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Den ganzen Tag über hatte der fröhlichste Tumult in dem kleinen Städtchen geherrscht, das wir Neustadt nennen wollen; denn die drey Sternchen, die in Erzählungen an die Stelle von Orten zu treten pflegen, die man nicht bezeichnen will, sind immer, besonders aber beym Vorlesen, verdrießlich, und überdem trifft man überall in Deutschland auf Orte, die noch von alten Zeiten her diesen Nahmen führen, obgleich sie jetzt zum Theil alt und räucherig genug anzusehen sind.«

In Neustadt also, war vom frühen Morgen an alles auf den Beinen gewesen, um sich zum Empfange der aus einem Brunnenorte rückkehrenden Landesmutter vorzubereiten. Weder die Gesundheit, noch die Neigung der hohen Frau eigneten sich dazu, sie nach Art anderer Fürsten auf der Chaussee mit den Vögeln am Himmel um die Wette fliegen zu lassen; sie unternahm nur ganz kurze Tagreisen, und in dem Ländchen, das schon seit mehr als dreyßig Jahren unter dem milden Zepter ihres Gemahls sich sehr wohl befand, kam dadurch jetzt manch kleiner Ort zu dem nie gehofften Glücke, sich auf einige Stunden der Residenz gleichstellen zu dürfen, und sowohl seine Poeten, als seinen Geschmack in Anordnung sinnreicher Feste, vor fürstlichen Augen leuchten zu lassen.

Auch in Neustadt hatte es weder an Ehrenpforten, an weiß gekleideten Jungfrauen, noch an dem ganzen, beym Empfange solcher hohen Gäste, gebräuchlichen Apparat gefehlt, den man immer wieder von neuem erfunden zu haben meynt, obgleich er überall derselbe ist. Die Illumination, die man anzustellen Willens gewesen war, hatte die, der Ruhe bedürfende Fürstinn sich verbethen, auch die Einwohner waren von der ungewohnten Anstrengung des Tages ermüdet, daher zeigten sich die Straßen jetzt um neun Uhr Abends schon verödet. Nur in den Häusern war es noch lebendig, in welchen die Aeltern der sechs und dreyßig Jungfrauen wohnten, die der Fürstinn bey ihrem Einzuge Blumen gestreut hatten; in allen andern verlöschte schon ein Licht nach dem andern. Die guten Kinder erzählten noch ihren entzückten Müttern, wenigstens zum zwanzigsten Mahle, wie hold und freundlich die Fürstinn gegen sie sich bezeigt habe. Sie hatte Alle gelobt, Mancher sogar gewinkt näher zu treten, und sogar die Dreye auf die Stirne geküßt, die ihr das schöne, auf rosenfarbnem Atlas gedruckte Gedicht des eben von der Universität zurück gekehrten Herrn Vice-Syndicus überreichten.

Nur Leontine, obgleich bey weitem die schönste unter ihnen allen, hatte nichts von diesem Tage zu erzählen, denn sie allein war von dem jugendlichen Zuge ausgeschlossen geblieben. Man betrachtete sie als eine Fremde, da sie erst seit einem Jahre mit ihrer Mutter nach Neustadt gezogen war und der Magistrat der Stadt hielt es für Unrecht, eine solche den in großer Anzahl vorhandenen schönen Landeskindern vorzuziehen, die nach seiner Meinung alle die gerechtesten Ansprüche daran hatten, diesen festlichen Tag zu verherrlichen. Die Majorinn Nordheim, so hieß Leontinens Mutter, saß indessen doch noch lange mit ihrer Tochter am offenen Fenster, und es fehlte ihnen nicht an Stoff zu jenem anmuthigen Geschwätz, das so leicht und traulich dahin fließt, und von dem sich eben deshalb so wenig nacherzählen läßt.

»Ich bin recht froh,« sprach endlich die Majorinn, »daß meine Schwester diese Nacht drüben im Gasthofe bey ihrer kranken Frau Gevatterinn bleiben will. So habe ich doch dich, mein herziges Kind, einmahl ein Stündchen für mich allein, was mir in den vierzehn Tagen, die du wieder zu Hause bist, noch gar nicht gelingen wollte. Ich möchte es wohl benutzen, um mancherley von dir zu erfahren, meine Leontine, vor allem, was dich so still, so trübe macht. Ich erlaubte dir, meine Schwester nach Pyrmont zu begleiten, weil ich in das einförmige Leben, das du hier führen mußt, einige Abwechselung zu bringen wünschte; doch möchte ich dieses jetzt fast bereuen, denn du kömmst mir nicht so fröhlich zurück, als du ausgingst, und ich es erwartete; ich sehe beym Mondenlicht schon wieder Thränen in deinen Augen glänzen. Was fehlt dir, meine Leontine? bekenne mir es offen, du hast mir ja nie etwas verheimlicht.«

»Liebe Mutter! denke nur nicht etwa, daß ich nicht gern wieder bey dir bin,« erwiederte Leontine, »denke nur nicht, daß ich nach dem bunten Getümmel mich zurück sehne; es war wohl dort schön, und ich danke dir recht von Herzen, daß du mich das alles hast sehen lassen wollen, aber bey dir, mein liebes, trautes, freundliches Mütterchen, bin ich ich viel lieber – ach, ich wollte, du hättest mich nie von dir gelassen!« – schluchzte sie, plötzlich in heiße Thränen ausbrechend.

»Kind! mein Kind!« rief die Mutter erschrocken, »was ist das! ach, ich fürchte, meine Schwester hatte Recht in dem, was ich ihr nie glauben mochte. Ich bitte, ich beschwöre dich, Leontine, habe Vertrauen zu mir, entdecke mir alles, was dein Herz so beklommen macht.«

»Was, was hat Tante Lenchen dir denn von mir gesagt?« rief Leontine lebhaft: »Ach! freylich liegt mir etwas schwer auf dem Herzen, von dem ich schon lange mit dir reden wollte, aber ich finde immer keine Worte dazu. Frage mich aus, liebe Mutter, ich will dir alles redlich beantworten, vielleicht komme ich selbst so zur Erkenntniß von dem, was mir das Herz oft so schwer macht, ohne daß ich doch eigentlich weiß, was es ist.«

»Nun ich will es versuchen,« erwiederte die Majorinn. »Fürs erste sagte meine Schwester, dein frisches Kindergesichtchen habe in Pyrmont mehr Aufsehen gemacht, als ihr lieb war. Die jungen Herren waren scharenweise – –«

»Ey Gott behüthe,« rief Leontine, »wie kann Tante Lenchen so etwas sagen, und wenn es wäre, so werde ich doch darnach mich nicht sehnen, oder mir etwas darauf einbilden? Der Tag wird den jungen wie den alten Herren in Pyrmont gewaltig lang, weil sie nichts zu thun haben. Da gucken sie denn für die liebe Langeweile nach allem, und haben auch mich angesehen, wie jedes andere junge Mädchen, das da war. Aber daß dieses mich nicht gefreut hat, wirst du doch von mir glauben? Ich habe mich oft recht schämen müssen, wenn ich Morgens die Tante an den Brunnen begleitete.«

Die Mutter lächelte freundlich, indem sie das angefangene Verhör fortsetzte. »Lenchen sagt auch, du habest Bekanntschaften gemacht, die für dich viel zu vornehm waren, und – –«

»Das ist wahr, doch ich bin nicht Schuld daran,« fiel Leontine mit hohem Erröthen ein; »nun will ich mir aber auch ein Herz fassen, und dir erzählen, wie das zuging, damit du recht siehst, daß ich nicht dafür kann. Du weißt, liebe Mutter, daß wir weit vom Brunnen in einer sehr abgelegenen Straße wohnten, denn die vornehmeren Quartiere, nahe an der Allee, waren für uns viel zu theuer. Nach ein Paar Tagen eben wegen jenes unverschämten Anstarrens, das mir so verdrießlich war, bath ich die Tante, mich zu Hause zu lassen, wenn sie an den Brunnen ging, und da sie dort schon viele Bekanntschaften gemacht hatte, so schlug sie mir meine Bitte nicht ab. Ich setzte mich dann, während sie fort war, mit meiner Arbeit in unserem Schlafzimmer an das Fenster. Das war doch nichts Unrechtes? In unserem Wohnzimmer, vorn heraus, sah ich nur auf eine ziemlich enge Straße, hier aber konnte ich an den schönen grünen Bergen mich erfreuen, und die Rosen und der Jelängerjelieber aus dem Gärtchen am Hause dufteten so erquickend zu mir herauf. Auch konnte ich in alle Nachbarsgärten hineinsehen.«

»Weiter, Leontine, weiter,« sprach die Mutter, denn die Kleine seufzte und stockte in ihrer Erzählung.

»Im Hause neben an wohnte auch ein Brunnengast,« fing diese ganz leise und furchtsam an, und schwieg dann wieder.

»Nur Einer?« fragte die Mutter.

»Ach nein, viele,« war die Antwort, »denn das Haus war weit größer als das, in welchem wir wohnten; das waren aber auch die andern, ich meynte nur den Einen. Der ging nie an den Brunnen wie die andern, sondern ließ sich das Wasser hohlen, und trank es in seinem Hausgarten, der aber auch viel größer und schöner war, als der unsere. Nun, und daß er hinauf sah und mich grüßte, oder wohl auch zuweilen mir einen guten Morgen both, das war doch wohl ganz natürlich, und danken mußte ich ihm doch auch, das schickte sich einmahl nicht anders, nicht wahr, Mütterchen.«

»Gewiß nicht, aber erzähle nur weiter,« erwiederte die Majorinn.

»Aber denke nur nicht etwa, daß ich mich groß und breit an das Fenster hingestellt habe, damit er mich sehen und grüßen sollte,« setzte Leontine sehr eifrig hinzu, »ich lauschte oft nur ein ganz klein wenig hinter den Fenstervorhängen. Aber ich sah ihm gern zu, wenn er – Mütterchen, es war auch wahrhaftig in dem kleinen Hinterzimmer sonst so wenig zu sehen – und da sah ich ihm gern zu, denn es ließ so hübsch.«

»Was sahst du aber zu? was that er denn, was so hübsch ließ?« fragte die Mutter.

»Ach, wie du auch so fragen kannst!« rief Leontine, »ich kann es selbst nicht recht sagen. Man sollte denken, alle Leute thäten dasselbe. Er ging und stand, pflückte Blumen, oder las, oder schrieb, wie es kam, aber mir war immer dabey, als ob an der Art, mit der er alles dieses that, etwas ganz Besonderes wäre, und darum sah ich es gern, und als wir besser mit einander bekannt wurden, warf er mir auch jeden Morgen einen prächtigen Blumenstrauß zum Fenster hinein.«

»Besser bekannt? wie wurdet ihr denn besser bekannt?« fragte die Mutter mit steigendem Ernste.

Leontine wurde ein wenig ängstlich. »Wenn die Tante aus war oder schlief, ging ich auch zuweilen in unsern Garten, um frische Luft zu schöpfen,« flüsterte sie kaum hörbar, »und da kam er einmahl durch die Hecken zu mir. Daß ich sehr darüber erschrak, kannst du leicht denken, wie er aber öfters kam, wurde ich es gewohnt. Wir saßen dann in der Feuerbohnenlaube, dem Hause gegenüber, zuweilen las er mir aus schönen Büchern vor, die er mitbrachte, oft aber mußte ich ihm auch nur von dir erzählen, und wie der selige Vater in der Schlacht vor Paris geblieben sey. Er fragte nach allem genau, wie wir lebten, welche Bücher wir miteinander läsen, nach allem, sage ich dir. Er war damahls so gut und lieb, er sagte mir, er wolle expreß herreisen und dich kennen lernen, und hat mich wohl hundert Mahl gefragt, ob ich glaube, daß er dir gefallen könne.«

Leontine schwieg wieder. »Weiter, weiter, mein Kind,« sprach die immer aufmerksamer werdende Mutter.

»Nun ist's aus, ich weiß nichts weiter;« erwiederte Leontine, abermahls in Thränen ausbrechend.

»Du weinst, meine Leontine, es kann doch noch nicht ganz aus seyn, verhehle mir nichts, ich bitte dich,« sprach die Mutter, und trocknete liebkosend die Thränen von den glühenden Wangen des armen Mädchens.

»Ach ja, es ist aus, rein aus,« erwiederte Leontine tief betrübt. »Die Tante kam mit unserer Frau Hauswirthinn; beyde redeten in mich hinein, in das Hinterzimmerchen durfte ich nicht mehr, in den Garten auch nicht. Ach! und ich mochte es auch nicht, nun ich wußte, daß er ein Prinz sey.«

»Ein Prinz? wie war denn das möglich?« rief die erstaunte Mutter, »davon hat Lenchen mir nichts gesagt, sie hat nur ganz und im allgemeinen und obenhin von der Geschichte mit mir gesprochen.«

»Prinz Albert von B...,« seufzte Leontine, »es ist leider nur zu wahr. Der einzige Bediente, der mit ihm war, hatte es unserer Frau Hauswirthinn vertraut, aber späterhin hörten wir es noch von vielen Leuten, die darum wußten, obgleich er sich für einen Baron Rosen ausgab. Mir hatte er immer nur gesagt, er heiße Alfred, und nach seinem Zunahmen zu fragen, fiel mir nicht ein. Er war auch im Kriege verwundet, hat der Bediente erzählt, und weil er deßhalb die Cur recht ernstlich brauchen sollte, so hatte er unter fremdem Nahmen diese abgelegene Wohnung sich gewählt. Denn seiner Gesundheit wegen durfte er nicht wie die Andern in den Saal gehen, oder an den Vergnügungen Theil nehmen, zu denen ich sie oft scharenweise ziehen sah. Er reiste nach ein Paar Tagen ab, und ich habe nichts weiter von ihm gehört, noch gesehen.«

»Meine Leontine! mein liebes unschuldiges Kind!« rief die Mutter, indem sie die Weinende recht herzlich umarmte, »freue dich mit mir und danke Gott, daß du einer Gefahr entgangen bist, deren Umfang deine Unerfahrenheit noch nicht zu fassen vermag. Weine nicht mehr, meine Leontine, trockne deine Thränen und weine nicht mehr.«

»Ach Mutter,« rief Leontine, »ich werde doch immer darüber weinen müssen, daß er so falsch gegen mich war! Und das ist es eigentlich nur, was mir oft das Herz zerdrücken will. Warum mußte er mir sagen, daß er Alfred heiße? Warum mußte er mir vorspiegeln, daß er zu dir reisen wolle, und mich versprechen lassen, seiner bis dahin nicht zu vergessen? Ach, das kann ich ohnehin doch nie, immer, wo ich auch bin, steht er vor mir, und wenn ich die Augen zumache, sehe ich ihn am deutlichsten. Ich habe es in meinem Leben nicht glauben wollen, daß es böse Menschen in der Welt gäbe, ausgenommen die ordentlichen Diebe und Mörder. Du weißt es selbst, wenn in den Büchern, die ich dir vorlese, so recht boßhafte Leute vorkommen, die nur zur Lust sich ein Geschäft daraus machen, Andern mit Lug und Trug das Leben zu erschweren, so habe ich immer nicht weiter lesen mögen, weil ich behauptete, daß so etwas unnatürlich und unmöglich sey. Und nun muß ich doch daran glauben, denn was hatte Alfred davon, mich armes Kind so schmerzlich zu täuschen? Zwar habe ich ihm nie gesagt, wie gut ich ihm sey, denn ich schämte mich, aber er wußte es doch, und er that auch, als ob er mich noch weit lieber hätte, als ich ihn. Ach Gott, es ist doch recht betrübt, daß der Einzige, der mir so recht im Herzen wohl gefiel, es so böse mit mir meynen mußte! Zeitlebens werde ich das nicht vergessen, oder mich darüber trösten können. Ich wollte nur, du hättest gesehen, wie gut und lieb er sich zu stellen wußte, er sah so schön, so edel, so aufrichtig dabey aus! Liebe, liebe Mutter! mir graut recht vor der Welt, in der man so werden kann! Du nur bist gut, und ich will auch immer bey dir bleiben, und Gott bitten, daß er auch mich sterben läßt, wenn er dich einmahl vom Leben abruft; nur dich allein will ich noch lieben, von allem übrigen mag ich nichts weiter wissen.«

Es kostete viele Mühe, ehe Leontine durch freundliches Zureden sich beschwichtigen ließ, und sich entschloß, den Schlaf zu suchen, dessen sie doch sehr bedurfte, denn das arme Kind hatte sich müde geweint. Die Mutter blieb in tiefem Nachsinnen noch lange am Fenster, und bemerkte es nicht, daß der Wächter nun bald Mitternacht verkünden werde. Im Gemüthe der liebenden Frau wogten tausend Anschläge und Möglichkeiten, wie sie ihr einziges Kind dem Trübsinn entreißen könne, der gerade in jungen Herzen am leichtesten so tiefe Wurzeln schlägt, daß der Ernst des Lebens sie späterhin nur selten auszurotten vermag. Doch leider fühlte sie sich immer und recht schmerzlich von ihrer beschränkten Lage in ihren Plänen gefesselt. Wie gern hätte sie die Talente ausgebildet, die in unsern Tagen das Leben der Frauen schmücken, und zu denen Leontine unverkennbare Anlagen zeigte! Sie wußte wohl, daß nichts wohlthätiger auf ein verwundetes Gemüth einwirkt, als ernstes anhaltendes Beschäftigen mit einem, uns über uns selbst und über das Leben erhebenden Gegenstande, und wo gäbe es einen, der dieses eher vermöchte, als die Kunst in allen ihren Zweigen. Die arme Leontine schien aber durchaus nur zu dem allergewöhnlichsten Wirken im engen Kreise des häuslichen Lebens einer kleinen Landstadt verurtheilt, und dieses kränkte ihre Mutter um so tiefer, da sie keine Möglichkeit sah, es abzuändern.

Als auf dem Schlachtfelde vor Paris der Major Nordheim den ehrenvollsten Tod fand, fühlte seine Witwe nicht nur durch ihren Schmerz, sondern auch durch die plötzlich eingetretene Veränderung ihrer Stellung im Leben, sich bewogen, die große Stadt zu verlassen, in der sie bis jetzt in Ansehen und Wohlstand gelebt hatte, denn sie empfand, was Tausende schon vor ihr empfanden, daß es unendlich schwer ist, im Angesichte von Bekannten die Entbehrungen sich auflegen zu müssen, zu denen das Schicksal uns zwingt, und die wir unter Fremden mit weit leichterem Muthe ertragen können. Das kleine Neustadt both ihr durch seine schöne Lage einen angenehmen und zugleich wohlfeilen Wohnort, in welchem sie anständig und sorgenfrey leben konnte. Ihre Trauer über den Tod eines geliebten Gatten machte sie unempfindlich gegen den Verlust aller Verbindung mit der größern Welt, in der sie früher gelebt und sich gefallen hatte; doch sie empfand es schmerzlich, daß sie mit dieser auch alle Hülfsmittel aufgeben müsse, für Leontinens Ausbildung so sorgen zu können, wie ihr mütterliches Herz es wünschte. Ihre einzige Beruhigung blieb die Ueberzeugung, daß dieses ihr bey ihrem beschränkten Einkommen auch in einer größern Stadt unerreichbar geblieben wäre, aber es kränkte sie dennoch nicht minder tief, daß es so war.

Zerstreuung, Gesellschaft dachte die welterfahrne Frau, konnten ebenfalls dazu beytragen, Leontinen wieder zu erheitern. Dieser sogenannte Alfred war der erste junge Mann, der sie auszeichnete, er mußte um so tiefern Eindruck auf sie machen, da sie, nach ihrer Beschreibung von ihm, gewiß noch keinen sah, der ihm zu vergleichen wäre. In einem größern Leben würde sie auf Hunderte treffen, denen er nachstehen müßte, hier bleibt er ihr der Einzige, Unerreichbare, und das Gefühl des unwürdigen Spiels, das er mit ihr trieb, drückt ihr täglich den Dolch tiefer in das Herz, während er wahrscheinlich des armen einfachen Landmädchens längst nicht mehr gedenkt, und keine Ahnung davon ihm in den Sinn kommt, welch Unheil er bloß zum Zeitvertreibe angestiftet hat.

»Nun, Gott wird helfen,« seufzte sie endlich, »er wird es mir ins Herz geben, wie ich mein armes Kind aus dieser Verirrung seines heiligsten Gefühls erretten kann.« Im stillen Gebethe blickte sie zu dem jetzt umwölkten Himmel auf, und fuhr erschrocken zurück, denn sie sah einzelne Funken glänzend durch die Dunkelheit schweben. Sie riß das Fenster auf und bog sich weit hinaus; aus der Esse des am Markte, ihrem Hause schräg gegenüber liegenden Gasthofes, in welchem die Fürstinn ruhte, stieg ein Feuerstrahl hoch zum Himmel auf, er senkte sich, und das ganze Dach schien bald darauf in Flammen zu stehen.

Ein gewaltiger Feuerlärm erhob sich in der nächsten Minute; die Sturmglocke drönte in ängstlichen Schlägen durch die Nacht; die Nachtwächter tuteten, die Trommeln rasselten, die ganze Stadt wurde auf einmahl lebendig. Aus jeder Hausthüre fuhr ein erschrockener Schlafrock heraus, alles lärmte und schrie durch einander, und das Getümmel mehrte sich von Minute zu Minute. Die Majorinn, als eine sehr entschlossene Frau, übersah schnell die ihr persönlich drohende Gefahr und fand zu ihrem Troste sie nicht dringend, wenigstens nicht für den Augenblick. Der Wind wehte die Flammen nach der ihrem Hause entgegen gesetzten Seite hin, der Markt war sehr breit, mehrere Straßen durchschnitten den Zusammenhang der Häuserreihe zwischen ihrer Wohnung und dem brennenden Gasthofe, und sie hatte die Feueranstalten in dem kleinen Städtchen oft als ausgezeichnet gut rühmen gehört. Auch um das Schicksal ihrer Schwester, die in dem brennenden Hause sich befand, glaubte sie ebenfalls sich nicht sehr beunruhigen zu müssen, da diese mit der inneren Einrichtung desselben bekannt genug war, um gleich einen Ausgang zu finden; überdies hatte sie die Absicht gehabt, bey der kranken Eigenthümerinn desselben die Nacht über zu wachen.

Die Majorinn ging also fürs erste mit gefaßtem Sinne, Leontinen und ihr Dienstmädchen zu wecken, und fing dann an, für den Fall einer eintretenden größern Gefahr, die nöthigsten Vorbereitungen zur Rettung ihrer Habe mit so vieler, nichts übereilender Besonnenheit zu treffen, als sey höchstens von einer am Morgen anzutretenden Reise die Rede. Lautes Klopfen an der verschlossenen Hausthüre und vielstimmiges Rufen von draußen, unterbrachen sie in ihrer Beschäftigung; doch da sie die Stimme ihrer Schwester unter den Rufenden erkannte, so entschloß sie sich, sogleich die Thüre zu öffnen. Ein bunter Schwarm von Herren, Damen, Zofen und Lakayen, so wunderlich gekleidet, wie eben Angst, Eile und Dunkelheit ihnen die Kleidungsstücke in die Hände gespielt hatten, stürzten augenblicklich in das Haus, vor welchem draußen die halbe, nicht besser costumirte Stadt in der flackernden Flammenbeleuchtung einen ehrfurchtsvollen Halbkreis schloß, und wie im Chor eine dem Anscheine nach ohnmächtige Dame mit lauten Beyleidsbezeigungen begleitete, die unter der Anführung der Schwester der Majorinn mit großer Sorgfalt herbey getragen ward. »Nur hier herein nur hier herein mit der Durchlaucht,« rief Lenchen; »Schwester! schließe das untere Gastzimmer auf, ich habe zum Glücke noch heute das Bett weiß überzogen, nur geschwind, nur sachte, nur hier herein mit der durchlauchtigsten Fürstinn.«

Lenchen fand überall den pünktlichsten Gehorsam, wie ein jeder, welcher in einer allgemeinen Noth das Commando rasch übernimmt. Die Fürstinn ward auf das sehr saubere Bette gelegt, die Herren aus ihrem Gefolge entfernten sich, um für die Rettung der Wagen und des Gepäckes zu sorgen, und niemand blieb bey ihr als ihre Damen, ihr Arzt und ihre Kammerfrauen. Beynahe eben so erschrocken, als sie selbst, waren diese indessen nicht fähig, ihr große Hülfe zu leisten, doch die von der Majorinn schnell angewendeten Hausmittel reichten hin, sie bald wieder ins Leben zurück zu rufen.

Anfangs sah die hohe Frau freylich ein wenig befremdet sich um, doch nach wenig Minuten kam ihre Besinnung völlig wieder. »Ich sollte mich schämen,« sprach sie lächelnd, »den Kopf so ganz verloren zu haben, daß ich kaum weiß, was mir geschehen ist. Ich glaube im Gasthofe kam Feuer aus, und man brachte mich hieher in Sicherheit. Von Jugend auf hat die Idee, ein solches Unglück an einem solchen Orte zu erleben, mich auf allen meinen Reisen geängstigt, und ich bin jetzt gewisser Maßen froh, es überstanden zu haben. Wenn nur das Feuer bald gelöscht wird, und nicht arme Leute dadurch unglücklich werden.«

Die Majorinn ergriff diesen Augenblick, sich ihrem hohen Gaste wieder zu nähern, indem sie, der Wahrheit gemäß, versicherte, daß bereits die besten Anstalten getroffen wären, um dem Weiterumsichgreifen des zerstörenden Elements Einhalt zu thun, und daß man hoffen dürfe, dieses in sehr kurzer Zeit zu bewerkstelligen.

»Sind Sie es, bey der ich in dieser Gefahr Schutz und Obdach gefunden habe, und ist das hübsche Kind dort ihre Tochter?« fragte die Fürstinn. Die Majorinn antwortete bejahend auf beyde Fragen, und nannte zugleich ihren Nahmen.

»Nordheim, Major Nordheim,« wiederhohlte die Fürstinn, »ich kenne den Nahmen; ich glaube auch den Major selbst gekannt zu haben, wenn er anders der ist, dessen Regiment auf dem Durchmarsch nach Frankreich bey uns Rasttag hielt.« Die Majorinn verneigte sich schweigend.

»Ich habe ihn mit noch einigen Officieren seines Regiments bey uns an der Tafel gesehen,« fuhr die Fürstinn fort; »er war ein ausgezeichnet angenehmer Mann, ein braver Officier, und sein früher Verlust wurde von dem Fürsten und mir sehr bedauert. Es ist wunderbar, wie mir auf einmahl alles Vergangene so klar wird, ich weiß jetzt auch genau, wie ich in ihr Haus gekommen bin, Frau Majorinn! Ihre Schwester weckte mich aus dem ersten Schlafe. Das Zimmer war von den draußen wüthenden Flammen grauenhaft erleuchtet, das Knistern und Prasseln des Feuers erfüllte mich mit lähmendem Entsetzen und raubte mir alle Besonnenheit.«

Da jetzt die Nachricht kam, daß das Feuer glücklich gedämpft sey, ohne sehr bedeutenden Schaden angerichtet zu haben, so beschloß die Fürstinn, den Ueberrest der Nacht der Ruhe zu weihen; doch bestand sie mit der ihr eigenen Leutseligkeit darauf, daß ihre Damen und Kammerfrauen sich ebenfalls durch den Schlaf von dem gehabten Schrecken zu erhohlen suchen sollten.

Leontine erhielt die Erlaubniß, am Bette der Fürstinn wachen zu dürfen; der Arzt blieb in der Nähe, und da die Schwester der Majorinn für jeden der übrigen Gäste ein Ruheplätzchen bereit zu haben versicherte, so herrschte bald darauf die vollkommenste Stille in dem kleinen Hause, das seit kaum anderthalb Stunden so unerwartet zu einem Hofhalt umgewandelt worden war.

Die Fürstinn erwachte nach ein Paar Stunden vollkommen heiter, vom sanftesten Schlummer gestärkt. Es war schon heller Tag und ihr erster Blick fiel auf Leontine, die, mit ihrem Strickzeuge beschäftigt, am Bette saß. Die Fürstinn betrachtete eine Weile das anmuthige Geschöpf mit Wohlgefallen, und fing dann eine jener meistens aus Frage und Antwort bestehenden Conversationen mit ihr an, wie sie die Großen mit Untergeordneten zu führen gewohnt sind. Leontine mußte von ihren häuslichen Verhältnissen, ihren Beschäftigungen, kurz von ihrem ganzen Leben umständlichen Bericht ertheilen; sie that dieses mit der ihr natürlichen naiven Herzlichkeit, denn die milde Freundlichkeit der hohen Frau besiegte ihre natürliche Schüchternheit gar bald.

Die Freymüthigkeit des jungen Mädchens schien auch der Fürstinn zu gefallen; sie fragte sie immer mehr, und hörte jeder Antwort mit immer steigender Theilnahme zu, wie wir etwa einem Weitgereisten zuhören, der von fremden Welttheilen uns erzählt; denn das Leben, selbst des höheren Mittelstandes, ist und bleibt nun einmahl den Fürsten und noch mehr den Fürstinnen eine Art von Terra incognita, von der sie höchstens aus Romanen ein unvollkommenes Bild sich schaffen. Daher gewinnt jeder wahrhaft echte Zug aus demselben für sie etwas idyllenartiges, das für den Augenblick sie anzieht. Nachdem Leontine recht umständlich von ihren häuslichen Beschäftigungen erzählt hatte, und wie ihre Mutter darauf halte, daß sie überall selbst Hand anlege, erkundigte sich die Fürstinn auch nach ihren Fortschritten im Zeichnen, in der Musik, und überhaupt in allem, was man in den gebildeteren Kreisen zur guten Erziehung zu rechnen pflegt.

»Meine Mutter sucht mir gute Bücher zu verschaffen, die wir Abends mit einander lesen,« erwiederte Leontine ziemlich kleinlaut, mit niedergeschlagenen Augen. »Zeichnen und Musik zu lernen, ist freylich mein höchster Wunsch. Ich hätte auch wohl Geschick dazu, glaube ich.«

»Und warum lernen sie es denn nicht?« fragte die Fürstinn etwas verwundert.

»Es gibt hier keinen guten Lehrer,« erwiederte Leontine betrübt, »und schlechte sind ärger, als keine, pflegt meine Mutter zu sagen.«

Die Fürstinn sann schweigend eine Weile nach, dann klopfte sie liebkosend Leontinens glühende Wangen, nannte sie ein gutes, liebes Kind, geboth ihr, fröhlichen Muthes zu seyn, und entließ endlich das von ihrer Huld und Anmuth bezauberte Mädchen mit dem Auftrage, der Majorinn Nordheim zu sagen, daß sie in einer halben Stunde sie zu sprechen verlange, vorher aber die Kammerfrauen zu rufen.

