Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die schöne Melusine

Zu Poitiers in Frankreich lebte einst der Graf Emmerich, ein gelehrter Herr, der besonders in der Wissenschaft der Himmelskunde und zukünftiger Dinge wohlerfahren war. Er besaß viele Güter und hatte große Freude an der Jagd. Er hatte nur einen Sohn und eine einzige Tochter, die er beide innig liebte. Der Sohn hieß Bertram, die Tochter Blaniferte. Sie war eine schöne und tugendreiche Jungfrau. In dieser Landschaft gab es überaus große Wälder. Dort, wo Graf Emmerich lebte, war ein Wald, den man den Kürbisforst nannte. In ihm lebte zur selben Zeit ein berühmter Graf von gutem Geschlecht, arm an Habe, aber reich an Kindern. Doch ersetzte er seine Armut durch viele Tugenden. Er war ein weiser und verständiger Herr von redlichem Gemüt, der mit seinem jährlichen Einkommen bescheiden und ohne Pracht haushielt. Seine Kinder hatte er in guter Zucht, weshalb er von jedermann geehrt und geschätzt wurde. Dieser Graf stammte auch aus dem Geschlecht derer von Poitiers, führte in seinem Wappen den gleichen Schild und Helm und war dessen Vetter.

Weil nun dieser Graf von dem Forst sehr arm und mit vielen Kindern gesegnet war, erwog der Graf Emmerich von Poitiers bei sich, seinen Vetter zu entlasten und ihm unter die Arme zu greifen, damit er sein Leben besser gestalten und einst seine Kinder standesgemäß aussteuern könnte. Bald darauf veranstaltete der reiche Graf von Poitiers ein großes Bankett in seiner Residenz, zu dem er auch seinen Vetter, den Grafen von dem Forst, einladen ließ. Dieser kam zu dem Fest samt seinen drei Söhnen, die junge, wohlerzogene Herren waren. Ihnen wurde alle nur erdenkliche Ehre und Freundlichkeit erwiesen. Das Herz des Grafen Emmerich entflammte in einer solch großen Liebe und Zuneigung für die drei Jünglinge, am allermeisten aber für den jüngsten, der Raimund hieß, daß er darüber nicht länger schweigen konnte. So erschloß er sein Herz seinem Vetter, dem Grafen von dem Forst, mit der herzlichen Anrede: »Lieber Vetter, ich sehe wohl, daß Eure Kinderschar groß ist. Darum habe ich den Wunsch, Ihr wollet erlauben, daß ich einen Eurer Söhne an Kindes Statt annehme. Er soll zu allem Guten erzogen und wohl versorgt werden.« Der redliche alte Vater stellte ihm auf ein solch freundliches Anerbieten frei, sich einen von den dreien auszuwählen. Graf Emmerich erbat sich Raimund, den jüngsten, der ihm am allerbesten gefiel. Dafür bedankte sich der Graf vom Forst aus ganzem Herzen und übergab seinem Vetter den schönen, jungen, wohlgewachsenen jüngsten Sohn mit großer Freude.

Nachdem das herrliche Bankett nach drei Tagen beendet war, nahm der alte Graf Abschied von seinem Vetter, um wieder nach Hause zu ziehen. Er ließ seinen jüngsten Sohn Raimund also zurück, obwohl er darüber traurig war und nasse Augen bekam. Raimund aber hätte sich kein besseres Heim wünschen können. Er zeigte sich in seinem Dienst vor allen anderen angenehm und wußte sich höchst beliebt zu machen. Daher wurde er nicht nur von seinem Oheim als ein Freund recht innig geliebt, sondern dieser befahl auch allen Haus- und Hofgenossen, auf ihn zu achten, damit ihm von niemandem ein Leid geschehe.

Als Graf Emmerich wieder einmal auf der Jagd war und die Seinigen einem Wildschwein nachjagten, ritt auch Raimund neben seinem Oheim ihm nach. Das Schwein aber wollte sich vor den Hunden retten und zog den ganzen Schwarm der Jäger nach sich. Auch Raimund war unter ihnen, da er seinen Herrn nicht verlassen wollte, zumal später Abend und trügerisches Mondlicht war. Das Schwein hatte inzwischen viele Hunde teils getötet, teils verwundet. Nach und nach hatten sich alle Jäger aus der Nähe des Grafen verloren, so daß keiner wußte, wo er hingekommen, außer Raimund, der bei ihm geblieben war. Als nun beide ihre Verlassenheit bemerkten, begann Raimund endlich seinen Oheim wohlmeinend anzureden: »Gnädiger Oheim, wir sind von unserem Volk ganz abgekommen, haben Hunde und Jäger verloren. Es wird wegen der hereingebrochenen Nacht nicht möglich sein, zu ihnen zurückzureiten, auch dürften wir sie so leicht nicht finden. Darum rate ich, daß wir in dem nächsten Bauernhof einkehren, wo wir diese Nacht Herberge haben können.« Der Graf antwortete ihm: »Du redest recht und redest sehr gut, getreuer Raimund, denn die Sterne stehen bereits am Himmel und der Mond scheint gar hell.« Also fingen sie an quer durch das Holz zu reiten und fanden zuletzt nach vieler Mühe einen schönen Weg, von dem Raimund meinte, daß er sie nach Poitiers leiten würde. Der Graf hoffte, einige seiner Leute wiederzutreffen und sprach: »Laß uns eilen, unser Poitiers wird uns auch noch bei später Nachtzeit unversperrt aufnehmen.« So ritten sie den Weg, Graf Emmerich voran, Raimund als sein Diener hinter ihm drein.

Als beide so dahinritten, sah der Graf, der ein guter Himmelskundiger war und den Lauf der Sterne kannte, unter den bekannten einen ganz fremden Stern. Darüber seufzte er tief und sprach aus Herzensgrund: »Ach Gott, wie sind doch deine Wunder so mannigfaltig! Wie kann die Natur ein so widerwärtiges Spiel mit sich selbst treiben, daß sie einen Menschen werden läßt, der durch eine üble Tat zu großen zeitlichen Ehren erhöht wird, während es doch unziemlich ist, wenn sich jemand wegen einer Missetat hoch ehren läßt.« In solcher Verwunderung über die seltsame Himmelsoffenbarung sagte er zu Raimund, wobei er wieder tief seufzte: »Komm herzu, Sohn, ich will dir ein großes Wunder und eine bedenkliche Vorbedeutung am Himmel zeigen, wie eine solche nicht leicht zu sehen ist.« Der lernbegierige Raimund fragte, was denn das wäre. Graf Emmerich sagte: »Ich sehe am Himmel, daß in dieser Stunde einer seinen Herrn töten und ein gewaltiger Herr werden wird, mächtiger, als je einer seines Geschlechts gewesen ist.«

Raimund schwieg still und redete kein Wort. Indessen fand er ein Feuer, das die Herren, die im Gefolge des Grafen gewesen, im Holz entfacht hatten. Deswegen stieg er vom Pferd und klaubte kleines Holz zusammen, womit er das Feuer unterhielt, denn es war kalt. Sein Oheim stieg auch ab und wärmte sich, aber dies sollte ihm zum tödlichen Verhängnis werden. Denn in demselben Augenblick hörten sie im Holz etwas durchbrechen. Raimund griff schnell zu seinem Schwert, der Graf zu seinem Spieß. Kaum hatten sie sich zur Wehr bereitgemacht, als ein großes Schwein mit wildem Grunzen daherkam. Es rannte knirschend und schnaubend in voller Wut auf sie zu. Raimund bat seinen Oheim inständig, auf einen Baum zu flüchten, um sein Leben zu retten, er werde allein mit dem Schwein fertig werden. Aber den Grafen, der nicht furchtsam war, verdroß es, wider seine Gewohnheit vor einer Bestie zu flüchten und ihr ängstlich auszuweichen. Er beschloß standzuhalten und den Willen des Himmels über sich ergehen zu lassen. Er sagte auch Raimund, daß er ihn fernerhin mit solchen Zumutungen verschonen möge. Zugleich setzte er seinen Spieß an und ging dem Schwein entgegen, um es zu töten. Er versetzte dem Tier auch wirklich einen Fang. Aber das Schwein schlug den Stoss, der zu schwach war, mit einem Satz ab und warf seinen Feind ergrimmt zu Boden. Raimund rückte geschwind mit seinem Spieß vor, um der Bestie den Rest zu geben und seinen Oheim zu retten. Allein er fehlte zu allem Unglück, und im großen Eifer glitt der Spieß vom Schwein ab. Während Raimund hitzig nachdrückte, fuhr der Speer dem Grafen, der auf der Erde lag, tief in den Leib hinein. Raimund zog ihn zwar gleich wieder heraus, verfolgte das Schwein und fällte es auch. Aber als er zurückkehrte, fand er den Oheim in seinem Blute schwimmend und tot. In größtem Schmerz floh er von dem Ort und sprengte davon.

So hatte Raimund, ohne es zu wollen, seinen besten Freund, den Förderer seines Glücks, ums Leben gebracht. Er wehklagte, rang die Hände und blickte zum Himmel empor, während unaufhörlich seine Tränen flossen. Er ritt dabei immer weiter fort und führte mit sich ein herzerschütterndes Jammergespräch. Bald klagte er über die Mißgunst seines Geschicks, bald über den unseligen Stoss seines Speers, bald verfluchte er die Stunde, in der er zu seinem Oheim gekommen war. Bald hub er an, über seine unglücksvolle Geburtsstunde zu klagen. Solche Gedanken vergrößerten seine Betrübnis noch mehr. Er seufzte: »Du unbarmherziges Glück, hast du denn alle Herzensplagen über mich auf einmal ausgeschüttet? Warum habe ich denn all meine Hoffnung ganz auf dich und nicht auf den gütigen Gott gesetzt? Du Betrügerin aller Menschen, um uns alberne Jünglinge zu ködern, reichst du uns ein Quentchen Wohlergehen und ergötzliche Freude, aber nachher einen Zentner Herzeleid. Du läßt uns nach dem Schatten der Reichtümer und der eitlen Freude schnappen und uns nachher unseren Wohlstand verlieren. Nun hast du mich zu einem Bettler gemacht, da ich gedachte, ein begüterter, reicher Herr zu werden. Dem, der mir sein Herz geschenkt, habe ich sein Leben und mir selbst alle Hoffnung und die Ruhe meines Gewissens genommen. Ach, Oheim, lieber Oheim, warum durfte ich nicht vor dir sterben? Nun werden mich die Rache und der Argwohn aller Menschen verfolgen. Alle Bäume des Waldes werden ihre Äste von mir abkehren. Die Luft wird mich nicht mehr anhauchen, die Sonne ihr fröhliches Licht mir mißgönnen, und nimmer werde ich für eine solche Tat an meinem Wohltäter dem gerechten Himmel Genugtuung leisten können.«

Unter solchen und ähnlichen Klagen ließ er sein Pferd gehen, wohin es wollte und wohin das Schicksal ihn führen würde. So kam er zu einem Brunnen, der Durstbrunnen genannt wurde. Bei ihm standen drei Jungfrauen von überaus schöner Gestalt, die er vor Leid und Jammer nicht bemerkte. Von ihnen trat die schönste und jüngste zu ihm an den Weg heran und sprach: »Mein Freund, Ihr seid unhöflich für einen Ritter, daß Ihr an uns Frauen ohne Gruß und Anrede vorbeireitet.« Raimund achtete darauf gar nicht und klagte weiter wie vorher, bis die Jungfrau das Pferd beim Zügel ergriff und sprach: »Fürwahr, Ihr wißt nicht, was Euer Stand fordert, da Ihr so stillschweigend vorüberreiten wollt.«

Da Raimund in seinem Schmerz die wunderschöne Nymphe erst jetzt erblickte, erschrak er und wußte nicht, ob er lebendig oder tot sei oder ob ein Gespenst mit ihm rede. Die Nymphe Melusine – denn so hieß die jüngste von ihnen – bemerkte, daß er wie von einer tödlichen Erscheinung überrascht und vor Schreck rot und blaß wurde. Da fing sie an, ihn noch mehr zu versuchen. Sie beschuldigte ihn noch heftiger großer Unfreundlichkeit, weil er nicht mit ihr rede. Obwohl Raimund noch voll trüber Gedanken war, erkannte er endlich die unvergleichliche Schönheit der Nymphe immer mehr, und die Augen begannen ihm aufzugehen. Er sprang schnell vom Pferde und sprach: »Ach, erhabene Göttin, ich bitte in tiefster Demut, meinen Fehler zu vergessen und mir Eure holden Blicke nicht zu entziehen. Ich bin ohnehin in großer Betrübnis wie in einem Labyrinth gefangen, so daß ich nicht weiß, wie ich mich aus ihm herausfinden soll. Deswegen war ich mit sehenden Augen blind und nachher von solcher Schönheit entzückt und entrückt und zugleich von meiner inneren Unruhe ganz betäubt. Damit ich aber auch wegen meiner Unhöflichkeit Busse tun und die schuldige Strafe dafür erhalten möge, befehlt Eurem Diener, Allerschönste, was er vollbringen muß, um Eure holden Blicke wieder zu genießen.« Die holdselige Nymphe erwiderte: »Nicht so, mein Raimund, steht zuvor auf! Ein so edler Ritter hat nicht Ursache zu knien. Die Reue über einen solch kleinen Fehler und der Anlaß dazu sind schon Strafe genug. Wir sind Euch gewogen, tapferer Gallier.« Raimund erstaunte über diese Worte und noch mehr darüber, daß sie seinen Namen nannte, denn er wußte nicht, wie dies zuging. Er sprach: »Göttergleiche Jungfrau, nun merke ich recht, daß Ihr vom Himmel gesandt seid, mich aus meiner Unruhe zu erlösen und aufs neue zu erquicken. Denn kein Mensch ist in der Gegend, der meinen Namen weiß. Auch der Eurige ist mir unbekannt. Ich halte Euch für ein Engelsbild in Menschengestalt. Könnt Ihr deswegen, schöner Engel, mein Gemüt mit einigem Trost erfrischen, wie ich durch Eure Lieblichkeit erquickt werde, so fahrt fort, meine halberstorbenen Kräfte durch solche Anmut neu zu beleben und Euren Diener glücklich zu machen.«

Die liebliche Nymphe fing wieder an: »Vergeßt Euren Kummer, lieber Raimund, und laßt Euer Herz durch Euren Unfall nicht allzusehr betrüben. Ich kenne Eure Not und Klage. Wollt Ihr aber meiner Lehre folgen, so will ich dafür sorgen, daß Ihr wieder zu Wohlstand kommt und an Gut, Ehre und Glück nimmermehr Mangel leidet. Lieber Raimund, alles, was Euer Oheim aus dem Stand der Sterne gelesen hat, muß durch die Gnade des Himmels, der alle Dinge leitet, an Euch vollbracht werden.« Als Raimund hörte, daß sie von der Gnade Gottes sprach, gewann er allmählich neuen Trost in seinem bekümmerten Herzen, weil die Nymphe kein Gespenst und keine Heidin, sondern Christin sein mußte. Er sprach demnach zu ihr: »Schönste Gebieterin, ich werde aufmerksam und gehorsam Euren getreuen Rat anhören und mein ganzes Gemüt Eurem Willen unterwerfen. Laßt mich aber zuvor Eure Zuneigung und Euer Wohlwollen dadurch erfahren, daß Ihr mir sagt, woher Ihr meinen Namen und das unselige Ereignis kennt. Dann werde ich allem Zweifel enthoben sein und die milde Schickung des Himmels um so mehr erkennen und loben, da er sich zu meinem Trost einer so wunderbaren Jungfrau bedient.«

Hierauf tröstete die Nymphe ihn aufs neue: »Zweifle nicht, lieber Raimund, daß ich dein Glück und deine Ehre erneuern werde. Frage nicht nach meinem Wissen und woher mir dein Name bekannt ist, sondern glaube vielmehr, daß der Himmel alles so schickt. Sieh mich demnach nicht für ein verborgenes Engelsbild an, sondern für eine gute Christin. Was ich bin, bin ich durch die Gnade des Himmels. Ich glaube alles, was ein Christ glauben muß: daß ein Kind von einer keuschen Jungfrau geboren wurde und der Sohn Gottes ist, daß er in der Zeit für alle Menschen gelitten hat, als Gott und Mensch wahrhaftig auferstanden und wieder zum Himmel aufgefahren ist. Dies alles weiß und glaube ich. So verbanne denn allen Kleinmut und alle Traurigkeit aus deiner geängstigten Brust und gib dich keinem Zweifel mehr hin. Betrachte das Glück, das bereits vor deinen Augen schwebt.«

Durch solchen Zuspruch wurden die Lebensgeister des guten Raimund wieder munter, und eine lebhafte Röte schimmerte auf seinen Wangen. Er sprach: »Schönste, liebenswürdigste Nymphe, alle meine Kräfte und all mein Wollen sollen nach Euren Befehlen wie der Schatten nach der Sonne gerichtet sein. Ich vergehe fast vor Verlangen, von meinem Glück aus Eurem klugen Munde zu hören.« Sie sprach: »Wohl denn, wißbegieriger Raimund, so hört, was Ihr zu tun habt, wenn Ihr Euer Glück erreichen wollt. Ich verlange ernstlich, daß Ihr mir beim Himmel schwört und bei dem Heiligsten, das er hat, daß Ihr mich zu Eurer ehelichen Gemahlin nehmt. An jedem Sonnabend sollt Ihr mich in Ruhe lassen und mich nichts fragen, mir auch an diesem Tag nichts befehlen, ja, ganz und gar nicht mit mir reden, mich nicht sehen, auch nicht durch jemand anderen beobachten lassen, sondern mich ganz in Ruhe lassen, so daß ich den ganzen Sonnabend frei und unbekümmert bleiben kann. Dagegen gelobe ich Euch, daß ich die ganze Zeit meines Lebens, besonders aber am Sonnabend nirgends hingehen will, sondern mich an ihm ganz still, sittsam und verschlossen halten werde.«

All dies gelobte und schwur sofort Raimund, ihr getreu und unverbrüchlich zu halten. Sein rasches Einverständnis und sein schneller Eid schienen der Nymphe unüberlegt zu sein. Sie glaubte, er verspreche mehr, als er halten könne. Doch gab sie ihm dies nur ganz gelinde zu verstehen. Sie sprach: »Ihr gehorcht meinem Willen gern, obwohl Ihr noch nicht alles vernommen habt. Aber ich sehe aus Eurer Miene, daß Ihr mehr gelobt, als Ihr zu halten gedenkt. Sollte es aber je geschehen, daß Ihr mir untreu würdet, davon Euch der Himmel behüte, so wißt, daß Ihr selbst der einzige Urheber wäret, der einzige Schlüssel, der die Tür zu Eurem Unglück öffnet. Denn Ihr würdet dabei nicht nur mich unfehlbar sofort verlieren und nimmermehr wiederbekommen, sondern auch Euch und Euren Erben schaden und Unglück bis auf Eure Kindeskinder heraufbeschwören.«

Als Raimund dies vernahm, schwur er vermessentlich noch einmal und wollte nicht als der angesehen sein, den sie in ihm argwöhnte. Die Nymphe sprach darauf: »Wohlan, ich nehme Euren guten Willen an, den Ihr mir zeigt. Reist hin, mein Geliebter, nach Poitiers, der Himmel begleitet Euch mit seinem Schutz. Wenn Euch aber jemand fragt, wo Euer Oheim hingekommen ist, so antwortet, daß Ihr ihn im Walde verloren und er vielleicht in die Irre geritten sei, was auch seine anderen Diener sagen und Euch beistimmen werden. Dann wird man ihn eiligst suchen und auch finden und mit großer Klage nach Poitiers bringen. Der Himmel weiß, mit welch großer Betrübnis die Gräfin ihn mit ihren Kindern und allen Untertanen beweinen wird. Alle sollt Ihr dann trösten und ihren Kummer mildern helfen. Dann wird ihre Zuneigung und ihr Dank wie ein reicher Strom auf Euch fließen, und jedermann wird Euch an Stelle des toten Grafen zu seinem Herrn wünschen. Nach seiner Beerdigung werden sich seine Verwandten und die Edlen des Landes einfinden, um von seinem Sohn als ihrem neuen Herrn die Lehen zu empfangen. Dann sollt Ihr Euch auch in Demut melden und bitten, daß er Euch für Eure treu geleisteten Dienste ein Stück Land beim Durstbrunnen schenken wolle, wäre es auch nur so viel Land und Wald, wie Ihr mit einer Hirschhaut umspannen könnt. Diese bescheidene und ehrerbietige Bitte wird des Grafen Herz dermaßen bewegen, daß er sie Euch gewähren wird.« Dann sagte die Listige weiter voll Freuden: »Eilt, mein teuerster Raimund, und vergeßt nicht, Brief und Siegel darüber zu bekommen, die von des Grafen Hand unterzeichnet sein müssen. Und trachtet ja danach, daß beide schleunigst ausgefertigt werden. Der Brief muß enthalten, was die Gabe sei, wann und warum sie Euch verliehen wurde, samt Jahr und Tag, an dem dies alles geschehen und vollzogen worden ist. Nach alledem wird Euch ein Mann begegnen, der eine Hirschhaut nach Hause trägt. Diesem kauft sie ohne vieles Handeln ab und laßt sie in einen schmalen Riemen schneiden, so schmal, wie es nur möglich ist, bis die ganze Haut aufgebracht ist. Alsdann geht hin und laßt Euch das Versprechen erfüllen und beginnt beim Brunnen zu messen. Das wird Euch eine ganze Tagreise Land im Umkreis bis wieder an die Stelle verschaffen, von der Ihr ausgegangen seid. Und niemand wird Euch dies streitig machen können.«

So entließ die schlaue Nymphe ihren Liebling mit listigem Rat und empfahl ihn dem Schutz des Himmels.

Raimund nahm mit vielen Küssen von seiner liebsten Melusine zärtlichen Abschied. Er ritt Poitiers zu und gedachte auszuführen, was sie ihm angeraten hatte. Damit handelte er ganz nach ihrem Sinn und kam am frühen Morgen in der Stadt an. Während er hineinging, fragte ein Mann: »Wie kommt es, Raimund, daß Ihr ohne Euren Herrn erscheint?« Raimund antwortete: »Ich habe ihn seit dem vergangenen Abend nicht gesehen. Er ritt mir im Walde voraus den Jägern nach, so daß ich ihn nicht einholen konnte. Ich habe ihn dann verloren und ihn später nicht mehr gesehen.« Diese Antwort ließ der Mann gelten, und niemand war da, der an ein Unglück dachte oder etwas Schlimmes geargwöhnt hätte. Raimund aber wußte nach der klugen Art, die ihm seine Braut angeraten hatte, sein Leid auf das beste zu verbergen. Nur seufzte er bisweilen bei sich, durfte es jedoch nicht merken lassen.

