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Dritte Abtheilung.

Unter allen Thieren übt der niedrig gesinnte Mensch seine Rache mit der größten Grausamkeit aus!

Drei Jahre sind eine lange Zeit, wenn wir in die Zukunft blicken, aber eine sehr kurze, wenn wir zurückblicken. – Und doch wie mancher Schmerz wird nicht vergessen, wie manche Wunden werden nicht geheilt, wie manche Freude entsteht und verschwindet nicht im Laufe dieser Zeit?

Drei Jahre waren seit dem oben beschriebenen blutigen Ereignisse verflossen.

Wir führen jetzt den Leser bei dem Grafen Hugo Oernhjelm aus dem stattlichen Bredahof im südlichen Schweden ein. An einem dunkeln Oktoberabend saßen in einem kleinen, aber geschmackvollen Gemach eine junge Dame und ein Herr von einigen und dreißig Jahren von einem fast düsteren Aussehen. Auf dem Fußboden spielte ein hübscher und lustiger Junge von ungefähr zwei Jahren.

»Nun, meine gute Nina, fühlst du dich fortwährend eben so glücklich, wie damals, als wir uns zuletzt sahen?«

»Ach, Heinrich, womöglich noch glücklicher; besonders da ich, seit du hier Provinzialarzt geworden bist, für mich selbst keinen Wunsch mehr habe, der nicht erfüllt wäre. Oft kommt es mir vor, als ob das Glück mich egoistisch gemacht hätte, weil ich für meinen Theil mich so vollkommen glücklich fühle, obgleich Personen, welche ich liebe, so grenzenlos unglücklich sind.«

»Aber du hast ja keine Schuld an ihrem Unglück.«

»Thoras Schicksale sind doch so aufregender Natur gewesen, daß man sie nie sollte vergessen können. – Bedenke, daß sie zu allen ihren übrigen Verlusten noch den Tod der Tante Alm hinzuzufügen hat, welche bei der Kunde von den greulichen Ereignissen am Thiergarten vom Schlage getroffen wurde. Auch athmen ihre Briefe, obgleich sie kurz sind, eine Gemüthsstimmung, welche beweist, daß sie nicht vergessen kann. Wie sandest du ihre Gesundheit?«

»Leider kann ich mich gar nicht darüber äußern, weil Thora alle Fragen, die darauf Bezug haben, unbeantwortet läßt, und gleichsam zu fürchten scheint, daß man argwöhnen möchte, sie sei nicht gesund. Ich meines Theils fürchte viel von den Rosen, welche jetzt so verrätherisch auf Thoras Wangen blühen.«

»Die Wunde, welche sie durch den Schuß Emils erhielt, hat also keine schweren Folgen hinterlassen?«

»Nicht im geringsten, denn keiner der edleren Theile wurde verletzt.«

»Es freut und schmerzt mich zu gleicher Zeit, nach einer Trennung von drei Jahren Thora wieder zu sehen,« bemerkte Nina gerührt.

Jetzt trat Graf Hugo, einen offenen Brief in der Hand haltend, herein.

»Wir können jeden Augenblick Onkel und Thora erwarten. Er schreibt, daß sie zu gleicher Zeit mit diesem Briefe abreisen,« sagte der Graf und küßte Nina.

Einige Augenblicke darauf meldete der Bediente, daß zwei Reisende eine Privatunterredung mit Doktor Adler wünschten.

Heinrich bat den Bedienten, die Fremden auf seine Zimmer zu führen und ging selbst kurz darauf fort, nachdem man seine Verwunderung über diesen Besuch geäußert, da Heinrich seine Stelle noch nicht angetreten hatte.

Als der Doktor in seine Zimmer hinaufkam, fand er dort einen älteren Herrn und eine Dame, deren Antlitz durch eine tief über dasselbe heruntergezogene Reisehaube verhüllt war.

»Entschuldigen Sie, daß wir kommen und Sie stören; aber Kummer und Gewissensbisse verstehen es ebenso wenig, wie eine Krankheit, die passende Gelegenheit abzuwarten,« sagte der Fremde. »Ich hoffe,« fügte er hinzu, »daß Sie, obgleich wir uns nur ein paarmal gesehen, doch mich wieder erkennen werden, denn unser erstes Zusammentreffen war mit Ereignissen von so ergreifender Natur begleitet, daß sie nie vergessen werden können.«

»Herr General, Sie sind mir unauslöschlich in der Erinnerung geblieben. Aber, auf welche Weise kann ich irgendwie zu Diensten sein?« fragte der Doktor, und lud seine Gäste ein, Platz zu nehmen.

»Es sind bloß einige Aufklärungen, um welche ich Sie ersuchen möchte; weniger für mich selbst, als um einen Auftrag ausrichten zu können, welchen ich auf mich genommen habe.«

»Ich stehe zu Diensten, Herr General.«

»Wo hält sich Frau Liljekrona auf, und wie kann ich mit ihr zusammentreffen?«

Bei dieser Frage fuhr Heinrich zusammen.

»Herr Doktor, ich muß sie treffen, und ihr Aufenthalt kann Ihnen nicht unbekannt sein,« fiel der General ein.

»Zuletzt hat sie sich in Kopenhagen aufgehalten, aber sie ist von dort abgereist,« antwortete Heinrich.

»Wohin?«

»Herr General, ich halte mich nicht für berechtigt, es zu sagen; weil eine Begegnung mit Ihnen zu sehr die Wunden aufreißen würde, an welchen ihr Herz blutet.«

»Beweinen wir nicht eine und dieselbe Person? Was kann denn mein Anblick Entsetzliches für sie haben? – Herr Doktor, ich muß unter allen Umständen mit ihr sprechen. Ich habe einem Sterbenden versprochen, selbst seiner noch lebenden Gattin seine letzten Worte zu überbringen.«

»Emil?« rief Heinrich.

»Ja.«

Der General fuhr dabei mit der Hand über die gefurchte Stirne und fügte hinzu:

»Er starb vor einigen Wochen in München, bei mir. Noch mehr. Ich habe der Urheberin von all diesem Kummer, der so manches Herz vernichtet hat, versprochen, daß sie, bevor sie vor einen höheren Richter tritt, zu den Füßen der unglücklichen Frau Liljekrona um Verzeihung betteln darf.«

Der General machte dabei eine Bewegung mit der Hand und deutete auf seine Begleiterin, die mit gesenktem Haupte in einiger Entfernung saß; ihr Gesicht wurde so vollkommen beschattet, daß Heinrich die Züge nicht unterscheiden konnte.

»Und endlich,« fuhr der General fort, »habe ich selbst einige Mittheilungen zu machen.«

In demselben Augenblick trat ein Bedienter ein und sagte:

»Die Frau Gräfin befahl mir, dem Herrn Doktor zu sagen, daß Graf Falkenhjelm und Frau Liljekrona soeben angekommen sind.«

Heinrich warf einen unruhigen Blick auf den General.

Die fremde Dame sprang auf und rief:

»O, mein Gott, Thora!« und dabei hob sie ihren Kopf so weit in die Höhe, daß der Lichtschein auf ihre Züge fiel.

Der Doktor trat ihr überrascht ein paar Schritte entgegen und stammelte, kaum seinen eigenen Augen trauend:

»Cordula! ist es möglich?«

»Herr Doktor,« fiel der General ein, »lassen Sie Ihre Verwunderung bei Seite, es wird Ihnen bald Alles klar werden. Erweisen Sie mir die ausgezeichnete Güte, bei Graf Oernhjelms Familie um Gastfreiheit für uns auf ein paar Tage zu bitten, da ich einsehe, wie unpassend es ist, gleich bei Frau Liljekronas Ankunft ihr mit unseren Fragen entgegenzutreten; aber es muß doch geschehen, und darum finde ich mich gezwungen, durch Sie um ihre Gastfreundschaft zu bitten.«

»Ich gehe sofort, um den Wunsch des Herrn General meiner Schwester und meinem Schwager vorzutragen, und ich begreife vollkommen, daß das am Sterbebette gegebene Versprechen erfüllt werden muß,« antwortete Heinrich sich verbeugend und ging.


Am Tage nach der Ankunft Thoras auf Bredahof ging Nina früh Morgens zu ihr.

Das Aeußere Thoras hatte sich bedeutend verändert; jedoch ohne daß man sagen konnte, daß sie etwas an ihrer fesselnden Anmuth verloren hätte. Sie war zwar nicht mehr jene blendende Schönheit, welche stürmische Leidenschaften erregte, aber ihr feines, leidendes Gesicht, mit den großen, kummervoll träumenden Augen, war so edelschön, daß man unwillkürlich dafür eingenommen wurde. Die feine Röthe auf den abgemagerten Wangen schien mit ihren Rosen es verbergen zu wollen, daß der Tod sich in ihr Herz eingeschlichen.

Thora reichte Nina die Hand mit einem freundlichen, obgleich traurigen Lächeln.

»Wie befindest du dich, Thora, dein Husten gestern Abend beunruhigt uns,« bemerkte Nina herzlich und setzte sich.

»O, liebe Nina, der hat nichts zu bedeuten, ich merke ihn selbst nicht,« antwortete Thora und ging auf ein anderes Thema über.

»Es ist eine Person zum Besuch bei uns angekommen, welche mit dir zu sprechen wünscht: aber ich bin in großer Verlegenheit, wie ich dich darauf vorbereiten soll,« begann Nina.

Ein leichtes Zittern fuhr durch Thoras Körper, als sie sagte:

»Nina, es gibt nur eine Person, deren Anblick zu ertragen ich nicht Kraft genug zu besitzen fürchte; es ist Emil

»Er ist es nicht, sondern …« Nina schwieg.

»Ach! dann sind alle Andern mir gleichgültig.«

»Alle? denke genau nach!«

»Ja, alle, alle!«

Thoras Stimme zeugte von der Wahrheit ihrer Worte.

»Auch General Behrend?«

»Er? – O, mein Gott! Du hast mich also erhört. – Weißt du, Nina, in diesen Jahren, während welcher sich mein Vater in fremden Ländern herumgeschleppt hat, habe ich bloß einen Wunsch gehabt, den nämlich, daß das Schicksal mich mit dem General zusammenführen möchte; aber es fehlte mir an Muth, denselben gegen meinen Vater auszusprechen. Jetzt werde ich denn endlich, vor meinem Tode, in all die Dunkelheit, welche mich umgibt, klar hineinblicken.«

Angenehm von der Freude überrascht, welche Thora bei dem Gedanken an diese Begegnung an den Tag legte, beeilte Nina sich, dem General mittheilen zu lassen, daß Thora auf seinen Besuch vorbereitet sei und ihn mit Vergnügen empfangen würde.

Etwas später fand er sich, von Heinrich begleitet, bei Thora ein. Der General blieb einige Augenblicke stehen und betrachtete sie, während eine Thräne der Rührung in seinem sonst so strengen Auge schimmerte.

»Verzeihen Sie, geehrte Frau, mein sonderbares Benehmen; aber Ihr Aeußeres erinnert mich zu lebhaft an das einzige Weib, welches ich geliebt – an Ihre Mutter,« sprach der General.

Thora ergriff seine Hand und sagte:

»O, was habe ich nicht Alles bei Ihnen abzubitten! – Ich, welche, ohne es zu wissen, Ihrer Tochter ihren Mann, und Ihnen – Ihre Tochter geraubt habe. Können Sie der Urheberin aller dieser Leiden verzeihen? Ich war nicht vorsätzlich eine Verbrecherin. Und wie schrecklich bin ich nicht bestraft worden!«

Thora vermochte nichts mehr zu sagen.

»Geehrte Frau, der einzige Schuldige war Axel; aber der ist jetzt todt

»Ja – gemordet! durch mich!« rief Thora mit einer Verzweiflung, welche zeigte, daß die Zeit es nicht vermocht hatte, den Schmerz zu mildern, welcher sie verzehrte. In Thoras Gesicht spiegelten sich Qualen ab, welche zu groß waren, als daß man sie mit Worten sollte beschreiben können.

»Armes Kind!« flüsterte der General und führte ihre Hände an seine Lippen.