Das an Schrecken gränzende Erstaunen der Majorinn läßt sich nicht beschreiben, mit dem sie in dem Gespräche, zu welchem die Fürstinn sie einladen ließ, den Wunsch derselben vernahm, Leontinen mit sich zu nehmen. »Es thut um ihre Tochter nur leid,« sprach die Fürstinn, »daß sie in diesem traurigen Orte so ganz der Gelegenheit ermangeln soll, sich auszubilden; man soll keine Blüthe in der Knospe ersticken lassen, wenn man zu ihrer Entwickelung beytragen kann, und ich glaube ihnen meinen Dank für ihre gastfreundliche Aufnahme nicht würdiger bezeigen zu können, als indem ich in Hinsicht auf Leontine die Hülfsmittel ihnen biethe, die ihnen hier unerreichbar sind.«

Vergebens suchte Leontinens Mutter alles, was ihr Herz und ihr Verstand gegen diesen Antrag ihr eingaben, der Fürstinn entgegen zu stellen. Sie sprach von Leontinens Jugend und ihrer Unbekanntschaft mit den Sitten der großen Welt; die Fürstinn behauptete, daß das Alter Leontinens sich gerade am besten dazu eigne, in dem, was ihrer Erziehung noch mangle, schnelle Fortschritte zu machen; und daß die unbefangene Natürlichkeit ihres Wesens ihr einen ganz eigenen Reiz gäbe, der sie in Jedermanns Augen zu einer sehr anziehenden Erscheinung erheben müsse.

»Aber darf ich Ihro Durchlaucht bitten, zu bedenken, daß meine Leontine sich gar nicht an ein größeres Leben gewöhnen muß?« erwiederte die Majorinn. »Ihre künftige Bestimmung führt sie wahrscheinlich in sehr beschränkte bürgerliche Verhältnisse ein, zu denen man an einem Hofe sich nur schlecht vorbereiten kann.«

»Die Tochter eines ausgezeichneten, tapfern Officiers, der im Dienste des Vaterlandes sein Leben ließ, darf auf jedes Glück Anspruch machen,« erwiederte die Fürstinn, »und ich bin überzeugt, daß Leontinens Anmuth und Schönheit ihr gewiß einst die Wahl unter vielen würdigen Bewerbern lassen wird; nur muß sie der Dunkelheit entrissen werden, in der sie jetzt schmachtet.«

»Ich wünsche meiner Leontine nur ein bescheidenes Glück, wie das meine einst war, und darum möchte ich nicht, daß sie die Augen höher erheben lerne,« sprach seufzend die Majorinn.

»Aber, liebe Frau Majorinn, sie haben eine ganz falsche Ansicht von dem, was ich Leontinen biethe,« fiel die Fürstinn ziemlich lebhaft ein. »Ich werde Leontinen der Aufsicht meiner treuen Bornau übergeben, die noch bey mir lebt, und vor dreyßig Jahren die Gouvernante meiner verstorbenen Tochter war. Wenn sie die würdige Frau kennten, so würden sie ohne Zagen ihr Kind ihr vertrauen. Sie soll über Leontinens Betragen wachen, ich selbst will den Unterricht leiten, den ich ihrer Tochter geben zu lassen Willens bin. Gewiß, sie dürfen sich nicht langer bedenken, wenn ihnen nicht das Vergnügen, ihr Kind immer um sich zu haben, mehr am Herzen liegt, als dessen wahres Wohl.«

»Ich läugne nicht, daß es mir schwer fällt, mich von meiner einzigen Freude zu trennen,« sprach die Majorinn.

»Aber sie können sie ja wieder sehen, sobald sie wollen; unsere Residenz liegt nicht viel über eine Tagereise weit von hier,« erwiederte die Fürstinn. »Gehen sie, gehen sie, gute Mutter! keine Bedenklichkeiten mehr. Ich habe noch einige Leute zu sprechen, in zwey Stunden wird alles zur Abreise bereit seyn. Indessen machen sie ihre Tochter mit dem bekannt, was wir über sie beschlossen haben, es wird ihr hoffentlich nicht mißfallen. Lassen sie nur einpacken, was die Kleine zur Reise braucht, alles übrige soll die Bornau besorgen,« setzte sie mit einer auf Entlassung deutenden Bewegung hinzu.

Es lag etwas so Unwiderstehliches und zugleich so Imposantes in dem Wesen und Betragen der Fürstinn, daß die Majorinn sich endlich davon überwältigt fühlen mußte. Indem sie hinaus ging, um den Befehl derselben zu erfüllen, fiel ihr Blick im Vorübergehen auf die Stelle am Fenster, wo sie noch in vergangener Nacht mit so viel banger Sorge an Leontinens Zukunft gedacht hatte. Was sie damahls hoffnungslos wünschte, ohne zu glauben, es je zu erreichen, drang das Geschick ihr in diesem Augenblick auf, und unwillkürlich schauderte ihr bey dieser schnellen Erfüllung von Wünschen, die ihr jetzt beynahe frevelhaft dünken wollten; denn alles Unerwartete führt etwas Grausenhaftes mit sich, und es liegt in der Natur des Menschen, selbst vor dem zu erschrecken, wornach er früher sich sehnte, wenn es so plötzlich ihm entgegen tritt.

Leontinens Thränen, ihre Abneigung, die Mutter abermahls zu verlassen, ihre Furcht vor dem Ungewohnten der Umgebungen, denen sie so ganz allein entgegen gehen sollte, hatten die Majorinn in ihrer jetzigen Stimmung fast bewogen, die ihr von der Fürstinn abgedrungene Einwilligung wieder zurück zu nehmen; doch Lenchen trat noch zur rechten Zeit dazwischen. Die unermüdliche Beredsamkeit, mit der diese alle möglichen Vortheile darzustellen suchte, welche durch eine solche Wendung in Leontinens Leben, sowohl für diese selbst, als für alle ihre Angehörigen, entstehen konnten, machte zwar wenig Eindruck auf die Majorinn, aber sie gewährte ihr Zeit, sich zu fassen. Sie fing an, sich vor sich selbst der ihr sonst ganz fremden Unentschlossenheit zu schämen, welche immer gern zwey Schritte zurück tritt, wenn sie einen vorwärts gewagt hat, und Leontine war zu gewohnt, sich der Leitung ihrer Mutter zu überlassen, als daß sie dem Willen derselben noch lange hätte zu widerstehen suchen sollen. Sie warf sich in ihre Arme. »So sey es denn, mein trautes, liebes Mütterchen,« rief sie unter tausend Thränen, »ich will geduldig noch einmahl von dir gehen, weil du es für gut hältst, aber nur für Ein Jahr. Tag und Nacht will ich lernen und die Zeit recht benutzen, damit ich nur recht viel zu dir zurück bringe, was dich freuen kann. Und du besuchst mich bald und bleibst recht lange, und kommst dann bald wieder, damit wir das verdrießliche Jahr so viel möglich abkürzen.«

Die Vorbereitungen zu Leontinens schneller Abreise wurden angefangen; sie wollte alles mitnehmen, was ihr lieb war, und ihr war fast alles lieb, was sie besaß, ihr Hänfling, ihre Blumen, ihr Myrtenstöckchen. Bey jedem Stück, welches sie zurück legen mußte, brach sie von neuem in Thränen aus, doch mit einem Mahle ward sie todtenbleich, sprang zitternd auf und ließ alles liegen. »Mutter,« rief sie beynahe heftig, »es geht doch nicht, wir haben eins nicht bedacht. Ich will nur alles wieder an Ort und Stelle bringen, sage du indessen der Fürstinn, daß es unmöglich ist.« Die Majorinn blickte voller Erstaunen sie an. »Prinz Alfred – Prinz Albert –« flüsterte Leontine ängstlich ihr ins Ohr. Die Mutter führte mit schmerzlichem Lächeln ihr Kind vor eine Karte von Deutschland, die an der Wand hing. »Hier liegt die Stadt, wohin du gehst, dort liegt B.,« sprach sie, »kannst du mir sagen, wie weit es von hier bis dort seyn mag?«

»Hundert Meilen und drüber,« antwortete Leontine ganz beschämt und ging leise wieder an's Einpacken, ohne damit fertig werden zu können, bis die Fürstinn sie zur Eile ermahnen ließ, indem alles zur Abreise bereit sey.

Der Tumult der Leute, die sich herbey drängten, um noch einmahl die Fürstinn zu sehen, das geschäftige Hin- und Wiederlaufen der Bedienten, die tiefe Ehrfurcht des versammelten Stadt-Magistrats, kurz der ganze Apparat der fürstlichen Abreise betäubte die arme Leontine, so daß sie sich im Wagen befand, ohne zu wissen, wie sie da hinein gekommen sey. Erst das Fortrollen desselben unter dem lustigen Blasen der vielen Postillione, dem Läuten der Glocken und dem lauten Vivatrufen der versammelten Einwohner der Stadt, gaben ihr die Gewißheit, von der Mutter geschieden zu seyn. Sie beugte sich weit aus dem Schlage heraus, so lange sie die geliebte Gestalt noch sehen konnte, und sank dann, als der Wagen um eine Ecke bog, unter einem Strome heißer Thränen auf ihren Platz zurück.

Die beyden Hofdamen und der Leibarzt der Fürstinn machten Leontinens Gesellschaft im Wagen aus. Sie war menschlich genug, das Mädchen ungestört sich ausweinen zu lassen, bis die Thränen von selbst versiegten, was nicht zu lange währte. Denn in der Jugend hört man am leichtesten auf zu weinen, wenn Fragen und Tröstungen von außen den innern Schmerz nicht stets von neuem wieder aufregen. Ueberdem vereinte sich vieles, um Leontinen zu zerstreuen. Das leichte lustige Geplauder ihrer Reisegefährten war ihr Anfangs zwar lästig, aber allmählig fühlte sie sich doch dadurch fortgerissen. Sie fing an, ihre nächsten Umgebungen zu betrachten, und es kostete ihr Anfangs sogar einige Mühe, sich zu überreden, daß sie es wirklich selbst sey, die in diesem kostbaren Wagen, der so sanft ging wie eine Wiege, mit Flügelschnelle fortgezogen werde, besonders wenn sie dabey der von innen und außen mit Gepäck aller Art überladenen alten, unbequemen Chaise sich erinnerte, in welcher ein Miethkutscher sie noch vor Kurzem im langsamsten Schneckengange von Pyrmont nach Hause geführt hatte. Alles im Wagen schien ihr bewundernswerth, von der reichen Posamentirer-Arbeit an bis zu dem schön geblümten Fußteppich den sie kaum zu betreten wagte, und sah sie heraus, so standen die Landleute in langen Reihen mit entblößtem Haupte am Wege, staunten ehrfurchtsvoll zu ihr hinauf, und sie hatte vollauf zu thun, um nur jedem Einzelnen freundlich zu danken. In allen Dörfern, durch welche ihr Weg sie führte, ging es unter grünen mit Rauschgold, Blumen und Bändern verzierten Ehrenbogen hin, die trotz der Aermlichkeit an Erfindung und Ausführung ihrem nicht verwöhnten Auge ungemein wohlgefielen. Die wohlgewaschenen, spiegelglatt gekämmten Dorfkinder im Sonntagsputze kamen in vielen Orten dem Reisezuge entgegen, den Pfarrer oder Schulmeister an der Spitze, um mit schönen Reden und Gesängen der Landesmutter die Freude der Unterthanen zu bezeigen, und überall regnete es Blumen und Kränze von allen Seiten in den Wagen hinein. Leontine fand das alles ungemein rührend und begriff gar nicht, wie der Arzt und die ältere der Hofdamen dabey so gleichgültig blieben, oder gar über das viele Anhalten sich ungeduldig bezeigen konnten.

Die jüngste und schönste der beyden Damen, Gräfinn Natalie, nahm freylich mehr Theil an dem, was Leontine in niegefühlte Bewegung versetzte, aber auf eine dieser durchaus nicht gefallende Weise. Sie blieb in Einem Lachen, faßte jeden einzelnen komischen Zug, der dabey vorfallen mochte, mit unnachahmlicher Laune auf, und hatte die größte Freude daran, die Kinder, durch aus dem Wagen geworfenes Geld und Zuckerbrot, aus Reihe und Glied zu bringen. Leontine wollte sich innerlich über diesen Unfug ärgern, doch die unwiderstehliche Anmuth, mit der er getrieben ward, ließ sie nicht dazu kommen, und als Gräfinn Natalie einmahl gar einem perorirenden Schulmeister ein so possierliches Gesicht schnitt, daß dieser darüber im schönsten Flusse seiner Rede Fassung und Concept zugleich verlor, fühlte Leontine sich sogar, wenn gleich wider Willen, zum Mitlachen fortgerissen.

»Nun, Gottlob, sie haben wieder einmahl gelacht,« rief Natalie triumphirend; »sehen sie, liebes Fräulein, das wollt' ich nur, obgleich ich wohl weiß, daß sie in diesem Augenblick mir recht böse darüber sind. Lachen bleibt immer die beste Cur in allem Herzeleide, wenn es auch Anfangs ein wenig wehe thut. Nicht wahr, Hofrath? habe ich nicht Recht?«

»Sie haben an sich selbst den besten Beweis davon abgelegt, schöne Gräfinn, ich verehre sie als meine Meisterinn in dieser Art von Curen,« erwiederte der Leibarzt mit einem eigenen, etwas scharfen Ton und Blick.

»Doctor, sie sind maliciös, aber ich gedenke es ihnen, darauf verlassen sie sich,« antwortete Natalie lächelnd. »Was wollt ihr vernünftigen Leute denn von mir? ich mache es wie die Natur, heute Regen, morgen Sonnenschein. Warum sollte ich junge Person klüger seyn wollen, als die alte Mama!«

Die andere Dame beugte sich jetzt zu ihrer muthwilligen Gefährtinn, um ihr etwas in's Ohr zu flüstern; Leontine wollte nicht darauf hören, aber unwillkürlich verstand sie doch zwey Worte von dem, was gesagt ward, und diese waren – »Prinz Albert.« Ihre Wangen glühten, ein unbeschreiblich ängstigendes Gefühl stieg in ihr auf, und von neuem traten Thränen ihr in's Auge.

Auch Grafinn Natalie schien halb verwirrt, halb erzürnt. »Seyn sie doch vernünftig,« sprach sie in Französischer Sprache, denn sie wußte nicht, daß Leontine diese verstand, ohne sich in ihr ausdrücken zu können, »das Kind da drüben muß ja denken, wir sprechen von ihm. Wahrhaftig, es fängt wieder an zu weinen, und ich war so froh, daß es endlich einmahl aufgehört hatte!« Halb beschämt, halb schmerzlich verletzt über diese Bemerkung, nahm Leontine alle ihre Kraft zusammen, um jede Aeußerung ihres Gefühls zu unterdrücken, während die übrigen unter einander fortfuhren, sich auf das fröhlichste zu unterhalten. Im Laufe des Gesprächs, auf welches Leontine von nun an sich bemühte, wenig zu achten, beugte der neben ihr sitzende Arzt sich vor, um ebenfalls Natalien etwas in's Ohr zu flüstern, und abermahls vernahm Leontine den Nahmen – »Prinz Albert –« sie hatte ihn dies Mahl zu deutlich gehört, um glauben zu können, sie habe sich geirrt.

»Ihr seyd beyde recht ungezogene Leute,« sprach Gräfinn Natalie erröthend, »nur meine kleine Leontine hier ist ein gutes artiges Kind, dafür soll sie auch ein Bonbon und eine überzuckerte Orange haben, und ihr bekommt nichts, als das trockene Zusehen.« Mit diesen Worten suchte sie ihr Arbeitskästchen aus einer der Wagentaschen hervor, doch, sey es ihre augenscheinliche Verwirrung, oder ein unvermutheter Stoß des Wagens, was davon die Ursache war, genug, sie faßte das Kästchen verkehrt, der Deckel sprang auf, und der theils aus Zuckerwerk, theils aus allerley glänzenden Kleinigkeiten bestehende Inhalt desselben fiel ihr halb in den Schooß, halb rollte er im Wagen umher.

»Da muß ich ja wider Willen generös seyn! qui en veut?« rief lachend Natalie und schüttelte vollends aus dem Kästchen, was noch darinnen zurückgeblieben war. Einige sehr zierlich zusammen gefaltete Briefchen fielen mit hinaus, der Arzt säumte nicht, sich dieser zu bemächtigen, Natalie ward es gewahr, ein scherzhafter Kampf entstand zwischen den beyden, während welchem die Gräfinn ihrem Gegner ein Briefchen nach dem andern entwand, und sie einzeln Leontinen zum Aufbewahren zusteckte. Von ungefähr warf Leontine einen Blick auf das, was ihr anvertraut wurde, und erkannte auf allen Aufschriften der Briefe Alfreds Hand. Ganz unverkennbar waren es dieselben Züge, mit denen er ein Gedicht für sie abgeschrieben hatte, das sie noch immer gleich einem Heiligthum aufbewahrte, obgleich sie schon oft Willens gewesen war, es zu vernichten.

Wer beschreibt das Gefühl, mit dem die Arme, von tausend Ahnungen und Schmerzen bedrängt, jetzt die Augen schloß, und sich in ihre Wagenecke drückte! Sie ward es nicht einmahl gewahr, daß der Kampf beendet sey, und die Gräfinn ihr Eigenthum aus ihren vor Schrecken erstarrten Händen wieder zurück nahm. Verstohlen öffnete sie zuweilen die Augen, um Natalien zu betrachten, und zu ihrer Qual erschien ihr diese dabey tausend Mahl schöner, liebenswürdiger und reizender, als sie es wirklich war, während sie sich selbst immer unbedeutender fand. Sie dachte alle Möglichkeiten durch, wo Alfred – denn so nannte sie ihn doch immer noch am liebsten – die reizende Natalie gesehen haben könne. Daß dieses erst vor Kurzem geschehen sey, war ihr klar, und doch wußte sie gewiß, daß die Fürstinn, und folglich auch die Gräfinn, nicht in Pyrmont gewesen waren. Gleich einem Lichtstrahl erhellte der Gedanke endlich die Nacht in ihrem Gemüthe: wie, wenn ich in der Handschrift mich geirrt hätte, eine sieht oft der andern gleich, und der Prinzen, welche Albert heißen, gibt es viele; muß darum gerade der meinige – der meinige? Ach was hilft es denn am Ende mir armen Kinde, wenn es ein anderer ist? verloren ist doch verloren!

Geistig angegriffen von den vielen, größten Theils schmerzlichen Begebenheiten dieses Tages, und auch von der ungewohnten Nachtwache am Bette der Fürstinn körperlich ermattet, sank Leontine in jenen festen, tiefen Schlaf, der gewöhnlich nur der frischen Jugend zu Theil wird. Ihre Reisegefährten hielten sie schon längst für eingeschlafen, weil sie so stille saß, und hatten ihre Unterhaltung fortgesetzt, ohne sich weiter um sie zu bekümmern.

Die Fürstinn reiste heute mit ungewohnter Eile, um noch mit Einbruch der Nacht ihre Residenz zu erreichen. Nur ein Paar Mahl hatte man im Verlauf des Tages angehalten, um im Wagen, ohne auszusteigen, einige Erfrischungen zu nehmen, daher erwachte Leontine erst von dem Glockengeläute als sie in die Residenz einfuhren und von den tausend Stimmen welche der geliebten Fürstinn ein fröhliches Willkommen entgegen riefen. Erschrocken riß sie die Augen auf und glaubte sich in einem Feenlande, denn alle Häuser der festlich erleuchteten Stadt strahlten in blendendem Schimmer; überall sah sie Hindeutungen auf frohes Wiedersehen; auch ihre Gefährten im Wagen drückten laut ihre Freude über die nahe Wiedervereinigung mit geliebten Personen aus. Nur ihr, der Vereinzelten, klopfte hier kein liebendes Herz entgegen, sie war einem Thautropfen vergleichbar, den ein über das Meer hinfliegender Vogel von seinem Fittig in den weiten Ocean schüttelt, und dachte vor Wehmuth und Sehnsucht zu vergehen.

Je näher sie dem auf einer Anhöhe erbauten Schlosse kamen, das, prächtig erleuchtet, alles überstrahlte, je bänger war es ihr um das Herz; fast fehlte es ihr an Muth, aus dem Wagen zu steigen und ihren Begleitern die breite Schloßtreppe hinauf zu folgen. Jedes von diesen hatte für den Augenblick so viel mit sich selbst zu thun, daß keines der armen Leontine gedachte. Grüße, Gegengrüße und frohe Winke flogen überall herüber und hinüber, freundliches Entgegenkommen trat aus allen Thüren hervor, doch nicht für sie. Auch die Fürstinn warf im Vorübergehen keinen Blick auf Leontinen indem sie zu ihrem Gemahl eilte, den ein Anfall von Podagra verhindert hatte, ihr entgegen zu kommen. Die Hofdamen benutzten diesen Augenblick, um auf ihr Zimmer zu gehen, wo liebe Freunde sie erwarteten; der Arzt eilte in seine Wohnung zu den Seinen, alles zerstreute sich, nur Leontine blieb trostlos und verlassen im Vorzimmer stehen. Die hin und her laufenden Bedienten betrachteten sie zwar zuweilen mit neugierigen Blicken, doch keiner kümmerte sich weiter um sie, und ihre ungewohnte Situation nahm ihr den Muth, einen von ihnen anzureden. »Mutter, liebe Mutter,« seufzte sie im Innersten ihres Herzens, »wer doch bey dir im kleinen Erkerstübchen wäre! Doch morgen kehre ich wieder zurück, und müßte ich zu Fuße mich auf den Weg machen.«

»Mein Gott, Leontine! Sie stehen noch hier?« rief endlich eine bekannte, freundliche Stimme, und eine weiche, warme Hand faßte ihre eiskalte in Angst erstarrte. Leontine glaubte ihren guten Engel zu vernehmen, sie blickte auf und erkannte mit einem wunderlich gemischten Gefühle Natalie, welche eben als diensthabende Dame aus den Zimmern der Fürstinn heraus getreten war. »Hat denn Niemand sie zurecht gewiesen, liebes Kind?« setzte Natalie recht gutmüthig hinzu; »ja so sind die Leute, in der Freude vergessen sie alles. Kommen sie einstweilen auf mein Zimmer, dort wollen wir schon sehen, wie wir für die Nacht uns einrichten. Morgen soll's besser gehen.« Mit diesen Worten bemächtigte sie sich des Arms der Verlassenen, die dankbar freudig ihr gern folgte, wohin sie sie führen wollte.

Die liebenswürdige Geschäftigkeit, mit der die Gräfinn, sobald sie in ihren Zimmern sich befanden, für Leontinens Bequemlichkeit und Erhohlung sorgte, ließ diese sehr bald den Mißmuth vergessen, den das ganz neue Gefühl des Verlassenseyns in ihr erregt hatte, und doch konnte sie nicht ohne inneres Weh den eigenen Liebreiz bewundern, der jede Bewegung ihrer jungen Beschützerinn begleitete. Ach! dachte sie, es kann nicht anders seyn, er muß sie lieben, denn sie ist wie er.

Am folgenden Morgen ließ die Fürstinn Leontinen zu sich rufen; sie behandelte sie mit ausgezeichneter Güte, sie wußte so fein ihr gesteriges Vergessen zu entschuldigen, ohne ihrer eigenen Würde dabey zu vergeben, daß jede Spur der erlittenen Kränkung aus Leontinens Gemüth verlöscht wurde. Auch Madam Bornau war zugegen, deren Schutz und Aufsicht die Fürstinn das junge Mädchen auf das angelegentlichste empfahl, und zugleich Leontinen ermahnte, in dieser würdigen Frau eine zweyte Mutter zu verehren. Leontine versprach alles, was man von ihr verlangte, wenn gleich die ernsthafte, in der strengsten Etikette grau gewordene Frau, neben der sie wohnen, und mit der sie Abends allein essen sollte, ihr weit mehr Scheu einflößte, als die Fürstinn selbst.

»Das ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dieser steifen, sauersehenden Dame und meinem freundlichen Mütterchen,« dachte sie in ihrem Herzen, »indessen wir bleiben doch nicht ewig beysammen, und sie ist alt genug, um meine Großmutter zu seyn; da muß ich schon Geduld haben, wenn sie gleich vielleicht ein wenig wunderlich sich bezeigen sollte.«

Da die Fürstinn alles, was sie unternahm, gern auch auf der Stelle auszuführen pflegte, so wurden noch am nähmlichen Vormittage alle Stunden des Unterrichts, den Leontine erhalten sollte, angeordnet, und deren Anfang für den folgenden Tag bestimmt. Leontine wurde dabey fast wie ein Fürstenkind behandelt, bey deren Erziehung die Lehrstunden gewöhnlich bis zum Uebermaße vervielfältiget werden; alles sollte sie lernen, Geschichte, Geographie, Naturkunde, fremde Sprachen, Tanzen, Zeichnen, Musik. Die Anwendung jeder Stunde des Tages ward auf das pünctlichste ihr vorgeschrieben. Voll Verwunderung hörte sie diesen Anordnungen zu. »Wie soll das alles nur in diesen kleinen Kopf hinein?« fragte sie leise die Gräfinn Natalie, die zufälliger Weise neben ihr stand. Natalie lachte, und flüsterte ihr wieder zu: »Was nicht darin bleiben will, lassen sie zum andern Ohre wieder hinaus; glauben sie mir nur, liebes Kind, so machen es Alle.«

Mitten in diesen Verhandlungen flogen die Flügelthüren auf, und der Fürst, der sich an diesem Morgen viel besser als gestern befand, ließ in seinem Podagristen-Stuhl sich hinein fahren, um seine Gemahlinn durch einen Besuch zu überraschen. Leontine drückte sich erschrocken und verlegen in eine Ecke des Zimmers, während die Fürstinn mit ihrem Gemahle von ihr sprach, und ein gutmüthiges, aber doch etwas sarkastisches Lächeln umspielte die Lippen des alten Herrn, als er hörte, wie seine Gemahlinn sich vorgenommen habe, für Leontinens Bildung zu sorgen. Sein, unter dicken, schneeweißen Auqenbraunen hell hervor blitzendes Auge suchte und fand das junge Mädchen gleich in seinem Verstecke auf. Er fing ein kurzes Gespräch mit Leontinen an, und ihre einfache Art, sich auszudrücken, schien seinen Beyfall zu haben. »Armes Vögelchen,« sprach er zuletzt, »und du sollst hier pfeifen lernen! Fast fürchte ich, es wird Schade seyn um deinen hübschen Waldgesang. Doch sollte es dir mit der Dudeley zu viel werden, so flüchte nur getrost zu mir,« setzte er halb leise hinzu, und ließ sich wieder hinaus fahren.

Die Audienz bey der Fürstinn war kaum vorüber, als Leontine schon eine zweyte um ihretwillen veranstaltete Versammlung im Zimmer der Madam Bornau überstehen mußte, bey welcher diese an der Stelle ihrer Gebietherinn den Vorsitz hatte. Ein Heer von Schneidern, Modehändlern und Putzmacherinnen war aufgebothen, um Leontinens Garderobe, ihren jetzigen Verhältnissen gemäß, umzuwandeln, und diese sollte nun unter Dingen wählen, die ihr alle viel zu prächtig vorkamen, und von denen sie die meisten kaum den Nahmen nach kannte. Auch ein eigenes Kammermädchen ward ihr aufgedrungen, obgleich sie immerfort behauptete, daß sie es gar nicht gewohnt sey, sich bedienen zu lassen. »Mein Gott,« dachte sie, »was machen die vornehmen Leute für Umstände mit sich selbst, und am Ende haben sie doch eigentlich nichts weiter, als was ich bey meiner Mutter auch hatte, ohne daß wir uns so darum plagten.«

Ueberhaupt fiel die arme Leontine an diesem ersten Tage ihres Hoflebens aus einer Verlegenheit in die andere, und war eigentlich noch befangener, als am vergangenen Abend. Schon am frühen Morgen hatte die Kammerjungfer der Gräfinn Natalie, die wie eine vornehme Dame aussah, sie in Angst und Noth gesetzt, indem diese durchaus beym Ankleiden ihr Dienste leisten wollte, welche Leontine selbst gewohnt war, ihrer eigenen Mutter zu erzeigen, und von denen sie gar nicht begriff, wie man glauben könne, daß ein junges Mädchen in gesunden Tagen ihrer bedürfe. Nichts aber schien ihr unbequemer, als die sie umgebende Pracht. Alle Augenblicke sah sie irgendein Geräth, dessen Gebrauch sie gar nicht zu errathen vermochte; auf den glatt gebohnten Parkets schlich sie ängstlich umher, denn ihr war, als ginge sie auf dem Eise; ihr eigenes Bild jagte ihr ein Paar Mahl einen gewaltigen Schreck ein, indem es aus einem, in einer dunkeln Ecke hingestellten großen Ankleidespiegel ihr unversehens entgegen trat, und einmahl machte sie sogar im Vorübergehen an einer, von oben bis unten mit Spiegeln bedeckten Wand, eine ehrfurchtsvolle, tiefe Verbeugung, denn sie glaubte, ein offen stehendes Nebenzimmer voll Gesellschaft zu sehen.

Alle diese kleinen Mißgriffe und Verlegenheiten Leontinens belustigten die Gräfinn Natalie gar sehr. Da sie gerade an diesem Tage dienstfrey war, so ging sie ihr nicht von der Seite, um ja keinen Zug davon zu verlieren; ihre Art zu Lachen war indessen zu gutmüthig, um Leontinen beleidigen oder ihr wehe thun zu können, besonders da die Gräfinn sie übrigens gegen alle die recht kräftig vertheidigte, welche Leontinen, wegen ihrer Unbekanntschaft mit dem vornehmen Leben, zum Ziele ihres Witzes zu machen versuchten. Leontine besaß im Grunde wenig Eigenliebe und konnte sogar einige Mahl recht herzlich über sich selbst mitlachen, wenn die Mißverständnisse, in die sie alle Augenblicke gerieth, gar zu lustig ausfielen.

