und würde sich vielleicht auch herablassen, ihr demnächst das Schnupftuch zuzuwerfen. Eifersucht ist nun beileibe nicht der Grund meines Zorns; denn ich achte Frida zu hoch, als daß ich jemals annehmen würde, sie könnte den Bewerbungen dieses Wichtes Gehör schenken; aber es verdrießt mich, daß er offenbar in ihr nichts sieht als eine kleine, hübsche, nette Pastorstochter, die die Wirtschaft versteht und die gerade gut genug für ihn ist. Alte Jugendbekanntschaft räumt ihm mancherlei Vorrechte ein, und so nennt er sie stets Friedchen, wofür ich ihn jedesmal mit Behagen erdrosseln könnte, und wenn er so von oben her mit seinen grobgeschnitzten, bocksbeinigen Galanterien sich zu ihr herabläßt, so ist es gar, um ihn zu prügeln. Daß ich natürlich für ihn gar nicht vorhanden und eine Art Dienstbote bin, der das Maul zu halten hat, ist selbstverständlich. Da dies nun nicht die Beschäftigung ist, zu der ich mich in seiner Gegenwart einzig verpflichtet fühle, so hat sich ein nichts weniger als angenehmes Verhältnis zwischen uns entsponnen und nur die Rücksicht, die ich auf Frida und ihren Vater nehmen muß, hat unangenehme Scenen bis jetzt verhindert. Doch ich will zur Sache kommen. Vor kurzem blieb er zum Abend da. Da Frida meine Abneigung gegen ihn kennt, so begegnete ich, als wir uns zu Tische setzten, einem bittenden Blick aus ihren schönen Augen, der mir sagen sollte: »Seien Sie artig, ich bitte Sie, mir zuliebe.«

Ich nahm mir vor, das Menschenmögliche zu leisten; allein es ward mir schwer genug gemacht, denn Eisenmilch junior zeigte sich heute in seinem ganzen Glanz. Er verwickelte sich mit dem Prediger in einen Streit, den dieser in seiner sanften und gleichmäßigen Weise und mit kleinen humoristisch-satirischen Wendungen weiter führte, die aber ihren Zweck verfehlten, weil sie für den Gegner zu fein waren. Herr Eisenmilch hatte sich aber nun einmal darauf verbissen, nachzuweisen, daß das Geld die eigentliche Macht sei, die die Welt regiere.

»Alles in Ehren, Herr Pastor,« sagte er, »was Sie uns Sonntags von der Kanzel predigen, das Geld spielt doch nun einmal die Hauptrolle. Wer es hat, ist unabhängig und frei; wer es nicht hat, muß dienen. Was nützen mir alle die schönen Redensarten, daß der Reichtum nicht glücklich mache, und daß man den schnöden Mammon verachten solle – das sind Erfindungen von Leuten, die selber nichts haben und sich darüber trösten wollen. Andere sagen wieder, sie finden ihr Genügen in der Erwerbung geistiger Güter und es sei gering, nach irdischen zu trachten – da sage ich nur, wenn sie tüchtig irdische hätten, da würde es ihnen viel leichter fallen, der Erwerbung geistiger Schätze sich hinzugeben; denn sie hätten nicht nötig, sich für ihr täglich Brot an andere zu verkaufen und ihre Zeit mit Nebensachen totzuschlagen. Ich will nun ein Beispiel nennen: Glauben Sie, daß Herr Holding heute abend in seiner Eigenschaft als Hauslehrer hier an diesem Tische sitzen würde, wenn er ein Vermögen hätte, das ihn unabhängig machte?«

Ich begegnete wieder einem flehenden Blick aus Fridas Augen. Die Versuchung des Augenblickes war für mich groß, es ergriff mich wie ein Schwindel, denn wie treffend konnte ich in diesem Augenblicke durch die Enthüllung meiner wahren Lage den Gegner siegreich vernichten – er hatte mir ja selber das Schwert in die Hand gegeben, und ich wußte genau, daß ich die Familie Eisenmilch dreimal aufkaufen konnte, wenn ich wollte. Allein ich bezwang mich und erwiderte ruhig: »Wer sagt Ihnen, Herr Eisenmilch, daß nicht reine Liebe zur Sache mich diesen Beruf ergreifen ließ; wer gibt Ihnen das Recht, ein solches Urteil zu fällen, da Sie weder mich noch meine Verhältnisse kennen?«

Eisenmilch lachte laut auf: »Verhältnisse!« rief er, »jawohl! Wissen Sie auch, daß ich gestern aus Berlin zurückgekehrt bin? Kennen Sie Herrn Tütenpieper? Er läßt Sie grüßen. Ein liebenswürdiger, interessanter, alter Herr; er weiß so nette, pikante Sachen zu erzählen. Er teilte mir die Geschichte eines Herrn Holding mit, der, wer weiß auf welche Weise, plötzlich sein riesiges Vermögen verlor und genötigt war, eine Hauslehrerstelle auf dem Lande anzunehmen – natürlich – aus reiner Liebe zur Sache!«