Als es Thora nach Verlauf einiger Minuten gelungen war, sich zu beruhigen, fuhr sie fort:

»Herr General! während dieser letzten Jahre, die so traurig dahingeschwunden sind, habe ich mich nur mit der Vergangenheit beschäftigt, ohne damit ins Reine zu kommen; ich bin aber dagegen vollkommen überzeugt, daß Sie Licht über Manches verbreiten können, welches sowohl mich selbst, wie meine mir gänzlich unbekannte Mutter betrifft. Wollen Sie meinen Wunsch erfüllen und mir einige Mittheilungen über das Schicksal derselben machen?«

»Dieses Verlangen entspricht vollkommen meiner eigenen Absicht; weil ich dann Gelegenheit bekomme, zu erklären, wie ich, ein Fremder, mich in Ihre Familienverhältnisse habe mischen können,« erwiderte der General.

Der General setzte sich, und Heinrich machte Miene weg zu gehen, aber auf Thoras Verlangen blieb er.

Endlich begann der General:

»Wahrscheinlich wissen Sie, geehrte Frau, daß Ihr Großvater, der Kronenvogt Ahlrot, in seiner zweiten Ehe mehrere Kinder hatte?«

»Ja,« antwortete Thora, »Tante Alm und Onkel Anton waren Kinder aus der ersten Ehe.«

»Ihre Großmutter mütterlicherseits, eine strenge und unbeugsame Frau, hatte, soweit ich gehört, drei Töchter; ist das so?«

»Ja, man hat es mir gesagt und ebenso auch, daß sie, nach dem Tode meines Großvaters längere Zeit auf ihrem Hofe lebte, welcher zum Gute des Grafen Falkenhjelm gehörte, und daß sie dort ihre Töchter erzog.«

»Auch ich habe diese Nachrichten von dem Grafen, Ihrem Vater, eingeholt, obgleich erst in späteren Jahren. Den Namen ihrer Familie oder den Ort, wo sie erzogen worden war, nannte Ihre Mutter niemals. Eine Frage dürften Sie so gut sein, zu beantworten, bevor ich fortfahre: Wie haben die Majorin Alm und ihr Bruder ein so ansehnliches Vermögen besitzen können, da Ihr Großvater ein so unbedeutendes hinterließ?«

»Sie besaßen dasselbe von den Großeltern ihrer Mutter, welche nach dem Tode der Mutter ihre Enkel erzogen.«

»Und Sie wissen nichts von dem Schicksal Ihrer Mutter?«

»Nichts, Herr General. Man hat meine Fragen in dieser Hinsicht nie beantwortet.«

»Nun gut, dann fahre ich fort: Amalia, Ihre Mutter, war die jüngste von den drei Schwestern. Mit einer Schönheit begabt, deren bezaubernde Eigenschaft sich auf Sie verpflanzt hat, hatte die Natur sie auch mit einem glühenden Herzen und einer lebhaften Phantasie ausgerüstet, welches bewirkte, daß das fast klösterliche und gar zu regelmäßige Leben, das die Mutter zum Prinzip bei der Erziehung der Mädchen gemacht hatte, Amalia als eine drückende Sklaverei vorkam. Die anhaltende Arbeitsamkeit, welche zum Gesetze im Haus geworden war und niemals durch etwas anderes, als durch Andachtsübungen unterbrochen wurde, schien Amalias lebhafter Seele einer Tortur zu gleichen. Diese freudenleere Lebensweise erregte ihren Abscheu und machte, daß sie die Heimat als den unerträglichsten Ort auf der Erde betrachtete. Sie sehnte sich fort, wie der gefangene Vogel nach der Freiheit. So erreichte sie ihr siebzehntes Jahr, als die Hochzeit der Majorin Alm Anlaß zu einer Reise nach der Hauptstadt gab, wo dieselbe gefeiert werden sollte. Unbeschreiblich glücklich reiste Amalia mit ihrer Mutter und ihren Schwestern von Ystad mit dem Dampfschiff nach Stockholm ab. – Als die andern während der Reise seekrank wurden, hielt Amalia sich allein auf dem Deck auf, weil der Qualm in dem Salon ihr lästig war. Der Kapitän an Bord, ein alter Bekannter von ihrer Mutter, stellte Amalia dem jungen Grafen Falkenhjelm vor, welcher ein Sohn des Eigenthümers von Ljungstad war, unter dessen Herrschaft der Pachthof ihrer Mutter gehörte. Der Graf war liebenswürdig und hübsch, und so unschuldig Amalia auch war, so sah sie doch bald ein, daß ihr Aeußeres auf ihn Eindruck machte. Auf der Reise macht man leicht Bekanntschaften und bald unterhielten sich die beiden jungen Leute, als wenn sie sich schon lange gekannt hätten.

»Bei der Ankunft in Stockholm wußte sie in Folge dessen, daß der Graf sich nur einige Wochen dort aufhalten und dann nach Ljungstad reisen würde; sowie auch, daß er jetzt von einer Reise nach dem Continent zurückkehrte u. s. w. Während die Familie sich in der Hauptstadt aufhielt, traf Amalia auch einigemal mit ihrem Reisegefährten zusammen. Nach der Hochzeit schlug die verheiratete Halbschwester vor, Amalia bei sich zu behalten, was die Mutter zugab; aber zu Aller Ueberraschung erklärte das Mädchen, nach Hause zurückkehren zu wollen. Genug, sie reiste und ihre ältere Schwester blieb. Der Sommer ging vorüber; zwischen Amalia und dem jungen Grafen, welcher sich jetzt auf Ljungstad aufhielt und sich mehrmals Gelegenheit verschafft hatte, mit ihr zusammen zu kommen, entwickelte sich eine heftige Liebe. Die Schwester des Grafen, eine verheiratete Gräfin Oernhjelm, welche sich auch auf dem Lande bei den Eltern aufhielt, entdeckte die Verbindung der jungen Leute und theilte sie dem alten Grafen mit. – Es fand eine Erklärung zwischen Vater und Sohn statt, wobei der Letztere unvorsichtig genug äußerte, daß er beabsichtige, sich mit Amalia zu verheiraten. Es wäre beinahe zu einem Auftritt gekommen, als die Gräfin Oernhjelm dazwischen trat und dem Vater versprach, sich der Sache anzunehmen. Es vergingen einige Wochen. Die Liebenden sahen einander seltener. – Endlich gelang es der Gräfin Oernhjelm, den Bruder zu einer Reise nach der Hauptstadt zu bewegen, damit sie während der Zeit die Einwilligung des Vaters zur Verbindung mit Amalia auswirken könnte. Der Bruder ging vollständig in die Schlinge und – reiste. Jetzt wandle sich die Gräfin direkt an Amalia und spiegelte ihr vor, daß, wenn sie die Gräfin auf eine Reise ins Ausland begleitete, welche auf den Herbst bestimmt war und ein Jahr dauern sollte, so würde es nachher leichter sein, den stolzen Vater zu seiner Einwilligung zu bewegen. Viel zu jung und zu verliebt, um Mißtrauen zu der Schwester von ihm hegen zu können, welcher ihr Herz besaß, nahm Amalia den Vorschlag mit Entzücken an. Die Gräfin besuchte auch ihre Mutter, aber ohne ein Wort von der Liebe der Amalia und des Bruders zu sprechen, schlug sie ihr bloß vor, die Tochter auf eine Reise ins Ausland mitnehmen zu dürfen; aber die strenge und um ihr Kind besorgte Mutter verweigerte dieses auf das Bestimmteste. Der Kummer Amaliens war grenzenlos; alle die hübschen Luftschlösser, welche sie gebaut, stürzten zusammen vor der Unbeweglichkeit ihrer Mutter. Die vornehme Familie, die ein zu großes Interesse daran hatte, sie aus dem Wege zu schassen, machte sich dann einer wirklich niederen Handlung schuldig. Man brachte die Tochter auf den Gedanken, ohne Erlaubniß ihrer Mutter ihre Heimat zu verlassen. Drei Wochen darauf reiste Gräfin Oernhjelm mit ihrem Manne ab und an demselben Tage verschwand auch Amalia. Sie hinterließ jedoch einen Brief an die Mutter, in welchem sie um Verzeihung für den Schritt bat, den sie gethan, und erwähnte auch, wohin und mit wem sie reiste; dabei flehte sie um einige Worte, als einen Beweis, daß die Mutter ihr nicht gar zu sehr zürne.

»Graf Oernhjelm, welcher in irgend einer speciellen Mission nach Baiern reiste, nahm den Weg direkt nach München. Dort angekommen, erhielt Amalia einen Brief von ihrer Mutter, welchem ein anderer an die Gräfin beigeschlossen war. Dieser Brief befand sich unter Amaliens Papieren. Hier folgt der Inhalt desselben:

 

»Ein Kind, welches – wie du – aus seinem elterlichen Hause flieht, hat dadurch sein Recht auf dasselbe verwirkt. Du hast es ohne meine Erlaubniß aus freien Stücken verlassen, nachdem du durch einen Liebeshandel deine Ehre befleckt hast. Nun gut, trage jetzt auch allein die Folgen davon. Kehre niemals mehr zu mir zurück; denn ich erkenne dich nicht mehr an, und werde nicht einmal erlauben, daß dein Name in meiner Gegenwart von deinen Geschwistern genannt wird. Hoffe nicht auf Verzeihung; du kannst sie niemals erhalten. Habe darum selbst Ehre genug in deiner Brust, um nicht unsern ehrlichen Namen dadurch zu erniedrigen, daß du denselben trägst und lasse auch nicht ein Wort aus deinem Munde kommen, welches andeutet, daß du mir das Leben zu danken hast; ich werde es nie zugeben. Du bist und bleibst todt, für mich sowohl wie für deine Geschwister und ich verlange, daß du auch uns als todt für dich betrachtest.

»Dein Verführer, der junge Graf, ist hier gewesen, um von mir zu erfahren, wohin sein Opfer den Weg genommen; aber ich habe seinen Eltern, welche dadurch, daß sie dich fortgeschafft und auf diese Weise die Folgen deines Fehltritts verborgen, mir eine offene Schande erspart haben, versprochen, es ewig zu verschweigen, wo du dich befindest.

»Irgend einer Unterstützung von mir oder einer Erbschaft nach meinem Tode bedarfst du nicht, denn deine Schande hat dir ja eine solche von seiner Familie verschafft.

Agatha A–.

» P. S. Schreibe mir nicht; du gewinnst dadurch nichts, da sowohl ich wie deine Geschwister deine Briefe unerbrochen zurückschicken.«

 

»Sie sehen hieraus, geehrte Frau, welche Farbe die Eltern des Grafen der unschuldigen Liebe des Sohnes und Amalias gegeben. Durch jene abscheuliche Erfindung gelang es ihnen, sich selbst zu entschuldigen und ihren Handlungen einen Schein von Edelmuth zu verleihen.

» Der aristokratische Egoismus ist furchtbar; denn für ihn gibt es nichts, was zu heilig – und nichts, was niedrig genug wäre!

»Die Verzweiflung der armen Tochter zu schildern, als sie den fast grausamen Brief der Mutter las, wäre vergebens. Sie hatte sich durch eine Vorspiegelung blenden lassen, deren ganze Unzuverlässigkeit sie erst jetzt einsah; denn die Gräfin Oernhjelm hatte ihr Benehmen gegen sie gänzlich verändert. Nachdem sie weit genug entfernt waren, um es wagen zu können, erklärte die Gräfin, daß eine Verbindung zwischen dem Bruder und Amalia gänzlich unmöglich sei, sowie auch, daß man sie nur mitgenommen hätte, um einem solchen Skandal vorzubeugen u. s. w. Nebenbei ließ die Gräfin alle ihre Handlungen streng bewachen und ausspioniren, so daß Amalia ohne ihr Wissen nicht das Allergeringste unternehmen konnte. Indessen hielten sie die Hoffnung und der Glaube an ihn, den sie so innig liebte, noch aufrecht. In vollem Vertrauen, daß der junge Graf endlich ihr zu Hilfe kommen würde, wenn er nur erführe, wo sie sei, schrieb sie heimlich einen Brief an ihn; aber dieser wurde wahrscheinlich von der Gräfin aufgefangen, denn derselbe kam ihm nie zu und Amalia wurde seit der Zeit noch genauer bewacht. – Aus Achtung vor dem Willen der Mutter ließ Amalia sich von der Zeit an Ahl nennen und nahm nie mehr den Namen der Familie an. Als Mamsell Ahl lernte ich sie auch kennen.«

Der General hielt einen Augenblick inne.

