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Monelle

 

Von ihrer Erscheinung

Ich weiß nicht, wie ich durch einen dunklen Regen zu diesem merkwürdigen Laden kam, der in der Nacht vor mir auftauchte. Ich weiß die Stadt nicht und nicht das Jahr; weiß nur, daß es eine Zeit war, da es viel regnete, viel regnete.

Verbürgt ist, daß in dieser selben Zeit die Menschen auf den Straßen kleine herumstreifende Kinder fanden, die nicht wachsen wollten. Mädchen von sieben Jahren beteten auf den Knien darum, daß sie nicht älter würden, und die Pubertät schon sah totgetroffen aus. Es gab da fahlweiße Prozessionen unter dem bleichen Himmel, und kleine Schatten, die kaum sprechen konnten, mahnten das Volk der Kinder. Nichts sonst begehrten sie als eine ewige Unwissenheit. Sie verlangten, sich immerwährenden Spielen zu weihen. Sie verzweifelten an der Arbeit des Lebens. Alles war für sie nichts sonst als Vergangenes.

In diesen trüben trostlosen Tagen, in dieser Zeit endlosen Regens gewahrte ich die fadendünnen Lichter der kleinen Lampenverkäuferin.

Ich trat unter das Schutzdach ihres Ladens, und der Regen lief mir in den Nacken, als ich den Kopf beugte.

Und ich sprach zu ihr:

– Was verkaufst du da, kleine Händlerin, in dieser traurigen Zeit des Regens?

– Lampen, gab sie die Antwort, nur brennende Lampen.

– Und was bedeuten denn in Wahrheit diese brennenden Lampen, die so groß sind wie ein kleiner Finger und mit einem Licht brennen, das nicht größer ist als der Kopf einer Stecknadel?

– Das sind die Lampen dieser finsteren Zeit. Ehemals waren es Puppenlampen. Aber die Kinder wollen nicht mehr groß werden. Und so verkaufe ich ihnen diese kleinen Lampen, die kaum durch den dunklen Regen leuchten.

– Und davon lebst du also, kleine schwarzgekleidete Verkäuferin, und ernährst dich von dem Geld, das dir die Kinder für deine Lampen bezahlen?

– Ja, sagte sie einfach. Aber ich verdiene recht wenig. Denn der böse Regen verlöscht oft meine kleinen Lampen, gerade wenn ich sie hinreichen will. Und wenn sie erloschen sind, dann wollen sie die Kinder nicht mehr. Niemand kann sie wieder anzünden. Es bleiben mir nur noch diese da. Ich weiß, ich kann keine andern mehr finden. Und wenn die letzten verkauft sind, dann werden wir im Dunkel des Regens bleiben.

– So ist es also das einzige Licht in dieser trüben Zeit? Und wie erhellt man denn mit einer so kleinen Lampe die feuchten Dunkelheiten?

– Der Regen verlöscht sie oft, sagte sie, und auf den Feldern und Straßen nützen sie dann nicht mehr. Man muß sich damit einschließen. Die Kinder schützen meine kleinen Lampen mit ihren Händen und schließen sich ein. Jedes schließt sich ein mit seiner Lampe und einem Spiegel. Und sie genügt, um ihnen im Spiegel ihr Bild zu zeigen.

Ich sah eine Weile auf die armseligen flackernden Flämmchen.

– Ach, kleine Händlerin, das ist ein trauriges Licht, und die Bilder im Spiegel müssen traurige Bilder sein.

– Sie sind nicht so sehr traurig, sagte das schwarzgekleidete Kind und senkte den Kopf, – solange sie nicht wachsen. Aber die kleinen Lampen dauern nicht ewig. Ihre Flamme nimmt ab, als ob sie sich über den dunklen Regen grämte. Und wenn meine kleinen Lampen verlöschen, dann sehen die Kinder nicht mehr den Glanz des Spiegels und verzweifeln. Denn sie fürchten den Augenblick zu versäumen, da sie zu wachsen beginnen. Das ist es, weshalb sie zitternd in die Nacht fliehen. Aber ich darf jedem Kind nur eine Lampe verkaufen. Versuchen sie eine zweite zu kaufen, verlöscht sie in ihren Händen.

Ich neigte mich ein wenig zu der kleinen Händlerin und wollte eine ihrer Lampen nehmen.

– Oh! nicht anrühren! rief sie. Ihr seid über das Alter, für das meine Lampen brennen. Sie sind nur für die Puppen und die Kinder. Habt Ihr keine Lampe für große Leute bei Euch?

– Leider sind es in dieser Zeit des dunklen Regens, in dieser vergessnen trüben Zeit, nur noch deine Kinderlampen, die leuchten. Und auch mich verlangt es, noch einmal den Glanz des Spiegels zu sehen.

– Komm, sagte sie, wir schauen zusammen.

Über eine kleine wurmstichige Treppe führte sie mich in ein bretterverschlagenes Zimmer, da leuchtete ein Spiegel von der Wand.

– Still, sagte sie, und ich laß Euch schauen. Denn meine eigene Lampe ist klarer und leuchtender als die anderen; und so bin ich nicht zu arm in dieser regenvollen Dunkelheit. Und sie hob ihre kleine Lampe gegen den Spiegel. Da war ein klarer Glanz, und ich sah bekannte Geschichten kommen und gehen. Aber die kleine Lampe log, log, log. Ich sah die Flaumfeder sich auf Cordelias Lippen bewegen; und sie lächelte und wurde gesund; und lebte mit ihrem alten Vater in einem großen Käfig, wie ein Vogel, und küßte seinen weißen Bart. Ich sah Ophelia am Schilf des Wassers und wie sie die feuchten veilchenumwundenen Arme um Hamlets Nacken legte. Ich sah Desdemona wiedererwacht unter den Weiden wandeln. Ich sah die Prinzessin Maleine, sie nahm ihre beiden Hände weg von den Augen des alten Königs, und sah sie lachen und tanzen. Ich sah die befreite Melisande sich im Brunnen spiegeln.

