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Einleitung.

I.

Laßt uns annehmen, wir befinden uns beim Beginn unserer Erzählung in einer schönen Gegend von dem fruchtbaren Ostgothland; Zeit und Ort näher anzugeben, ist nicht vonnöthen.

Die Junisonne war im Untergehen, als ein älterer Mann, in dunkelblauem Uniformsrock und mit goldgestickter Mütze, einen Hügel hinanstieg, welcher die Gegend beherrschte. Er war begleitet von einer jungen Frau mit schlankem Wuchse, stolzer Haltung und schönem Angesicht.

Als sie auf der Höhe angekommen waren, nahm der Mann auf einem Baumstumpen Platz und sagte zu seiner Gefährtin:

»Nun, Majken, was hältst du von unserem prächtigen Ostgothland? Fühlst du dich nicht glücklich, wiederum innerhalb dessen Grenzen zu sein?«

»Es ist hier allerdings schön,« antwortete Majken, »und noch dazu wenn man hier oben auf der Höhe frei athmet; aber ich fühle mich nicht glücklicher, in meinem Heimatland, als an irgend einem andern Orte zu sein. Es ist, dünkt mich, weder besser noch schlimmer als Westgothland, wo ich beinahe mein ganzes Leben zugebracht habe.«

»Du würdest dich somit ebenso zufrieden geben, wenn du eine Westgothländerin wärest?« fiel der Mann ein.

»Ganz gewiß, theurer, geliebter Onkel. Ich war ja erst drei Jahre alt, als ich diese Gegend verließ, und die zwei Jahrzehnte, welche vergangen sind, ohne daß ich dieselbe wiedersah, haben meinem Vaterlande mich entfremdet. – Hier ist es indessen ganz herrlich,« setzte Majken hinzu und schaute sich ringsum.

»Das möchte ich ganz ergebenst glauben,« fiel der Oheim ein, während er eine Schnupftabaksdose herauszog und eine gewaltige Prise nahm; »du wirst überdieß, was den Bauernstand betrifft, in ganz Schweden seines Gleichen vergeblich suchen. Das kann ich in meiner Eigenschaft als Oberpolizeibeamter der Krone am besten beurtheilen.«

»Ist wirklich die Bauernschaft so ausgezeichnet?« fragte Majken lächelnd. »Nun, da werden die Herrenleute ganz unvergleichlich sein.«

»Ei was! Mir gefallen die Bauern besser, wenigstens finden sich hier einige sogenannte Herren, für welche ich nicht viel geben möchte.«

»Da sind sie wohl keine geborne Ostgothländer?« fiel Majken mit etwas boshaftem Tone ein.

»Ja, leider, sind sie's.«

Es trat eine Pause ein.

Wir benützen diese Gelegenheit, um unsern Lesern die beiden hier redenden Personen mit Namen zu bezeichnen. Sie waren Johann Ring und seines verstorbenen Bruders einzige Tochter.

Majken Ring war kürzlich nach Ostgothland gekommen, um ihrem Oheim, dem Hofgerichtskommissär, welcher Junggeselle war und beinahe seit dreißig Jahren als Polizeiinspektor der Krone die Ordnung im Bezirke von Oedesbro aufrecht erhalten hatte, einen Besuch zu machen.

Nachdem Ring und Majken lange Zeit schweigend die Landschaft betrachtet hatten, äußerte die letztere:

»Nenne mir die Namen der Besitzungen, die man hier sieht.«

»Du meinst diese dort?«

Ring deutete dabei zuerst nach Osten und dann nach Westen.

»Ja wohl.«

»Das hier« (und er zeigte dabei ostwärts) »ist, wie du sehen kannst, ein alter, adeliger Herrensitz und hat ehemals den Namen einer Burg geführt. Es gehörte dem jetzt ausgestorbenen **schen Geschlechte und ist in spätern Zeiten Haraldshof genannt worden. – Das Gut dort« (jetzt wies der Stab ostwärts) »ist Aengsberga, eine von den Schöpfungen der neuern Zeit.«

Majkens Augen folgten der letztern Andeutung nicht, sondern blieben nachdenklich auf Haraldshof gerichtet. Nach einer Weile nahm Ring wiederum das Wort:

»Die beiden Herrschaftshäuser da haben jedes seine eigene Geschichte.«

»Wirklich!« rief Majken, »das lautet interessant. – Aber Onkel, du hast mir noch nicht gesagt, wer der Besitzer der alten Burg ist.«

»Hast du es vergessen?«

»Liebster Onkel, während der nun verflossenen zwanzig Jahre hatte ich ja dich vergessen; wie kannst du dann begehren, daß ich mich des Besitzers von Haraldshof erinnern soll?«

»Ich vergesse immerdar, daß du so lang aus Ostgothland fortgewesen bist. Nun wohl, der alte Herrensitz gehört dem Oberst Moriz Björnstam. Er ist Wittwer und hat eine einzige Tochter. Aengsberga dagegen gehört einer Cousine von ihm, Frau Waldner, Wittwe von einem Grundbesitzer, welcher ein nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen haben soll, ist ihr Leben, so viel ich weiß, ganz still verflossen, ohne daß irgend große Kümmernisse oder heftige Leidenschaften den Frieden ihrer Seele gestört haben. Eine gute Gattin und Mutter, eine rechtschaffene Hausfrau, ist sie allezeit von ihren Nachbarn verehrt, von ihrer Umgebung geschätzt und von den Ihrigen geliebt worden. Der einzige Kummer, welcher sie getroffen hat, war der Verlust ihres Mannes; aber den trägt sie als eine gute Christin.«

»Das lautet ja nach deinen Worten, Onkel, als wäre sie eine leibhaftige Vollkommenheit,« fiel Majken ein und richtete den Blick nach Aengsberga. – »Nun, wie sieht sie aus?«

»Um deine Neugierde so viel als möglich zu befriedigen, will ich dir nur sagen, daß sie eine stattliche Frau von etlichen fünfzig Jahren ist, mit regelmäßigen Gesichtszügen und Spuren einer Schönheit, welche nicht zu dem alltäglichen Schlage gehörte.«

»Ach, Gott bewahre mich, die Frau kommt mir ja furchtbar vor! Sie ist eine von jenen schrecklichen Gestalten, welche keinen einzigen Fehler an sich haben, welche so außerordentlicher Art sind, daß eine andere arme Person, wie ich zum Beispiel bin, nicht einmal zu ihr aufzublicken wagt. Ich finde auch das gelbe ›Holzschloß‹ da recht langweilig.«

In diesem Augenblick vernahm man lauten Hufschlag von der Landstraße, welche am Hügel hinführte.

Majken und Ring blickten dorthin. Es war ein Reiter und eine Reiterin. Der erstere trug eine weiße Mütze und schien ein Jüngling von siebzehn bis achtzehn Jahren zu sein.

»Wer waren diese?« fragte Majken.

»Der junge Waldner und seine Cousine Mamsell Lindal.«

»Ah so, das Kind mit der weißen Mütze ist der Sohn von der Frau Vollkommenheit. Hat sie mehrere Söhne?«

»Nur zwei; dieser war der ältere.«

»Sie werden wohl ebenso vollkommene junge Männer, wie ihre Mutter eine ausgezeichnete Frau ist,« bemerkte Majken kopfschüttelnd. »Nein für die Herrschaften hier habe ich keine Sympathie. – Laß uns von Haraldshof reden. Dort die gebietende Frau sein, hieße schon etwas; aber ich möchte Frau sein ohne den Mann, das heißt Wittwe, ganz wie die Besitzerin von Aengsberga.«

Majken streckte die Arme in die Luft aus und rief: »O! die ihr reich, sehr reich seid und mit vollen Zügen aller der Freuden genießen könnt, welche das Leben zu bieten hat. Ich begehe gewiß irgend eine Thorheit aus bloßem Verlangen, dem Loose der Armuth zu entgehen.«

»Begehe immerhin die Thorheit, reich zu werden,« fiel Ring lachend ein; »es wäre das klügste, was du dir gestatten könntest. Du hast sonst keine sonderlichen Aussichten, eine Erbin zu werden; es liegt nicht in unserem Geschlechte, Vermögen zu sammeln.«

»Das weiß ich leider,« antwortete Majken, »aber warum mich daran erinnern? Erzähle mir statt dessen etwas über den Besitzer von Haraldshof. Ich denke mir ihn als einen großen alten Mann, mit grimmigen Gesichtszügen, buschigen Augenbrauen und gewaltigem Knebelbart.«

»Deine Vorstellung entspricht keineswegs der Wirklichkeit,« fiel Ring ein. »Der Charakter des Obersts ist von Granit wie die Mauern an seiner Burg; aber sein Aeußeres hat keine Aehnlichkeit damit. Er ist ein mittelmäßig großer, etwas schmächtiger Mann, mit großem Kopfe und feinen gesellschaftlichen Manieren. Lebhaft ist er wie ein Franzose, unbeugsam wie ein Finne und herzlos wie jeder Despot. Vor ungefähr elf Jahren brachte der Oberst eine junge Frau nach Haraldshof; das war seine Gattin. Sie stammte aus fremdem Lande und verstand kein Wort Schwedisch; sie verließ niemals ihre Wohnung. So verlebte sie vier Jahre. Eines Nachts vor sieben Jahren – es war ungefähr um diese Jahreszeit – war ich bei der Landgerichtssitzung gewesen und wollte nach Hause. Ich fuhr östlich von Haraldshof am Meeresstrande hin. Eben da ich zu dem alten Park gelangte, scheute das Pferd und machte einen Seitensprung. Eine Frau stürzte nach dem Strande hinab; sie trug ein Kind auf ihren Armen. In der nächsten Sekunde hörte ich einen Laut wie von aufrauschenden Wogen und einen gellenden Kinderschrei. Ich sprang aus dem Wagen und eilte nach der See hinunter. Die Frau hatte sich sammt dem kleinen Kinde in das Wasser geworfen; die Kleider hielten sie noch oben. Ich riß den Rock ab und war in der nächsten Minute an ihrer Seite. Ich suchte sie zu ergreifen, aber zu spät. Sie sank in demselben Augenblick unter und es war mir nur noch gelungen, einen kleinen Arm zu fassen. Es war der des Kindes. Ich machte noch einige weitere angestrengte Versuche, die Frau zu retten; sie waren fruchtlos. Als ich mich wieder auf dem Trockenen befand, da standen einige Diener von Haraldshof, die durch mein und des Kindes Geschrei herbeigezogen waren, unten an der Brücke. Es war des Obersts einzige Tochter, welche ich in meinen Armen hielt. Wer die Frau war, welche umgekommen, sagte man mir indessen nicht, aber ich ahnte schon damals, daß es die Mutter der Kleinen gewesen. Der Oberst wurde sogleich geweckt und von dem, was geschehen war, unterrichtet. Die Oberstin wurde vermißt. Es war somit des reichen Mannes Gattin, welche sich das Leben genommen hatte. Der Oberst schien höchlich bestürzt darüber: aber er besaß noch Geistesgegenwart genug, um zu erklären, daß seine Frau schon längere Zeit an Sinnesstörung gelitten habe. Den Leichnam der Ertrunkenen fand man niemals auf. Der Bezirksarzt bezeugte gleichfalls, daß die Oberstin seit der Zeit, da sie in Haraldshof angekommen, an unheilbarem Irrsinn gelitten habe. Wie es sich damit verhielt, lasse ich dahingestellt. Jahre sind vergangen und die kleine mutterlose Dagmar ist herangewachsen. Sie zählt jetzt elf Jahre, ist von Frau Thorén erzogen worden und hat noch keine andere Lehrerin gehabt. Der Oberst läßt das Mädchen wie ein wildes Gewächs aufschießen, ohne ihm seine Fehler abzuthun oder die guten Eigenschaften auszubilden. Alle ihre kindischen Launen werden befriedigt und sämmtlichen Hausgenossen ist anbefohlen, denselben Gehorsam zu leisten. Dagmar hat ihre eigene Wohnung und Bedienung, ist im Besitz eines Wagens und ißt an ihrem eigenen Tische. Vater und Tochter leben einzeln je in einem Flügel des alten Schlosses, und es können Tage vergehen, ehe der Oberst seine Tochter nur sieht. In Dagmars Flügel herrschen sie und Frau Thorén unbeschränkt; sie findet dort ebenso Gehorsam wie ihr Vater in dem seinigen. Sie hat keinen Umgang mit den Nachbarsleuten und kann fremdes Volk nicht vertragen; sie ist ein scheues unzugängliches Kind, welches nichts als sein einsames Leben, seine Hunde, Pferde und seine Wälder liebt. Die Freunde des Obersts haben ihn einmal an die Nothwendigkeit gemahnt, dem Mädchen für eine Lehrerin zu sorgen; aber da verbat er sich hiebei ganz höflich jede Einmischung. Die Folge ist, daß das Mädchen nichts lernt.«

Ring schwieg und Majken saß, das Kinn auf die Hand gestützt, da und schien sich das, was der Oheim ihr mitgetheilt hatte, in tiefem Nachdenken zu überlegen.