»Ich war zu jener Zeit Adjutant des Thronfolgers und kam in dieser Eigenschaft oft in Berührung mit der Oernhjelmschen Familie, wo ich jenes schöne, aber so tief betrübte Mädchen sah und lieben lernte, welches als Gesellschaftsdame und Vorleserin bei der Gräfin in Diensten stand.

»Etwas über ein Jahr war verflossen. Eines Tages kam von Schweden die Nachricht von der Heirat des jungen Grafen Falkenhjelm mit einem reichen, hochadeligen Fräulein. Die Gräfin ließ dann Amalia zu sich rufen und theilte ihr ohne alle Vorbereitung mit, daß der Bruder jetzt verheiratet sei; sie fügte ferner hinzu, daß sie ihr eine jährliche Pension ausgeworfen habe und daß es von Amalia selbst abhänge, ob sie in Baiern bleiben oder nach Schweden zurückkehren wolle; daß aber die Gräfin wünschte, daß sie je eher je lieber ihr Haus verließe. Der Schlag traf das arme Mädchen so schonungslos, daß sie leblos zu Boden stürzte. Als Amalia wieder zur vollen Besinnung erwachte, lag sie allein in ihrem Zimmer auf einem Sopha. Gänzlich zerschmettert von Schmerz bei dem Gedanken an die Treulosigkeit, deren Opfer sie geworden, und daß sie auch von ihm verrathen worden sei, den sie so innig liebte, wurde Amalias Herz von Verzweiflung ergriffen. Verlassen und verstoßen von allen, blieb ihr nichts übrig als der Tod. Sie wollte fort aus diesem Hause, aus dieser Welt, wo sie bereits so viel gelitten, und beschloß, ihrem Dasein ein Ende zu machen. Ohne sich zu besinnen, eilte sie auf die Strafe und lenkte ihre Schritte nach dem Isarfluß.

»Um dieselbe Zeit promenirte ich mit dem Regierungsrath Heyse längs dem Ufer des Flusses, als wir plötzlich ein Weib nach demselben hinuntereilen sahen. Heyse stand nächst dem Rande, als sie, ohne auf ihn Acht zu geben, vorübereilte.

»Es gelang ihm gerade in dem Augenblick, seine Arme um ihren Leib zu schlingen, als sie sich in das Wasser stürzen wollte. Nach einem fast rasenden Kampfe von ihrer Seite, um sich loszureißen, bekam sie Krämpfe, die mit einer Ohnmacht schlossen, worauf wir sie nach Heyses Wohnung am Isarthore brachten.

»Ach! geehrte Frau, dieß ist nur ein kleiner Tropfen aus dem bitteren Kelche, welchen Amalia zu leeren verurtheilt war. Aber bevor ich weiter gehe, muß ich über einige von meinen eigenen Familienverhältnissen Rechenschaft ablegen, weil sie nachher mit den Ihrigen in Berührung kommen. Ich bin aus einer alten adeligen, aber armen Familie in Baiern. Wir waren zwei Kinder, Leona und ich. Leona wurde mit einem jüngeren Bruder des Regierungsraths Heyse verheiratet, welcher Kapitän in einem Husarenregiment war und nur ein mittelmäßiges Vermögen besaß. Der Regierungsrath war dagegen als ältester Sohn sehr reich.

»Leona hatte nur ein Kind, einen Sohn von vier bis fünf Jahren, welchen ein reicher Schwager, der unverheiratet war, zu seinem Universalerben ausersehen hatte. Ich war auch verheiratet, aber mit einem Mädchen, das einem der reichsten und mächtigsten Häuser Baierns angehörte. Vor mir lag eine ruhmvolle Laufbahn, Königsgunst und Auszeichnung. Ich kehre jetzt zu Amalia zurück.

»Als wir sie in Heyses Wohnung geschafft hatten, entdeckte ich, daß es die schwedische Gesellschaftsdame der Gräfin sei und theilte es Heyse mit. Bei ihrem Wiedererwachen phantasirte sie und legte dabei ein wahrhaftes Entsetzen vor der Gräfin an den Tag. Alle Mittel, sie zu beruhigen und zur Vernunft zurückzubringen, waren vergebens. Sie erkrankte an einem heftigen Nervenfieber. Ich schlug vor, daß man sie zu Oernhjelms zurückbringen sollte, aber Heyse wollte nichts davon hören, weil sie einen solchen Abscheu vor ihnen zeigte, sondern gab zur Antwort: Wenn Amalie gesund geworden, sollte sie die Gräfin besuchen, aber bis dahin bliebe sie unter seinem Schutz. Tage und Wochen vergingen, während Leben und Tod um das junge Mädchen kämpften: aber das Leben siegte und sie wurde nach und nach gesund. Man hätte jetzt mit ihr davon sprechen können, zur Gräfin zurückzukehren; aber es war zu spät, denn Oernhjelms hatten bereits München verlassen.

»Sechs Monate darauf war Amalia mit dem Regierungsrath verheiratet.«

Bei diesen Worten fuhr der General mit der Hand über die Stirne.

»Heyse, ein Mann von empfindlichem und mißtrauischem Gemüth, aber von einem treuen und edlen Charakter, liebte seine junge, schöne Frau mit der glühenden Leidenschaft eines Jünglings, und Amalia schien, während der zwei ersten Jahre ihrer Ehe, Trost und Ersatz für ihre Leiden gefunden zu haben. Doch entfiel ihr nie ein Wort über den Namen oder die gesellschaftliche Stellung ihrer Verwandten, ausgenommen gegen ihren Mann, dem sie treulich eine vollständige Schilderung ihres vergangenen Lebens gegeben hatte. Sie war und blieb für alle, ausgenommen für ihn, Amalia Ahl. Ich führe dieses an, um die Schwierigkeiten zu erklären, mit welchen ich bei den Nachforschungen zu kämpfen hatte, die ich später anzustellen genöthigt war. Nach zweijähriger Ehe gebar Amalia einen Sohn, er starb aber kurz nach der Geburt. Der Kummer über diesen unvermutheten Verlust griff ihre Gesundheit an. Die Aerzte riethen Heyse, daß sie sich einer Gräfenberger Kur unterwerfen sollte, und sie reisten beide dorthin, von meiner Schwester Leona begleitet. Ein unglücklicher Zufall wollte, daß Amalia dort mit dem Grafen Falkenhjelm zusammentraf, welcher mit seiner jungen Frau ebenfalls die Bäder benutzte. Die fast erloschene Flamme loderte wieder bei beiden auf, und es kam zu einer Erklärung, welche nur Oel ins Feuer goß. Obgleich dabei Keines von ihnen sich eines andern Fehlers schuldig machte, als desjenigen der Untreue des Herzens, so wurde doch Heyses Eifersucht rege gemacht, und er reiste plötzlich mit Amalia nach München ab. Die Harmonie zwischen den Gatten war jetzt gestört. Er litt an der Eifersucht, und sie an einer unglücklichen Liebe. Leona, welche von einem fast leidenschaftlichen Eigennutz beherrscht wurde, hatte mit heimlichem Abscheu den reichen Schwager eine Ehe schließen sehen, welche ihren Sohn um die Erbschaft brachte, auf welche sie für ihn gerechnet; sie weckte zuerst die Eifersucht in Heyses Herz und fachte dieselbe mit einer infernalischen Geschicklichkeit an, ohne daß eine der beiden Parteien es ahnte. Die Folge war, daß Heyse Amalia ungerecht und mit Härte behandelte. Alles, was ich that, um ihn zu beruhigen, und die Schuldlosigkeit Amalias zu beweisen, scheiterte an den geheimen Intriguen Leonas. Ich sprach Amalia selbst, und sie versicherte mich unter Thränen, daß sie zwar den Grafen liebe und es ihm auch gestanden habe; daß aber nie einen Augenblick ein Gedanke an Betrug gegen diesen Mann, dem sie so viel Dankbarkeit schuldig sei, in ihrer Seele erwacht sei. Ach, gnädige Frau, wenn je die Züge eines Menschen das Gepräge der Wahrheit trugen, so war es bei ihr in dem Augenblicke der Fall, wo sie diese Versicherung gab. Ich, welcher auch in meinem Innersten eine thörichte Liebe für sie nährte, ich hatte nicht weniger als der Mann von den Qualen der Eifersucht gelitten. Sobald ich sie aber sah und hörte, da war es unmöglich, an ihren Worten zu zweifeln. Nach dieser Unterredung gelang es mir, Heyse zu bewegen, gegen Amalia selbst alle seine Zweifel auszusprechen, und das Verhältniß wurde dadurch etwas besser. Es sah jetzt aus, als wenn wieder fröhliche Tage für sie beginnen, ja ihnen entgegenlächeln sollten; aber es war eine Ruhe, welche Sturm verkündete.

»Als Heyse eines Tages seinen Bruder besuchte, und Amalia zu Hause geblieben war, ließ Gras Falkenhjelm sich anmelden. Amalia antwortete, daß sie den Grafen nicht empfangen könnte; aber es war zu spät, denn er war gleich nach dem Bedienten eingetreten, ohne die Erlaubniß abzuwarten. Sie werden späterhin erfahren, durch welche teuflische Intrigue die Anwesenheit des Grafen in München veranlaßt worden war. Während der Graf gegen den Willen Amalias zu ihr hineindrang, unterhielten ich und Heyse uns mit Leona. Plötzlich bemerkte sie:

»Weiß Jemand von Ihnen, daß Graf Falkenhjelm seit einer Woche sich hier aufhält?«

»Heyse wurde unnatürlich bleich und erhob sich von seinem Platz. Ich konnte nur mit Mühe ein Nein herausbringen.

»›Das wäre sonderbar,‹ fuhr Leona fort; ›er ging eben vorüber und bog in die Theatinerstraße ein.‹

Zur Aufklärung muß erwähnt werden, daß Heyse seit seiner Heirat in der genannten Straße wohnte.

Alle Furien des Verdachts erwachten mit voller Raserei in Heyses und, warum es verbergen, auch in meiner Seele. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er seinen Hut und entfernte sich. Ich wurde durch die Anwesenheit meiner Frau zurückgehalten. Als Heyse zu Amalia hineintrat, fand er den Grafen auf den Knieen zu ihren Füßen. Alle ihre Schwüre und Versicherungen von ihrer Unschuld dienten jetzt zu nichts; er glaubte bestimmt, daß sie schuldig sei, daß sie von dem Aufenthalt des Grafen in München gewußt und schon früher mit ihm zusammengetroffen sei. Der Graf reiste und Amalia blieb zurück, um Buße zu thun für die Gefühle ihres Herzens.

Einige Zeit darauf entdeckte die Unglückliche, daß sie Mutter werden würde. Obgleich vollkommen schuldlos, wurde sie doch von ihrem Manne auf eine entsetzliche Weise verkannt. Er wollte das Kind, welches sie gebären sollte, nicht für das seinige anerkennen.