Und ich rief aus: Kleine lügnerische Lampe ...

– Still, sagte die kleine Händlerin und legte mir die Hand auf die Lippen. Man darf nichts sagen. Ist der Regen nicht dunkel genug?

 

Da senkte ich den Kopf und ging durch die Regennacht in die unbekannte Stadt.

 

Von ihrem Leben

Ich weiß nicht, wo mich Monelle bei der Hand nahm. Aber ich meine, es war an einem Herbstabend, wenn der Regen schon kalt ist.

– Komm mit uns spielen, sagte sie.

Monelle trug alte Puppen in ihrer Schürze und Federbälle mit zerdrückten Federn und trübverblaßten Borten.

Ihr Gesicht war bleich, und ihre Augen lachten.

– Komm spielen, sagte sie. Wir arbeiten nicht mehr, wir spielen.

Windig war es und die Straßen voll Schlamm. Das Pflaster glänzte. Von den Vordächern der Läden tropfte das Wasser. Mädchen standen fröstelnd in den Eingängen der Krämerläden. Die Kerzen brannten rot.

Aber Monelle zog aus der Tasche einen bleiernen Würfel, einen Säbel aus Blech und einen Gummiball.

– Das alles ist für sie, sagte sie. Ich gehe aus und mache die Einkäufe.

– Und was für ein Haus hast du denn, und was für Arbeit und was für Geld, Kleine ...

– Monelle, sagte das Mädchen und drückte mir die Hand. Sie nennen mich Monelle. Unser Haus ist ein Haus, wo man spielt: wir haben die Arbeit davongejagt, und die Pfennige, die wir noch haben, die gab man uns für Kuchen.

Jeden Tag geh ich Kinder auf der Straße suchen, erzähle ihnen von unserem Haus und nehme sie mit. Und wir verstecken uns gut, daß man uns nicht findet. Die großen Leute wollen uns heim haben und nehmen uns, was wir haben. Und wir, wir wollen beisammen bleiben und spielen.

– Und was spielt ihr denn, kleine Monelle?

– Wir spielen alles. Die Großen, die machen sich Flinten und Pistolen; die andern spielen Federball oder Reif oder Seilspringen; andere tanzen Ringelreihen und nehmen sich bei den Händen; andere zeichnen auf die Scheiben schöne Bilder, die man niemals sieht, oder blasen Seifenkugeln; und andere ziehen ihre Puppen an und führen sie spazieren, und wir zählen an den Fingern der ganz Kleinen und machen sie lachen.

 

Das Haus, in das mich Monelle führte, schien zugemauerte Fenster zu haben. Es war von der Straße abgewandt, und all sein Licht kam aus einem tiefen Garten. Schon hier hörte ich glückliche Stimmen.

Drei Kinder sprangen auf uns zu.

– Monelle, Monelle! riefen sie, Monelle ist zurück! Und sie sahen mich an und sagten leise:

– Wie ist der groß! wird er mit uns spielen, Monelle?

Und das Mädchen sagte zu ihnen:

– Bald werden auch die großen Leute mit uns kommen. Sie werden zu den kleinen Kindern gehen. Sie werden spielen lernen. Wir werden ihnen die Schule halten, und in unserer Schule wird man nie arbeiten. Habt ihr Hunger?

Stimmen riefen:

– Ja, ja, ja. Es ist Zeit für die Puppenmahlzeit.

Da wurden kleine runde Tische gebracht und Servietten groß wie Veilchenblätter, und Gläser so tief wie Fingerhüte und Teller wie Nußschalen. Das Mahl bestand aus Schokolade und Zuckerkrümchen; und der Wein konnte nicht in die Gläser fließen, denn die kleinen fingerlangen weißen Fläschchen hatten einen zu dünnen Hals.

Es war ein alter und hoher Saal. Überall brannten kleine rote und grüne Kerzen in ganz winzigen Zinnleuchtern. Die kleinen runden Spiegel an den Wänden sahen aus wie silberne Taler. Man unterschied die Puppen unter den Kindern nur an ihrer Unbeweglichkeit. Denn sie blieben in ihren Stühlen oder kämmten, die Arme hoch, vor kleinen Toilettetischen ihr Haar oder schliefen bereits, zugedeckt bis ans Kinn, in ihren kleinen Messingbetten. Und der Boden war mit dem feinen grünen Moos bestreut, in das man die hölzernen Schafe der Spielwarenschachteln packt.

Das Haus schien ein Gefängnis oder ein Spital zu sein. Aber ein Gefängnis, in das man Unschuldige sperrte, um sie vor Leid zu bewahren, ein Spital, wo man von der Arbeit des Lebens heilte. Und Monelle war die Wärterin und die Krankenschwester.

 

Die kleine Monelle sah den spielenden Kindern zu. Aber sie war sehr bleich. Vielleicht hatte sie Hunger.

– Wovon lebst du, Monelle? fragte ich.

Und sie antwortete einfach:

– Wir leben von nichts. Wir wissen es nicht.