Der nächste Morgen führte in Leontinens Aeußerm die große Umwandlung herbey, welche über sie beschlossen worden war, um sie für ihre jetzigen Verhältnisse geeigneter zu machen. Die erste Kammerfrau der Fürstinn war dabey von ihrer Gebietherinn als Oberaufseherinn angestellt worden, wenigstens ein Dutzend Hände zeigten sich noch überdem zu Leontinens großer Pein um sie geschäftig, mehrere Stunden gingen darüber hin, aber da endlich nun das große Werk vollendet war, fand man es auch über alle Erwartung gelungen, und des Lobens und Bewunderns wurde sobald kein Ende.

Doch nicht nur Leontinens, durch den neuen Anzug sehr gehobene Gestalt erregte die allgemeine Bewunderung, ein neues unerwartetes Phänomen kam mit dabey ins Spiel, denn man fand sie allgemein und mit Recht in dieser Kleidung der Gräfinn Natalie so ähnlich, als ob Beyde Schwestern wären. Jeder der sie an diesem Tage sah, machte diese Bemerkung, die früher niemanden eingefallen war, selbst Leontine wurde von dieser Aehnlichkeit überrascht, als sie im Spiegel sich aufmerksam betrachtete; aber es freute sie nicht, so reizend auch Natalie in ihren Augen war.

»Das war es also!« seufzte sie innerlich tiefbetrübt, »ich war es nicht, diese leichte Aehnlichkeit mit der Geliebten war es, die ihn anzog, und ihn bewog, das arme Landmädchen auszuzeichnen, das er sonst gewiß kaum bemerkt hätte. O wie eitel war ich, daß ich glauben konnte, ich Arme hätte ihm gefallen!«

Leontinens Tage bildeten von nun an eine nur wenig unterbrochene Kette von Lehrstunden und Vorübungen zu denselben. Die Fürstinn fragte oft nach ihren Fortschritten, und ob sie recht fleißig sey, doch der erste Reiz der Neuheit ging der hohen Frau immer bey allem schnell verloren, und so kam es in Kurzem dahin, daß sie Leontinen der Leitung der Madam Bornau ganz überließ, die nichts Besseres für diese zu thun wußte, als daß sie sie fleißig zum Französisch Sprechen anhielt, sie oft erinnerte, sich gerade zu halten, sich alle Mühe gab, ihr das beyzubringen, was sie Tournüre nannte, und Abends bey Tisch, im Geschmacke der weiland berühmten Madame le Prince de Beaumont, über die Conduite, welche eine junge Person zu halten hat, die in die Welt tritt, ihr vormoralisirte.

Mit den übrigen Herren und Damen am Hofe kam Leontine nur an der Mittagstafel zusammen, bey welcher Gräfinn Natalie ihre gewöhnliche Nachbarinn war; alle benahmen sich höflich gegen sie, doch niemand nahm weiter ein besonderes Interesse an dem jungen Mädchen. Auch die Fürstinn begegnete ihr zwar freundlich, doch ohne sie weiter auszuzeichnen, nur der Fürst ließ sich zuweilen in ein Gespräch mit ihr ein, und warnte sie in seiner gewohnten scherzhaften Weise vor zu vielem Studieren, weil ihre frische Farbe schon jetzt darunter leide. – Der alte Herr hatte im Grunde nicht Unrecht, denn Leontinens Rosen fingen wirklich an merklich zu bleichen. Doch übergroße geistige Anstrengung trug daran gewiß nicht die Schuld; sie war zu jugendlich gesund, als daß der Eifer ihr hätte schaden können, mit dem sie die ihr unverhofft gewordene Gelegenheit, sich zu bilden, redlich benutzte. Ganz andere Gefühle, ganz andere Schmerzen bleichten die Wangen der armen Leontine und vernichteten die Hoffnung ihrer Mutter, daß sie hier lernen könne, zu vergessen, denn der stete Anblick der Gräfinn Natalie erinnerte sie unablässig auf das schmerzlichste an den Prinzen Albert. Unvorsichtige Aeußerungen, denen die Gräfinn sich, ohne daran zu denken, überließ, unzählige Neckereyen, welche Leontine so gern nicht gehört hätte und doch hörte, überzeugten das arme Kind immer gewisser von einem zwischen jenen Beyden bestehenden zärtlichen Verhältnisse und erfüllten das junge Herz mit allen Qualen der Eifersucht.

Leontine hielt in ihrer Unschuld ihr Gefühl für Regungen des Neides, die sie verabscheuen und gewaltsam aus ihrer Brust zu bannen suchen müsse. Sie kämpfte unablässig, um sich zu besiegen und über Nataliens Glück sich zu freuen, und vermochte es dennoch nicht, ihrer Thränen und ihrer Schmerzen Herr zu werden. Natalie zog wechselnd sie an und stieß sie zurück, ohne beydes zu wollen, denn niemand konnte in allen seinen Handlungen absichtsloser seyn als diese; aber Leontine hielt es schon um Alfreds willen für ihre Pflicht, die zu lieben, die seine Liebe besaß, und um deren Aehnlichkeit mit ihr, sie glücklich genug gewesen war, von ihm bemerkt zu werden. Noch immer achtete sie die Zeit, welche sie in seiner Nähe verlebt hatte, für den höchsten Lichtpunkt ihres Lebens, und glaubte mit all' den heißen, bittern Thränen, die sie seitdem vergoß, ihn nicht zu theuer erkauft zu haben, obgleich er schnell wie ein Blitz wieder verschwunden war, und in trübem Dunkel sie zurück ließ.

Alfred stand wieder, gleich einem Halbgott, im blendendsten Licht vor ihrer Seele, entsündiget von jedem Fehl; sie bereuete es tief, ihn verkannt und in den Augen ihrer Mutter herab gesetzt zu haben, es war ihr klar, daß er nie daran gedacht haben könne, sie wissentlich täuschen zu wollen; der Zauber der Erinnerung hatte zu dem Schattenbilde der Heißgeliebten ihn gezogen, was konnte er dafür, daß Leontine schwach genug war, zu glauben, sie selbst sey es, die er aufsuche und ihm gefallen könne?

So täuschte die Arme sich selbst, in nie endender Pein. Ihr Bestreben, der Gräfinn Natalie und nur dieser, sich zu nähern, war zu auffallend, als daß nicht jedermann in ihrem dennoch ziemlich beschränkten Kreise dieses hätte bemerken sollen. Da auch Leontine der Gräfinn behaglich war, und diese ihr deshalb recht freundlich entgegen kam, so galten beyde bald am Hofe für unzertrennliche Freundinnen. Die Fürstinn, welche doch nicht alle Theilnahme an Leontinen gänzlich aufgegeben hatte, schien dieses nicht gern zu sehen; sie äußerte sich wohl auch gelegentlich darüber gegen Leontinen, doch immer auf so umwundene Weise, daß das einfache Kind ihre eigentliche Meinung gar nicht verstand. Auch Madame Bornau, von der Fürstinn wahrscheinlich dazu aufgefordert, nahm seit einiger Zeit die schickliche Wahl des Umgangs für junge Personen, zum Thema ihrer abendlichen Tischreden, doch Leontine war dann gewöhnlich entweder zu arbeitsmüde, oder zu versunken in sich selbst, um ihr mehr als scheinbare Aufmerksamkeit schenken zu können, und so blieb einstweilen alles beym Alten.

Eines Tages aber war bey der Mittagstafel eine ganz eigene, ungewohnte Verstimmung bemerkbar, die von dem fürstlichen Paare selbst auszugehen schien, feyerliche Stille herrschte im Saale, nie hörte man deutlicher das Klappern der Gläser und Teller, und die knarrenden Tritte der leise auftretenden Bedienten; selbst Leontinen ward dabey bänglich um's Herz. Natalie war nicht an der Tafel erschienen und hatte mit heftigem Kopfweh sich entschuldigen lassen.

Man stand wohl eine halbe Stande früher von Tische auf, als seit Menschengedenken; die Gesellschaft zerstreute sich, sobald dieses schicklicher Weise geschehen konnte, um unter sich über den Grund dieser seltenen Erscheinung Rath zu halten, und auch Leontine wollte sich auf ihr Zimmer an ihre Arbeiten begeben, als der Fürst ganz unvermuthet in den jetzt leer gewordenen Saal zurück kam, sie in eine Fenstervertiefung zog, und anfing, sie recht väterlich, aber auch sehr ernst vor dem zu vertrauten Umgange mit der Gräfinn Natalie zu warnen. Leontine blickte erschrocken zu der hohen, ehrwürdigen Greisengestalt auf. »Glaube mir,« sprach er, »ich bin weit davon entfernt, die vielen guten Eigenschaften der Gräfinn zu verkennen, aber demungeachtet ist sie für ein so unerfahrnes Kindsköpfchen, wie du bist, ein gefährlicher Umgang, und ich sowohl, als meine Gemahlinn, wünschen um deinetwillen, daß du dich von ihr zurück ziehst.«

»Wie kann ich,« erwiederte Leontine, und helle Thränen traten ihr ins Auge.

Der Fürst blickte mitleidig sie an und fiel gleich wieder in seinen alten Ton: »Armes Vögelchen,« sprach er, so pflegte er gewöhnlich sie zu nennen, wenn er guter Laune war, »armes Vögelchen, die Welt ist für dich viel zu weit und groß, und auch wieder zu enge, wie man es nimmt. Ich wollte oft, du säßest wieder daheim unter den mütterlichen Flügeln, obgleich ich dich mitunter recht gern hier herumflattern sehe.« Mit diesen Worten wandte er sich von Leontinen ab, die ganz erstarrt stehen blieb und ihm nachsah, bis er die Thüre seines Zimmers hinter sich anzog.

Tief versunken in Nachdenken, was dieses alles bedeuten könne? suchte sie jetzt ihr Zimmer auf und traf auf der Schwelle desselben das Kammermädchen der Gräfinn Natalie, die ihr meldete, daß ihre Herrschaft sehnlichst nach ihr verlange, und sie bitten ließe, unverzüglich zu ihr zu kommen. Leontine stand eine Secunde lang unschlüssig da, doch der Gedanke, daß Natalie krank sey und ihrer Pflege bedürfen könne, ließ sie des Fürsten sammt seiner Warnung vergessen.

»Kommst du endlich!« rief die Gräfinn von ihrem Sopha Leontinen entgegen, »wie konntest du so lange zögern, während ich sehnlich deiner harrte!«

»Sie leiden, liebe Natalie, gewiß sie sind recht krank,« erwiederte Leontine, und sah mit Erstaunen, indem sie sich zu ihr beugte, was sie nie als möglich sich gedacht hatte, helle große Thränen in den sonst immer heitern Augen ihrer Freundinn.

»Krank?« antwortete ihr die Gräfinn mit einiger Heftigkeit, »krank? Aergerlich bin ich, zornig, in tiefster Seele empört. Leontine, man behandelt mich mit unerlaubter Eigenmächtigkeit; doch ich bin entschlossen, es nicht zu dulden. Mag daraus werden, was will, sie haben es an mich gebracht und mögen es verantworten. Du nur scheinst mich zu lieben, du bist gut, du bist treu, du allein kannst mir beystehen und ich denke, du wirst es auch wollen.«

Leontine glaubte beynahe, die Gräfinn spräche im Fieber, sie wollte suchen, sie zu besänftigen, doch Natalie unterbrach sie sogleich.

»Ich bitte, sprich nicht, ehe du weißt, wovon die Rede ist; wir haben nicht Zeit, viel Worte zu machen, denn wer weiß, ob sie nicht auch dir verbiethen werden, zu mir zu kommen; darum höre still und aufmerksam, was ich zu sagen habe. Daß morgen der Herzog hier ankommt, um einige Tage bey seiner Schwester, der Fürstinn, zu verweilen, hast du gewiß schon vernommen, denn solch ein Besuch ist bey uns eine bedeutende Begebenheit; aber daß noch jemand mitkommen wird, weißt du nicht, denn die Durchlauchten selbst haben dies erst heute Morgen zufälliger Weise erfahren, und sind darüber in der allerpossierlichsten Unruhe, die mich sehr amüsiren würde, müßte ich nur nicht darunter leiden. Prinz Albert von B. kommt als ein weitläufiger Verwandter des Herzogs mit ihm, und zwar unangemeldet, um sie durch seinen Besuch zu überraschen; die hohen Herrschaften wünschen ihn zwar ins Pfefferland, aber sie dürfen es doch sich nicht merken lassen. Ich wußte es lange, daß er kommen würde, und habe mich immer auf ihre Gesichter gefreut, wenn sie ihn sähen, doch nun ist mir die Freude verdorben.«

Leontine lag todtenbleich in ihrem Armstuhl zurückgesunken, aber die bey zugezogenen Fenstervorhängen im Zimmer herrschende Dämmerung und die heftige Bewegung, in welcher die Gräfinn selbst sich befand, hinderten diese, es zu bemerken.

»Von diesem Prinzen Albert hast du gewiß schon oft reden gehört,« sprach Natalie halb verwirrt, halb verlegen; »du weißt, oder vielmehr, du wirst gemerkt haben – doch was suche ich lange noch Redensarten und Wendungen, um meiner Leontine zu gestehen, was ohnehin das Mährchen der halben Stadt ist! Kurz und gut, ich und Prinz Albert sind in B. am Hofe seines Verwandten, des dortigen Fürsten, mit einander aufgewachsen, denn mein Oheim, bey dem ich von meiner Kindheit an lebte, ist dort der erste Minister. So lange wir klein waren, bekümmerte man sich wenig darum, daß wir, Albert und ich, immer beysammen waren, doch als wir großer wurden, fand man für gut, uns zu trennen, und um uns recht weit auseinander zu bringen, mußte ich hier Hofdame werden. Das war das erste Unglück unsers Lebens, und wir gewannen einander um so lieber, weil wir gemeinschaftlich darüber weinten. Wir schwuren uns ewige Treue, wir haben sie auch gehalten, und bleiben stets in schriftlicher Verbindung mit einander. Albert ist seit zwey Jahren auf Reisen, und hat seitdem aus Liebe zu mir manchen gewagten Streich gespielt. Der letzte war, daß er verkleidet, unter fremdem Nahmen im Bade sich aufhielt, wo wir täglich uns sahen. Gott weiß, auf welche Art die Fürstinn dahinter kam, er erfuhr es zum Glücke noch bey Zeiten und ging, um einer Scene auszuweichen, nach einem andern Orte, doch ich – aber wir haben jetzt durchaus keine Zeit, uns unsere Liebesgeschichten weitläufig zu erzählen, also ein ander Mahl davon; jetzt weißt du, was du für's erste zu wissen brauchst, und nun sage mir, willst du mir beystehen?«

»Kann ich! darf ich!« stotterte Leontine, ihrer Sinne kaum mächtig, beynahe ohne zu wissen, was sie sagte.

»Ob du kannst? Würde ich dich sonst dazu auffordern?« rief Natalie immer aufgeregter. »Ob du darfst? Leontine! kannst du mir zutrauen, daß ich dich zu einem Schritte würde verleiten wollen, den ich selbst für unrecht hielte, und nicht im Nothfall auch für dich zu thun bereit wäre? Glaube mir, ich bin nicht unedler Natur, ich weiß, was mir zukommt. Zwar wäre ich nicht die erste Gräfinn, die einen appanagirten Prinzen heirathete, zwischen dem und dem Throne noch zwanzig stehen, die ein näheres Anrecht an diesen haben, aber ich bin weder eine eitle, noch eine rangsüchtige, noch eine liebesieche Thörinn. Ich habe meinen Albert lieb, doch hätten die, welche uns trennen wollen, mir Vertrauen gezeigt; hätten sie durch Gründe oder Bitten mich bewegen wollen, ihm zu entsagen; ich glaube, ich hätte dieses Opfer gebracht. Aber in B. behandelten sie mich wie ein Kind, und hier üben sie einen unwürdigen Despotismus an mir aus, den ich unmöglich gelassen ertragen kann. Denke dir, meine Leontine – wahrlich ich schäme mich sogar, vor dir es auszusprechen – ich bin nicht krank, ich bin eine Gefangene. Heute frühe verkündigte die Oberhofmeisterinn mir den fürstlichen Befehl, mein Zimmer nicht zu verlassen, so lange die fremden Herrschaften hier blieben. Aus besonders gnädiger Rücksicht, fügte sie hinzu, wolle man mich für krank ausgeben, und wünsche darum, daß ich schon heute anfange, mich inne zu halten; dabey aber wäre bey fürstlicher schwerer Ungnade jeder Versuch, den Prinzen zu sprechen, oder ihm zu schreiben, mir verbothen.«

Leontine schwamm in Thränen, aber sie schwieg.

»Du weinst, gutes Kind? es thut dir leid um mich?« sprach Natalie, sehr weich; »weine nicht, wir wollen uns schon helfen. Die fürstliche Ungnade schreckt mich nicht. Darum bitte ich dich, Leontine, gib diesen Brief in Alberts Hände und bringe mir seine Antwort, das ist alles, was ich von dir verlange. Wenn es auch auskäme, höchstens können sie dich zu deiner Mutter zurück schicken, und damit verlierst du nichts, denn hier bringen sie dich mit ihren tausend Alfanzereyen um deine Jugend. Wahrscheinlich siehst du den Prinzen bey der Tafel, und sollten sie des vornehmen Besuchs wegen von dieser dich ausschließen, so bleiben dir hundert andere Gelegenheiten, dich ihm zu nähern, denen du nicht einmahl ausweichen könntest, selbst wenn du es wolltest. Deine unverkennbare Aehnlichkeit mit mir, wird ihn gleich auf dich aufmerksam machen, so wie er dich erblickt – – –«

»O mein Gott!« seufzte Leontine unwillkürlich. »Was ist das? bist du unwohl?« rief Natalie erschrocken.

»Nein, o nein!« erwiederte Leontine kaum hörbar, und strebte mühsam, sich wieder zu fassen.

»Leontine, könntest du mich verrathen?« fragte die Gräfinn mit sehr ernstem Tone und Blick. Statt zu antworten, legte Leontine die Hand ihrer Freundinn auf ihr Herz, dessen ungestüme Schläge ihr die Brust zu zersprengen drohten, und hob mit schmerzlichem Lächeln das Auge zu ihr empor.

»Seltsames Kind,« sprach Natalie, »zwar verstehe ich dich nicht, doch es liegt in deinem wunderbaren, einfachen Wesen ein gewisses Etwas, das mich zwingt, dir zu vertrauen. Nimm den Brief, ich wickle ihn hier in dein Tuch, und nun eile, damit niemand dich bey mir antreffe, eile, eile, meine gute Leontine!«

Die Gräfinn trieb sie nach ihrer hastigen Art fast ungestüm fort und Leontine folgte ihrem Willen ohne Widerstand. Niemand begegnete ihr auf dem Wege nach ihrem Zimmer; dort saß sie lange regungslos, kaum ihrer selbst bewußt. Später kam Madame Bornau, um zu sehen, warum sie sich nicht zur gewohnten Stunde bey ihr einstelle; sie fand sie ein wenig fieberhaft, rieth ihr, gleich zu Bette zu gehen, und ein Glas Zuckerwasser zu trinken, und ließ sie dann allein.

Liebe, Eifersucht, Sehnsucht, tausend nahmenlose Schmerzen trieben während der dunklen Stunde der Nacht Leontinen rastlos umher und spät erst, als der Tag schon zu grauen begann, senkte der Schlaf sich auf ihre müden Augenlieder und zeigte ihr im tröstenden Traume das Bild ihrer Mutter. Der Aufgang der Sonne erweckte sie wieder, sie war etwas ruhiger geworden, denn sie fühlte jetzt den festen Entschluß in sich, noch heute in das Haus ihrer Mutter zurück zu kehren und unter keiner Bedingung noch eine Nacht im Schlosse zu bleiben, wo das Bild Alfreds, des Geliebten ihrer Freundinn, wie ein Gespenst sie verfolgte. Sie nahm sich vor, der Fürstinn gleich bey ihrem Erwachen zu sagen, daß sie die Sehnsucht nach ihrer Mutter nicht länger ertragen könne, und nicht nachzulassen, bis diese ihre Bitte, sie gleich nach Hause zu schicken, ihr gewährt habe. Sie stand auf, und trat in stillem Gebethe ans Fenster; der freundlichste Herbstmorgen lächelte vom blauen Himmel und beruhigte ihr aufgeregtes Gemüth immer mehr; tief unter ihr lag die Stadt, noch in röthlichen Morgennebel gehüllt, und über diese hinaus Berg und Thal, Wald und Flur in feuchtem Schimmer, verklärt vom Scheine der Sonne. Der Brief, den die Gräfinn ihr gestern aufgedrungen hatte, lag vor ihr im Fenster.

»Helf dir Gott, Natalie,« sprach Leontine sanft weinend, »ich kann es nicht, auch wenn ich es wollte, ich tauge nicht zu Dingen, wo es gilt, heimlich und schlau zu seyn.« Sie ergriff das Papier und betrachtete die Aufschrift, eine Thräne fiel darauf und verlöschte einige Buchstaben. Ein schmerzliches Lächeln glitt über Leontinens bleiches Gesicht, als sie dieses gewahr ward; »er wird dich sehen,« sprach sie, »aber er wird dich nicht erkennen.« Der Gedanke rührte sie unbeschreiblich, daß auch Alfred dieses Papier in seiner Hand halten würde, sie brach einige Blätter von ihrem geliebten Myrtenstöckchen ab, das die Mutter ihr nachgeschickt hatte, küßte sie und schob sie geschickt in den Brief hinein. »Liebe Blättchen, geht zu ihm, er wird denken: ihr kommt von Natalien und wird euch sorgsam bewahren, ihr bringt ihm meinen letzten Gruß, ohne daß er es weiß und versteht,« flüsterte sie heimlich.

So blieb sie lange am Fenster, zählte jeden Glockenschlag, und harrte ungeduldig der Stunde, in welcher die Fürstinn zu erwachen pflegte. Eine große Staubwolke zog von der Anhöhe, ihrem Fenster gegenüber, hinab, auf der großen Straße, welche in die, am Fuße derselben liegende Stadt führte. Leontine sah ihr zu, wie sie immer näher kam, ein Windstoß verwehte den Staub, und ein Trupp glänzender Reiter war sichtbar, der schnell den Berg hinab flog, und unten ihren Blicken entschwand.

Athemlos zitternd in Wonne und Weh, sank Leontine am Fenster in die Knie, und verbarg ihr Gesicht in den kleinen Händen. Ihr vorahnendes Herz sagte ihr, wer es sey, der da heran nahe.

Das Getrappel der Pferde, die in den Hof kamen, zwang sie, unwillkürlich aufzublicken; ein stattlicher Mann schwang sich aus dem Sattel, den sie nach den Porträten, die sie von ihm gesehen, für den Bruder der Fürstinn erkannte; mehrere Herren waren mit ihm, doch der, den sie zu sehen hoffte und fürchtete, war nicht unter ihnen, und sie wußte nicht, ob sie sich darüber freue oder betrübe.

Der Herzog und seine Begleiter gingen ins Schloß; die Pferde wurden fortgeführt, der Schloßhof war wieder leer; da sprengte noch Einer herein, von einem einzigen Bedienten begleitet, und mit einem ganz nahmenlosen Gefühl erkannte Leontine Alfreds hohe, schlanke Gestalt, sein dunkles, lockiges Haar, sogar die Kleidung, die er in Pyrmont getragen hatte, nur der Glanz des Sterns auf seiner Brust war ihr neu, und verwundete ihr Auge mit stechendem Schmerze.

»Wende, o wende nur ein Mahl dich hieher, daß ich dein liebes Gesicht, dein helles, klares Auge nur ein Mahl noch sehe,« bath sie leise vor sich hin. Doch er wandte sich nicht, ließ sein muthiges Roß im Hofe paradiren, und schien absichtlich mit dem Absteigen zu zögern. Sein Blick hing an dem andern Flügel des Schlosses, wo Nataliens Zimmer, Leontinen gerade gegenüber, lagen.

»Sie hat ihm genau beschrieben, wo sie wohnt;« dachte Leontine mit einem leichten Anfluge von Bitterkeit, den aber ihr reines Gemüth nicht lange festzuhalten vermochte.

Endlich ward Nataliens blendend weiße Hand am Fenster sichtbar, sie selbst nicht. Die Hand hielt eine frisch blühende Rose; mit freudiger Geberde zog auch der Prinz etwas aus dem Busen, was Leontine für eine verwelkte Rose erkannte, drückte es schnell an seine Lippen, und flog dann dem Eingange des Schlosses zu.

Leontine konnte ihn nicht absteigen sehen, ohne sich zu weit aus dem Fenster vorzubiegen, und sich der Gefahr, bemerkt zu werden, auszusetzen; aber sie sah deutlich das Gesicht des Bedienten; es war derselbe, der auch nach Pyrmont ihn begleitet hatte.

Von diesem Augenblicke an dachte und fühlte Leontine nur den heißen Wunsch, sich in den Armen ihrer Mutter auszuweinen. Alles andere vergessend, eilte sie zum Zimmer hinaus, gerade auf das der Fürstinn zu, ohne weiter etwas zu bedenken; doch auf dem dahin führenden Corridor stand mit einem Mahle Madame Bornau vor ihr.

»Schon so früh außer ihrem Zimmer, und in diesem nachlässigen Anzuge, Fräulein Leontine?« fragte Madame Bornau mit strengem Tone.

»Ich muß zur Fürstinn,« rief Leontine, und wollte an ihr vorüber.

»Halt, halt, wo denken sie hin?« erwiederte die Alte, »wie kommen sie mir denn vor? Fräulein! ist das Conduite? Haben sie nicht mehr von meinen Lehren profitiert? Heißt das artig und vernünftig? Wer wird denn Herrschaften so in aller Frühe überlaufen wollen, und in solcher Toilette! Gott im Himmel! kehren sie gleich wieder um.«

Leontine gerieth ganz außer sich, sie wollte auf die Alte gar nicht hören. Doch diese ergriff sie am Arme, und führte sie, ohnerachtet ihres Sträubens, in ihr Zimmer zurück. »Ich sage ihnen,« sprach sie zornig, »sie können heute den ganzen Tag die Fürstinn nicht sprechen; jetzt frühstücken die hohen Herrschaften bey Ihro Durchlaucht, und hernach geht es gleich fort nach Mon-Plaisir. Mittags werden sie dort ganz unter sich Familien-Tafel halten, und Abends ist hier im Schlosse Ball, bey dem auch sie erscheinen werden. Gut, daß es Sonntag ist, und sie heute keine Stunden haben, machen sie sich mit der Jungfer gleich daran, ihren Ballanzug in Ordnung zu bringen. Ich gehe auf ein Paar Stunden aus, werde aber hernach selbst Alles nachsehen, damit sie mir den Abend nicht Schande machen; denn heute scheint ihnen etwas ganz Besonderes im Köpfchen herum zu spuken.«

»Gott helfe mir,« rief Leontine, so wie Madame Bornau sie verlassen hatte, »ich muß allein, ich muß zu Fuße fort, ehe sie wiederkehrt, sonst ist an kein Entkommen mehr zu denken, und ich bin verloren.« Das Geräusch der nach dem Lustschlosse Abfahrenden raubte ihr vollends alle Besinnung; die Idee dessen, was geschehen würde, wenn sie wiederkehrten, versetzte sie in mehr als Todesangst; sie wollte lieber sterben, als dem Prinzen auf dem Balle begegnen, und es fiel in ihrer Verwirrung kein anderer Ausweg ihr ein, dieses zu vermeiden, als schnelle Flucht. Sie zog eilends eines ihrer einfachsten Hauskleider an, das sie noch aus Neustadt mitgebracht hatte, und athmete erst etwas freyer, als sie in ihrer alten gewohnten Gestalt sich im Spiegel sah; es war ihr, als feyere sie ein Fest des Wiedersehens mit sich selbst. Mit zitternden Händen, in fliegender Eile, packte sie einige Wäsche und ihr von der Fürstinn erhaltenes Taschengeld in ein Tuch, nahm das Päckchen unter den Arm, und wollte nun ihr Zimmer verlassen. Da fiel Nataliens Brief ihr abermahls ins Auge; hastig ergriff sie ihn. »Du darfst sie nicht verrathen! du mußt zurück in ihre Hände!« rief sie und eilte, zitternd vor Furcht, daß jemand ihr auf dem Wege begegnen könne zur Gräfinn.

Natalie fuhr erschrocken auf, als sie Leontinen mit verwildertem Blicke, fast unkenntlich verändert, zu sich eintreten sah. »Denken sie nicht schlecht von mir,« rief Leontine, ihr um den Hals fallend, »nehmen sie ihren Brief zurück, ich kann nicht anders. Lebe wohl, lebe wohl, sage ihm – o nein, nein, nenne mich nicht, nie darf er wissen – Lebe wohl, seyd glücklich, seyd Beyde glücklich, und wenn auch der armen Leontine niemahls in dieser Welt mehr gedacht wird.« Sie riß sich los, ehe die Gräfinn so viel Besinnung gewann, sie fest zu halten, und eilte, wie auf Flügeln, davon.

Natalie stand einen Augenblick von der seltsamen Erscheinung betäubt, dann wollte sie ihr nach, doch erinnerte sie sich des fürstlichen Verboths, ihr Zimmer nicht zu verlassen. Leontine hatte indessen schon, ohne von irgend jemanden gesehen zu werden, eine in den Schloßgarten führende Nebenthüre erreicht, denn das Schloß war an diesem Tage ganz verödet, da die Herrschaft abwesend war. Indem sie in den Garten trat, hörte sie noch Natalien mehrere Mahle schnell hinter einander die Schelle in ihrem Zimmer anziehen, dieser Ton beflügelte noch mehr ihre Schritte. Scheu wie ein Reh, immer vorwärts getrieben von der Angst, eingehohlt und zurück getrieben zu werden, durchflog sie die abgelegensten Gänge des Gartens, bis sie eine ihr bekannte kleine Thüre erreicht hatte, die in den Thiergarten führte. Sie fand diese offen stehen, der Thiergarten, das wußte sie, ging eine bedeutende Strecke neben der Chaussee hin, die nach Neustadt führte, und sie freute sich, von seinem Schatten verborgen, zu entkommen, ohne daß man vom Schlosse aus sie bemerken könne.

Immer schneller gejagt von den ängstlichen Schlägen ihres Herzens, lief sie in derselben Richtung mit der Chaussee immer weiter; schon sah sie den Ausgang des Thiergartens vor sich liegen, ihr war, als wäre sie allen Gefahren, die in unbestimmten Formen ihr vorschwebten, wenigstens zur Hälfte entronnen, wenn sie sich nur erst außerhalb der Gränzen des zum Schlosse gehörenden Bezirks befinden würde, und sie beschleunigte deshalb noch mehr ihre Schritte, als plötzlich der alte Fürst selbst aus einem kleinen Jagd-Pavillon neben dem Eingange des Thiergartens hervor und ihr in den Weg trat. Er war wegen einiger Anordnungen zu der auf den folgenden Tag bestimmten großen Jagd hierher gekommen, und wollte durch den Wald, der nach Mont-Plaisir vorausgegangenen Gesellschaft nachfolgen.