Leona heuchelte mit der beispiellosesten Falschheit die wärmste Theilnahme für Amalia, und die größte Anhänglichkeit für ihren Schwager; sie wurde deßhalb von Beiden als eine Freundin empfangen, in deren Schoß sie ihre Sorgen niederlegten. Absichtlich und ohne daß Heyse es merkte, vertheidigte sie Amalia auf eine solche Weise, daß sein Verdacht sich in eine bestimmte Ueberzeugung von der Strafbarkeit seiner Frau verwandelte. Inzwischen ermunterte und tröstete sie Amalia. Eines Tages nach einem bitteren Auftritt der beiden Gatten kam meine Schwester bei ihnen an. Heyse ließ Leona mit Amalia allein. Etwas später meldete ihnen ein Bedienter, daß der Regierungsrath einen schweren Anfall von seinem Krampfhusten bekommen hätte. Sie eilten beide zu ihm hinein. Mit Mühe konnte er von seiner Frau die Tropfen verlangen, welche er bei dergleichen Gelegenheiten zu nehmen pflegte. Sie holte sie vorher und befahl dem Bedienten, nach einem Löffel zu gehen. Während Amalia wartete, setzte sie die Flasche weg, ging hin zu Hehse, ergriff seine Hände und führte sie mit den Worten an ihre Lippen:

›O! glaube mir, wenn ich dich bei Gott versichere, daß ich gänzlich unschuldig bin.‹

Gerade als sie diese Worte aussprach, kam der Bediente wieder zurück und hörte dieselben. Amalia beeilte sich, die Tropfen abzuzählen, gab aber nicht darauf Acht, daß die Flasche vertauscht worden war. Während sie damit beschäftigt war, trat Heyses Privatsekretär Kaspar Stolz ein; er sowohl wie der Bediente und Leona sahen sie ihrem Manne von den Tropfen geben. Zwei Stunden darauf war Heyse todt. Er starb an Gift. Am Tage daraus war Amalia als seine Mörderin angeklagt. Man öffnete die Leiche und fand den Verdacht bestätigt. Man stellte eine Nachsuchung im Hause an und fand dabei in Amalias Chiffonniere eine Flasche, welche ein raschtödtendes Gift enthielt. Das unglückliche Weib wurde verhaftet.«

Der General schwieg, Heinrich war vor Entsetzen stumm, und Thora weinte.

»Ich habe niemals,« fuhr er fort, »jenen Augenblick vergessen können, wo sie als Gefangene aus ihrem Hause gebracht wurde. Verzweifelt rief sie mir zu: Tristan! verlaß mich nicht, ich bin unschuldig! Ach, gnädige Frau! ich selbst war fast wahnsinnig vor Schmerz, und doch glaubte ich, daß sie die Ursache von Heyses Tod sei. Im Gefängniß eingeschlossen, wartete sie den Ausgang der Gerichtsverhandlungen und ihre Niederkunft ab. Man machte Alles zur Anklage gegen Amalia, ja sogar ihre letzte Versicherung gegen ihren Mann von ihrer Unschuld. Meine Schwester und mein Schwager verfolgten den Prozeß mit fanatischem Eifer, das noch ungeborne Kind wurde von ihnen als eine Frucht ihrer Untreue erklärt, welches auch der Verstorbene nie als das seinige habe anerkennen wollen. Man häufte einen Skandal auf den andern, um es wahrscheinlich zu machen und den Beweis zu liefern, daß Amalia, aus Furcht vor ihrem und des Kindes künftigem Schicksal, sich den Mann vom Halse geschafft. Auch Kaspar bezeugte, daß Heyse Amalia und ihren Liebhaber überrascht habe. Es würde für mich unmöglich sein, all die Niederträchtigkeit wieder zu erzählen, welche bei dieser Gelegenheit angewendet wurde. Diese eifrige Verfolgung erregte bei mir Zweifel daran, daß Amalia wirklich schuldig sei, und ich besuchte sie darum kurz vor ihrer Niederkunft im Gefängniß. Die Unterhaltung, welche ich mit ihr hatte, überzeugte mich vollkommen, daß sie unschuldig sei, aber leider gab es nichts, womit man das juridisch beweisen konnte. Sie gab zu, daß keine andere als sie selbst die Flasche in der Hand gehabt, durch deren Inhalt ihr Mann den Tod erlitten, sowie auch, daß dieselbe sich später in ihrer Chiffonniere versteckt vorgefunden habe; obgleich sie sich es nicht erklären konnte, auf welche Weise sie dorthin gekommen sei. – Ihre Freisprechung von dem Gesetze zu erlangen, war und blieb eine Unmöglichkeit; das sah ich ein. Ich machte deßhalb nur den Vorschlag, daß ich ihr Kind, wenn es zur Welt käme, zu mir nehmen und erziehen wollte; aber mit edler Festigkeit schlug sie mein Anerbieten aus und sagte:

›Nein, Tristan, dieses Kind, dessen Geburt man durch eine doppelte Schande hat brandmarken wollen, werde ich nie, so lange mein Herz schlägt, von mir lassen. Der Verlust desselben würde mir die Kraft rauben, mein unglückliches Schicksal zu ertragen; aber wenn ich zum Tode verurtheilt werde, dann seien Sie Vater für ein armes, verlassenes Kind‹

»Ich ging von Amalia fort, das Herz von den peinigendsten Qualen erfüllt, und lenkte meine Schritte zu meiner Schwester. Leona hatte am Tage vorher eine Tochter bekommen. Da sie noch sehr schwach war, besuchte ich nur ihre Kinder, deren Zimmer sich im untern Stockwerk befanden. In traurige Gedanken versunken, setzte ich mich an die Wiege des kleinen Neugeborenen, als Axel, Leonas Sohn, zu mir herkam, und mit der Naivität eines siebenjährigen Verstandes sagte:

›Weißt du was, Onkel? jetzt bekomm ich Onkel Heyses ganzes Geld‹ –

Es schauderte mich unwillkürlich bei diesen Worten: ich hob aber den Jungen auf meine Kniee und fragte:

›Wer hat dir das gesagt?‹

›Mama,‹ antwortete der Junge. ›Sie sagte neulich, als sie mich küßte: jetzt wirst du sehr reich, mein Junge. Ich fragte, was das sei; dann sagte Mama, daß ich alles, alles Geld des Onkels bekommen würde. Denke dir den Spaß, wenn ich den Fußboden ganz damit belegen und auf lauter hübschen Goldstücken tanzen darf?‹ Dabei klatschte der Junge in die Hände.

Ich setzte ihn von mir mit wirklichem Entsetzen; denn ich hatte bereits einen schrecklichen Verdacht und den Beschluß gefaßt, mich an diesem abscheulichen Eigennutz zu rächen. Am Tage darauf gebar Amalia eine Tochter, und Leonas kleines Mädchen war verschwunden.«

Der General lehnte sich zurück in den Stuhl und athmete schwer.

»An demselben Tage, an welchem Amalias Tochter das Licht erblickte, kam auch meine Frau mit einem Kinde nieder, welches einige Stunden darauf starb. Ich ließ jetzt das kleine Mädchen der Ersteren den Platz des todten Kindes einnehmen, ohne daß Jemand, außer meiner Amme, es wußte. Aber, damit es gelänge, ohne zu gleicher Zeit die bereits hinreichend unglückliche Amalia gänzlich zu vernichten, mußte die Tochter meiner Schwester die Stelle des geraubten Kindes einnehmen …«

»General,« rief Thora entsetzt, »Ihre Tochter war also meine Schwester!«

»Ja,« antwortete der General.

»O mein Gott!« schluchzte Thora, und verbarg das Gesicht in ihren Händen.

»Ach, gnädige Frau, ich glaubte gerecht gehandelt zu haben, vergaß aber dabei, daß es dem Menschen immer mißlingt, wenn er sich die Rollen der Vorsehung anmaßen will. Ich rief durch diese meine Handlung nur Ereignisse hervor, welche keine menschliche Voraussicht vorher hätte berechnen können.

Leona und mein Schwager, welche beide aus schmutzigem Geize mit so großer Feindseligkeit Amalia verfolgten, um für ihre Kinder ein Vermögen zu rauben, welches dem der letzteren gehörte, wurden jetzt von der Strafe getroffen, eines der ihrigen verlieren zu müssen; ein Verlust, der um so entsetzlicher war, weil sie nicht das Schicksal desselben kannten. Ich hoffte durch diesen Kummer sie zum Nachdenken darüber zu bewegen, wie schlecht sie gegen Amalia und ihr Kind gehandelt hätten; aber eine solche Hoffnung war ein thörichter Irrthum und zeigte nur, daß ich nicht die niedrige und elende Leidenschaft in Anschlag gebracht, welche sie beherrschte. Ich selbst hatte das tief in seinen Rechten gekränkte Kind in ein Vermögen und eine Stellung eingesetzt, welche weit diejenige übertraf, welche man ihm geraubt.

Einige Wochen darauf starb meine Frau, und nach ihrem Tode wurde Amalias Tochter die einzige Erbin eines fürstlichen Vermögens, welches, weil es ein Fideikommiß war, auf ihr ältestes Kind überging. Meine Schwester und mein Schwager waren in tiefe Trauer versunken, als alle ihre Nachforschungen sich als erfolglos erwiesen; das Mädchen war und blieb fort. Endlich fiel nach Verlauf eines Jahres das Urtheil über Amalia.«

Der General schauderte zusammen.

»Sie wurde verurtheilt, das Leben zu verlieren, und ihr Kind, als ein uneheliches, aller Erbschaft von Heyse für verlustig erklärt …«

Der General hielt inne, und ein trauriges Schweigen trat ein.

»Am Tage darauf,« fuhr der General fort, »waren sowohl Amalia wie ihr Kind aus dem Gefängnisse verschwunden, ohne daß ich oder sonst Jemand wußte, wohin. Wer ihr zu der Flucht behilflich war, sollte ich erst zwanzig Jahre darauf erfahren.

Die Jahre schwanden mir nachher dahin ohne irgend eine andere Unterbrechung, als diejenige, welche Avancements und Auszeichnungen mir schenkten, während mein Inneres von Kummer zerfleischt wurde; denn ich beweinte das Weib, welches mein Herz so hoch liebte, und auch das Kind, welches ich eigenmächtig aus den Armen meiner Schwester gerissen und in die Welt hinausgeworfen, einer ungewissen, und vielleicht unglücklichen Zukunft entgegen sehend.

Alle meine zärtlichen Gefühle concentrirten sich in einer grenzenlosen Anhänglichkeit an die von mir angenommene Tochter. Vier Jahre nach der Flucht Amalias starb mein Schwager, und gleich nach ihm Kaspar Stolz, welcher in der Anklageverhandlung gegen Amalia die Hauptrolle gespielt hatte. Er nahm sich, wie man damals glaubte, selbst das Leben durch Gift. Leona machte kurz darauf eine unvermuthete, und für mich unerklärliche Reise nach Schweden. Ihren Sohn, Axel, einen lebhaften, hübschen und vielversprechenden Jungen, nahm ich während der Abwesenheit der Mutter in mein Haus. Die Vorliebe, welche ich immer für ihn gehegt, erhielt jetzt eine bestimmte Richtung, und ich wünschte für die Zukunft eine Verbindung zwischen ihm und Laura, der Tochter Amaliens. Ach, gnädige Frau, zum Zweitenmale wollte ich den Gang der Ereignisse lenken, und über das Schicksal Anderer entscheiden; aber auch dafür sollte ich grausam bestraft werden. Ich meinte damals, daß ich auf eine ganz vollkommene Weise das Unrecht gegen Amaliens und Heyses Tochter wieder gut gemacht hatte; denn sie kam dadurch sowohl in den Besitz des Namens, wie auch des Vermögens des Vaters. Axels kindische Laune und Charakter hatte ich leider zu wenig Zeit zu studieren, weil mein Dienst als militärischer Befehlshaber mir nur wenige Augenblicke für das Familienleben übrig ließ.