Und dabei mußte sie lachen. Aber sie war sehr schwach.

Und sie ließ sich am Bettende eines Kindes nieder, das krank lag. Sie reichte ihm eines der kleinen weißen Fläschchen, und blieb lang vornübergebeugt und mit offnen Lippen.

 

Es gab da Kinder, die tanzten einen Reigen und sangen mit klaren Stimmen. Monelle hob ein bißchen die Hand und sagte:

– Still!

Dann sprach sie leise, mit ihren kleinen Worten.

– Ich glaube, ich bin krank. Geht nicht weg von mir. Spielt da bei mir. Morgen sucht euch eine andre schöne Spielsachen. Ich bleib zu Hause bei euch. Wir wollen lustig sein und keinen Lärm machen. Und später, da werden wir auf den Straßen und auf den Feldern spielen und man wird uns in allen Läden zu essen geben. Jetzt, jetzt würde man uns zwingen, wie die andern zu leben. So müssen wir warten. Wir werden viel gespielt haben.

Monelle sagte noch:

– Habt mich lieb. Ich liebe euch alle.

Dann schien sie neben dem kranken Kind einzuschlafen.

Alle Kinder sahen auf sie hin, mit vorgestrecktem Kopf.

Da war eine kleine zitternde Stimme, die sagte ganz schüchtern: »Monelle ist gestorben.« Und dann war eine große Stille.

 

Die Kinder brachten die kleinen brennenden Kerzen um das Bett. Und da sie dachten, daß sie vielleicht schliefe, so stellten sie vor ihr, wie vor einer Puppe, hellgrüne geschnitzte Bäumchen auf und stellten dazwischen Schäfchen aus weißem Holz, damit sie sie anschaue. Dann setzten sich alle Kinder hin und warteten. Nach einer Weile fing das kranke Kind zu weinen an, da es Monelles Wange kalt werden fühlte.

 

Von ihrer Flucht

Da war ein Kind, das mit Monelle zu spielen gewohnt war. Das war in der alten Zeit, da Monelle noch nicht fortgegangen war. Jede Stunde des Tages war es bei ihr und sah ihr in die zitternden Augen. Sie lachte ohne Grund, und das Kind lachte ohne Grund. Wenn sie schlief, formten ihre halboffnen Lippen gütige Worte. Wenn sie erwachte, lachte sie für sich, denn sie wußte, das Kind würde sie gleich suchen kommen.

Es war kein wirkliches Spiel, das man spielte: denn Monelle mußte arbeiten. So klein wie sie war, saß sie den ganzen Tag hinter einem alten blinden Fenster. Die Mauer gegenüber war blind von Zement unter dem traurigen Licht des Nordens. Und die kleinen Finger der Monelle liefen über die Leinwand, als gingen sie auf einer Landstraße von weißem Tuch, und die auf die Knie festgesteckten Nadeln bezeichneten die Meilensteine. Die rechte Hand war geballt, sah aus wie ein kleiner Wagen aus Fleisch und ließ hinter sich im Vorwärtsgehen eine gesäumte Furche; und knirschend, knirschend bohrte die Nadel ihre stählerne Zunge, verschwand und tauchte auf und zog den langen Faden in der goldnen Öse. Und die linke Hand war gut anzusehen, denn sie streichelte sanft die frische Leinwand, glättete alle ihre Falten, als ob sie schweigend die frischen Linnen eines Kranken glattstriche.

So sah das Kind Monelle zu und freute sich wortlos, denn diese Arbeit sah aus wie ein Spiel, und Monelle sagte ihm einfache Dinge, die nicht viel Sinn hatten. Sie lachte zu Sonne und lachte zu Regen und lachte zu Schnee. Sie liebte es, erhitzt zu sein und naß und zu frieren. Hatte sie Geld, so lachte sie, dachte, daß sie in einem neuen Kleid zum Tanze ginge. Hatte sie nichts, so lachte sie, dachte, daß sie Bohnen essen würde eine Woche lang. Hatte sie ein paar Pfennige, so träumte sie von andern Kindern, die sie damit lachen machen würde; und mit leeren Händen hoffte sie, sich in ihrem Hunger und ihrer Armut vergraben und verstecken zu können.

Immer waren Kinder um sie, die sie mit großen Augen ansahen. Aber sie hatte vielleicht das Kind am liebsten, das die Stunden des Tags bei ihr war. Und doch ging sie fort und ließ es allein. Nie sprach sie zu dem Kinde von ihrem Fortgehen, aber sie wurde ernster und sah es länger an. Und das Kind erinnert sich auch noch, daß Monelle aufhörte zu lieben, was sie umgab: ihren kleinen Lehnstuhl, die bemalten Tiere, die man ihr schenkte, und all ihr Spielzeug und allen Putz. Und sie träumte mit dem Finger auf dem Mund von anderen Dingen.

An einem Dezemberabend ging sie fort, als das Kind gerade nicht da war. In der Hand die kleine zuckende Lampe trat sie, ohne sich umzuwenden in die Finsternis. Als das Kind kam, sah es noch am dunklen Ende der geraden Straße eine kleine verhauchende Flamme. Das war alles. Monelle sah es niemals wieder.