Inzwischen kamen alle Diener des Grafen bis auf zwei von der Jagd nach Hause geritten. Keiner von ihnen wußte zu sagen, an welcher Stelle ihr Herr sich von ihnen getrennt hatte und wo sie ihn am vorigen Abend zuletzt gesehen hätten. Dies verursachte am Hofe ein großes Klagen, besonders bei der Gräfin und ihren Kindern. Als sie am lautesten jammerten, kamen die zwei letzten Diener aus dem Jagdgefolge herbei und brachten ihren toten Herrn auf einer Bahre von Zweigen, was sehr traurig anzusehen war und das Weinen aller Anwesenden noch vermehrte. Auch dem unschuldigen Täter Raimund wurden die Augen naß, und das Herz schlug schnell und laut. Die Diener erzählten, wie sie den Grafen in seinem Blute, blaß und entseelt, bei dem Wildschwein gefunden hätten. Verzweifelt rangen alle im Schloß die Hände, besonders die vaterlosen Kinder und die Witwe. Ihr Weinen wollte nicht enden, und sie waren selbst totenblaß. Um die endlosen Klagen zu mildern und ihnen den Leichnam aus den Augen zu schaffen, wurde das Begräbnis schon für den folgenden Tag angesagt. Es fand mit großem Trauergefolge, doch in schönster Ordnung statt. Raimund, der tief betrübt war und laut mitklagte, wurde wegen seiner treuen Dienste von allen Anwesenden sehr gelobt, besonders deshalb, weil er seinem Herrn noch die letzte Ehre mit vielen Tränen erwies. Dies alles hatte er niemandem zu danken als seiner geliebten Melusine, die beim Durstbrunnen zu ihm gekommen war.

Als Graf Emmerich bestattet war, fanden sich alle Edlen des Landes bei seinem Sohne, dem Grafen Bertram, ein und empfingen von ihm ihre Lehen, wie dies bei einem neuen Herrn zu geschehen pflegt. Da trat auch Raimund heran und brachte seine Bitte vor, wie er von Melusine unterrichtet war. Der Graf ließ sich seine demütige Bitte wohl gefallen und versprach ihm auf der Stelle, sie zu gewähren. Auch seine Räte gaben einmütig ihre Zustimmung. Nach diesem allseitigen Einverständnis bat Raimund um die Ausfertigung eines versiegelten Lehensbriefes, von des Grafen Hand unterschrieben, der ihm sofort ohne Widerspruch gewährt und ausgehändigt wurde.

Kaum hatte Raimund diesen Brief empfangen und sich entfernt, da traf er einen Mann, der eine schön gegerbte Hirschhaut feilbot, die er unverzüglich kaufte und in einen ganz schmalen, dünnen Riemen zerschneiden ließ Nachdem dies geschehen war, meldete er sich beim Grafen und stellte die Bitte, daß man ihm das Stück Land, das er um den Durstbrunnen herum auswählen würde, als Lehen übergeben möge. Der Graf bestellte sofort einige Amtsleute und Räte, die mit Raimund nach dem Brunnen ritten. Dort sahen sie, daß Raimund eine Hirschhaut zu einem ganz schmalen Riemen hatte zerschneiden lassen. Sie staunten gar sehr über diese List. Sie wußten nicht, was sie in diesem Falle zu tun hätten, denn sie dachten wohl, daß die lederne Schnur ein großes Stück Wald, Feld und Felsen umspannen würde, wie es sich auch zeigte. Auch erschienen zur selben Stunde zwei hierzu bestellte unbekannte Männer. Sie nahmen die zerschnittene Haut, banden das eine Ende an einen Pfahl und umspannten ein großes Stück Land vom Durstbrunnen an bis wieder zu ihm hin. In diesem großen Umkreis war eingeschlossen, was man nur wünschen mochte. Selbst ein schönes, großes Wasser floß hindurch. Die Amtsleute lobten Raimund wegen der Klugheit seines Planes, von dem sie nicht wußten, woher er kam. Obgleich sie gestanden, daß sie es mit der Hirschhaut ganz anders gemeint hätten, ließen sie es doch bei der Schenkung, weil der Graf sein Wort dazu gegeben hatte. Sie kehrten um und ritten auf einen Ort zu, die Kartause genannt, der nicht weit vom Brunnen lag. Von dort reisten sie weiter und nach Poitiers zurück. Hier erzählten sie dem jungen Grafen alles, was sich zugetragen hatte. Als er die seltsame Begebenheit vernommen hatte, konnte er sich nicht genug verwundern. Doch mußte auch er es geschehen lassen, zumal er sich einbildete, es müsse beim Brunnen gespenstisch und geisterhaft zugehen, weil es dort schon mehrere Abenteuer gegeben hatte. Er schloß daraus, daß auch Raimund dort etwas Außergewöhnliches zugestoßen sei. Doch gönnte er ihm als seinem lieben Vetter und Freund, der sich auch um seinen lieben Vater wohlverdient gemacht hatte, alles Gute mit dem Wunsch, daß es ihm dabei wohl ergehen und kein Übel daraus entstehen möge. So treumeinend ist die heutige Welt nicht mehr gesinnt.

Mittlerweile hatte sich auch Raimund bei Hofe selbst eingestellt. Er dankte seinem Vetter aufs höflichste für seine Güte. Die Verwunderung und Bestürzung wurden dadurch noch vermehrt, weil man sah, daß Graf Bertram so lieb und Raimund so kühn sein konnte. Doch Bertram mußte in all seinem Leid unwillkürlich über die List seines Vetters herzlich lachen, weil er sich damit so wohl geholfen hatte.

Raimund setzte sich wieder auf sein Ross, nachdem sein Ritt an den Hof besser ausgegangen war, als er geglaubt hatte, und begab sich am frühen Morgen an den Durstbrunnen. Hier traf er seine Verlobte, die unvergleichlich schöne Melusine, die auf seine Ankunft mit großer Sehnsucht gewartet hatte und ihn herzlich mit lieben Blicken und Grüssen bewillkommnete. Sie rief: »Seid mir gegrüßt, mein Beherrscher, mein liebster Raimund. Ihr habt klug vollzogen, was ich Euch geraten habe. Dafür sage ich Euch als meinem Geliebten innigsten Dank. Folgt mir nun und laßt uns für das gute Gedeihen unseres Vorhabens dem Himmel gütigen Dank sagen.« Mit diesen Worten faßte sie ihn bei der Hand und führte ihn zu einer abgelegenen Waldkapelle. Als sie dort eintraten, erblickte Raimund viel Volk, Ritter und Bürger, Frauen und Jungfrauen, Alte und Junge, auch Priester, die ihren Gottesdienst verrichteten. Er wußte nicht, ob er sich unter Menschen oder unter Geistern befand. Nachdem er sich lange umgesehen, hatte er nicht einen einzigen bekannten Menschen entdeckt. In höchster Verwunderung fragte er seine Braut: »Mein Kind, was ist das für ein unbekanntes Volk? Wem gehören die Leute, die ich so schön geschmückt vor mir sehe?« Melusine erwiderte: »Wundert Euch nicht. Es sind lauter Leute, denen Ihr zu gebieten habt und die Euch künftig ihren Herrn nennen werden, kurz, mein Volk und meine Untertanen sind es.« Nun wandte sie sich zu ihnen und gebot allen mit lauter Stimme, daß sie Raimund als ihrem rechtmäßigen Herrn und Gebieter von jetzt an gehorsam und untertan sein sollten. Alle verneigten sich tief und gaben ihre Untertänigkeit sofort zu erkennen. Ihre Augen waren ehrfurchtsvoll auf Raimund gerichtet, solange der Gottesdienst währte.

Da Raimund alles nicht ohne Staunen und Schrecken sah, mußte er den Gehorsam heimlich, aber mit Zittern und Entsetzen, bewundern. Er schwieg jedoch still, denn er wußte nicht, was er denken oder sagen sollte. Melusine merkte, daß er in schwere Gedanken versunken war, und sprach ihm deshalb leise zu: »Lieber Raimund, entsetzt Euch nicht über das, was Euch so seltsam und fremd vorkommt. Es ist kein Zweifel, daß Ihr mein eigentliches Wesen noch nicht erkannt habt. Es wird Euch nicht eher möglich sein, als bis Ihr mich zur Gemahlin genommen habt. Ihr habt zwar geschworen, mir in allem getreu zu sein, und gelobt, die Ehe mit mir zu schließen, doch vollzogen ist unsere priesterliche Einsegnung noch nicht. Ohne sie wird Euch die völlige Erkenntnis meiner Person fehlen.«

Raimund fühlte sich durch diese Worte wieder aus seinen Zweifeln herausgehoben und sagte zu ihr: »Ich bin bereit, jederzeit Euren Willen zu tun.« Sie erwiderte: »Mein Raimund, ich kann es nicht leugnen, daß Ihr mir alle Treue und Ehre erwiesen habt. Aber nur noch dieses eine ist notwendig, dann werdet Ihr alle Glückseligkeit vollkommen genießen. Ihr müßt eine feierliche Hochzeit herrichten, vornehme Gäste dazu einladen, die Trauung vollziehen lassen, das Mahl bereiten und jeden Anwesenden fröhlich machen. Dann wird unsere Liebe eine ganz andere Gestalt gewinnen. Wenn Ihr ganz glücklich sein wollt, muß dies aber innerhalb von acht Tagen, und zwar am frühen Morgen geschehen.«

Raimund bewilligte Melusine alle Wünsche, um den rechten Grund dessen, was ihm noch unbekannt war, bald zu erfahren. Er schwang sich ungesäumt und mit höchstem Eifer auf sein Ross und begab sich wieder nach Poitiers zu seinem Vetter. Jeder fragte sich, was diese baldige Rückkehr Raimunds an den Hof wohl bedeuten möge. Er wurde bald vorgelassen, und der Graf war begierig, sein Anliegen zu hören. Er staunte, als Raimund als sein eigener Hochzeitsbitter zu reden begann: »Gnädiger Herr Vetter, seid nicht unwillig darüber, daß ich mich so bald und unverhofft wieder bei Hofe einfinde, um Euch etwas Neues mitzuteilen. Ich halte es für meine Schuldigkeit, vor Euch keine Heimlichkeiten zu haben. So wißt denn, ich bin Bräutigam und komme, Euch und Eure Frau Mutter ehrerbietig zu meinem Hochzeitsfest einzuladen, das bei dem Euch bekannten Durstbrunnen stattfinden soll. Gebt mir die Ehre, Euch mit Eurer lieben Mutter dabei begrüßen zu können. Das wäre für mich und meine Liebste ein besonderes Glück, und wir würden es niemals vergessen.«

Kaum hatte Raimund diese höfliche Einladung ausgesprochen, als der Graf höchst neugierig fragte, wer denn seine Liebste sei. Raimund antwortete: »Sie ist eine edle, reiche und mächtige Dame, deren Herkunft ich eigentlich selbst noch nicht weiß und erst nach der Trauung erfahren werde.« Graf Bertram konnte seine Verwunderung und sein Lachen kaum unterdrücken. Doch gab er ihm höflichen Bescheid: »Liebster Vetter, wir vernehmen mit höchstem Vergnügen und Wohlgefallen Euer Glück und wollen gern auf Euer freundliches Ersuchen am Hochzeitsfest teilnehmen. Der Himmel möge Euch seinen Segen hierzu geben. Aber seht zu, daß Euch diese Heirat nicht zum Unglück werde. Denn wenn Eure Liebste von unedlem Geschlecht abstammt, könnte sie Eurer edlen Herkunft einen Schandfleck beibringen.« Raimund antwortete sogleich: »Edler Vetter, obwohl ich die Abstammung meiner Braut selbst noch nicht recht kenne, so bin ich doch dessen gewiß, daß sie meinem Stande gleich, wenn nicht gar überlegen ist. Ich wünsche daher nichts anderes, als daß Ihr sie mit ihren vortrefflichen Eigenschaften persönlich kennenlernt.« Der Graf antwortete lächelnd: »Es sei so, wie wir Euch schon vorhin versprochen haben. Wir werden gewiß kommen und die unbekannte Braut betrachten, ob Ihr Euch auch etwas Schönes ausersehen habt.« Raimund sprach: »Zweifelt daran nicht. Ihre Schönheit und Sittsamkeit lassen sie wie eine Königin erscheinen. Sie wird wohl eines Herzogs oder Markgrafen Tochter sein.« Der Graf erwiderte: »Der Himmel bestätige Euren Glauben, daß Ihr nicht betrogen seid. Ich möchte bald diese Göttin sehen.«

Nach dieser Zusage schied Raimund mit höflichem Dank und ritt zu seiner Braut davon. Der bestimmte Montag kam heran. Mit dem frühesten Morgen machte sich Graf Bertram samt seiner verwitweten Mutter und allem Hofgesinde von Poitiers auf, um seinem Versprechen nachzukommen und am Ehrenfest seines Vetters teilzunehmen.

Unterwegs hatten sie immer den belustigenden Gedanken, daß beim Durstbrunnen ein gespenstisches Gaukelspiel und Blendwerk getrieben werde, worüber sie dann genug lachen und den Bräutigam necken wollten. Nun ging die Reise dem Walde zu nach Colombiers und von da gegen einen hochgelegenen Felsen. Kaum aber waren sie bei ihm angelangt, erblickten sie im Grunde auf einer schönen, grünen und anmutigen Ebene verschiedene wohlgestaltete Bäume und zwischen ihnen eine Menge trefflicher Zelte, aus denen hier und dort Rauch aufstieg, woran zu erkennen war, daß man dort beim Sieden und Braten war. Auch sahen sie sehr viel Volk, lauter unbekannte Leute, die bei den Zelten umherwandelten. Dies bestätigte ihre Meinung, daß alles nur ein Blendwerk sein könne, besonders auf einer solchen Einöde, wo sonst kein Mensch anzutreffen war.

In diesen Gedanken wurden sie unterbrochen, als etwa sechzig junge Ritter und Edelleute, die ihnen entgegenritten, bei ihnen ankamen. Alle waren landfremd, aber im schönsten Schmuck und bestens bewaffnet. Sie empfingen den Grafen, seine Mutter und ihr Gefolge im Namen ihres Herrn Raimund auf das allerhöflichste und begleiteten sie in schöner Ordnung bis vor die Zelte. Diese artige Aufnahme, die sorgfältige Verteilung der Gäste in die Zelte und die treffliche Herberge machten den Grafen Bertram nicht wenig bestürzt und brachten ihn von seinen bösen Vermutungen ab. Nicht allein die Zelte waren schön und kostbar und an einem gut gelegenen Platz aufgeschlagen, sondern auch die Krippen für die Pferde waren aufs beste eingerichtet. Kaum hatten die fremden Gäste sich in den Zelten niedergelassen, da kamen schon eine Anzahl schöngeschmückter Frauen und Jungfrauen herbei, die im Namen der Braut die Gräfin-Mutter mit den Ihrigen artig begrüßten. Alle Gemächer fanden sie mit Bequemlichkeiten und kunstvollen Gefäßen aufs kostbarste eingerichtet, wie man es in dieser Einöde nie hätte erwarten können.

Jetzt kam auch Raimund mit einem Gefolge von Kavalieren daher, um seinen Vetter zu begrüßen und ihn in seine Wohnung zu begleiten. Da es bereits Zeit zur Trauung war und die Glocken zum Kirchgang läuteten, gingen alle Gäste nach der Kapelle, wo sie sich in einem kleinen Ring in bester Ordnung aufstellten. In ihrer Mitte wurde ein Altar aufgebaut, der mit den größten Kostbarkeiten geziert war. Auch die Kapelle war mit Tapeten und Kleinodien auf das prächtigste geschmückt. Die Braut besaß so viel Schönheit und prächtigen Kleiderschmuck, daß sie mehr einem Engel als einem Menschen ähnlich war. Die Gewänder glänzten und schimmerten von Gold, Perlen und Edelsteinen wie der gestirnte Himmel; kurz alles war schön und köstlich anzuschauen.

Als der Graf von Poitiers mit seinem Gefolge in die Kapelle eintrat, wandte er sich zur Braut, umfing sie und beglückwünschte sie mit aller Ehrerbietung. Melusine und ihre Jungfrauen erwiderten den Gruß mit einer tiefen Verneigung. Nachdem alle sich gesetzt hatten, erklang eine vortreffliche Musik von allerlei lieblich tönenden Saiteninstrumenten, Flöten und Posaunen. Die Fremden hatten in der Kapelle genug zu hören, zu sehen und zu staunen, so daß sie bei sich bekennen mußten, eine solche Hochzeit noch niemals erlebt zu haben.

Nach beendeter Messe schritten Raimund und Melusine zur Trauung, wobei die Braut in ihrem Schmuck von zwei Jungfrauen und Raimund von zwei Rittern zum Altar geleitet wurde. Dort stand die Braut mit dem Bräutigam unter einem köstlichen Thronhimmel, und der Priester segnete beide ein. Nach der Trauung führte sie der Graf von Poitiers und ein anderer vornehmer Herr einem Zelt zu, um sie besonders zu ehren. Hier wurde das Handwasser in goldenen Schalen herumgetragen und jedem Gast auf die Hände gegossen. Dann setzte man sich zu Tisch. Die gräflichen Gäste nahmen neben dem Brautpaar in goldenen Sesseln Platz. Die köstlichsten Speisen wurden aufgetragen, und bei allem wendete man eine solche Pracht an, daß es fast königlich anzuschauen war.

Nachdem die Vorgerichte genossen waren, stand Raimund mit einigen seiner Ritter auf; er und sie begannen die Gäste bei Tisch zu bedienen. Es wurden so viele Gerichte hereingetragen, daß man nicht wußte, wo man sie hinsetzen sollte. Den Wein kredenzte man nur in goldenen Pokalen von der köstlichsten Art. Und alle gingen mit ihm so verschwenderisch um, als wäre es bloßes Bier. Ja, selbst Diener und Knechte tranken nur edlen Wein und taten sich an ihm gütlich. Auf die Tafel folgte ein fröhliches Turnier. In herrlichem Putz und Geschmeide stellten sich die Ritter, in zwei Parteien geteilt, auf den Plan. Der eine Haufen wollte für Melusine, der andere für Raimund zur besonderen Ehre streiten. Die köstlich geschmückten Frauen schauten den Ritterspielen zu, doch keine war schöner im Schmuck von Edelsteinen als die Braut. Jeder wartete voller Neugier, wer siegen werde. Die Ritter taten ihr Bestes, aber Raimunds Partei trug den Sieg davon. Er erhielt ein herrliches Kleinod von Diamanten. Darüber freute sich Melusine sehr.

Als das Fest am späten Abend beendet war, wurde das Brautpaar mit Fackeln und Windlichtern zu seinem Zelt geleitet. Es war von reiner Seide, mit dichten Goldstreifen und Vogelgestalten herrlich durchwirkt. Das Lager und die Decken waren aus Seide, mit gestickten goldenen Lilien geschmückt, so daß ihr Glanz die Augen blendete. Die Priester segneten das Paar noch einmal, und alle Hochzeitsgäste verabschiedeten sich. Um das Zelt herum ertönte von allerlei Instrumenten eine liebliche, gedämpfte Musik. Die jungen Burschen und Diener blieben die ganze Nacht wach und belustigten sich mit Singen und Springen. Melusine aber sprach zu ihrem Gemahl: »Ich bin jetzt deine Hälfte, wie du die meinige bist. Und das laß uns bleiben, bis der Tod uns trennen wird. Nur gelüste es dich nicht, nach meiner Herkunft zu forschen, auch denke nicht daran, dein Gelübde zu brechen, mich Sonnabends nicht zu sehen, wenn du nicht selbst schuld an deinem Unglück sein und mich sofort verlieren willst.« Raimund umarmte seine Gemahlin und schwur ihr zum dritten Male, alles zu halten, wie er es schon zweimal gelobt hatte. Dann begaben sie sich zur Ruhe.

Am nächsten Morgen versammelten sich die Gäste wieder. Sie wurden von allen freundlich begrüßt, und man setzte sich in Fröhlichkeit wieder zusammen zum Schmausen, Trinken und Turnieren. So währte die Hochzeitsfeier fünfzehn Tage lang. Endlich kam der Abschiedstag herbei, an dem alle Gäste aufbrachen. Anstatt aber die Braut zu beschenken, beschenkte Melusine sie. Sie öffnete einen mit Elfenbein ausgelegten großen Schrein, in dem kostbare Kleinodien von Gold, Perlen und Edelsteinen in großer Menge aufbewahrt waren, wie man sie zuvor nie gesehen hatte. Damit erfreute sie die meisten ihrer Gäste, vor allem den Grafen, seine Mutter und ihre Hofdamen. Darüber verwunderten sich alle sehr. Sie dachten, welch ein glücklicher Herr doch Raimund sein müsse, daß er eine solch gute Wahl getroffen habe. Hierauf verabschiedeten sich die Gäste von allen mit herzlichem Dank, besonders aber von der schönen Melusine.

Zwar hätte Graf Bertram gern gefragt, welcher Abstammung die junge Frau sei, weil er sie immer noch nicht für einen Menschen halten wollte. Allein er fürchtete den Zorn, in den Raimund wegen eines solchen Verdachts geraten würde. So schieden alle in Liebe voneinander, jedoch wußten die Gäste aus Poitiers nicht, bei wem sie gewesen waren und woher Raimunds reiche Braut stammte. Von ihm und seinen Rittern wurden sie bis vor den Waldsaum begleitet. Dann ritt er wieder zurück. Melusine empfing ihn mit vielen Küssen und liebkoste ihn. Da nun die Unruhe vorbei war, wollte sie bald einen denkwürdigen Bau zu Ehren ihres Gemahls errichten lassen. Das gefiel Raimund sehr.

Als acht Tage verflossen waren, kamen eine Menge Handwerker beim Durstbrunnen an. Sie fällten die Bäume ringsumher, die innerhalb der Begrenzung durch den Hirschriemen standen, und zerkleinerten sie zu Bau- und Brennholz. Dann machten sie um die Felsen tiefe Gräben. Melusine bezahlte sie alle Tage mit barem Geld, daher verrichteten sie ihre Arbeit um so williger. Sie legten ein tiefes, starkes Fundament und setzten die ersten Grundsteine auf den Fels. Durch ihren großen Fleiß hatten sie in kurzer Zeit mächtige Türme und dabei eine übermäßig hohe und dicke Ringmauer errichtet. Innerhalb der Mauer bauten sie zwei schöne, starke Schlösser. Um das untere errichtete man einen hohen und festen Zwinger.

Als die Leute des Landes ein solch großes und starkes Werk in so kurzer Zeit aufgeführt sahen, konnten sie sich darüber nicht genug wundern. Und weil das Schloß zur Verteidigung ausreichend gerüstet war, nannte es Melusine nach ihrem Taufnamen und sprach: »Lusinia soll dies Schloß heißen und hoffentlich ewig diesen Namen führen.«

Nach einiger Zeit schenkte Melusine ihrem Gemahl einen Sohn, den sie Uriens nannte. Er kam später zu großen Ehren. Doch war er keineswegs schön. Er war kurz und breit, flach unter den Augen, das eine war rot, das andere grün. Dazu hatte er einen breiten Mund und lange Ohren, sonst aber war er von schönem Wuchs, und seine Bewegungen waren zierlich.

Hierauf ließ Melusine den Bau des Schlosses beenden und es einrichten. Es wurde mit Kriegern und Waffen so besetzt, daß es schwer einzunehmen oder zu stürmen war. Die Gräben waren ungeheuer tief, Mauern und Türme sehr hoch und stark. Die Tore waren mit mächtigen Riegeln und einem Schloßturm versehen. In diesen ließ sie heidnische Türmer legen, die das Schloß am Tage bewachen und ankommende Fremde mit einer bestimmten Losung anmelden mußten.

Noch im selben Jahr gebar Melusine einen zweiten Sohn, der Gedes genannt wurde. Er hatte eine solch brennende Röte in seinem Gesicht, daß sie gleichsam einen Widerschein gab, sonst aber war er schön und wohlgestaltet. Darauf baute sie wieder ein Schloß, das sie Favent und dessen Turm sie Mervent nannte. Zu Ehren der Mutter Gottes ließ sie ein schönes Kloster errichten, das Mallières genannt wurde. Zuletzt ließ sie das Schloß und die Stadt Portenach ausbessern und erneuern.