»Ist das alles, was du von dem Oberst zu erzählen hast,« äußerte sie endlich, »so sehe ich wahrhaftig darin keinen Grund zu dem unfreundlichen Urtheil über ihn. Der Mann hat eine geisteskranke Frau gehabt; nun, dafür kann er nichts. In einem Anfall von Irrsinn geht sie hin und ertränkt sich; deßhalb darf man ihn doch wohl nicht anklagen. Er ist schwach gegenüber von seiner Tochter; das sind viele Väter vor ihm gewesen, und dazu hat er ein Recht. In der That, Oheim, ich finde an dem Oberst nichts, was einem Despoten gleich sieht. Ich glaube daran ebenso wenig, als daß die Herrin von Aengsberga aus eitel menschlichen Tugenden zusammengesetzt ist. Nein, hast du nichts Schlimmeres von dem Oberst zu erzählen, so erscheint er mir nur etwas originell, und für eine Burg von grauem Felsgestein hat er eine entschiedene Vorliebe. Ich möchte nichts Höheres wünschen, als …«

Ein gellender Pfiff ließ sich ganz in der Nähe vernehmen, und Majken wandte sich schnell zur Seite, um zu sehen, wer im Anzuge wäre.

Ring murmelte:

»Der Oberst!«

»Wo?« rief Majken, aber dem Oheim blieb eine Antwort erspart; zwei Männer wurden in demselben Augenblick sichtbar. Sie kamen zu der Stelle herauf, wo Ring und seine Bruderstochter saßen.

Ein großer, prächtiger Neufundländer-Hund hüpfte bellend um den ältern von ihnen herum. Auf ihn richteten sich auch Majkens Augen. Er hatte ein Aeußeres, welches Aufmerksamkeit abnöthigte.

»Komm, Majken, laß uns gehen,« sagte Ring; »ich treffe nicht gern mit dem Mann zusammen.«

Majken rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

Der ältere Herr wurde jetzt auch ihrer und Rings ansichtig. Er zog seine Uniforms-Mütze ab und grüßte den Oberpolizei-Inspektor so artig, als ob derselbe eine Excellenz gewesen wäre. Als die beiden Herren ganz auf der Höhe angelangt waren, erhob sich Majken.

»Das ist ein glückliches Zusammentreffen,« sagte Oberst Björnstam, und reichte dem Inspektor die Hand, nachdem er zuerst gegen Majken sich verbeugt hatte. »Ich sprach eben mit meinem Schwestersohn von dem Herrn Kommissär; er findet nun Gelegenheit, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, wornach er eifrig begehrt hat.«

Der Oberst stellte den Lieutenant Broolind vor, und Ring sah sich seinerseits genöthigt, dem Oberst seine Bruderstochter vorzustellen.

Der Lieutenant wandte sich sogleich an Ring, um sich zu erkundigen, um welche Zeit er denselben am sichersten zu Hause treffen könnte. Es war etwas ganz Besonderes, worüber er, seiner Aeußerung nach, mit dem Herrn Kommissär zu sprechen wünschte.

Dem Anschein nach ganz gleichgültig gegen das, was der Lieutenant redete, wandte sich der Oberst an Majken. Er sprach von der Naturschönheit der Gegend, von Aengsberga, gegen welches er scherzhafter Weise eine Antipathie zu haben behauptete, und von Haraldshof, welches, wie er meinte, zu einem Ruhesitz für einen alten Soldaten ganz passend war, u. a. m.

Majken kam der Oberst als ein ausgezeichnet angenehmer Mann vor. Als sie und ihr Oheim sich von den beiden Herren trennten, dachte Majken:

»Ist der Oberst ein herzloser Despot, so erscheint er wenigstens seinem Benehmen nach sehr angenehm, und ich empfinde ganz und gar keine Abneigung gegen ihn, obwohl seine Frau sich ertränkt hat.«

Ring und Majken gingen schweigend ihres Wegs weiter. Auf der Stirne des erstern lagerte eine Wolke und seine Augenbrauen waren zusammengezogen. Nach einer Weile äußerte Majken:

»Es ist ganz entsetzlich, wie streng du aussiehst, liebster Onkel. Hat denn der junge Krieger etwas gesagt, was dich in üble Stimmung versetzte?«

»Ich möchte wünschen, wir wären nicht mit dem Oberst zusammengestoßen, sondern ich hätte in ungestörter Ruhe der Freude genießen können, dich hier zu haben,« antwortete Ring. »Der Oberst und sein Neffe haben mir Ereignisse in's Gedächtniß zurückgerufen, an welche man mit nichts weniger als behaglichen Empfindungen denken mag.«

»Lieber, lieber Onkel, erzähle mir diese Ereignisse,« rief Majken; »du ahnst nicht, wie Alles, was das alte Schloß betrifft, mich interessirt.«

»Wirklich!« – Ring schaute mit mißvergnügter Miene seine Nichte an. »Nun, wie gefällt dir denn der Oberst?«

»Sehr!«

»Majken!« rief Ring heftig, »was ist das für ein Geschwätz! Er kann unmöglich einen andern als unvortheilhaften Eindruck machen.«

»Irrthum, bester Onkel; er ist ein liebenswürdiger Mann, und ich habe die vollkommene Ueberzeugung, daß ich nicht die erste bin, welche ein solches Urtheil über ihn fällt.«

»Leider bist du es nicht. Es ist inzwischen ein Glück für die Frauen, daß der Oberst kein Bewunderer des schönen Geschlechts ist. Wäre er das, so würde er immerhin noch eine Frau Numero 2 finden, um sie zu Tode zu plagen.«

»Ei, Gott bewahre, wenn er mich haben wollte, so …«

Ring blieb stehen.

»Majken,« sprach er in strengem Ton, »ich fürchte, du hast dich in der Zeit, da wir von einander getrennt waren, zu etwas ganz Anderem entwickelt, als …«

»Da ich drei Jahre alt war,« fiel Majken lachend ein. »Das ist ganz sicher; aber du brauchst dich nicht zu beunruhigen. Ich kann dir heilig versichern, daß ich ein gutes und braves Mädchen bin. Ueberdieß bin ich stark an Körper und Seele, von hübschem Aussehen, mit dreiundzwanzig Jahren auf dem Nacken, und fest entschlossen – mein Glück zu machen.«

Majken lächelte ihrem Oheim so fröhlich zu, daß die Wolke auf seiner Stirne verschwand.

»Nun,« fuhr Majken mit schmeichelnder Stimme fort, »erzähle mir jetzt die merkwürdigen Ereignisse, welche dich in schlimme Laune versetzt haben. Ich brenne vor Ungeduld zu erfahren, worin dieselben bestanden.«

»Aber ich brenne nicht vor Verlangen, deine Neugierde zu befriedigen. Laß uns darum von etwas Anderem reden.«

Majken war mit dieser Entscheidung nicht zufrieden. Man schwieg und näherte sich der Heimat.

 

II.

Falknäs war der Name der Behausung des Oberpolizei-Inspektors. Sie lag am Rande eines großen Waldes, ganz nahe an der Landstraße, und war, als Wohngebäude betrachtet, sehr sauber.

Johann Ring hatte hier schon etliche dreißig Jahre mit seiner unverheirateten Schwester Therese gelebt, welche seinem Haushalte vorstand und unbeschränkte Herrscherin in Rings Heimwesen war. Allerdings geschah es bei einer oder der andern außerordentlichen Veranlassung, daß Therese und er abweichender Meinung waren, daß Johann Muth faßte und seinen Willen geltend machte; diese Fälle kamen jedoch höchst selten vor.

Majken war das einzige Kind von deren Bruder. Ihr Vater war viele Jahre Verwalter auf einem Gute in Westgothland gewesen. Das Mädchen hatte eine sorgfältige Erziehung erhalten und war in einem Alter von achtzehn Jahren Gouvernante bei ihres Vaters Principal geworden. Die Mutter starb, als Majken siebzehn Jahre alt war, und der Vater vier Jahre später. Bei diesem Ereigniß erbot sich Ring, seine Nichte zu sich zu nehmen. Es stand jedoch ein Jahr an, ehe Majken von dieser Einladung Gebrauch machte, weil sie den Eltern ihrer Schülerin versprochen hatte, bei ihnen zu bleiben, bis das Mädchen konfirmirt worden und zum ersten Abendmahl gegangen wäre.

Die Natur hatte Majken eine heitere, wenn auch etwas überspannte Gemüthsart gegeben. Auf dem Lande, in einer Gegend aufgewachsen, wo es nicht viele Nachbarn gab, hatte Majken keine Gelegenheit gehabt, des Lebens Stürme oder Verlockungen kennen zu lernen. Ihr Tage waren in einer friedlichen Einförmigkeit verflossen, welche sie in völliger Unkunde über ihr eigenes Innere ließ. Sie hatte viel gelernt, noch mehr geträumt und mit unruhiger Sehnsucht sich ein Dasein, ganz anders als das gegenwärtige herbeigewünscht. Stolz und eitel, liebte sie die Unabhängigkeit und wünschte sich Reichthum als das einzige Mittel zum Glück.

»Ich bin von der Natur nicht verurtheilt, eine arme Inspektorstochter zu bleiben,« pflegte sie bei sich selbst zu sagen, »und es ist darum höchst nothwendig, es darauf anzulegen, daß ich eine andere Rolle zu spielen bekomme.«

Daß ihr dieses bei ihrem Oheim nicht gelingen würde, erkannte Majken sehr wohl, schon ehe sie zu ihm kam, und deßhalb war sie auch nicht sehr geneigt, für alle Zeit in Falknäs zu bleiben.

Sie wußte überdieß aus der Beschreibung, welche der Vater ihr zu seinen Lebzeiten von Schwester Therese gegeben hatte, daß die Tante ihr den Aufenthalt in deren Nähe minder behaglich machen würde, und ihre Absicht ging deßwegen dahin, nur auf eine unbestimmte Zeit daselbst zu bleiben.

Als Ring schrieb und Majken sein Haus anbot, hatte Therese erklärt, Majken brauche nicht hieher zu kommen und zur Last dazuliegen, sondern sie könnte wie bisher Gouvernante bleiben. Aber da wurde Bruder Johann zornig, schlug mit der Faust auf den Tisch und meinte, wenn Therese Einsprache dagegen erhöbe, daß er sich des einzigen Kindes von seinem Bruder annähme, so wäre es am besten, wenn sie sich schieden und dieselbe eine andere Heimat für ihre Person aufsuchte.

Therese fand für gut, Majkens Besuche sich nicht länger zu widersetzen; aber das »Willkommen«, womit sie Majken empfing, war kurz und gezwungen.

 

III.

Die Vögel stimmten ihren Morgengesang rings um Falknäs herum an, und Majken stand auf der Vortreppe und hörte dem Chore der befiederten Sänger zu. Die Brust hob sich schnell; sie war von einer innern unruhigen, aber unbestimmten Sehnsucht erfüllt.

»O, wer Flügel hätte wie die Vögel,« flüsterte Majken und streckte die Hände nach einer Schaar derselben aus, welche eben weit, weit fortzog.

Plötzlich drehte sie sich nach dem Gitterthor am Hofe um. Ein Mann zu Pferd hielt vor demselben an.