 

Lange fragte es sich, weshalb sie so ohne ein Wort fortgegangen war. Es dachte, daß sie nicht traurig sein wollte von seiner Traurigkeit. Und es tröstete sich, daß sie wohl zu andern Kindern gegangen sei, die sie brauchten. Mit ihrer kleinen ersterbenden Lampe ist sie ihnen Hilfe bringen gegangen, die Hilfe eines lachenden Feuerfunkens in der Nacht. Vielleicht hat sie gedacht, daß man dieses eine Kind nicht allzusehr lieben solle, damit man auch noch die andern fremden Kleinen lieben könne. Die Nadel mit ihrem goldenen Öhr hatte das kleine Wägelchen der Hand vielleicht bis ans Ziel geführt, bis ans letzte Ziel der gesäumten Furche, und Monelle ist nun müde geworden vom rauhen Weg des Linnens, auf dem ihre Hände gingen. Sie hat wohl sicher ewig spielen wollen. Und das Kind wußte nicht die Kunst des ewigwährenden Spieles. Vielleicht hatte es sie darnach verlangt, zu sehen, was wohl hinter der alten blinden Mauer sei, deren Augen seit Jahren mit Zement verschlossen waren. Vielleicht kommt Monelle zurück. Und statt zu sagen: »Auf Wiedersehn, erwart mich, – und sei brav!« daß es dann auf die kleinen Schritte im Hausgang gehorcht hätte und auf jedes Umdrehen eines Schlüssels im Schloß, da hat sie lieber geschwiegen und kommt überraschend zurück, hinter seinem Rücken, und legt zwei matte Hände auf seine Augen – ach ja! – und ruft: »Kuckuck!« mit der Stimme eines Vögleins, das in die warme Heimat zurückkommt.

Das Kind erinnerte sich an den ersten Tag, da es Monelle sah; wie ein zerbrechliches glitzerndes Stückchen Schnee sah sie aus und schüttelte sich vor Lachen. Und ihre Augen waren wie Wasser, in dem die Gedanken sich bewegten wie Schatten von Pflanzen. Da, von der Straßenecke her war sie gekommen, ganz einfach und wie selbstverständlich. Sie lachte, so ein langsames Lachen, wie der Ton, wenn man auf ein Kristallglas schlägt. Das war in der Winterdämmerung, und es war neblig; dieser Laden war offen – gerade so. Derselbe Abend, dieselben Sachen dort und hier, dasselbe Summen in den Ohren: doch das Jahr ist anders, und es ist die Erwartung. Vorsichtig machte das Kind ein paar Schritte; ja, alles ist ganz so wie das erstemal. Und es wartete: warum soll sie denn nicht zurückkommen? Und das Kind streckte seine arme geöffnete Hand durch den Nebel.

 

Diesmal trat Monelle nicht aus dem Unbekannten heraus. Kein kleines Lachen kam durch den Nebel. Monelle war weit und erinnerte sich nicht an den Abend noch an das Jahr. Wer weiß? Vielleicht war sie des Nachts in das unbewohnte Zimmerchen geschlüpft und erwartete es leise zitternd hinter der Tür. Das Kind ging ganz leise, es wollte sie überraschen. Aber Monelle war nicht da. Sie wird zurückkommen, – o ja! – ganz sicher wird sie zurückkommen. Nun haben die andern Kinder schon genug Gutes von ihr gehabt. Jetzt ist die Reihe wieder an dem verlassenen Kinde. Und es hörte seine schelmische Stimme leise sagen: »Heut bin ich brav.« – Kleines verschwundenes weitfernes Wort, verblaßt wie eine alte Farbe, und schon verbraucht von den Echos der Erinnerung.

 

Das Kind setzte sich geduldig hin. Da war der kleine Korbstuhl mit der Spur ihres kleinen Körpers, und das Tischchen, das sie gern hatte, und der Spiegel, der ihr um seines Sprungs willen noch teurer war, und das letzte kleine Hemd, das sie genäht hatte, das kleine Hemd, das ›sich Monelle nannte‹, ordentlich hingelegt, ein bißchen gebauscht, als wartete es auf seine Herrin.

Alle die kleinen Sachen des Zimmers warteten auf sie. Der Arbeitstisch war, wie sie ihn verlassen hatte. Das kleine Maßband in seiner runden Büchse steckte seine grüne Zunge heraus, sie war von einem Ring durchzogen. Das entfaltete Linnen der Taschentücher hob sich in kleinen weißen Hügeln. Dahinter standen die Nadeln wie Lanzen im Hinterhalt. Der kleine eiserne und ganz verarbeitete Fingerhut war eine verlassene Sturmhaube. Die Schere hatte faul das Maul offen wie ein stählener Drache. So schlief alles in der Erwartung. Der lebende Wagen, so weich und behend, fuhr nicht mehr, brachte nicht mehr über diese verzauberte Welt seine laue Wärme. Dieses ganze kleine Schloß der Arbeit lag im Schlummer. Das Kind war voll Hoffnung. Die Tür wird aufgehn, ganz leise; der lachende Feuerfunken wird hereinspringen; die weißen Hügel werden sich entfalten; die dünnen Lanzen werden sich schütteln; die Sturmhaube wird ihr rosa Köpfchen finden; der stählerne Drache wird schnell mit dem Maul klappern, und der kleine lebende Wagen wird überall herumkutschieren, und die vergehende Stimme wird wieder sagen: ›Ich bin brav heute!‹ – Kommen denn die Wunder nicht zweimal?

 

Von ihrer Geduld

Ich kam an einen engen und dunklen Ort, aber es duftete da nach dem traurigen Geruche verwelkter Veilchen. Und es war kein Mittel, diesen Ort zu vermeiden, der wie ein langer Durchgang ist. Und um mich tastend berührte ich einen kleinen zusammengekauerten Körper wie damals im Traum, und ich strich über Haare, und meine Hand fühlte ein Gesicht, das ich kannte; und es kam mir vor, als ob sich die kleine Stirne unter meinen Fingern in Falten zöge, und ich erkannte, daß ich Monelle gefunden hatte, die allein hier an dem dunklen Ort schlief.