Als all diese Gebäude fertig waren, gebar Melusine abermals einen Sohn, der gar schön war, nur stand ihm das eine Auge ein wenig höher als das andere. Er bekam den Namen Gyot. In demselben Jahr baute Melusine wieder ein Schloß, Larochelle genannt. Zu Soniets ließ sie eine herrliche Brücke errichten. Dann erhielt sie wieder einen Sohn, Antonius gehießen. Er brachte das Zeichen einer Löwenklaue an seiner Wange mit auf die Welt. Er war auch sehr behaart und hatte lange und scharfe Fingernägel. Antonius war so scheußlich anzusehen, daß jeder sich vor ihm fürchten mußte. Doch vollbrachte er später als Mann in Luxemburg große Taten, so daß alle Welt darüber staunte. Dann gebar sie wieder einen Sohn, der aber nur ein Auge mitten auf der Stirn hatte. Er wurde Reinhard genannt. Er sah mit dem einen Auge besser als mit zweien. Als er groß war, vollbrachte er nicht weniger herrliche Taten als die anderen.

Es folgte nun auch der sechste Sohn, den man Geoffroy mit dem Zahne hieß, weil er einen großen Zahn mit auf die Welt brachte, der ihm wie ein Eberzahn aus dem Mund hing. Geoffroy wurde überaus dick und hatte fremde und wilde Sitten an sich.

Dem sechsten Sohne folgte ein siebenter, der Freimund genannt wurde. Er war von Körper und Angesicht sehr schön, hatte jedoch auf der Nase ein haariges Mal, als wäre ihm ein Stück Wolfsfell eingesetzt worden. Freimund wurde verständig und weise, lebte aber nicht lange. Bald nach ihm kam der achte Sohn, der drei Augen hatte, eins davon mitten auf der Stirn. Weil er so häßlich aussah, wurde er Horribil genannt. Schon in zarter Kindheit zeigte er böse Eigenschaften. Sein ganzes Sinnen war darauf gerichtet, Arges zu tun. Ihm folgte der neunte Sohn, den man Dietrich nannte. Er hatte keine besonderen Merkmale und wurde ein tapferer und kühner Ritter. Der letzte Sohn hieß nach dem Vater Raimund und wurde später auch Graf vom Forst.

Uriens, der älteste Sohn, war indessen zum Manne herangewachsen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als hohen Kriegsruhm zu ernten. Deshalb nahm er einige Segel- und Ruderschiffe und ließ sie mit allem Nötigen ausrüsten, so daß sie den Namen Galeeren führen durften. Auch bestellte er zu dieser Heerfahrt die Besten und Wehrhaftesten aus dem Land seiner Mutter. Als sein jüngerer Bruder Gyot dies sah, bekam er Lust mitzufahren, obwohl er jünger als sein Bruder Gedes war, der auch an dieser Fahrt Gefallen gefunden hatte. Uriens aber hatte seinen Bruder Gyot lieber, so daß er sich ihn zum Reisegefährten wählte und Gedes diesmal zurückließ. Melusine lobte den Vorsatz ihrer Söhne und hoffte, daß es ihnen auf der Reise gut ergehen werde. Sie rüstete sie mit Lebensmitteln und Geld reichlich aus und ließ sie mit ihrem Segen hinausfahren.

So hißten sie ihre Segel voller Freude und stießen von Land. Nach kurzer Fahrt kamen sie in das Königreich Zypern. Dort hatten sie die beste Gelegenheit, ritterliche Taten zu vollbringen, denn der König von Zypern wurde in seiner Stadt Famagusta von dem mächtigen Heidensultan mit mehr als hunderttausend Mann belagert. In der Stadt herrschte große Hungersnot, und dem König blieb nichts anderes übrig, als sich den Heiden zu unterwerfen und seinem Glauben abzuschwören. Dies rief großes Jammern und Wehklagen in der Stadt hervor. Der Himmel aber verließ die Seinigen nicht. Denn kaum hatte Uriens von der Belagerung gehört, wandte er sich mit der Flotte nach der Stadt, um ihr zu helfen. Stolz flatterte sein köstlich in Seide gesticktes Panier im Winde.

Die Heiden vernahmen bald das Herannahen der Flotte. Auch die Einwohner der belagerten Stadt hörten davon. Sie wußten aber nicht, ob es Christen oder Heiden waren. Als der Sultan aber die mächtige Flotte heransegeln sah, zog er sein Kriegsvolk zusammen. Da glaubte der König von Zypern, die Heiden wollten die Flucht ergreifen. Er befahl den Seinigen, sich zum Streite zu rüsten und steckte die rote Blutfahne auf. Die Trompeter bliesen zum Kampfe, die Tore wurden geöffnet, und das ganze Heer zog mutig zum Kampf hinaus. Der König ließ nur die Prinzessin Herminia, seine Tochter, in der Stadt zurück. Es entstand ein gewaltiger Kampf. Die Heiden widerstanden mit großer Macht. Viele Christen wurden erschlagen, ja der König von Zypern wurde durch einen vergifteten Pfeil tödlich verwundet, so daß man kaum hoffte, ihn lebendig vom Schlachtfeld hinwegzubringen. Von den Heiden arg bedrängt, zogen die Zyprier sich in heftiger Gegenwehr und mit großen Verlusten in die Stadt zurück. Dort erhob sich großes Klagen um die Toten und Verwundeten. Frauen und Kinder weinten und schrien, und viele liefen ratlos und händeringend umher. Am trostlosesten aber war die Prinzessin Herminia, denn sie hatte aus dem Bericht der Ärzte geschlossen, daß ihr Vater nicht mehr lange leben werde, da seine Wunde unheilbar sei.

Unterdessen war Uriens mit seinem Bruder Gyot und der Heerschar gelandet und sofort gegen die Feinde gezogen. Voll Heldenmut fielen sie in ihre Reihen ein. Uriens tötete und verwundete einige mit eigener Hand, auch Gyot zeigte sich nicht weniger tapfer, so daß die Heiden von großem Schrecken ergriffen wurden und den Rückzug antraten. Sie erkämpften ihn aber nur unter großen Opfern. Der Sultan wehrte sich mit mächtigen Streichen seines krummen Säbels und streckte einen Angreifer nach dem anderen zu Boden. Das sah Uriens. Er drang auf ihn ein und spaltete ihm mit einem gewaltigen Schwertstreich das Haupt, so daß er elend in den Staub sank. Als dies seine heidnischen Völker sahen, ergriffen sie voll Entsetzen die Flucht. Uriens und sein Bruder eilten ihnen mit anderen Rittern nach, und so wurden noch viele von ihnen vernichtet; der Sieg war errungen.

Als die Schlacht beendet war, nahmen Uriens und Gyot mit ihren Kriegern von dem Lager und den Zelten der Heiden Besitz und ruhten sich dort zufrieden aus. Der todkranke König von Zypern schickte durch einen Landesfürsten und einige seiner Räte eine Gesandtschaft an Uriens mit der Bitte, zu ihm in die Stadt Famagusta und an seinen Hof zu kommen. Er ließ ihm sagen, er würde ihm als dem Sieger über seine Feinde selbst einen Besuch im Lager abstatten, wenn er nicht an einer tödlichen Wunde darniederläge. Uriens nahm die Einladung mit vielem Dank an und versprach der Gesandtschaft, sich einzufinden und Seiner Majestät aufzuwarten. Er machte sich bald mit seinem Bruder Gyot auf und ritt an den Hof des Königs. Aber das Volk der Stadt Famagusta empfing ihn anfangs nicht sehr freundlich, sondern sah ihn wegen seines unförmigen Gesichts mit Befremden und Erstaunen an. Ein jeder sagte, noch nie hätte er ein solch seltsames Gesicht gesehen. Ja, manche bekreuzten sich und sprachen: »Der hat wohl die Gestalt, viel Land und Leute zu überwinden, weil sich jeder vor ihm fürchten muß.«

Indessen kamen sie in den Palast des Königs und fanden ihn, geschwollen und schwach von der Wunde des vergifteten Pfeils, in seinem Bett liegen. Uriens begrüßte den König mit einer tiefen Verneigung und beklagte sein Geschick. Der König antwortete: »Mein Freund, Ihr habt gar tapfer gefochten und mit Eurer ritterlichen Hand großen Ruhm erworben, auch uns und der ganzen Christenheit damit gedient, so daß Ihr von aller Welt Lob und Ehre verdient. Noch Eure Nachkommen werden wegen dieser Heldentat gepriesen werden. Doch eins wünschen wir von Euch zu wissen: Von welchem Geschlecht und woher seid Ihr?« Uriens antwortete ihm mit tiefer Verbeugung: »Allergnädigster König und Herr, ich bin vom Stammhaus zu Lusinia geboren. Ich verschweige meinen Namen nicht.« Der König sprach: »Von Eurem Geschlecht haben wir viel vernommen, daß alle, die daraus geboren sind, tapfere Leute seien. Jetzt aber bitte ich Euch, daß Ihr uns in einer Sache willig einen besonderen Gefallen erweist. Es soll Euch dies zur eigenen großen Ehre gereichen.« Der König seufzte laut, holte tief Atem und sprach weiter: »Unsere Tochter Herminia ist die einzige Erbin unseres Königreichs, das sie bald nach unserem Tode übernehmen wird. Wir spüren das Gift des eingedrungenen Geschosses schon am Herzen. Unsere Tochter Herminia bedarf eines Schutzes und dieses Reich eines heldenmütigen Thronfolgers, weil es den heidnischen Grenzen zu nahe liegt. Darum begehren wir von Euch, daß Ihr unsere Tochter und das Reich zusammen übernehmt und vor allem Überfall der Feinde schützen wollt. Derzeit ist in allen Landen und unter allen Rittern der Welt kein besserer Held zu finden als Ihr, keiner, der an Klugheit und tapferen Taten Euch gleichkommt, keiner, mit dem unsere Tochter und unser Reich besser versorgt wären.«

Uriens erschrak vor großer Freude hierüber nicht wenig. Er antwortete dem König ehrerbietig: »Großmächtiger König, ich sage für diese hohe und unverdiente Gnade meinen untertänigen Dank und halte mich für viel zu gering, die Erbin einer Königskrone als Gemahlin zu erhalten, noch geringer aber, ein so mächtiges Reich zu beherrschen. Jedoch wäre es mehr Vermessenheit als Demut, eine solche Gnade auszuschlagen. Deshalb will ich Eurem Beschluß gehorchen. So nenne ich die jetzt so betrübte Fürstin meine Braut und mich selbst ihren Diener.« Der König war über die kluge Antwort sehr erfreut und sprach: »Nun danke ich dem gütigen Himmel, daß ich noch vor meinem Tode Tochter und Reich nach meinem Wunsch versorgt habe.«

Hierauf entließ er Uriens und befahl die Hof- und Reichsstände zu sich, um ihnen seinen Willen vorzutragen. Hierzu sollten auch seine Räte, besonders aber seine Tochter kommen. Zu den Männern sprach er alsdann: »Wir haben unser Reich mit bewaffneter Hand bisher gegen die Heiden beschützt. Nun aber sind wir durch ein vergiftetes Geschoß zu Tode verwundet. Deshalb braucht ihr einen tapferen Helden zum Herrn, denn ihr seid den Ungläubigen zu nahe. Das Reich fällt an unsere einzige Erbin Herminia. Aus ihren Händen sollt ihr eure Lehen empfangen, ihr auch als eurer gnädigen Königin und Herrscherin huldigen und schwören.«

Dies alles geschah von Hof und Ständen nach dem Willen des Königs. Dann fuhr er fort: »Ihr Lieben und Getreuen wißt, daß einem schwachen, jungen Weib nicht immer möglich ist, Reiche und Länder zu regieren und vor feindlichen Angriffen zu schützen. Wir möchten ihr gern eine solche Last abnehmen und sie doch als Königin anerkannt wissen. In unserem ganzen Reich und in allen Nachbarländern aber finden wir keinen würdigeren Ritter, der ihr Gemahl und königlicher Herrscher zu sein verdient, als den Helden Uriens von Lusinia. An unseren Hof berufen, befindet er sich hier. Er hat diese Stadt aus den Händen der Feinde errettet und den Sultan und sein mächtiges Kriegsvolk besiegt. Mit eurer Einwilligung sind wir entschlossen, ihm unser einziges Kind, die Prinzessin Herminia, zu vermählen und ihm das Szepter des Reichs zu übergeben. Wir bauen auf eure Treue, daß ihr unseren Willen anerkennt und den Ritter ersucht, die angebotene Gnade anzunehmen. Ihr wißt, daß ihr mit des gütigen Himmels Hilfe durch ihn vor den Heiden gesichert sein werdet.«

Die Landesherren kamen dem königlichen Wunsch freudig nach und trugen Uriens ihre Bitte vor, sich mit der Prinzessin Herminia zu vermählen. Wenn dies geschehe, würden sie ihm auf der Stelle die Treue schwören und ihn zu ihrem König krönen. Uriens willigte freudig und dankbar ein. Er entließ die Abgeordneten, dies dem König zu melden, der ihn alsbald wieder zu sich rufen ließ. Er sprach: »Ihr seid würdig, das Szepter zu führen und das Königreich zu beherrschen. Das ganze Volk freut sich, Euch als seinem künftigen Gebieter zu huldigen.« Uriens dankte noch einmal mit tiefer Verneigung und versprach willig seine Dienste. Er und Herminia wurden sodann im Angesicht des sterbenden Königs vermählt, der alsbald verschied.

So wurde die Hochzeit in Trauer und Jammer begangen. Kein Tanz fand statt, kein Saitenspiel ertönte. Der König aber wurde mit großem Gepränge bestattet. Uriens und Herminia lebten in inniger Liebe miteinander, und zu ihrer Zeit genas die junge Königin eines Prinzen, dem sie den Namen Greif gaben. Dieser Sohn war später so tapfer, daß er in einem fremden Land viele Städte und große Herzogtümer gewann. Den Palast zu Colliers, der sehr stark war, eroberte er, dazu eine Insel, auf der ein großer Schatz verborgen war, und das Goldene Vlies, das Jason vor Zeiten hergebracht hatte. Er nahm auch eine Stadt im Mohrenlande ein und steckte auf ihren Zinnen sein Panier auf.

Damals erkrankte auch der König von Armenien, ein Oheim der Königin Herminia. Seine Krankheit verschlimmerte sich dermaßen, daß sein Ende bevorstand. Die Kunde davon kam nach Zypern und bald darauf die Nachricht von seinem Tode. Er hinterließ eine einzige Tochter, die Floria hieß und unvermählt war. Da traten die Landesherren zusammen und berieten, was zu tun sei. Weil die verstorbenen Könige von Zypern und Armenien Brüder gewesen waren, schickten sie eine Abordnung an den König von Zypern und baten ihn, seinen Bruder Gyot zu ihnen zu senden, damit er der Gemahl der Prinzessin Floria werde. Dann wollten sie ihm huldigen und ihn zum König krönen. Uriens hielt deswegen einen geheimen Rat. Man billigte einstimmig den Wunsch der Armenier, und Gyot reiste alsbald ab. Er wurde aufs trefflichste empfangen, und die schöne Floria begrüßte ihn als ihren Bräutigam. Nach kurzer Zeit wurde die Hochzeit gefeiert und Gyot feierlich zum König gekrönt. Von dieser Zeit an waren beide Königreiche wieder in den Händen zweier Brüder. Beide regierten klug und stark und leisteten dem Heidenvolk kräftigen Widerstand. Beide Königsfamilien hatten viele tapfere und schöne Söhne, die ebenfalls siegreich gegen die Heiden kämpften.

Inzwischen erhielten Raimund und Melusine Nachricht, daß ihre beiden Söhne durch ihre Tapferkeit zu hoben Ehren und sogar zu Thronen gekommen seien. Darüber freuten sie sich über alle Massen. Zum Dank für diese Fügung des Himmels ließ Melusine eine Kirche bauen, die Kapelle zu Unserer Lieben Frauen von Portenach genannt wurde. Auch ließ sie noch viele andere Kirchlein und Kapellen errichten.

Darauf vermählte sie ihren zweiten Sohn, Gedes, an eine Tochter des Grafen von der Mark. Inzwischen wurde auch ihr Sohn Reinhard, der nur ein Auge hatte, groß und stark. Er entschloß sich, mit seinem Bruder Antonius in die Fremde zu gehen wie seine beiden älteren Brüder und dort durch ritterliche Taten Ehre zu erwerben. So zogen sie mit großem Gefolge und gut ausgerüstet von Lusinia gegen Luxemburg, das der Fürst von Elsaß mit starker Macht belagerte. Er hätte diese Stadt ohne Zweifel genommen, wenn ihr nicht durch jene beiden Helden unerwartete Hilfe gekommen wäre. Der Fürst von Elsaß war von Herkunft König von Böhmen, daher man ihn auch allgemein den König von Elsaß nannte. Jeder wußte, daß sein Angriff mutwillig und freventlich war, mit dem er die verwaiste und hilflose Herzogin von Luxemburg schrecken wollte. Er versuchte nämlich, sie entweder zur Gemahlin oder Schloß und Stadt mit Gewalt von ihr zu holen.

Von dieser Gewalttätigkeit hörten die Brüder. Von Mitleid bewogen, sandten sie eilends einen Herold an den König von Elsaß und erklärten ihm den Krieg. Zum Beweise dessen steckten sie sofort ihr Kriegsbanner auf. Ungesäumt rückten sie gegen das feindliche Lager an, fanden den Feind schon in Schlachtreihe aufgestellt und mit Schwertern, Spießen und Hellebarden gut ausgerüstet. Darauf stellten sie auch ihre Mannschaft in Schlachtreihen auf und griffen die Elsässer mutig an. Diese wehrten sich und drangen auf das fremde Heer mit großer Gewalt ein. Doch die Lusinier warfen sie in heftigem Kampf zurück, wobei viele Elsässer ihr Leben lassen mußten. Der Sieg neigte sich den Lusiniern zu. Beide Brüder verrichteten in diesem Streit wahre Heldentaten. So wurde der Schrecken bei den Feinden überaus groß. Ihre anfängliche Siegeszuversicht und ihr prahlerisches Geschrei verstummten. Die Lusinier dagegen feuerten einander mit lauten Rufen an.

Inzwischen geriet der junge Held Antonius in die Nähe des Königs von Elsaß und focht mit ihm so geschickt und ungestüm, daß zuletzt der König sich gefangengeben mußte und ihm sein Schwert überreichte; es wäre ihm sonst ans Leben gegangen. Antonius behandelte ihn ritterlich. Als das rheinische Volk seinen Herrn gefangen sah, ergriff es die Flucht. Die Lusinier verfolgten sie, und besonders einer richtete unter ihnen großen Schaden an.

Nachdem der Feind völlig geschlagen war, schickten beide Brüder den gefangenen König nach Luxemburg in die Stadt und ließen ihn durch sechs ihrer Ritter der Erbin des Landes als Siegeszeichen übergeben. Als die Prinzessin solch königliche Beute erblickte, erinnerte sie sich der Drangsale, die ihr der Gefangene zugefügt und des Übermuts, den er an ihr ausgelassen hatte. Kein Wunder, wenn ihr die Rache, die der Himmel an ihm genommen, und ihre eigene Rettung tief zu Herzen gingen. Sie sprach daher zu den Rittern, die ihr den König brachten: »Tapfere Ritter, werte Freunde, ihr habt mir meinen Feind und mächtigen Verfolger in die Hände gegeben, und ich kann an ihm den Wechsel des Glücks und die Nichtigkeit allen Hochmuts erkennen. Der Himmel hat meine gerechte Sache zu einem guten Ende geführt und mir viel Geduld verliehen, euch aber den Sieg geschenkt. So sagt mir, wer die siegreichen Helden sind, die unser Land aus den Händen dieses Tyrannen errettet haben?« Ein alter Ritter antwortete ihr: »Durchlauchtigste Fürstin, die tapferen Überwinder stammen aus Lusinia in Frankreich und sind zwei Brüder, der eine heißt Antonius und der andere Reinhard. Ihre Losung und ihr Feldgeschrei waren das Wort Lusinia.«

Die Prinzessin antwortete darauf: »So danken wir denn dem gütigen Gott und jenen, die sich unser erbarmt haben. Weil wir durch diese mutigen Ritter von aller Angst befreit sind und uns sicher fühlen, soll zukünftig nichts ohne ihren Willen und klugen Rat von uns unternommen werden. Ja, alles, was der Himmel in unsere Hände gegeben hat, soll ihnen zu Diensten stehen.« Dann befahl sie, daß man sofort beiden Siegern die besten Herbergen der Stadt zuweisen und reichlich ausstatten solle. Außerdem sollte für ihre Krieger Unterkunft bei den Bürgern vorbereitet werden, damit bei ihrer Ankunft alles fertig wäre. So wurden die sechs Ritter von ihr in Gnaden entlassen. Sie eilten zu den Brüdern und berichteten ihnen, was sie gehört und gesehen hatten. Kaum waren sie damit fertig, als schon Abgeordnete der Herzogin im Zelt ankamen, um die Brüder im Namen ihrer Herrin zu begrüßen und zum Aufbruch in die Stadt zu veranlassen. Hier sahen sie das Königszelt mit einer reichen Beute von Silber, Gold und Kleinodien angefüllt. Dies ließen jedoch beide Sieger meist unter das Kriegsvolk austeilen, das wenigste behielten sie für sich selbst.

Hierauf wurde zum Aufbruch geblasen und der Einzug in die Stadt befohlen. Man bestellte Führer und Vorreiter, denen fünfzehnhundert Reiter in schöner Ordnung nachfolgten. Dann kamen beide Sieger nebeneinander auf buntgeschmückten Rossen und hinter ihnen ihr ganzes Volk mit fliegenden Fahnen. So ging der Zug nach der Stadt. Vor ihr wurden sie mit lieblicher Musik und allerlei Saitenspiel empfangen und ihnen als Dank für die Erlösung von der gesamten Bürgerschaft ein kräftiges Lebehoch zugerufen. Hierauf fanden sich zwei hohe Landesfürsten als Abgeordnete ein, die Reinhard und Antonius freundlich empfingen, sie auf die Burg begleiteten und bei der Herzogin einführten. Sie eilte ihnen entgegen und rief ihnen zu: »Seid willkommen, ihr meine Erlöser, und auch ihr, tapfere Mitstreiter eurer siegreichen Anführer! Seid alle herzlich willkommen! Rastet aus von eurer Mühe und seid fröhlich! Ihr sollt bei einem Ehrenmahl all eure Anstrengungen vergessen.«

Bei allerlei Gesprächen und Glückwünschen wurde das Bankett hergerichtet. Man brachte das Handwasser in einem goldenen Becken. Speisen wurden reichlich aufgetragen und die Gäste zur Tafel geführt. Obenan wurde der gefangene König gesetzt. Beide Sieger wurden zur Mitte der Tafel geführt; ihnen gegenüber saß die Herzogin. Danach folgten drei hohe Landesfürsten und verschiedene andere Kavaliere und Edle. Da gab es mancherlei frohe Gespräche und Glückwünsche. Jeder war fröhlich, am meisten waren es die beiden Brüder von Lusinia. Nur der gefangene König seufzte öfter zwischen seinen Worten. Er dachte, niemand merke es. Der Verlust seiner Männer und der verlorenen kostbaren Schätze bedrückte ihn zwischen aller Fröhlichkeit der anderen.