Einige Monate nach Leonas Abreise erkrankte Axel an einem heftigen Fieber; die Nachricht davon bewog die Mutter schleunigst zurückzukehren, da sie in der ganzen Welt nie Jemanden geliebt hatte, als sich selbst und ihr Kind. Die Zeit verfloß, die Kinder wuchsen aus zur Mannbarkeit, und ich sah mit Befriedigung eine zärtliche Neigung sich zwischen denselben entwickeln, welche meine Pläne zu begünstigen versprach. Bei Laura mit ihrem warmen und glühenden Herzen wurde diese Neigung zu einer durch das ganze Leben gehenden Leidenschaft; bei Axel dagegen war sie schon damals eine Rolle, die aus Ehrgeiz und Eigennutz gespielt wurde. Das sind Zweifel, welche ich nicht zu lösen vermag. Meine Schwester fiel einige Zeit nach der Verlobung in eine langsame und zehrende Krankheit, welche schuld daran war, daß die Heirat um ein paar Jahre aufgeschoben wurde, um ihre Wiederherstellung abzuwarten; als aber die Aussichten dazu immer schwächer wurden, so überredete sie mich, die Hochzeit-stattfinden zu lassen. Am Tage vor derselben ging ich zu Leona, um einige Angelegenheiten mit ihr zu besprechen, welche auf die bevorstehende Feier Bezug hatten. Als ich aber in das Schlafzimmer hineintreten wollte, sagte mir die Kammerjungfrau, daß die gnädige Frau befohlen habe, Niemanden hineinzulassen. Ich schob das Mädchen beiseite, weil ich meinte, daß das Verbot mir nicht gelte, und lenkte meine Schritte durch ein größeres Gemach, aus dem man in Leonas Zimmer gelangte. Der Schall von meinen Tritten erstarb auf den weichen Teppichen. Bei den heruntergelassenen Thürvorhängen angekommen, streckte ich bereits die Hand aus, um sie in die Höhe zu heben, als die Stimme meiner Schwester, welche Amaliens Namen aussprach, mich veranlaßte, dieselbe zurückzuziehen und unbeweglich stehen zu bleiben. Welche gräßliche Entdeckung sollte ich jetzt nicht machen!«

Der General schwieg; seine Brust bewegte sich unruhig. Nach einer Weile fuhr er wieder fort:

»Meine Schwester legte vor ihrem Sohne eine grauenhafte Beichte ab; der Inhalt derselben war folgender: durch Heyses Heirat mit Amalia hatte Leona, welche in ihrer eigennützigen Berechnung getäuscht wurde, einen unauslöschlichen Haß gegen die gefaßt, welche ihr alle Aussicht auf die Erbschaft ihres Schwagers geraubt hatte. Sie schwur, daß sie nicht eher ruhen würde, bevor sie dieselbe wieder für ihren Sohn zurückgewonnen hätte. Als Amalia ihr erstes Kind gebar, war es Leona, die es durch Gift aus dem Wege räumte. Als Heyses Familie, von Leona begleitet, nach Gräfenberg reiste und dort mit Graf Falkenhjelm zusammentraf, war sie es, welche die Liebe des Grafen und der Amalia ausspionirte und Heyse entdeckte, sowie auch derselben einen verbrecherischen Anstrich gab, obwohl sie recht wohl wußte, daß Amalia ihre Treue unbefleckt bewahrt hatte. Sie unterhielt und nährte Heyses ungerechten Verdacht. Um endlich das Verstoßen Amaliens bewirken zu können, schrieb sie einen anonymen Brief an Graf Falkenhjelm und schilderte darin mit empörenden Farben die Stellung Amaliens und die Grausamkeit, mit welcher Heyse sie angeblich behandelte. Sie schloß damit, den Grafen aufzufordern, zu Amaliens Rettung herbeizueilen. Von Unruhe und Angst getrieben, fand der Graf sich in München ein, um sich nach dem wahren Sachverhalt zu erkundigen, und trat darum gegen Amaliens Willen zu ihr hinein, als er gerade in dem Augenblick von Heyse überrascht wurde, wo er, von den verneinenden Antworten, die sie ihm gab, getrieben, sie aus seinen Knieen bat, einen harten und ungerechten Mann zu verlassen und mit ihm nach ihrem Vaterland zurückzukehren. Der Ausgang wurde indessen nicht so, wie Leona ihn berechnet; denn Heyse liebte Amalia zu hoch, um sie verstoßen zu können.

»Erbittert sah Leona ein, daß alle ihre Pläne in dieser Beziehung an Heyses Neigung scheitern würden, welche es ihm nicht erlaubte, seine Frau der allgemeinen Verachtung preiszugeben. Leona faßte darum den Entschluß, mit einem Schlage den Streit wegen der Erbschaft abzumachen, und diese der Amalia und ihrem ungeborenen Kinde auf eine andere Weise zu entreißen. Sie beschloß, eben Heyse zu vergiften und die Schuld auf Amalia zu wälzen … Heyses Privatsekretär, ein Mensch von elendem und geizigem Charakter, wurde unter der Vorspiegelung einer freigebigen Belohnung in diese niederträchtigen Intriguen gegen ein wehrloses Weib eingeweiht. Lange suchte sowohl Leona wie ihr Mitschuldiger nach einer günstigen Gelegenheit für die Ausführung ihrer That, als endlich das Ereigniß mit den Tropfen Leona eine solche verschaffte. Während Amalia mit ihrem Manne sprach, vertauschte Leona die Flasche, und machte dadurch die unschuldige Gattin zur Mörderin ihres Mannes …«

»O Gott! das war ja entsetzlich!« rief Thora und schauderte vor Grauen zusammen.

»Und diese Furie war – meine Schwester. – Die Folgen davon kennen wir. – Kaspar, welcher durch sein Zeugniß Amalie und ihr Kind gestürzt, hatte doch nicht den Muth, das arme Opfer hingerichtet zu sehen, sondern half ihr zu der Flucht, nachdem es ihm gelungen war, den Gefängnißwärter zu bestechen. Bevor aber Kaspar sich von ihr trennte, mußte sie schwören, daß sie niemals nach München zurückkehren, oder die Familie nennen würde, welche sie verfolgt hatte. Vier Jahre darauf theilte Kaspar in einem Anfall von Gewissensbissen alles dieses Leona mit. Mit seinem Tode besiegelte Leona ihre Sicherheit, und ließ ihn ihren übrigen Opfern folgen. Darauf reiste sie nach Schweden, um auch Amalia aus dem Wege zu räumen; aber mehr davon im Verlaufe der Erzählung. Dieß war der Inhalt des Bekenntnisses, welches sie, zitternd vor dem Gedanken an den nahe bevorstehenden Tag der Abrechnung, vor Axel ablegte. Sie wollte jetzt noch gut machen, was gut zu machen war. Axel sollte in Schweden Amalia und ihr Kind aufsuchen und ihnen etwas von dem geraubten Vermögen zurückgeben. Solcher Beschaffenheit war das Bekenntniß, welches ich, von dem Vorhange verborgen, mit anhörte. Daß ich jetzt unmöglich mehr Laura mit dem Sohne der Mörderin ihres Vaters verbinden konnte oder wollte, das kann Jeder leicht begreifen. Ich ging hinein zu Leona, die Seele von Grauen erfüllt, und sagte ihr, daß meine Tochter niemals Axels Gattin werden würde. Erschüttert und erbittert kehrte ich nach Hause zurück, und erfuhr dort, daß meine Schwiegereltern, Graf Schek, von ihren Gütern angelangt wären, um am Tage darauf der Hochzeit ihrer Enkelin beizuwohnen. Meine Lage war eine peinliche; aber mit einem unwiderruflichen Entschluß in der Seele grüßte ich sie und theilte ihnen nach einigen kurzen Vorbereitungen mit, daß die Verbindung zwischen Axel und Laura nicht stattfinden könne. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Laura aus einem benachbarten Zimmer hereinstürzte, in der heftigsten Verzweiflung zu meinen Füßen niederkniete und um Gnade für ihre Liebe bat; die Alten unterstützten sie hierin erst mit Bitten, und dann mit Drohungen und Befehlen; aber ich mußte unbeweglich sein und verließ sie alle in einer aufgeregten Gemüthsstimmung, um mich mit dem grauenhaften, noch in meinen Ohren klingenden Bekenntnisse in meinem Zimmer einzuschließen. Der Tag verging, ohne daß ich den Muth hatte, Laura wiederzusehen, oder irgend einen entscheidenden Schritt vorzunehmen. Die Nacht brach herein, ohne daß ich auch nur Ruhe suchte. Ungefähr um ein Uhr klopfte es an meine Thüre, ich öffnete, und mein Kammerdiener stand vor mir.

»›Was willst du?‹ fragte ich etwas rauh.

»›Herr General, Mamsell Agatha (Lauras Kammerjungfrau) führte um 10 Uhr Lieutenant Heyse hinauf auf das Zimmer des Fräuleins, und er ist noch nicht wieder herausgekommen; ich hielt es für meine Pflicht, dieses zu melden.‹

»Ich stürzte aus den Burschen los, faßte ihn am Kragen und rief:

»›Du lügst!‹

»›Der Herr General kann sich selbst von der Wahrheit überzeugen. Ich bin außerdem nicht der Einzige, der es gesehen hat; die Dienerschaft des gnädigen Grafen und die Thorwache können dasselbe bezeugen.‹

»Ohne ein Wort hinzuzufügen, nahm ich den Weg nach Lauras Zimmer durch dasjenige der Kammerjungfer. Freilich machte sie einen schwachen Versuch, mich daran zu hindern, aber ich riß die Thüre auf … Gnädige Frau, ich kam, um Zeuge des ersten Schurkenstreiches Axels, und des Falles des von ihrer Leidenschaft irregeleiteten Mädchens zu sein. Gott allein weiß, wozu mein rasender Zorn mich hätte verleiten können, wenn nicht meine Schwiegereltern auf die Angabe einiger ihrer Domestiken hin sich ebenfalls eingefunden hätten und den Schuldigen zu Hülfe gekommen wären. Nach einem Strome von Vorwürfen von Seiten der Alten, welche meinen halsstarrigen Entschluß, die Verbindung aufzuheben, als die Ursache von allem betrachteten, forderte Graf Schek, daß die Trauung am folgenden Tage stattfinden sollte. Laura lag zu meinen Füßen in Thränen gebadet, aber Axel stand vor mir, mit Trotz auf seiner Stirne und Keckheit im Blicke. Ich hatte keine Wahl mehr; denn ich sah zu gut ein, daß ein fortgesetztes Weigern nur die unrettbare Schande Lauras mit sich bringe. Endlich sprach ich mit heftiger Anstrengung:

»Nun gut, unglückliches Kind, mögest du ihn bekommen; aber bedenke, daß das Glück, welches du dir dadurch erzwungen, daß du deinen Vater gekränkt und rücksichtslos verletzt hast, niemals von Dauer sein kann. Und Sie, Axel, welcher mich durch eine niederträchtige Handlung haben besiegen wollen, Sie erregen in meiner Seele eine so tiefe Verachtung, daß ich Sie niemals als einen Verwandten betrachten kann oder will. Ich bin nicht mehr für Sie Lauras Vater, nicht mehr ein Bruder Ihrer Mutter; ich bin nur General Behrend, – und verbiete Ihnen mich als einen Verwandten in Anspruch zu nehmen, weil ich nichts davon wissen will, daß es in meiner Familie einen Mann gibt, der so ganz und gar ohne alle Ehre ist wie Sie.

»Die Hochzeit fand also gegen meinen Willen statt; aber keine Macht der Welt konnte mich bewegen, derselben beizuwohnen. Ich reiste von München fort und Graf Schek vertrat meine Stelle.

»Zwischen mir und Axel fand keine weitere Erklärung statt. Doch sah ich deutlich ein, daß die Intrigue in dem Kopfe meiner sterbenden Schwester entstanden war, um mir die Einwilligung zu der Heirat abzunöthigen, und dabei gab sie noch einmal ihrem grenzenlosen Eigennutz nach. Die Angabe meines Kammerdieners in der Nacht, – alles war eine wohlgelegte Schlinge, in welcher ich hängen bleiben mußte. Drei Monate darauf starb Leona, und ein Jahr später reiste Axel nach Schweden, um das Gelübde zu erfüllen, welches er der Mutter gegeben. Er war damals schon bedeutend kälter gegen seine Frau geworden.

»Auf dieser Reise und für ihren speciellen Zweck nahm er den Namen seiner Mutter an, weil er mit Grund befürchtete, daß es ihm unter seinem wirklichen Namen schwer fallen würde sich denjenigen zu nähern, welche er suchte.