»Wohin, Kleine? und so verwildert, in so ländlicher Tracht, ein Päckchen unter dem Arme, wie auf der Flucht!« rief er ernster, als sie es von ihm gewohnt war, ihr entgegen.

An allen Gliedern gelähmt, mühsam nach Athem ringend, lehnte Leontine an einem Baume, und hob, unverkennbare Todesangst in allen ihren Zügen, die Hände bittend zu ihm auf. Der Fürst sah eine Weile sie sehr ernsthaft an, ohne ein Wort zu sprechen, doch sein Erstaunen ging bald in tiefes Mitleid mit dem guten Kinde über; er winkte seinen Jägern, sich in einige Entfernung zu begeben, führte selbst Leontinen in den Pavillon, ließ sie dort niedersitzen, und begann recht mild zu erforschen, auf welches Abenteuer sie eigentlich ausgegangen sey. Anfangs konnte sie nur mit Thränen antworten, endlich fand sie Worte, und diese drückten nichts weiter aus, als daß sie die unüberwindlichste Sehnsucht, bey ihrer Mutter zu seyn, nicht länger zu tragen vermöge.

Der Fürst erkannte freylich in ihrem ganzen Wesen den Ausdruck eines gewiß noch auf andere Weise tief verwundeten Gemüths, aber auch zugleich das unverkennbarste Gepräge der reinsten Unschuld, und er war zu menschlich, Wunden erforschen zu wollen, die zu heilen wahrscheinlich außer dem Gebiethe seiner Macht läge. Er redete ernst, aber freundlich ihr zu, sich zu beruhigen, ging hinaus, um ihr Zeit dazu zu lassen, und kam dann nach einer kleinen halben Stunde wieder zu ihr hinein, in der es ihr endlich gelungen war, sich wenigstens im Aeußern einige Fassung zu erringen.

»Liebes Kind, ich willige in deine Bitte, du sollst zu deiner Mutter zurück,« sprach er. – –

»Aber gleich, gleich,« bath Leontine ihn ängstlich unterbrechend, »gleich in dieser Stunde, ich kann nicht wieder in das Schloß, lassen sie mich gehen, gnädigster Fürst, so weit meine Füße mich tragen.«

»Da mochtest du schwerlich weit kommen, armes Kind,« erwiederte lächelnd der Fürst. Ein leichter Reisewagen rollte jetzt vor den Eingang des Thiergartens, Leontinens Kammermädchen saß darin, des Fürsten Leibjäger sprang vom Bocke und machte den Schlag auf.

»Du siehst, Vögelchen, ich halte Wort,« sprach der Fürst nach seiner gewohnten freundlichen Weise; »daß du nicht länger bey uns bleiben willst, verarge ich dir nicht,« setzte er etwas ernster hinzu. »Daß es so kommen müsse, sah ich gleich in der ersten Minute dir an, aber du hättest mehr Vertrauen in uns, wenigstens in mich setzen müssen, der ich so oft dich dazu aufforderte. Es war nicht fein, so verwildert auf und davon fliegen zu wollen.«

Leontine war es zu Muthe, als müsse sie vor Beschämung vergehen.

»Setze dich jetzt in den Wagen,« sprach der Fürst weiter, »ich habe dafür gesorgt, daß du die Reise so zurücklegst, wie es für die Tochter des braven Major Nordheim schicklich ist, und nicht wie eine kleine Landläuferinn vor deiner Mutter erscheinst. Mein Jäger und dein Mädchen sollen bis Neustadt dich begleiten; wenn du die Nacht zu Hülfe nimmst, kannst du morgen um diese Zeit schon dort seyn. Ich werde bey der Fürstinn für dich sprechen; reise glücklich, mein Kind, vergiß in deiner lieben Heimath Alles, was dich schmerzt, aber denke stets daran, daß wenigstens ich und die Fürstinn es wahrhaft gut mit dir meynten.«

Leontine erlag fast der seltenen Güte des fürstlichen Greises; Thränen netzten seine Hand, indem sie diese, vor ihm auf die Knie sinkend, an ihre Lippen drückte; er hob sie freundlich auf, sah sie in den Wagen steigen, empfahl sie nochmahls der pünctlichsten Sorgfalt ihrer Begleiter, und ging dann unter dem Schatten seiner Bäume zurück.

Es währte nicht lange, so begegnete ihm Madame Bornau ganz athemlos. »Sind Ihro Durchlaucht der Unglücklichen etwa begegnet, sie soll hierher sich gewandt haben,« rief sie keuchend ihm entgegen, »war sie denn wirklich ganz von Sinnen? Ach Gott, ich habe schon heute früh so etwas an ihr bemerkt.«

»Wen meynen sie, liebe Bornau?« fragte der Fürst ganz gelassen, »ich bin nur dem Fräulein Nordheim begegnet, das hier am Parkthor von mir Abschied nahm, um in meiner Reisechaise, begleitet von meinem Leibjäger und ihrem Kammermädchen, nach Neustadt zu ihrer Mutter zu reisen.«.

Der Madame Bornau erstarb das Wort im Munde. »Durchlaucht erlauben,« sprach sie endlich, »das ganze Schloß ist über das Fräulein in Allarm. Vor einer Stunde ist es in vollem Wahnsinn zu der Gräfinn Natalie ins Zimmer gestürzt, die gute Dame hat fast den Tod davon gehabt, und in der Angst ihren Schellenzug mit heftigen Klingeln entzwey gerissen.«

»Die gute Dame wird sich schon wieder erhohlen und der Schellenzuq muß wieder gemacht werden,« erwiederte der Fürst sehr gleichmüthig. »Uebrigens möchte ich, daß von dieser Geschichte im Schlosse nicht weiter gesprochen werde, denn ihnen, als einer klugen Frau, kann man wohl vertrauen, daß ein Staatsgeheimniß dabey im Spiele ist.« Madame Bornau machte eine sehr tiefe Verbeugung und bemühte sich, intelligent auszusehen.

»Schicken sie Alles, was dem Fräulein Nordheim gehört, ihr sorgfältig nach, daß nichts zurück bleibt,« sprach der Fürst im Fortgehen; »ich und meine Gemahlinn werden noch ein Geschenk für das gute Kind hinzufügen, denn wir halten viel von dem Fräulein Nordheim.«

»Es ist auch eine vortreffliche junge Person, die ich selbst stets sehr estimirt habe,« erwiederte Madame Bornau mit einer zweyten, noch tieferen Verbeugung, als die erste war, und ging, vertieft in Gedanken über das Staatsgeheimniß, wieder dem Schlosse zu.

Freudvoll und leidvoll kam Leontine indessen der lieben Heimath immer näher. Anfangs, ohne recht zu wissen, wie ihr eigentlich geschehen sey. Doch als eine Meile nach der andern zurück gelegt wurde, ohne daß sie noch am Ziele war, und nun der Abend herein brach, da pries sie recht dankbar ihr Geschick, das sie zur guten Stunde dem Fürsten entgegen geführt hatte, und es kam ihr ein Grausen an, wenn sie daran dachte, jetzt als eine einsam wandernde Pilgerinn zu Fuße gehen zu müssen. Ihr Herz klopfte mit wehmüthiger Freude dem nahen Wiedersehen der Mutter entgegen, und doch mußte sie dabey mit bangem Schmerz auch an Alfred und Natalien denken, und daß sie nun von Beyden auf ewig geschieden sey. Auch nicht der kleinste unangenehme Zufall begegnete ihr unterweges, ihre Begleiter waren die Sorgfalt und Aufmerksamkeit selbst; sie reiste die Nacht hindurch, und mit den ersten Sonnenstrahlen, zur nähmlichen Stunde, in der sie am vorigen Tage den Prinzen von fern erblickt hatte, leuchteten die Thürme von Neustadt, vergoldet von der Morgensonne, ihr entgegen.

Um die Mutter nicht zu erschrecken, wenn sie so unerwartet angefahren käme, stieg Leontine am Thore ab, und während der Wagen im Gasthofe einkehrte, eilte sie zu Fuße auf lieben, bekannten Wegen ihrer Wohnung zu. Sie fand die Hausthür nur angelehnt, öffnete sie leise mit freudig zitternder Hand, steckte das Köpfchen hinein, und sah auf der Hausflur Tante Lenchen vor dem, ihr sehr wohl bekannten großen Linnenschranke von Nußbaumholz sehr beschäftigt.

»Ich bin's, Tante Lenchen,« flüsterte sie ein wenig beklommen.

»Ey du liebes Herzenskind, bist du schon da! Tausend Mahl willkommen,« rief Lenchen, sprang vom Stuhl, auf dem sie stand, ihr entgegen, und umarmte sie mit stürmischer Freude. »Bist du durch die Luft geflogen, liebes Kind?« fragte sie, »wir erwarteten dich auf das Frühste morgen Abend oder übermorgen.«

»Sie erwarteten mich?« erwiederte Leontine im höchsten Erstaunen über diesen Empfang.

»Ey freylich, das versteht sich, sollte ich meynen, antwortete ihr Lenchen mit einem ganz eigenen schalkhaften Gesichte, »doch komm nur herein, du findest sie beysammen.« Mit diesen Worten schob sie Leontinen in die Gartenstube, doch todtenbleich taumelte diese sogleich wieder in die Arme der Tante zurück, denn sie sah ihre Mutter und Alfred beym Frühstück traulich einander gegenüber sitzend, und glaubte zu träumen.

Freudige Ausrufungen, Erstaunen, Fragen, Erklärungen, Lachen und Thränen strömten nun in dem kleinen Kreise so verwirrt und bunt durcheinander, daß der halbe Tag darüber hinging, ohne daß sie sich unter einander recht verständigt hatten. Alle waren in einem Taumel von Entzücken; die Mutter, weil sie ihr Kind unter den beruhigendsten Aussichten für dessen Zukunft wieder in ihren Armen hielt; Leontine, weil Alfred weder ein Prinz, noch der Geliebte der Gräfinn Natalie war; Alfred aber kannte sich kaum vor Wonne, Leontinen ganz so wieder zu finden, wie er sie verlassen hatte, und es galt ihm sehr gleich, daß Leontine ihm ganz treuherzig versicherte, trotz aller Mühe, die sie sich gegeben, außer ein wenig Clavierspielen und Zeichnen, am Hofe nur blutwenig gelernt zu haben: Lenchen aber war entzückt, weil es eine Aussteuer und eine Hochzeit zu besorgen geben sollte.

Alfred hieß wirklich Rosen, wie er auch in Pyrmont sich genannt hatte; zum Baron hatte man dort, nach dem an solchen Orten gewohnten Gebrauch ihn erhoben. Er war der Sohn eines angesehenen und wohlhabenden Beamten, der in B., seinem Wohnorte, seiner persönlichen Eigenschaften wegen, sich der allgemeinsten Achtung erfreute. Schon in früher Kindheit war Alfred, durch die günstigen Verhältnisse seines Vaters, zu der Ehre gelangt, der unzertrennliche Spielgefährte des mit ihm in einem Alter stehenden Prinzen Albert zu werden und mit ihm gleichen Unterricht zu genießen. Späterhin bezogen beyde zur gleichen Zeit dieselbe Universität, dienten im Befreyungskriege im nähmlichen Regimente, und theilten so von Jugend auf Vergnügen und Unterricht, Gefahr, Noth und Sieg mit einander; auch wohl mitunter manch lustiges oder ernstes Abenteuer, wie das die Jugend mit sich zu bringen pflegt. Sie waren Freunde im schönsten Sinne des Worts, und da Alfred vom Prinzen durchaus unabhängig war, so blieben sie es auch.

Aus jugendlicher Schwärmerey hatten sie sich früher stets gleich gekleidet, und änderten dieses auch späterhin nicht ab, weil keiner von ihnen den Anfang dazu machen wollte. Während des Feldzuges, den Albert als Freywilliger mitmachte, trugen ohnehin beyde die nähmliche Uniform, und da sie an Wuchs, Gestalt, Farbe der Haare sich sehr gleich waren, und jeder von ihnen während ihres vieljährigen Beysammenlebens sich von der Haltung und dem Gange des Andern etwas angeeignet hatte, so fand man sie allgemein einander ähnlich, obgleich sie in ihren Gesichtszügen sich sehr von einander unterschieden. Sie wurden sogar in einiger Entfernung, oder von Leuten, die nicht genauer sie kannten, sehr oft mit einander verwechselt.

Was Alfred dem Prinzen Albert war, war die Gräfinn Natalie von Jugend auf den Prinzessinnen, Alberts Schwestern, gewesen, und daß Alfred der Vertraute des, zwischen dem Prinzen und der jungen Gräfinn sehr früh entstandenen, zärtlichen Verhältnisses wurde, war also ganz natürlich, und zugleich auch der Grund, warum er, nach beendetem Feldzuge, seinem fürstlichen Freunde nicht als Begleiter während der Reise in das Ausland zugegeben ward, die dieser bald darauf antreten mußte. Alfred kehrte nach B. zu seinem Vater zurück, und erhielt bald darauf eine eben so ehrenvolle als bedeutende Anstellung in dem Fache, welchem er sich gewidmet hatte.

Die Anstrengungen des Krieges, vor allem das Bivouaquiren, hatten indessen seine Gesundheit angegriffen. Das Uebel war nicht bedeutend, aber um es gleich im Entstehen auszurotten, war eine Reise nach Pyrmont ihm von seinem Arzte angerathen worden, und er befolgte diesen Rath um so lieber, da er hoffen durfte, seinen lange entbehrten fürstlichen Freund dort wieder zu finden. Beyde trafen schon auf dem Wege zusammen. Albert war absichtlich ihm entgegen gekommen, und that ihm nun den abenteuerlichen Vorschlag, seine Rolle in Pyrmont zu übernehmen, und um die, so ihn dorthin geschickt hatten, zu täuschen, als Prinz Albert dort zu erscheinen, während er selbst unter einem andern Nahmen die Gräfinn Natalie umschwärmen wollte, die damahls mit ihrer Fürstinn in einem andern, von Pyrmont ziemlich weit entlegenen, kleineren Badeorte sich aufhielt.

Alfred konnte, aus leicht zu errathenden Gründen, sich schwer entschließen, in diesen Plan einzugehen, auch gab er sich alle Mühe, seinen Freund davon abzubringen; doch alles, was er dagegen einwenden mochte, war verloren, denn von allen Menschen sind Prinzen wohl am wenigsten geneigt, ein Unternehmen aufzugeben, von dem sie Lust und Freude sich versprechen. Alfred wurde durch unablässiges Bitten seines fürstlichen Freundes sogar bewogen, ihm wenigstens in etwas zu seinem Unternehmen behülflich zu seyn. Er ließ sich zwar nicht bereden, seinen Nahmen zu ändern, aber er verstand sich doch dazu, in Pyrmont mit einem etwas geheimnißvollen Anstriche höchst eingezogen zu leben, und es dem sehr schlauen Kammerdiener des Prinzen, der zu dem Ende ihm mitgegeben wurde, zu überlassen, wie dieser es unter die Leute bringen könne, daß er ein incognito lebender Prinz sey, doch ohne ihn selbst persönlich dabey zu compromittiren.

Louis, der Kammerdiener, fing dieses wirklich so gescheid an, daß Alfred selbst oft darüber lachen mußte, wenn die Leute, denen er auf der Straße begegnete, ihm so ehrfurchtsvoll aus dem Wege gingen. Die Saison, in welcher die vornehmste Welt Pyrmont zu ihrem Versammlungsorte macht, war noch nicht eingetreten, und er lief also wenig Gefahr, von fürstlichen Bekannten des wahren Prinzen in seiner Einsamkeit aufgesucht und entdeckt zu werden. Aber daß auch Leontine über ihn getäuscht werden sollte, deren Jugend, Anmuth und Liebreiz täglich tiefern Eindruck auf ihn machten, lag eben so wenig in Alfreds Plan, als ihm bey ihrer stillen Lebensweise die Möglichkeit in den Sinn kam, daß auch sie etwas von dem Gerüchte erfahren könne, das über ihn in Umlauf gebracht worden war. Auch hüthete Monsieur Louis sich gar sehr, ihm zu entdecken, was er hier angerichtet habe, als Leontine gänzlich unsichtbar ward, und er Alfreds Unruhe darüber bemerkte.

Um diese Zeit mußte Alfred Pyrmont schnell verlassen, um zu Albert zu eilen, und ihn von Unbesonnenheiten zurück zu halten, zu denen der Verdruß, von der Fürstinn entdeckt zu seyn, und Natalien verlassen zu müssen, diesen leicht hätten hinreißen können. Alfred wandte alles an, um Leontine noch ein Mahl zu sprechen, doch vergebens; Lenchens und der Frau Hauswirthinn Wachsamkeit machten alle seine Versuche deshalb zu Schanden, denn sie ahneten in ihm einen Menschen, vor dem sie Leontinens Unschuld schützen zu müssen glaubten.

Sobald er seinen Freund verlassen durfte, eilte er zu seinem Vater zurück, schilderte ihm Leontinen und seine Liebe, und erhielt ohne Mühe von diesem die Erlaubniß, zu versuchen, ob er das einfache, anmuthige Wesen ihm als Tochter ins Haus führen könne. Denn der alte Rosen hatte früher den Major Nordheim als einen theuern Freund geliebt, und nur beyder ganz verschiedene Dienstverhältnisse hatten sie im Laufe des Lebens weit aus einander geführt. Alfred flog auf Flügeln der Liebe, Leontinen in ihrer Heimath aufzusuchen. Es schmerzte ihn tief, daß er sie nicht fand, doch die Freude, die aus den Augen der Mutter ihm entgegen leuchtete, die Art, mit der sie ihn errathen ließ, daß Leontine, und wie sie seiner gedacht habe, entzückten ihn fast nicht minder, als wenn Leontine selbst das Geständniß ihrer reinen, unschuldigen Liebe, ihm erröthend gestammelt hätte. Ein Bothe ward sogleich abgesandt, um Leontinen zu ihrer Mutter zu rufen; wahrscheinlich war er ihr begegnet, ohne sie in der fürstlichen Equipage zu erkennen.

Es gehörten mehrere glücklich verlebte Tage dazu, ehe alles dieses zwischen den Liebenden gehörig zur Sprache kommen konnte. Immer gab es noch etwas zu fragen, zu erklären, zu erzählen. Der Eindruck, den Leontinens einfachliebliche Erscheinung auf Alfreds Herz gemacht hatte, wurde immer inniger, immer rührender die Freude der Mutter, über die alle ihre Hoffnungen, sogar ihre Wünsche übertreffende, glückliche Lösung des Geschicks ihres einzigen Kindes.

Neue Rosen erblühten auf Leontinens durch früheren Schmerz etwas gebleichten Wangen, inneres Bewußtseyn des höchsten, reinsten Erdenglücks strahlte aus ihren hellen, kindlichen Augen. Oft, wenn sie mit ihrer Mutter allein war, warf sie sich dieser in die Arme, um an dem treuen Busen die Freude auszuweinen, die ihr Herz eben so wenig zu fassen vermochte, als ehedem den Schmerz. Nie gab es ein hübscheres aber auch nie ein glücklicheres Bräutchen, das so gern und dankbar das Gefühl unbeschreiblicher Seligkeit eingestand, die den jungen Busen erfüllte; denn Leontinens durchaus reine, unverfälschte Natur hielt sie weit von dem Gedanken entfernt, sich ihres Gefühles zu schämen, und es hinter gezierter Sprödigkeit verbergen zu wollen.

Ihren Alfred von seiner Vergangenheit und von dem Prinzen Albert erzählen zu hören, an welchem er mit unwandelbarer Liebe hing, war ihre höchste Freude. Täglich wußte sie neue Fragen zu ersinnen, neue Erläuterungen über geringfügige Nebenumstände zu verlangen, um nur ein solches Gespräch herbey zu führen. So brachte sie denn auch eines Tages die Briefe an Natalien zur Sprache, deren Aufschrift durch die Aehnlichkeit mit Alfreds Hand sie auf dem Wege zu ihrer neuen Bestimmung so sehr beunruhigt hatte. Es war damit, wie jeder leicht errathen wird: Alfred selbst hatte die Adressen aller dieser Briefe geschrieben, damit sie um so sicherer in Nataliens Hände kommen sollten.

Ein wahrhaft fürstliches Brautgeschenk, von einem sehr huldvollen Glückwünschungs-Schreiben der hohen Herrschaften begleitet, erhöhte nach wenigen Tagen die Freude aller dieser Glücklichen. Der edle, menschenfreundliche Fürst hatte das, am Tage vor Leontinens Flucht an die Fürstinn abgesandte Schreiben der Majorinn, eben so glücklich als weise benutzt, um seine Gemahlinn mit seinem armen, lieben Vögelchen wieder zu versöhnen, indem er das in jenem Briefe erwähnte, glückliche Ereigniß, welches die Majorinn bewog, um die Rückkehr ihrer Tochter zu bitten, mit dem von ihm begünstigten heimlichen Entfliehen Leontinens, sehr geschickt in Verbindung zu setzen wußte. Leontine und ihre Mutter waren tief gerührt von der Huld des fürstlichen Paares, Alfred war stolz darauf, seine Leontine auch von dieser Seite auf so ausgezeichnete Weise anerkannt zu sehen, Tante Lenchen aber kannte sich vor Freude kaum mehr. Geschäftig lief sie von Haus zu Haus, um dieses große unerhörte Ereigniß in ganz Neustadt zu verkünden, und alle Bekannten zur Ansicht des glänzenden Schmuckes einzuladen, der, von hoher Hand gesendet, die junge Braut am Hochzeitstage schmücken sollte, und dessen Werth, ihrer Beschreibung nach, ins Unermessene ging. Auch war es für sie kein geringer Triumph, daß alle die sechs und dreyßig Töchter der Honoratioren des Städtchens, welche beym Einzuge der Fürstinn dieser Blumen gestreut hatten, sich jetzt sehr eifrig um die Ehre bewarben, die früher von ihnen gänzliche übersehene Leontine, als Brautjungfern an den Altar zu geleiten.

Die Gräfinn Natalie erfreute sich indessen in ihren weit glänzenderen Verhältnissen nicht so glücklicher Tage als ihre, in jeder anderen Hinsicht, ihr untergeordnete Freundinn; versunken in trüben Gedanken, saß sie am Abende nach Leontinens Flucht in ihrem nur schwach erleuchteten Zimmer ganz allein; nichts unterbrach die lautlose Stille um sie her, als der gedämpfte Schlag ihrer Pendüle, der mit dumpfem Tone eine Viertelstunde nach der andern zu Grabe läutete; denn die Wohnung, die ihr als Hofdame im fürstlichen Schlosse eingeräumt war, lag zu weit von den Prunksälen desselben entfernt, als daß von dem Geräusch in diesen etwas bis zu ihr hinauf hätte dringen können. Zuweilen wähnte sie zwar einzelne Töne der Musik zu hören die im andern Flügel den Ballsaal durchrauschte, und wider Willen mußte sie darauf lauschen, doch immer ward sie bald ihres Irrthums gewahr, und bittere Thränen quollen aus der Tiefe ihrer gepreßten Brust, in ihr schönes, stolzes Auge herauf.

Nach mehreren, so hingebrachten Stunden riß sie endlich ein leises Klopfen an der Thüre aus ihrem schmerzlichen Nachsinnen; ihr Herz schlug höher in halb banger, halb freudiger Erwartung, sie hauchte in die kleinen Hände, um jede Thränenspur schnell zu vertilgen; es klopfte wieder; doch nicht der Ersehnte, der Erwartete suchte Eingang zu ihr, das hörte sie jetzt nur zu deutlich, und sank mißmuthig wieder in ihr Sopha zurück. »Ich bin zu krank, um Besuche anzunehmen,« rief sie gegen die Thüre hin, »unleidliche Migräne macht mir nur Ruhe und Stille wünschenswerth, ich kann niemanden sehen.«

»Den Arzt doch wohl?« flüsterte der Hofrath, indem er leise die Thüre öffnete und zu ihr heran trat.

»Meinetwegen,« erwiederte Natalie verdrießlich, »ich mag niemand in Ausübung seiner Pflicht hinderlich seyn; und sie, Herr Hofrath, spielen ja wenigstens eine Nebenrolle in der schalen Komödie mit, die man hier aufzuführen beliebt,« setzte sie mit bitterm Lächeln hinzu. »Hier ist meine Hand, zählen sie die Pulsschläge nach Belieben, und verordnen mir hernach ein Glas Zuckerwasser oder etwas dem Aehnliches.«

Der Arzt ergriff die ihm dargebothene Hand, ließ sie aber nach wenigen Augenblicken wieder sinken und setzte sich neben der Kranken hin. »Ich finde sie ganz so einsam und verstimmt, als ich sie mir dachte, gnädige Gräfinn,« sprach er theilnehmend, »deshalb schlich ich vom Ballsall mich weg.«

»Und woher wissen sie denn, ob ich nicht gerade jetzt aus Wahl so allein bin?« unterbrach ihn Natalie ziemlich unfreundlich.

»Ich will nicht behaupten, daß sie nicht dazu recht gute Gründe haben könnten,« erwiederte der Arzt mit feinem Lächeln, »aber ich weiß auch, daß diese Vorsicht, wenigstens für diesen Abend, leider nicht mit Erfolg gekrönt werden wird.«

»Doctor, sie möchten witzig seyn, und kommen in Gefahr, unartig zu werden,« antwortete Natalie sehr gereizt.

»Unartig? Nein, Gräfinn, das will ich nie seyn, am wenigsten gegen sie,« erwiederte der Arzt; »freylich könnte ich mit dem alten Sprichworte ihnen antworten: wie man in den Wald ruft, so schallt es wieder heraus, – aber ich fühle zu lebhaft, daß ihrem nicht ungerechten Unmuthe vieles übersehen werden muß. Auch bin ich mit einer Zauberformel versehen, die sie für mich gleich günstiger stimmen wird; Prinz Albert – ich komme eigentlich als sein Abgesandter« –

»Sie?« rief Natalie, und ward dabey feuerroth, doch faßte sie schnell sich wieder, indem sie höflich sich neigend, hinzusetzte, »es ist sehr gütig von Seiner Durchlaucht, daß er sich durch sie nach dem Befinden seiner Landsmänninn erkundigen läßt.«

»Er trug mir auf, ihnen zu sagen, daß alle Versuche, welche er heute wagte, um sie zu sehen, leider durch die Aufmerksamkeit seiner Umgebungen vereitelt wurden,« sprach der Arzt. »Morgen hofft er glücklicher zu seyn, in jedem Fall ist er fest entschlossen, die Reise nach Paris, welche ihn Monathe lang vom Vaterlande entfernt halten soll, nicht eher anzutreten, bis er sie gesehen und gesprochen hat.«

»Herr Hofrath,« antwortete Natalie sehr stolz, »sie treiben ein vielleicht lohnendes, aber gewiß kein ehrenvolles Handwerk, indem sie eine wehrlose Gefangene auszuforschen suchen.«

Der Arzt that, als habe er das, was sie tagte, völlig überhört. »Des Prinzen Zorn,« fuhr er gelassen fort, »überstieg alle Gränzen, als er endlich aus den leisen Andeutungen ihrer guten Bekannten die Wahrheit errieth, daß sie nur gezwungen sich für krank ausgeben, und eigentlich, so lange er als ungeladener Gast hier bleibt, in ihr Zimmer verbannt sind. Ich sah es, und mir ward bange für sie beyde. Gott mag wissen, zu welchen Unbesonnenheiten er sich würde haben hinreißen lassen, wäre ich nicht noch zur rechten Zeit hinzugetreten, und hätte ich nicht durch das Versprechen, zu ihnen zu gehen, ihn beschwichtigt. Jetzt tanzt er, wie ein Wüthender, während er meine Zurückkunft erwartet.«

»Er tanzt!« rief Natalie, und schlug vor schmerzlicher Verwunderung beyde Hände zusammen.

»Ich beredete ihn dazu, damit er nicht etwa im Gespräche mit den hohen Herrschaften Unheil anrichte; aber er wählt seine Tänzerinnen wunderlich, wie sie ihm eben in den Weg kommen,« erwiederte lachend der Arzt, »lauter schöne Kinder, die gewöhnlich auf unsern Hofbällen das Zusehen haben. Die philosophische Aurora, die lange Fanny, die sentimentale Babet sitzen schon athemlos an den Wänden umher, voll Verwunderung über das ihnen so unerwartet widerfahrene Glück. Ich freue mich im Voraus auf das triumphirende Lächeln der Damen, wenn sie mich morgen rufen lassen, und ich sie zum ersten Mahle in ihrem Leben über das unmäßige Tanzen ausschelten werde.«

Natalie hätte über des Arztes Bericht beynahe laut aufgelacht, doch war sie schnell wieder ernsthaft. »Doctor,« sprach sie, und sah forschend ihn an, »meynen sie es wirklich ehrlich mit mir?« – Der Arzt legte betheuernd die Hand aufs Herz.

»Freylich,« fuhr Natalie nach kurzem Besinnen fort, »ich sehe nicht recht ein, was sie davon hätten, mich zu hintergehen, aber Neugier ist auch eine mächtige Triebfeder, und vielleicht liegt ihnen daran, ein Verhältniß genau zu erforschen, das, seit ich hier bin, alle müßige Köpfe in dem engen kleinlichen Kreise, in welchem wir uns herumdrehen müssen, angelegentlich beschäftigt. Vielleicht aber auch – – –«

»Keine »Vielleicht« weiter, wenn ich bitten darf,« unterbrach sie der Leibarzt; »lassen sie sich lieber von mir die ganze Geschichte dieses Verhältnisses in der Kürze erzählen, damit sie sehen, daß außer ihnen und dem Prinzen vielleicht Niemand davon genauer unterrichtet ist, als eben ich. Seit ihrer Kindheit theilten sie in der Residenz seines Oheims, des regierenden Fürsten von B., mit Albert und seinen Geschwistern Spiel und Unterricht – – –«

»Das weiß ja hier wie dort jedes Kind,« fiel Natalie ihm ein, »von dem, was stadt- und landkundig ist, unterrichtet zu seyn, ist keine große Kunst.«

Der Leibarzt nahm von dieser Bemerkung abermahls keine Notiz. »Aus Kindern werden Leute, und aus Spielcameraden von verschiedenem Geschlechte oft Liebende,« fuhr er gelassen fort, »die nach Convenienzen wenig fragen, wie das denn überhaupt die recht junge Jugend selten zu thun pflegt; das, werden sie vielleicht sagen, weiß auch ein jeder, der seinen August Lafontaine gründlich studirt hat. – Die Erbprinzessinn von B., eine sehr belesene Dame, war die erste, die ein loderndes Fünkchen in ihres Neffen und der kleinen Natalie blutjungen Herzen zu entdecken glaubte; doch statt es klüglich im Stillen zu ersticken zu suchen, erhob sie einen gewaltigen Feuerlärm, denn die Durchlauchtigste liebt dergleichen. Meine schöne Freundinn hier ward entsetzlich ausgescholten, auch wohl ein wenig eingesperrt, Prinz Albert desgleichen, jede Zusammenkunft der beyden wurde hoch verpönt und auf alle Weise zu verhindern gesucht. Der Prinz wurde endlich unter strenger Aufsicht auf die Universität geschickt, lange ehe er zu dieser reif war, und die junge Gräfinn mußte späterhin die Reise hierher antreten, um bey unserer Fürstinn, der Schwester der Erbprinzessinn, Hofdame zu werden, damit man auch in der Ferne sie nicht aus den Augen verlöre.«

»Das alles ist längst bekannt,« rief Natalie.