Der Prediger und Frida sahen mich erstaunt an, und da letztere bemerkte, wie mir das Blut ins Gesicht schoß und eine heftige Antwort mir auf den Lippen bebte, so fühlte ich plötzlich mit sanftem Druck ihren Fuß auf dem meinen ruhen, und von dieser Berührung rieselte es durch alle meine Glieder, die aufgeregten Wogen meines Blutes dämpfend, und ich war plötzlich wieder ruhig. »Ich sehe darin nichts Unehrenhaftes!« war alles, was ich zur Antwort gab. Der Prediger nahm das Wort: »Herr Eisenmilch, Sie bringen diese Dinge in solchem höhnischen Tone vor, daß es den Anschein hat, als wollten Sie Herrn Holding, der unser geschätzter Hausgenosse ist, absichtlich beleidigen. Ich ersuche Sie freundlichst, in meinem Hause ein wenig mehr Rücksicht zu beobachten. Ich begreife die Weise, in der Sie diese Sachen vorbringen, um so weniger, als man die Art, wie sich Herr Holding in sein Schicksal gefunden hat, doch nur als männlich und ehrenwert bezeichnen kann.«

»Ja, wenn man muß . . .« murmelte Eisenmilch vor sich hin, allein er war doch etwas betreten, wurde schweigsam und empfahl sich bald.

Der verhaltene Groll rumorte noch in mir. Es kränkte mich, daß ich meine Sache nicht selber geführt und mich scheinbar so feige gezeigt hatte. Es war Frida zuliebe geschehen, doch warum verlangte sie das von mir; warum sollte ich mich vor ihren Augen demütigen lassen? Zwar ihrer Natur nach mußten ihr Zank und Streit im innersten Grunde zuwider sein, allein alles hat am Ende seine Grenzen. Ich war hinausgetreten auf die Veranda und starrte finster in den mondscheinerfüllten Garten. Es war ein lauer Frühlingsabend; süßer Fliederduft wehte zu mir her, und in den finsteren Schatten der Gebüsche sangen die Nachtigallen. Plötzlich hörte ich einen leichten Schritt hinter mir; es war Frida, die im hellen Schein des Mondlichtes vor mir stand.

»Ich danke Ihnen,« sagte sie, »für die Rücksicht, die Sie heute abend genommen haben.«

Es war wohl die gekränkte Eigenliebe, die mein Herz verhärtete und meinen Sinn verwirrte, so daß ich hart herausfuhr: »Ich wollte, ich hätte das nicht gethan.«

Sie sah mich verwundert mit großen Augen an und sagte nichts. Mir aber hatte der Satan ganz das Hirn verwirrt, also daß ich fortfuhr: »Im Grunde hat Herr Eisenmilch ganz recht mit seinen Ansichten. Was könnte die Leute wohl veranlassen, diesem unausstehlichen Patron freundlich zu begegnen und Nachsicht mit seiner Flegelhaftigkeit zu haben, als die Rücksicht auf sein liebenswürdiges Vermögen? Gewiß hat er recht; ich habe es ja an mir selber erfahren, wie sie fast alle von mir abgefallen sind. Es sind wenige, die sich von diesem Schimmer nicht in irgend einer Weise blenden lassen – wenige sind es, die sich ganz davon freimachen können – auch Sie nicht, mein Fräulein, auch Sie nicht – das habe ich heute abend wohl gesehen!«

Sie war ganz blaß geworden; ihr Antlitz schimmerte geisterhaft im Licht des bleichen Mondes, und ihre Augen waren starr und vorwurfsvoll auf mich gerichtet. Sie schwieg eine Weile und ich sah, wie sie tief atmete. Dann sprach sie mit zitternder Stimme: »Sie haben böse Worte gesprochen, Herr Holding. Ach, ich wollte, Sie hätten das nicht gethan; denn ich weiß nicht, ob ich das jemals vergessen kann.« Dann wandte sie sich und verschwand in der dunklen Thür des Hauses.

Ich wollte ihr anfangs nacheilen, allein ein thörichter Trotz hielt mich zurück, und ich blieb.

Seit diesem Abend ist alles vorüber. Ich habe sie tödlich beleidigt und sie, die Gute, Reine, Holde, mit rauher Hand von mir gestoßen. Wir gehen im Hause nebeneinander her, als hätten wir uns nie gekannt. Die alte Unbefangenheit und Fröhlichkeit ist dahin; durch eigene Schuld habe ich zerstört, was mir so lieblich war in meinem Herzen.