»Nachdem ich Axels Charakter beobachtet, zweifelte ich an seiner Redlichkeit bei der Ausführung seines Auftrags, und ließ ihn durch seinen Bedienten Gotthard ausspioniren. Auf diese Weise erhielt ich Kenntniß davon, daß er ausschließlich mit seiner Neigung zu Ihnen, gnädige Frau, beschäftigt gewesen. Während er sich solchergestalt dem Rausche der Leidenschaft hingab, ohne an die Pflichten zu denken, welche er mit Füßen trat, stand Laura alle Qualen getäuschter Liebe aus, ohne von ihrem Manne eine einzige Zeile zu ihrem Troste zu erhalten. Oft kam sie und warf sich zu meinen Füßen, indem sie mich weinend anflehte, ihr den Verlorenen wieder zuzuführen, oder sie zu begleiten, damit sie ihn selbst aufsuche. Ach, meine gnädige Frau, ich war hart gegen das arme Kind; aber sie hatte ja auch meine Gefühle tief verletzt, indem sie durch ihre Schande mich zu einer Einwilligung gezwungen, welche ich verabscheute. Hätte Laura nicht ihr kleines, nur einige Monate altes Kind gehabt, so wäre sie sicherlich allein abgereist, um denjenigen wieder zu finden, der sie jetzt gänzlich vergessen hatte. – Endlich reiste ich selbst nach Schweden, weil ich von Gotthard wußte, daß Axel nichts weiter that, als sich seiner zügellosen Liebe hinzugeben. Ich kam nach Stockholm und bewog Axel, mir die Sache zu überlassen. Da er aber fortfuhr, sich hier aufzuhalten und Laura in ihren Briefen mich auf die allerrührendste Weise daran mahnte, ihn zu ihr zurückzuführen, so erwirkte ich im Herbste einen Befehl von der Regierung, welcher ihn innerhalb einer bestimmten Zeit nach München zurückrief. Dieser Befehl schien mir um so nothwendiger, als Axel sich alle Mühe gab, es zu verbergen, daß er verheiratet sei; welches bewies, daß er nicht ehrlich gegen die Familie handelte, die ihn so gastfrei aufgenommen hatte.

»Als Axel mir den Auftrag betreffs Amalia überließ, folgten einige Aktenstücke und Aufzeichnungen mit, welche jene während ihrer Gefangenschaft gemacht, und die durch die Fürsorge Kaspars in die Hände meiner Schwester gelangt waren. Daraus entnahm ich das, was ich am Beginn meiner Erzählung mitgetheilt habe; da sie aber an keiner Stelle ihren Familiennamen niedergeschrieben hatte, so waren sie mir leider von wenigem Nutzen. Ich besuchte freilich Gräfin Oernhjelm; sie that aber, als wenn sie nichts wußte. – Erst im Herbst erhielt ich bei der Rückkehr des Grafen Falkenhjelm Nachricht von ihrem spätern Schicksal und – Tod.

»Nach ihrer Rückkunft in Schweden war es Amalia mit vieler Mühe gelungen, Graf Falkenhjelm auszukundschaften, welcher sich damals in der Hauptstadt aufhielt und eben Wittwer geworden war. – Ihn, den eigentlichen Urheber aller ihrer Leiden, wählte sie auch zu ihrem Beschützer, weil sie es nicht wagte, sich an ihre Verwandten zu wenden, da die Mutter noch lebte und sie sich nicht vor ihr sehen lassen wollte, nachdem sie als Mörderin angeklagt und verurtheilt worden war. – Zwei Jahre darauf erblickten Sie das Tageslicht, und weitere zwei Jahre waren verflossen, als der Graf beschloß, sich mit Amalia zu verheiraten.

»Um diese Zeit kam meine Schwester nach Schweden. Sie suchte die Gräfin Oernhjelm auf, welche sich auf Bredahof, einige Meilen von Ljungstad, aufhielt, auf welchem Hofe Graf Falkenhjelm wohnte und Amalia bei sich hatte. – Leona kam am Tage darauf bei der Gräfin an, wo diese erfahren hatte, daß der Bruder Amalia zu heiraten beabsichtigte, und fand sie im höchsten Grade aufgebracht und in Folge dessen auch im höchsten Grade bei der Nachricht von der Criminalgeschichte entzückt, in welcher es gelungen, Amalias Verurtheilung zu bewirken.

»Da die Gräfin wußte, daß der Bruder sich augenblicklich in Malmö aufhielt, so reiste sie, von Leona begleitet, nach Ljungstad und traf dort Amalia, welche beim Anblick ihrer erbittertsten Feindin sofort in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zur Besinnung kam, befand sie sich allein mit der Gräfin, welche durch die Drohung, sie als eine verurtheilte und flüchtige Verbrecherin auszuliefern, sie zwang, sie sofort von Ljungstad zu begleiten und sich eidlich verbindlich zu machen, weder je mehr Graf Falkenhjelm wieder zu sehen, noch ihn wissen zu lassen, wohin sie gegangen sei.

»Nachdem Amalia alles dieses versprochen, machte die Gräfin sich verbindlich, sie hinzubringen, wohin sie wolle und für ihren Unterhalt eine gewisse jährliche Summe zu bezahlen. – Von Ihnen, meine gnädige Frau, war nicht die Rede; die Gräfin hatte in ihrem Eifer, Amalia fortzuschaffen, vergessen, daß Sie existirten. – Nur eine Stunde wurde Amalia zur Ordnung ihrer Abreise eingeräumt. Die Unglückliche benützte dieselbe dazu, einen Brief an den Grafen zu schreiben und Sie seinem Schutz mit dem Ersuchen anzuvertrauen, daß Sie bei der Halbschwester Ihrer Mutter, der Majorin Alm, erzogen werden möchten. Darauf reiste sie, von einem der Gräfin ergebenen Diener begleitet, nach Stockholm, und Leona stand nun als die Betrogene da, weil die Gräfin versprochen hatte, Amalia an sie auszuliefern. In der Hauptstadt wurde ein bequemes, aber abgelegenes Logis für Amalie und ihre Tochter Cordula gemiethet. – Kurz daraus suchte sie ihren Bruder, Kapitän Ahlrot, auf, und anvertraute ihm, ohne jedoch den Namen der Familie zu verrathen, welche sie so grausam verfolgt hatte, ihre ganze traurige Geschichte.

»Der Kapitän übernahm die Kosten für ihren Unterhalt und schickte der Gräfin das Geld zurück, welches diese für sie ausgesetzt hatte. Zum zweiten Male hatte also die Gräfin Amalia zum Opfer ihrer Hauptleidenschaft: des Hochmuths, gemacht. Amalia lebte in klösterlicher Eingezogenheit, ohne mit der Welt in Berührung zu kommen, und ohne andere Gesellschaft als die ihrer ältesten Tochter, ihres Bruders und ihrer Erinnerungen.

»Sie sah nie Graf Falkenhjelm wieder, und hielt also das der Schwester gegebene Versprechen. Durch den Kapitän hörte er oft von Ihnen sprechen.

»Bei ihrem Tode hinterließ sie die achtzehnjährige Cordula, welche der Kapitän als sein eigenes Kind annahm.

»Dieses, meine gnädige Frau, ist die Geschichte Ihrer Mutter, welche ich theils selbst kannte, theils von Graf Falkenhjelm erfahren habe.

»Die Genugthuung, welche meine Schwester ihr zu geben gedachte, kam zu spät. Jetzt blieb indessen diejenige übrig, welche ich dem vertauschten Kinde schuldig war; aber auch diese kam zu spät; denn Cordula war, ohne daß man wußte wohin, aus der Heimat geflohen, welche sie nach dem Tode Amalias erhalten.

»Ich kehrte also, über die Resultatlosigkeit meiner Reise niedergeschlagen, nach München zurück.«

Der General schwieg, und auch Thora schwieg, denn sie war heftig aufgeregt.

Heinrich bemerkte endlich:

»Aber auch in Beziehung auf Cordula dürfte der Herr General einige Aufklärung geben können.«

»Gewiß, aber leider nur um die Erfahrung zu bestätigen, daß eine verbrecherische Mutter meistentheils entartete Kinder gebärt.

»Diese entsetzliche Erbschaft von den Gebrechen der Eltern legte schon vor der Geburt bei dem Kinde den Grund zum Charakter und Schicksal des heranwachsenden Menschen.

»Von einer so grausamen, egoistischen, eigennützigen und herzlosen Mutter, wie meine Schwester war, konnten nur Kinder mit Axels und Cordulas Natur geboren werden. Und Sie, gnädige Frau, so gut wie Laura, mußten, mit allen Schwächen Ihrer Mutter als Erbschaft, wie sie, sich nothwendig ein Leben voll Leiden schaffen.«

»Ach, Herr General, Sie vergessen die entsetzliche Rolle, welche der Zufall oder das Schicksal in unserem Leben spielt.«

»Was man Zufall nennt, gnädige Frau, ist nur die Berührung unseres Lebens mit den äußeren Ereignissen, welche zufällig mehr oder weniger glücklich auf uns einwirken; aber unsere Fähigkeit, uns von diesen das Gute anzueignen, hängt im Allgemeinen wesentlich von unserem Charakter, das heißt, von unseren angeborenen Naturanlagen und von der Richtung und Uebung ab, welche sie durch unsere Stellung und unsere Erziehung erhalten.

»Nur dann, wenn der Mensch keinen bestimmt ausgesprochenen Charakter hat, hängt sein Leben vom Zufall ab.

»Unsere Geschicke werden besonders durch unsere größeren oder geringeren Fähigkeiten, unsere Leidenschaften mit unserer Vernunft zu beherrschen, geregelt; obgleich wir in unserer Einbildung oft so weit gehen, auch diejenigen Fälle Zufall oder Schicksal zu nennen, in welchen wir aus Schwäche, Mangel an Charakterfestigkeit oder aus Gedankenlosigkeit uns haben von den Ereignissen überrumpeln lassen.

»Doch, wozu diese Erklärungen? Sie, als Frau, werden doch niemals im Stande sein, eine solche Wirklichkeitslehre zu begreifen, welche eben daraus hinausläuft, daß ein vernünftiger und moralisch guter Mensch die Ereignisse selbst mehr in seiner Gewalt hat, als der große Haufe ahnt, und es versteht, selbst das Unglück zu seinem, Vortheil und seiner Veredlung zu benutzen.

»Aber lassen Sie uns zu dem übergehen, was ich noch meinen Mittheilungen hinzuzufügen habe, und das sich ausschließlich um Cordula dreht.

»Als ich im Frühling, nachdem Axel nach München zurückgerufen worden war, dort hinkam, traf ich ihn nicht mehr, sondern nur Laura in Trauer versunken und bei ihr eine junge Schwedin, Namens Mamsell Ström, als Gesellschafterin.

»Axel hatte seinen Abschied aus dem Kriegsdienst genommen und sich nach Algier begeben, um an dem afrikanischen Kriege Theil zu nehmen. Mamsell Ström war von einem schwedischen Chargé d'affaires an Laura rekommandirt worden, welche sich an dieselbe sehr angeschlossen zu haben schien.«

»Und diese Dame war …?« fiel Thora ein.

» Cordula,« antwortete der General. »Es war ihr, unter der Vorspiegelung zu Ihrer Flucht mit Axel beitragen zu wollen, gelungen, ihn zu überreden, Sie begleiten zu dürfen.

»Axel war, als er abreiste, der vollkommenen Ueberzeugung, daß Cordula Sie mitgebracht; aber bereits auf der Rhede von Calmar, wo das Dampfschiff sich aufhielt, erfuhr er, daß nur die Erstere an Bord sei.

»Nach einem heftigen Auftritt zwischen Axel und Cordula trennten sie sich in Lübeck, aber die letztere, welche durch den Verkauf einer Garnitur von Juwelen sich selbst mit Geld versehen hatte, setzte die Reise nach München fort.

»Zwei Tage nach ihrer Ankunft schrieb sie an Axel und drang darauf, bei seiner Frau als Gesellschaftsdame angenommen zu werden.

»Er besuchte sie und schlug ihr aufs Bestimmteste ihr Begehren aus.

»Cordula drohte dann damit, seiner Frau seine Liebe zu Thora mitzutheilen, und nach einer heißen Debatte gab Axel nach.