Der Arzt fuhr fort: »Ein dienstfertiger Freund, Nahmens Rosen, ein schlauer Kammerdiener, Nahmens Louis, viel List und einiges Gold, verhalfen dem Prinzen und Natalien zu einer geheimen Abschiedsstunde, denn ohne diese konnte und wollte Albert nicht von ihr scheiden. Und eben diese Stunde führte eine Erklärung herbey, an welche beyde früher nie gedacht hätten. Unter den heiligsten Schwüren verbanden sich der Prinz und die Gräfinn zu ewiger Liebe und Treue, dort am vierten Finger von Nataliens linker Hand sehe ich noch den kleinen goldenen Reif glänzen, den Albert damahls gegen eine ihrer schönen Locken und eine Rose austauschte. Letztere ist längst verwelkt, doch Albert trägt sie und die Locke noch immer in einer blau emaillirten Kapsel an einer goldenen mit Türkissen besetzten Kette auf seinem Herzen.«

Natalie ward blaß; »Doctor,« rief sie, »mir graut vor ihnen. Von wem, auf welchem Wege konnten sie dieses erfahren?«

»Von wem denn anders, als von ihm, von dem Prinzen Albert selbst,« erwiederte lächelnd der Arzt »wir kennen uns nicht erst von heute, der Prinz und ich; obgleich ich bisher aus guten Gründen es für gerathen hielt, meiner früheren Bekanntschaft mit ihm nicht zu erwähnen. Ich selbst bin in B. geboren, und da man für den Prinzen gerade die Universität gewählt hatte, bey welcher ich damahls als Professor angestellt war, so wurde mir die Sorge für die Gesundheit des jungen Herrn, während der Zeit seiner Studien, von seinem fürstlichen Oheim übertragen.«

»Und das konnten sie bis jetzt mir verschweigen?« rief Natalie.

»Ihnen vor allen mußte ich es,« erwiederte der Leibarzt, »weil ich, wie ich ihnen jetzt offen gestehe, jeder Veranlassung gern aus dem Wege ging, zur Beförderung eines Verhältnisses beytragen zu müssen, über das ich noch bis diese Stunde mich nicht freuen kann. Auch heute verbarg ich mich Anfangs vor dem Prinzen, und freute mich, daß er unter der Menge, die ihn umgab, mich nicht bemerkte; doch als der Zorn auf seiner Stirne glühte, und ich ihn im Begriffe sah, in seiner wilden Leidenschaftlichkeit Schritte zu wagen, aus denen nur tausendfaches Unheil entstehen konnte, da gab ich den Vorsatz auf, mich in diese Dinge nicht mischen zu wollen. Ich nahte mich ihm, er erkannte mich sogleich, und die Art, mit der er mich empfing, rührte mich tief. Es gelang mir, ihn für den Augenblick von Thorheiten abzuhalten, die sie beyde späterhin zu bereuen gehabt hätten. Ich habe den Prinzen von jeher geliebt, denn ich erkannte in ihm eine wahrhaft edle feste Natur, wie sie unter allen Ständen heut zu Tage immer seltner vorkommt. Auch sie, theure Gräfinn, habe ich lange im Stillen beobachtet, und verschweige ihnen das Resultat dieser Beobachtungen nur, um nicht den Verdacht niederer Schmeicheley auf mich zu laden.«

»So finde ich denn einen Freund gerade da, wo ich am verlassensten mich glaubte!« rief Natalie sehr bewegt.

»Sie finden ihn nicht erst jetzt, diesen Freund, er wacht schon lange über sie,« erwiederte der Leibarzt. »Ich war es, der den Prinzen durch die dritte Hand warnen ließ, als er, um ihnen nahe zu seyn, sich verkleidet in jenem Badeorte aufhielt, sonst wären sie von unserer ganzen Gesellschaft mit ihm im Rosenhölzchen überrascht worden. Doch gestehe ich, daß ich über den Leichtsinn, mit dem er ein so gewagtes Abenteuer unternahm, mich damahls nicht wenig ärgerte.«

»Ach, ich möchte zugleich lachen und weinen, wenn ich nur daran denke,« rief Natalie wirklich lachend.

»Zum Lachen haben sie doch dabey wenig Ursache, denn dieser tolle Streich des Prinzen, so lustig er aussieht, hat doch für sie wie für ihn recht betrübte Folgen gehabt,« sprach der Arzt sehr ernsthaft. »Unsere Fürstinn war schon über sie beyde ganz sicher geworden, sie hatte schon mit einer Art von Gewißheit der Erbprinzessinn von B. darüber geschrieben, diese gebethen, ihr Verhältniß zum Prinzen Albert als völlig aufgelöst zu betrachten. Denken sie sich ihr zürnendes Erschrecken, als sie gewahr ward, der Prinz sey ihnen in niederer Verkleidung gefolgt, während alle seine Verwandte glaubten, er sey in Pyrmont, wo indessen Alberts Freund, Rosen, der wirklich einige Aehnlichkeit mit ihm hat, es so einzurichten wußte, daß er allgemein für den Prinzen gehalten wurde, ohne jedoch sich geradezu für diesen auszugeben.«

»Das war aber doch ein köstlicher Einfall von meinem Albert!« rief Natalie.

»Dennoch verdanken sie diesem köstlichen Einfalle die unwürdige Behandlung, welche sie jetzt sich müssen gefallen lassen,« erwiederte der Arzt. »Unsere Fürstinn hüthete sich freylich, das Brunnenabenteuer nach B. zu berichten, denn sie schämte sich, zu gestehen, wie sehr sie sich hatte täuschen lassen, sie begnügte sich einstweilen damit, sie schärfer als jemahls zu beobachten; nun aber kommt Prinz Albert ungebethen, unerwartet, unter dem nichtigen Vorwande, den Bruder der Fürstinn auf seinem Besuche hierher zu begleiten, eigentlich aber, um öffentlich, unter den Augen der Fürstinn selbst, sie aufzusuchen, und von ihnen Abschied zu nehmen, ehe er nach Paris geht, wohin seine Verwandte ihn senden! Sagen sie selbst, was blieb der guten Dame übrig, wollte sie nicht mit ihrer eigenen Schwester sich entzweyen, als – –«

»Mich einzusperren,« seufzte Natalie tragikomisch. »Doch lassen wir das, die Zeit vergeht! Albert wird über ihr langes Ausbleiben ungeduldig werden. Eilen sie, guter Hofrath, geben sie ihm diesen Brief – –«

»Darf ich vorher ihn erbrechen und lesen?« fragte der Leibarzt, ehe er den Brief aus ihren Händen nahm.

»Behüthe Gott! wo denken sie hin?« rief Natalie.

»Nun denn,« sprach der Arzt sehr bestimmt, »so verzeihen sie es mir, gnädige Gräfinn! daß ich in dieser Angelegenheit mit keiner Depesche mich befassen will, deren Inhalt mir unbekannt bleiben muß. Ich eile, den Prinzen über ihr Befinden und ihre Stimmung zu beruhigen, und hoffe, auch sie getrösteter zu verlassen, als ich sie fand; doch mehr zu thun, erlaubt meine Pflicht mir nicht. Vielleicht war das, was ich that, schon zu viel, und nur der heiße Wunsch, Unheil zu verhüthen, der mich dabey allein beseelte, mag mir zur Entschuldigung dienen. Ich lese in ihrem zürnenden Blicke, daß ich abermahls in einem sehr zweydeutigen Lichte vor ihnen stehe, und doch ist ihnen Niemand wahrhaft ergebener, als ich. Liebe Gräfinn, ich möchte ihr väterlicher Freund, ihr Berather werden, sie bedürfen eines solchen, und ich bin alt und erfahren genug dazu. Auch hoffe ich, sie werden mich nicht lange verkennen.«

Der Arzt entfernte sich mit diesen Worten und ließ Natalien in einer, ihm zwar Anfangs sehr ungünstigen Stimmung zurück, doch nach einigem Besinnen gewann ihr besseres Gefühl die Oberhand wieder. Sie sah ein, wie unrecht es von ihr gewesen sey, einen ehrenwerthen treuen Diener des fürstlichen Hauses zu einer Handlung bewegen zu wollen, durch welche dieser im Falle einer Entdeckung um seine ganze bürgerliche Existenz kommen mußte. Die Uebergabe des Briefes schien ihr nicht mehr so wichtig; alles, was der Arzt ihr gesagt hatte, erzeugte in ihr die Ueberzeugung, Albert würde schon auch ohne den Brief Mittel und Wege finden, sich mit ihr zu verständigen; ihr Gemüth beruhigte sich nach und nach gänzlich, süße Träume von einer nahen schönen Zukunft lullten sie ein, und nach mehreren in Unmuth und Sorge durchwachten Nächten schlief sie zum ersten Mahle wieder sanft und fest, bis die Sonne hoch am Himmel stand.

Rasch, als wäre sie in Gefahr, etwas höchst Wichtiges zu versäumen, erhob sich Natalie, so wie sie erwachte; alles, was der Tag, dem sie entgegen ging, ihr Entscheidendes bringen könne, stieg in halb drohender, halb freundlicher Gestalt vor ihr auf, und beschäftigte sie so ausschließend, daß sie es gar nicht gewahr wurde, wie ihre Jungfer beym Ankleiden mit einer Art Aengstlichkeit es darauf anlegte, ihr eine wichtige Neuigkeit mitzutheilen. Natalie bemerkte dieses um so weniger, da sie sich einmahl gewöhnt hatte, ihre Vertrauten nie in der dienenden Classe zu wählen, was ihrem Verstande allerdings Ehre machte, aber auch die Möglichkeit einer Mittheilung zwischen ihr und dem Geliebten oft ganz unendlich erschwerte.

Ein früher Besuch der Oberhofmeisterinn war das erste, was Natalien an diesem, ihr so verhängnißvoll scheinenden Tage in die größte Verwunderung setzte, um so mehr, da die alte Dame, welche das letzte Mahl, als sie dieselbe sah, wie ein Strafengel vor ihr gestanden hatte, jetzt mit einem so freundlichen, Freude strahlenden Gesichte hereintrat. daß Natalie bey ihrem Anblicke fast noch fortzuträumen glauben mußte.

»Der Fürst, die Fürstinn,« hob die Excellenz nach den ersten Begrüßungs-Complimenten an, »wir Alle, liebe Gräfinn, sind von ihrem anständigen und gemäßigten Betragen bey einer gewissen Gelegenheit, die ich nicht näher bezeichnen mag, so enschantirt, daß ich mich wirklich glücklich preise, als Bothe des Friedens an sie gesendet zu seyn.«

»War denn Krieg?« fragte Natalie mit etwas scharfem Tone; »zum Kriege, meyne ich, gehören zwey Partheyen, eine, die angreift, und die andere, die sich vertheidigt. Wehrlose Gefangene können beydes nicht, und werden daher eben so wenig mitgezählt, als die Todten.«

Die Oberhofmeisterinn fand es nicht für gut, mit der gewandten, geistreichen Gräfinn sich in einen Wortstreit einzulassen, bey welchem sie auf jeden Fall übel weggekommen wäre; sie hielt es für klüger, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, und machte daher Natalien ohne weitere Umschweife mit der Fürstinn Wunsch bekannt, sie noch heute wie gewöhnlich an der Mittagstafel zu sehen. »Durchlaucht hoffen und wünschen zugleich, daß sie morgen wohl genug seyn möchten, um wieder den Dienst bey ihr anzutreten,« setzte sie lächelnd hinzu.

Natalien ward bey diesem Antrage wunderbar zu Muthe. Es war ihr unmöglich zu errathen, warum man auf einmahl sie, die Schwerbeleidigte, jetzt auf so ehrenvolle Weise wieder auszuzeichnen suche, während doch im Aeußern sich so gar nichts verändert hatte. Tausend Muthmaßungen flogen ihr, blitzschnell sich durchkreuzend, durch den Sinn, sie wußte bestimmt, daß der Besuch des Bruders der Fürstinn noch mehrere Tage dauern wurde, Albert war mit diesem gekommen, und nichts konnte ihn zwingen, früher wie er abzureisen. Wollte man sie vielleicht dem Geliebten gegenüber stellen, in der Absicht, beyde zu irgend einer Unbesonnenheit zu verleiten, die man hernach gegen sie geltend machen könne. Ihr Stolz trieb sie innerlich sich nicht zu bereit zum Vergessen alles Geschehenen zu bezeigen, sie wünschte fast die eben erhaltene Einladung ablehnen zu dürfen, auf der andern Seite aber mußte sie auch die Möglichkeit sich denken, daß Albert selbst auf irgend eine Weise diese veranlaßt haben, und ihr Wegbleiben seinen Absichten dabey störend in den Weg treten könne. Nie hatte Natalie sich so verworren und verlegen gefühlt, als jetzt der Oberhofmeisterinn gegenüber, die mit der größten Geduld ihre Entscheidung abwartete, und sogar ihre Verlegenheit ergetzlich zu finden schien. »Ich muß nothwendig den Arzt befragen, um zu erfahren, ob ich schon heute mein Zimmer verlassen darf, denn ich fühle mich wirklich noch unwohl,« stotterte Natalie endlich, um nur für den Augenblick Zeit zum Ueberlegen zu gewinnen.

Die Qberhofmeisterinn umarmte Natalien mit Entzücken. »Wahrlich, liebe Grafinn,« rief sie, »sie sind ein kleines Wunder! Nie sah ich eine junge Person von solcher Lebhaftigkeit, die zugleich mit so feinem Takte die Dehors zu menagiren wußte, sie sind zur Hofdame geboren. Freylich, Liebe, sie waren krank, und dürfen daher ihr Zimmer nicht ohne Erlaubniß des Arztes verlassen; ich begreife nicht, wie es zugegangen ist, daß ich nicht selbst hieran gedacht habe, denn nichts ist billiger und schicklicher. Dies ist die Stunde, in welcher der Hofrath mich zu besuchen pflegt, ich verlasse sie, um ihn zu ihnen zu schicken; da ich aber seine Entscheidung so ziemlich vorher wissen kann, so werde ich nicht unterlassen, noch diesen Morgen meine Fürstinn im Voraus mit den günstigsten Nachrichten von unserer lieben Gräfinn zu erfreuen.«

Natalie brachte die Zeit bis zur Ankunft des Leibarztes in der peinigendsten Unruhe hin, und als er endlich da war, ließ sie nach ihrer gewohnten lebhaften Art ihn Anfangs gar nicht zum Worte kommen. Sie stürmte mit Erzählung des eben Vorgegangenen auf ihn ein, mit Bitten, ihr zu rathen, was sie thun solle, mit Fragen nach Albert und dessen muthmaßlicher Meinung dabey. Der Arzt schwieg, indem er mit ungewöhnlich trübem ernsten Blick sie betrachtete, und auch Natalie verstummte plötzlich, da sie dieses gewahr ward; sein Ansehen schien ihr so unheilverkündigend, daß sie darüber Muth und Kraft verlor und todtenbleich in zitternder Erwartung vor ihm stehen blieb.

»Hören sie mit Fassung das Einzige, was ich ihnen auf alle ihre Fragen zu antworten weiß, theure Natalie,« sprach endlich der Leibarzt, »es ist ganz gleichgültig, ob sie heute oder erst morgen aus ihrem Zimmer gehen, denn – Prinz Albert hat uns diesen Morgen mit dem Bruder der Fürstinn verlassen, um die längst beschlossene Reise nach Paris sogleich anzutreten.«

»Abgereist! ohne mich zu sehen? Es ist unmöglich, es kann nicht seyn!« rief Natalie.

»Und dennoch ist nichts gewisser auf der Welt, erwiederte der Arzt halb unmuthig, halb traurig. »Ein Courier brachte gestern Abend, während ich hier bey ihnen verweilte, Nachrichten, welche den Bruder unserer Fürstinn bewogen, bald möglichst nach Hause zu eilen; ob jedoch diese Nachrichten wahr oder erdichtet sind, weiß ich nicht zu sagen, genug, der Courier war da. Beyde fremde Fürsten nahmen noch auf dem Balle von den hiesigen hohen Herrschaften Abschied. Unser alter Fürst hat sie aber dennoch heute Morgen begleitet, wahrscheinlich, um sich wieder das Podagra zu hohlen. Der heutige Tag war früher zu einer großen Jagd bestimmt, der Fürst wollte ungern die Anstalten dazu vergebens gemacht haben, und so beredete er seine Gäste, noch dieses Vergnügen unterweges mit zu nehmen, und erst von seinem Jagdschlosse aus, das ohnehin auf ihrem Wege liegt, die Reise wirklich anzutreten.«

»Und Albert! was bringen sie mir von ihm? Sie haben ihn, seit sie von mir gingen, gesehen und gesprochen?« fragte Natalie sehr eifrig.

»Ich fand unten alles wegen des angekommenen Couriers in Bewegung,« erwiederte der Arzt in augenscheinlicher Verlegenheit. »Ich sah den Prinzen nur einen flüchtigen Augenblick, es ward mir sogar schwer, mich ihm ohne Aufsehen zu nähern. Dennoch suchte und fand ich Gelegenheit, ihm von ihnen alles, was ich konnte und durfte, zu sagen, doch er hörte nur mit sichtlicher Zerstreuung mich an; es sey alles gut, das übrige würde sich finden, antwortete er mir mit wahrhaft prinzlicher Gleichgültigkeit. Theure Gräfinn! er schien mir in dem Augenblicke bis zum Unglaublichen verändert. Das Gewühl der Gesellschaft, die Abschieds-Ceremonien traten zwischen uns, und ich suchte vergebens mich ihm späterhin wieder zu nähern, besonders da er nichts that, um mir dieses zu erleichtern; mir schien es im Gegentheile, als wolle er mich vermeiden. Heute Früh erwartete ich abermahls vergebens, daß er mich würde zu sich rufen lassen, was ihm bey meiner frühern Connexion mit ihm doch gewiß ein Leichtes gewesen wäre, und so ist er fort, und ich weiß nichts weiter von ihm zu sagen.«

Natalie schwieg lange, nachdem der Leibarzt ausgeredet hatte. »Alles ist gut, alles wird sich finden,« wiederhohlte sie endlich so leise, als dürfe Niemand es hören, dann schwieg sie wieder. »Freilich, wenn er es so meynt, so habe ich ja auch keine Ursache, anderer Meinung zu seyn,« sprach sie endlich, indem sie gewaltsam sich zusammen nahm. »Ich will es auch nicht, und sollte das kleine, eigensinnige Ding hier darüber brechen, flüsterte sie mit unterdrückter Stimme, die Hand auf dem Herzen. »Alles in der Welt läuft doch am Ende auf ein schales Puppenspiel hinaus, in welchem nur der der Klügste ist, der am Ende die Lacher auf seiner Seite behält,« sprach sie darauf mit erzwungener Gelassenheit, gegen den Arzt gewendet, »und das will ich, das will ich.« Sie wollte lächeln, und brach wider Willen in Thränen aus, die ihr die Sprache hemmten; erzürnt darüber, bedeckte sie ihr Gesicht mit beyden Händen, und wandte sich von ihrem Freunde wieder ab.

Nicht minder gerührt als verlegen, sann der Leibarzt vergeblich darüber nach, wie er dies stolze, tief verletzte Gmüth beruhigen könne. Er versuchte es, Natalien freundlich zuzureden, doch sie winkte ihm, zu schweigen, und ging, tief in sich gekehrt, in der entferntesten Ecke des Zimmers einige Mahle auf und ab; der Arzt war noch zweifelhaft, ob er sich entfernen oder dableiben solle, als sich Natalie plötzlich ihm wieder zuwandte. »Ich war während ein Paar Augenblicken eine Thörinn,« sprach sie mit ihrer gewohnten heitern Anmuth, »vergessen sie das, ich bitte, oder schreiben sie es der Stubenluft und dem mir ungewohnten Mangel an Bewegung zu, die mich in diesen Tagen wirklich halb krank gemacht haben. Wir Mädchen besitzen freylich eine Art Privilegien, nicht immer das Gescheideste zu sagen und zu denken, aber ich möchte doch um Vieles nicht, daß Albert einmahl erführe, wie sehr ich mich in dieser dummen Minute an ihm sowohl als an mir selbst versündiget habe.«

»Gräfinn! theure Natalie,« rief der erstaunte Leibarzt, »ich begreife sie nicht. Um sie zu schonen habe ich des Prinzen letztes Benehmen ihnen im mildesten Lichte zu zeigen gesucht, doch jetzt darf ich dieses nicht mehr, denn ihr wahres Glück liegt mir zu sehr am Herzen. Ich wiederhohle es, ich fand den Prinzen so verändert, als ich, von ihnen kommend, in den Ballsaal zurück kehrte, daß ich beynahe ihn nicht wieder erkannte. Alles Trübe war aus seinen Zügen verschwunden, er war heiter, lustig sogar, ich hörte ihn von den Freuden mit Entzücken sprechen, die in Paris ihn erwarten. Was ich von ihnen ihm sagte, hörte er vornehm höflich, ohne alle Theilnahme an, er war kalt wie Eis, sage ich ihnen, ich sah es deutlich, die heftige Bewegung, in der ich früher ihn traf, entsprang aus verletzter Eitelkeit, nicht aus Liebe; und sie wollen nach alle diesem noch hoffen?«

»Hoffen?« erwiederte Natalie, »nein, gewiß nicht, denn wovon man überzeugt ist, das hofft man nicht. Vergessen sie den Anflug von Hypochondrie, der vorhin mich überfiel, ich bitte nochmahls darum, er soll gewiß nicht wiederkehren. Jetzt habe ich mich wieder gefunden, und weiß, daß dieser Tag ohne Kunde von meinem treuen Albert mir nicht vergehen wird, und daß ich gewiß seinen klugen Veranstaltungen die wieder erhaltene Freyheit verdanke.«

»Ihre unbegreifliche Sicherheit, die ich gern Verblendung nennen möchte, versetzt mich nicht minder in Erstaunen als in Besorgniß um sie, sprach der Leibarzt. »Verzeihen sie es der ungeheuchelten Theilnahme, die sie mir einflößen, wenn ich recht dringend sie bitte, doch in diesem Augenblick ihre eigene Lage, ohne Hehl vor sich selbst, zu betrachten. Wie werden sie es ertragen, was wird aus ihrem getäuschten Herzen werden, wenn ihnen am Ende doch noch die traurige Ueberzeugung plötzlich würde, daß ich nicht falsch gesehen habe! Und irrte ich, liebt Albert sie wirklich, wohin soll der Weg führen, auf dem sie so kühn fortzuschreiten entschlossen sind?«

»Wohin anders, als zum Altare!« erwiederte Natalie mit stolzer Bestimmtheit. »Wäre ich etwa die erste Tochter eines alt-gräflichen Hauses, der die Ehre zu Theil wird, Gemahlinn eines appanagirten Prinzen zu seyn?«

»Sie sind ihrer Zukunft so sicher, und mir erscheint sie in so düsterem, Unheil weißsagendem Lichte!« sprach der Arzt. »O Gräfinn! lassen sie sich erbitten, den Rath eines treuen Freundes geduldig anzuhören. Wahrlich, es wäre besser für sie Beyde, wenn sie die Zeit, die Albert im Auslande zubringen wird, dazu benutzten, sich an den Gedanken der Trennung von ihm zu gewöhnen, und selbst mit leiser, linder Hand ein Verhältniß großmüthig zu lösen suchten, aus dem, allen menschlichen Ansichten nach, nichts Gutes entstehen kann. Albert ist ein appanagirter Prinz, ich gebe es zu, doch sein Bruder wird in Zukunft regierender Herr eines nicht unbedeutenden Landes, und wer kann vorher sagen, ob nicht ihn selbst das Geschick einst auf den Thron ruft!«

»Dazu hat er nicht viel mehr Aussicht als sie oder ich, lieber Hofrath,« fiel Natalie ihm lächelnd ein. »Bedenken sie doch, wie viele Köpfe sich zwischen ihm und diesem hohen Standpuncte befinden, die ihm erst Raum machen müßten!«

»Alberts Oheim, der jetzt regierende Fürst, ist von Altersschwäche so gedrückt, daß er nur noch zu den Lebenden gezählt werden kann, weil er noch nicht aufgehört hat, zu athmen,« sprach der Leibarzt mit fast feyerlichem Ernst. »An dem Leben seines Sohnes, des jetzigen Erbprinzen, haben zerstörende Leidenschaften früh und lange gezehrt. Auch er steht schon dem Greisenalter nahe, und lebt seit vielen langen Jahren in kinderloser, unzufriedener Ehe. Er wird bald seinem Nachfolger weichen, und dieser ist Alberts ältester Bruder.«

»Ein junger Mann, die Gesundheit selbst, mit einer Prinzessinn vermählt, die er anbethet, und jetzt schon Vater zweyer prächtiger Knaben, die gewiß zu leben wissen werden,« fiel Natalie ein. ›Doctor,‹ fuhr sie lachend fort, »sie sind ein gelehrter Mann, aber den Almanac de Gotha haben sie doch nicht gehörig studirt, um mir eine solche genealogische Vorlesung halten zu dürfen; schlagen sie ihn nach, guter Freund, sie finden da auch noch einen Prinzen Adolph, der als Bruder in der Mitte zwischen dem künftigen Erbprinzen von B. und meinem Albert steht.«

»Ach, Grafinn!« seufzte der Arzt, »wenn ich sie so sehe und reden höre, ist mir wie Einem, der ein liebes Kind in schwindelnder Höhe am Rande eines Abgrundes herum hüpfen sieht. Ich möchte sie retten, aber sie achten keiner Warnung, und ich muß mit tief betrübtem Herzen mich von ihnen wenden, um nur ihren Untergang nicht mit anzusehen.«

Der Arzt war im Innersten tief bewegt, indem er diese Worte sprach, so daß Natalie selbst dadurch gerührt wurde. »Lieber Hofrath,« entgegnete sie sehr ernsthaft, »ich fühle, daß ich den warmen Antheil, den sie mir zeigen, wenigstens durch ungeheuchelte Offenheit erwiedern muß, da ich durch Annehmung ihres wohlgemeynten Rathes es nicht kann. Sie sind der erste, der mir auf diese Weise entgegen tritt, warum sollte ich zögern, ihnen, der es so gut mit mir meynt, zu gestehen, daß ich mit aller Kraft eines unverdorbenen Herzens meinen Albert liebe und ewig lieben werde, daß ich seiner Ehre, seiner Pflicht alles opfern könnte, sogar mein eigenes Glück, welches nur auf seiner Liebe beruht! Doch wie die Sachen jetzt stehen, wird dieses Opfer nicht von mir gefordert; es bringen, hieße uns beyde muthwillig elend machen. Ja, damahls, als ich noch, hingegeben den schönen Traumen der frühesten Jugendzeit, Alberts Bild, ohne es zu ahnen, im kindlichen Herzen trug, damahls hätte ein weiser Freund mich bewahren können! Verzeih' es Gott denen, die zur Unzeit geschäftig mich erweckten! Hätte jene stolze, durch eigenes Unglück durchaus verbitterte Erbprinzessinn nie errathen, was uns guten glücklichen Kindern selbst noch verborgen war, oder hätte sie, wenn sie es errieth, uns mit schonender Klugheit von einander zu trennen gesucht, ohne daß wir erfuhren, weshalb? so würde die arme Natalie ihrem brüderlichen Freunde zwar tief betrübt nachgeweint haben, doch ihr Schmerz wäre nie in ein klares Bewußtseyn übergegangen, und die Ruhe des fürstlichen Hauses nie durch diese Liebe getrübt worden. Die ewig rastlose Frau mußte mit unheiliger Hand das stille Geheimniß unserer jungen Herzen an das Tageslicht reißen, es zum Gespötte machen; sie ruhte nicht eher, und so mag sie die Folgen dieser That sich selbst verdanken; die Würfel liegen, wir wollen sehen, wer gewinnt. Seit jenem Augenblick erst wußten wir, daß wir uns liebten, und diese Liebe wuchs im Gefühl gemeinschaftlich erlittenen Unrechts zur Riesenstärke heran. Mögen die hohen Herrschaften zusehen, wie sie mit einer solchen fertig werden. Ich bin weder rangsüchtig noch demüthig genug, um mich an einen Platz hindrängen zu wollen, auf den ich nicht hingehöre; an Alberts Herzen aber gehöre ich hin, Natur und Liebe wiesen diesen Platz mir an, niemand soll mich dort verdrängen. Mögen sie ihren Purpur, ihren Fürstenhut und ihren Hof für sich behalten, wir bedürfen deß Alles nicht. Die Stunde der Vereinigung wird uns schlagen; wir sind beyde jung und wollen sie erwarten, dann aber auch in demuthiger Ferne von ihnen Allen leben und glücklich seyn, ohne je sie durch unsern Anblick zu verletzen.«

Alles, was der Leibarzt noch aufzubringen wußte, um Natalie von der Unwahrscheinlichkeit ihrer kühnen Hoffnungen zu überzeugen, war vergebens; ihr Herz, ihr Geist, vielleicht auch eine kleine Beymischung jenes Eigensinns, welcher jeder von außen mächtig bestrittenen Leidenschaft sich beyzugesellen pflegt, widersprachen allen seinen Gründen. Er mußte sie endlich verlassen, um ihr Zeit zu gewähren, sich für die Mittagstafel anzukleiden. Die Fürstinn ließ sie noch vor dieser zu sich rufen, sie behandelte sie sehr artig, ohne auch nur auf das entfernteste irgend einen Gegenstand zu berühren, der ihr unangenehm seyn konnte; auch die übrige Gesellschaft richtete sich nach dem Beyspiele der Herrinn, und niemand wagte es, nur den Schatten eines Zweifels an Nataliens vorgeblicher Krankheit blicken zu lassen.