Überrascht entfuhr mir ein Ausruf, und ich sagte zu ihr, die weder lachte noch weinte:

– O Monelle! Hier hast du dich zum Schlaf gelegt, fern von uns, wie eine geduldige Springmaus in der Höhlung einer Furche?

Und ihre Augen wurden weit, und ihre Lippen öffneten sich, wie früher, wenn sie nicht verstand und die Klugheit dessen anflehte, den sie liebte.

– O Monelle, sprach ich da, alle die Kinder weinen in dem leeren Hause; und das Spielzeug ist mit Staub bedeckt, und die kleine Lampe ist verloschen, und alles Lachen, das in allen Winkeln war, ist geflohen, und die Welt ist zurückgekehrt zur Arbeit. Aber wir dachten dich anderswo. Wir dachten, du spieltest weit von uns, an einem Ort, zu dem wir nicht gelangen können. Und nun schläfst du hier wie ein kleines wildes Tier, unter dem Schnee, dessen Weiß du liebtest.

Da sprach sie, und, wie sonderbar, ihre Stimme war die gleiche an diesem dunklen Ort, und ich mußte weinen; und sie trocknete meine Tränen mit ihrem Haar, denn sie war ganz entblößt.

– O mein Liebling, sagte sie, du mußt nicht weinen; denn du brauchst deine Augen für die Arbeit, so lange man arbeitend leben wird; und die Zeit ist noch nicht gekommen. Und du darfst hier an diesem kalten und dunklen Ort nicht bleiben.

Ich schluckte und sagte zu ihr:

– O Monelle, du fürchtetest doch die Finsternis?

– Ich fürchte sie nicht mehr, sagte sie.

– O Monelle, aber du hattest Angst vor der Kälte wie vor der Hand eines Toten?

– Ich habe keine Angst vor der Kälte mehr, sagte sie.

– Und du bist ganz allein hier, ganz allein, ein Kind, und du weintest, wenn du allein warst.

– Ich bin nicht mehr allein, sagte sie; denn ich warte.

– O Monelle, wen erwartest du, in Schlaf zusammengerollt an diesem dunklen Ort?

– Ich weiß nicht, sagte sie; aber ich warte. Und ich bin mit meiner Erwartung.

Und da sah ich, daß ihr ganzes kleines Gesicht einer großen Hoffnung hingegeben war.

– Du darfst nicht hier bleiben, an diesem kalten und dunklen Ort, sagte sie; geh zurück zu deinen Freunden, Geliebter.

Willst du mich nicht führen und unterweisen, Monelle, daß auch ich die Geduld deiner Erwartung erlange? Ich bin so allein!

– O mein Geliebter, sagte sie, ich wäre ganz ungeschickt, dich zu unterweisen wie früher, als ich, wie du sagtest, ein kleines Tier war; das sind alles Dinge, die du sicher in langem und mühvollem Nachdenken finden wirst, so wie ich sie ganz auf einmal fand, da ich schlief.

– Hast du dich so eingenistet, Monelle, ohne daß du dich deiner Vergangenheit erinnerst, oder erinnerst du dich noch unser?

– Wie könnte ich, mein Geliebter, dich vergessen? Seid ihr doch in meiner Erwartung, gegen die hin ich schlafe; aber ich kann nicht erklären. Du erinnerst dich, ich habe die Erde so geliebt und riß immer die Pflanzen aus, um sie wieder einzusetzen; du erinnerst dich doch, wie ich oft sagte: »Wär ich ein kleiner Vogel, stecktest du mich in deine Tasche, wenn du ausgingest.« O mein Geliebter, ich bin hier in der guten Erde wie ein schwarzes Korn, und ich warte, daß ich ein kleiner Vogel werde.

– O Monelle, du schläfst, bevor du ganz weit von uns fort gehst.

– Nein, mein Geliebter, ich weiß nicht, ob ich ganz fortgehe; denn ich weiß nichts. Aber ich habe mich eingehüllt in das, was ich liebte, und ich schlafe gegen meine Erwartung hin. Und bevor ich schlafen ging, da war ich ein kleines Tier, wie du sagtest, denn ich glich einem nackten Würmchen. Eines Tages fanden wir zusammen eine ganz weiße seidenumsponnene Puppe, und nicht die kleinste Öffnung war daran. Du schlechter Mensch hast sie aufgemacht, und sie war leer. Meinst du, das kleine geflügelte Tier sei nicht herausgegangen? Aber niemand kann wissen wie. Und es hatte lange geschlafen. Und bevor es schlief, war es ein kleiner nackter Wurm; und die kleinen Würmer sind blind. Stell dir vor, mein Geliebter (es ist ja nicht wahr, aber sieh, so denke ich manchmal), daß ich meinen kleinen Kokon aus all dem gewoben habe, was ich liebte, aus der Erde, dem Spielzeug, den Blumen, den Kindern, den kleinen Worten und der Erinnerung an dich, mein Geliebter; das ist ein weißes und seidenweiches Nest und dünkt mich nicht kalt und nicht dunkel. Aber es ist vielleicht nicht so für die andern. Und ich weiß ganz gut, daß es sich nicht öffnen wird und geschlossen bleibt, wie damals die Schmetterlingspuppe. Aber ich werde nicht mehr darin sein, Geliebter. Denn meine Erwartung ist, daß ich weggehe wie das kleine geflügelte Tier; niemand kann wissen wie. Und wohin ich gehen will, das weiß ich nicht; das ist meine Erwartung. Und auch die Kinder, und du, mein Geliebter, und der Tag, da man nicht mehr arbeitet auf der Erde, sind meine Erwartung. Ich bin ein kleines Tier, mein Geliebter; ich weiß nicht besser zu erklären.