Als endlich die Tafel aufgehoben wurde und das Dankgebet gesprochen war, sprach der König von Elsaß zu beiden Siegern: »Meine Herren, nachdem ich heute durch euer Kriegsglück und mein widriges Schicksal in eure Hände gefallen bin, bitte ich euch, mir zu sagen, welches Lösegeld ihr für mich fordert. Möge es die Kräfte meines Landes nicht übersteigen. Dafür will ich mich gegen euch in jeder Weise erkenntlich zeigen.« Beide Brüder gaben ihm höflich folgende Antwort: »Zwar seid Ihr unser Gefangener, doch haben wir Euch der Herzogin übergeben. Was sie beschließen und tun wird, das wird auch uns recht sein. Anders wollen wir es nicht haben.« Als der König dies hörte, erbleichte er vor Schreck, denn er konnte sich wohl denken, daß er bei der Fürstin wegen seiner Gewalttaten wenig Gnade oder Milderung des schweren Lösegeldes finden werde, obwohl sie freundlich mit ihm sprach.

Die kluge Herzogin hatte alle Gespräche ungewollt mit angehört. Sie sagte großmütig: »Euch, meinen werten Errettern, danke ich nicht nur für eure getreue Hilfe, sondern ich überlasse euch auch den Gefangenen. Ihr selbst sollt das Urteil über ihn sprechen.« Als der König dies hörte, wurde er wieder zuversichtlich. Die Brüder erwiderten mit lauter Stimme: »Durchlauchtigste Fürstin, wir nehmen Eure Siegesbeute mit Dank an, erklären aber, daß wir kein Lösegeld verlangen, sondern unserem Gefangenen die Freiheit schenken. Dafür aber soll der König Euch kniend seinen Dank sagen und Euch für alle Beleidigungen und Bedrängnisse abbitten und schriftlich mit Unterschrift und Siegel geloben, dies nicht mehr zu tun.«

Nicht nur die Herzogin, sondern auch der gefangene König hielten diese Forderung für gerecht und annehmbar. Er leistete auf der Stelle mit tiefer Verbeugung Dank und Abbitte, wobei er bedachte, wie nachsichtig er behandelt worden und wie billig er davongekommen war. Um seinen Dank zu bekräftigen, versprach er den Brüdern treue Freundschaft und königliche Hilfe, wenn diese nötig sein werde. Dann wandte er sich an die Herzogin, dankte auch ihr und riet wohlmeinend, daß sie sich mit dem Helden Antonius vermählen möge. Dieser gute Rat gefiel nicht nur den Räten und Landesfürsten, sondern auch der Herzogin. Sie bedankte sich und gab lächelnd zu verstehen, daß sie ihn überdenken wolle.

Nicht mit Unrecht wird die Liebe mit einem Feuer verglichen. Jenes Wort des Königs von Elsaß bestätigte diesen Vergleich. Kaum war es gesprochen, fing das Fünklein an im Herzen der schönen Herzogin Feuer zu fangen, weiter zu glimmen und in Flammen auszubrechen. Die kluge Fürstin erkannte, daß diese Heirat ihrem Land nur von großem Nutzen sein könnte. Als Antonius inzwischen selbst um sie geworben hatte, gab sie ihm ihr Jawort und ließ die Hochzeit ohne Aufschub vorbereiten. Den Räten war dies sehr willkommen, weil sie es dem Lande für höchst dienlich hielten. Das Hochzeitsfest wurde bald gefeiert. Der König von Elsaß war dabei Ehrengast. Außerdem nahm eine große Zahl hochgeborener Gäste acht Tage lang an der Feier teil. Der König von Elsaß hielt sich bei den Turnieren trefflich im Sattel und erhielt auch einen Preis.

Kaum waren die fröhlichen Tage zu Ende, kam eine Schreckenspost. Denn als sich bereits alle Gäste verabschiedeten, langte ein Eilbote aus Böhmen am Hofe an. Er fragte nach dem König von Elsaß und verlangte, auf der Stelle vorgelassen zu werden. Er übergab dem König einen Bericht seiner Brüder und ergänzte ihn mündlich dahin, daß die Stadt Prag vom türkischen Großsultan mit einer gewaltigen Heeresmacht von allen Seiten eingeschlossen sei und auf keinen Entsatz zu hoffen habe. Der König von Böhmen ersuche daher seinen Bruder um schnelle Hilfe. Der König von Elsaß erschrak über diese Hiobspost. Er ließ das Schreiben laut vorlesen und bat beide Brüder, Antonius und Reinhard, zum Zeichen der Freundschaft an seiner Seite dem bedrängten Bruder mit vereinter Heeresmacht zu Hilfe zu eilen und das Land Böhmen vor dem Christenfeind zu erretten. Dadurch würden sie ihren Heldennamen noch weiter bekannt machen und sich Ruhm in aller Welt erwerben.

Nun wollte freilich die Gemahlin des Antonius ihren neuvermählten Gatten nicht von sich lassen. Er versprach deshalb dem König, seinen Bruder Reinhard zu bewegen, mit seinen Kriegern sofort aufzubrechen. Sollte die vereinigte Macht seines Bruders und des Königs nicht ausreichen, dann wollte er selbst mit einem Heer beiden zu Hilfe eilen.

Aus großer Freude versprach der König von Elsaß, seinen Bruder, den König von Böhmen, zu bewegen, Reinhard seine einzige Tochter zur Gemahlin zu geben. Nach dessen Tod könne Reinhard die Krone Böhmens aus den Händen der Stände erhalten. Die Herren von Lusinia sagten ihm dafür ihren Dank und waren um so entschlossener, Sieg und Ehre zu erringen. Sofort boten der König und Reinhard ihre Kriegsleute auf, eilten über den Rhein und hatten keine Ruhe, bis sie auf böhmischem Boden standen. Aber dort sahen sie die Feinde in ungeheurer Zahl, so mächtig und stark, daß sie allein keinen Angriff wagten. Deswegen sandten sie einen Eilboten an den Herzog Antonius ab, mit der dringenden Bitte, ihnen mit seiner Heeresmacht zu Hilfe zu kommen, um desto sicherer den Sieg zu erringen.

Antonius verabschiedete sich sofort von seiner geliebten Gemahlin und zog mit mehreren tausend Streitern davon. Er hatte viele mutige Bretagner und einen guten Teil tapferer Luxemburger bei sich, so daß die Macht beider Brüder allein über vierzigtausend Mann stark war.

Als Antonius bei Reinhard und dem König von Elsaß anlangte, begann den Türken doch bange zu werden. Sie erwarteten keinen leichten Kampf.

Indessen flehte die fromme Herzogin Christina von Luxemburg für das Wohlergehen ihres Herrn, und im ganzen Land betete das Volk in den Kirchen um Glück für seines Königs Waffen. Auch hatte die Fürstin ihren Gemahl gebeten, Schild, Helm und Panzer ihres seligen Vaters nie abzulegen, dabei auch sein Wappen zu führen. Er aber sagte ihr, sie solle unbekümmert sein, denn er habe von seinem Vater ein ererbtes Wappen, das er nicht aufgeben dürfe, auch habe ihn die Natur von Geburt an gleichsam mit einem Wappen, nämlich mit einer Löwenklaue in seiner Wange, gezeichnet, so daß er aus Tausenden zu erkennen sei. Deshalb wolle er auf seinem Helm einen Löwen als Losung führen und auch an ihren beiden Wappen einen Löwen anbringen lassen.

So tröstete Antonius beim Abschied seine Gemahlin und hoffte, eine große Ernte unter den Feinden abzuhalten. Als er sich auf böhmischer Erde befand und dem Lager nahe war, verbreitete sich noch größerer Schrecken unter den Feinden, und sie machten sich auf einen heißen Kampf gefaßt. Der König von Elsaß aber war vor Freude außer sich und eilte Antonius etliche Meilen entgegen. Er dankte beiden Brüdern für ihre Hilfe aufs herzlichste und sprach voller Zuversicht von einem glücklichen Ausgang. Die Zelte wurden aufgeschlagen und den umliegenden Ortschaften der Befehl erteilt, beide Herren und ihr Volk gut zu bewirten. Alles stand ihnen offen. In allen Städten, durch die sie kamen, wurden sie mit herzlicher Freundlichkeit aufgenommen. Das Volk jubelte ihnen zu: »Jetzt kommen unsere Befreier. Seid willkommen, ihr tapferen Retter des Reiches Böhmen! Helft uns, daß wir nicht in die Hände der Ungläubigen geraten!«

Endlich gelangten sie bei Prag an den Feind. Die Ungläubigen waren zwei Tage vorher der Stadt durch Eilmärsche näher gerückt und hatten den besten Platz zum Sturm ausersehen, so daß der eingeschlossene König von Böhmen ob der Übermacht seiner Feinde verzagte. Jetzt aber, da er wußte, daß sein Bruder und die Herren von Lusinia zum Entsatz der Stadt ihm zu Hilfe eilten, faßte er wieder Mut. Da wollte er zeigen, daß er ein tapferer König sei und sich noch wohl getraue, eine Heldentat zu vollbringen. Als daher der türkische Kaiser mit prahlerischen Worten vor die Stadt ritt und die Belagerten mit schimpflichen Reden und seinem aufgesteckten Panier herausforderte, wollte der König solchen Hochmut nicht länger dulden. Er nahm eine Anzahl seiner Reiter und tüchtigsten Streiter und befahl ihnen, sich mit Schild und Helm zu wappnen. Er ließ das Tor öffnen und zog an ihrer Spitze, im Vertrauen auf Gottes Hilfe, den Türken zum Trotz hinaus.

Alsbald entspann sich ein lebhaftes Geplänkel. Sehr viele Türken fielen. Es war eine rechte Lust zu sehen, wie die Christen über die Ungläubigen herfielen. Diese wehrten sich verzweifelt, und zuletzt sahen der König und seine Getreuen doch, daß sie zu einem solchen Ausfall zu schwach waren. Daher zogen sie sich in guter Ordnung zurück, ohne einen Mann zu verlieren. Der König hatte löwenmutig gekämpft und war mit dem Sieg nicht zufrieden. Deshalb hieb er noch auf dem Rückzug um sich, erlegte auch mehrere Feinde mit eigener Hand, wurde aber zuletzt von dem vergifteten Pfeil eines türkischen Schützen der Janitscharen zwischen den Panzer getroffen und zu Tode verwundet, da das Gift allmählich in sein Herz drang.

So wurde die Freude der Böhmen jäh in Leid verwandelt. Und sobald das Volk vom Unglück des Königs hörte, erhob sich bei Groß und Klein ein lautes Jammern und Klagen. Als die Türken davon erfuhren, wurden sie noch hochmütiger, als sie es bisher gewesen. Sie prahlten, daß sie gewaltige Taten verrichtet hätten und noch gewaltigere verrichten wollten. Sie nahmen sich auch vor, den Belagerten alles mögliche Leid und viel Schande anzutun. Aber es kam nicht soweit, denn die Rache Gottes brach über sie herein. Inzwischen machten die Böhmen einen Ausfall, um ihren toten König hereinzuholen. Dabei streckten die Barbaren viele streitbare Ritter nieder, so daß der Verlust der Tapfersten immer größer wurde. Die Prinzessin, die auch in der Stadt eingeschlossen war und die der Tod ihres Vaters tief niedergebeugt hatte, wurde noch trostloser. Ihr Schmerz stieg noch mehr, als sie sah, wie die Türken vor den Toren ein großes Feuer anfachten, die Leichname der Christen darauf warfen und unter Jubelgeschrei verbrannten. Die Prinzessin sprach zu sich selbst: »Ach, trostlose Eglantia, wie kannst du solchen Jammer ansehen, ohne dich von der Mauer hinabzustürzen und so deinem Vater nachzufolgen? Bekränzt man so die siegreichen Helden? Geht man so mit Kron- und Szepterträgern um? Brecht hervor, ihr Tränen! Löscht, wenn es möglich ist, die mörderische Flamme mit eurem Strome aus. So bin ich nun eine verlassene Waise, und der Thron meines Reichs ist seines vortrefflichen Herrschers beraubt. Sollen die Ungläubigen ihr Siegesbanner auf meinen Mauern aufpflanzen und ihre Waffen unter den Stadttoren anlehnen? Ach, höre mich, gütiger Himmel, und laß nicht zu, daß dieses heidnische Volk über das Häuflein starkmütiger Christen herrsche!«

So seufzte die Betrübte, und mit ihr klagte die ganze Stadt, so daß man die Wehlaute weithin hören und selbst im türkischen Lager vernehmen konnte. Angetrieben durch das klägliche Jammergeschrei, das aus der Stadt herübertönte, stellten sich die Heere der Brüder von Lusinia und des Königs von Elsaß zum Kampf in drei Haufen auf. Sie kamen im Sturmschritt gegen die Feinde gezogen. Alle waren voll Mut und begierig, die Stadt recht bald von ihren grausamen Bedrückern zu befreien. Vorher hatten sie einen Eilboten abgesandt, der sich mit List in Prag einschlich und den Bürgern die Kunde der herannahenden Rettung brachte. Er lief die Strassen entlang und rief: »Seid getrost, ihr Bürger, seid guten Muts! Ich bringe euch gute Nachricht. Eure tapferen Befreier marschieren bereits gegen euren Feind. Der König von Elsaß und der Herzog von Luxemburg mit Reinhard von Lusinia werden ihn bald geschlagen haben.«

Diese Nachricht machte die Einwohner in ihrer Betrübnis wieder zuversichtlich. Der Bote erzählte ihnen auch, was sich vor Luxemburg ereignet hatte; wie der König von Elsaß gefangengenommen und wieder freigelassen worden und danach der tapfere Antonius zum Herzog von Luxemburg ausgerufen worden sei. Mit neuem Mut erfüllt, begaben sich die wehrhaften Männer wohlbewaffnet auf die Mauer und fochten gegen die andringenden Türken so tapfer, daß diese staunend den Rückzug antraten. Sie sprachen untereinander: »Ihr Gott streitet für sie, oder sie haben Verstärkung erhalten.« Während sie sich noch wunderten, kam unter großem Geschrei ein Bote aus den Zelten zu ihnen gerannt. Er rief, sie sollten sofort den Ansturm beenden und sich in das Lager zurückziehen, wenn sie nicht alle des Todes sein wollten, denn fremdes Volk rücke zum Entsatz dicht wie eine Nebelwolke heran und werde bald angreifen.

In aller Eile zogen sich die Türken zurück und stellten sich in Schlachtordnung auf. Die Trompeten schmetterten, und die Christen gingen wie Löwen auf die Feinde los. Sie zerbrachen ihre Reihen, durchstachen ihnen Schilde und Helme und fällten eine große Anzahl von ihnen. Besonders tapfer kämpfte Reinhard von Lusinia, und sein Bruder Antonius gab ihm nichts nach. Die Ungläubigen wurden ganz verzagt, die Christen dagegen immer mutiger. Sie riefen einander zu: »Voran, ihr Männer, schlagt eure Feinde, der Sieg ist unser!« Der Sultan sah die Niederlage seines Volkes und gebärdete sich wie unsinnig. Er griff zu den Waffen, eilte aus seinem Zeit und raste selbst unter die Christen, von denen er auch in seiner Wut viele erlegte.

Als Reinhard aber den Sultan erblickte, griff er zum Schwert, spornte sein Ross und sprengte auf ihn los. Er holte aus, spaltete dem türkischen Kaiser den Kopf in zwei Hälften und streckte ihn so in den Staub. Als dies die Türken sahen, ergriffen sie in wilder Unordnung die Flucht. Aber Reinhard, Antonius und der König von Elsaß setzten ihnen mit ihren Kriegern nach und trieben sie vor sich her, wobei viele Türken den Tod fanden. Der Sieg war errungen. Als der König von Elsaß ins Lager zurückkehrte, erfuhr er, daß der Sultan seinen Bruder getötet und die Leiber vieler Helden habe verbrennen lassen. Sofort ließ er einen großen Holzstoß zusammentragen, den Leichnam des Sultans und sämtlicher gefallener Türken darauf werfen und verbrennen, wie die Ungläubigen es mit den Christen getan hatten. So endete die Türkenniederlage und die Befreiung der Stadt Prag.

Als die Türken sich weit entfernt hatten, besetzten beide Brüder das feindliche Lager und zogen in die Zelte ein. Der König von Elsaß aber begab sich in die Stadt Prag und besuchte seine Nichte, die verwaiste Königstochter. Sie ging ihrem königlichen Oheim entgegen und bedankte sich, wiewohl tiefbetrübt, beim König und den Helden, die in seinem Gefolge waren. Der König dagegen sprach ihr freundlich Trost zu und beklagte zugleich mit ihr den Tod seines Bruders, der ihr und dem ganzen Lande Vater gewesen war.

Hierauf wurde die Leiche des Königs feierlich begraben. Alle Feldhauptleute und Krieger, die im verlassenen türkischen Lager waren, erschienen dazu. Beide Brüder von Lusinia wurden vom Volke der Stadt mit Bewunderung betrachtet als zwei löwenmutige Helden, besonders aber Antonius, der die Löwenklaue auf der Wange zum Wahrzeichen mit auf die Welt gebracht hatte. An Reinhard aber wurde seine königliche Haltung bewundert und er daher vom Volke für würdig erachtet, eine Krone zu tragen. Während sie die Helden anstaunten, nahm die Trauerfeier ein Ende.

Dann ließ der König von Elsaß alle Grossen des Landes und den gesamten böhmischen Adel zu sich rufen und stellte ihnen mit bewegten Worten vor, was dem Vaterland nötig sei. Er sprach: »Liebe Herren und Edle, treue Freunde meines seligen Bruders, euch allen ist der Trauerfall, der euer Königreich verwaist gemacht hat, bekannt. Deswegen ist vonnöten, auf die Wiederbesetzung des Thrones bedacht zu sein, damit das Reich nicht ohne Vater sei und der Thron nicht leer stehe. Weil nun mein Bruder eine einzige Erbin als eure Gebieterin hinterlassen hat, ist zu beraten, was für das Heil des böhmischen Reiches und der Krone zu tun ist.«

Die Ritterschaften und der ganze Reichsadel dankten dem König für seine wohlgemeinten Worte und sagten einstimmig, daß sie keinen besseren Rat wüßten, als daß Seine Majestät die Sorge für das Land übernehme. Darauf versetzte der König: »Gut, weil ihr dies Vertrauen zu uns habt, sagen wir euch folgendes: Wir wissen und finden keinen Tauglicheren, den Thron zu besteigen und das Szepter zu führen und Gemahl der königlichen Erbin zu sein als den jungen Helden, den Grafen Reinhard von Lusinia, der so ritterlich und kühn zur Befreiung eurer Stadt gekämpft hat. Ihn empfehlen wir als neuen Szepterträger und sorgsamen Landesvater und hoffen auf eure Einwilligung hierzu.«

Auf diese Erklärung des Königs ertönte Jauchzen und Frohlocken aus der Mitte der Landesstände, und auch das Volk jubelte über einen solch klugen Rat. Die ganze Stadt erscholl von Freudenrufen, daß sie einen so schönen und tapferen König haben sollten. Auch die Prinzessin war außer sich vor Freude, denn sie hatte den jungen Helden schon in ihr Herz geschlossen. Herzog Antonius dankte hierauf für die Ehre, die seinem Bruder Reinhard erwiesen wurde. Dieser sagte überaus fröhlich selbst seinen Dank und versprach feierlich, jederzeit ein sorgender Vater des Reichs zu sein und mit Maß und Milde zu regieren. Er wurde von allen beglückwünscht, und man wünschte, daß er nur recht bald die Regierung antreten möge. So erhielt nach Gottes Willen Reinhard ein Königreich und eine schöne Königstochter zur Gemahlin, das Reich aber einen würdigen König.

Als die Hochzeitsfeierlichkeiten zu Ende waren, trat Reinhard seine Regierung an. Er zeigte sich als ein recht liebreicher Landesvater und ein großmütiger Herrscher, der nur das Glück seines Landes wünschte. Er gewann auch mehrere Landschaften, dazu das ferne Königreich Dänemark, so daß jeder diesen heldenmütigen Fürsten nicht genug loben konnte.

Als der König von Elsaß nach den Hochzeitsfeierlichkeiten heimzog und sein Kriegsvolk zum größten Teil entließ, reiste auch Herzog Antonius in seine neue Heimat Luxemburg zurück. Hier blieb er bei seiner geliebten Gemahlin, die ihm zwei schöne Prinzen schenkte, von denen der eine Bertram, der andere Loyers genannt wurde. Viele Jahre lebten sie so in Liebe miteinander. Dann unternahm der Herzog einen Krieg gegen den mächtigen Grafen von Freiburg und zog darauf auch gegen Österreich, wo er verschiedene Orte und Landschaften eroberte. Bei alledem hatte er großes Glück. Sein ältester Sohn Bertram tat sich als Ritter auch hervor und bekam eine Tochter des Königs von Elsaß zur Gemahlin, wodurch er nach dem Tode ihres Vaters den Thron erhielt. Der andere Sohn, Loyers, wurde auch ein wackerer Held. Er war mächtig in der Dordogne, baute das Schloß von Jaly und später die schöne Brücke von Mallières und verrichtete allerlei ritterliche Taten.

Nun wollen wir uns zu Raimund und Melusine zurückwenden und vom Schicksal ihrer übrigen Kinder erzählen. Beide gingen ihren Söhnen mit ihren Tugenden als leuchtendes Beispiel voran. Raimund eroberte fast das ganze französische Land gegen die Bretagne zu. Sein Sohn Geoffroy, der den großen Zahn mit auf die Welt gebracht hatte, erwies sich ebenfalls als sehr tapfer. Denn als die schreckliche Nachricht gebracht wurde, daß im Land Garande ein Riese sich aufhalte, der Land und Gegend bis an die Stadt Rochelle verwüste, erbot er sich, das Land von diesem Ungeheuer zu befreien. Sein Vater hörte dies nicht gern, denn er befürchtete, der starke Riese würde ihn überwältigen. Aber der junge Held blieb bei seinem Entschluß, ließ sein Ross satteln und zäumen und ritt in die Landschaft Garande, um dem ungeheuren Riesen den Hals zu brechen.

Inzwischen wuchs auch Freimund, der jüngste Sohn Melusinens, heran. Er war ein stiller, gelehrter und frommer Jüngling, der den geistlichen Stand liebte. Er besuchte gern das Kloster zu Mallières und verlangte endlich, in den Orden der Mönche aufgenommen zu werden, um Gott lieber in Demut als in hohen Würden zu dienen. Bald trat er in den Orden ein, worüber die Mönche sich sehr freuten. Sie wußten nicht, daß ihnen die Aufnahme des Grafen viel Herzeleid bringen würde.

Während sich die Eltern innerlich betrübten, erhielten sie am Hof zu Favent durch einen Eilboten die frohe Nachricht vom Sieg ihrer beiden Söhne vor Luxemburg und Prag. Dabei wurde ihnen berichtet, wie Antonius das Herzogtum, Reinhard die böhmische Krone und beide schöne, reiche Fürstentöchter zu Gemahlinnen bekommen hätten. Es läßt sich kaum denken, welche Freude und welchen Trost in ihrer Betrübnis diese Botschaft den Eltern brachte. Sie dankten Gott von ganzem Herzen für dieses Glück ihrer Söhne und waren nun zufrieden, bei drei Königen und einem Herzog auch einen Mönch in ihrem Geschlecht zu haben, der darum beten könnte, daß die übrigen Kinder ebenfalls wohl geraten und zu gleich hohen Würden emporsteigen mögen.