Die Gesellschaft war sehr klein, indem die mehrsten Herren des Hofes den Fürsten zu seiner Jagdparthie begleitet hatten, und ohne Natalien wäre das Gespräch sehr oft ins Stocken gerathen. Selbst die Fürstinn hörte dies Mahl mit sichtbarem Wohlgefallen ihr zu, denn sie sah in Nataliens außerordentlicher Heiterkeit nur Freude und Dankbarkeit für die ihr wieder geschenkte Gunst und Gnade. So glaubt ein Kind, der neugefangene Vogel hüpfe vor Lust, während nur Angst ihn treibt, in seinem Käfig herum zu flattern; denn die arme Natalie war unerachtet des lebhaften Antheils, den sie am Gespräche nahm, dennoch nichts weniger als fröhlichen Herzens. Sie fürchtete innerlich, sie ahnete, sie wußte selbst nicht, was; und dieses beängstigende Gefühl artete zuletzt in eine Art von Ueberspannung aus, die ihr Anfangs dieses Ansehen ungewohnter Freudigkeit gab. Doch allmählig bemächtigte sich ihrer auch wieder eine unaussprechliche Traurigkeit, da eine Stunde nach der andern verging, ohne daß sie, wie sie gehofft hatte, von ihrem Albert etwas vernahm. Ihr fröhliches Geschwätz verstummte, und nur mechanisch, ohne recht zu wissen, was sie that, folgte sie nach aufgehobener Tafel der Fürstinn in ihr Cabinet, wohin diese ihre Damen berief, um mit ihnen an einer großen Tapeten-Arbeit zu sticken, was sie oft zu thun pflegte, wenn ihr Gemahl, wie eben heute, abwesend war.

Hinter dem großen Nährahmen eingeklemmt, saß nun die arme Natalie ganz geduldig, und stickte in ihrer Herzensangst grüne Rosen mit rothen Stielen. Nie war sie so ganz niedergedruckt, so wenig sie selbst gewesen, als in diesem Augenblicke. Die erzwungene Unthätigkeit, in der sie mehrere Tage, schwebend zwischen dem Gefühle bitterer Kränkung und Hoffnungen ohne eigentliches Ziel, einsam zubringen mußte, hatte wirklich die Flügel ihres Geistes gelähmt, und sie gewisser Maßen auch krank gemacht. Denn nichts ist in jeder Hinsicht ermüdender für ein lebhaftes Gemüth, als ein solcher unentschiedener Zustand, dem man ein wirkliches Unglück tausend Mahl vorziehen möchte. Natalie fühlte sich so niedergeschlagen, daß sie Mühe hatte, die Thränen zurückzuhalten, doch zum Glück gab niemand auf sie Acht, denn Madame Bornau las den arbeitenden Damen ein neues Product der Französischen schönen Literatur vor, dem alle, außer Natalien, mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörten.

»Durchlaucht Prinz Albert,« rief plötzlich ein Bedienter aus dem Vorzimmer und riß zugleich beyde Flügelthüren weit auf. An einen Stock gelehnt, ein Tuch um das linke Bein gebunden, hinkte der eben Gemeldete herein, ehe noch die Fürstinn Zeit gewann, sich darauf zu besinnen, ob sie den unerwarteten Besuch hier oder in einem andern Zimmer annehmen wolle. Alle Damen sprangen auf, Madam Bornau ließ vor Schrecken Buch und Brille fallen, und auf der Stirne der Fürstinn stiegen düstere Wolken auf. Natalie aber, bald zur Marmorbüste erbleichend, bald in dunkelsten Purpur erglühend, hielt mit zitternder Hand sich an dem vor ihr stehenden Rahmen fest, ohne es zu wagen, die Augen zu dem Eintretenden zu erheben.

Alberts erster flüchtiger Blick hatte hingegen sogleich Natalie gesucht und gefunden, doch wandte er schnell der Fürstinn sich wieder zu. »Verzeihung diesem Ueberfall, gnädigste Tante,« rief der Prinz mit heiterem Ton und komisch bittender Geberde, »aber wo soll denn ein armer verwundeter Ritter Heilung suchen, als bey der Huld edler Damen. Auch befürchtete ich, das Gerücht mochte den kleinen Unfall, den ich erlitten, auf beunruhigende Weise ihnen zutragen, denn ich kenne ihre Güte für mich, darum wollte ich lieber mich ihnen gleich zeigen, besonders da ich mich ganz in der Nähe ihres Thiergartens befand, als mein wildgewordenes Pferd so unsanft mich abwarf.«

»In der Nähe des Thiergartens?« fragte die Fürstinn etwas streng und ernst, »wie war das möglich, mein Prinz? der Forst, in welchem heute gejagt wird, liegt starke drey Meilen von hier.«

»Wie es zuging, kann ich selbst nicht erklären, aber daß es so ist, gibt der Augenschein,« erwiederte der Prinz mit leichtem Achselzucken. »Es mögen wohl unsichtbare Mächte, irgend eine Undine oder Dryas, mit dabey im Spiele gewesen seyn, oder war es der Magnet in meiner Brust, der mich schon früher in ihre Nähe zog, gnädige Tante?« setzte er mit zweydeutiger Verbindlichkeit hinzu. »So viel weiß ich, daß ich von der Jagd wenig gesehen habe, auf unbegreifliche Weise kam ich gleich Anfangs von ihr ab, und irrte lange umher durch Busch und Dorn. Nur mein treuer Louis war mit mir, doch dieser ist der hiesigen Gegend eben so unkundig als ich selbst es bin. Mein von Natur sehr wildes Pferd scheute sich vor einem dicht vor uns aufflatternden Vogel, es überraschte mich in einem unbewachten Moment. Alle meine Reiterkünste halfen mir nichts, es ging mit mir durch, bäumte sich und schlug zuletzt mit mir über; es war mein Glück, daß es mir wenigstens gelang, mich von den Steigbügeln los machen zu können; Pollux lief davon, und ich blieb mit einem verrenkten Fuß im Grase liegen. Louis fing das Pferd glücklich wieder auf; einige Leute, die nicht weit davon auf einer Wiese arbeiteten, kamen mir zu Hülfe, sie trugen mich in einen Pavillon nahe am Eingange des Thiergartens, dessen Thüre recht einladend offen stand, und nun bin ich hier – lahm und treu, trotz irgend einem Ritter der Tafelrunde,« setzte er lächelnd mit einem heimlichen Blick nach Natalien, hinzu.

»Der Leibarzt ist unglücklicher Weise über Land zu einem gefährlich Kranken,« sprach die Fürstinn, »doch unser Hof-Chirurg, ein sehr geschickter Mann, muß sogleich gerufen werden, denn sie, mein Prinz, bedürfen augenblicklicher Hülfe. Sie werden erlauben, daß man sie indessen auf ihr Zimmer bringe – –« – »Gott bewahre,« rief der Prinz, indem er sich ganz gemächlich in seinem Armstuhl zurecht setzte, während Madam Bornau ihm ein Kissen unter den verbundenen Fuß schob. – »ich befinde mich hier ganz vortrefflich und werde weder wanken noch weichen. Mein Fuß ist schon durch meinen Kammerdiener wieder eingerichtet worden, ich fühle fast gar keine Schmerzen mehr. Louis ist ein sehr braver Wundarzt, und ich würde die treue Seele höchlich kränken, wenn ich noch einen zweyten zu Rathe ziehen wollte. Ich brauche nichts, gnädige Tante, gar nichts als ein Paar Tage Ruhe, ehe ich meine Reise wieder antrete, und die, hoffe ich, werden sie in ihrem Schlosse mir gönnen.«

Die Fürstinn biß sich vor innerem Aerger die Lippen fast wund, aber es war entschieden, ohne unhöflich zu werden, konnte sie den Prinzen nicht entfernen. Die Damen hatten indessen ihre Plätze am Rahmen wieder eingenommen, und Albert conversirte mit ihnen ganz unbefangen. Seine Blicke streiften dabey unaufhörlich an Natalien hin, doch diese war nicht im Stande, unter den sie unablässig bewachenden Augen der Fürstinn, an dem Gespräch Antheil zu nehmen.

»Die Luft muß hier eine außerordentliche Heilkraft besitzen und ich kann mich deshalb doppelt glücklich preisen, daß jener Unfall mich gerade hier in der Nähe betraf,« fing Albert endlich an, indem er sich geradezu an Natalien wendete, »denn noch gestern war meine schöne Landsmänninn so krank, daß mir der Zutritt zu ihr verweigert werden mußte, und heute sehe ich sie blühender, als je. Aber war es wohl Recht, Gräfinn Natalie, einen Jugendbekannten so abweisen zu lassen? gegen einen solchen, dünkt mir, hätten sie sich wohl weniger grausam beweisen können.«

»Die Gräfinn war gestern sehr unwohl und ist es noch,« fiel die Fürstinn ein, ehe Natalie antworten konnte; »ich bereue es sogar in diesem Augenblick, daß ich sie veranlaßt habe, ihr Zimmer zu verlassen, denn sie sehen selbst am schnellen Wechsel ihrer Farbe, wie die Arbeit sie angreift, die sie doch sonst liebt. Sie zittern, Gräfinn, gewiß, sie sind sehr krank; gehen sie lieber gleich auf ihr Zimmer, wir wollen ohnehin jetzt Feyerabend machen, und den Fürsten am Theetisch erwarten; doch sie, Gräfinn Natalie, dispensire ich für heute davon, sie bedürfen augenscheinlich der ungestörtesten Ruhe.«

Alle Damen standen jetzt auf und beschäftigten sich damit, die auf dem Rahmen, liegenden Knäuel wegzuräumen; einer davon entglitt Nataliens Händen; er rollte weit ins Zimmer hinein, und Albert sprang hintendrein, ihn aufzuheben.

»Ihro Durchlaucht vergessen den kranken Fuß,« rief die Oberhofmeisterinn.

»Was vergäße man hier nicht, wo so vieles mich umgibt, das ich nie vergessen werde,« erwiederte der Prinz, der schon anfing, die Fassung zu verlieren, doch schien er sich bald wieder zu besinnen, er kehrte in seinen Lehnstuhl zurück, spielte eine Weile mit dem Knäuel, dessen Faden er bald auf- bald abwickelte, und legte ihn endlich mit bedeutendem Blick dicht vor Natalien hin, die noch immer mit Aufräumen nicht fertig war.

»Der Knäuel gehört hierher in den Kasten, Gräfinn, und nicht in ihren Arbeitsbeutel,« sprach die Fürstinn, die noch immer kein Auge von Natalien verwandte. »Sehen sie, hier fehlt Nummer drey.«

Auch Alberts brennende Blicke hingen an Natalien, die glühend über und über in fast unverständlichen Worten um Vergebung ihrer Zerstreuung bath, und nach ziemlich langem Suchen in ihrem Arbeitsbeutel den Knäuel wieder hervorzoq und an seinen Ort legte

»Das Unwohlseyn der Gräfinn wird in der That beunruhigend,« sprach die Fürstinn, die ihren Unmuth kaum noch bemeistern konnte; » ma chere Bornau, begleiten sie sie auf ihr Zimmer, und haben sie die Gefälligkeit, die Nacht über bey ihr zu bleiben; geben sie ja recht sorgfältig auf sie Acht, ihr Zustand bedarf der genauesten Aufmerksamkeit – und Pflege,« setzte sie zögernd hinzu.

»Nein, Gräfinn Natalie, sie dürfen nicht gehen,« rief Albert, indem er, immer mehr sich vergessend, aufsprang und Nataliens zitternde Hand ergriff. »Liebe, gütige, gnädige Tante,« setzte er bittend hinzu, »sie können unmöglich den Anblick meiner holden Landsmänninn mir so grausam gleich wieder entziehen wollen, da ich auf so lange Zeit mich von ihr – von meinem Vaterlande zu trennen im Begriff siehe. Der Gräfinn Krankheit ist nicht so bedeutend – –«

»Mein Prinz,« erwiederte, sich hoch aufrichtend, mit kaltem, schneidenden Ton die Fürstinn: »ich weiß nicht, ob es am Hofe ihres Großonkels Gebrauch ist, daß junge Prinzen über das Wohl- oder Unwohlseyn der Hofdamen entscheiden, bey mir ist dieses nicht der Fall. Erlauben sie mir dagegen zu bemerken, daß sie eben den rechten Fuß statt des linken auf das Kissen stützen, und ich doch keinen Anstand nehme, an die Beschädigung dieses zu glauben. Dergleichen Irrthümer sind zuweilen ganz natürlich,« setzte sie mit bitterm Lächeln hinzu.

Albert vermochte kaum mehr, sich in den Gränzen des Anstandes zu halten, und war schon im Begriff, der Fürstinn eine sehr bittere Antwort zu geben, doch Natalie nahm jetzt das Wort: »Lassen sie ab, gnädigster Herr, ich flehe darum, lassen sie davon ab, mein längeres Verweilen erzwingen zu wollen,« sprach sie: »sie wissen nicht, sie können nicht wissen – o ich bin wahrlich krank im tiefsten Herzen!« rief sie zuletzt mit schmerzlichem Ton, und schwankte, plötzlich in Thränen ausbrechend, am Arme der dienstfertig herbey eilenden Madame Bornau zum Zimmer hinaus.

Die Ankunft des Fürsten endete glücklicher Weise gerade in diesem Augenblick eine Scene, die eine so höchst unangenehme Wendung in nehmen drohte. Nachdem die ganze Jagdgesellschaft den Prinzen lange vermißt und vergeblich aufgesucht hatte war die Nachricht von dem Unfall der ihn betroffen, zu ihr gelangt, und der Fürst, über dessen Befinden beunruhigt, deshalb früher nach Hause geeilt. Repräsentation und Convenienz, diese beyden Hausgötter der Großen, traten so wie er erschien, wieder in ihre alten Rechte ein, aus denen sie eben in Gefahr gewesen waren, verdrängt zu werden. Ein Stündchen schlich noch in leidlicher Langweiligkeit vorüber, dann trennte man sich früh, der alte Fürst bedurfte wirklich der Ruhe, und Albert gab vor, ihrer zu bedürfen. Unter dem Schleyer der Nacht kehrte wenigstens alles Aeußerliche zur gewohnten Ordnung zurück wenn gleich innerlich die aufgeregten Gemüther sich nicht gleich wieder zu fassen vermochten.


 

Natalie, ganz mit sich selbst zerfallen, saß indessen wieder in ihrem stillen Ziimmer, und suchte vergeblich den mit großer Aengstlichkeit sie bewachenden Argus-Augen der Madame Bornau nur auf ein Paar Minuten zu entgehen. Sie fühlte deutlich, wie sehr sie bey der Zusammenkunft mit dem Prinzen alle ihr sonst eigene Gegenwart des Geistes verläugnet habe; sie war außer sich vor Unmuth über sich selbst, daß sie dies kurze Wiedersehen des Geliebten nicht verständiger zu benutzen gewußt. Wenn ihr einfiel, wie sie, gleich einem ausgescholtenen Kinde, das Cabinet der Fürstin weinend verlassen habe, so hätte sie vor Scham über ihre unverzeihliche Schwäche in die Erde sinken mögen, und doch ließ ihre Phantasie nicht ab, ihr gerade diesen Augenblick in den allergrellsten Farben vorzumahlen. Reue, Mißmuth, banges Erwarten, wie das alles enden werde, trieben sie zur rastlosesten Ungeduld, und doch mußte sie im Aeußerlichen sich zu mäßigen suchen, während die unerträgliche Madame Bornau jedem ihrer Tritte folgte, und nicht abließ, sie bald mit veralteten weisen Maximen, bald durch Anpreisung beruhigender Tisanen zu quälen.

Natalie wußte endlich keinen bessern Rath, als den, sich in ihr Bette zu flüchten, indem sie hoffte, ihre Wächterinn werde nun auch die Ruhe suchen; doch dazu vermochten weder Bitten noch Vorstellungen diese zu bewegen. Madam Bornau hatte die ohnehin nichts weniger als undeutlichen Winke ihrer Herrinn nur zu wohl verstanden, und um aller Reichthümer der Welt willen hätte sie diese Gelegenheit nicht verabsäumen mögen, sowohl ihren Diensteifer, als ihre Intelligenz auf das glänzendste an den Tag zu legen. Unter dem Vorwande daß der Gräfinn Befinden dieses durchaus erforderlich mache, setzte sie sich unfern von deren Bette mit ihrem Strickzeuge hin, um die Nacht über bey ihr zu wachen, und Natalie war noch überglücklich, endlich hinter den zugezogenen Gardinen ihres Bettes im mattesten Dämmerlicht den kleinen engbeschriebenen Zettel lesen zu können, den Albert mit Hülfe des Knäuels ihr vorhin zugespielt hatte, und den sie, ehe sie diesen zurück gab in ihrem Arbeitsbeutel aus demselben zog.

»Ich schreibe dir im Walde, auf den Fall, daß die List, die ich mir ersonnen, mißlingen und es mir nicht glücken sollte, dich ohne Zeugen zu sprechen,« schrieb Albert. »Ich bin in tiefster Seele über die Art, mit der man dich behandelt, empört. Du darfst dieses nicht länger ertragen, zerbrich diese heillosen Fesseln, kehre in die Heimath zurück. Meine Entfernung hebt deine Verbannung auf. Dort, wo wir in früher Jugend glücklich waren, findest du wenigstens den treuen Freund der es dir nie an Nachricht von mir fehlen lassen wird; dort harre in Liebe, Glauben und Treue wie auch ich in der Ferne es thun werde, bis endlich die Sonne unserer Liebe wieder aufgeht, um bis an das Ende unserer Tage uns zu leuchten.«

Diese wenigen Zeilen waren genug, um Natalien Ruhe und Sicherheit wieder zu geben; denn sie verbannten den Geist unthätiger Erwartung, der mit bleyerner Schwere bis dahin auf ihr gelastet hatte, während sie fremder Willkür sich ohne Widerstand hingeben mußte. Es war ihr sogar unbegreiflich, wie es ihr nicht früher eingefallen war, von diesem Hofe zu scheiden, wo man ihr nie eine Spur jenes Vertrauens gezeigt hatte, das edlere Gemüther fester bindet, als die strengsten Maßregeln es können. Sie freute sich wieder thätig ins Leben zu treten, und bedachte auf das genaueste jeden Schritt, den sie sich vornahm zu thun. Der Gedanke an die nahe Trennung von Albert drückte sie nicht nieder. Seit mehreren Jahren hatten die Liebenden sich nur in kurzen Augenblicken, gleichsam wie auf den Raub, sehen und sprechen können, sie waren es gewohnt, sich nur geistig einander nahe zu seyn, und ihre Liebe war zu edler Art, um dieser Prüfung endlich zu erliegen.

Lautes Geräusch, Peitschengeklatsche, Pferdegetrappel unten im Schloßhofe, riß Natalien aus dem leichten Schlummer, dem sie, als der Tag zu grauen begann, sich hingegeben hatte. Ohne an die Einwendungen der noch wachenden Madame Bornau sich zu kehren, warf sie sich in ihr Morgenkleid und trat, eingehüllt in ihren großen Shawl, an das Fenster. Mit Erstaunen sah sie unten alles zu Alberts Abreise bereitet, und ihn selbst, wie er auf den Stufen des Portals stand und unverwandten Blicks zu ihr hinauf sah. Hastig riß sie beyde Fensterflügel auf, um seinen Gruß zu erwiedern, er schwenkte sein Tuch, indem er in den bereit stehenden Wagen sich warf; lange sah sie es noch wehen, sie erwiederte diesen Abschiedsgruß, bis der abwärts führende Weg sogar den Staub seiner Räder ihren Augen entzog, und blieb dann versunken in schmerzlich süßer Wehmuth noch lange in der nähmlichen Stellung stehen. Ein immer merklicher werdendes Zupfen an ihrem Shawl bewog sie endlich, sich umzusehen, und obgleich Thränen in ihren Augen glänzten mußte sie über den Anblick der alten Bornau laut auflachen, die höchst erzürnt aussah, und dabey doch, aus angeborner Devotion gegen fürstliche Personen, den abreisenden Prinzen noch immer mit tiefen Knixen verfolgte und mit ihrem Tuche auch ein klein wenig dazu wedelte, obgleich sie ihn selbst längst nicht mehr erblicken konnte.

»Sie sehen, Madame Bornau, sie können ihr Wächteramt jetzt getrost niederlegen, denn Prinz Albert ist fort und kehrt für dies Mahl nicht wieder zurück,« sprach Natalie. »Gehen sie zu Bette, gute Frau, und versuchen es nicht weiter, ihr längeres Bleiben mit der Sorge für meine Gesundheit zu entschuldigen, denn ich bin es endlich müde, die alberne Rolle der malade imaginaire zu spielen, und habe nur die Abreise des Prinzen erwartet, um dieses laut auszusprechen. Wenn sie ausgeschlafen haben, werden sie der Fürstinn um so besser von der gehabten Nachtwache Rapport abstatten können; darum gehen sie jetzt, ich bitte ernstlich darum.«

Madame Bornau wollte viele Einwendungen machen, doch Natalie hörte nicht auf sie, und so sah jene sich endlich genöthigt, sich zu entfernen, und der Gräfinn Zeit zu lassen, sich für den wichtigen Schritt zu sammeln, den sie jetzt zu thun fest entschlossen war. Die Gelegenheit, ihren Vorsatz auszuführen, kam eher, als sie es erwartete, denn zu eben so früher Stunde, als gestern, trat abermahl die Oberhofmeisterinn zu ihr ein, aber mit einem Gesichte, das wie das Titelblatt einer Strafpredigt aussah, und dem ihre folgende Rede sich auch auf das vollkommenste aneignete.

Zuerst fing sie damit an, im Nahmen der Fürstinn, Natalien mit den bittersten Vorwürfen über die Dreistigkeit zu überhäufen, mit der diese sich erkühnt haben sollte, dem Prinzen Albert, unter den Augen Ihrer Durchlaucht selbst, ein eben so lächerliches als beleidigendes Rendezvous zu geben; sie setzte hinzu, man hoffe, Natalie würde jetzt das Unanständige ihrer mit dem Prinzen abgeredeten List einsehen und auf alle Weise bereit seyn, ihr Vergehen zu bereuen; ferner erklärte sie ihr gerade heraus, daß nur ein Weg offen stehe, der Fürstinn Vergebung zu erhalten und mit der Zeit vielleicht alles Geschehene wieder gut zu machen, indem sie feyerlich und ernstlich gelobe, jede Verbindung mit dem Prinzen Albert für die Zukunft aufzugeben. Zuletzt schilderte sie sehr lebhaft den Scandal, den die Gräfinn schon jetzt dem ganzen Hofe gegeben, und ermahnte sie endlich, der großen Gnade zu gedenken, mit welcher die Fürstinn von jeher sie überhäuft habe.

Natalie hörte die, mitunter sehr heftige Rede mit großer Fassung an, bis die Oberhofmeisterinn sich ganz ausgesprochen hatte. Dann erst nahm sie das Wort.

»Nie werde ich die Gnade vergessen, mit welcher meine Fürstinn mich beehrt hat, aber auch nie aufhören, zu beklagen, daß sie sich dabey nicht auch herabließ, meinen eigentlichen Charakter kennen lernen zu wollen. Niemand, der mir je Vertrauen bewies, wird darüber klagen können, daß ich unedel genug war, mich dessen unwürdig zu beweisen. Selbst hier, wo ich keines fand, habe ich mir dennoch nicht den kleinsten Schritt erlaubt, über den ich jetzt erröthen müßte. Dem schlecht erfundenen Mährchen, daß des Prinzen plötzliche Wiederkunft zwischen ihm und mir verabredet gewesen sey, kann meine edle Fürstinn unmöglich Glauben schenken; mein sichtbares Erschrecken, als er gestern hereintrat, sogar mein kindisches Betragen während seiner Anwesenheit, dessen ich jetzt mich schäme, sprechen mich laut von diesem Verdachte frey.«

Die Oberhofmeisterinn wollte hierauf Einiges antworten, doch Natalie bath, sie vorher ganz ausreden zu lassen. »Ich sehe ein,« sprach sie jetzt mit vieler Würde, »ich sehe ein, daß ich, wie die Sachen jetzt stehen, an diesem Hofe nicht länger mit Ehren verweilen darf. Ob man ein Recht hatte, sich das alles gegen mich zu erlauben, was man sich erlaubt hat, kommt zu entscheiden mir nicht zu; daß ich aber dadurch das Mährchen des Hofes und der Stadt geworden bin, ist entschieden; auf allen Gesichtern werde ich von nun an nur Spott oder erniedrigendes Mitleid lesen, selbst die Gnade meiner Fürstinn kann mich dafür nicht mehr schützen, und so bitte ich Jhro Excellenz, ihr mein unterthäniges Ersuchen um schleunige Entlassung von meiner Hofdamenstelle zu Füßen zu legen.«

»Gräfinn! Gräfinn Natalie!« rief die Oberhofmeisterinn im höchsten Erstaunen.

»Ich habe schon diesen Morgen an den Minister in B., meinen Oheim, geschrieben,« fuhr Natalie fort, »doch brauche ich seine Antwort nicht hier abzuwarten. Von meiner frühesten Kindheit an war ich verwaiset und wurde in seinem Hause erzogen. Er entließ mich ungern aus demselben, und ich habe die tröstende Gewißheit, daß er sehr bereitwillig mich wieder aufnehmen wird. Prinz Albert sieht in langer Zeit die Heimath nicht wieder, und so tritt meinem künftigen Aufenthalte in B. von dieser Seite nichts in den Weg.«

Die Oberhofmeisterinn saß da, wie aus den Wolken gefallen, doch als sie nur wieder Athem und Stimme gewann, äußerte sie auch ohne Rückhalt ihren Zorn über Nataliens Undankbarkeit, wie sie es nannte. Indessen war sie doch im Grunde eine gutmüthige mütterliche Frau, obgleich vierzig in Hofverhältnissen zugebrachte Jahre ihre Ansichten des wirklichen Lebens sehr beengt hatten. Nataliens Jugend und Unerfahrenheit erweckten ihr Mitleid; je länger sie redete, je mehr erweichte sie sich selbst, bis ihr Zorn gänzlich in Theilnahme überging. »Liebe Comtesse,« sprach sie zuletzt mit nassen Augen, »bedenken sie wohl, was sie thun, ich gebe ihnen mein Wort darauf, ich will nichts von allem, was sie vorhin sagten, gehört haben, ich will ihnen Zeit lassen, alles nochmahls reiflich zu überlegen, ehe sie einen so ganz unerhörten Entschluß fassen, nur stürzen sie sich nicht selbst ins Verderben.« Diese unerwartete Aeußerung von Seiten einer Frau, der sie ein so warmes Gefühl nie zugetraut hätte, verfehlte zwar nicht, auf Natalien Eindruck zu machen, aber sie blieb dennoch fest bey der einmahl ausgesprochenen Erklärung, und die natürliche Folge davon war, daß die alte Dame, deren Rath sie verwarf, sich nun von ihr persönlich beleidigt glaubte. Beyde schieden zuletzt in ziemlicher Verstimmung von einander, die Oberhofmeisterinn, um ihren Auftrag bey der Fürstinn auszurichten, und Natalie, um den an ihren Oheim angefangenen Brief zu vollenden.

Natalie hatte indessen bey der Fürstinn einen weit härteren Stand, als sie es selbst erwartet haben mochte, denn die erzürnte Oberhofmeisterinn entledigte sich ihres Auftrags keineswegs auf eine schonende Weise. Auch Madame Bornau that ihrerseits das Möglichste, um die Fürstinn noch mehr gegen die junge Gräfinn aufzubringen, als diese es ohnehin schon war; die sonst so gütige nachsichtige Frau glaubte sich auf das empfindlichste in ihrer Würde beleidigt, und hätte sich wahrscheinlich in der ersten Aufwallung ihres Zornes zu sehr harten Aeußerungen desselben hinreißen lassen, wenn nicht zum Glücke für Natalien der Fürst selbst in diesem Augenblicke gegenwärtig gewesen wäre. Dieser that, was er allein nur konnte, er überzeugte seine Gemahlinn mit der ihm eigenen Lebensweisheit, daß sie mit der Aufsicht über Natalien einer großen Last sich entledigt, die sie eigentlich als ein ihr unwerthes Geschäft, nie hätte übernehmen sollen, und bewog sie dadurch, ohne weiteres in deren Entfernung einzuwilllgen.

Nataliens Entlassung ward noch in derselben Stunde ausgefertigt und ihr zugestellt, nebst der Erlaubniß, ihre Reise so bald als möglich anzutreten. So weit ging alles nach der Gräfinn Wünschen, doch um auch die Last der fürstlichen Ungnade, die sie sich zugezogen, ihr wenigstens einiger Maßen fühlbar zu machen, wurde die Abschieds-Audienz, um die sie anhielt, ihr abgeschlagen und alle Uebrige am Hofe folgten dem Beyspiele des fürstlichen Paares. Weder die Oberhofmeisterinn, noch eine der Damen, von denen Natalie Abschied nehmen wollte, ließen sich zu Hause finden, und alle Herren, selbst die, welche noch vor Kurzem ihrer Liebenswürdigkeit am eifrigsten gehuldigt hatten, begnügten sich damit, Karten bey ihr abzugeben. Ueberall verbreitete sich das Gerücht die Gräfin Natalie habe wegen der letzten Ereignisse ihren Abschied erhalten, ohne daß eine einzige Stimme dem widersprochen hätte, und so sah sie sich denn am letzten Tage ihres Aufenthalts an einem Orte, wo ihr noch vor sehr kurzer Zeit Alles mit Liebe und Bewunderung entgegen kam, von Allen geflohen und vermieden.