– Du mußt, du mußt mit mir von diesem dunklen Ort gehen, Monelle; denn ich weiß, du denkst alle diese Dinge nicht; und hast dich verborgen, um zu weinen; und da ich dich nun endlich ganz allein fand, hier schlafend ganz allein, hier im Warten, so komm mit mir, komm mit mir fort.

– Bleib nicht hier, mein Geliebter, sagte Monelle, denn du würdest allzusehr leiden; und ich, ich kann nicht mit dir, denn das Haus, das ich mir spann, ist ganz verschlossen, und nicht so kann ich es verlassen.

Dann legte Monelle ihre Arme mir um den Nacken, und ihr Küssen war, wie sonderbar, ganz das gleiche wie früher, und darüber mußte ich weinen, und sie trocknete meine Tränen mit ihren Haaren.

– Du darfst nicht weinen, sagte sie, wenn du mich nicht betrüben willst in meinem Warten; und vielleicht warte ich auch gar nicht so lange. Nun sei nicht länger traurig. Denn ich segne dich dafür, daß du mich schlafen geführt hast in mein kleines seidenweiches Nest, dessen beste Seide aus dir ist und in dem ich nun schlafe, zu mir selber gekehrt.

Und wie ehmals in ihrem Schlafe schmiegte sie sich an das Unsichtbare und sagte: »Ich schlafe, Geliebter.«

So habe ich sie gefunden; aber wie bin ich sicher, daß ich sie wiederfinde an diesem so engen und dunklen Ort?

 

Von ihrem Königreich

Ich las diese Nacht, und mein Finger folgte den Worten und Zeilen; meine Gedanken waren woanders. Und draußen fiel ein schwarzer, schräger, spitziger Regen. Und das Licht meiner Lampe leuchtete auf die kalte Asche im Kamin. Und mein Mund war voll Geschmacks von Schmutz und gemeinem Klatsch; denn die Welt schien mir dunkel, und meine Lichter waren erloschen. Und dreimal rief ich mir zu:

– Viel schlammiges Wasser möchte ich, um meinen Durst nach Schändlichkeit zu löschen.

»Ich bin mit den Schändlichen: richtet Eure Finger auf mich!«

»Man muß sie mit Kot werfen, denn sie verachten mich nicht.«

»Und die sieben Becher voll Blut erwarten mich auf dem Tisch, und das Gleißen einer goldnen Krone glimmt unter ihnen.«

Doch eine Stimme schlug mir zurück, die mir nicht fremd war, und das Gesicht jener, die erschien, war mir nicht unbekannt. Und sie rief die Worte:

– Ein weißes Königreich! ein weißes Königreich! ich weiß ein weißes Königreich. Und ich wandte mich um und sagte ganz ruhig:

– Kleiner lügnerischer Kopf, kleiner Mund voll Lüge, es gibt nicht Könige noch Königreiche mehr. Umsonst sehne ich mich nach einem roten Königreich: denn die Zeit ist vorbei. Und dieses Reich hier ist schwarz und ist kein Königreich; denn ein Volk von schwarzen Königen rührt hier seine Arme. Und nirgends auf der Welt gibt es ein weißes Königreich, noch einen weißen König.

Aber sie rief von neuem diese Worte:

– Ein weißes Königreich! Ich weiß ein weißes Königreich!

Und ich wollte sie bei der Hand fassen; aber sie entschlüpfte mir.

– Nicht durch Traurigkeit, sagte sie, nicht durch Gewalt. Und doch gibt es ein weißes Königreich. Komm mit meinen Worten; horch.

Und sie schwieg, da erinnerte ich mich.

– Nicht durch die Erinnerung, sagte sie. Komm mit meinen Worten; horch.

Und sie schwieg; und ich hörte mich denken.

– Nicht durch das Denken, sagte sie. Komm mit meinen Worten; horch.

Und sie schwieg.

Da zerstörte ich in mir die Traurigkeit meiner Erinnerung und das Verlangen nach meiner Gewalt, und all mein Denken verschwand. Und ich wartete.

– Du wirst das Königreich sehen, sagte sie, aber ich weiß nicht, ob du hineingehen wirst. Denn ich bin schwer zu verstehen, außer für jene, die nicht verstehen; und ich bin schwer zu ergreifen, außer für jene, die nicht mehr ergreifen; und schwer bin ich zu erkennen, außer für jene, die kein Erinnern haben. In Wahrheit, du hast mich und du hast mich nicht mehr. Horch.

Und ich horchte in meiner Erwartung.

Aber ich vernahm nichts. Und sie schüttelte den Kopf und sagte:

– Du bedauerst deine Heftigkeit und dein Erinnern, und ihre Zerstörung ist noch nicht vollbracht. Man muß zerstören, um das weiße Königreich zu erlangen. Bekenne und du wirst befreit sein; gib in meine Hände deine Heftigkeit und dein Erinnern, und ich will es zerstören; denn alles Bekennen ist ein Zerstören.