Mein lieber Siebold, habe Mitleid mit mir. Ich weiß, trotz Deiner sarkastischen Reden und Gesichter bist Du doch ein guter Kerl. Ich wollte, ich könnte gleich hinübergehen zu Dir und Deine treue Hand drücken. Da es aber nicht sein kann, sei tausendmal gegrüßt!

Dein Holding.

Hinter der Orgel.

Seit den geschilderten Ereignissen war eine Woche vergangen. Frida ging ruhig und gleichmäßig wie immer im Hause umher: aber das Verhältnis zu Holding war und blieb gestört. Ihre Augen begegneten den seinen nicht mehr; der fröhliche Scherz war verstummt und sie vermied es sichtlich, mit ihm allein zu sein. Holding wanderte nach Beendigung der Schulstunden brütend in der Gegend umher und überlegte schon, ob er das Verhältnis ganz lösen und wieder in die Stadt zurückkehren solle, und doch im letzten Grunde fühlte er sich noch immer gehalten und gebunden, so daß er zu keinem Entschluß kommen konnte. So wanderte er auch eines Tages, in dumpfes Hinbrüten versunken, auf dem Friedhofe zwischen den Gräbern umher, als er plötzlich aus der Kirche den Ton einer Orgel vernahm und zugleich sah, daß die Kirchenthür geöffnet war. Er vermutete, es sei der Küster, der sich einen neuen Choral einübe, und da ihn die Klänge anzogen, trat er in die Kirche und setzte sich in einem Winkel auf eine Bank. Wie einsam war es hier. Nichts weiter war in dem weiten Raum, als der Sonnenschein und die Klänge der Orgel. Er legte den Kopf an die Lehne, und indem er durch ein Fenster auf die weißen Wolken blickte, die draußen still vorüberzogen, hörte er wie im Traume den sanften Tönen zu. Im Laufe der Zeit fiel es ihm aber auf, daß die gemäßigte Art des Spieles immer dieselbe blieb und daß es niemals zu einer besonderen Kraftentfaltung kam, und als er zu dieser genauen Beobachtung gelangte, war es ihm auch plötzlich klar, daß es nicht der Küster war, der spielte, denn zu der Kunstfertigkeit, die hier entwickelt wurde, hätte dieser es nicht gebracht. Seine Neugier ward rege; er schritt behutsam durch die Kirche, stieg leise die Treppe zum Orgelchor hinauf und fand den alten Prediger, der, ganz vertieft in seine musikalischen Ideen, ihn anfangs gar nicht bemerkte, bis er endlich durch den kleinen Spiegel, der zur Beobachtung der Vorgänge vor dem Altar dient, Holdings ansichtig ward. Der Prediger nickte, ohne im Spiel aufzuhören, diesem zu und sagte dann: »Sie haben mich wohl noch nie spielen hören? Ich wollte Ihnen wohl einmal zeigen, was die Orgel hergibt; denn es ist ein vortreffliches Werk, allein meine Tochter allein hat nicht die nötige Kraft, und für volle Leistung gehören auch zwei dazu, die Bälge zu treten. Ich muß mich deshalb mit dem Windverbrauch sehr einschränken.«

Holding durchzuckte es plötzlich wie ein elektrischer Schlag: »Ihre Tochter?« fragte er.

»Jawohl,« sagte er, »Leute sind jetzt nicht zu bekommen, da die Feldarbeit dringend ist, und da thut meine Tochter mir den Gefallen, mir behilflich zu sein, wenn ich einmal spielen will.«

»Wenn es Ihnen recht ist,« sagte Holding schnell, »so helfe ich Ihrer Tochter.«

»Das ist eine große Freundlichkeit von Ihnen,« sagte der Prediger, »die ich gern annehme.« Er unterbrach sich im Spiel und rief: »Liebe Frida, Herr Holding ist so freundlich, dir behilflich sein zu wollen, zeige ihm, was er zu thun hat.« Sie antwortete nicht, und Holding ging schnell mit klopfendem Herzen hinter die Orgel, woselbst er Frida vorfand. Sie erklärte ihm mit wenig Worten die einfache Einrichtung, und kurz darauf stiegen beide nebeneinander auf und nieder in emsiger Arbeit. Der Alte griff mit Behagen in seine Tasten, und voller und brausender schallten die mächtigen Töne durch die einsame Kirche.