Wie aber das Leid die Freude auf der Welt begleitet oder ihr doch auf dem Fuße folgt, so geschah es auch hier. Und wie vorher das Glück, so fing auch das Unglück diesmal zuerst bei den Eltern an. Raimund verlor nämlich eines Sonnabends zufällig seine Melusine aus den Augen. Weil er ihr aber durch das Gelübde versprochen hatte, an keinem Sonnabend ein Wort mit ihr zu wechseln oder auch nur nach ihr zu fragen, so machte er sich über ihre Abwesenheit keine Gedanken. Nun starb zur selben Zeit der alte Graf vom Forst, und der ältere Bruder Raimunds kam nach Lusinia, um den Tod des Vaters anzuzeigen. Er traf mit vielen hohen Herren ein und wurde würdig empfangen und geehrt.

Es war aber gerade Sonnabend. Der Graf vom Forst vermißte seine Schwägerin Melusine und bat seinen Bruder mit freundlichen Worten:

»Lieber Bruder, wir möchten gern auch Eure Gemahlin begrüßen und ihr die gebührende Ehre erweisen.« Raimund erwiderte ihm höflich, daß es heute nicht gehe, aber morgen geschehen solle. Der Graf wollte sich mit dieser Antwort nicht begnügen. Er führte bei der Mahlzeit seinen Bruder beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: »Lieber Bruder, mich dünkt, Ihr seid bezaubert. Das ganze Land hat auch diese Meinung von Euch. Wie könnt Ihr so geduldig sein und gar nicht nach dem Tun und Lassen Eurer Gattin fragen? Meint Ihr, daß Ihr Ehre davon habt und nicht allmählich beim Volke Verdacht über einen solch seltsamen Lebenswandel entsteht? Es ist bekannt genug, daß Eure Frau wirklich ein gespenstischer Geist ist, der sein Spiel mit Euch treibt.«

Ein grimmiger Zorn erfüllte Raimund bei diesen Worten. Er wurde blaß und wieder rot. Der Schimpf, den er durch sie erfuhr, nahm ihm die Besinnung. Voller Wut ergriff er das beste und größte Schwert und drang damit in das Geheimzimmer seiner Gemahlin. Hier stieß er aber auf eine verschlossene und mit eisernen Bändern beschlagene Tür, die sich gleichsam seinem Grimm widersetzen und ihn zur Besinnung zurückrufen wollte. Doch der rasende Verdacht kehrte immer wieder, und wenn er auch nicht an das Gerede seines Bruders glaubte, so vermutete er doch nichts Besseres und gab argwöhnischen Gedanken über die Untreue seiner Gattin Raum. Er bohrte mit seinem Schwert an einer unbeschlagenen Stelle ein Loch durch die Tür von Eichenholz und starrte finsteren Blicks hinein, um sein eigenes Unglück zu schauen.

Zu seinem ungeheuren Schrecken sah er seine Gemahlin mit ganz verwandelter Gestalt in einem Becken sitzen. Das Gesicht und die obere Hälfte des Körpers waren wunderschön, aber von der Hälfte abwärts ging Melusine in einen langen, mißgestalteten, schlangenartigen Schweif über, der lasurblau und silbern glänzte. Raimund stand vor der Tür, ihn überlief kalter Schweiß, und die Bangigkeit wollte ihm das Herz sprengen. Er konnte nichts denken und nichts sagen. Doch fiel ihm endlich das heilige Versprechen ein, das er seiner Gattin gegeben und jetzt im Zorn treulos gebrochen hatte. Er verklebte daher mit Wachs das Loch, das er mit dem Schwert gebohrt hatte und hoffte, Melusine werde seinen Treubruch nicht gemerkt haben. Dann verließ er mit heimlichem Grimm und in tiefer Schwermut still das Vorgemach und begab sich wieder zu seinem Bruder. Er konnte sich nicht verstellen, und der Bruder bemerkte sofort an Miene und Gesichtsfarbe die große Veränderung, die mit Raimund vorgegangen war. Sogleich stieg in ihm der Gedanke auf, Raimund müsse seine Gemahlin auf irgendeiner bösen Tat ertappt haben. Er sprach deswegen ohne Scheu zu ihm: »Lieber Bruder, ich merke wohl, daß Ihr von Eurer Gemahlin betrogen werdet!« Raimund aber erwiderte darauf ganz entrüstet, um seinen Kummer zu verbergen: »Ihr irrt Euch. Man versuche nicht, die Ehre meiner Gemahlin zu beflecken. Es sei denn, daß jemand Lust habe, sich unglücklich zu machen. Ihre Frömmigkeit leidet keine solche Beschimpfung, wie Ihr sie Euch erlaubt habt. Darum geht rasch aus meinem Angesicht und reizt nicht ferner meinen Zorn, so lieb Euch Euer Leben ist. Eure Gegenwart ist mir ein Dorn im Auge und ein Pfeil im Herzen, darum geht!«

Als der Graf seinen Bruder Raimund so erregt und bedrückt sah, schwang er sich in höchster Bestürzung wieder auf sein Pferd. Es tat ihm leid, durch sein Wort solchen Zorn auf sich geladen zu haben. Indessen schmerzte es Raimund immer mehr, daß er sein Gelübde gebrochen hatte, denn er konnte sich leicht denken, daß Melusine ihre Drohung wahr machen und sich von ihm trennen werde. Dies alles ging ihm sehr zu Herzen, und er brach in seiner Einsamkeit in bittere Klageworte aus: »Unglückseliger, warum verfluchst du nicht die Stunde deiner Geburt? Nur darum bist du zu solchem Glück erhoben worden, um jetzt desto tiefer zu fallen. So ist denn durch meine eigene Schuld die größte Freude meines Lebens dahin, sie, die ich wie meine Seele liebe.« Er warf sich in größtem Schmerz auf sein Lager, aber die Tränen, die er vergoß, brachten ihm keine Ruhe. Von Liebe und Ungeduld gepeinigt, rief er: »Melusine, meine einzige Freude, mein einziger Trost, du Schöpferin meines Glücks, wenn ich dich verliere, verliere ich auch mein Glück. Soll ich aber ohne dich einsam leben, so will ich mich lieber in der Einöde verbergen.« Und so währten seine Klagen den ganzen Tag und die schlaflose Nacht hindurch. Die Trauer wollte aus seinem Herzen nicht weichen, bis endlich der erwünschte Sonntag anbrach.

Nun ging seine Sonne wieder auf, und der Stern seines Glücks begann wieder zu leuchten. Denn die Kammertür wurde geöffnet, und Melusine trat mit dem gewohnten freundlichen Herzensgruß vor ihn hin in all ihrer Schönheit. Sie sprach: »Mein Geliebter, welche Schwermut hält Euer Herz gefangen? Was für eine Wolke ruht auf Eurer Stirn? Sagt mir, was Euch bedrückt, damit ich Euch helfen kann!« Wer war fröhlicher als Raimund, da er solch liebe Worte hörte! Er glaubte, Melusine wisse nichts davon, daß er die Tür durchbohrt und sie in ihrem unnatürlichen Zustand gesehen habe. Daher erwiderte er: »Weil ich Euch gestern nicht sah, hat dies eine solch große Sehnsucht nach Euch in mir erweckt, daß ich schlaflos war und noch matt bin. Aber Eure liebe Gegenwart, mein bester Arzt, wird diese Betrübnis von mir scheuchen. Ich fühle gar nichts mehr, mir ist sehr wohl zumute.« Melusine aber wußte alles, was geschehen war. Sie mußte bei sich selber lächeln, daß Raimund seinen Fehler so gut zu beschönigen und sich anzustellen wußte, als wenn er nicht das geringste gesehen hätte.

Während dies geschehen war, befand sich Geoffroy auf der Fahrt zu dem Riesen. Er fragte überall, wohin er kam, nach seinem Aufenthalt. Endlich erfuhr er, daß jener in einem sehr festen Schloß hause und sein Name Gedeon sei. Es gelang Geoffroy glücklich, ohne Aufsehen in die Nähe der Burg zu gelangen. Dort sprang er vom Pferd, wappnete sich mit Harnisch, Helm, Schwert und einem herrlichen Goldschild. Er nahm einen trefflichen Speer zur Hand, schwang sich wieder auf sein ungeduldiges Ross und ritt weiter. Die Zuschauer gönnten ihm zwar von Herzen den Sieg und sahen seinen Feuergeist aus seinen Mienen hell hervorleuchten, doch waren sie von Herzen betrübt, denn sie dachten, daß der junge Ritter nach seiner Größe und Stärke nur wie ein Kind gegen jenes Ungeheuer wirke. So zweifelten sie am Gelingen seines Unternehmens. Er ließ sich aber durch ihre Bangigkeit nicht abhalten, und so wünschten sie ihm zu seinem Vorhaben Glück und Segen. Er war nicht im geringsten verzagt, ja, er tröstete die Betrübten und ermunterte sie. Er sprach: »Seid getrost und sorgt euch nicht. Ich reite dahin, Ruhm zu ernten, dem Lande Heil zu bringen, Eure Furcht und Euren Schrecken zu beseitigen und mit Hilfe des Himmels das Ungeheuer zu besiegen.« So ritt Geoffroy kampfeslustig bis vor die Brücke des Schlosses, in dem der Riese wohnte. Er sah sich zuerst vorsichtig um, ob er ihn nicht erblicke. Dann begann er mit heller Stimme zu rufen: »Wo bist du, schändlicher Bösewicht, der mein Land verwüstet? Hier steht dein Richter und der Rächer deiner Verbrechen, der dich mit Gottes Hilfe dem Tod ausliefern wird. Heute, du Bluthund, sollen dein Blut die Hunde lecken, deine ganze Macht werde ich zur Erde strecken.« Kaum hatte er diese Aufforderung beendet, öffnete der Riese im obersten Stockwerk des Schlosses ein Fenster. Sein Haupt übertraf an Größe bei weitem den größten Büffelkopf. Er sah den jungen Ritter und wunderte sich, daß er ganz allein und ohne Begleitung zu ihm käme. Darüber begann er zu lachen, schüttelte spöttisch seinen Kopf und rief herab: »Woher so allein, du Kleiner? Suchst du deinen Tod, bist du des Lebens müde? Fast schäme ich mich, dich aus der Welt zu befördern. Doch weil du es so haben willst, bin ich bereit, deinen Übermut zu bestrafen.«

Hierauf legte der Riese schnell seinen Harnisch an und stellte sich mit einem Schild aus Stahl, drei eisernen Stangen und drei Hämmern, die er an den Gurt hängte, vor das Schloß. Seine Länge betrug fünfzehn Schuh, doch Geoffroy fürchtete sich nicht und zeigte nicht das geringste Entsetzen. Er wunderte sich nur, daß es einen solch ungeheuer großen Menschen auf Erden gab. Indessen ritt er zu ernstlichem Kampf, aber voller Zuversicht auf den Platz, dem Riesen entgegen. Dieser fragte ihn, wer er sei. Jener antwortete: »Ich bin Geoffroy mit dem Zahn und bin gekommen, dich noch heute zu töten.«

Gedeon lachte darüber und antwortete: »Mich jammerst du, winziges Menschlein, du milchbärtiger Kleiner, daß ich dich mit einem einzigen Streich umbringen soll. Suche dir besser einen Menschen, wie du es bist, als mit mir zu kämpfen. Reite wieder nach Hause und freue dich deiner Jugend, denn für diesmal ist dir dein Leben geschenkt.« Geoffroy ärgerte diese höhnische Rede. Ganz entrüstet versetzte er: »Es ist gar nicht nötig, daß du solch ein Mitleid mit mir hast. Ich bin nicht hierher gekommen, dein Erbarmen zu wecken, sondern dir dein Leben zu nehmen.« Der Riese, der alles noch immer für einen Scherz hielt, unterließ, sich zum Kampf zu stellen. Nachdem Geoffroy ihn allen Ernstes hierzu wiederholt aufgefordert hatte, rannte er plötzlich auf ihn zu und stieß ihm mit dem Speer so heftig gegen die Brust, daß er zu Boden stürzte und die Erde von seinem Fall erzitterte.

Als der Riese den Ernst des Ritters sah, geriet er vor Scham und Wut ganz außer sich. Er schäumte vor Zorn, daß ihn jener kleine Fant mit einem einzigen Stoss niedergeworfen hatte. Tolpatschig richtete er sich wieder auf, ergriff eine seiner stählernen Stangen und holte zu einem, Streich gegen Geoffroy aus, der bereits zum zweiten Male gegen ihn anrannte. Der Hieb traf Geoffroys Pferd und schlug ihm mitten im Lauf beide Vorderbeine ab. Das Ross fiel zu Boden, blieb liegen, Geoffroy achtete nicht darauf, sondern sprang behende ab und ergriff schnell sein Schwert. Damit rannte er auf den Riesen zu und versetzte ihm, ehe er es sich versah, einen so starken Streich, daß der Schild ihm aus der Hand fiel. Doch der Riese schwang seine stählerne Stange und versetzte dem Ritter damit einen so kräftigen Schlag auf den Helm, daß Geoffroy wie betäubt war und fast zu Boden gefallen wäre. Doch erholte er sich gleich wieder und steckte das Schwert schnell ein. Dann eilte er mit einem Sprung auf das Pferd zu und riß seinen stählernen Kolben mit solcher Geschwindigkeit vom Sattelknopf, daß es jener nicht sah. Mit ihm schlug er dem Riesen unversehens die Stange aus der Hand. Da ergriff dieser einen seiner Hämmer und warf ihn nach dem Ritter. Er traf und schleuderte ihm den Kolben aus der Hand. Als der Riese dies sah, bückte er sich mit großer Freude, um den Kolben aufzuheben. Da ergriff Geoffroy wieder sein Schwert und hieb ihm einen Arm von der Schulter. Gedeon wollte sich den Schmerz nicht anmerken lassen; voller Wut, griff er mit der anderen Hand nach einer Stange und holte aus. Der hurtige Geoffroy aber wich ihm aus, so daß jener vom starken Schwung auf die Knie fiel und seine Götter um Hilfe anzurufen begann. Der Ritter nahm die Gelegenheit wahr, führte einen tüchtigen Hieb auf den Helm des Riesen und spaltete Helm und Kopf zugleich. Dann schlug er ihm das Haupt ganz ab. So wurde der Bösewicht überwunden und das Land von ihm befreit.

Dann begann der Sieger in des Besiegten Horn zu stoßen, um das Volk zusammenzurufen. Darauf eilte es zum Wiesengrund hinab, um das traurige Schauspiel zu betrachten. Denn alle meinten, der kleine junge Ritter habe seine Kampflust mit dem Leben bezahlen müssen. Aber sie fanden es ganz anders, als sie es sich gedacht hatten. Das tote Ungeheuer lag in seinem Blute hingestreckt und das Haupt vom Rumpf getrennt. Der junge Ritter hingegen wandelte unversehrt, frisch und gesund auf dem Kampfplatze umher. Alle Zuschauer waren voller Freude und beglückwünschten Geoffroy. Man hörte von ihnen nur die Worte: »Seht den tapferen Helden, unseren Erretter. Der Himmel hat ihm den Sieg verliehen. Seht, seht, wie frisch und mutig er umhergeht! Wie feurig sind doch seine Blicke und wie lebhaft seine Gebärden! Er ist es, den ihr dort seht. Ihm laßt uns danken.« So rief das Volk eine ganze Weile, und sogar die Leute des Riesen freuten sich über dessen Niederlage.

Die Menge drängte sich hinzu, und viele wollten wissen, wie es beim Kampf zugegangen sei. Doch niemand wagte es, den jungen Sieger zu fragen. Geoffroy merkte dies und sprach endlich zu ihnen: »Liebe Freunde, ihr seht hier den Prahler und schädlichen Landesfeind am Boden liegen. Er drang mit großer Gewalt auf mich ein und machte mir viel zu schaffen. Der Himmel war auf meiner Seite. Umsonst rief er seine Götzen an. Dankt Gott mit mir, der mir Fäuste und Arme gestärkt hat, daß sie gegen diesen riesigen Unmenschen bestehen konnten.« Das erste, was Geoffroy im Schloß tat, war, einen Eilboten an seine Eltern nach Favent zu schicken, der ihnen die Botschaft vom Tod des Riesen überbringen mußte. Die Freude der Eltern über den Sieg ihres tapferen Sohnes war unendlich. Der Bote wurde reichlich belohnt und mußte gleich wieder ein Schreiben Raimunds an seinen Sohn mitnehmen. Mit dem elterlichen Gruß erhielt er ihre Glückwünsche und zugleich den Bericht, daß sein Bruder Freimund im Kloster zu Mallières Mönch geworden sei. Diesen Brief hätte der gute Raimund nicht schreiben sollen, denn er war Anlaß zu seinem eigenen Unglück, wie wir hören werden.

Während Geoffroy zu Garande allerlei Ehren erwiesen wurden, kam ein Eilbote zu ihm geritten, der die Nachricht brachte, daß auch im fernen Land Norwegen in der Landschaft Norheim sich ein Riese aufhalte, der fast das ganze Land verheere und den Leuten großen Schaden anrichte. Er, der berühmte Riesentöter, werde von allen Landesherren Norwegens gebeten, alsbald zu ihnen zu kommen und das Land von diesem Ungeheuer zu befreien. Dafür wollten sie ihn statt des schuldigen Dankes als ihren Herrn anerkennen und ihm huldigen.

Diesen Brief las Geoffroy mit lautem Lachen. Er sagte dem Boten, er möge seinen Herren mitteilen, daß er ihnen alles Gute wünsche. Er komme bald, aber nicht um einer Belohnung willen, auch nicht, um Land und Leute zu gewinnen, sondern aus Mitleid für die Bedrängten. Aus diesem Grund wolle er Leib und Leben wagen und mit Gottes Hilfe, wie hier, den Sieg davontragen.

Geoffroy hatte seine Ausrüstung beendet und wollte eben das Schiff besteigen, da kam der Bote mit des Vaters Brief, in dem geschrieben war, daß Freimund Mönch geworden sei. Die Eltern baten Geoffroy in dieser Sache um seinen Rat. Über den Bruder ergrimmte er so sehr, daß er vor Zorn bleich wurde und mit den Füssen stampfte, ja, daß sogar Schaum vor seinem Munde stand. Alle, die um ihn standen, zitterten vor Schreck. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Er schrie voller Wut: »Ich will die verführerischen Mönche von Mallières züchtigen und es rächen, daß sie aus einem jungen Ritter einen faulen, schüchternen Stubenbuben gemacht haben. Sollte er seinen Ritterorden um eine Kutte und eine Tonsur vertauschen und das Feuer seiner Jugend in Trägheit verrauchen lassen? Ich schwöre, daß dieser Frevel an dem ganzen Kloster mit Feuer bestraft werden soll.«

Der Bote aus Norwegen, der noch zugegen war und alles mit anhörte, zitterte vor Furcht über diesen Plan, weil er die Abreise des Ritters nach Norwegen verhindern könnte. Aber Geoffroy, der seine Besorgnis sah, sprach zu ihm: »Ihr zieht nicht eher von hier, bis ich in einer gewissen Sache Rache genommen habe. Dann will ich mit Euch kommen, um den Feind Eures Landes zu vernichten.«

Mit diesem Versprechen mußte sich der Fremde zufriedengeben. Hierauf ließ Geoffroy in aller Eile die Pferde satteln und ritt mit wenigen seiner Diener dem Kloster Mallières zu. Es war ein Dienstag, als er dort ankam. Der Abt ging ihm mit dem ganzen Konvent mit großer Freude und Ehrenbezeugung entgegen, um ihn zu begrüßen. Allein Geoffroy achtete nicht darauf, sondern redete sie zornig an: »Ihr Verführer habt ein junges Ritterblut in euer Kloster gelockt! Wer zum Henker hat euch befohlen, meinen Bruder Freimund auf die faule Haut zu legen, auf daß sein edles Gemüt der Trägheit verfalle und er den blanken Degen gegen die härene Kutte vertausche? Wißt ihr auch, daß ihr für solch ein Verbrechen alle miteinander den Feuertod verdient habt? Und er soll augenblicklich durch diese meine Hand an euch vollzogen werden, an euch, die ihr so freventlich die alten Stämme der jungen Äste beraubt.«

Der Abt und der ganze Konvent zitterten in größter Sorge, keiner wußte vor Schreck, was er auf die schnaubenden Worte des ergrimmten Ritters antworten sollte. Doch endlich erholte sich der Abt von seinem Schreck und beteuerte, daß nur die eigene Frömmigkeit seinen Bruder bewogen hätte, dem Orden beizutreten, und daß Freimund dies selbst bezeugen könne. Freimund sprach: »Mein Bruder, so ist es. Nicht der Konvent, sondern mein freier Wille war es, daß ich mich entschlossen habe, Gott zu dienen und ein Mönch zu werden. Warum sollen die Unschuldigen die Strafe des Schuldigen leiden? Bin ich straffällig, so mag der Himmel mich bestrafen, der allein mein Verbrechen oder mein Rechttun zu richten hat. Vergreife dich nicht an dem geweihten Ort und seinen Mönchen, die wir doch unablässig für das Wohl des ganzen Lusinischen Hauses und somit auch für das deinige beten.«

Diese Worte machten den Zornigen noch grimmiger. Er stieg eilends vom Pferd, ließ sofort einen großen Haufen von Holz, Heu und Stroh zusammentragen und zündete ihn mit eigener Hand an; und der Wind trieb die Flamme gegen das Kloster. Die Mönche waren in die Kirche geflohen und mußten hier in Flammen und Rauch ihr Leben lassen. Über hundert Mönche, den Abt und seinen Bruder nicht mitgerechnet, starben so durch die Hände eines tyrannischen Bruders, der auch dabei das Eigentum seiner Eltern nicht schonte.

Allein die Reue blieb nicht aus, sie folgte vielmehr der bösen Tat auf dem Fuße. Als der Mörder den Aschenhaufen sah und an die verbrannten Mönche dachte, deren Todesschreie er gehört hatte, da erwachte sein Gewissen. Doch es war zu spät. Er ritt in größter Bestürzung nach Garande zurück, wo der Bote von Norheim auf ihn wartete. Er freute sich, als er Geoffroy sah, der sich unverzüglich zur Reise rüstete und schnell nach Norwegen segelte, um seine böse Tat desto eher zu vergessen.

Inzwischen saßen Geoffroys Eltern zu Favent in lebhaften Gesprächen und in trauter Gemeinschaft beisammen. Da kam ein Bote von Mallières an, der wenig Worte machte und gleich vorgelassen werden wollte, da er Wichtiges zu melden hätte. Er wurde sofort zum Grafen geführt, der ihn fragte, was er Wichtiges zu sagen habe. »Wenig Gutes«, antwortete er und schwieg still. Er seufzte tief und konnte kaum vor Betrübnis reden. Endlich sprach er: »Gnädiger Herr, Euer Sohn Freimund ist samt allen Mönchen tot. Das ganze Kloster ist verbrannt. Ich bin allein entronnen. So kann ich Euch den Jammer anzeigen, denn weder Abt noch Mönch ist übriggeblieben. Dies alles hat der Ritter Geoffroy verübt, der in grimmigem Zorn das Kloster vorsätzlich angezündet hat.« Dann begann der Bote den ganzen Verlauf des Unglücks umständlich zu erzählen.

