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Vorgänge in der Stadt und im Palast

Das Schiff, das den Telemach und seine Genossen von Pylos nach Ithaka gebracht hatte, war inzwischen im Hafen der Stadt angekommen, und die Begleiter des Königssohnes hatten einen Herold zu seiner Mutter Penelope gesendet, um ihr die Botschaft von der Heimkehr des Sohnes zu überbringen. Mit derselben Nachricht kam gleichzeitig der Sauhirt vom Lande her, und beide trafen sich im Hause des Königes. Da sprach der Herold zu Penelope laut vor allen Dienerinnen: »Dein Sohn, o Königin, ist wiedergekommen.« Eumaios aber sagte ihr im geheim und ohne Zeugen, was ihm sein junger Herr aufgetragen hatte, insbesondere, daß sie durch eine Schaffnerin seinem Großvater Laërtes die fröhliche Botschaft auch zukommen lassen möchte. Als der Sauhirt alles ausgerichtet, eilte er wieder heim zu seinen Schweinen. Die Freier aber erfuhren die kurze Nachricht von der Heimkehr Telemachs, die der Herold gebracht hatte, durch die treulosen Dienerinnen. Unmutig setzten sie sich zusammen auf die Bänke vor dem Tor, und Eurymachos sprach hier in der Versammlung: »Das hätten wir doch nimmermehr gedacht, daß der Knabe diese Fahrt so trotzig vollenden würde! Laßt uns nur geschwind ein Schiff ausrüsten, einen Schnellsegler, unsern Freunden im Seehinterhalte die Botschaft zu bringen, daß sie vergebens auf ihn warten und nur wieder umkehren dürfen.«

Während Eurymachos sprach, hatte ein anderer Freier, Amphinomos, das Gesicht umgewandt und einen Blick auf den Hafen der Stadt geworfen, den man von dem Vorhofe des Palastes aus mit den Augen erreichen konnte. Er sah das Schiff, in welchem sich diejenigen der Freier befanden, die auf den Hinterhalt ausgefahren waren, wie es eben mit vollen Segeln in den Hafen einlief. »Es bedarf keiner Botschaft an unsere Freunde«, rief er, »hier sind sie ja schon; sei es, daß ein Gott sie von Telemachs Heimkehr benachrichtiget hat, sei es, daß er ihnen entkommen ist und sie ihn nicht einzuholen vermochten.« Die Freier erhoben sich und eilten nach dem Meeresstrande. Dann begaben sie sich mit den Neuangekommenen auf den Markt, wo sie niemand sonst aus dem Volke zuließen, sondern ihre abgesonderte Versammlung veranstalteten. Hier trat der Anführer der Ausrüstung, der Freier Antinoos, unter den Anwesenden auf und sprach: »Wir sind nicht schuld, daß der Mann uns entronnen ist, ihr Freunde! Späher um Späher hatten wir den Tag über auf den Höhen des Gestades aufgestellt, und wenn die Sonne untergegangen war, blieben wir nie die Nacht über auf dem Lande, sondern wir kreuzten beständig auf der Meerenge und waren nur darauf bedacht, den Telemachos zu erhaschen und in aller Stille umzubringen. Ihn aber muß einer der Unsterblichen heimgeleitet haben; denn nicht einmal sein Schiff ist uns zu Gesichte gekommen! Dafür wollen wir ihm hier in der Stadt selbst den Untergang bereiten. Denn der Jüngling wird klug und wächst uns allmählich über den Kopf. Auch das Volk wird uns am Ende aufsässig; bringt er es unter die Leute, daß wir ihm auflauerten, ihn zu morden, so fallen sie am Ende über uns her und jagen uns aus dem Lande. Ehe dies geschieht, laßt uns ihn aus dem Wege räumen; in seine Besitzungen teilen wir uns; den Palast lassen wir der Mutter und ihrem künftigen Gemahl. Gefällt euch aber mein Gedanke nicht, wollt ihr ihn leben und im Besitze seiner Güter lassen, nun, dann wollen wir ihm auch die Habe nicht länger verzehren, dann laßt einen jeden von seiner eigenen Heimat aus um die Fürstin sich mit Brautgeschenken bewerben, und sie wähle den, der ihr am meisten gibt und vom Schicksale begünstigt wird.« Als er seine Rede geendigt hatte, entstand ein langes Schweigen unter den Freiern. Endlich erhob sich Amphinomos, der Sohn des Nisos, aus Dulichion, der Edelste und Bestgesinnte unter den Freiern, der sich durch seine klugen Reden auch der Königin Penelope am meisten zu empfehlen wußte, und sagte seine Meinung in der Versammlung. »Freunde«, sprach er, »ich möchte nicht, daß wir den Telemach heimlich ums Leben brächten! Es ist doch etwas Gräßliches, ein ganzes Königsgeschlecht im letzten Sprößling zu morden. Laßt uns lieber vorher die Götter befragen: erfolgt ein günstiger Ausspruch des Zeus, so bin ich selbst bereit, ihn zu töten; verwehren es uns die Götter, so rate ich euch, von dem Gedanken abzustehen.«

Solche Rede gefiel den Freiern wohl; sie schoben ihren Plan auf und kehrten in den Palast zurück. Auch diesmal hatte sie ihr Herold Medon, der heimliche Anhänger Penelopes, belauscht und der Königin von allem Nachricht gegeben. Diese eilte, jedoch dicht verschleiert, mit ihren Dienerinnen in den Saal zu den Freiern hinab und redete in heftiger Gemütsbewegung den Urheber des tückischen Vorschlages also an: Antinoos, du frecher Unheilstifter, mit Unrecht rühmt dich Ithakas Volk als den Verständigsten unter deinen Genossen; nie bist du das gewesen. Du verachtest die Stimme der Unglücklichen, auf welche doch Zeus selbst horcht, und bist verwegen genug, auf den Tod meines Sohnes Telemach zu sinnen. Erinnerst du dich nicht mehr, wie dein Vater Eupeithes, von seinen Feinden verfolgt, weil er Seeräuberei gegen unsere Verbündeten getrieben, schutzflehend in unser Haus geflohen kam? Seine Verfolger wollten ihn töten und ihm das Herz aus dem Leibe reißen; Odysseus aber war es, der die Tobenden abhielt und besänftigte. Und du, sein Sohn willst zum Danke das Gut des Odysseus verschwenden, wirbst um seine Gattin und willst sein einziges Kind ermorden? Du tätest besser daran, auch die andern von solchem Frevel abzuhalten!«

Statt seiner antwortete Eurymachos: »Edle Penelope, sei nicht bekümmert um das Leben deines Sohnes. Nie, solange ich lebe, wird es ein Mann wagen, Hand an ihn zu legen. Hat doch auch mich Odysseus manchmal als Kind auf den Knien gewiegt und mir einen guten Bissen in den Mund gegeben! Deswegen ist mir auch sein Sohn der Geliebteste unter allen Menschen; den Tod soll er nicht zu fürchten haben, wenigstens nicht von den Freiern: kommt er von Gott, dann kann ihm freilich niemand ausweichen!« So sprach der Falsche mit der freundlichsten Miene, im Herzen aber sann er auf nichts als Verderben.

Penelope kehrte wieder in ihr Frauengemach zurück, warf sich aufs Lager und weinte um ihren Gemahl, bis ihr der Schlummer die Augen zudrückte.


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