Und ich rief aus:

– Ich gebe dir alles, ja, ich gebe dir alles. Und du sollst es tragen und selbst es vernichten, denn ich bin nicht mehr stark genug.

Ich habe nach einem roten Königreich verlangt. Es gab dort blutdürstige Könige, die ihre Klingen schärften. Frauen mit geschwärzten Augen weinten auf opiumbeladenen Dschunken. Viele Piraten vergruben im Inselsand schwere goldgefüllte Koffer. Alle Prostituierten waren freigelassen. Die Diebe lagen im Morgendämmer auf den Landstraßen. Viele junge Mädchen füllten sich mit Leckerbissen und Wollust. Einbalsamiererinnen vergoldeten Kadaver in der blauen Nacht. Die Kinder begehrten ferne Erregungen und unbekannte Morde. Nackte Körper bedeckten die Steinfliesen der heißen Bäder. Alle Dinge waren mit brennenden Kräutern eingerieben und von roten Kerzen beleuchtet. Aber dieses Königreich hat sich unter die Erde gesenkt, und ich erwachte inmitten der Finsternis.

Und da hatte ich ein schwarzes Königreich, das kein Königreich ist: denn es ist voller Könige, die sich Könige glauben und die es verdunkeln mit ihren Werken und ihren Befehlen. Und ein trüber Regen besudelt es Nacht und Tag. Und ich irrte lange auf den Wegen, bis zu dem kleinen Leuchten einer zitternden Lampe, die mir mitten in der Nacht erschien. Der Regen näßte mein Haupt; aber ich lebte unter der kleinen Lampe. Die sie hielt, nannte sich Monelle, und wir spielten zu zweit in diesem schwarzen Königreich. Aber eines Abends verlosch die kleine Lampe, und Monelle verschwand. Und ich suchte sie lange in dieser Finsternis: aber ich konnte sie nicht wiederfinden. Und heute abend suchte ich sie in den Büchern; aber ich suche sie vergeblich. Und ich bin verloren in dem schwarzen Königreich; und ich kann das kleine Leuchten der Monelle nicht vergessen. Und ich habe im Munde einen Geschmack von Gemeinheit.

Und sowie ich gesprochen hatte, fühlte ich die Zerstörung in mir geschehen, und mein Warten erleuchtete sich mit einem Beben, ich hörte die Finsternis, und ihre Stimme sprach:

– Vergiß alles, und alles wird dir gegeben sein. Vergiß Monelle, und sie wird dir wieder gegeben sein. So ist das neue Wort. Mach es dem jungen Hunde nach, dessen Augen noch geschlossen sind und der sich tastend einen Platz für seine kalte Schnauze sucht. Und die zu mir sprach, rief:

– Ein weißes Königreich! ein weißes Königreich! Ich weiß ein weißes Königreich!

Und ich ward übermannt vom Vergessen und meine Augen erstrahlten von Reinheit.

Und die zu mir sprach rief:

– Ein weißes Königreich! ein weißes Königreich! Ich kenne ein weißes Königreich!

Und das Vergessen ergriff mich ganz und die Stelle, wo mein Wissen wohnte, wurde rein und tiefklar.

Und die zu mir sprach, rief noch einmal:

– Ein weißes Königreich! ein weißes Königreich! Ich weiß ein weißes Königreich! Hier ist der Schlüssel: in dem roten Königreich ist ein schwarzes Königreich: in dem schwarzen Königreich ist ein weißes Königreich; in dem weißen Königreich ...

– Monelle, schrie ich, Monelle! In dem weißen Königreich ist Monelle!

Und das Königreich erschien; aber es war von einer Mauer strahlender Weiße umgeben.

Da fragte ich:

– Und wo ist der Schlüssel zum Königreich?

Aber die zu mir sprach, blieb ohne ein Wort.

 

Von ihrer Auferstehung

Louvette führte mich durch ein grünes Gefilde bis an den Saum des Feldes. Weithin hob sich das Land, und am Horizont schnitt eine braune Linie den Himmel. Schon senkten sich die brennenden Wolken im Westen. Im unsichern Schimmer des Abends unterschied ich kleine irrende Schatten.

– Gleich, sagte sie, werden die Feuer brennen. Und morgen wird das viel weiter sein. Denn sie bleiben nirgends. Und brennen nur einmal das Feuer, einmal an jedem Ort.

– Wer sind sie? fragte ich Louvette.

– Man weiß es nicht. Es sind weißgekleidete Kinder. Es sind welche aus unsern Dörfern darunter. Und andere kommen von weit und sind schon lange unterwegs.

Wir sahen auf der Höhe eine kleine Flamme aufleuchten.

– Da ist ihr Feuer, sagte Louvette. Jetzt können wir sie finden. Denn sie rasten die Nacht, wo sie ihr Zelt aufgeschlagen haben, und am nächsten Tag verlassen sie die Gegend.

 

Und als wir auf die Hügelhöhe kamen, wo die Flamme brannte, sahen wir viele weiße Kinder um das Feuer. Und unter ihnen erkannte ich, sie schien zu ihnen zu sprechen und sie zu führen, die kleine Lampenhändlerin, die ich einmal in der schwarzen regnerischen Stadt getroffen hatte.

 

Und sie erhob sich unter den Kindern und sagte mir:

– Ich verkaufe keine kleinen lügnerischen Lampen mehr, die im trüben Regen verlöschen.

Denn die Zeit ist gekommen, da die Lüge den Platz der Wahrheit eingenommen hat und die elende Arbeit zugrundgegangen ist.