Als Raimund den Jammerbericht vernommen hatte, setzte er sich ganz traurig zu Pferde und ritt eilig nach Mallières, um mit eigenen Augen zu sehen, was geschehen war. Hier aber fand er nur Trümmer und klagendes Landvolk, das seinen Sohn Geoffroy verwünschte. Da wurde er so zornig, daß er den Aschenhaufen nicht mehr sehen konnte. In größter Eile ritt er wieder nach Favent heim, wo er noch am selben Tage eintraf. Dort verschloß er sich in seine Kammer und weinte vor Herzeleid, das ihm sein Sohn Geoffroy bereitet hatte. Zugleich fiel ihm das Unrecht wieder ein, das er im Zorn übereilt an seinem Bruder, dem Grafen von Poitiers, begangen hatte. Es schien ihm jetzt, daß jener recht gehabt habe in dem, was er ihm vorgeworfen, daß er an Melusine ein wirkliches Meerwunder und einen halben Geist und nicht ein menschliches Weib habe, obschon sie ihm zehn Kinder geschenkt, von denen der eine jetzt so jämmerlich von der Hand des eigenen Bruders ums Leben gekommen war.

In solchem Unmut traf ihn seine Gemahlin Melusine, die eben die Tür der Kammer aufschloß und in Begleitung vieler Ritter und Frauen eintrat, um ihren betrübten Herrn, der noch immer in den Reisekleidern auf dem Bett lag, in seinem doppelten Leid zu trösten. Sie schien aber gar nicht willkommen zu sein, denn Raimund gab durch seine finstere Miene ihr genügend zu verstehen, daß ihre Gegenwart ihm nicht erwünscht sei. Sie achtete aber nicht darauf, sondern fuhr fort, ihm weiter herzlich Trost zuzusprechen. Sie stellte ihm vor, daß man das, was geschehen sei, nicht ändern könne.

Aber Raimund sah sie trotzig und mit abwehrenden Gebärden an, was sie sonst nicht von ihm gewöhnt war. Zuletzt brach er ungestüm in die unglückseligen Worte aus: »Hebe dich hinweg von mir, du böse Schlange und schändlicher Wurm! Siehst du nicht, was dein Sohn Geoffroy mit dem Zahn für einen schrecklichen Anfang seines Manneslebens gemacht hat? Ach, mein Sohn Freimund ist dahin, von der Hand des Bruders ermordet.« Er warf sich weinend und händeringend auf die andere Seite des Lagers und würdigte seine treue Melusine keines Blickes. Sie sprach ihm in tiefster Betrübnis und ganz bescheiden zu und erinnerte ihn an den Fehler, den er begangen hatte und der nicht wieder gutgemacht werden könne. Sie sprach: »Ach, unbesonnener und ungeduldiger Raimund, welche Kurzsichtigkeit hält deine Vernunft gefangen, daß du über all unserem Unglück auch an mir unschuldigem Weib eidbrüchig wirst! Habe ich nicht dein Wohlergehen gesucht, dich geliebt, getröstet und vor allem Unglück gewarnt? Und dieses kommt nun gleichsam zum Dach herein, denn in kurzem wirst du mich verlieren. Unglücklicher, keines Erbarmens würdiger Mensch, warum hast du dich nicht eines Besseren bedacht und mich so vor allen, die hier sind, beschimpft?«

Dann wurde sie ganz still und sank vor Erregung in einer tiefen Ohnmacht zur Erde. So lag sie eine halbe Stunde ohne Besinnung da und wurde für tot gehalten. Alle Diener und Hofherren erschraken über die bedenklichen Reden, deren Inhalt niemand verstand. Jeder konnte leicht denken, da dieses Gespräch große Erbitterung bei beiden nach sich ziehen würde. Es war ihnen gar nicht lieb, diese geheimnisvollen Reden und Offenbarungen eines jähen Zornes mithören zu müssen. Auch ahnten sie wohl, daß bei beiden zu späte Reue nachfolgen werde. Indessen eilte man sofort der ohnmächtigen Melusine zu Hilfe und bespritzte sie mit kaltem Wasser, um zu sehen, ob noch Leben in ihr wäre. Dann holte man andere Mittel, um sie zu stärken, bis sie endlich wieder zu sich kam. Sie richtete sich auf und sprach mit langsamer, deutlicher und nachdrucksvoller, klagender Stimme: »Ach, Raimund, was hast du getan? Oh, ich Törichte, die ich mich von deinem schönen Gesicht blenden ließ und deinen verführerischen Umarmungen und einschmeichelnden Worten geglaubt habe! Zu welch unglückseliger Stunde habe ich dich am Brunnen getroffen und diese falsche Brust umfangen? Ist dies Pflicht und Treue gehalten, dies Wohltat mit Dank bezahlt? Habe ich dich darum so mächtig und reich gemacht, da ich durch dich ins Unglück versinken muß? Undankbarer, nicht ich, du bist eine Schlange, die ich mir selbst, mir zum Unglück, an meinem Busen großgezogen habe. War es dir nicht genug, du Treuloser, mich heimlich zu belauschen, ohne daß ich ein Zeichen der Mißgunst oder der Rachgier merken ließ? Hätte nur dein treubrüchiges Herz sich bescheiden wollen, dein falscher Mund geschwiegen! Nun hast du mir und dir geschadet und uns beide mutwillig um unser Glück gebracht. Denn ich brauchte nicht von dir zu scheiden, bis der Tod uns voneinander getrennt hätte. So aber bringst du mir Leib und Seele bis an den jüngsten Tag in Pein und Trübsal. Dein Land wird von dir gerissen und nach deinem Tode dahin und dorthin verteilt werden. Ich sehe schon das Unglück deines Geschlechts vor meinen Augen. Nichts als Zwietracht wird in ihm herrschen, weil mit mir dein Glücksstern schwindet. Und ich selbst, wie gern ich es wollte und wie wehe es mir tut, ich selbst vermag das alles nicht mehr zu ändern.«

Nachdem sie solche Klage- und Strafworte gesprochen hatte, nahm sie drei Grosse des Landes bei der Hand, trat mit ihnen vor Raimund und begann noch einmal nachdrücklich zu reden: »Falscher Raimund, die Stunde meines Abschieds rückt immer näher. So merke dir, was ich vor diesen Zeugen aus Mitleid dir zum Guten sage. Unsern jüngsten Sohn Horribil, der drei Augen hat, darfst du nicht leben lassen. Ihn mußt du gleich nach meinem Abschied töten, um großes Unglück zu verhüten. Bleibt er am Leben, so wird Krieg dein ganzes fruchtbares Land in eine Wüste verwandeln. In ihm siehst du den Verderber aller deiner Söhne und den Schänder deines Geschlechts. Darum vertilge diese Schlange, wenn du nicht noch mehr Leid beweinen willst. Den Zorn aber, den du wegen Geoffroy hast, gib auf. Denn wisse, daß jenes Jammergeschick vom Himmel über die Mönche wegen sündhafter Ausschweifungen verhängt worden ist, um das Ärgernis zu beseitigen. Und wisse, daß Geoffroy das Kloster weit herrlicher aufbauen und ausstatten wird, als es bisher gewesen ist. Endlich sage ich dir, und das will ich nicht vergebens geredet haben, ehe ich dich verlasse: Wenn man mich einst über Lusinia in der Luft schweben sieht, dann sollt ihr wissen, daß das Schloß im selben Jahr einen anderen Herrn erhalten wird. Ja, sollte ich in der Luft nicht gesehen werden, so wird man doch meine Gegenwart beim Durstbrunnen verspüren können, weil dort das Schloß zu meinen Ehren gebaut wurde und meinen Namen trägt. Ich aber werde den Freitag vorher gesehen werden, ehe das Schloß seinen Herrn ändert. Und dies ist es, was am meisten meinem Herzen Schmerz bereitet. Die Zeit meines Abschieds ist jetzt da, und ich gehe dorthin, wo mein Kummer erst recht beginnt.«

Die Worte Melusinens fuhren Raimund wie ein Dolch ins Herz, und er brach in Tränen aus und rang die Hände. Er wünschte sich nichts anderes, als augenblicklich sterben zu dürfen. Er blickte seine treue Melusine lange und tief ergriffen an und konnte sich nicht mehr halten. Er fiel ihr um den Hals und küßte sie und wollte sie nicht von sich lassen, so daß allen, die zugegen waren, die Tränen kamen und selbst die Hofdiener weinten. Es war ein Jammer, den Abschied anzusehen, denn beide fielen vor Schmerz in Ohnmacht. Endlich begann Raimund seufzend zu reden: »Verzeihe mir, Geliebte, und bleib bei mir!« Melusine antwortete: »Ich kann nicht, denn das Schicksal hat es so beschlossen. Darum denke nicht mehr an deinen armen Sohn Freimund, vergiß aber nichts von dem, was ich dir gesagt habe. Sorge auch besonders für deinen Sohn Raimund, denn er wird an deines Bruders Stelle Graf vom Forst werden.«

Melusine fuhr fort: »Erinnere dich auch öfter deines jüngsten Sohnes Dietrich. Er wird dereinst zu Portenach und Rochelle Herr sein und große Rittertaten verrichten. Auch alle seine Söhne werden heldenmütige und berühmte Männer werden. Soviel sei dir, hartherziger, Raimund, noch aus Mitleid und Zuneigung gesagt. Vergiß nicht, künftighin den Himmel für mich zu bitten. Auch ich will deiner nicht vergessen, sondern dir noch viel Trost und Hilfe in all deinen Anliegen bringen, obwohl du mich in weiblicher Gestalt von nun an nimmer sehen wirst.«

Als Melusine diese Worte gesprochen hatte, verwandelte sie ihre Gestalt, blieb zur Hälfte in Frauengestalt, nahm aber zur anderen Hälfte die Gestalt einer Sirene oder eines Fisches an. Sie sprang mit einem Satz auf das Fenster, um sich hinauszuschwingen. Doch kehrte sie sich noch einmal um und rief ihm die allerletzten Abschiedsworte zu: »Lebe wohl, mein Raimund, ich vergesse, was du mir zuleide getan hast! Lebe wohl, du, dem ich meine Liebe schenkte, du, bisher mein einziger treuer Freund! Ich verlasse dich mit Schmerzen. Obwohl du mich bitter betrübt hast, habe ich dich dennoch geliebt. Lebt auch ihr wohl, treue Herren des Landes und Diener des Hofes! Ihr werdet mich nun nimmermehr bedienen. Der Himmel segne euch und auch mein Volk, dessen Gebieterin ich war. Lebt wohl, glücklich und gehorsam unter meinem Raimund, solange ihr in seinen Diensten sein werdet. Der Himmel schenke dir Glück, du mein herrliches Schloß Lusinia, wenn auch ich, deine Stifterin, in leiblicher Gestalt fern von dir bin.«

Indem sie dies sagte, verwandelte sie sich noch entsetzlicher, sprang vom Fenster auf und fuhr zu aller Schreck hinaus in Gestalt eines Wurmes vom Gürtel an, wie Raimund sie schon einmal allein gesehen hatte. Dabei hörten alle ein Rauschen in der Luft, das sich dreimal mit großem Klagegeschrei um das ganze Schloß bewegte. Melusine ward nicht mehr gesehen.

So war es eine recht unglückliche Stunde, als Raimund mit Melusine Streit wegen Geoffroy begonnen hatte. Er stand mit weit geöffneten Augen staunend und sprachlos da, dann fing er an bitterlich zu weinen und zu klagen und sich sein Haar zu raufen. Und er rief ihr mit wehmütiger Stimme viele Abschiedsgrüsse nach. Seitdem sah man ihn nicht mehr fröhlich, solange er lebte, obwohl ihm gute Leute oft Trost zusprachen.

Einer seiner Räte erinnerte ihn noch in derselben Stunde daran, was Melusine über seinen Sohn Horribil gesagt hatte. Raimund antwortete: »Es ist wahr, aber ich kann es nicht tun. Geht ihr hin und vollzieht ihren Willen. Es sterbe die Natter, die solches Blutbad mit der Zeit anrichten will, damit die Ruhe des Landes erhalten bleibe.« Mit diesen Worten ging Raimund von ihnen, verschloß sich in ein einsames Gemach und gab sich seinem Schmerz seufzend hin. Die Diener aber, denen er aufgetragen hatte, Horribil zu töten, nahmen den Knaben und führten ihn in einen Keller. Hier verstopften sie alle Fenster und Türen, trugen nasses Heu und Stroh hinein und zündeten es an, um nicht selbst Hand an ihn zu legen. So erstickte der Knabe in Rauch und Qualm. Hernach beerdigten sie ihn ganz still in der Kirche. Damit war Melusinens und Raimunds Wille vollzogen. Ihn sah man lange Zeit nicht, da er sich still in seinem Gemach aufhielt.

Melusine hatte ihrem Gemahl zwei junge Söhne in der Wiege zurückgelassen, die einer Amme übergeben waren. Sie hießen Dietrich und Raimund. Die Amme nahm mehrere Male wahr, daß Melusine in gespenstischer Gestalt spät nachts in die Schlafkammer kam, ein Kind nach dem anderen aus dem Bett hob, es am Feuer wärmte, an ihre Brust legte und nährte und dann wieder sanft ins Bett legte. Obwohl die Amme diesem Schauspiel nicht ohne Entsetzen zusah, brachte sie es doch nicht fertig, dem Geist zu wehren oder Lärm zu machen. Sie ließ es mit Staunen geschehen, weil sie sah, daß den Kindern kein Leid geschah, und meldete es ihrem Herrn und berichtete ihm darüber. Er hörte es mit großer Freude, tröstete sich damit in seinem Kummer und hoffte, seine Gemahlin einst wiederzubekommen. Er befahl strengstens, daß man auf keine Weise den Geist, sooft er komme, beschreien, noch weniger ihn behindern oder ihm zuwider sein solle, denn er hielt es für ein gutes Zeichen und fühlte sich seitdem in seiner Betrübnis merklich erleichtert.

Indessen nahmen beide Kinder, besonders das Knäblein Dietrich, in kurzer Zeit trefflich zu, so daß an ihren Kräften und an ihrer Gesundheit nichts fehlte. Man verwunderte sich vielmehr sehr darüber, daß sie in einem Monat fast mehr als andere Kinder in einem halben Jahr wuchsen, und schrieb dieses Wachstum der mütterlichen Nahrung zu, obwohl niemand begreifen konnte, wie das zuging.

Wir vernehmen jetzt wieder, wie es Geoffroy im Lande Norheim ergangen ist. Er langte dort glücklich an, und sofort erscholl im ganzen Land das Freudengeschrei, der junge, tapfere Ritter sei angekommen, er, der im Land Garande den ungeheuren Riesen erlegt habe. Jeder wollte ihn sehen. ja, es kamen alle Herren des Landes, um ihm Glück zu wünschen und ihn zu ehren. Dabei wurde ihm erzählt, wie grausam der Riese in Norheim bisher gehaust und wie er schon manchen tapferen Ritter erwürgt, ja, noch vor kurzem wohl hundert von ihnen auf einmal erschlagen hätte, die anderen Männer gar nicht gerechnet. Das ganze Land sei verwüstet und ausgeraubt.

»Das muß ein Teufel und kein Mensch sein«, antwortete Geoffroy, »doch seid getrost, ihr Herren, nur helft mir, daß ich ihn treffe. Ich hoffe mit Hilfe des Himmels, ihn zu besiegen und euch von diesem Ungeheuer zu befreien, wofür mir das ganze Land danken möge.« Sofort wurde ihm von den Landesherren ein erfahrener Führer beigegeben, dem die Gegend, in der sich der Riese aufhielt, gut bekannt war. Geschwind wurde alles Notwendige zur Reise zurechtgemacht. Dann nahm Geoffroy von den Herren Abschied und ritt furchtlos dem Berg zu, in dem der Riese meistens hauste. Als sie bereits den Berg hinaufritten, sprach der Führer: »Gnädiger Herr, auf diesem Berg, Avelon genannt, und in dieser Gegend hat der Riese seine Wohnung.« Geoffroy blickte auf, denn sie waren gerade neben einem Felsen, in dessen Höhle der Riese gern saß. Der Führer zitterte, denn es war ihm bei der Sache nicht wohl zumute. Er sah sich ängstlich um, ob sie nicht von einer Seite überfallen werden konnten. Dabei bemerkte er, daß der Valand oder Teufel – wie das Volk den Riesen nannte – unter einem lieblichen, schattigen Baum saß. Der erschrockene Führer schrie: »Herr, wir sind des Todes, wenn wir nicht eilends zurückgehen. Ich bitte, entlaßt mich! Dort oben auf der Anhöhe sehe ich das Ungeheuer sitzen.«

Geoffroy sprach: »Habt keine Angst und bleibt bei mir, ich werde Euch und das ganze Land befreien.« Jener erwiderte: »Das mag sein, aber laßt mich unten. Ich habe Euch den Weg hierher gewiesen, wo Ihr Euren Tod finden könnt. Kommen wir weiter hinauf, so treten wir schon auf Totengebeine.« Geoffroy sprach: »Angsthase, du bleibst bei mir! Wenn ich auch deine Hilfe nicht brauche, so sollst du doch meinen Sieg sehen.« Und so zwang er ihn, wenn auch unwillig und in höchster Angst, den Berg mit hinaufzureiten. Geoffroy mußte über den Zitternden lachen, der sich gebärdete, als hätte er das dreitägige Fieber. Sie wurden auch bereits vom Riesen Grymold (dies war sein rechter Name) gesehen, der aber aus Verachtung regungslos sitzen blieb.

Als sie ganz nahe waren, hieß endlich Geoffroy lachend und mitleidig seinen Führer mit seinem Pferd stillhalten und dem Spiel ruhig zusehen. Der Führer versprach ihm zu bleiben, wenn der Kampf nicht zu lange andauern würde. »Sonst«, sprach er, »ehe mich der Schwindel erfaßt, werde ich das Weite suchen. Darum wagt Euer Leben nicht allzu verwegen, denn dieser Wüterich hat schon viele tapfere Helden umgebracht.« Geoffroy sprach: »Sorgt Euch nicht, mein Freund!« Dann ritt er noch eine kleine Strecke aufwärts, bis er den Riesen erreichte. Dieser wunderte sich über die Kühnheit des Ritters, der so allein bei ihm erschien. Doch dachte er, es könnte vielleicht ein Gesandter des Landes sein, der ihm etwas mitzuteilen hätte. Er stand deshalb von seinem Sitz auf, nahm eine lange, dicke Stange von Wacholderholz und ging dem Ritter entgegen. Wenige Schritte vor Geoffroy hielt er still und schrie: »Wer und von wo bist du, Vermessener, daß du dich so freventlich erkühnst, allein gegen mich zu reiten?« Geoffroy erwiderte: »Ich komme, um mit dir zu streiten, du Ungeheuer, und dich ohne weiteres Federlesen herauszufordern.« Der Riese sprach: »So bist du deines Lebens müde?« Darauf sagte Geoffroy: »Komm und mach nicht viel Worte! Töte mich, wenn du kannst.« Der Riese spottete: »Ei, nicht so, schone mein Leben, du Ohnmächtiger, und bring mich nicht so schnell um!«

Geoffroy war von dieser Hohnrede tief beleidigt. Er zückte seinen Schild, ritt ohne ein Wort auf den Prahler mit eingelegtem Speer los und traf ihn so kräftig auf die Brust, daß er stürzte. Geoffroy hätte ihn mit dem ersten Stoss durchrannt, wenn ihn nicht sein stählerner Harnisch geschützt hätte. Beim Fall kehrte er die Beine in die Höhe, doch raffte er geschwind sich wieder auf, so sehr ihn auch der Stoss schmerzte. Der Ritter merkte, daß der Riese einen Streich gegen sein Ross führen wollte. Er sprang behend vom Pferd. Da rief der Riese: »Du hast mir einen empfindlichen Stoss versetzt, kühner Ritter. Bist du redlich und von guter Abstammung, so nenne mir deinen Namen!« Der Ritter sprach: »Ich bin weltbekannt und heiße Geoffroy mit dem Zahn.« Der Riese erwiderte: »So habe ich doch von dir gehört, daß du meinen Oheim, den Riesen Gedeon von Garande, gefällt hast. Dafür soll dir bald dein Lohn werden.« Schnell ergriff der Riese seine Stange und führte mit ihr einen furchtbaren Streich gegen Geoffroys rechte Hand. Aber dieser wich dem Hieb aus, so daß die Stange gegen den Felsen schlug und man den Streich einen Schuh tief darin sehen konnte.

Unterdessen ergriff Geoffroy sein Schwert und schlug dem Riesen auf den Harnisch, daß Splitter davon absprangen und das Blut aus den Ritzen hervorquoll. Voller Wut führte der Riese nun einen zweiten und dritten Streich, denen Geoffroy geschickt auswich, so daß die Stange am Felsen zersplitterte und in der Mitte zerbrach und der Arm des Riesen ermattete. Jetzt versetzte der Ritter dem Riesen einen Schwerthieb auf den Helm, daß ihm Hören und Sehen verging. Aber noch war seine Faust so kräftig, daß ihr Schlag auf Geoffroys Helm diesen wie einen Trunkenen taumeln machte. Doch das schreckte den Ritter nicht. Er holte aus und traf mit einem Streich durch den Panzer die Achsel des Riesen so tief, daß das Blut in Strömen von ihm floß. Jetzt warf sich der rasende Riese auf Geoffroy und begann mit ihm zu ringen. Sie faßten sich so kräftig, daß jedem der Atem ausgehen wollte. Aber der große Blutverlust machte den Riesen kraftlos, so daß er von Geoffroy ablassen mußte. Dadurch konnte der Ritter wieder sein Schwert ergreifen. Er versetzte ihm einen neuen Streich und zwang das Ungetüm, in seine Höhle zu flüchten und sich dort zu verbergen.

Das Felsenloch, in das der Riese hineinsprang, war wie ein Keller anzuschauen, und der Ritter konnte ihn hier nicht erreichen. Deshalb schwang er sich auf sein Ross und ritt zu seinem Führer zurück, der noch zaghaft an derselben Stelle stand. Ihm erzählte er den Kampf und zeigte ihm den getroffenen Harnisch und den zerbeulten Helm.

Während Geoffroy mit dem Führer sprach, kamen die Herren des Landes mit vielem Volk daher. Sie dachten, der Sieg sei errungen und der Riese sei tot. Sie überschütteten Geoffroy mit Glückwünschen, hörten aber bald, daß es anders stand. Da fragten sie den Ritter, ob der Riese sich nicht nach seinem Namen erkundigt habe. Geoffroy antwortete: »Ja, ich habe es ihm ohne jegliches Bedenken frei heraus gesagt.« Da sagte einer der Herren: »Dann wird er auch nicht mehr aus seiner Höhle herauskommen, solange der tapfere Geoffroy im Lande ist. Denn er hat eine sichere Voraussagung, daß er von ihm getötet werden soll.« Der Ritter antwortete: »Wenn er sich auch nicht herauswagt, so will ich ihn dennoch töten, um den Sieg zu vollenden. Ich mag aus diesem Lande nicht eher scheiden, bis meine Faust dieses Ungeheuer erlegt hat.«

Ein anderer Landesherr, der Mitleid mit dem jungen Ritter hatte, warnte ihn vor Gespenstern und seltsamen Abenteuern, die es im Berg gebe. König Helmas, der alte Herrscher des Landes Norheim, sei von seinen drei Töchtern in diesem Berg bis zu seinem Tode eingeschlossen worden, weil er seine Gemahlin Persina im Wochenbett besucht und dadurch ihre Geheimnisse erkundet habe. Auch wisse man nicht, wo die Mutter mit ihren drei Töchtern nachher hingekommen sei. Einen Riesen habe es an diesem Ort immer gegeben, und er habe den Berg gehütet. Der jetzige sei bereits der fünfte oder der sechste. Und alle hätten das Land verwüstet und mit Feuer verheert. Besonders habe dieser alle Helden, die gegen ihn ausgezogen waren, bezwungen und getötet. Geoffroy sei glücklicher gewesen als alle Könige des Landes, die nicht hätten wagen dürfen, was er gewagt habe. Jedoch solle er den Riesen nur außerhalb des Berges aufsuchen und bekämpfen.