Majken erkannte sogleich des Obersts Neffen, den Lieutenant Arvid Broolind.

Er sprang vom Pferde, band dasselbe an den Thürpfosten an, trat in den Hof und näherte sich von da der Freitreppe.

»Ist der Herr Kommissär zu Hause?« fragte der Lieutenant, den Hut abnehmend.

Majken antwortete, derselbe befinde sich in seinem Zimmer, und deutete zugleich nach einer Thüre rechts von der Freitreppe, worauf sie in den Garten hinunterging.

Eine ältere Frau kam gleichzeitig aus dem Hause. Sie schickte Majken einen gereizten Blick nach und murmelte:

»Die hoffärtige Dirne gedenkt somit immerfort die Prinzessin zu spielen. In diesem Falle werde ich mir wohl erlauben, schwedisch mit ihr zu reden. Taugenichtse dulde ich nicht, das will ich der Mamsell zu verstehen geben.«

Therese eilte Majken nach, um ihr, so lang Johann Besuch hatte, eine Privatunterweisung in Zucht und Sitte zu geben. Sie durchstöberte jedoch den ganzen Garten, ohne die Gesuchte zu finden. Majken hatte nur ihren Weg durch denselben genommen, um auf die Landstraße zu gelangen.

Während Therese in der Küche ihrem Aerger darüber, daß sie ihre Bruderstochter nicht gefunden hatte, Luft machte, spazierte Majken durch den Wald auf demselben Wege dahin, welchen sie am vorhergehenden Abend mit dem Oheim zurückgelegt hatte; aber anstatt nach dem Hügel hinaufzusteigen, folgte sie der Landstraße nach Haraldshof.

Die Entfernung von der Stelle, wo sie mit Ring die Gegend sich betrachtet hatte, bis nach Haraldshof war um Vieles größer, als man nach dem Augenmaß glauben mochte. Majken hatte gehofft bis zur Frühstückszeit nach dem alten Herrensitz gehen zu können und wieder daheim zu sein; aber sie sah bald ein, daß sich dieses nicht ausführen ließ, und dachte:

»Ich muß mich wohl ohne Frühstück behelfen, da ich nothwendig das alte Schloß und dessen Umgebung in der Nähe sehen muß. Es ist noch frühe am Morgen. Um diese Stunde werde ich wohl nicht zu riskiren haben, daß ich auf den Besitzer stoße. Er liegt wohl noch ganz gut auf den Ohren, wie es sich für einen reichen Mann geziemt.«

Majken war ein Landmädchen, gewöhnt an lange Wanderungen und Kraftanstrengungen, so daß sie sich nicht abschrecken ließ, wenn ein Spaziergang um eine oder die andere Viertelsmeile länger war, als sie sich vorgestellt hatte. Nachdem sie eine Stunde zurückgelegt hatte, stand sie vor einer Gitterthüre, welche in den ausgedehnten Park führte. Die Thüre war geschlossen und die Eisenstangen benahmen Majken jede Möglichkeit, unter den dichten, düstern Bäumen eine Weile umherzuschlendern. Sie warf neugierige Blicke durch das Gitterthor und überließ es ihrer Phantasie, sich Menschen und Ereignisse zu schaffen, welche mit dem Alter der Eichen in Uebereinstimmung waren.

Während sie also da stand, sah sie eine Person zwischen den Bäumen heraneilen. Es war vermutlich Jemand von der Dienerschaft, welcher die Gitterthüre öffnen wollte. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis der Nahende sichtbar wurde. Es war ein Kind, ein Mädchen, welches auf dem breiten Wege dahergesprungen kam. Sie war unbedeckten Hauptes, so daß das reiche blonde Haar im Winde flatterte.

»Die Tochter,« sprach Majken bei sich.

Des Mädchens ganze Aufmerksamkeit war auf einen großen Hühnerhund gerichtet, welcher neben ihr hersprang. Plötzlich hielt der Hund an; dann stürzte er mit heftigem Gebell auf den Eingang des Parks zu. Das Mädchen blieb stehen, betrachtete Majken einige Sekunden mit scheuem Blick und rief dann dem Hunde zu:

»Hieher, Hektor! Wer wird so bellen!« sagte sie verweisend zu ihrem Liebling und erhob drohend den Finger. Hektor kroch demüthig zu ihren Füßen. Sie wandte sich nun mit einer gewissen Unentschlossenheit zu Majken und fragte, ohne dieselbe anzusehen:

»Wünschen Sie hereinzukommen?«

»Das war nicht so ganz meine Absicht,« antwortete Majken. »Die Neugierde hat mich hieher geführt, und so blieb ich vor der verschlossenen Pforte stehen.«

»Die Pforte läßt sich öffnen,« meinte das Mädchen, näherte sich mit zögerndem Schritt und schloß auf, während sie gegen den Hund äußerte:

»Aufgepaßt, Herr Hektor, du hast dich schlecht betragen, du mußt die Fremde um Entschuldigung bitten; komm her und verbeuge dich.«

Hektor ging mit hängenden Ohren und eingezogenem Schweife auf Majken zu und machte eine Hundeverbeugung mit so betrübtem Aussehen, daß das Mädchen zu lachen anfing. Dann lockte sie ihn zu sich, nahm ihn in die Arme und gab ihm eine Menge Schmeichelnamen. Diese Zärtlichkeitsbezeugungen schienen sie völlig von dem scheuen Wesen befreit zu haben, welches ihre Bewegungen vorher ausgezeichnet hatte.

»Wollen Sie den Park betrachten?« fragte sie Majken, allerdings mit erröthenden Wangen, aber ohne eine weitere Spur von unfreundlichem Aussehen. – »In diesem Fall,« setzte sie hinzu, »kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen dessen Merkwürdigkeiten zeigen. Aber wer sind Sie eigentlich?«

»Ich bin die Bruderstochter von dem Kommissär Ring.«

Das Mädchen machte eine häßliche Grimasse bei diesem Namen.

»Das ist Schade,« sagte sie. »Ich kann den Alten nicht leiden; er nimmt die Diebe fest und thut den Armen Leids an. Im Uebrigen mag ich keine anderen Menschen als diejenigen, welche im Haraldshof wohnen, und diese darum, weil sie meines Vaters Brod essen und eines Tags meine Unterthanen werden.«

»Sie sind somit Fräulein Björnstam?« fiel Majken ein.

»Nein, nicht Fräulein; ich bin Dagmar Björnstam,« sagte das Mädchen in rauhem Ton, setzte aber dann, einen lächelnden, schüchternen Blick auf Majken werfend, hinzu: »Sie sind schön, Sie, und ich glaube, ich kann Sie lieb gewinnen. Wollen Sie die Zimmer, die Gärten, den neuen Pavillon, die Ruinen der Kapelle und die alte Grotte sehen, so will ich Ihnen alles zusammen zeigen.«

»Sie sind allzu gütig, aber …«

»Was?« fiel Dagmar ein, »fürchten Sie sich auch vielleicht vor meinem Vater? Thun sie das nicht, er ist so gut und im Uebrigen jetzt nicht daheim.«

»In diesem Fall nehme ich Ihr Erbieten an,« erwiderte Majken.

»Daran thun Sie Recht, denn sonst wäre ich böse geworden. Ich kann sonst Fremde nicht vertragen, aber Sie gefallen mir. Ihr Anblick reizt mich nicht, wie es geschieht, wenn die Nachbarn zu meinem Vater kommen. Eben wollte ich auf den Weg nach Aengsberga hinaus, um David Waldner und seine Cousine im Vorbeireiten zu beobachten. Ich kann gerade nicht mit ihnen, aber ich will ihn zu Pferde sehen. Sie kennen wohl Waldners?«

Majken gab eine verneinende Antwort, und Dagmar nahm davon Veranlassung zu erzählen, daß ihr Vater und Frau Waldner, obwohl Cousin oder Cousine zu einander, keine recht guten Freunde wären. Dagmar selbst war den hochmüthigen Söhnen nicht sehr hold, da ihrer Meinung nach dieselben nichts besaßen, was ihnen zum Stolze Veranlassung geben konnte, da deren Mutter nur ein Haus von Holz hatte, während dagegen ihr Vater Besitzer eines von Stein aufgeführten Schlosses war.

Es lag in Dagmars Worten eine Mischung von Uebermuth und Offenheit, welche um so mehr auffiel, da sie zu Anfang so schüchtern geschienen hatte.

Dagmar führte Majken auf allen merkwürdigen Punkten herum und hatte von jedem einzelnen etwas Wunderbares zu erzählen.

Endlich kamen sie auf einen freien Raum vor dem alten Schlosse. Es war ein großer, schöner Rasenplatz, in dessen Mitte ein marmorner Neptun auf einem Piedestal von Granit aufgestellt war.

Hier blieb Dagmar stehen.

»Wie gefällt Ihnen diese Statue?« fragte sie, auf den Neptun bedeutend.

»Er ist ausgezeichnet schön,« antwortete Majken und betrachtete ihn mit künstlerischem Interesse.

»Ich glaube, daß er sehr häßlich ist!« rief das Mädchen, warf den Kopf zurück, erhob ihre kleine geballte Faust gegen das Bild und setzte hinzu: »wenn ich Besitzerin von Haraldshof bin, sollst du fort. Ja, ich werde dich in Stücke schlagen lassen und die Trümmer in die Tiefe werfen. Der häßliche Gott verdeckt die Oeffnung zu einem Brunnen, welcher beinahe unergründlich ist.«

Dagmar schaute sich ringsum und fügte dann mit leiser Stimme noch hinzu:

»Papa hat es dem Brunnen niemals vergeben können, daß er seinen Bruder verschlang, und darum ließ er ihn ausfüllen. Des Abends, wenn ich hieher gehe, höre ich den Onkel da unten seufzen und zuweilen sehe ich denselben hervortreten und hier rings herum gehen.«

»Das ist aber bloße Einbildung,« fiel Majken ein.

»Einbildung!« rief die Kleine erstaunt. »Nein, das ist Tageswahrheit. Tante Thorén hat ihn auch gesehen. Wissen Sie, wie es ging? Ja, mein Vater hatte einen sehr guten Bruder, welcher Wilhelm hieß, und welchen er innig liebte. Onkel Wilhelm war damals Herr zu Haraldshof. Eines Abends waren Fremde da; als sie Abschied nehmen wollten, vermißte man den Onkel. Man suchte ihn und fand seinen Strohhut an der Seite des Brunnes. Mein Vater ließ sogleich den Brunnen untersuchen und da entdeckte man meines Oheims Leichnam. Mein Vater erbte Haraldshof, aber ohne daß dieses ihn zu trösten vermochte. Er betrübte sich so sehr, daß er eine Reise ins Ausland antreten mußte. Jetzt begreifen Sie wohl, daß meines Oheims Geist da unten seufzen muß. Der blieb zurück, als man den Körper heraufzog.«

Majken beabsichtigte, einige Einwendungen gegen diese Behauptung zu machen, wurde aber durch einen gellenden Pfiff, welcher dem am vorigen Tag gehörten völlig glich, daran gehindert.

»Der Oberst!« flüsterte sie unwillkürlich und drehte sich um. Derselbe große Hund, mit welchem sie am gestrigen Abend Bekanntschaft gemacht hatte, kam herangesprungen, um sich munter mit Dagmars Hektor herumzutummeln.

»Papa!« rief Dagmar und eilte dem Oberst entgegen, welcher durch eine Glasthüre herauskam. Majken wurde mit der Bildsäule Neptuns allein gelassen, sehr verdrießlich darüber, sich hier an Ort und Stelle zu finden. Sie schaute sich nach Dagmar um, welche ganz ungenirt ihren Arm in den des Vaters legte und sehr lebhaft mit ihm redete. Der Oberst lachte. Vater und Tochter näherten sich Majken.

Der Oberst begrüßte artig das junge Mädchen, sagte ihr einige verbindliche Worte und versicherte, er würde ungemein bedauern, wenn seine Ankunft sie davon abhielte, ihre Absicht zu erfüllen und »das alte Rattennest« inwendig zu besehen.