»Damit es nicht schiene, als wenn Axel mit ihrer Anstellung bei Laura etwas zu thun hätte, bat er einen schwedischen Diplomaten, sie zu empfehlen.

»Auf diese Weise kam sie in meine Familie. Durch das Geschenk der Garnitur hatten Sie eine entsetzliche Feindin gegen sich selbst und uns gewaffnet.

»Bevor ich weiter gehe, werde ich mit einigen Worten Cordulas Motive beleuchten. Mit der Erinnerung an ihre freudenleere Kindheit erwachte in ihrem Herzen ein verzehrender Neid gegen alle, welche glücklicher waren als sie. Das Unglück, welches sonst jedes zärtliche Kind seiner Mutter näher bringt, rief bei Cordula nur Kälte und Bitterkeit hervor. Ihr egoistisches Herz sah in der Mutter nur die Urheberin ihres freudelosen Lebens. Am Tage nach dem Begräbniß derselben suchte sie Morgens die Verschlüsse der Todten durch und stieß dann aus Amaliens Trauschein und verschiedene Briefe des Grafen Falkenhjelm, welche an Amalie nach ihrer Flucht von München geschrieben waren, während sie sich in Ystad aufgehalten hatte. Aus ihrem Inhalt entnahm sie genug, um einzusehen, daß die Mutter unschuldig des Mordes angeklagt gewesen sei. In diesen Briefen kam auch der Name Behrend vor.

»Cordula zerstörte sie, ohne Jemanden von ihrem Inhalte etwas wissen zu lassen. Nach diesen Entdeckungen wurde sie noch kälter und bitterer. Der Gedanke, daß das Urtheil, welches über ihre Mutter gefällt war, ihr Name und Vermögen geraubt, legte den Grund in ihrer Seele zu einem unauslöschlichen Haß gegen diejenige Familie, welche die Ursache davon war.

»Sie wurde von Kapitän Ahlrot wie sein eigenes Kind behandelt, aber dieses befriedigte nicht ihren Hochmuth. Sie beneidete alle, vor allem aber die schöne, reiche und vergötterte Thora, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß sie nahe Verwandte waren; denn als der Graf Sie, gnädige Frau, der Pflege der Majorin übergab, hielt man Sie allgemein für die Tochter der unverheirateten Schwester, welche sie in ihrem Hause bei sich hatte, und welche kurz darauf starb.

»Der Name Behrend rief gleich bei Axels Eintritt in Ihre Familie alle finsteren Charakterzüge Cordulas wach. Behrend war der Name des Bruders von demjenigen Weibe, welches in den Briefen des Grafen als die Urheberin von allen ihren größten Leiden galt. Cordulas Haß nahm jetzt den Charakter einer heftigen Leidenschaft an. Als sie Verdacht schöpfte, daß Axel die Absicht hatte, Sie mit sich zu nehmen, benutzte sie diesen Plan als ein Mittel, um ihren heimlichen Wunsch zu befriedigen, nach München zu kommen und Licht in der dunkeln Geschichte zu erhalten, in welche das Leben ihrer Mutter gehüllt war – und sich dann zu rächen. Dieses, gnädige Frau, waren die Motive; die Wirkungen wurden solche, wie die sind, zu welchen eine lange und brennende Rachgier sie entwickeln kann. In München erhielt sie Kenntniß von Amaliens Criminalgeschichte und von dem Urtheil, welches sie selbst zu einem unehelichen Kinde stempelte. Obgleich sie durch Graf Falkenhjelms Briefe wußte, daß dieses eine niedrige Erfindung war, so bekam doch ihr Haß dadurch eine größere Entwicklung; derselbe richtete sich gegen den Grafen, als die eigentliche Ursache dieses Unheils, – gegen Thora, als seine Tochter und gegen mich und Laura, als Verwandte von Leona. Sie wollte sich an mir und dem Grafen durch unsere Kinder rächen, und das gelang leider zu gut. Sie nährte in Lauras Brust eine fast wahnsinnige Eifersucht, welche die Arme dergestalt quälte, daß sie drei und ein halbes Jahr darauf starb. Ein halbes Jahr vor ihrem Tode unternahm ich eine Reise nach Schweden, dazu von meiner Sehnsucht veranlaßt, die verschwundene Tochter Leonas wieder zu finden; aber diesmal brachte ich Laura mit mir, weil ihr Seelenleiden und ihre schwache Gesundheit es mir nicht erlaubten, daß ich mich von ihr trennte. Sie war mir durch ihren Kummer wieder lieb geworden. Wir reisten ab, ließen aber Cordula zurück. Im Laufe des Herbstes trafen wir in Stockholm ein. Ich machte einen Besuch bei Kapitän Ahlrot, traf ihn aber nicht zu Hause, sondern ließ meine Karte und meine Adresse zurück. Am folgenden Tage besuchte er mich. Obgleich ich während meines Gesprächs mit dem Kapitän die Thüre zwischen meinem und Lauras Zimmer verschloß, so fing sie doch genug davon aus, weil dasselbe deutsch geführt wurde, um daraus schließen zu können, daß Sie die Tochter derselben Amalie seien, welche in München als Giftmischerin verurtheilt worden war. Auch hörte sie, daß Ihre Verlobung ein paar Tage darauf gefeiert werden sollte. Wir logirten in der Königsstraße, und die Wirthin des Hotels sprach geläufig französisch. An demselben Tage, an welchem die Verlobung stattfand, ging ich für einige Augenblicke aus, und Laura blieb allein zu Hause. Als ich zurückkam, war sie mit der Wirthin ausgegangen. Ich fragte die Aufwärterin, wohin sie gegangen seien, aber sie wußte es nicht, denn sie hatten französisch gesprochen; das einzige, was sie verstanden, war das Wort »Königshügel«, welches sie öfters hatte nennen hören. Eine unruhige Ahnung ergriff meine Seele, und obgleich es mir nicht bekannt war, daß Laura etwas von Axels und Ihrer Liebe wußte, so eilte ich doch nach Ihrer Wohnung und trat in demselben Augenblick in dieselbe ein, als sie die abscheuliche Beschuldigung gegen Ihre verstorbene Mutter schleuderte. Sechs Monate darauf hatte Laura aufgehört zu lieben und zu leiden; sie starb bei unserer Rückkunft nach München.

»Ohne mein Wissen hatte Cordula Axel von seiner wiedergewonnenen Freiheit in Kenntniß gesetzt. Er kehrte nach München zurück, hielt sich aber nur kurze Zeit dort auf, um seine eigenen und seines Sohnes Angelegenheiten zu ordnen. Nachdem er mir Lauras Kind anvertraut hatte, reiste er nach Schweden, überzeugt, dort sein Glück zu finden.

»Cordula, welche ein eifriges Interesse für seine Reise und für seine Wiedervereinigung mit Ihnen an den Tag legte, gelang es, ihn zu überreden, daß sie ihn hierher begleiten durfte.

»Sie wußte indessen, daß Sie verheiratet waren, war aber jetzt überzeugt, daß Axel sowohl sich wie Sie ins Verderben stürzen würde.

»Es verging einige Zeit, als ich eines Tages im Herbst einen Brief erhielt, unterzeichnet: Cordula Heyse. Dieß überzeugte mich, daß sie in meiner Nähe gewesen, ohne daß ich es geahnt. Jedes Wort darin athmete Haß und eine versteckte boshafte Drohung gegen Axel. Sie klagte mich und meine ganze Familie als die Urheber ihrer Leiden an. Ich reiste sofort nach Schweden, um ihr zu sagen, daß sie die Tochter meiner Schwester sei, um dadurch womöglich dem Bösen, das sie im Sinne hatte, vorzubeugen. Mit demselben Dampfschiff, auf welchem ich in Schweden ankam, traf auch Liljekrona dort ein. Ich suchte sofort Axel auf; aber ein unglücklicher Zufall wollte, daß ich ihn nicht antraf. Ich schrieb ihm einige Worte mit der Bitte, daß er mich sofort besuchen möchte; aber Cordula unterschlug das Billet. Am folgenden Abend um elf Uhr ward mir folgender Brief übergeben:

»›Wenn General Behrend erfahren will, wie Cordula Heyse sich rächt, dann mag er morgen die Villa der Frau Liljekrona am Thiergarten besuchen.‹

»Ohne einen Augenblick zu verlieren, nahm ich schleunigst einen Wagen und fuhr, von einem Bedienten begleitet, zu Axel. Gotthard sagte mir, daß er bereits vor einer Stunde nach dem Thiergarten geritten sei. Ich befahl ihm, mit uns zu fahren und uns den Weg nach Frau Liljekronas Sommerwohnung zu zeigen. Als wir in der Allee ankamen, sahen wir Licht im Pavillon, und dorthin lenkte ich meine Schritte, traf aber ganz in der Nähe ein Weib, welches vor mir fliehen wollte. Gotthard packte es indessen und sagte:

»›Das ist, bei Gott, die schwedische Mamsell.‹

»Licht her, befahl ich meinem Bedienten, welcher eine Wagenlaterne trug.

»Es war Cordula. Ich ließ die Thüre sprengen und trat in demselben Augenblick in den Pavillon, als Axel, von Liljekronas Kugel durchbohrt, zu Boden sank.«

Der General schwieg; Thora barg das Gesicht in ihren Händen.

»Der erste klare Gedanke, welcher in meinem Kopfe entstand, nachdem ich Cordula zugerufen: Unglückliche, er ist dein Bruder! – war der, wo möglich Ihr Leben, gnädige Frau, zu retten und Emil der Strafe zu entziehen, welche seiner wartete. Während einer der Bedienten zu einem Arzte eilte, und der andere hinging, um Ihre Verwandten zu wecken, gelang es mir, Emil in meinen Wagen zu schaffen, indem ich ihn bat, mit mir nach Hause zu fahren, weil Niemand dort den Mörder meines Schwestersohnes suchen würde. Am Tage darauf war er an Bord aus dem Svithjöd und auf dem Wege nach Lübeck. Nachdem Axel begraben und Sie außer Gefahr waren, nahm ich Cordula mit mir und kehrte nach meinem Vaterlande zurück, wo Liljekrona mich erwartete. Er blieb in München und ernährte sich durch Porträtmalen. So waren drei Jahre verflossen …«

»Und Emil, wo ist er jetzt?« fragte Thora, leicht zusammenschaudernd.

»Gnädige Frau, es ist nur sein Wunsch auf dem Sterbebette, der mich noch einmal dazu bewegen konnte, nach Schweden zurückzukehren. Ich bringe Ihnen seinen letzten Gruß …«

»Todt?« rief Thora in einem fast verstörten Tone.

»Ja, gestorben an Gewissensbissen und Heimweh, ein Opfer seines thörichten Ehrgeizes,« antwortete der General düster. »Sein letztes Gesuch an mich war, daß ich seine Bitte um Verzeihung Ihnen vortragen und zu gleicher Zeit diesen Brief und diesen Ring übergeben möchte. ›Sagen Sie ihr,‹ sagte er, ›daß ich sterbe mit dem Herzen voll Liebe und Reue, meine Lippen auf diesen Ring gedrückt, welcher unsere Geschicke mit einander vereinigte.‹ Ach, gnädige Frau! er hatte viel gefehlt, aber auch viel gelitten.«

In Thränen zerflossen, nahm Thora den Ring, führte ihn an ihre Lippen und flüsterte:

» Wir haben Beide gefehlt; möge der Allgütige uns das, was wir verbrochen, vergeben. – Friede mit deinem Staube, armer Emil!«

»Auch den habe ich, seinem Wunsche gemäß, nach dem Lande seiner Väter gebracht, und dort ruht er jetzt auf demselben Kirchhofe, der auch Axels Staub birgt.«

Mit einer Bewegung unbeschreiblicher Dankbarkeit reichte Thora dem General die Hand. Er hielt sie fest und sagte:

»Aber der andern Schuldigen, werden Sie auch der verzeihen?«

»Herr General,« antwortete Thora sanft, »ich habe selbst so Vieles abzubitten und zu sühnen, daß mein Herz nicht anders kann, als auch ihr verzeihen. – Wie sollte ich die Verbrechen Anderer strenge beurtheilen, ich, die ich so oft den Fuß über einen Abgrund erhoben habe, welcher dorthin führt.«

Ueber das Zusammentreffen Thoras mit Cordula wollen wir hinweggehen. Das sanfte und versöhnliche Gemüth der einen war ein sprechendes Gegenstück zu den düstern, trübseligen und hoffnungslosen Gewissensqualen der andern. Während die Leiden das Leben Thoras zerstörten, wie der Sturm ein Rohr zerknickt, fanden sie bei Cordula eine starke Natur, welche, unter einem harten Kampfe mit dem Egoismus, ein hohes, wenn auch bitteres Alter erreichen sollte.