Diese Rede bewog Geoffroy, den Landesherren zu sagen, daß er den Riesen erlegen wolle, wo er ihn finde. Weil die Nacht schon herangerückt war, begleiteten sie den Ritter mit großer Ehrerbietung in die Stadt zur Abendtafel.

Als der frühe Morgen anbrach, ritt Geoffroy wieder dem Berg zu. Dort angekommen, mußte er lange suchen, bis er unter so vielen Höhlen und Klüften den Eingang zur Riesenhöhle fand. Als er den Riesen sah, sprang er geschwind vom Pferd und verabschiedete sich von dem Ritter, der ihn begleitete. Dann ergriff er seinen Speer, bezeichnete sich mit einem Kreuz und ließ sich in das Felsenloch hinab. Als er Grund spürte, stieß er mit vorgehaltenem Speer überall herum, um den Riesen in irgendeinem Winkel aufzufinden. So kam er immer tiefer hinein, bis er einen Lichtschimmer sah, dem er nachging. Er führte ihn in eine helle Kammer, die nur eine Tür hatte, aber mit Gold, Silber und Edelsteinen herrlich angefüllt war.

Er sah sich verwundert in dem Gemach um. In der Mitte stand ein hohes Grabmal auf sechs zierlichen Pfeilern, mit Edelsteinen besetzt, die in diesem Berg häufig zu finden waren. Auf dem Grabstein lag die Gestalt eines gekrönten Königs in voller Rüstung aus milchblauem durchsichtigem Chalzedon. Zu seinen Füssen war ein Frauenbild zu sehen, das eine Tafel aus etlichen Blättern in den Händen hielt. Auf ihr war folgende Schrift deutlich zu lesen: »Dies ist der König Helmas, mein lieber Gemahl, der hier begraben liegt. Er hat mir geschworen, mich zur Gemahlin zu nehmen, doch nie im Wochenbett mich zu besuchen, noch besuchen zu lassen. Weil er treubrüchig geworden ist, verlor er mich. Drei schöne Töchter, die ich im selben Jahr geboren hatte, nahm ich mit mir, ernährte und erzog sie bis ins fünfzehnte Jahr. Er wußte nicht, wo. Dann erzählte ich ihnen von des Vaters Untreue. Darüber wurden sie zornig, und Melusine, die jüngste, beschloß, ihre Mutter zu rächen. So schloß sie ihn bis ans Ende seines Lebens in diesen Felsen ein. Ich selbst begrub ihn unter diesem Stein. Um sein Grab vor Dieben, Räubern und Schatzgräbern zu sichern, habe ich den Riesen hierher gelegt. Meine drei Töchter haben drei besondere Merkzeichen. Die jüngste, Melusine, die sehr klug ist und einen scharfen Verstand hat, wird alle Sonnabende vom Gürtel an zur Schlange. Wer sie freit, soll ihr geloben, sie am Samstag weder zu besuchen noch zu sehen, noch nach ihr zu fragen, auch keinem Menschen das Geheimnis zu entdecken. Melora, meiner zweiten wunderschönen Tochter, befahl ich, daß sie als Geist ein herrliches Bergschloß in Armenien hüten, daneben immer einen Sperber auf dem Haupt haben soll. Wer sich ihr nahen will, der muß von adligem Ritterblut sein, ohne Entsetzen drei Tage und drei Nächte den Sperber schlaflos hüten und keine Furcht haben. Kann er dies, soll ihm der jungfräuliche Geist eine Bitte gewähren, welche er will, dabei ausgeschlossen ihre Person und Liebe. Wer sich aber vom Schlaf überwinden läßt, der soll sein ganzes Leben, ja, bis zum jüngsten Tag, der Gefangene des Geistes sein. Meiner dritten Tochter, Plantina, befahl ich, auf dem hohen Berg Roniche in Aragonien ihres Vaters unermeßliche Schätze zu hüten, bis sich einer unseres Geschlechts findet, der Burg und Schatz mit wehrhafter Hand erobert und König von Jerusalem werden wird. Dies alles habe ich, ihre Mutter Persina, ihnen aufgetragen. Damit begnüge sich jeder, der diese Tafel zu sehen bekommt.«

Geoffroy hatte diese Blätter aufmerksam gelesen und geriet in großes Staunen. Er wußte jetzt, daß seine Mutter die Nymphe Melusine, König Helmas aber sein Großvater und Persina seine Ahnfrau gewesen war. Aber ganz wollte er es erst glauben, wenn er den Riesen glücklich erlegt hätte. Dann erst wollte er sich für jenen wahren Erben ansehen. Mit neuem Eifer verließ er das Gemach, wobei er überall mit dem Speer in der Dunkelheit umherfühlte. Unterwegs geriet er auf einen großen Platz, auf dem ein hoher Turm stand, so daß er aufrecht gehen konnte. Er nahm seinen Speer bequem auf die Achsel und ging, scharf umherblickend, zum Turm, den er offen und darin er herrliche Gemälde fand.

Im Hingehen jedoch bemerkte er unter dem Gebäude einen abscheulichen Kerker, in dem sich viele Gefangene befanden, die sich alle sehr wunderten, woher er käme und welch entschlossener Mut ihn so weit gebracht habe. Einige warnten ihn vor dem Riesen, dagegen riefen andere: »Schweigt, ihr redet zu unserer aller Schaden. Laßt den jungen Helden doch ziehen, er wird vielleicht unser Erlöser werden. Gott der Herr, der ihn hierher geleitet hat, wird ihn auch noch weiter bewahren können.« Diese Rede gefiel Geoffroy wohl. Er wurde noch mutiger und fragte lächelnd: »Wo ist das Ungeheuer, das euch so quält? Zeigt mir den Ort, daß ich meinen ritterlichen Mut an ihm beweisen kann.« Darauf sprach einer der Gefangenen: »Nehmt Euer Leben in acht, Herr Ritter, Ihr werdet ihn bald zu sehen bekommen!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, kam der Riese dahergetrottet. Aber statt daß Geoffroy vor ihm hätte fliehen sollen, erschrak der Riese und verkroch sich in ein Gemach, dessen Tür er schnell hinter sich zuschloß. Geoffroy, dadurch kühn gemacht, sprang ihm nach und schlug so mächtig an die Tür, daß sie in Stücke sprang. Der Riese hatte aber einen großen viereckigen Hammer aus Stahl, mit ihm gab er dem Ritter einen Schlag aufs Haupt, aber der Helm blieb unbeschädigt. Geoffroy rief: »Dieser Streich soll dir verdoppelt auf deinen verfluchten Schädel fallen.« Er zog sein Schwert und stach den Riesen durch und durch, so daß er auf die Erde fiel. Dies geschah mit einem solchen Schrei, daß der ganze Turm davon erzitterte. Damit blies er zugleich seinen Atem aus, und die Leiche lag ausgestreckt auf der Erde.

Da dankte Geoffroy dem Höchsten für den verliehenen Sieg, steckte das Schwert in die Scheide, eilte zu den Gefangenen im Turm und fragte sie, ob sie aus dem Lande der Norheimer wären. Als sie dies bejahten, fragte er sie, was denn ihr Verbrechen sei. Darauf antworteten sie, daß sie den Tribut nicht bezahlen konnten, den der Riese von ihnen forderte. Geoffroy sprach: »Nun, so sei er euch mitsamt eurer Freiheit geschenkt.« Er versprach ihnen unter ihrem Jauchzen und Frohlocken, den Kerker zu öffnen. Dabei verlangte er, daß sie ihm sagten, wo die Schlüssel des Gefängnisses wären. Das wußte keiner. Geoffroy selbst mußte lange Zeit suchen, bis er endlich den Schlüssel fand und über 200 Gefangene befreite. Er führte sie in das Zimmer, in dem er den Riesen erlegt hatte. Sie betrachteten die Leiche des Ungeheuers mit Entsetzen und staunten über die Heldentat des jungen Ritters.

Dann sprach Geoffroy zu ihnen: »Hört, liebe Freunde und erlöste Gefangene, womit ich euch erfreuen will. In diesem Berg und seinen Höhlen ist ein großer Schatz an Gold, Silber und Edelsteinen verborgen. Das alles schenke ich euch, denn ich will von dem übel gesparten Gut nichts haben.« Die armen Leute konnten nicht aufhören zu danken. Sie wollten auch das Geschlecht des edlen Ritters wissen, denn seit König Helmas' Tod war kein Mann lebendig aus diesem Felsen gekommen. Der Ritter sagte ihnen, daß er Geoffroy mit dem Zahne heiße. Dann erzählte er ihnen weitläufig von seiner Herkunft. Hierauf begleiteten die Befreiten ihn voll Dank aus der Höhle. Vorher hatten sie noch einen Karren angefertigt, auf den der ungeheure Riese geworfen und aus dem Berg gefahren wurde. Die Leiche saß, mit Ketten gebunden, aufrecht auf dem Karren, als lebe das Ungeheuer noch. So führten sie das Scheusal im Lande umher, jedermann zum Staunen und zum Abscheu. Alles Volk lief herzu und dankte Gott und lobte den Sieger Geoffroy, der zur rechten Stunde gekommen war.

Mittlerweile kam Geoffroy wieder zu den Herren des Landes, von denen er vor kurzer Zeit geschieden war und die mit großer Betrübnis und unter vielem Zweifel auf ihn gewartet hatten. Da wurde ihm und den befreiten Gefangenen alle erdenkliche Ehre angetan. Und weil gerade der König von Norheim ohne Erben gestorben war, wurde ihm nicht nur viel Geld und Gut, sondern die königliche Krone selbst angeboten, wenn er bei ihnen bleiben wolle. Dies alles aber schlug Geoffroy mit großer Höflichkeit ab. Von ihnen allen gesegnet, machte er sich nach kurzer Zeit wieder reisefertig auf den Weg, nachdem er zuvor den Landesfürsten die Verwaltung des Reiches und sein Wohlergehen sorgfältig anbefohlen hatte. Dann reiste er mit großem Verlangen von dannen, seinen Vater und seine Mutter recht bald wiederzusehen. So kam er ans Meer, wo er ein Schiff bestieg und nach seinem Vaterland, der Herrschaft Garande, segelte. Als das Volk seine Ankunft gewahr wurde, liefen alt und jung voll Freuden herzu, ihren Retter wiederzusehen und zu bewillkommnen, weil es noch nicht lange her war, daß er sie von dem Riesen Gedeon erlöst hatte.

Die Kunde seiner Rückkehr kam auch zu seinem Vater Raimund. Um seinen Sohn Geoffroy zu empfangen, ritt er ihm entgegen und hielt auf der Strasse, wo er vorbeikommen mußte. Es war ihm schon hinterbracht worden, wieviel Ruhm und Ehre jener im ganzen Reich Norheim erlangt hatte. Diese neue Freude ließ den guten Raimund wieder ein wenig seinen schweren Kummer vergessen. Er ritt deswegen fröhlich bis an das Gestade des Meeres, wo sein Sohn bei seiner Ankunft unfehlbar landen mußte. Dies geschah, und es war ein freudiges Wiedersehen beider, das gar rührend anzuschauen war, so daß vielen die Tränen darüber ausbrachen. Endlich nahm der Vater Raimund seinen Sohn bei der Hand, führte ihn beiseite und entdeckte ihm sein ganzes Herzeleid, den Verlust seiner Mutter und alles, was sich bisher zugetragen hatte.

Geoffroy erschrak darüber heftig. Er merkte wohl, daß auch seine böse Tat hierzu nicht wenig beigetragen hatte. Von innerlicher Reue und Bewegung des Herzens brach ihm der Angstschweiß aus, und er sprach: »Dem Himmel sei es geklagt, in welchen Jammer ich mich selbst gesetzt habe.« Unter solchen Seufzern der Reue stand er eine gute Weile in sich gekehrt, dann fing er an und erzählte dem Vater von der Tafel und der Schrift, die er im Gespensterberg im Norheimer Land gefunden und gelesen hatte, und von dem ganzen Begräbnis. Raimund vernahm zu seinem Trost, wer Melusine, seine Gemahlin und Geoffroys Mutter, gewesen und daß sie aus königlichem Geschlecht stammte. Dagegen erfuhr sein Sohn hinwieder, was er noch nicht gewußt, daß nämlich des Vaters Bruder ihn gereizt hatte, seine Melusine an einem Sonnabend zu besuchen und der Vater zuletzt gar ihren Zustand ihr vorgeworfen und sie damit beschämt habe.

Geoffroy schwur deshalb dem Grafen den Tod. Er setzte sich zu Pferde und ritt in Begleitung seines jüngeren Bruders Raimund Tag und Nacht auf den Forst zu, worüber sein Vater in neuen Kummer fiel. Es reute ihn, daß er seinem Sohn alles so klar geoffenbart hatte und nun vielleicht auch dieses zu einem bösen Ende ausschlagen würde.

Geoffroy aber gelangte, von niemand erkannt und in aller Stille, in die Grafschaft vom Forst und bis dicht an das Schloß des Grafen. Dies fand er offen, stieg alsbald vom Pferd und kam unversehens in den Saal, in dem sein Oheim sich aufhielt. Geschwind griff er nach dem Schwert, rannte auf ihn zu und fuhr ihn in ungestümer Rede an: »Ha, Verräter, du bist derjenige, durch den wir unsere Mutter verloren haben. Du Bösewicht, du mußt des Todes sterben!« Der Graf vom Forst, von dieser Überraschung ganz bestürzt, wußte nichts anderes zu tun, als sich zu retten und sein Heil in der Flucht zu suchen. Er verschloß sich in einem Turm, eilte die hohen Treppen hinauf und war froh, als er sich vor dem Zorn des Ritters geborgen sah.

Weil nun Geoffroy diesmal nichts ausrichten konnte, hob er an, aufs heftigste gegen die Diener des Grafen zu toben, die ihm aber entliefen. Dadurch fand er den Weg frei, den Grafen noch weiter zu verfolgen, so daß dieser endlich zu einem Fenster des Turms hinaussteigen mußte, um sich auf ein gegenüberliegendes Dach zu flüchten. Er verfehlte aber mit dem Sprung das Dach und fiel zu Tode. Geoffroy ließ ihn begraben, und die Seinen, die ihn nicht zu rächen wagten, beklagten ihn sehr. Dann befahl Geoffroy den Dienern, daß sie seinem Bruder Raimund ohne Widerrede huldigen sollten. Dies taten sie mehr aus Furcht als aus gutem Willen, denn das ganze Land scheute seinen Namen.

Der schwermütige Vater Raimund war inzwischen nach Lusinia zurückgekehrt, aber voll Unmut und Betrübnis, denn der Tod seines Bruders, durch seinen Sohn Geoffroy veranlaßt, war ihm berichtet worden. Aber er konnte nichts ändern an dem, was geschehen war. Er versank aufs neue in tiefste Reue und beschloß, nach Rom zu ziehen, dort ernstlich Busse zu tun und nimmermehr nach Hause zu kommen, sondern sein Leben in einem Kloster mit Weinen und Beten zu beschließen. Während er sich mit solch traurigen Gedanken abquälte, kam sein Sohn Geoffroy in den Schloßhof geritten, stieg vom Pferd, ging zu seinem betrübten Vater hinauf und fiel vor ihm auf die Knie. Er bat ihn um Gnade wegen aller seiner Missetaten und gestand ganz freimütig, daß er die einzige Ursache aller Verluste sei, die seinen Vater getroffen hatten.

Raimund sprach zu seinem Sohn: »Es ist so, mein Sohn, wie du sagst, allein wir können die Toten mit allen unseren Klagen nicht erwecken. Doch lege ich dir hiermit zur väterlichen Strafe auf, das verbrannte Kloster Mallières wieder aufzubauen und andere Mönche zu Dienst und Ehre Gottes dahin zu berufen.« Geoffroy willigte gern ein und versprach, das Kloster herrlicher und reicher zu bauen, als es zuvor gewesen war. Dies tröstete den alten Raimund. Er sprach: »Wohlan, die Erfüllung deines Versprechens wird deinen Gehorsam beweisen, mein Sohn Geoffroy. Doch höre, was ich dir jetzt sagen will. Ich habe mir zur Busse eine Reise in fernes Land vorgenommen und will dies jetzt als ein Gelübde vollbringen. Deshalb befehle ich dir, das Land gut zu regieren, daß du dich als ein Vater und nicht als ein Tyrann, wie du es bisher gewesen bist, gegen die Untertanen erweisest. Deinen jüngsten Bruder aber, meinen Sohn Dietrich, sollst du in aller Frömmigkeit und Tugend getreulich anstatt meiner aufziehen. Wenn er erwachsen ist, übergib ihm die Herrschaft Portenach, Favent und Rochelle zum Besitz. So hat es mir deine selige Mutter anempfohlen, und ich will es so auch dir ans Herz legen. Denn es scheint ein besonderes Licht aus dem Knaben, das wohl zu pflegen ist.«

Geoffroy versprach ihm reumütig unverbrüchlichen Gehorsam, und dem Vater kamen über seine treu gemeinten Worte die Freudentränen. Er berief alle Untertanen zusammen, stellte ihnen seinen Sohn als künftigen Regenten vor, ließ die Huldigung vor sich gehen und trat die Reise an. Seine Söhne Geoffroy und Dietrich gaben ihm mit einem kleinen Gefolge zu Ross das Ehrengeleit. Beim Abschied umhalsten sie den Vater unter vielen Tränen.

Der junge Dietrich wuchs zu einem schlanken und herrlichen Manne heran. Dem väterlichen Befehl gemäß ritt er nach Portenach und nahm Besitz von seinem Erbteil und den anderen ihm zugehörigen Orten. Er regierte klug und glücklich und galt für einen weisen Regenten im ganzen Lande. An Tugend, Tapferkeit und Heldentaten nahm er täglich zu. Sein Vater Raimund aber, obgleich er noch lebte, war dem Land längst gestorben. Bald darauf heiratete Dietrich eine schöne Dame aus der Bretagne, und es stammt bis auf diesen Tag von ihm das hohe Geschlecht derer von Portenach.

Geoffroy hatte nach einem halben Jahr das Kloster Mallières schöner und größer, als es zuvor gewesen, wieder aufgebaut. Der vorher so wilde und grausame Mann zeigte bei diesem Bau einen solchen Eifer und eine solche Reue, daß im ganzen Land das Sprichwort von ihm galt: »Geoffroy ist ein Mönch, der Wolf ist ein Schaf geworden.« Obwohl ihm dieser Spott zu Ohren kam, fuhr er doch im Bau des Klosters fort und ruhte nicht eher, bis es fertig war.

Inzwischen war Raimund zu Rom angelangt und hatte vor dem Papst reumütig seine Beichte abgelegt, Lossprechung erhalten und die auferlegte Busse mit demütigem Gehorsam angenommen. Auf die Frage des Papstes, was jetzt sein Vorsatz wäre, erwiderte er: »Heiliger Vater, ich gedenke mein Leben an einem Ort zu beschließen, wo nicht viele Leute um mich sind, denn ich möchte mich von der Welt absondern.« Als der Papst diesen Vorsatz lobte und ihn nach dem Ort befragte, den er sich ausersehen hätte, da sagte er, daß er nach Montserrat in Aragonien zu Unserer Lieben Frauen Kloster gehen wolle, denn der schöne, reine Gottesdienst, der dort gepflegt werde, gefalle ihm vor allem andern. Da wurden ihm vom Papst ein Priester und ein Schüler zugeordnet, die ihn sein Leben lang bedienen sollten. So nahm er seinen Abschied, und sie ritten zusammen mit einem großen Gefolge von Rom weg. Als er zu Tolosa ankam, wurde er dort wider seinen Willen herrlich empfangen und geehrt. Jetzt entließ Raimund alle Diener und behielt nur den Priester und den Schüler bei sich. Als er in Montserrat angekommen war, ließ er für sich und den Priester Einsiedlerkleider anfertigen und begab sich in das Gotteshaus, dem Herrn dort zu dienen, solange er lebte.

Als seinem Sohn Geoffroy die Ankunft Raimunds zu Rom berichtet wurde, beschloß er, seinen Vater noch einmal zu sehen und in Rom aufzusuchen. Er übergab seinem Bruder Dietrich die Regierung für einige Zeit und machte sich auf die Reise. Zu Rom angelangt, beichtete auch er dem Papst und erfuhr von ihm, daß sein Vater Einsiedler zu Montserrat geworden sei. Geoffroy aber wurde eine weit härtere Busse auferlegt, insbesondere, daß er darauf bedacht sein sollte, vor allen Dingen das Kloster Mallières wieder aufzubauen und hundertzwanzig Mönche einzusetzen. Der Ritter erklärte dem Papst, daß das Gebäude bereits weit größer und herrlicher, als es zuvor war, wieder aufgerichtet sei. Da lobte der Papst diese gute Tat und nahm sie für hinreichende Busse an. Der Heilige Vater sagte zu ihm: »Euer Vorsatz ist gut, und der Himmel schenke Euch seine Gnade noch fernerhin. Wenn Ihr Euren Vater am Ort seiner Andacht besuchen wollt, so begleitet Euch mein väterlicher Segen.«

Der Ritter zog weiter und traf seinen Vater zu Montserrat. Sie umarmten und küßten sich ohne Ende. Vergebens bemühte sich Geoffroy, den Vater zu bewegen, mit ihm zurückzukehren und sein Leben zu Lusinia in Ruhe zu beschließen. Er machte sich daher nach fünftägigem Aufenthalt bei ihm wieder auf den Heimweg, nachdem beide in froher Unterhaltung beisammen gesessen und Geoffroy von allem Bericht erstattet hatte. Der Abschied war für Vater und Sohn sehr schwer. Kaum war Geoffroy wieder zu Mallières angelangt, besetzte er das Kloster mit der verlangten Anzahl von Mönchen und sorgte in allem für ihren Unterhalt.

Als auch er alt geworden war und wie sein hochbejahrter Vater dem Ende entgegenging, begab er sich noch einmal nach Aragonien zu ihm, den er, obwohl er schwach und hinfällig war, noch am Leben traf. Er empfing von ihm den Segen, drückte dem lebensmüden Greis die Augen zu und bestattete ihn feierlich. Drei Tage vor Raimunds Tod hörte man zu Lusinia über dem Schloß ein Rauschen. Das war der Geist Melusinens, der das Schloß dreimal umkreiste und allem Volk seinen Tod ansagte, wie sie einst ihrem Gemahl verkündet hatte.

Der alte Raimund hinterließ ein blühendes Geschlecht, das überall in hohen Ehren stand. Sein Sohn Reinhard regierte in Böhmen und leistete den Ungläubigen heftigen Widerstand. Antonius führte das fürstliche Regiment als Herzog von Luxemburg. Der jüngere Raimund war Graf vom Forst. Uriens regierte in Zypern, kämpfte auch gegen die Heiden und stand den Rittern auf der Insel Rhodos getreulich in ihren Nöten bei. Gyot aber war König von Armenien und stritt auch hart gegen die Heiden. Gedes war frühzeitig gestorben, Horribil im Keller erstickt, Freimund mit dem Kloster verbrannt. Geoffroy, der tapfere Riesenwürger, war Herr in Mallières und Lusinia. Und Dietrich, auch ein berühmter Held und Ritter, hielt zu Portenach Hof.