Wir haben im Haus der Monelle gespielt; aber die Lampen sind Spielzeug gewesen und das Haus ein Asyl.

Monelle ist tot; ich bin dieselbe Monelle; und ich erhob mich in der Nacht, und die Kleinen sind mit mir gekommen, und wir gehen durch die Welt.

Sie wandte sich zu Louvette:

– Komm mit uns, sagte sie, und sei glücklich in der Lüge. Und Louvette lief unter die Kinder und war weiß gekleidet wie sie.

 

– Wir gehen, begann die wieder, die uns führte, und wir belügen jeden, der kommt, um ihm Freude zu geben.

Unser Spielzeug war Lüge, und jetzt sind die Dinge unser Spielzeug.

Bei uns leidet niemand, und niemand stirbt bei uns: wir sagen, daß die sich entkräften, die die traurige Wahrheit erkennen wollen, die es nirgends gibt. Die die Wahrheit erkennen wollen, trennen sich von uns und verlassen uns.

Wir dagegen haben gar keinen Glauben in die Wahrheiten der Welt; denn sie führen zur Traurigkeit.

Und wir wollen unsere Kinder zur Freude führen.

Nun können die Großen zu uns kommen, und wir lehren sie die Unwissenheit und die Täuschung.

Wir zeigen ihnen die kleinen Blumen des Feldes, die sie nie so gesehen haben; denn jede ist eine neue.

Und wir staunen über jedes Land, das wir sehen; denn jedes Land ist ein neues.

Es gibt keine Ähnlichkeiten in dieser Welt, und es gibt für uns kein Erinnern.

Alles ändert sich ohne Unterlaß, und wir haben uns gewöhnt an die Änderung.

Darum brennen wir an jedem Abend an einem andern Ort ein Feuer; und am Feuer erfinden wir für das Vergnügen des Augenblickes die Geschichten von Zwergen und lebenden Puppen.

Und wenn das Feuer erloschen ist, faßt uns eine andere Lüge; und wir sind voll Freude und staunen.

Und am Morgen erkennen wir nicht mehr unsere Gesichter: vielleicht daß die einen nach der Kenntnis der Wahrheit verlangt haben, die andern sich nur noch an die Lüge vom Vortag erinnern. So ziehen wir durch die Lande, und man kommt in Scharen zu uns, und die uns folgen, werden glücklich.

Als wir noch in der Stadt lebten, zwang man uns zur ewig selben Arbeit und wir liebten die ewig selben Menschen; und die gleiche Arbeit machte uns müde, und wir waren untröstlich, die, die wir liebten, leiden und sterben zu sehen.

Und unser Irrtum war, so im Leben stehenzubleiben und unbeweglich alles rollen und sich bewegen zu sehen, oder zu versuchen, das Leben festzuhalten und uns eine ewige Bleibe in fallenden Ruinen einzurichten.

Aber die kleinen lügnerischen Lampen haben uns auf den Weg des Glückes geleuchtet.

Die Menschen suchen ihr Glück in der Erinnerung und widerstehen dem Leben und berauschen sich an der Wahrheit der Welt, die nicht mehr wahr ist, da sie Wahrheit geworden.

Sie betrüben sich über den Tod, der nichts sonst ist als das Bild ihres Wissens und ihrer unumstößlichen Gesetze; sie beklagen sich, daß sie schlecht in der Zukunft gewählt haben, die sie nach vergangenen Wahrheiten berechnet haben, oder sie wählen vergangene Wünsche.

Für uns ist jedes Verlangen ein neues, und wir verlangen nichts sonst als den lügnerischen Augenblick; alles Erinnern ist wahr, und wir haben uns von der Wahrheit losgesagt.

Und wir sehen die Arbeit an als verderblich, weil sie unser Leben festhält und es sich selber ähnlich macht.

Und wir sehen in jeder Gewöhnung etwas Verderbliches; denn sie hindert uns daran, daß wir uns neuen Lügen völlig hingeben.

 

Das waren die Worte derer, die uns führte.

Und ich bat Louvette, mit mir zu ihren Eltern zurückzukommen; aber ich sah in ihren Augen, daß sie mich nicht mehr wiedererkannte.

 

Die ganze Nacht lebte ich in einer Welt von Träumen und Lügen und versuchte die Unwissenheit zu lernen und die Täuschung und das Staunen des neugeborenen Kindes.

Die kleinen tanzenden Flammen sanken zusammen.

Da sah ich in der traurigen Nacht aufrichtige Kinder, die weinten, weil sie die Erinnerung noch nicht verloren hatten.

Und andere erfaßte plötzlich die Wut der Arbeit, und sie schnitten das Korn und banden es im Schatten zu Garben.

Und andere, die die Wahrheit kennen wollten, wandten ihr bleiches Gesicht der kalten Asche zu und starben erschauernd in ihren weißen Kleidern.

Aber da der rosa Himmel zuckte, erhob sich die, die uns führte, und erinnerte sich nicht an uns und nicht an die, welche die Wahrheit suchten, und schritt dahin und viele weiße Kinder folgten ihr. Und alle waren voll Lustigkeit und lachten leicht über alle Dinge.

Und als der Abend kam, machten sie wieder ihr Strohfeuer.

Und wieder sanken die Flammen zusammen und wurde die Asche kalt um Mitternacht.

Da erinnerte sich Louvette, und sie mochte lieber lieben und leiden, und kam zu mir in ihrem weißen Kleid, und wir eilten zu zweit fort über das Land.


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