Oberst Björnstam besaß die glückliche Gabe, durch seine angenehmen Manieren allen Zwang zu verjagen und Vertrauen einzuflößen. Artig und zuvorkommend, wußte er seine Artigkeit dennoch von jedem Anstrich der Galanterie frei zu erhalten.

Als er Majken bat, sich von der Besichtigung des Innern von Haraldshof nicht abschrecken zu lassen, geschah dies auf eine solche Art, daß diese sogleich einsah, eine Weigerung würde unhöflich sein. Sie folgte somit Dagmar und dem Oberst. Sie kamen in einen Saal mit Wandgetäfel von Eichenholz, hohen, alterthümlichen, mit dunkelgrünem Plüsch überzogenen Stühlen. Hier verbeugte sich der Oberst vor Majken und entfernte sich durch eine Thüre zur Linken.

Dagmar erklärte, »der große Saal« sei eine langweilige Lokalität, und beeilte sich Majken hinwegzuführen. Sie wanderten zuerst durch das ganze Erdgeschoß, hernach durch die obern Stockwerke, und nahmen endlich ihren Weg nach dem linken Flügel, wo Dagmar ihre Wohnung hatte.

In Dagmars kleiner Behausung vergaß man die alten Mauern, so modern und den Anforderungen der Neuzeit entsprechend erschien die Einrichtung. Es war ein entzückendes Heimwesen für eine junge Frau.

Majken seufzte und dachte an ihre eigene kleine anspruchslose Kammer zu Falknäs. Der Wunsch schlich sich bei ihr ein, allen diesen Reichthum den ihrigen nennen zu dürfen. Die gegenwärtige Besitzerin davon, das elfjährige Kind bot ihr einige Erfrischungen an und unterrichtete sie davon, daß der Vater Befehl gegeben habe, sie in einer von seinen Equipagen nach Falknäs zu führen.

Dagmar gedachte sie zu begleiten.

 

IV.

Der Vormittag verging, ohne daß Majken nach Hause kam. Therese reizte sich dermaßen auf, daß, wenn sie Bruder Johann zur Hand gehabt hätte, sie ihm klar und deutlich bewiesen haben würde, was für einen Plagegeist er sich auf den Hals geladen. Majken war ja ein Mädchen, das sich, anstatt zu arbeiten, auf den Landstraßen herumtrieb. Hatte Therese sich jemals so aufgeführt? War sie nicht ihr Leben lang ein arbeitsames und ordentliches Menschenkind gewesen? Und nun sollte eine solche Faulenzerin wie Majken daher kommen, und ihnen beiden Beschwerden und Kosten verursachen.

Es schlug ein Uhr. Der Tisch war gedeckt. Therese ging hin und her und schlug mit Nachdruck die Thüren zu. Sie hatte dreimal Botschaft an Johann geschickt, das Essen stehe auf dem Tische, und doch kam er nicht, sondern hatte zur Antwort gegeben, er sei verhindert. Majken ließ sich gleichfalls nicht sehen. Therese wurde halb wahnsinnig über all dieses Mißgeschick, welches zur Folge hatte, daß das leckere mit Dill zubereitete Fleischgericht austrocknete, ein wahres Unglück in ihren Augen.

Die Uhr im Saale schlug halb zwei. Jetzt konnte Therese es nicht mehr länger aushalten. Sie begab sich rasch nach der Thüre des Polizei-Inspektors, um ihm und dem Fremden deren unanständiges Benehmen vorzurücken, indem man sie eine halbe Stunde über die bestimmte Zeit das Essen warm halten ließe. Sie fand jedoch keine Gelegenheit, diesen schönen Vorsatz auszuführen. Rings Thüre ging auf und Lieutenant Broolind trat heraus. In demselben Augenblick fuhr ein leichter, eleganter Jagdwagen auf dem Hofe vor. Darin saß Majken, blühend und schön, mit Dagmar an ihrer Seite, und dem Oberst auf dem Bock.

Therese bekam eine auffallende Aehnlichkeit mit Lots Frau, als diese nach dem brennenden Sodom zurücksah. Ring wurde nicht minder verblüfft, als er das Wesen, welches er am höchsten liebte, mit dem Mann, welchen er am meisten verabscheute, daher fahren sah.

Wie ein Jüngling sprang der Oberst vom Bock, half Majken aussteigen, verbeugte sich vor ihr und nahm seinen Platz wieder ein. Der Lieutenant eilte zu seinem Pferde, und Ring rief, als Majken in die Hausflur trat:

»Mädchen, was soll das bedeuten?«

»Daß Mamsell bei den Nachbarn herumrennt, anstatt zu Hause zu bleiben und zu arbeiten,« schrie Therese, welche ihren Zorn nicht länger zurückzuhalten vermochte. »So geht es, mein lieber Johann, wenn man junge Mädchen ins Haus nimmt. Das habe ich dir gesagt, als du so plötzlich sie hier haben wolltest. Dergleichen Damen müssen selbst ihr Brod verdienen, anstatt zu Verwandten zu gehen und da nichts zu thun, als zu essen und …«

»Therese!« rief Johann mit einer Stimme, als ob die Schwester auf frischer That, bei Begehung irgend eines Verbrechens ertappt worden wäre; »was ist das für ein Geschwätz von dir? Halte deine boshafte Zunge, sonst …«

»Werde ich vielleicht um des schnippigen Dings willen vor die Thüre gesetzt,« fiel Therese ein. »Das fehlte mir noch, daß du mich, nachdem ich fünfundzwanzig Jahre lang mich für dich abgeschunden habe, nun hinwegweisest, und zwar wegen eines Geschöpfes, welches dir niemals irgend einen Nutzen gebracht hat, sondern nur hieher gekommen ist, um das aufzuzehren, was du mit Schweiß und Mühe verdienst.«

Therese schwieg plötzlich; Ring war einen Schritt auf sie zugetreten. In seinem Blick lag etwas, das den Strom ihrer Beredtsamkeit hemmte.

Majken war bleich und stand mit erhobenem Kopfe und einem herausfordernden Blick auf die Tante da. Es war zum ersten Mal, daß Jemand sie an ihre Armuth und Abhängigkeit von Anderer Güte gemahnt hatte. Der Stich traf um so tiefer und schmerzlicher, als er neu war.

Ahnte Ring den Eindruck, welchen der Schwester Benehmen auf Majken machte, oder wurde sein Zorn nur dadurch erregt, daß der Angriff gegen seinen Liebling gerichtet war? Wir vermögen nicht zu entscheiden, wie es sich verhielt, sondern können nur so viel angeben, daß er in strengem Tone äußerte:

»Wäre mir nicht deine hitzige Gemüthsart bekannt, Therese, so würden deine Worte einen unwiderruflichen Bruch zwischen dir und mir in sich schließen. Nun weiß ich, daß du nicht immer denkst, wie du redest, und darum will ich vergessen, was du gesagt hast. Wie sollte es dir sonst wohl möglich sein, das was ich für meine Bruderstochter thue, anders denn als eine Pflicht zu betrachten? Ihr Beide, sie und du seid vollkommen berechtigt, daß ich für euch sorge. – Du, Majken,« setzte er hinzu, »brauchst die Rosen von deinen Wangen nicht entfliehen zu lassen, darum daß Tante Therese sich von ihrem unsinnigen Zorn beherrschen ließ. Sieh, denke nicht weiter daran, sondern komm und sage mir, wie es zuging, daß der Oberst dein Kutscher wurde.«

Ring reichte Majken die Hand. Sie gab ihm die ihrige mit einem traurigen Lächeln. Eine Thräne schimmerte in ihren Augen, während sie stammelte:

»Du bist und bleibst doch mein geliebter Oheim, gut und freundlich, jetzt wie immerdar.«

Therese war in die Küche hinausgefahren. Ring und Majken gingen in den Saal. Nach einigen Augenblicken hatte das junge Mädchen ihre Bewegung überwältigt und erzählte nun, als ob gar nichts Unangenehmes vorgefallen wäre, wie es gekommen, daß der Oberst sie heimkutschirt hatte.

Am Nachmittag hatte Ring eine Dienstangelegenheit auswärts zu besorgen. Er fragte Majken, ob sie mitfahren wolle; aber das junge Mädchen zog es vor, daheim zu bleiben. Sie reichte dem Oheim ihre Lippen zum Kusse und eilte sodann auf ihr Zimmer.

Man konnte von Majkens Fenster auf das unten im Thale gelegene Dorf hinabsehen, und über die Gipfel der Waldbäume schimmerten die Thurmspitzen von Haraldshof herüber. Majken wandte mit einer ihr sonst fremden Niedergeschlagenheit ihre Blicke dorthin. Zum ersten Mal fühlte sie die ganze Bitterkeit der Ueberzeugung, daß sie nichts als ihres Oheims Güte zu eigen besaß. Sie war arm; diese drei Worte begriffen für sie Alles in sich, was das Leben Demüthigendes hat. Peinliche Gedanken zogen durch Majkens Seele. Endlich schien sie einen Entschluß gefaßt zu haben und ging hinab, um die Tante aufzusuchen.

Sie traf Therese im Garten, wie dieselbe über ein Gemüsebeet niedergebückt stand und beschäftigt war, mit eigenen Händen Spinat abzuschneiden. Die Alte war glühend roth.

»Hast du viel zu thun, Tante?« fragte Majken.

»Das ist so und wird wohl niemals anders werden,« lautete die nicht sehr freundliche Antwort. »Mein Loos ist immerdar gewesen, mich zu schinden und abzuarbeiten. Aber wer erkennt das von mir an? Niemand

»Kann ich dir helfen?« fragte Majken in sanftem Tone.

»Ah, Gott bewahre! Wie könntest du deine feinen Finger mit solcher Arbeit beschmutzen. Nein, das ist gut genug für eine alte Frau, wie ich bin, welche niemals in der Lage gewesen ist, ihre Hände zu schonen, sondern immer, was eben kam, thun mußte.«

»Wozu diese Stichelreden, liebe Tante,« unterbrach sie Majken; »laß mich dir helfen, und schenke mir hernach eine halbe Stunde deine Aufmerksamkeit. Ich hoffe, daß du sodann besser gegen deine Bruderstochter gestimmt wirst.«

Es lag etwas in Majkens Stimme, das Therese bewog, zu ihr aufzusehen. Einen Augenblick betrachteten sie einander; darauf machte Therese einige lange Schritte über das Beet und stand dann an Majkens Seite, indem sie einen Korb mit dem abgeschnittenen Spinat in der Hand hielt.

»Nimm das hier und gehe damit in die Laube,« sprach Therese und reichte der Nichte den Korb.

Majken that wie die Alte befahl, und Therese kam hinter ihr her, nachdem sie zuvor ihre große, steifgestärkte Schürze gereinigt und ausgeschüttelt hatte.

Auf dem Tische in der Laube standen eine irdene Schüssel und ein kleiner Behälter von Birkenrinde. Sie waren von Therese zur Reinigung des Spinats dorthin gebracht worden. Jetzt nahm sie auf einer Bank dafür Platz.