Dies alles aber lassen wir jetzt beiseite und erzählen eine sonderbare Begebenheit aus Armenien, wo Gyot als König regierte.

In diesem Königreich war ein Schloß, in dem ein Geist hauste, der genau der Beschreibung entsprach, die Geoffroy auf dem Denkmal im Riesenberg zu Norheim von dem Geist auf dem Berg Avelon gelesen hatte. Dort fand sich auch ein Sperber von sonderbarer Art. Wer bei diesem Gespenst Gnade finden und seines Lebens sicher sein wollte, der mußte sein Geschlecht vom lusinischen Stamm nachweisen, dann drei Tage und drei Nächte ohne Schlaf beim Sperber wachen und ihn hüten können. Anders durfte er nicht ohne Lebensgefahr sich dem Schloß nähern. Hatte er aber dies richtig getan, so durfte er eine Gabe fordern, nur die Person und die Liebe der Jungfrau Melora nicht. So nämlich hieß der Geist, wie es auf der Grabtafel gestanden hatte.

Nun war nach Gyots Zeit ein König in Armenien, der wollte beim Sperber wachen, sich aber die verzauberte Jungfrau selbst als Preis ausbitten, um sie zu erlösen. Doch spielte er damit nur in seinen Gedanken. Aber endlich machte er sich wie zum Scherz auf, um das Schloß anzusehen. Als er unfern des Ortes auf eine Wiese unterhalb des Schlosses gelangte, ließ er ein Zelt aufschlagen, ritt aber in voller Rüstung den Berg hinan bis an das Tor des Schlosses, darin sich der Geist und der Sperber befanden. Für den Vogel hielt er einen Köder in der Hand, um ihn damit zu füttern. Unterwegs begegnete ihm vor dem Schloß ein alter, weißgekleideter Mann, der ganz bleich und mager von Gestalt war. Dieser fragte ihn, was er hier suche. »Ich will die Bedingungen, die für dieses Schloß festgelegt sind, erfüllen und beim Sperber wachen«, sagte der unternehmungslustige König. Der Alte sprach: »Wohlan, so kommt mit mir. Ich will Euch anweisen und an den Ort führen, wo Ihr leisten könnt, was Ihr zu tun habt.«

Hierauf führte der Alte ihn in einen herrlichen Palast und Saal, der nach der Meinung des Königs ganz oben im Schloß zu sein schien. Alles sah so majestätisch und prächtig darin aus, daß er aus dem Staunen nicht herauskam. In diesem schönen Gemach saß der Sperber auf einer Stange. Er war schön und wohlgestaltet. Der Alte sprach: »Hier ist der Ort, wo Ihr drei Tage und drei Nächte wachen müßt. Wenn dies vorüber ist, habt Ihr Erlaubnis, um alles zu bitten, was Ihr wollt, nur nicht um die Person und die Liebe der Jungfrau. Wenn Ihr aber Eure Wache schläfrig und also zum Unglück verrichtet, so sollt Ihr wissen, daß Ihr bis an den jüngsten Tag in diesem Schloß bleiben müßt.« Der kecke König erwiderte: »Wohl, ich werde bestens tun, was zu tun ist, hernach aber auch die gebührende Gabe fordern.« Dabei dachte er einzig und allein daran, die Jungfrau selbst als Preis zu verlangen. Er hätte aber viel klüger getan, wenn er dem Alten gefolgt wäre.

Nun wachte er einen Tag und eine Nacht vergnügt und fütterte den Sperber auch aufs beste, so daß es schien, als ob einer mit dem anderen zufrieden wäre. An köstlichem Essen und Trinken zu bestimmten Zeiten war kein Mangel, und dies gefiel dem König, so daß er sich pflegen konnte, als ob er an seiner königlichen Tafel selbst säße. Am nächsten Morgen fütterte er wieder den Sperber und verrichtete seine Wache vortrefflich. Dabei erblickte er eine überaus schöne Kammer, deren Tür offenstand. Er trat ein und betrachtete staunend, wie kunstvoll die Tür mit Abbildungen von Vögeln aller Art bemalt war. Die Felder waren mit Gold aufs feinste ausgefüllt; dazwischen aber sah er allerlei Bilder von gepanzerten Rittern in Lebensgröße mit ihren Namen. Diese alle hatten beim Sperber gewacht, waren aber nachlässig gewesen und eingeschlafen. Unter den Bildern war ihre Gefangenschaft bis an den jüngsten Tag angegeben, dazu das Jahr und der Tag, an dem es ihnen mißlungen war. Nicht minder standen an besonderen Stellen noch drei andere Ritter abgebildet, ebenfalls bewaffnet, die ihre Wache gut verrichtet hatten, wie es die Inschrift nebst Jahr und Tag meldete. Darunter stand eingeätzt ihr Name und das Land, aus dem sie stammten.

Aber der König wollte in diesem Gemach nicht lange verweilen, sondern kehrte zum Sperber zurück, um ihn nicht bei seinen Wachen ungeduldig zu machen. So erreichte er den dritten Morgen. Da trat die gespenstische Jungfrau, in grünem Kleid aufs prächtigste angetan, mit freundlicher Miene auf ihn zu. Sie grüßte den König und redete ihn an: »Ihr habt Eure Aufgabe gar klug und glücklich beendet und der Sache gut gedient. So fordert denn auch Eure Gabe, damit sie Euch gereicht werde.«

Der König rückte an seiner Rüstung, dankte für das gute Anerbieten und fing ganz hochmütig an: »Ich will keine andere Gabe, als Euch selbst und Eure Liebe davonzutragen.« Als die Jungfrau dies hörte, wurde sie zornig und erwiderte ihm: »Ihr müßt eine andere Gabe fordern, Freund, denn was Ihr verlangt, könnt Ihr nicht erhalten.« Der König aber wollte von seiner Forderung nicht abstehen, sondern beharrte auf ihr. Darüber wurde die Jungfrau noch zorniger und gab ihm folgende Antwort: »Ihr strebt nach Unglück, ich warne Euch davor und rate Euch, von Eurem Verlangen abzusehen, wenn Ihr nicht wollt, daß Ihr Euer Königreich verliert.«

Der vermessene König begann wieder: »Sei es töricht oder klug gehandelt, so werde ich doch nicht ablassen, Eure Person als Preis zu fordern und mich mit keiner anderen Gabe zufriedengeben, so wahr ich König von Armenien heiße.« Die Jungfrau war darüber noch mehr entrüstet und antwortete dem Ritter: »Du handelst so töricht wie dein Großvater Raimund, der in beharrlicher Torheit den weisen Rat verwarf und sein Gelübde brach, worüber er alles verlor, was er gehabt hatte. Auch du hast nun all deine Gaben, nach denen du getrachtet hast, verloren. Von nun an ist nichts als Unglück und Trübsal dein Anteil, wie es, deinem Großvater ergangen ist, als er seine Gemahlin Melusine, die meine Schwester war, verlor.« Dann erzählte sie ihm die ganze Geschichte von Helmas und Persina, und er hörte, daß sein Vater Gyot der Sohn ihrer Schwester Melusine gewesen sei.

Sie schloß: »Du siehst also, wie töricht deine Forderung und dein verstocktes Beharren ist. Du hast dadurch dein Reich verloren, das nicht nur von dir genommen werden, sondern auf ein ganz anderes Geschlecht übergehen wird. Alles Glück und alle Ehre hast du mit deiner Torheit verscherzt. So geh denn, du armseliger Gyot, Gyots Sohn, denn du hast schlecht gehandelt, und sofort wird dein Unglück beginnen.«

Der junge Gyot aber war wie verblendet und gedachte, seine Forderung zu erzwingen. Er vergaß, was ihm der Alte vor dem Tore gesagt hatte, und wollte durch Bitten und Flehen ihre Gunst gewinnen. So eilte er in ihre Arme. Aber er fand sich betrogen. Das schöne Bild zerrann in seinen Armen, und er hielt nichts als einen Schatten. Mit diesem Schatten aber schwanden sein Glück und sein Heil. Doch war der junge König nicht lange allein, denn ein anderer abscheulicher Geist zeigte sich, den er nicht sehen, wohl aber hören und fühlen konnte. Dieser schlug ihn zur Erde und spielte ihm so übel mit, daß er Arme und Beine von sich streckte und auf dem Boden liegen blieb. Als er erbärmlich zu schreien anfing, wurde er nur noch ärger von dem Geist geschlagen. Er rief: »Wehe mir, wenn diese Geisterplage nicht aufhört, so bin ich des Todes. Ich Armseliger, daß ich ohne Gegenwehr Streiche erdulden muß! Kommst du mir nicht zu Hilfe, o gütiger Gott, so muß ich in Schmach und Schande verderben.«

Er hatte diesen Seufzer noch nicht ausgestoßen, als er in einem Augenblick von dem Gespenst aus dem Schloß geworfen wurde, so daß er halbtot auf der Erde lag und mehr einem Wurm als einem König ähnlich sah. Doch zwang er sich empor und schwankte mit schwachen Kräften den Schloßberg hinab auf den Wiesengrund zu seinem Zelt. Dort konnte er vor Mattigkeit und Zittern kaum mit den Seinigen reden, und sie waren über den Zustand ihres Herrn ganz bestürzt. Endlich wagten es einige, ihn zu fragen, ob der König beim Sperber gewacht und die Gaben gewonnen habe. Er versetzte ihnen ganz wehmütig: »Elender Gewinn! Mich hat ein unglückliches Gestirn hierher geleitet. Geschwind sattelt die Pferde und schickt Euch zum Aufbruch an, daß ich nicht auf dem Weg sterbe.«

Bald wurde alles zugerüstet und der todschwache König auf sein Pferd gehoben. Mit ihm eilten sie an das Gestade des Meeres. Hier nahmen sie ihm den Harnisch ab, brachten ihn auf ein Schiff und segelten der Heimat zu. Unterwegs gingen ihm erst die Augen auf, und er sah ein, wie er guten Rat und treue Warnung in den Wind geschlagen und in welches Elend er sich gebracht hatte. Auf der Reise verfolgte ihn ein Sturm mit ungeheuren Meereswellen, durch die er abermals in Todesgefahr kam. Wasser und Erde schienen durch des Himmels Gewalt seine Feinde zu sein. Nach vielen Trübsalen kam er endlich nach Hause und regierte mit schwachen Kräften. Sie nahmen von Tag zu Tag ab. Und so ging es, wie der jungfräuliche Geist angekündigt hatte, mit ihm zu Ende. Bald starb er an gänzlicher Auszehrung. Nach ihm wurde ein König aus ganz anderem Geschlecht erwählt und auf den Thron gesetzt. Dieser aber hatte gar wenig Glück in seiner Regierung, so daß das Königreich gleichsam mit seinem Herrscher erkrankte und augenscheinlich elend dahinschwand. So währte es von diesem Gyot an gerechnet bis ins neunte Glied und auf den neunten Kronenträger.

Die dritte Tochter des Königs Heimas, Plantina, war von ihrer Mutter Persina als Hüterin des väterlichen Schatzes auf einem Berg in Aragonien bestimmt worden. Sie war eine wunderschöne Jungfrau. Dieser Schatz sollte nur von jemand gehoben werden können, der aus dem Geschlecht des Königs Helmas stammte. An jenem Berg aber hielten sich grausame Drachen und andere wilde Tiere in großer Menge auf, so daß man ohne großen Kampf und ohne Lebensgefahr sich diesem Berg nicht nähern konnte. Viele tapfere Ritter hatten dort schon ihr Leben gelassen, und keiner von denen, die es gewagt hatten, war zurückgekehrt.

Nun kam einst ein mutiger junger Ritter aus England dahin, mit dem kühnen Plan, erst den verborgenen Schatz und dann das Heilige Land zu erobern. Als er nun in Aragonien anlangte, war sein erster Schritt der, daß er nach dem verzauberten Berg fragte, in dem der Schatz verborgen sein sollte. Da wurde ihm alles gesagt und urkundlich gezeigt. Der Ritter stammte von einem hoben Geschlecht ab. Er war einer aus der Tafelrunde des Königs Artus und ein Freund des Helden Tristan.

Dieser Ritter kam endlich an den Fuß des Berges und traf hier ein ungestaltes und abscheuliches Tier, vor dem der ganzen Natur hätte grauen sollen. Sein Bauch war einem Weinfaß ähnlich. Es hatte nur ein einziges Ohr und nur ein einziges Auge, das ihm auf der Stirn stand. Die Nase war drei Schuh breit und ebenso lang, aber es war kein Nasenloch darin, sondern sein Atem ging zu dem Ohr aus und ein. So abscheulich nun dieses Ungeheuer aussah, so wild und grausam war auch seine Natur, so daß es dem Ritter genug zu schaffen machte.

Die Höhle, in welcher der Schatz verborgen war, befand sich in der Mitte des Berges, wo schon mancher tapfere Held sein Leben hatte lassen müssen. Rings um die Höhle waren kleinere Löcher, in denen allerlei abscheuliche Lindwürmer und wilde Tiere hausten. An allen mußte derjenige vorbeigehen, der zur Höhle mitten auf dem Berg gehen wollte. Der Berg selbst war drei aragonische Meilen lang, und es führte nur ein schmaler Weg hinauf. Wer dahin gelangen wollte, mußte schnell reiten oder gehen, ohne sich lange umzusehen, denn man hatte weder Weile noch Raum, um lange auszuruhen, da der Weg weit war und viele Schlangen und anderes Ungeziefer jeden Schritt umlagerten.

Dessen ungeachtet war der kühne Ritter, nur von einem einzigen Führer begleitet, getrost zum Berg geritten, wobei der Führer voranging und der Ritter zu Pferd folgte. Endlich wollte der Führer umkehren, aber der Ritter ließ ihn halten, stieg vom Pferd ab und gab es ihm an die Hand. Er sagte: »Bleib eine Weile hier und weiche nicht von der Stelle bis ich zurückkomme.« Aber der gute Führer hätte dort ewig warten müssen, wenn er nicht endlich davongeritten wäre.

Indessen betrat der Ritter den schmalen Steig, der unendlich mühselig zu gehen war. Er war wohlbewaffnet und trug sein Schwert in der Hand. Es begegnete ihm bald ein großer Drache, der mit offenem Rachen auf ihn zuschoß. Als der Ritter das Untier auf sich zueilen sah, zog er sein Schwert und hieb ihm mit einem einzigen Streich den Kopf ab. Es war nicht weniger als zwanzig Schuh lang. Hierauf ging der Ritter auf dem schmalen Steg mutig vorwärts. Da begegnete ihm ein ungeheuer großer Bär, der ganz grimmig auf ihn zulief und ihm so nahe kam, daß er ihm sogar seinen Schild aus der Hand zu zerren suchte und den Harnisch an mehreren Stellen beschädigte. Als der Ritter den Grimm dieser Bestie sah, holte er aus und traf den Bären glücklich mit dem Schwert auf den Kopf, so daß er zur Erde stürzte. Hierüber wurde der Bär noch grimmiger, schlug nach dem Ritter und rückte ihm immer näher auf den Leib. Der Ritter aber wich mit einem Sprung zur Seite und hieb dem Tier zugleich eine Tatze ab. Jetzt wich das Ungetüm einige Schritte rückwärts, setzte sich auf die Hinterbeine und schlug so stark nach dem Ritter, daß es seinem Harnisch Löcher beibrachte. Durch die heftige Bewegung gerieten beide zu Fall, so daß sie sich nicht mehr halten konnten und den Berg hinabrollten.

Der tapfere Ritter verlor zwar dabei sein Schwert, griff jedoch nach seinem Dolch, den er an seiner Seite stecken hatte. Er zückte ihn und gab dem Bären hinterrücks den Todesstoß, wobei dieser ein schreckliches Brüllen ausstieß. Der Ritter kam nun den Berg abermals hinauf. Er suchte sein Schwert, fand es auch und erlegte noch viel scheußliches Gewürm und andere wilde Tiere, die ihm den Weg streitig machten, wobei er ziemlich ermattete. Zuletzt gelangte er auch an die eiserne Tür, vor der ein entsetzliches Ungeheuer lag, das die Höhle hütete, in welcher der große Schatz und die gespenstische Jungfrau seit langen Jahren verborgen waren. Der mutige Jüngling trat zuerst in die Höhle, um das gräßliche Tier dort aufzusuchen. Er traf es nur allzu früh an. Sobald das Ungeheuer ihn erblickte, richtete es sich mit solchem Ungestüm gegen ihn auf, daß jeder vor Schrecken umgesunken wäre, der es sonst gesehen hätte. So lief es in höchstem Grimm mit offenem Rachen auf ihn zu. Der Ritter zog behend sein Schwert und versuchte, der Bestie den Fang zu geben. Er stieß und schlug es und rannte ihm das Eisen in den Rachen, doch wollte dies auf keine Weise bei dem durch Zaubermittel unverwundbar gemachten Untier etwas nützen. Der Ritter aber wurde müde und kraftlos, weil Stahl und Eisen nicht stark genug waren, es zu verwunden. Als er endlich das Schwert in die halbe Tiefe des Rachens gestoßen hatte, ergriff das Tier es mit seinen Zähnen, biß es in zwei Stücke, ließ vor Schreck ein entsetzliches Gebrüll hören und verschlang den armen Ritter, der solch große Taten verrichtet und es weiter gebracht hatte, als irgendeiner vor ihm. Jedermann bedauerte und beklagte ihn, als sein Tod bekannt wurde.

Der Führer hatte zwei Tage und zwei Nächte gewartet und war dann des Wartens überdrüssig geworden. Er setzte sich endlich auf das Ross und kehrte ohne seinen Herrn nach England zurück, um dort zu erzählen, daß sein Herr nicht aus dem Berg zurückgekommen und zweifellos umgekommen sei. Er selbst konnte über den Hergang der Sache nichts berichten.

Es geschah aber, daß er von ungefähr zu einem weltweisen Manne geriet, der Melisii Jünger hieß. Dieser hatte lange bei dem Berg in Aragonien gesessen und kannte dort jede Lage und Örtlichkeit. Weil dieser Mann neben anderem Wissen auch in der Schwarzen Kunst wohl erfahren war und sie vollkommen erlernt hatte, entdeckte er durch seine Wissenschaft alles klar, daß nämlich der Herr, der Ritter von England, mit dem der Führer nach Aragonien gereist, mit verschiedenen wilden Tieren gekämpft und sie überwältigt hatte, zuletzt aber von einem ganz ungeheuren und wunderbaren Tier auf jenem Berg verschlungen worden sei. Der Führer glaubte dem Weisen, der über 20 Jahre jene Wissenschaft studiert hatte und erzählte die Begebenheit, wo immer er hinkam, so daß das Gerücht davon in ganz England bekannt wurde.

Ein anderer kühner Ritter, aus Ungarn gebürtig, nahm sich ebenfalls vor, in den Kampf zu ziehen, um den Schatz zu erobern. Allein, ehe er noch zwanzig Schritte den Berg hinangestiegen war, wurde der Ritter, der des Sieges schon sicher war, von einem abscheulichen Lindwurm umgebracht und wahrscheinlich verschlungen. Er hatte es also lange nicht so weit gebracht wie der englische Ritter. Ihm freilich war vor- und nachher keiner gleichgekommen, und er hätte unfehlbar den verborgenen Schatz erreicht, wenn er nur aus dem Geschlecht des norheimischen Königs Helmas geboren wäre.

Als nun einst Geoffroy, der tapfere Held und Riesenstreiter, zu Lusinia im Lustgarten seines Schlosses bei einem Bankett in guter Gesellschaft fröhlich saß, kam ein Bote dahergeeilt, der gewiß besondere Neuigkeiten oder wichtige Sachen zu überbringen hatte. Als er dem Schloß näher kam, ließ Geoffroy ihn fragen, welch wichtigen Auftrag er auszurichten hätte, daß ihn der Weg an diesen abgelegenen Ort führe. Der Bote sprach: »Ich soll einen Ritter und beherzten Mann suchen, der das Land Aragonien von einem unruhigen Berggeist erlösen kann. Um diesen herum sollen sich auch schreckliche Würmer und grausame Bestien aufhalten, durch die schon viele tapfere Ritter ihr Leben eingebüßt haben.« Das berichtete der Diener dem Grafen, wie der Bote es ihm gesagt hatte. Darauf ließ Geoffroy diesen auf der Stelle rufen und vernahm die Kunde genauer aus seinem Munde. Insbesondere berichtete er von dem Unglück, das die beiden Ritter aus England und Ungarn getroffen hätte, und daß den Schatz niemand heben könne, der nicht aus dem Geschlecht des Königs Helmas stamme.

Auf diesen Bericht, der Geoffroy schon genügte, befahl er sogleich, alle Fröhlichkeit einzustellen. Dem Boten ließ er Speise und Trank reichen, dann befahl er vielen Rittern seines Landes, die Pferde zu richten und sich fertigzumachen. Hierauf schickte er ein Schreiben an seinen Bruder Dietrich mit dem Bericht, daß er unverzüglich zu ihm kommen und auf kurze Zeit die Regierung des Landes anstatt seiner übernehmen möge, bis er von einer notwendigen Reise glücklich zurückgekehrt sei.

Dietrich fand sich auf diesen Ruf schnell ein, und es wurde ihm von Geoffroy die Regierung übergeben. Zu dem Boten aber sagte der Graf: »Wartet und scheidet nicht von hier, bis ich selbst aufbreche, denn ich bin gesonnen, Euer Land mit Gottes Hilfe von jenem Übel zu erlösen.« Darüber freute sich der Bote in seinem Herzen.

Aber wie eitel und nichtig sind doch die Pläne aller Menschen gegen Gottes verborgenen Ratschluß! Dies mußte Geoffroy an sich selbst erfahren. Denn als alles zum Aufbruch bereitstand, kam ein anderer, der seinen Auftrag und seine Abfertigung noch vor dem aus Aragonien erledigt wissen wollte.

Dieser Bote war der Tod. Geoffroy erkrankte plötzlich, und weil er schon bei Jahren und durch viele ritterliche Taten sehr geschwächt war, wurde seine Krankheit immer schlimmer, so daß er bald starb und die aragonische Bergreise mit der Reise in die Grabestiefe vertauschte. Er wurde wegen seiner kühnen Taten von jedermann sehr beklagt, und alle Welt meinte, er sei zu früh gestorben, weil er besonders in der Grafschaft Poitiers angefangen hatte, mehrere Kirchen und Kapellen zu bauen, die noch nicht fertig waren. Auch hatte er vorher noch viel anderes Rühmenswerte getan und gestiftet. Das alles blieb jetzt unausgeführt und unausgebaut.

Nach Geoffroys seligem Ende war sein Bruder Dietrich der einzige Erbe aller seiner Güter. Er regierte sehr klug, teilte das Erbe, das ihm zugefallen war, in vier Teile und gab sie später seinen Kindern zur Morgengabe. Er hatte vier Söhne, die alle tapfere und berühmte Helden wurden.

Diese Geschichte hat einer aus dem lusinischen Geschlecht, Wilhelm von Portenach mit Namen, vor vielen hundert Jahren zuerst in welscher Sprache geschrieben. Damals war dieses edle Geschlecht in vielen Stämmen über viele Lande verbreitet und mit Königen und Fürsten und uralten Geschlechtern befreundet und verwandt.


 << zurück weiter >>