Natalie ertrug diese, ihr ganz neue Lage mit großer Fassung, aber sie fühlte sich dennoch von der allgemeinen Lieblosigkeit schmerzlich berührt, und würde dieses noch viel tiefer empfunden haben, wenn ihr die Geschäftigkeit Zeit dazu gelassen hätte, mit der sie die Vorkehrung zu ihrer, auf morgen festgesetzten Reise betrieb. Doch als sie am Abend mit Allem fertig war und sich nun so ganz verlassen sah, da überfiel sie doch ein heimliches Grauen vor den nächsten Stunden, die sie noch an diesem Scheidwege ihres Lebens einsam und unbeschäftigt zuzubringen hatte. Sie blickte um sich her, sogar die vier Wände ihres Zimmers hatten durch die Reihe von Jahren, die sie in ihnen verlebte, ein Interesse für sie gewonnen. Manche hier genossene frohe Stunde leuchtete aus dem dunkeln Reiche der Vergangenheit ihr wieder auf; eine stille Wehmuth, die viel süßes, aber auch manches bittere mit sich führte, bemächtigte sich ihrer, und sie war im Begriff immer tiefer und tiefer in ihr zu versinken, als ihre Thür sich öffnete und der Leibarzt zu ihr hereintrat.

Freudig eilte Natalie ihm entgegen, sie hatte schon angefangen, auch ihn aufzugeben, und nun war er der Einzige, der mit der Gunst des Hofes nicht von ihr gewichen war. Ein langes, sehr ernstes Gespräch entstand zwischen Beyden; der Leibarzt war weit davon entfernt, es zu tadeln, daß Natalie den Hof verlassen wolle, aber er wiederhohlte ihr alle seine früheren Warnungen nochmahls und suchte sie ihr auf das dringendste an das Herz zu legen. Sie hörte mit der Aufmerksamkeit ihn an, die sie ihm schuldig zu seyn sich bewußt war, doch nichts von allem, was er ihr sagen mochte, konnte Eindruck auf ein Gemüth machen, in welchem Liebe und Hoffnung mehr als jemahls die Oberhand gewonnen hatten. So kam die Scheidestunde herbey, die Beyden das Herz einengte. Ehe der Arzt Natalien verließ, überreichte er ihr noch, im Nahmen des Fürsten, eine sehr schöne Uhr, die ihr dieser, nebst seinen besten Wünschen für ihr wahres Wohl zum Andenken der Stunden sandte, welche sie an seinem Hofe froh verlebte, und sie dabey bitten ließ, der unangenehmen Tage hinfort wenigstens ohne Bitterkeit zu gedenken. Natalie ward durch dieses Anerkennen, von einer Seite, wo sie es am wenigsten erwartet hatte, bis zu Thränen gerührt. Sie hatte das Bewußtseyn, nie Liebling des edlen fürstlichen Greises gewesen zu seyn, der gewohnt war, einfache Anspruchslosigkeit und stille häusliche Tugend bey ihrem Geschlechte über alle glänzendere Eigenschaften desselben zu setzen. Er hatte Natalien oft für überspannt, überbildet, mitunter auch für anmaßend gehalten; sie wußte dies wohl und hatte sich oft darüber betrübt. Um so tröstlicher war es ihr, daß gerade er ihr ein Zeichen seines Wohlwollens sandte und sie nicht bloß auf den Anschein verdammte, wie alle Andern es thaten, und das bittere Gefühl, mit dem sie bey Tagesanbruch die Reise antrat, ward dadurch nicht wenig gemildert.

Obgleich nur von ihrem Kammermädchen und einem Bedienten begleitet, legte Natalie doch den gar nicht unbedeutenden Weg in die Heimath glücklich zurück, ohne dem kleinsten Abenteuer zu begegnen. Ihr Brief an ihren Oheim, den Grafen Rothenfels, war früh genug angelangt, um den alten Herrn auf ihre Ankunft vorzubereiten, und sie fand daher bey ihm einen zwar etwas förmlichen, aber doch nicht unfreundlichen Empfang.


 

Graf Rothenfels war ein in Arbeiten ergrauter Geschäftsmann, dessen an Starrsinn gränzende Gerechtigkeitsliebe eben so allgemein bewundert und geehrt wurde, als man seinen unbeugsamen Stolz scheute, der sich ebensowohl auf die lange Reihe von Ahnen gründete, mit denen sein Stammbaum prangte, als auf das Bewußtseyn einer großen Gewalt im Lande. Denn er war es seit vielen Jahren gewohnt, im Nahmen des alten, durch körperliche Leiden stumpf gewordenen Fürsten, fast unumschränkt zu regieren. Der kinderlose Erbprinz aber fand wenig Freude am Arbeiten zum Wohle eines Landes, welches lange zu beherrschen, er bey seinem, ebenfalls weit vorgerückten Alter und seiner Kränklichkeit nicht hoffen durfte. Bey des Grafen Rothenfels bekannter Denkart hatte es diesem nie einfallen können, eine Verbindung zwischen dem Prinzen Albert und seiner Nichte begünstigen zu wollen, aber die Art, mit welcher die Gemahlin des Erbprinzen die Entdeckung der zwischen Beyden entstehenden Liebe aufgenommen hatte, beleidigte dennoch seinen Stolz. Er selbst nannte diese Liebe eine Kinderey, die gar nicht werth sey, ernstlich beachtet zu werden, und es schien ihm mit Grund ein unerlaubter Eingriff in seine Rechte zu seyn, daß man wegen eines solchen Anlasses, fast ohne ihn darum zu befragen, Natalien an einen fremden, weit entfernten Hof schickte. Auch würde er gewiß nicht so gelassen dieses zugegeben haben, wenn er nicht gefürchtet hätte, durch Widerstand das Ansehen zu gewinnen, als wolle er aus Eitelkeit nach einer ernstlichen Verbindung mit dem fürstlichen Hause trachten. Nataliens eigenmächtige Heimkehr setzte ihn daher zwar von einer Seite ein wenig in Verlegenheit, doch er freute sich innerlich der Gelegenheit, sein persönliches Ansehen gegen das einer nicht geliebten Fürstinn einmahl in die Schranken treten zu lassen. Er wußte es wohl, daß die Erbprinzessinn es nicht wagen könne, der Nichte des mächtigen Grafen Rothenfels geradezu unartig zu begegnen, und für Unbill versteckterer Art war er entschlossen, sie zu vertheidigen, solange sie sich so betrüge, um dieses, seinem eigenen Urtheil gemäß, zu verdienen.

Gleich in den ersten Tagen forderte der alte Graf Natalien zu den Visiten auf, welche, der Hofetikette gemäß, ihrem Erscheinen am Hofe vorangehen mußten. Natalie hätte freylich es weit vorgezogen, wenigstens noch einige Zeit in der Stille und nur sich selbst zu leben; auch wagte sie es, diesen Wunsch zu äußern, doch ihr Oheim war durchaus nicht geneigt, ihn ihr zu gewähren. »Man soll nicht sagen,« sprach er, »daß die Nichte des Grafen Rothenfels sich in einem Winkel verbirgt. Ich weiß es wohl, daß du hier mächtige Widersacher finden wirst, doch unter meinem Schutze darfst du ihnen dreist entgegen gehen, ohne Furcht, daß man es wagen würde, dich anders zu empfangen, als man mir und meinem Hause schuldig ist. Aber vergiß es nie, Natalie, daß ich zwar dich, doch nicht deine Thorheit beschützen will. Ich selbst werde dir der strengste Richter seyn, besonders wenn ich bemerken sollte, daß du Kindereyen noch nicht ganz vergessen hattest, an die bey reifem Alter kein Vernünftiger mehr gedenkt. Merke das wohl und vergiß es unter keiner Bedingung.«

Die nothwendigsten Visiten wurden also fürs erste abgethan, der Graf selbst begleitete seine Nichte dabey, und war mit dem Empfange derselben zufrieden; sogar die Erbprinzessinn hatte sich zwar steif und förmlich, aber doch nicht unhöflich gegen sie betragen, und mehr verlangte der Minister nicht. »Das erste Eis ist gebrochen,« rief er triumphirend, indem er mit Natalien nach Hause fuhr, »das Uebrige versparen wir zum nächsten Hoftage, mache dich nur recht hübsch, damit ich Ehre von dir habe. An Mitteln dazu werde ich es dir nicht fehlen lassen.«

Der große Tag kam, und die Gesellschaft hatte sich seit langer Zeit nicht so zahlreich in den fürstlichen Sälen versammelt. Auch schien sie animirter als je, überall bildeten sich kleine Gruppen zum angelegentlichen Gespräch, während man den Eintritt der höchsten Herrschaften erwartete.

»Wissen sie es schon, Comtesse? Gräfinn Natalie ist wieder da,« rief die Baroninn Maigrün. »Ach Gott, ja, das unglückliche Kind,« seufzte die Präsidentinn von Weißenthal, mit einem höchst wehmüthigen Gesicht. »Ist es denn wahr? hat man sie wirklich mit Schimpf und Schande vom Hofe zu S. fort geschickt?« fragte eifrig das alternde Fraulein Rosenblüth. »Man sagt es,« erwiederte eine andere Dame; »man sagt sogar, fast schäm' ich mich es nach zu sagen, man sagt, der Fürst selbst habe sie in dem eigenen Cabinet seiner Gemahlinn mit unserm Prinzen Albert in einem zärtlichen tête-à-tête überrascht.«

»Das wäre entsetzlich!« riefen mehrere Stimmen.

»Alte Liebe rostet nicht,« sprach unter gewaltigem Gelächter ein alter Herr. »Ob sie wohl hübsch ist?« fragte ein junger.

»Hübsch? das könnte ich nicht sagen,« antwortete Fraulein Rosenblüth, »ich habe sie am Fenster stehen gesehen, eine, lange, dünne Figur ohne Ende, und Augen, groß wie eine Untertasse.«

»Ach, affrös ist sie, gewiß affrös,« versicherte die alte Frau von Bernstein, »schon als ein kleines Kind sah sie ihrer Großmutter frappant ähnlich, und die war häßlich wie die Nacht.«

»Ich meyne, als Kind sah sie doch noch ganz passabel aus,« sprach die Baroninn, »aber schnippisch war sie und naseweis von klein auf.«

»Ja wohl, unerträglich,« riefen mehrere Damen im Chor.

»Was eine Brennnessel werden will, brennt früh,« fuhr die Baroninn fort; »aber wie es mit ihrer Entlassung von der Hofdamenstelle eigentlich zugegangen seyn mag, darüber könnte die Frau Präsidentinn uns wohl am besten aufklären; sie haben ja, wie ich höre, Briefe erhalten – –«

»Ach ja! bjtte, bitte! erzählen sie, geben sie uns Auskunft,« fiel wieder der Chor ein, und immer größer und dichter ward der Kreis. »Freylich habe ich einen Brief von meiner Cousine, der Kammerjunkerinn, in dem manches Wunderbare enthalten ist, aber es läßt sich nicht gut davon reden, am wenigsten hier,« antwortete die Präsidentinn mit einem sehr bedenklichen Gesicht.

»Ich habe mir schon so lange vorgenommen, sie einmahl zu besuchen, Frau Präsidentinn; wenn sie erlauben, komme ich morgen früh auf ein Stündchen,« erwiederte schnell Fräulein Rosenblüth.«

»So viel ist gewiß, daß Prinz Albert dort gewesen ist, und daß Gräfinn Natalie, sobald er fort war, ihren Abschied erhielt und noch in der nähmlichen Stunde Hof und Stadt verlassen mußte,« flüsterte so leise als sie es konnte, um dennoch verstanden zu werden, die Präsidentinn.

»Wie die Familie mich dauert! so etwas an den Seinen zu erleben, ist bitter,« seufzte Frau von Bernstein sehr beweglich.

»Sie läßt aber lange auf sich warten, sie kommt am Ende wohl gar nicht,« sprach mit sichtbarer Besorgniß eine Dame.

»Warten lassen, ist fürstlich,« erwiederte spöttelnd eine andere. »Uebrigens kann ich es ihr nicht verdenken, wenn sie zögert, hier zu erscheinen, das Herz mag ihr bey dem Gedanken, welche Rolle sie hier spielen wird, nicht wenig klopfen.«

»Mich dauert sie doch, die Arme,« seufzte Fräulein Rosenblüth, »ich kann mir ihre Angst und Verlegenheit recht lebhaft vorstellen, ihr muß ja seyn, als ginge sie in den Tod.«

Hier sprangen die Flügelthüren auf, und an der Seite ihres mit einem ganzen Firmament von Sternen geschmückten Oheims schwebte im blendendsten Putz, im reichsten Juwelenschmuck, lächelnd wie die Freude, schön wie eine Huldgöttinn, die Vielbesprochene in den Saal. Indem sie mit leichtem anmuthigen Grüßen durch die lange Reihe der Herren und Damen hindurch ging, um sich an das andere Ende des Saals zu begeben, wo Graf Rothenfels sie einer alten, ehrwürdigen Dame zuführte, die ihm nahe verwandt war, sah sie wie eine junge Königinn aus, welche die Huldigungen ihres Hofs mit holdem Lächeln empfängt. Ein leises bewunderndes »Ach!« entsäuselte unwillkürlich den Lippen aller dabey gegenwärtigen Herren, den Damen erstarb das Wort im Munde. »Das nenne ich mir doch Effronterie,« lispelte das Fräulein Rosenblüth ihrem Nachbar zu, doch Niemand hörte auf sie, aller Augen und Sinne waren von der unbeschreiblich anmuthigen Erscheinung Nataliens gefesselt. Jetzt kam auch die Erbprinzessinn mit den übrigen fürstlichen Personen. Sie ging, wie das der Gebrauch in solchen Versammlungen mit sich bringt, im Kreise der Anwesenden herum, ehe sie an ihren Spieltisch sich begab, um jedem ein Paar Worte zu sagen; auch Natalie ward dabey nicht übersehen, wie manche doch erwartet hatten, und als diese Ceremonie vorüber war, eilten die jungen Prinzessinnen, Alberts Schwestern, herbey, um mit überlauter Freude ihre geliebte, lange vermißte Jugendgespielinn zu begrüßen. Beyde waren ein Paar kleine, von der Natur sehr stiefmütterlich bedachte Wesen, einige Jahre jünger, als die mit ihnen erzogene Natalie, und letzterer wegen unverwüstlicher Gutmüthigkeit von jeher sehr lieb. Es gewährte einen ungemein reizenden Anblick, als die hohe Gestalt sich zu den Prinzessinnen herab beugte, und deren wohlgemeynte rauschende Liebkosungen mit Herzlichkeit erwiederte.

Allmählig begannen jetzt die Männer Natalien sich zu nahen, denn diese pflegen gegen Beschuldigungen, wie die, welche man gegen sie erhoben hatte, weit nachsichtsvoller zu seyn, als die Frauen, besonders wenn die Angeklagte jung und schön ist. Die Damen suchte Natalie selbst auf, keine ihrer frühern Bekannten ward von ihr übersehen, jeder wußte sie etwas Angenehmes zu sagen, und das mit einer so unbefangenen Sicherheit, daß keine Einzige selbst von denen, die vorhin am strengsten über sie abgeurtheilt hatten, es über das Herz bringen konnte, ihre Freundlichkeit anders als freundlich zu erwiedern. In kurzer Zeit war Natalie der Mittelpunct der Unterhaltung, um den Alles sich drängte, nie war sie brillanter, aber auch nie wahrhaft liebenswerther erschienen, als dieses Mahl. Das Bewußtseyn des Sieges über ihre Widersacher, den sie mit so leichter Mühe errungen hatte, erhöhte ihre natürliche Lebhaftigkeit, und gab ihr einen unwiderstehlichen Reiz. Selbst die Häßliche wird angenehm, wenn sie in seltenen Lichtpunkten ihres Lebens gewahr wird, sie gefalle; daher ist es natürlich, daß dieses erhebende Gefühl in einem weit höheren Grade die Schöne noch schöner macht, als sie es ohnedem schon ist.

Nur einer der anwesenden Männer blieb außerhalb dem Zauberkreise Nataliens, und doch hingen auch seine Blicke mit sichtbarem Wohlgefallen an dieser anmuthigen Erscheinung. Seine sehr braune Gesichtsfarbe, seine edlen, vollkommen regelmäßigen Züge, das dunkle flammende Auge, das reiche kohlenschwarze Lockenhaar, die auffallend hohe, schöne Gestalt, alles dieses bezeichnete ihn als den Bewohner südlicher Zonen, und sein ungezwungener Zustand, seine einfache, aber dennoch reiche Kleidung den vornehmen Mann. Auch hatten alle Mitglieder der fürstlichen Familie ihm ausgezeichnet zuvorkommend begegnet, und sich lange mit ihm unterhalten. Sein Alter war wegen der dunkeln Farbe seines Gesichts schwer zu bestimmen, er schien den Vierzigen näher als den Dreyßigen zu seyn und mochte eigentlich zwischen beyden in der Mitte stehen.

»Das ist ja hier eine Hitze zum Ersticken,« flüsterte Prinzessinn Ludmille, indem sie an Nataliens Arm sich hing, »gehen wir lieber in das Cabinet dort will ich die schönen Sachen ihnen zeigen, welche der Ostindier dem Groß-Onkel geschenkt hat.« Natalie nahm den Vorschlag an, denn auch sie ward des Gedränges überdrüssig; niemand folgte den beyden, weil man glaubte, die Prinzessinn wünsche mit ihrer Freundinn allein zu seyn, und so traten sie ohne alle Begleitung in ein an den Saal anstoßendes Cabinet, aus welchem schon von ferne köstlicher Blumenduft ihnen entgegen strömte.

Natalie glaubte sich hier in ein Feenland versetzt. An den Wänden sich hinschlängelnd, vom hohen Stängel herab winkend, in reizender Demuth sich kaum über den Boden erhebend, glänzten und dufteten in unbeschreiblicher Farbenpracht ringsumher Blumen, wie sie deren zuvor nie gesehen hatte; dazwischen erblickte sie, an Farbe und Form mit diesen wetteifernd, die seltensten Erzeugnisse des Meeres, Korallenzweige, Conchylien aller Art, die wohl verdienten, die Blüthen des unermeßlichen Oceans zu heißen. Und um den Zauber zu vollenden flatterten und hüpften hinter Netzen, aus feinen, fast unsichtbaren Golddrahte geflochten, eine Menge der seltensten Vögel zwischen dem allen herum, schön, bunt, zierlich, gleich Blumen der Luft. Doch ihre Führerinn ließ Natalien nicht Zeit, sich durch Betrachten des Einzelnen mit dem Ganzen zu befreunden, dessen nie gesehene Pracht ihr Auge blendete; mit der ihrem hohen Stande eigenen Ungeduld zog Prinzessinn Ludmille sie von einem zum andern, wollte alles ihr nennen, und verwechselte dabey die obendrein falsch ausgesprochenen Nahmen auf das seltsamste. »Ich weiß aber auch nicht, warum gerade diese schönen Blumen so wunderlich heißen müssen!« rief sie endlich verdrießlich über sich selbst, »wenn doch jemand käme, der ihnen das Alles besser erklären könnte als ich!«

»Wollen Ihro Durchlaucht mir vielleicht erlauben, die Erzeugnisse meines Vaterlandes dieser Dame vorzustellen?« sprach hinter ihnen, mit etwas fremdartigem Accente, eine tiefe, sehr sonore Stimme. Es war der dunkle Fremde, der sich eben damit beschäftigte, einen prächtig gefiederten Arra in dessen Wohnung zurückzubringen.

»Es ist der Herr aus Ostindien, der meinem Großonkel alle diese Seltenheiten viele tausend Meilen weit mitbrachte,« sprach die Prinzessinn, »er heißt Herr Belcour. Nun, den Nahmen habe ich doch wenigstens behalten!« setzte sie freundlich und nicht ohne Anmuth hinzu.

Jetzt entspann sich eine Unterhaltung, bey welcher Natalie überreich für das Ermüdende dieses Abends entschädiget ward. Ludmilla gab zwar eine aufmerksame, aber doch nur stumme Zuhörerinn dabey ab, und auch Natalie sprach Anfangs nur wenig, während Belcour von den Wundern jenes überreichen Himmelsstrichs erzählte, in welchem er selbst geboren war. Er nannte nicht nur die verschiedenen Gegenstände, die Natalie vor sich sah, er machte auch diese im Einzelnen auf die Eigenheiten mancher derselben aufmerksam; er sprach von der wunderbaren Art, mit der die bey uns so träge Vegetation sich in wärmeren Zonen entwickelt, und von dem kleinen Haushalt mancher der Vögel, die sie vor sich sah. Ein eigener, fast Orientalischer Geist der Poesie waltete bey allem was er sagte, jedes seiner Worte zeigte von vielseitiger Bildung und scharfem Beobachtungsgeiste. Endlich kam er auch auf den Charakter der Thiere und ihr geistiges Vermögen, und tadelte die Anmaßung, mit welcher der Mensch die noch unentdeckten geheimnißvollen Gränzen desselben zu bestimmen unternimmt. Natalie fühlte sich durch alles dieses lebhaft angeregt, sie versuchte, an dem Gespräche thätigern Antheil zu nehmen, indem sie sich bestrebte, in Belcours Ideen einzugehen, und schalt zuletzt lächelnd die Grausamkeit, mit der er selbst diese schönen Pflanzen ihrem warmen mütterlichen Boden, diese prächtigen Bewohner der Lüfte ihren ewig grünenden Blüthenwäldern entführt habe, um sie hier bey erkünstelter Wärme kümmerlich und sehnsüchtig langsam vergehen zu lassen.

»Geht es uns denn etwa besser?« fragte Belcour, »gibt es nicht überall Menschen, die ihr Geschick auf einen Boden versetzt, wo sie nie einheimisch werden können? Sie sind gewiß sehr glücklich, gnädige Gräfinn, denn sie sind jung, schön und gut, und doch – oder wären sie wirklich hier ganz daheim? fühlten sie nie sich eingeengt? frieren sie nie innerlich? spannt auch in ihnen nicht zuweilen die Sehnsucht die Flügel, davon zu fliegen, weit, weit, übers Meer, über die Wolken, in ein nie gesehenes Land?«

Natalie schwieg, ein leiser Seufzer hob fast unmerklich ihre Brust, doch Belcour entging er nicht.

»Warum sollte ein Vogel, der doch noch lange kein Mensch ist, nicht auch sein Schicksal haben, warum sollte es ihm besser gehen als uns?« setzte er leicht scherzend hinzu, aber aus seinen großen dunkeln Augen erglänzte dabey ein Strahl von tiefer, sehr ernster Bedeutung.

Natalie fühlte, daß hier der Ernst durchaus nicht die Oberhand gewinnen dürfe und suchte daher mit der ihr eigenen Leichtigkeit dem Gespräche eine fröhlichere Wendung zu geben, indem sie sich und ihr Geschick einem der buntesten Papageyen verglich, vor dessen Käfig sie eben standen, und der abwechselnd bald in die Stäbe desselben, bald in ein großes Stück Zucker biß. Belcour nahm den Scherz auf und setzte auf seine Weise ihn fort, Natalie antwortete wieder, das Gespräch ward immer lebhafter, es nahm zuweilen eine ziemlich excentrische, an das Phantastische gränzende Wendung. Natalie und Belcour verstanden einander so schnell, mit solcher Leichtigkeit, daß sie, die kurz vorher einander ganz fremd waren, jetzt als alte Bekannte von einander schieden, indem die Stunde der Abendtafel gekommen war, und sie vom Strom der Gesellschaft fortgerissen wurden.

Nichts war natürlicher, als daß Natalie noch am nähmlichen Abende nähere Kunde von dem ihr so ausgezeichnet scheinenden Fremden zu erhalten suchte, und sie fand Viele in der Gesellschaft, die sich dazu drängten, ihr alles mitzutheilen, was sie selbst von ihm wußten.

Belcour, sagte man ihr, sey in Ostindien geboren, der Sohn einer Kreolinn und eines Engländers der im Dienste der Ostindischen Compagnie einen bedeutenden Posten in Bengalen bekleidet und dabey unermeßliche Reichthümer gewonnen hatte. Theils um mit seiner einzigen, jetzt im Hannövrischen lebenden Schwester sich wegen der Erbschaft seines verstorbenen Vaters auseinander zu setzen, theils um dem Wunsche zu genügen, Europa kennen zu lernen, war er nach England übergeschifft; er hatte früher das ganze südliche Europa durchzogen, und war jetzt auf dem Wege, auch den gebildeten Norden kennen zu lernen. Er reiste sehr langsam, verweilte oft lange, wo es ihm wohlgefiel, und seine Wahl traf dabey nicht immer die größten und berühmtesten Städte. So war er denn auch vor zwey Monathen in diese Residenz gekommen, wo ihn vielleicht Anfangs nur das Bedürfniß, sich auszuruhen, festhielt, das jeden weit und lange Reisenden zuweilen selbst in Städten ergreift, die an und für sich wenig Anziehendes haben. Der Zustand des durch Alter und Schwäche zur Kindheit herabgesunkenen regierenden Fürsten hatte den Fremdling sehr gerührt; um dem Greise eine Freude zu machen, dessen liebste Gesellschaft Blumen und Vögel waren, ließ Belcour für ihn zum Geschenke einen Theil seiner aus Bengalen nach England gebrachten Seltenheiten kommen, und erwarb sich dadurch den Dank und die Zuneigung des ganzen fürstlichen Hauses.

»Uebrigens,« flüsterte Frau von Bernstein Natalien ins Ohr, »übrigens ist er ganz enorm reich. Man sagt zwar, er habe eine schwarze oder braune Frau nach England mitgebracht, das will aber nichts sagen, sie soll eine Heidinn, eine Feueranbetherinn seyn. Man weiß schon, wie es mit solchen Verbindungen beschaffen ist, und wer daran Anstoß nähme, wäre wohl thöricht. Die Männer sind einmahl wie sie sind, und wenn Herr Belcour eine anständige christliche Parthie nach seinem Geschmacke findet, so hebt jene Verbindung sich von selbst.«

Belcour war schon früher in allen bedeutenden Häusern der Stadt, folglich auch in dem des Grafen Rothenfels eingeführt; er benutzte am folgenden Tage die Bekanntschaft mit diesem, um auch Natalien in ihrer Wohnung sich vorzustellen. Belcour merkte sich bald die Stunde, in der er mit ziemlicher Gewißheit darauf rechnen konnte, Natalien Vormittags allein zu finden, und benutzte sie fast täglich. Sein heller Geist, seine vielseitige Erfahrung, die tiefe Bekanntschaft mit der Natur, die er nicht schulmäßig erworben, aber aus dem Leben selbst geschöpft hatte, trugen im Gespräche mit ihm unendlich viel dazu bey, auch Nataliens Kenntnisse zu erweitern. Doch fiel es ihm dabey eben so wenig ein, sie belehren, als ihr, von ihm lernen zu wollen. Nataliens ewig frischer Jugendmuth, ihre Art, jedem Dinge, dem keine schöne Seite sich abgewinnen ließ, wenigstens eine lustige abzusehen, erheiterten dagegen seinen oft sehr trüben Sinn, und die ungeheuchelte Reinheit ihres Gemüths, die bey jeder Gelegenheit aus ihrem ganzen Betragen durchschimmerte, machte sie ihm täglich werther. Daß sie dabey sich nur selten herabließ, auf dem breiten von aller Welt betretenen Pfade gehen zu wollen, konnte dem, mit den Regeln unserer Convenienz wenig bekannten Fremdling nicht unangenehm auffallen, es trug vielmehr dazu bey, sie ihm näher zu stellen und sie ihm verwandter zu machen.

In Kurzem entstand auf diese Weise zwischen Belcour und Natalien eines jener seltenen Verhältnisse, deren bey verschiedenem Geschlechte nur die Reinsten und Edelsten fähig sind. Wäre Natalie ein Mann gewesen, sie wäre Belcours Freund geworden, auf Leben und Tod. Daß sie ein Weib, ein schönes, liebenswürdiges Weib war, verlieh dieser Freundschaft einen ganz eigenen Zauber, der sich wohl empfinden, aber durchaus nicht beschreiben läßt. Beyde fühlten das reinste Vertrauen zu einander, aber sie erwähnten nie ihrer Vergangenheit, in so fern diese die zartesten Saiten ihrer Herzen berührte, nicht weil sie für einander etwas verborgen halten wollten, sondern weil sie nicht gewohnt waren, viel von sich selbst zu sprechen, und weil es ihnen nie einfiel, durch solche Mittheilungen sich gleichsam ein Pfand ihres gegenseitigen Zutrauens geben zu wollen. Der Macht des Augenblicks hingegeben, lebten sie vorzüglich nur der Gegenwart, und ihr erstes Bestreben war, sich diese rein und ungetrübt zu erhalten. Natalie besuchte von neuem gern die Gesellschaft, weil sie sicher war, Belcour zu finden, und dieser, ohne sich um andere viel zu bekümmern, fühlte in ihrer ihn erheiternden Nähe nichts von alle dem Ueberdrusse und der Langeweile, die ihn hier früher oft gedrückt hatten.

Nach wenigen so verlebten Wochen begann alle Welt den reichen Ostindier für Nataliens erklärten Anbether zu halten, und einer baldigen Vermählung dieser Beyden entgegen zu sehen. Belcour und die Gräfinn gaben sich nicht die Mühe, die Anspielungen auf dieser Verbindung ernsthaft zu beantworten, welche ihre Bekannten, von Neugier, auch wohl mitunter vom Neide getrieben, zuweilen in ihrer Gegenwart wagten, doch Graf Rothenfels ward etwas bedenklicher, als das Gerücht davon auch ihm zu Ohren kam. Er ergriff die erste Gelegenheit, um Natalien zu bedeuten, daß ein nahmenloser Fremder nie als eine schickliche Parthie für des Grafen Rothenfels Nichte angesehen werden könne, und wäre er reicher als Crösus. Doch Natalie lachte so herzlich über diese Idee, sie schwatzte ihrem Oheime so viel Possierliches von der caffehbraunen Madame Belcour vor, von der sie doch eigentlich nichts wußte, daß dieser nicht weiter daran dachte, sie in ihrem Umgange mit Belcour zu beschränken, besonders da die Erbprinzessinn sehr wohl damit zufrieden schien.

Leider aber verbreitete das Gerücht eines zwischen ihr und Belcour bestehenden Verhältnisses sich viel weiter, als die arglose Natalie es vermuthete. Es erreichte, mittelbar von der Erbprinzessinn ausgehend, sogar den Prinzen Albert in Paris. Dieser that sein Möglichstes, um im Glauben an die Geliebte sich nicht wankend machen zu lassen, dennoch konnte er sein Herz den Eingebungen der Furie Eifersucht nicht ganz verschließen. Sein Briefwechsel mit Natalien ging sehr spärlich und langsam von Statten, da Alberts vertrauter Freund, Rosen, jetzt in ziemlicher Entfernung von der Residenz wohnte, und die Furcht vor Entdeckung den Liebenden nur selten erlaubte, an einander zu schreiben. Belcours Nahmen, den Albert jetzt beynahe in jedem Briefe Nataliens fand, verwundete jedes Mahl mit stechenden Flammen sein Auge wie sein Gemüth, und fand er ihn einmahl nicht, so erwachte sein Argwohn oft nur um desto lebhafter. Der Prinz lebte in Paris, umgeben von der großen Welt, er sah rings um sich so viel List und Verrath zwischen Männern und Frauen, daß es ihm oft schwer ward, seiner Phantasie zu gebiethen und sich nicht Gedanken hinzugeben, die ihm um so peinigender wurden, je mehr er in bessern Stunden sich durch sie an Natalien zu versündigen glaubte.