»Wenn du etwas mit mir zu reden hast,« ließ sich Therese nunmehr vernehmen, »so kannst du es jetzt thun, während ich den Spinat putze. Ich habe keine Zeit zum Müssiggehen und zum Schwatzen, muß ich dir bemerken.«

Majken lächelte. Dieß zeigte, daß sie sich von den Worten der Tante nicht verletzen ließ. Sie schickte sich an, ihr bei dem Putzen zu helfen, während sie folgendermaßen begann:

»Sage mir aufrichtig, Tante, bist du dagegen gewesen, daß ich hieher käme?«

Thereses Nase wurde spitziger als eine Pfrieme, und ihre Augen glichen einem Paar blanker Kugelknöpfe, als sie in überlegsamem Tone antwortete:

»Ich habe meine Grundsätze, und einer davon ist, daß die Jugend arbeiten muß; so habe ich es gethan und muß es noch heute thun, und darum hielt ich es für ein Unrecht von Bruder Johann, daß er dich nicht selbst dein Brod verdienen läßt.«

»Du willst mich also nicht zu Falknäs haben, Tante? Glaubst du, ich könne hier Kleidung und Nahrung nicht abverdienen?«

»Ich möchte wissen, was du thun könntest!« rief Therese, indem sie mit großer Heftigkeit die Spinatstiele in den leeren Korb warf. »Johann bedarf keiner Person, welche Klavier spielt und singt und an dergleichen Lumpereien hängt, womit du dich beschäftigst.«

»Ich kann auch etwas Anderes thun,« fiel Majken ein; »ich kann weben, spinnen, nähen und backen.«

»Da würdest du dann meine Geschäfte übernehmen,« rief Therese. »Ja, das habe ich eben geahnt. Du beabsichtigst, dich hier einzuquartieren, um eines Tags Johann allein zu beerben. Du bist hergegangen, und hast Bruder Johann die Einbildung beigebracht, daß seine einzige Freude darin bestehe, dich bei sich zu haben, und somit benimmt er sich undankbar gegen seine alte Schwester. Mein Lohn wird wohl sein, daß ich eines Tages außer Brod und Obdach komme.«

»Du thust Unrecht daran, Tante, wenn du glaubst, ich denke daran, den Oheim zu beerben,« rief Majken. »Dafür habe ich ihn wahrhaftig allzu lieb. Ich werde mir niemals die Niederträchtigkeit beigehen lassen, um zu berechnen, welche zeitlichen Vortheile ich aus der liebevollen Zuneigung ziehen könnte, welche er gegen mich an den Tag legt. Diese thut mir im Herzen wohl; diese ist mein einziger Reichthum, und diesen einzigen will ich nicht verlieren. Wenn er stirbt, so kannst du, Tante, meinetwegen wohl seine Hinterlassenschaft einthun. Ich will nichts davon haben, da es mich niemals über den Verlust meines einzigen Freundes trösten könnte. Laß darum alle Gedanken fahren, daß ich die Absicht habe, deinen Interessen, Tante, zu schaden, und sage mir statt dessen, auf welche Weise ich mich, während ich hier verweile, nützlich machen kann; denn ich bleib nicht lange, das kann ich dir heilig versichern.«

Thereses Nase schien etwas weniger spitzig zu werden, und die knochigen Hände sanken unthätig auf die Knie herab. Sie schaute Majken an, als ob sie vor Erstaunen über das, was sie gehört hatte, völlig aus dem Concept gekommen wäre.

»Mamsell, Mamsell!« rief eine Stimme vom Garten her, und Kajsa kam in die Laube hereingestürzt.

»Nun, was gibt es?« fragte Therese.

»Die gnädige Frau von Aengsberga und die Mamsell sind hier und wollen die Herrschaft besuchen.«

»Brauchst du dir deßwegen den Hals abzuschreien?« brummte Therese. »Das sind doch wahrhaftig keine Personen von königlichem Geblüte. Führe sie für jetzt in das Gastzimmer und bitte sie, einen Augenblick zu warten, bis ich mich ein wenig sauber gemacht habe.«

Therese fuhr nach Kajsa ab, ohne Majken einzuladen, mit zu den Fremden heraufzukommen. Das junge Mädchen hatte keine sonderliche Lust, mit ihnen zusammenzutreffen, sondern blieb sitzen und putzte den Spinat, indem sie es der Tante überließ, sich, so viel es ihr beliebte, ihren Gästen zu widmen.

Therese war nicht sehr gastfrei und sah es gerne, wenn sie nur der Notwendigkeit, Ankömmlinge zu bewirthen, sich entziehen konnte, weßhalb sie jeden Besuch in Abwesenheit ihres Bruders so einsilbig als möglich empfing.

Nach Verfluß einer Stunde fuhr auch Frau Waldner wiederum ab, und als Ring am Abend nach Hause kam, meldete Therese, daß an sie alle eine Einladung auf Samstag nach Aengsberga ergangen sei. Dort sollte eine Tanzbelustigung stattfinden.

Majken hatte nach der Unterredung mit der Tante ihre gute Laune wieder bekommen und versicherte lachend, daß ihr nicht im Mindesten daran gelegen wäre, die gnädige Frau zu Aengsberga kennen zu lernen.

Therese war in eine mildere Gemüthsstimmung versetzt worden und traktirte den Bruder und die Nichte mit Spinat und brachte Schinken sammt Pfannkuchen dazu. Das letztere war immer ein Beweis von besonderer Freundlichkeit. Ring dachte auch:

»Es sieht aus, als ob Majken der Alten, da sie zum Spendiren so geneigt ist, Vernunft beigebracht hätte.«

 

V.

Am andern Tag fuhren Ring und Majken nach Aengsberga, aber trafen Niemand zu Hause. Am Tage der Einladung hatte Majken schweres Zahnweh, und konnte deßhalb nicht mitgehen.

Das Verhältniß zwischen Majken und Therese gestaltete sich nach der Erklärung etwas besser. Die Tante war gegen sie nicht schnautziger, als gegen alle andern; auch sah sie weiterhin ein, daß Majken nicht die Absicht hatte, sie zu verdrängen. Es hagelte allerdings noch scharfe, spitzige Anspielungen darauf, daß Niemand anders als Therese arbeite; aber das war Brauch bei der Alten, sich dermaßen auszulassen. Freundlich erschien Therese niemals gegen Jemand und der höchste Grad von Güte, wozu sie sich versteigen konnte, war, daß sie nicht vom Morgen bis zum Abend schalt und zankte, was sonst ihre liebste Beschäftigung zu sein schien. Karg bis zum Aeußersten, redete sie beständig davon, wie viel die Haushaltung kostete, seitdem es noch eine Person weiter zu ernähren gab, und damit vermochte im Grunde das stolze Mädchen sich niemals zu versöhnen. Dieses tägliche Mißbehagen hatte zur Folge, daß Majken in aller Stille ihre Maßregeln zu treffen anfing, um sich bis zum Herbst eine passende Stelle zu verschaffen.

Rings Dienst brachte es mit sich, daß er oft auswärts war, und da saß denn Majken am Webstuhle oder am Spinnrocken. War er daheim, so leistete sie ihm Gesellschaft, weil er es so wünschte. Sie spielte und sang ihm vor, gab sich zu einem Spaziergang oder zu einem Gespräch mit dem lieben Oheim her; aber dieser bemerkte allmälig dabei, daß mit Majken in den letzten Wochen eine sichtbare Veränderung vorgegangen war. Weit entfernt, die wahre Ursache davon zu errathen, begann Ring darüber nachzugrübeln, ob Majken nicht eine geheime Neigung, irgend einen Herzenskummer hätte. Er beschloß auch wirklich, sich Kunde zu verschaffen, wie es sich damit verhielte.

Eines Tags, da sie im Garten beisammen saßen, sagte Ring:

»Nun, Majken, du hast mir noch nicht gesagt, ob du nicht dort in Westergyllen einen Herzensfreund zurückgelassen hast. Wie steht es? Hast du vielleicht dein Herz an irgend einen Seehund dort verschenkt, da du doch aus dieser herrlichen Provinz hier gebürtig bist?«

»Wenn ich mein Herz verschenkt habe, so ist es bestimmt an einen Seehund gewesen, welcher damit auf und davon gegangen ist,« antwortete Majken lachend.

»Mit andern Worten will das heißen: Du bist nicht verliebt.«

»Nein, nicht einmal in die Reize von Ostgothland.«

»Mädchen, Mädchen, du darfst nicht so höhnen; verliebst du dich einmal, so darf es nur in einen Ostgothländer geschehen.«

»Onkel, ich verliebe mich niemals. Ich bin eitel und meine Gefühle ermangeln aller Tiefe. Sollte Jemand förmlich einmal gegen mich Sturm laufen wollen, so könnte ich möglicher Weise, so lang er mir seine Huldigung darbrächte, etwas empfinden, was einem Reflex von seinen Gefühlen gegen mich gleichkäme, aber dieß wäre auch Alles. – Nun, Onkel, hast du mein Glaubensbekenntniß in Rücksicht auf die Fähigkeit zu lieben, gehört.«

»Bah, das ist eitel leeres Geschwätz; deine Stunde wird auch schlagen, Majken, mein Kind, und dann …«

»Werde ich ganz verzweifelt mich verlieben, willst du sagen. Den Tag erlebst weder du noch ich. Ich habe einen andern Zweck; ich möchte … reich, unmäßig reich werden.«

»Die Sorge würde dennoch dich zu finden wissen,« fiel Ring ein, »und erreichtest du auch, wornach du strebst, könntest du dich dennoch unglücklich fühlen. Wer weiß, in welcher Gestalt das Leiden dich aufsuchen mag! Vielleicht dürfte das Herz seine Stimme erheben und eine Glückseligkeit begehren, welche du um all dein Gold nicht zu erkaufen vermöchtest.«

»Ich habe den Gefühlen den Abschied gegeben, Onkel, und werde nur für zweierlei Zwecke leben: Gutes zu thun und meine Eitelkeit zu befriedigen.«

»Ohne Liebe?«

»Dieser habe ich meine Thüre verschlossen. Die Liebe führt so viele Beschwerde mit sich, und Lieben ist gewiß die größte Thorheit auf unserer thörichten Erde. Wäre ich nur reich, so sollte es für den Kummer keine Gestalt geben, unter welcher er mich aufsuchen könnte. – Aber still, was ist das? Es kommt Jemand hergeritten.«

Majken bog die Zweige eines Busches, welcher die Aussicht hemmte, aus einander und schaute auf die Landstraße hinaus. Ein Reiter wurde sichtbar. Er ritt schnell, bis er in die Nähe von Falknäs gekommen war; dann hielt er sein Pferd an und ließ es im Schritte gehen. Majken zog die Hand von den Zweigen zurück und sie schlugen wieder zusammen. Die Augen des Reiters richteten sich nach dem Garten, als ob er zwischen diesen Büschen und Blumen irgend einen bestimmten Gegenstand zu entdecken gewünscht hätte. Es lag viel Neugierde in dem Gesichtsausdruck, als er an der Hecke vorüber kam, hinter welcher Majken saß. Als er fort war, äußerte sie:

»Das war ja ein Sohn der Frau zu Aengsberga?«

»Ja, der ältere, David; du hast ihn früher einmal gesehen.«

»Ja, aus der Ferne, und da vermochte ich seine Gesichtszüge nicht zu unterscheiden.«

»Es ist ein schöner Junge,« meinte Ring.

»Nicht nach meinem Geschmack; sein Aussehen ist allzu weichlich.«

»Er ist ja erst siebzehn Jahre alt.«

»Glücklich für ihn, daß er nicht älter ist … aber, die Wahrheit zu sagen, da kommt Jemand, der mich viel mehr interessirt.«

Rings Blicke richteten sich auf einen herankommenden Wagen. Es war Oberst Björnstams kleine Jagddroschke.

Der ehrliche Polizei-Inspektor murmelte etwas zwischen den Zähnen, was Majken nicht verstand. Der Wagen des Oberst fuhr in den Hof herein.

»Er kommt hieher,« rief Majken; »was kann er wollen? Vielleicht hat er im Sinne, uns nach Haraldshof einzuladen.«

»In diesem Fall kommen wir nicht,« antwortete Ring mit Bestimmtheit.

»Aber warum?«

»Haraldshof ist ein Ort, welchen ich, außer wenn der Dienst mich dazu nöthigt, niemals besuche.«

Eine Magd nahte.

»Nun, Onkel, sollst du Erlaubniß haben, deinen Gast zu empfangen; du siehst wohl, daß Kajsa im Anzug ist, dessen Ankunft dir zu verkündigen.«

Majken irrte sich indessen; es war nicht der Polizei-Inspektor, welchen der Oberst suchte; er wünschte mit Mamsell Majken zu sprechen.

Der alte Ring sah verdrießlich aus, als Majken hinwegeilte, um zu erfahren, was der reichste Mann der Gegend ihr wohl zu sagen hätte.