Einige Tage darauf reiste der General wieder nach München und nahm Cordula mit. – Ein paar Jahre später trat Cordula zur katholischen Kirche über und ließ sich in ein Kloster aufnehmen, um durch Buße die nagenden Qualen in ihrem Innern zum Schweigen zu bringen.

Niemals kann die Rache eine andere Belohnung mit sich bringen, als Reue und Verzweiflung.


Nach der Abreise des Generals verging die Zeit ruhig in Ninas friedlichem Hause. Einige Wochen vor Weihnachten zog Graf Hugo mit seiner Familie hinein nach Malmö, wo die gräfliche Familie jeden Winter zuzubringen pflegte.

Thoras Kummer hatte einen milderen Charakter angenommen, und es kam bisweilen vor, daß ein mattes Lächeln die wehmuthsvollen Züge ausklärte; aber ihr Leiden schlich sich unvermerkt weiter, denn die Rosen auf den Wangen wurden immer reiner und die Ringe um die Augen immer dunkler. Keine sichtbaren Schmerzen beschwerten sie, als nur eine zunehmende Mattigkeit und Abneigung gegen alle Anstrengungen. So vergingen vier Monate. Freilich lauschte Heinrich mit Unruhe dem langen und heftigen Athmen der Thora; wenn er aber mit ihr darüber sprechen wollte, wich sie immer aus.

Eines Abends gegen Ende Februar waren sie um ein herrliches Kaminfeuer in Ninas Arbeitszimmer versammelt. Man sprach von der Geschichte des Kaiserreichs von Thiers, welche Thora und Nina zusammen lasen.

»Napoleons Herrschsucht stürzte ihn,« bemerkte Heinrich.

»Ach nein! es war das Schicksal,« fiel Thora ein.

» Das Schicksal? Was meinst du damit? Es gibt kein Schicksal; in unserem Innern, in unserem Charakter tragen wir das ganze Wohl und Wehe unseres Lebens.«

»Wie kannst du so unrichtig folgern?« rief Thora; »du huldigst also dem Satze, daß der Mensch selbst sein Schicksal schafft? Welch grausamer Irrthum! Ich würde im Gegentheil tausend Beispiele dafür anführen können, daß wir alle einem unvermeidlichen Fatum unterworfen find, welches im Voraus den Gang unseres Lebens bestimmt, und schon an der Wiege die Leiden und Freuden festgesetzt hat, die wir durchmachen sollen. O welch entsetzliches Räthsel ist nicht das Schicksal

»Daß es eine erhabene Vorsehung und eine Alles umfassende Macht gibt, welche die Welt regiert, leugne ich keineswegs; daß es aber für den Menschen ein anderes Schicksal als dessen eigenen Charakter gibt, muß ich bestreiten. Wir sind, behaupte ich, selbst durch unsere Leidenschaften Schöpfer unserer Leiden

»Ich würde dir leicht beweisen können, daß es sich so verhält.«

»Nun, laß hören.«

»Denke nur an mein erstes Zusammentreffen mit Axel und an die Ereignisse, welche daraus folgten.«

»Warum, Thora, dieses Beispiel nehmen? Ich kann nur darauf antworten, daß das Schicksal eine ziemlich launische Macht wäre, wenn es im Voraus dich, ein gutes und unschuldiges Mädchen, dazu bestimmt hätte, auf eine so grausame Weise betrogen und unglücklich zu werden.«

»Du vergißt, daß es Menschen gibt, welche durch ihre Geburt schon in der Wiege dem Unglück anheimgefallen sind,« sagte Thora mit einem schmerzlichen Lächeln.

»Thora, das ist in dem Sinne, wie du es meinst, ein falscher und unrichtiger Sophismus, durch welchen du den Gang des Lebens zu erklären suchst,« unterbrach sie Hugo. Es geschieht nichts moralisch Böses in der Welt, das der Mensch sich nicht selbst zugezogen hat; denn in der Naturordnung gibt es nur Gutes. Von der göttlichen Weisheit, welche Alles so vollkommen eingerichtet hat, dürfen wir durchaus nicht unsere Leiden herleiten.«

»So kann derjenige sprechen, dessen ganzes Leben eine einzige glückliche Stunde gewesen, aber nicht diejenige, welche gesehen hat, wie ein einziger Augenblick alle ihre Hoffnungen, ihren Glauben und ihre Zukunft zerstörte. Was sie vom Leben denken muß, das mag der Schöpfer sagen.«

Thora sprach mit bitterem Schmerz.

»Sie muß glauben, daß das Unglück eine Folge von ihren eigenen Verirrungen, oder von einer leichtsinnigen Sorglosigkeit war, und muß es als eine gerechte Strafe tragen,« sprach Hugo ernst.

»Ist das auch deine Meinung, Heinrich?« fragte Thora.

»Ja,« antwortete Heinrich langsam. »Das Gute trägt seine eigene Belohnung in sich, und das Vergehen in seinen Folgen seine Strafe. So ist die Naturordnung in der moralischen wie in der physischen Welt. Es gibt keine Ausnahme von diesem allgemeinen und ewig giltigen Gesetz.«

Es entstand eine Pause.

Hugo schlug Nina vor, Etwas zu singen, um Thora zu erheitern, was sie auch in dem angrenzenden Salon that, wohin Hugo ihr folgte.

Während er mit Entzücken jener Stimme lauschte, der er sein gegenwärtiges Glück zu danken hatte, nahm Thora das unterbrochene Gespräch mit Heinrich wieder auf.

»Sage mir, glaubst du denn,« sprach Thora, »daß all mein Unglück durch mich selbst hervorgerufen ist?«

»Warum dieses Thema wieder aufnehmen?«

»Darum, Heinrich, weil ich einmal klar sehen, einmal wissen will, was ich glauben muß, und weil ich überzeugt bin, daß nur Wahrheit über deine Lippen kommt.«

»Nun gut, weil du es so willst. Rufe denn dir nur die Schicksale deiner Mutter ins Gedächtniß und vergleiche sie mit deinem vergangenen Leben. Du wirst dann fest überzeugt werden, daß wenn du nicht allen deinen Gefühlseindrücken blind nachgegeben, sondern statt dessen sie unterdrückt hättest, dein Leben sich ganz anders gestaltet haben würde. Denke auch an die Uebereinstimmung in Leonas, Cordulas und Axels Charakter, und sei versichert, Thora, daß unsere Leidenschaften, wenn wir uns von denselben beherrschen lassen, der Ursprung des meisten Unglücks sind, das wir auszustehen haben.«

»Es war nicht mein Fehler, daß ich betrogen wurde.«

»Nein, gewiß nicht, aber es war dein Fehler, daß du leichtsinnig oder unbesonnen und vielleicht mit Wohlgefallen dich dem aussetztest und nicht einsehen wolltest, daß in Axels Handlungsweise etwas Unredliches lag. Hättest du einen einzigen Augenblick auf die Warnungen Anderer gehört, oder von deiner eigenen Vernunft Gebrauch gemacht, dann wärest du nicht so vollständig von ihm betrogen worden.«

»Aber, mein Gott, ich hätte ihn ja doch unter allen Umständen geliebt, und wäre also doch ein Opfer jenes Schicksals geworden, welches Axel in unser Haus führte

»Aber gerade darin, daß du dich in den äußeren Menschen verliebtest, ohne auf den zu deutlich an den Tag gelegten Charakter Rücksicht zu nehmen, lag sowohl bei dir wie bei deiner Tante ein unverzeihlicher Fehler. Du bist nicht das Opfer eines unvermeidlichen Schicksals; Axels Egoismus und deine thörichte Schwäche waren zusammengenommen die Urheber eures Unglücks.«

»Ach, ich muß doch glauben, daß dieses Unglück ein Fatum war, denn sonst kann ich den Rückblick auf die Vergangenheit nicht ertragen.«

Heinrich ergriff jetzt Thoras Hand und sagte mit Wärme:

»Thora, es ist besser, die Wahrheit in ihrer ganzen Nacktheit zu sehen, als zu suchen, unsere Fehler hinter einer Verirrung zu verdecken! Im ersten Falle können wir uns retten, aber im letzteren sind wir immer bereit, sie zu wiederholen – um nachher die Schuld auf ein unsanftes Schicksal zu schieben. Nur schwache Seelen scheuen es, ihren Handlungen auf den Grund zu gehen und können sie deßhalb nie verbessern. Aber du, Thora, stehst zu hoch über der Menge, um das nöthig zu haben.«

»Es ist ja doch jetzt zu spät, das, was geschehen ist, zu ändern.«

»Aber niemals, um es zu bereuen, zu beweinen und abzubitten.«

Ninas und Hugos Eintreten unterbrach das Gespräch.


Eine Zeit von einigen Wochen verging, während welcher Thoras Krankheit so bedeutende Fortschritte machte, daß Heinrich eines Tages gegen sie äußerte:

»Du bist sehr krank und willst doch nichts thun, um deine Gesundheit wieder herzustellen.«

»Ach! wozu sollte denn das nützen? Der Wurm, welcher an meinem Leben nagt, kann nicht weggenommen werden, denn er heißt – Gewissensbisse!«

»Sprich nicht so, Thora, noch kann dem Uebel abgeholfen und alle Fehltritte können gesühnt werden!«

»Meinem Uebel ist nicht zu helfen, denn es wird mir nie gelingen, zu vergessen

»Aber es ist die Pflicht eines jeden Menschen, sein Leben zu schonen und zu bewahren.«

»Heinrich, meine Lebenslampe ist ausgebrannt und wird bald erlöschen; mir bleibt nur noch übrig, mit Reue und Gebet zu Gott meine Zuflucht zu nehmen und – zu sterben. O, daß ich es verstanden, dieses in dem Augenblick der Versuchung und der Leidenschaft zu thun; ich würde dann jetzt nicht nöthig haben, unter Gewissensbissen Gott um Vergebung anzurufen.«

Einige Zeit darauf erwartete Nina eines Morgens vergebens Thora beim Frühstück und ließ nach ihr fragen. Die Kammerjungfer gab zur Antwort, daß die gnädige Frau noch nicht geläutet habe.

Es verging noch eine Stunde; da aber Thora nichts von sich hören ließ, so ging Nina zu ihr hinein. Auf dem Bette lag jetzt Thora, bleich wie Schnee und kalt wie die Nacht des Nordens. Sie schlummerte den ewigen Schlaf …

So starb Thora in der Blüthe ihrer Jahre, ein Opfer ihrer Verirrungen und – einer unbezwinglichen Leidenschaft, nachdem sie sich selbst ein Leben voll der bittersten Qualen geschaffen.

Nina lebte wieder ihr glückliches Leben an der Seite des Gatten, welchen ihr Herz gewählt, und im Bewußtsein eines [frommen], leidenschaftslosen Wandels, geliebt und gesegnet von ihrem Manne und ihren Kindern.

Heinrich, viel zu charakterfest, um den Gegenstand der Gefühle seines Herzens wechseln zu können, blieb unverheiratet.

Die Gräfin Oernhjelm, immer gleich unbeugsam, stolz und hochmüthig, verlebte ihre letzten Tage von demjenigen verlassen, der ihr am theuersten war, dessen vernünftige Ansichten und edles Herz sie aber nie hatte verstehen, und ihm deßhalb auch nicht verzeihen können. So schaffen wir unsere eigenen und anderer Leiden, indem wir uns zu Sklaven unserer Leidenschaften machen.

Ende.

 


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