Heinrich Seidel
Glockenspiel
Heinrich Seidel

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Wirthshaus zur Stranddistel

An Johannes Trojan

            Wir wanderten entlang den Ostseestrand.
Ein schöner stiller Tag war's im September,
Nur dass ein leichter Dunst, ein feiner Schleier,
Als wie ein Silberduft die Ferne hüllte.
An jenes Eichenwaldes Vorsprung bald
Gelangten wir, wo knorrig alten Kämpfern
Vergleichbar, narbenreich gefurcht, des Waldes
Zerzauste Vorhut stand, verkrüppelt wohl,
Zurückgebogen auch von rauher Stürme
Jahrhundertlanger Wiederkehr, doch nimmer
Gebeugten Muths – bereit zum neuen Kampf.
Wir fanden dort, was uns gar lieblich schien
»Stranddistel-Wirthshaus« hast du es genannt.
Die blaue Distel, die im Sand sich nährt,
In eines Dünenkessels weisser Senkung
Stand sie allein, gar herrlich ausgebreitet,
Und bot der Blüthen schimmernd helles Blau
Wohl hundertfach dem milden Sonnenschein.
Und welch ein Leben dort! Es kam zur Einkehr
An diesen Ort ein mannichfach Geschlecht
Von leichtem Flügelvolk. Umschwirrt umflogen,
Umsummt von hunderten von Gästen war
Dies blaue Wirthshaus, wo es Honig gab.
Die Distelfalter flogen ab und zu
Und sogen still und breiteten die Flügel,
Dass sie, von Sonnenstrahlen schön durchleuchtet
So schimmerten wie farbiger Opal.
Der Trauermantel kam, sein sammetbraunes
Mit blauen Pünktchen schön geziertes Kleid
War stolz mit einem Rand von Gold verbrämt.
Und dann der Fliegen mannichfaches Volk,
Stahlblau und golden, glasgeflügelt, zierlich,
So dass die Hummel wie ein Bär erschien
Und wie ein Wolf die fleiss'ge Honigbiene.
»Hier ist ein guter Ort, hier lasst uns ruhn«,
So sprachen wir und packten hingelagert
Am Dünenrand den Reisevorrath aus
Und schenkten fröhlich in den Silberbecher
Des rothen Weines hochwillkommne Labung.
Wie friedlich war es hier und weltenfern.
Nur hinter uns des Waldes Schweigsamkeit,
Vor uns die See, fast spiegelglatt und still,
Der ferne Horizont in Dunst verschwimmend,
Dass ohne Grenzen ineinander floss
Das Meeres Ende, und des Himmels Anfang
Friedfertig schwammen Möven auf der Fluth,
Sich überfliegend oft und ungeschreckt
Von uns zwei stillen Wandersleuten wohl.

Derweil wir sassen und uns friedlich nährten
Hob ich den Becber mit dem rothen Wein,
Dass sich der Sonne Glanz hineinergoss,
Und wie Rubin auf seinem goldnen Grund,
Als wie ein köstlich seltner Edelstein
Des Weines Fluth erglänzend funkelte
In diesen Wunderanblick ganz vertieft
Bemerkt' ich kaum ein Flattern um mein Haupt,
Ein schwankend Kreisen. Ja, fürwahr, ein Falter,
Ein Sommervogel war's, ein Trauermantel,
Der angelockt vom Duft des rothen Weines,
Die angeborne Scheu soweit vergass,
Dass er auf meine Hand sich plötzlich senkte.
Dort sass er nun entfaltend seiner Flügel
Dem braunen Sammet gleiche Pracht und tastend
Mit dem spiralisch feinen Rüsselchen
Fuhr suchend er umher und dachte wohl
»Ei nun, was duftet hier so schön?« Behutsam
Den Becher neigt' ich, dass des Weines Fluth
Dem seltnen Gast entgegen kam, und dieser
Gewahrte kaum den Vortheil, der sich bot,
Als er das feine Saugerüsselchen
Behaglich in den Wein herniedertauchte
Und sog und sog. »Fürwahr, er trinkt!« so riefen
Wir beide fast zugleich und schauten still
Vergnüglich unserm Gaste zu. – Nicht lange.
Denn plötzlich wie in jähem Schreck durchfuhr's
Das zarte Thier. Merkt' es den Dämon wohl,
Der in des Weines Purpurgrunde schläft? –
Auf schwang es sich und flog und kam nicht wieder.
Wie seltsam doch, dass beide wir noch jetzt
Wie an ein Glück an diese Stunde denken.
Was war's? Es war ein Nichts – belächelt wohl
Von Manchem, der's vernimmt. Und dennoch möcht ich
Es missen nicht um Gold. – Du denkst das Gleiche.
Mein guter Freund. Das weiss ich sicherlich.

 


 


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