Sie fand in dem kleinen Saale den Oberst, welcher bei ihrem Eintritt ihr sehr artig mit den Worten entgegenkam:

»Verzeihung, wenn ich störe, da ich um meiner Tochter willen, um eine Unterredung mit Ihnen ansuchte. Die Probstin Wendius hat mir nämlich gesagt, daß Sie nach einer Stelle als Lehrerin trachten und da ich mit Nächstem eine Reise ins Ausland zu unternehmen beabsichtige, so wäre es mein Wunsch, wo möglich zuvor meines Kindes Leitung Ihnen zu übergeben. Die Bedingungen wegen des Gehaltes u. s. w. mögen Sie selbst bestimmen; ich füge mich in dieser Hinsicht vollkommen in Ihre Forderungen, Mamsell Ring. Was ich von Ihnen begehre, ist nur, sogleich eine Antwort zu erhalten, ob Sie mein Anerbieten annehmen können und wollen.«

Majken schwieg eine Weile und betrachtete den Oberst mit einem ernsten Blick.

Was sie ihm für eine Antwort gab, werden wir im fernern Verlaufe der Erzählung erfahren.

 

VI.

Aengsberga war ein sonnenhelles und angenehmes Heimwesen, wo man überall die Gegenwart einer guten Hausfrau verspürte.

Ring hatte von Frau Waldner geäußert, ihre Tage wären still verflossen, ohne daß sie die Bitterkeit des Lebens zu kosten bekommen hätte. Wie weit dieß richtig oder unrichtig war, lassen wir dahin gestellt; so viel ist inzwischen gewiß, daß Sally Waldner in der gegenwärtigen Zeit allgemein für ein Schooßkind des Glücks angesehen wurde.

Wittwe von einem geachteten und, nach dem was man sagte, vermöglichen Mann, Mutter von zwei hoffnungsvollen Söhnen, geliebt und geehrt von allen Menschen, schien es, als ob sie keinen Grund zur Unruhe oder Bekümmerniß hätte haben sollen, und gleichwohl lag in ihrem ganzen Wesen ein Etwas, das zu erkennen gab, daß es in ihrer Seele nicht so ruhig war, als man hätte erwarten können.

Etwas mehr als ein Monat war seit des Obersts Besuche zu Falknäs vergangen.

In einem großen Eckzimmer zu Aengsberga lag ein schlanker Jüngling, auf einem Sopha ausgestreckt, mit einem Buche in der Hand, worin er nicht las. Der Kopf war zurückgebeugt und der Blick haftete an der Decke. Die Züge waren regelmäßig, aber der Gesichtsausdruck erschien etwas weichlich. Die Augen, obwohl nicht sehr groß und etwas tief unter einer vorspringenden Stirne liegend, waren nach Form und Ausdruck ungewöhnlich schön und verriethen deutlich, daß der Jüngling von Natur mit sehr reichen Seelenkräften begabt war.

An einem der Fenster in demselben Zimmer saß ein anderer Jüngling, etwas jünger, aber dem erstern so gleich, daß man sogleich sah, es seien Brüder.

Der jüngere las eifrig in einem Buche.

»Womit beschäftigst du dich eben, Georg?« fragte der ältere und rieb sich die Stirne.

»Mit Mathematik.«

»Lege die Scharteke weg und laß uns schwatzen; ich fühle mich zu einem kleinen Gespräch sehr aufgelegt.«

Georg schlug das Buch mit Widerstreben zu und schaute den Bruder an, als ob er sagen wollte:

»Nun, was hast du wieder?«

»Du scheinst zur Conversation nicht sonderlich aufgelegt,« bemerkte David Waldner, der ältere der Brüder.

»Das ist einerlei; sprich und ich antworte dir.«

Aus dem Gespräch wurde jedoch nichts, denn die Thüre ging auf und ein Mädchenkopf schaute herein.

»David, komm heraus,« befahl das Mädchen, zog sich schnell zurück und schloß die Thüre wieder.

David war mit einem Sprung vom Sopha, stürzte auf den Spiegel zu, machte einige rasche Striche mit der Haarbürste, griff nach einer Studentenmütze und eilte hinaus. Georg öffnete ganz ruhig sein Buch und nahm die unterbrochene Lektüre wieder auf.

Der Garten zu Aengsberga war ausgezeichnet wohl gepflegt und mit Bäumen umgeben. Unter den Bäumen standen Gartenstühle und ein Tisch. Auf einen dieser Plätze hatte das junge Mädchen sich begeben. David fand sie hier, in eifriger Arbeit an einer Stickerei begriffen.

»Hier bin ich nun, reizende Mathilde, was hast du zu verkündigen?« deklamirte David und ließ sich auf einem der Gartenstühle nieder. »Willst du fahren, reiten oder promeniren? Ich bin bereit, alles zu thun, was dir beliebt.«

Während er also sich äußerte, suchte er eine von Mathilde's Händen zu fassen; aber dieß war keine so leichte Sache; sie schien im Augenblick nicht geneigt, ihm eine zu geben.

»Du denkst nie an etwas Anderes, lieber David, als dich zu belustigen,« sagte Mathilde in altklugem Tone; »du bist erschrecklich leichtsinnig.«

»Hast du mich gerufen, um mir das zu sagen?« fragte David, welchem es inzwischen gelungen war, sich ihrer rechten Hand zu bemächtigen; »in diesem Fall hättest du mich wohl die lebhafte Conversation fortsetzen lassen können, welche ich mit meinem Bruder eingeleitet hatte.«

David küßte die kleine Hand trotz alles Widerstandes.

»Laß meine Hand los, oder ich werde böse,« erklärte Mathilde.

»Ist es deine Absicht, mir eine moralische Vorlesung zu halten, so mußt du auch gestatten, daß ich deine Hand behalte,« sagte David.

»Höre, Cousin, ich will Gehorsam haben,« äußerte Mathilde und bemühte sich, ihre Hand loszumachen.

»Das glaube ich nicht,« scherzte David.

»Du bist unerträglich.«

»Warum gerade das Gegentheil von dem sagen, was du denkst?«

»Beabsichtigst du mich zum Zorn zu reizen?«

»Ja, im Fall du fortfährst, gegen deine Ueberzeugung zu reden.«

Jetzt riß Mathilde die Hand los mit den Worten:

»Kannst du sagen, warum du letzterer Zeit täglich an Haraldshof vorbeigeritten bist? Du pflegtest sonst niemals diesen Weg einzuschlagen. Was ist die Ursache, daß du es jetzt thust?«

»Neugierde.«

»Weßhalb? Dagmar mußt du ja wohl gesehen haben; also brauchst du nicht ihr zulieb dahin zu reiten.«

»Richtig bemerkt. Nun, um wessen willen glaubst du, daß ich es thue?«

»Wegen der Gouvernante.«

»Wie du doch redest, Mathilde; sie ist ja eine alte Person, zählt eine ganze Reihe von Jahren mehr als ich – und im Uebrigen …«

»Hast du selbst bekannt, daß du sie sehen möchtest.«

»Und dieß verargt mir meine kleine Braut?«

David beugte sich nieder und sah dem schönen Mädchen in's Gesicht.

»Braut von einem Knaben, welcher nichts ist und nichts thut.«

»Aber welchen du dessenungeachtet lieb hast.«

»David, das war es nicht, wovon wir redeten, sondern deine Fahrten nach Haraldshof. Willst du zugestehen, daß du dich für die Gouvernante sehr interessirst?«

»Nun wohl, gern, wenn es dir eine Freude macht; sonst ist es aber die reine Wahrheit, daß ich sie noch nicht gesehen habe. Dieß hindert jedoch nicht, daß ich sehr neugierig bin, sie zu Gesicht zu bekommen.«

»Das ist doch recht sonderbar, daß es dir nicht gelungen ist, sie auf deinen täglichen Promenaden zu treffen.« – Mathilde nähte mit verzweifelter Eile weiter.

»Ich habe Unglück gehabt und das recht gründlich. Denke nur! Zuerst kommt sie mit Ring hieher zu Besuch, da sind wir fort; dann wird sie krank gerade an dem Tage, wo hier Gesellschaft geladen war. Hernach folgt das Gastgebot im Probsthof; da hatte ich ein Gerstenkorn am Auge und mußte zu Hause bleiben. Einige Zeit später mache ich einen Besuch zu Falknäs, aber die junge Mamsell ist zu einer der Nachbarinnen gegangen. Auf dem Ball bei Kr–s war sie nicht; sie hatte eine Reise nach **köping gemacht; dann siedelte sie nach Haraldshof über und nun will es das Schicksal, daß Mama und der Oberst, obwohl Cousin und Cousine, seit Jahren keinen Umgang mit einander haben. Sie ist somit aus der Zahl der Lebenden wie verschwunden. Trotz der Spannung zwischen dem Oberst und meiner Mutter wage ich einen Besuch bei dem Onkel. Er ist nach dem Ausland abgereist, und in Haraldshof wird nicht empfangen. Nie sah man die Gouvernante außerhalb des Umkreises vom Park und Garten, und da diese beständig für das Publikum geschlossen sind, so muß man der Hoffnung entsagen, sie von Angesicht kennen zu lernen.«

»Sie ist ja am Sonntag in der Kirche gewesen.«

»Aber da war ich nicht dort und am Sonntag zuvor war sie es, welche ausblieb. Nun wird es mir Unterhaltung gewähren, diese Frau zu Gesicht zu bekommen, nachdem Jedermann behauptet, daß sie ein so originelles Aussehen habe.«

»Und deßhalb streifst du drei ganze Wochen um Haraldshof herum; du, welcher sagt, er könne das alte Schloß nicht leiden.«

»Darin hast du Recht; aber aufrichtig zu sein, ich glaube, wir könnten von etwas Unterhaltenderem reden, da wir hier so unter vier Augen sind.«

»Allerdings; aber du mußt mir etwas versprechen.«

Mathilde legte ihre Arbeit bei Seite und sah den Cousin an.

»Ich verspreche Alles, was du willst,« meinte David.

»Du darfst den Weg nach Haraldshof nicht mehr einschlagen. Du brauchst dich nicht um Mamsell Ring zu kümmern.«

Mathilde legte die Hand auf seine Schulter und schaute ihm mit bittendem Blick in die Augen; es gehörte mehr als siebenzehn Jahre dazu, um hiegegen auch nur einen Widerstand zu versuchen.

»Ich gebe dir mein Wort, daß dein Wille mir Gesetz sein soll,« betheuerte David, »aber unter zwei Bedingungen.«

»Laß hören!«

»Fürs erste gibst du mir einen Kuß und damit die feierliche Versicherung, daß du meine liebe kleine Braut bist. Zum Zeugniß dafür wechseln wir die Ringe. Ich nehme den, welchen du an deiner rechten Hand trägst, und sieh hier, was ich dir zum Tausche dafür gebe.«

Mathilde lächelte, zog den Ring von ihrem Finger und reichte ihn dem Jüngling.

Was weiter folgte, brauchen wir nicht zu erzählen. Das neunzehnjährige Mädchen und der siebzehnjährige Jüngling versprach einander viel, was sie in der Zukunft nicht halten sollten, aber woran sie jetzt ebenso fest, wie an die Unveränderlichkeit ihrer Gefühle glaubten.

Welches herrliche Alter, wenn man Alles glaubt, was das Herz wünscht, und noch keine Erfahrung selbst von seiner eigenen Veränderlichkeit hat!

David und Mathilde hatten eben die Ringe gewechselt, als die Gitterthüre aufging und ein junger Mann eintrat.

David warf einen mißvergnügten Blick auf den Fremden, welcher sie zu stören kam, gerade da sie die herrlichsten Luftschlösser für die Zukunft bauten.

»Arvid Broolind,« sagte Mathilde und ihre Wangen wurden roth.

»Warum erröthest du?« fragte David, welcher im Stillen sehr lebhaft den Lieutenant dahin wünschte, wo der Pfeffer wuchs. Inzwischen war der Jüngling allzu gut erzogen, als daß er merken ließ, wie wenig willkommen ihm sein Verwandter war. Er ging darum Arvid entgegen.

Der Lieutenant grüßte vertraulich herablassend, wie ein Mann einen jungen Burschen grüßt, und eilte dann auf Mathilde zu.

Er war gekommen, um Erkundigung einzuziehen, wie sie sich nach der Ausfahrt von gestern befände. Auch wollte er hören, ob die Tante und Mathilde im Sinne hätten, zum Geburtstage der Probstin sich im Pfarrhofe einzufinden u. a. m.