Anfangs sahen beide vor sich hin, scheinbar ganz vertieft in ihre Thätigkeit; aber bald zog es Holding unwiderstehlich seitwärts zu blicken auf die holde Gestalt in hellem Sommerkleide, die so viel Anmut und elastische Kraft in allen ihren Bewegungen zeigte. Das von der Anstrengung zart gerötete Antlitz zeigte ihm die reinen Linien des Profils und das herrschende Dämmerlicht breitete einen eigenen Märchenzauber über die sanften Züge. So stiegen sie unablässig nebeneinander auf und nieder; er konnte sein Auge nicht abwenden von ihr, und sie fühlte seinen Blick, ohne ihn anzusehen. Unterdes zog der Alte ein Register nach dem anderen, die Töne flohen und vereinten sich und immer gewaltiger ward das Spiel, so daß Wände und Gerüst der alten Orgel zu dröhnen begannen. Und alles dies, die Gewalt der Musik, die freie, frische Bewegung, die berauschende Nähe der Geliebten lösten den Druck, der auf Holdings Seele lag, und ließen ihn die richtigen Worte finden. Und seltsam, trotz des mächtigen Dröhnens der Orgel verstand sie alles, wie wenn die Stille der Einsamkeit geherrscht hätte.

»Fräulein Frida,« sagte er, »es drängt mich, Sie für die bösen Worte, die ich neulich zu Ihnen gesprochen habe, um Verzeihung zu bitten. Ich bereue sie tief und versichere Sie auf das heiligste, daß es mir niemals in den Sinn gekommen ist, wirklich so von Ihnen zu denken, daß nur die Uebereilung des Augenblicks mich hinreißen konnte, so Frevelhaftes auszusprechen!«

Sie hatte, während er sprach, gerade vor sich hingesehen und nur das vermehrte Auf- und Niedergehen ihrer langen Augenwimpern verriet ihre Bewegung. Jetzt wendete sie ihm voll das Antlitz zu und in ihren Augen lag die Verzeihung. Es war ein wunderbarer, geheimnisvoller Blick voll Verheißung und Gewährung. Holding streckte ihr die Hand entgegen; sie ergriff diese und drückte sie sanft, aber sie sprach nichts, sondern nickte ihm nur freundlich zu. Holding jauchzte innerlich auf, es kam wie ein Rausch über ihn und ihm war, als riefe durch das Brausen der Orgel eine Stimme ihm zu: »Jetzt oder nie!«

Der alte Prediger hatte sich derweil immer mehr in sein Spiel vertieft, immer gewaltiger baute sich das Werk seiner Töne auf, immer mächtiger strebte es empor zu himmlischen Höhen, umrankt von blühenden Klangfiguren, durchwebt von klingenden Blumen; doch als er den Gipfel glücklich erreicht und in mächtigem Accorde ausruhen wollte auf seiner seligen Höhe, da, mitten im stärksten Fortissimo, brach plötzlich zu seinem größten Schrecken der Ton der Orgel ab und es ward stumm wie das Grab. Anfangs saß er ganz starr da, dann rief er: »Frida!« aber es kam keine Antwort. Jetzt glaubte er ein leises Schluchzen zu vernehmen; eine plötzliche Angst befiel ihn und er ging eilfertig hinter die Orgel.

Was er da fand? Zwei junge Menschenkinder, die die Welt vergessen hatten und sich in den Armen lagen und sich nicht oft genug sagen konnten, wie lieb sie sich hätten.

Sie bemerkten seine Anwesenheit und kamen nun und baten um seinen Segen. Der gute, alte Prediger, was sollte er thun? Er konnte ja nicht anders; er mußte wohl ja sagen.

Fanfare.

Bordau, den 3. Juni 1878.

Lieber Siebold!

Aus meinem Telegramm weißt Du ja, daß ich glücklich bin; aber worüber ich ganz besonders glücklich bin, das weißt Du nicht, nämlich, daß Frida den armen Kandidaten genommen hat, und daß, als sie nachträglich erfuhr, es sei ein sehr reicher Kandidat, dies sehr wenig Eindruck auf sie gemacht hat. Da ich nun nach der Sitte des Landes nicht länger in diesem Hause bleiben kann, so werde ich allernächstens in Berlin wieder anlangen. Aber später meinen Wohnsitz dort nehmen werde ich nicht. Ich habe Geschmack und Vergnügen am Landleben gewonnen und stehe bereits im Anfang der Unterhandlungen über den Ankauf eines großen, aber etwas verwahrlosten Gutes in der Umgegend und denke es mit Hilfe eines tüchtigen Verwalters selber zu bewirtschaften. Und der Hauptzweck dieses Briefes: Du sollst mir mein Haus bauen und sollst einmal einen Bauherrn haben, wie Du ihn Dir wünschest, »mit offener Hand und Kunstverstand«, das heißt letzteres am wenigsten, da will ich mich ganz auf Dich verlassen. In diesem Hause soll vor Deinem Standbild aus Gold und Marmelstein ein Altar errichtet werden, und Myrrhen und Weihrauch und alle köstlichen Gewürze Arabiens sollen Dir wöchentlich geopfert werden, und der Scheitel Deines Hauptes soll Dir gesalbet werden mit edlem Johannisberger, denn Dir verdanke ich doch alles, und Dich will ich als meinen Wohlthäter verehren bis ans Ende. Mit bestem Gruß von mir und ihr!

Dein Holding.


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