David fiel es schwer, all den Verdruß zu verbergen, welchen Arvids vertrauliches Benehmen gegen Mathilde ihm verursachte.

Broolind erkundigte sich allerdings nach Tante Waldner und wollte wissen, ob er ihr seine Aufwartung machen könnte; aber zu gleicher Zeit ließ er sich keine Mühe dauern, Mathilde davon abzuhalten, der Tante von seiner Ankunft Mittheilung zu machen. Er versicherte, daß er selbst im Sinne habe, sie aufzusuchen; aber dabei sah er David an, als wollte er ihm damit sagen, er solle dieß übernehmen. David stellte sich indessen, als verstände er den bedeutungsvollen Blick nicht, sondern blieb sitzen. Als kurz darauf eine Magd durch den Garten ging, rief er dieselbe herbei und gab ihr den Befehl, ihre Gebieterin von der Ankunft des Lieutenants zu unterrichten.

Mathilde bat nun Arvid, in den Salon hinauf zu gehen, und alle drei begaben sich dorthin. Einige Augenblicke hernach trat Frau Waldner ein, und während Arvid die Tante begrüßte, flüsterte David sofort Mathilde seine Mißbilligung über ihre Freundlichkeit gegen Broolind zu.

Der Junge war eifersüchtig und konnte es nicht vergeben, daß sie an einer andern Gesellschaft als an der seinigen Freude fand. Während David auf solche Weise seinem Mißvergnügen Luft machte, hatten Broolind und Frau Waldner ein lebhaftes Gespräch angeknüpft. Der Lieutenant erzählte unter Anderem, daß seine Cousine mit der Lehrerin Haraldshof verlassen würde, um einige Zeit bei des Obersts Mutter in Schonen zuzubringen.

»Dagmar Björnstam wird einmal ein sehr reiches Mädchen,« äußerte darauf Frau Waldner; »sie ist ihres Vaters einzige Erbin und bekommt überdieß noch die Hälfte von der Hinterlassenschaft ihrer Großmutter.«

»Ja, mein Oheim hat ein ansehnliches Vermögen,« bestätigte Arvid und ein flüchtiger Schatten zog über sein Angesicht. »Er erhielt Haraldshof von seinem Bruder Wilhelm. – Sie erinnern sich gewiß noch Wilhelm Björnstams, Tante.«

»Ich und Wilhelm, wir liebten einander wie ein Paar Geschwister,« versetzte Frau Waldner. »Es war ein ungewöhnlich liebenswürdiger Mann.«

»So hat mir meine Mutter zu ihren Lebzeiten ihn auch beschrieben. Die letzten Jahre seines Lebens brachte er ja im Auslande zu und war nur auf kurzen Besuch im Vaterlande. Ich kann mich nicht erinnern, ihn bei meinen Eltern gesehen zu haben. Weiß man nichts über die nähern Umstände bei seinem entsetzlichen Ende?«

»Mir ist nichts bekannt. Ich war allerdings in Haraldshof an dem Tage, da das Unglück geschah, und meine, wie die Ueberzeugung aller Andern ist, daß er durch ein bloßes Mißgeschick in den Brunnen fiel. Es widersprach seinem Charakter völlig, sich das Leben zu nehmen, auch wenn ein geheimer Kummer, wie man behaupten will, ihn bedrückt hätte.«

»Aber,« entgegnete Arvid, »es kommt mir beinahe unerklärlich vor, daß er durch ein bloßes Mißgeschick häuptlings in den Brunnen gefallen sein soll. Derselbe war ja von einer Brustwehr umgeben.«

»Diese war so niedrig, daß, wenn man sich darüber beugte und einen Schwindel bekam, sie dem Unglück, hinunterzustürzen, nicht vorbeugen konnte. Wilhelm war von träumerischer Gemüthsart, und öfters, wenn wir in Haraldshof uns befanden, konnte er davor hinstehen und hinunterschauen, indem er erklärte, es gewähre ihm ein eigenes Vergnügen, daß das Auge hier auf keinen Grund zu dringen vermöge.«

»Sind Sie damals oft in Haraldshof gewesen, Tante?«

»Sehr oft.«

»Und jetzt?«

»Geschieht es niemals. Der Oberst und mein Mann verfeindeten sich kurz nach Wilhelms Tod mit einander, und seitdem ist weder von ihm noch von mir ein Versuch gemacht worden, uns auf einen andern Fuß zu stellen.«

»Haben Sie die Frau des Obersts gesehen, Tante?«

»Nein. Der Bruch zwischen meinem Mann und ihm trat vor seiner Verheiratung ein. Die Oberstin war ohnedieß durch Kränklichkeit auf ihr Zimmer verwiesen.«

»Auch sie fand ein trauriges Ende.«

»Ja, und es scheint eine Wahrheit in der Sage zu liegen, welche an Haraldshof sich knüpft, daß kein wahrhaftiges Glück in dessen Mauern stattfinden kann. Wäre der Kommissär Ring nicht gewesen, würde ohne Zweifel der Oberst zu gleicher Zeit Tochter und Frau verloren haben. Dagmar hat eine große Verpflichtung gegen den alten Ring.«

»Und jetzt ist dessen Bruderstochter Dagmars Lehrerin geworden.«

»Ja, man erstaunte nicht wenig darüber, als Mamsell Ring Gouvernante zu Haraldshof wurde,« bemerkte Frau Waldner, offenbar begierig, etwas über Majken zu vernehmen.

David und Mathilde machten nun ihrer kleinen Zänkerei ein Ende, um auf das zu horchen, was über Dagmars Lehrerin gesagt würde.

»Die Stelle ist vortheilhaft,« antwortete der Lieutenant, »und ich finde es sehr natürlich, daß sie dieselbe annahm. Auch betrachte ich es als ein großes Glück für Dagmar; Mamsell Ring ist eine ungewöhnliche Frau, mit mehr Verstand als gar Vielen zu Theil geworden ist, und von einer so natürlichen Würde, daß diese ihr bei dem Kinde, welches sie zu erziehen hat, Achtung und Ehrerbietung verschaffen muß.«

Man fuhr fort noch eine Weile von Majken zu reden; darnach brachte Arvid das Gespräch wieder auf den verstorbenen Oheim mütterlicher Seite. Seine Fragen wurden ganz gleichgültig vorgebracht, aber dessenungeachtet war leicht zu erkennen, daß sie ein geheimes Verlangen bargen, gewisse Aufklärungen zu erhalten; dieß wollte jedoch nicht gelingen.

Für David, welcher Arvid nicht recht leiden konnte, schien etwas Unziemliches in diesem ewigen Fragen zu liegen, und er sagte endlich:

»Mein bester Arvid, es kommt mir vor, als ob Wilhelm Björnstams Tod dir ein gar seltsames Interesse einflöße, da du so viel von der Sache wissen willst.«

Der Lieutenant versicherte, dieß rühre nur davon her, daß er aus dem Munde seiner Mutter das Lob dieses ihres Bruders so oft gehört habe, und daß darum Alles, was sich auf dessen Person beziehe, seine besondere Theilnahme errege.

Inzwischen kam ein anderes Thema auf die Bahn und die Todten wurden nun in Ruhe gelassen.

 

VII.

Eine Menge Gäste waren in dem Pfarrhofe an dem Geburtstage der Probstin. Alle Bewohner des Kirchspiels hatten sich dahin begeben, um derselben ihre Aufmerksamkeit zu beweisen und zugleich selbst einen angenehmen Tag zu bekommen.

Die Waldner'sche Familie war auch da. Von Haraldshof kam Niemand außer Arvid.

Majken und Dagmar sollten an demselben Tage ihre Reise nach Schonen antreten.

Man tanzte und war ungemein vergnügt. David schien besonders aufgeräumt. Seine große Flamme, Mathilde, war die Liebenswürdigkeit selbst gegen ihn, und alle die andern kleinen Flammen gaben ihm unbedingten Grund zur Zufriedenheit. Er war der Günstling der Mädchen, ein großes Glück für einen siebzehnjährigen Studenten. Die Freude gehört der Jugend, David war auch wirklich von Herzen froh. Er fühlte sich stolz darauf, daß Mathilde ihm den Vorzug vor dem stattlichen Broolind gab, welcher ihn mit mißgünstigen Augen betrachtete, ein wirklicher Triumph bei dem Alter, worin David stand. Auch sah er seine und Mathildens Neigung in so ernstem Lichte, daß sie, seiner Auffassung nach, in der That dessen Braut sein mußte.

Vergänglich ist jedoch alle menschliche Freude. So auch bei David. Broolind, welcher mit Verdruß sich einem »knabenhaften Studenten« nachgesetzt sah, entdeckte zufällig, daß David an dem kleinen Finger seiner linken Hand einen Mathilde gehörigen Ring trug. Was mochte das wohl zu bedeuten haben? Das mußte Arvid herausbringen.

Man wartete auf das Souper und ruhte vom Tanze aus. Arvid benützte die Gelegenheit, nahm Davids Arm und schlug ihm einen Spaziergang vor.

So ungern David sich von den jungen Mädchen trennte, konnte er es doch nicht wohl ablehnen.

So gingen Arvid und er die Allee entlang.

Ohne alle Vorbereitung stellte der erstere an David die Frage, ob derselbe eine wärmere Zuneigung zu Mathilde empfinde, und ob diese erwidert werde.

David fühlte sich durch diese, wie es ihm vorkam, unzarte Frage gereizt und gab zur Antwort, er halte sich nicht verpflichtet, Broolind irgend eine Rechenschaft weder über seine noch Mathilde's Gesinnungen abzulegen. Arvid, welcher es für etwas Leichtes gehalten hatte, mit einem »siebzehnjährigen Knaben« zurecht zu kommen, fand nunmehr, daß er sich im vorliegenden Fall getäuscht hatte, und mußte demnach seine Taktik ändern.

»Die Ursache, warum ich diese Frage thue, findest du darin,« sagte er, »daß ich selbst Mathilde liebe

Der Jüngling und der junge Mann befanden sich am Ende der Allee. David blieb stehen und sah Broolind an, welcher fortfuhr:

»Wenn zwischen Mathilde und dir gegenwärtig eine Neigung besteht, so kann diese unmöglich eine Zukunft haben. Sie ist älter als du, und ihr beide steht in einem Alter, wo die Gefühle sich noch nicht zu einer entschiedenen und bleibenden Richtung entwickeln konnten. Sie werden mit der Zeit ihren Charakter ändern, von andern verdrängt werden und zuletzt gänzlich erbleichen. So ist es aber nicht mit meiner Liebe zu Mathilde; denn diese ist tief und ernst. Ich stehe im Begriff, ihr meine Hand anzubieten; du kannst noch nicht über dich selbst bestimmen, bist nicht einmal mündig. Entsage darum Mathilden und laß nicht eine kindische Phantasie dieselbe von mir und einer glücklichen Zukunft scheiden. Vor Allem, David, trage nicht den Ring, welcher ihr zugehört! Das möchte zu Vermuthungen Anlaß geben, welche deiner Cousine schaden könnten.«

David war ganz bleich geworden. Ein unbehagliches nervöses Zittern fuhr ihm durch alle Glieder. Er schaute auf seinen Nebenbuhler mit Augen, welche jeden Schimmer ihrer ursprünglichen Sanftmuth verloren hatten.

»Was die Zukunft in sich schließen mag, ist weder dir noch mir bekannt,« entgegnete David, »und auf meine Anhänglichkeit an Mathilde dürfte ebenso viel als auf die deinige zu bauen sein.«

»Du bist ja erst siebenzehn Jahre alt, lieber David!« fiel Arvid ein.

»Das ist kein Hinderniß, daß ich Mathilden von Herzen gut sein kann,« rief David heftig.

»Allerdings nicht; aber es muß dich hindern, ihren Ring zu tragen. Meine Freundschaft und Achtung erheischen übrigens von mir, daß ich dich zwinge, es zu thun.«

»Mich zwingen; das sollte dir wohl nicht so leicht werden,« meinte der Jüngling, und sah den jungen kraftvollen Mann mit einem herausfordernden Blick an.

»Das werden wir wohl sehen,« versetzte Arvid, drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich.

David blieb. Er lehnte sich an einen Baum und suchte sich zu beruhigen. Ganz mechanisch drehte er an dem kleinen Ring und schob ihn an dem Finger hin und her, als wollte er durch diese Bewegung sich überzeugen, daß er in dessen Besitz war. Mit der Gewissenhaftigkeit eines unverdorbenen Herzens suchte er sich klar zu machen, ob es wirklich zu irgend einer Unannehmlichkeit für Mathilde führen könnte, daß er ihren Ring trüge. Sie war ja seine kleine, liebe Braut, und sie sollte eines Tags seine Frau werden. Wem trat er also damit zu nahe, daß der Ring an seinem Finger saß? Niemand.

David zog den Ring ab und blickte ihn liebevoll an.

Ein Wagen nahte.

David richtete die Augen auf denselben.

Es war ein Reisewagen. Der Kutscher trug die Björnstam'sche Livree. Ein Kopf schaute durch eines der Wagenfenster, zog sich aber sogleich wieder zurück. Bei dieser Bewegung folgte jedoch der kleine Sammethut nicht in den Wagen nach, sondern fiel auf die Straße, und die Eigenthümerin rief ganz erschrocken:

»Ach, ich habe meinen Hut verloren!«

Der Wagen hielt an. David eilte augenblicklich herbei, um das kleine, hübsche Dingelchen aufzuheben. Er wollte dabei zugleich den Ring wiederum an den Finger stecken, ließ ihn aber fallen, gerade da er vor dem verlornen Hute stand. Er hob diesen auf und überreichte ihn der Dame im Wagen, ohne dieselbe anzusehen, so beunruhigt war er über den möglichen Verlust eines ihm so theuren Kleinods.

Das Wort: Danke, wurde von einer Frauenstimme ausgesprochen; der Kutscher schwang seine Peitsche und fort eilte der Wagen, es David überlassend, das Unterpfand von Mathilde's Liebe aufzusuchen.

Eine ganze Stunde brachte er damit zu, ohne das, was er verloren hatte, wieder zu finden.

Als er endlich wieder in den Probsthof kam, war sein Aussehen düster und alle seine Freude verschwunden.

Das Schicksal wollte, daß sich für David diesen Abend keine Gelegenheit mehr bot, seines Verlustes zu erwähnen. Er beabsichtigte dieß auf dem Heimwege zu thun, aber Mathilde fuhr mit seiner Mutter, und so mußte er es auf den folgenden Tag aufschieben.

 

VIII.

David schlief bis in den Morgen hinein; als er in den Speisesaal kam, um das Frühstück einzunehmen, war der Mittagstisch gedeckt, und Mathilde saß im Nebenzimmer, in einem lebhaften Gespräche mit Broolind begriffen.

Als David dieselbe begrüßte, flüsterte er ihr zu:

»Du machst mich unglücklich, Mathilde, wenn du dich im Mindesten um Broolind kümmerst.«

»Ei, sei doch nicht kindisch, David,« antwortete Mathilde, als Broolind in den Saal hinausging, »du weißt doch, daß …«

In diesem Momente fielen Mathilde's Augen auf Davids linke Hand. Der Ring war fort. Sie faßte seine Hand und hielt sie fest.

»Wo hast du meinen Ring?« fragte sie heftig.

»Mathilde, ich hatte das Unglück, ihn zu verlieren; ich …«

»Kein Wort weiter!« unterbrach ihn Mathilde und eilte hinweg. Sie ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen, sondern hielt sich in ihrem Zimmer eingeschlossen.

 

IX.

»Bleibe,« bat Arvid am folgenden Morgen, als er in den Pavillon zu Aengsberga trat und Mathilde bei seinem Anblick hinwegeilen wollte; »ich habe dir etwas zu geben, was du verloren hast.«

Mathilde wurde still.

»Aber was fehlt der Schönsten unter den Mädchen?« fuhr Arvid fort. »Nicht ganz wohl, glaube ich.«

»Ich befinde mich vollkommen wohl,« antwortete Mathilde ungnädig, »und ich wünsche nur zu erfahren, was du hast, das mir gehören soll?«

»Vermissest du nichts?«

»Nein, durchaus nichts.«

»Denke ein wenig nach.«

So viel auch Mathilde denken mochte, sie konnte sich nicht erinnern, irgend etwas verloren zu haben.

»Ich hatte also wohl Unrecht, daß ich behauptete, du habest das Kleinod verloren, welches sich jetzt in meinem Besitz befindet. Du hast es vielleicht weggegeben.«

Arvid hielt einen Ring empor.

Mathilde erröthete. Sie erkannte nur allzuwohl den Ring, welchen sie David geschenkt hatte.

»Und wenn dem so wäre, wie ist er in deine Hände gekommen?« fragte sie.

»Ich habe ihn David abgenommen,« antwortete Broolind.

»Hat David sich denselben nehmen lassen?« rief Mathilde.

»Wie sollte er nicht? Er ist ja ein bloßer Junge, ein Kind, welches sich fügen muß, wenn man ihm zeigt, wie unverständig es von ihm ist, deinen Ring zu tragen.«

Mathilde hatte große Mühe, ihre Thränen zurückzuhalten.

»Wie, Mathilde, ich glaube, du weinst! Du, ein Mädchen von neunzehn Jahren, hast dich wohl nicht an einen siebzehnjährigen Jungen hängen können, welcher noch nicht einmal einen Bart am Kinn hat, noch nicht einmal damit fertig ist, aus seinen Kleidern herauszuwachsen. Glaubst du wirklich, ein solches Kind sei im Stande, einen Ring anders denn als ein Spielzeug zu betrachten, das für eine Weile ergötzlich ist, aber im nächsten Augenblick über dem Vergnügen, Kegel zu schieben oder um die Wette nach einem Ziele zu springen, vergessen wird?«

»Das gehört nicht hierher,« fiel Mathilde ein; »ich will wissen, ob David dir den Ring gegeben hat.«

»Er hat mir es wenigstens möglich gemacht, ihn zu nehmen.«

»In diesem Fall, Arvid, magst du ihn behalten,« sagte Mathilde und eilte aus dem Pavillon.

Eine Strecke davon begegnete sie David, welcher ganz wild auf sie zukam. Auf der Schwelle des Pavillons stand ja Broolind.

»Mathilde, bist du dort mit Arvid gewesen?« fragte er.

»Ja, allerdings, und wenn es mir Unterhaltung macht, mit ihm zu reden, so gedenke ich es zu thun, ohne dich deßhalb um Erlaubniß zu fragen,« entgegnete Mathilde und eilte an ihm vorüber.

Einen Augenblick überlegte David, ob er ihr nacheilen und erklären, daß zwischen ihnen Alles aus und vorbei wäre, oder ob er sich auf Broolind stürzen und ihn erwürgen sollte. Er verwarf jedoch beide Vorsätze und begab sich unter dem Vorwande, er leide an Kopfweh, auf sein Zimmer.

Frau Waldner, über des Sohnes plötzliches Unwohlsein beunruhigt, wollte nach dem Arzte schicken. Es ging ein bösartiges Fieber in der Gegend herum, welches gewöhnlich mit Kopfschmerz anfing.

David empfand die schwerste Gewissensqual über sein vorgebliches Uebelbefinden, als er seiner Mutter Angst gewahrte, und fand endlich für gut, zu erklären, daß er sich wiederum besser fühle und bald vollkommen hergestellt sein werde, wenn er nur ein wenig schlafen könnte. Frau Waldner zog sich mit der Versicherung zurück, der Kranke sollte von Niemand gestört werden.

Allein gelassen, gereichte es David zu einer wirklichen Pein, ruhig liegen zu bleiben. Mathilde, dachte er, würde gewiß sich einfinden, um von seinem Befinden Kunde einzuziehen; folglich mußte er mit seinem angenommenen Uebelbefinden fortfahren. Aber nachdem er vergeblich eine ganze Stunde gewartet hatte und keine Mathilde sich sehen ließ, sprang er vom Sopha auf und trat an ein Fenster. Die Rollgardine war herabgelassen, und er zog sie sachte etwas hinauf, um in den Hof hinaussehen zu können. Der Anblick, der sich hier seinem Auge darbot, hätte ihm wirklich einen Blutschlag verursachen können. Da stand Mathilde und redete mit Arvid. Ihre Wangen waren warm und ihre Lippen lächelten. Unten am Gitter hielt Arvids Wagen. Er nahm somit Abschied von ihr, und sie hörte auf das, was er sagte, und zwar mit holder Freundlichkeit. Das war ein Verbrechen, welches kaum gesühnt werden konnte. David ließ sich nieder, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und verbarg das Angesicht in den Händen. Er war furchtbar unglücklich. Arvids Wagen rollte hinweg, aber David blieb unbeweglich sitzen.

Nach einer Weile öffnete sich die Thüre des Zimmers.

»Es ist Mama,« dachte David und hätte gern der Eintretenden das Gesicht zugekehrt; aber er that es nicht, da er aus einem Grunde, welchen wir verschweigen wollen, durchaus keine Lust verspürte, seine Augen sehen zu lassen.

»David,« rief eine schmeichelnde Stimme an der Thüre.

Er rührte sich nicht.

»Bist du krank?« fragte die Stimme von Neuem, dießmal etwas näher.

Keine Antwort.

»Aber, mein Gott, was fehlt dir?«

Jetzt befand sich die Redende hart neben ihm und dennoch beharrte er in derselben Haltung.

»David, du erschreckst mich.«

Eine kleine Hand berührte seine Schulter und ein warmer Hauch ihres Athems streifte seine Wange.

Man ist halsstarrig und unversöhnlich, wenn man in jungen Jahren sich für beleidigt hält.

David antwortete auch mit der Vermuthung, es würde ihr keinen Schrecken verursachen, und wenn er im Sterben läge. Er bat sie, sich nicht um ihn zu bekümmern, er wünsche nur ganz ungestört zu bleiben. Nun hatte Mathilde mittlerweile gefunden, daß er doch reden könnte, und es entstand zwischen ihnen ein heftiger Zank.

Mathilde konnte nie verzeihen, daß David ihres Rings sich entäußert hatte, und David niemals, daß sie mit Arvid im Pavillon gewesen. Mathilde wollte Davids Erklärung, daß er den Ring verloren, durchaus keinen Glauben schenken … wenn dem so gewesen, hätte Arvid unmöglich in dessen Besitz sein können, und, setzte sie hinzu, da David einmal ihren Ring hingegeben, so habe sie Arvid erklärt, er möge ihn immerhin behalten. Hierauf betheuerte David, daß es für Zeit und Ewigkeit zwischen ihnen aus wäre: was jedoch nicht hinderte, daß sie nach einigen Minuten Frieden schlossen, so daß, als Frau Waldner bei ihrem kranken Sohn eintrat, das Kopfweh sich verloren hatte, und er mit Mathilde völlig versöhnt war.

 

X.

Broolind ließ sich nicht zu Aengsberga sehen. Er war in seine Heimat nach Südermannland abgereist. Zwischen Mathilde und David blieb das gute Verhältniß bestehen; aber es war doch nicht ganz wie früher. Etwas war zwischen sie getreten, das deren Träume störte und den Glauben an die Zukunft erschütterte.

David sollte sich inzwischen nach Upsala zur Fortsetzung seiner Studien begeben. Er hatte sich entschlossen, Arzt zu werden.

Somit trennten sie sich. Am Abend vor der Abreise erhielt David von Mathilde einen neuen Ring. Er sollte ihm »ins Grab« folgen. Mit dieser Versicherung sagte er seiner schönen Cousine ein Lebewohl.

Auf dem Wege zwischen **köping und Aengsberga begegnete David einem Reisewagen. Es waren die Kutsche und die Pferde von Haraldshof, und als die beiden Wagen an einander vorbeifuhren, sah David einen Frauenkopf hervorschauen; es war der von Dagmar.

»Sonderbar, daß es mir niemals gelingt, die Nichte des Polizei-Inspektors zu Gesicht zu bekommen,« dachte David; »aber, im Ganzen genommen, was geht sie mich an?«


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