 

Ein Todesfall, der auch den Hof in tiefe Trauer versetzte, riß Natalien nach einigen recht zufrieden verlebten Wochen aus ihrer, kaum wieder erlangten Ruhe auf, und erschütterte sie recht schmerzlich.

Prinz Adolph, Alberts Bruder, der zwischen diesem und dem zukünftigen Erbprinzen in der Mitte stand, starb plötzlich auf seinen Gütern, wohin er auf den Rath der Aerzte gezogen war, um durch die gesündere Landluft seine sehr geschwächte Gesundheit wieder herzustellen. Von Jugend auf war er kränklich gewesen, und hatte sich selbst längst aufgegeben, als die Aerzte noch überlaut von seiner nahen völligen Besserung sprachen. Mit ihm war schon eines der Häupter gefallen, die Natalie damahls dem ihr befreundeten Leibarzt, als zwischen Albert und dem Fürstenthrone stehend, triumphirend aufgezählt hatte, und die Erinnerung daran fiel ihr bey der Begräbnißfeyerlichkeit schwer auf das Herz. Doch ein Blick auf die beyden jungen Prinzen, die an der Hand ihres in der höchsten Blüthe des männlichen Alters stehenden Vaters, Alberts ältestem Bruder, dem Entschlafenen zum Grabe folgten, verscheuchte bald diese Sorge, und ließ nur der Trauer um den Jugendgefährten in ihrem Herzen Raum, der frühe hinwelken mußte, ohne fast vom Leben mehr gekannt zu haben, als dessen Schmerzen.

Prinz Adolph war sehr reich gestorben. Einer seiner Verwandten mütterlicher Seite, der sein Pathe gewesen war, hatte ihm große, in einem andern Fürstenthume liegende Güter und bedeutende Capitalien, durch ein besonderes Testament hinterlassen, über die er allein frey disponiren konnte, und die ihn von dem regierenden Fürstenhause völlig unabhängig erhielten; und da er bey seiner fortwährenden Kränklichkeit wenig gebraucht hatte, so war sein Reichthum bey seinen Lebzeiten noch gewachsen. Ungeachtet seiner körperlichen Schwäche und seinem sehr gewöhnlichen geistigen Vermögen, hatte er den Werth dieser Unabhängigkeit doch genugsam erkannt, um zu beschließen, sie einst auf seinen jüngsten, geliebtesten Bruder Albert zu übertragen, besonders da Alfred, der ältere, als einst regierender Herr, seines Nachlasses entbehren konnte. Um allen Einreden seiner übrigen Verwandten dabey zu entgehen, legte er, im Vorgefühle seines nahen Todes, ganz ingeheim ein Testament gerichtlich nieder, in welchem er den Prinzen Albert zu seinem alleinigen Erben einsetzte. Dieses ward, seiner Verfügung zufolge, erst am Tage nach seinem Begräbniß bekannt gemacht, und der nicht minder unwillkommene als unerwartete Inhalt desselben erregte nicht wenig Unzufriedenheit unter seinen fürstlichen Verwandten. Das Geschehene ließ sich indessen nicht abändern, man beschloß daher weislich, zum bösen Spiele gute Miene zu machen; eine Abschrift des Testaments ward an den Prinzen Albert abgeschickt, und man erwartete, ihn bald wieder in der Heimath eintreffen zu sehen, da niemand mehr seiner Heimkehr sich widersetzen konnte, welche die Uebernahme der ihm zugefallenen reichen Erbschaft sogar gewisser Maßen nothwendig machte.

Nataliens Freude über die Bahn zum Glücke, welche das Geschick so unerwartet ihr eröffnete, war unbeschreiblich. Der Gedanke, Albert wiederzusehen, ohne daß Furcht vor naher Trennung ihr drohend gegenüber stünde, erfüllte sie mit unnennbarem Entzücken. Sie fühlte zwar die Nothwendigkeit, das, was in ihr vorging, jetzt mehr, wie je allen Augen verborgen zu halten, dennoch schien ihr Fuß kaum noch die Erde zu berühren und ihr seelenvolles Auge strahlte in verdoppeltem Glanze.

Albert kam mehrere Tage früher an, als man es erwartet hatte. Es war schon später Abend, als er im Schloßhof einfuhr, und da er vernahm, die ganze Familie sey bey seinem Bruder versammelt, so eilte er, ohne seine Ankunft melden zu lassen, der Wohnung desselben zu. Sein erster Blick beym Eintritte in den Salon fiel auf Natalien; sie stand an einem Blumentisch, im angelegensten Gespräch mit einem ihm Unbekannten. Niemand weiter war im Zimmer, außer einem Paare junger Damen, die ganz am andern Ende desselben um einen Tisch saßen, eifrig mit ihren Stickereyen beschäftiget.

»Das ist Belcour!« rief Alberts vorahnendes Herz; ein stechender Schmerz raubte ihm den Athem, und ungewiß, ob er durch sein Hinzutreten die Beyden die ihn nicht gleich bemerkten, stören solle, blieb er eine Weile auf der Schwelle stehen. Doch seine Ankunft ward im Nebenzimmer bekannt, wo die Spieltische geordnet waren; Prinz Alfred, jetzt der einzige Bruder Alberts, kam mit offenen Armen ihm entgegen, und Albert stürzte wie trostlos ihm an die Brust; alle andern deuteten die heftige Bewegung, in der man ihn sah, auf den Schmerz über Adolphs Tod, nur Natalie nicht. Ein einziger sie anklagender Blick, den Albert auf sie warf, zeigte ihr plötzlich in furchtbarer Klarheit, was ihn eigentlich in diesem Augenblicke so schmerzlich ergriffen hatte. Sie fühlte, was sie ihm gethan, welche Qualen sie durch ihr, an sich tadelloses Verhältniß zu Belcour, vielleicht schon lange ihm bereitet habe, und war, ohnerachtet ihrer Schuldlosigkeit, nahe daran, sich selbst für strafbar zu halten. Aller Muth entsank ihr, die Freude, ihn wieder zu sehen, vermochte sie nicht zu trösten, und in ihrer Verwirrung ergriff sie den ersten schicklichen Augenblick, um sich nach Hause zu begeben ohne zu bedenken, daß ihr Weggehen Alberts Verdacht gegen sie noch steigern mußte, wenn er wirklich einen solchen gefaßt hatte.

Doch auch Albert war zu sehr ergriffen, um an die Umgebung zu denken, in welcher er sich befand. Alles vergessend, eilte er Natalien nach, so wie er sie gehen sah; allein Belcour war ihr ebenfalls gefolgt, und both ihr auf der Treppe den Arm, um sie an ihren Wagen zu führen. Nataliens Oheim kam jetzt ebenfalls herbey; Albert hatte den Schmerz, Natalien fortführen zu sehen ohne ihr ein einziges Wort sagen zu können, und blieb in trostloser Spannung zurück. Zwar hob sie noch einmahl das reine, schöne Auge zu ihm auf, ehe er sie ganz aus dem Gesichte verlor, doch leider verstand er zum ersten Mahle dessen Sprache nicht mehr.

Erst spät im Dunkel der Nacht, durch die sie umgebende Stille beschwichtigt, fand Natalie das beruhigende Bewußtseyn ihrer Schuldlosigkeit wieder. Vielleicht würde sie jetzt ihrem Albert über seinen Mangel an Vertrauen gezürnt haben, wenn sie nicht, nach Art der meisten Frauen, gerade in seiner Eifersucht einen neuen Beweis seiner innigen Liebe gesehen hätte. Sie beschäftigte sich jetzt nur damit, es sich auszudenken, wie sie schon morgen in Belcour dem Geliebten einen zuverlässigen treuen Freund zuführen würde; sie sah im Geiste sich und die beyden zu einem beseligenden Bunde vereint und pries ihr Los das glücklichste auf Erden ohne vor den Stürmen zu bangen, die ihr noch drohten, ehe sie im Hafen des Glücks würde landen können. Denn sie hatte Heiterkeit und Muth wieder gefunden, und traute es sich zu, alles siegreich zu bestehen.

Doch der Sturm brach weit eher los, als Natalie es ahnete. Albert hatte in der furchtbaren Bewegung, in der er sich befand, alle sonst gewohnte Vorsicht vergessen, und in aller Frühe durch den ersten Bedienten, der ihm vorkam, ein Billet an sie abgesandt. Dieses war in die Hände ihres Oheims gefallen, dessen Aufmerksamkeit und Argwohn durch Nataliens und des Prinzen gestriges Benehmen von neuem erregt worden war, und bleich vor Zorn, bebend an allen Gliedern, drang der alte Graf mit dem noch unerbrochenen Zettel in das Zimmer seiner Nichte.

»Erbrich diesen Zettel und lies ihn mir vor!« rief der Oheim. »Das fürstliche Siegel ist mir heilig, selbst wenn ich, wie hier, ein unbezweifeltes Recht habe, zu wissen, was es verschließt. Lies mir vor, Wort für Wort, denke nicht, mich hinter's Licht zu führen, und gnade dir Gott! wenn nur eine Sylbe darin auf Verhältnisse deutet, die auf ewig abgebrochen seyn sollen und müssen.«

Natalie sah furchtlos mit ihren hellen, klaren Augen den erzürnten Alten an. »Lieber Onkel,« sprach sie, »ich selbst will das Billet nicht lesen, wenn sie es mir verbiethen, aber versprechen, es ihnen zu zeigen, oder vorzulesen, das kann und werde ich nicht.«

Der Graf drang mit immer steigender Heftigkeit darauf, seinen Willen erfüllt zu sehen. Natalie weigerte sich dessen mit einem Gleichmuthe, welcher ihn immer mehr aufbrachte, und da sie ihn endlich im Begriffe sah, ihr den Zettel, den sie in Händen hatte, gewaltsam wieder zu entreißen, hielt sie ihn schnell über die, auf ihrem Frühstückstische brennende Spirituslampe, wo er sogleich in hellen Flammen aufloderte. Die Schilderung des Zornes, dem der Graf sich jetzt rücksichtslos überließ konnte nur ein sehr widerliches Bild gewähren: denn es ist eine sehr bekannte Bemerkung, daß die, welche im gewöhnlichen Laufe des Lebens am meisten auf Anstand und feinen Ton halten, sich gerade am tiefsten sinken zu lassen pflegen, sobald sie einmahl aus dem gewohnten Gleise gekommen sind. Die Stunde, in welcher der Minister sich in das fürstliche Cabinet zur Session begeben mußte, befreyte Natalien glücklicher Weise sehr bald von seiner Gegenwart, aber es währte doch einige Zeit, ehe sie von dem gehabten Schrecken sich erhohlte.

Belcour kam indessen zur gewohnten Stunde, er fand sie noch immer sehr bewegt, und der theilnehmende Blick, mit dem er sie betrachtete, fiel wie ein durch Gewitterwolken brechender Sonnenstrahl ihr erwärmend in das Herz; plötzlich stieg der Entschluß in ihr auf, ihm gleich in dieser Stunde alles zu sagen, und dadurch sich und ihrer Liebe einen Vertrauten zu erwerben, dessen Unabhängigkeit von allen hiesigen Verhältnissen ihr zum nicht zu berechnenden Gewinn werden könne. Doch es war kein Leichtes, gerade Belcour in das Geheimniß ihres Lebens einzuweihen; er kam durch kein Bestreben es erforschen zu wollen, ihrer mädchenhaften Schüchternheit zu Hülfe, und es währte eine ziemliche Weile, ehe er es nur merkte, daß seine schöne Freundinn im Begriffe sey, ihm etwas Wichtiges zu vertrauen.

Doch so, wie er dessen gewahr wurde, war er auch ganz Theilnahme und Aufmerksamkeit; er zog ein niedriges Tabouret zu ihren Füßen hin, um sich darauf zu setzen, lehnte dabey Kopf und Arm auf die Seitenlehne ihres Sopha's, und sah unverwandten Blickes zu ihr auf, während er mit der linken Hand ihre Rechte ergriff und hielt. Er nahm gern diese seine Lieblingsstellung an, wenn er wie jetzt, im vertraulichen Gespräche mit Natalien allein war, und sie hatte sich nach und nach gewöhnt, sie ihm zuweilen zu erlauben. Auch jetzt sah sie lächelnd seinen Anstalten zu. »Sitzen bleiben dürfen sie so,« sprach sie erröthend mit etwas erzwungener Heiterkeit; »sie sind einmahl ein großes verzogenes Kind, aber seyn sie so gut, ihre Blicke dieses Mahl anderswo hinzuwenden, etwa die Blumen des Teppichs zu zählen, denn ich habe gar wundersame Dinge ihnen zu berichten, bey denen man nicht gern sich so ansehen läßt.«

»Und warum denn nicht?« fragte Belcour unbeschreiblich treuherzig, und hielt das dunkle Flammenauge noch immer auf sie gerichtet.

Die Thüre flog auf, Prinz Albert stand vor ihnen.

»Egmont und Klärchen, nur umgekehrt!« rief er mit bitter höhnendem Lächeln. »O bleiben sie ja in dieser Stellung, das Tableau macht sich schön, und ich kann es der Gräfinn nicht genug verdanken, daß sie für gut fand, mich damit gerade in derselben Stunde zu überraschen, die ich diesen Morgen mir schriftlich von ihr zu einer Audienz erbethen hatte.«

»Albert, du weißt nicht, was du thust!« rief Natalie. – »Glauben Ihro Durchlaucht – –« fing Belcour an. »O Herr Belcour, oder wie sie sonst heißen mögen,« fiel Albert ein, indem er mit verachtenden Blicken ihn maß, »ich bin der Bereitwilligste von der Welt, ihnen alles zu glauben, was sie mir vorzutragen belieben werden, aber ich muß ihre Erläuterungen zur bequemeren Stunde mir ausbitten. Sie jetzt ihnen abzufordern, da sie so angenehm engagirt sind, wäre grausam und unschicklich zugleich.«

Albert war mit diesen Worten wieder verschwunden. Natalie, geisterbleich, unfähig sich zu regen, betrachtete zitternd Belcours, in diesem Augenblicke wahrhaft furchtbare Gestalt. Hoch aufgerichtet stand er in fast übermenschlicher Größe vor ihr, seine schwarzen, dichten Locken schienen einzeln empor sich zu sträuben, seine weit geöffneten Augen wirkliches Feuer zu sprühen. Die dunkelbraune Farbe seines Gesichts war in fahles Gelb übergegangen, und zwischen den ganz erblichenen, halb geöffneten Lippen schimmerten die blendend weißen Zähne, Grausen erregend, hervor. Bey alle dem war es sichtbar, wie er mit gewaltsamer Anstrengung sich zu bemeistern suchte; er athmete endlich hoch auf, seine Farbe kehrte zurück, und seine Züge gewannen nach wenigen Augenblicken den, ihnen sonst eigenen, Ausdruck wieder.

»Natalie,« sprach er mit sanfter, wenn gleich tief bewegter Stimme, »sie haben mir nichts mehr zu vertrauen, denn ich weiß jetzt alles, was sie mir zu sagen im Begriffe waren. Sie sehen selbst, daß ich nicht länger bey ihnen verweilen darf, doch gewähren sie mir, ehe ich gehe, den Trost, daß ich beruhigt sie zurück lasse. Bauen sie auf ihren Freund, theures Mädchen! Zum ersten Mahle wird mir das Glück, für sie etwas thun zu können, glauben sie fest, ich werde es zu benutzen wissen, sie werden mit mir zufrieden seyn.«

Belcour ging, doch kaum war die arme Natalie wieder zu einiger Besinnung gelangt, als ein neuer Sturm sich erhob. Noch wüthender, als er von ihr geschieden war, kehrte ihr Oheim zurück, und stammelte in kaum vernehmlichen Tönen ihr den Befehl zu, sich bereit zu halten, innerhalb einer Stunde sein Haus zu verlassen, und auf seinem, nicht sehr weit entfernten, Landsitze seine weitern Befehle zu erwarten.

»Du brauchst nur das Nothwendigste zu einer sehr einfachen Toilette mitzunehmen,« setzte er spottend hinzu »denn du wirst dort weder fürstliche, noch Ostindische Besuche empfangen, darauf verlaß dich.«

Vergebens suchte die von neuem tödtlich erschrockene Natalie ihn nur einiger Maßen zu besänftigen, vergebens suchte sie ihm vorzustellen, wie nachtheilig seine Anordnung ihrem guten Rufe werden müsse. »Deine Ehre ist ohnedem verloren, rief er; »du bist schon vernichtet vor der Welt; denn die Erbprinzessinn hat mir so eben zu verstehen gegeben, daß du nach den gestrigen und heutigen Vorgängen den Hof hinfüro meiden sollst. Meine Ehre allein steht noch zu retten, und retten will ich sie. Die höhern Aussichten, die deine Verblendung dir vielleicht vorgespiegelt haben mag, und die ich ohnehin nie hätte wirklich werden lassen, sind dir auf immer geschlossen. Prinz Adolphs Vermächtniß hat viele der Hindernisse beseitigt, die des Prinzen Alberts Vermählung mit der reichen und schönen Prinzessinn Isidore von R. sich bis jetzt entgegen stellten; diese Angelegenheit soll jetzt ernstlicher, wie je, betrieben werden, und meine Pflicht verlangt, daß ich kein Opfer scheue, um alles aus dem Wege zu räumen, was dieser, dem fürstlichen Hause, wie dem ganzen Lande gleich wünschenswerthen Verbindung sich entgegen stellen könnte. Sollte ich dich, mir zum Spott und zur Schande, ferner hier dulden, damit du deine Intriguen ungehindert fortspinnen kannst? Nein! fort mit dir, du hast meine Gunst auf ewig verscherzt, ich sehe, daß nur Zwang dich in Schranken halten kann, und der soll dir werden, du sollst mich weder erweichen, noch hintergehen.«

Mit jenem trostlosen Muthe, der uns wird wenn wir einsehen, daß wir dem Unabänderlichen uns ergeben müssen, stieg Natalie endlich in den schon längst bereit gehaltenen Wagen, der sie fortführen sollte; sie fand in diesem eine, ihr ganz unbekannte, ältliche Frau, die mehr zu ihrer Bewachung, als zu ihrer Bedienung bestimmt zu seyn schien; ihr eigenes Kammermädchen aber mußte zurückbleiben, weil der Oheim irriger Weise in diesem die Vertraute Nataliens befürchtete.

Was Natalie vorher gesehen hatte, geschah; ihre plötzliche Entfernung verfehlte nicht, das größte Aufsehen in der Residenz zu erregen, doch waren die Meinungen über den Grund derselben sehr getheilt. Einige behaupteten, Prinz Alberts Zurückkunft habe den Oheim veranlaßt, sie fortzuschicken, andere aber wollten ganz bestimmt wissen, daß der reiche Ostindier von dem ahnenstolzen Grafen Rothenfels mit seinen Heirathsanträgen zurückgewiesen worden sey, und daß dieser seine Nichte vor den Anschlägen des bis zur Raserey verliebten Belcours in Sicherheit zu bringen beabsichtige, bis Letzterer endlich abreisen würde. Belcours sichtbare Traurigkeit, die auffallende Art, mit der er von jetzt an den Hof und überhaupt alle Gesellschaft vermied, gaben diesen Muthmaßungen viel Wahrscheinliches; und da sowohl Graf Rothenfels, als die Erbprinzessinn, ihnen durchaus nicht widersprachen, sondern sie, so viel sich dieses schweigend thun ließ, bestätigten, so nahm die Mehrzahl sie bald als völlig gewiß an. Niemanden fiel dabey ein, daß die Fürstinn sowohl als der Minister ihre guten Gründe haben könnten, das Gerücht eines Verhältnisses zwischen Albert und Natalien auf diese Weise zu unterdrücken, um es nicht über die Gränze bis zur Prinzessinn Isidore gelangen zu lassen.

Doch plötzlich hieß es nach ein Paar Tagen, Natalie sey entflohen, und diese Sage setzte von neuem alle Welt in Bewegung. Man hatte den alten Grafen mit einem sehr verdrießlichen Gesichte von seinem Landhause zurück kommen sehen, nach welchem er wenige Stunden vorher in höchster Eile gefahren war; einige Herren, die sich gern immer aus der ersten Hand mit Neuigkeiten aller Art versehen mochten, waren sogar auf's Recognosciren hinaus gezogen. Sie hatten den Garten wie gewöhnlich offen gefunden, was, während Natalie dort hausen mußte, nie der Fall seyn durfte; ein alter Gärtner hatte sogar ausgesagt, der Graf wäre wüthend gewesen, da er der jungen Gräfinn Flucht entdeckte, und hätte nach allen Seiten Leute ausgeschickt, die sie aufsuchen sollten. Und so war es denn klar und gewiß, Natalie war wirklich verschwunden, und die Frage nur noch: wohin?

Zur nähmlichen Zeit bemerkte man aber auch, daß Prinz Albert fehle, ohne daß jemand seinen Aufenthalt anzugeben wußte. Unter dem Vorwande, die von seinem Bruder ererbten Güter besuchen zu müssen, hatte er sich zwar bey seinen fürstlichen Verwandten beurlaubt, er war auch dort gewesen, hatte sich aber nur kurze Zeit aufgehalten, und war, bloß von seinem Kammerdiener begleitet, weiter gegangen, ohne zu sagen, wohin? Alles gewann dadurch ein anderes Ansehen; nichts war jetzt gewisser, als daß Natalie zu ihm geflohen sey, und mit ihm in tiefer Verborgenheit lebe. Selbst Graf Rothenfels schien davon überzeugt, obgleich er aller Welt glauben machen wollte, er habe seine Nichte zu einer Verwandtinn auf das Land geschickt; man wußte zu gut, daß sowohl er, als Belcour, der jetzt wieder sich zuweilen blicken ließ, sich unablässig bemühten, ihren Aufenthalt zu entdecken, und sogar die Erbprinzessinn hatte dem Minister mit Achselzucken den Rücken zugewendet, als er es einmahl versuchte, sein Mährchen ihr aufheften zu wollen.

Während alle diese Ereignisse Nataliens Leben fast gänzlich umgestalteten, war die glückliche Leontine die Gattinn des Justizraths Rosen geworden; sie lebte mit ihrem Manne nahe an der Gränze des Landes, in einer reizenden Gebirgsgegend, und bewohnte ein schönes, obgleich sehr einsam liegendes, großes Haus, eigentlich ein Schloß, das zu den fürstlichen Privat-Domänen gehörte, über deren Verwaltung der Justizrath Rosen seit Kurzem die Aufsicht führte. Rosen war eben in Geschäften seines Gebiethers verreiset, die ihn späterhin auch nach der Residenz führen sollten, und das junge Hausmütterchen beschäftigte sich einstweilen emsig in Haus und Garten, um sich durch allerley Besorgungen für den lieben Mann die sehnsüchtigen Grillen zu vertreiben, als mit eintretender Abenddämmerung ihr noch der Besuch zweyer Frauenzimmer gemeldet ward, die ohne ihre Nahmen nennen zu wollen, sie als gute Bekannte zu begrüßen wünschten. Freudig eilte Leontine ihnen entgegen, denn Besuche solcher Art waren in dieser Einsamkeit etwas Seltenes. In der Einen derselben erkannte sie sogleich Frau Behrend aus Neustadt, eine alte Freundinn ihrer Mutter, und begrüßte sie auf das Herzlichste, aber ihr freudiges Erstaunen überstieg alle Gränzen, als die sehr einfach gekleidete Begleiterinn derselben den Reiseschleyer zurück schlug und Natalie ihr in die Arme sank.

»Nimm mich auf,« rief Natalie, »o nimm mich auf, Leontine. Nenne mich deine Schwester, deine Base, nenne mich wie du willst, nur laß niemand ahnen, wer ich eigentlich sey; laß mich selbst es vergessen, laß mich wähnen, ich sey still und einfach, ruhig und glücklich wie du!«


 

Theils aus gerechtem Stolz, theils weil sie fühlte, daß sie durch Brüten über ihr Geschick sich dasselbe nur erschweren könne, hatte Natalie schon auf dem Wege nach dem Landhause ihres Oheims jede Aeußerung ihres Unmuths zu unterdrücken gesucht. Sie betrachtete die Frau, die neben ihr im Wagen saß; das Ansehen derselben hatte so wenig Abschreckendes, daß sie gleich beschloß, sie wo möglich sich zu gewinnen. Die Mittel dazu glaubte sie in Händen zu haben, denn ohnerachtet der Eile, mit welcher ihr Oheim sie forttrieb, war sie doch besonnen genug gewesen, alles mitzunehmen, was sie an Gold und Juwelen besaß. Doch sie bedurfte dieser nicht bey der eben so gutmüthigen als rechtlichen Frau Behrend. Diese war die Witwe eines einst angesehenen Geistlichen in Neustadt; eine Erbschaft, welche man der Frau streitig machen wollte, hatte sie nach B. gezogen; die bekannte Gerechtigkeitsliebe des Ministers verhalf ihr kräftig und bald zu ihrem guten Rechte, und die dankbare Witwe betrachtete ihn dafür als ihren größten Wohlthäter. Sie überhäufte ihn mit Versicherungen ihrer gränzenlosen Ergebenheit, gerade da der Minister in Verlegenheit war, um für Natalien eine sichere und zugleich anständige Begleiterinn zu finden, deren Obhuth er auf seinem Landhause sie anvertrauen könne. Frau Behrend schien ihm dazu die schicklichste Person zu seyn, indem sie in der Residenz ganz fremd und unbekannt war, und da er mit einer Art Rührung ihr den Antrag machte, über seine Nichte einige Tage lang die Aufsicht zu führen, die er als ein unbesonnenes, in Liebeshändel verwickeltes Mädchen ihr schilderte, das auf alle Weise von den gefährlichsten Thorheiten abgehalten werden müsse, so konnte es die gute Frau nicht übers Herz bringen, diesen, freylich nicht ganz angenehmen Vorschlag ihres vornehmen Beschützers von sich zu weisen. Sie fand indessen Natalien weit anders, als sie nach des Oheims Beschreibung sich dieselbe gedacht hatte. Die Zutraulichkeit, mit der die junge Gräfinn von ihren Verhältnissen zu ihr sprach, so viel dieses geschehen konnte, gewann bald völlig das Herz der guten Frau. Sie wurde nun auch ihrerseits gesprächig, erzählte ebenfalls manches, was sie erlebt hatte, und zuletzt auch von Leontinens Verheirathung und den Begebenheiten, welche dieser vorangingen, Frau Behrend hatte selbst als Gast der glänzenden Hochzeitsfeyer beygewohnt und dieses Paar war das letzte gewesen, welches ihr seliger Herr für das Leben mit einander verbunden hatte.

Schon der Nahme Leontine machte Nataliens Aufmerksamkeit rege, und als sie vollends im Verlaufe der Geschichte gewiß ward, diese Leontine sey keine andere als die, welche ihr einst ein so lebhaftes Interesse eingeflößt hatte; als sie vernahm, sie sey jetzt die Gattinn des vertrautesten Freundes ihres Alberts, da überstieg ihre Freude fast alle Gränzen. Sie sah im Geiste sich schon gerettet, und einen Aufenthalt, der ihr Sicherheit both, ohne ihren guten Ruf im mindesten zu verletzen; denn der Justizrath Rosen war ein durchaus geachteter Mann.

Es kostete Natalien weniger Mühe, als sie erwartet hatte, Frau Behrend zur Flucht mit ihr zu bewegen; diese sehnte sich ohnehin in ihre Heimath zurück, und fühlte wahres Mitleid mit der jungen Gräfinn, zu deren Wächterinn sie bestellt war. Auch wußte sie mit großer Gewandtheit alles so vorzubereiten, daß niemand im Hause ihre Entfernung sobald gewahr wurde; die Flüchtigen hatten schon einen bedeutenden Vorsprung voraus, ehe der Graf ihre Abwesenheit erfuhr, und da es diesem nicht in den Sinn kam, sich nur die Möglichkeit zu denken, daß Natalie im Gebirge Bekannte haben könne, so ließ er sie zwar überall suchen, nur nicht auf dem Wege, den sie wirklich eingeschlagen hatte. Alles dieses erzählte Natalie noch am nähmlichen Abende ihrer Leontine; am nächsten Morgen machte Frau Behrend sich schon mit Anbruch des Tages auf die Reise, um auf Umwegen ihre, in einem fremden Gebiethe liegende Heimath zu erreichen, wo sie, selbst im Falle, daß Nataliens Aufenthalt entdeckt würde, vor der Rache des mächtigen Ministers ziemlich sicher war. Natalie blieb unter dem Nahmen Marie als Leontinens Schwester zurück. Sie sah in der ländlichen Kleidung, die sie angenommen hatte, Leontinen eben so ähnlich, wie diese einst ihr ähnlich gesehen hatte, als sie die glänzende Hoftracht annehmen mußte. Jedermann mußte gleich auf den ersten Blick beyde für Schwestern halten, und so fiel es keinem von den Hausgenossen ein, an der Verwandtschaft zweifeln zu wollen. Fremde betraten nur selten das einsame Haus, und es konnte Natalien nicht schwer werden, sich vor solchen verborgen zu halten.

Die ländliche Stille, der durch Convenienzen unverkümmerte Genuß der freyen Natur, wirkten gleich in den ersten Tagen unaussprechlich wohlthätig auf Nataliens Gemüth. Zum ersten Mahle lernte sie den stillen Frieden eines einfach ländlichen Lebens mit allen seinen Freuden kennen. Der Frühling hatte sich eben in seltener Pracht auf das Gebirge nieder gelassen; das Knospen der Bäume im Walde, das lustige Treiben der Vögel, die ihre Nester bauten, das fröhliche Summen der Bienen, sogar das Walten der geschäftigen Arbeiter in Garten und Feld, alles war Natalien neu und machte ihr Freude. In dem glänzenden Gewühl, in welchem sie von Jugend auf gelebt hatte, war ihr das alles fremd und ferne geblieben, aber die Fähigkeit, auch diese Freuden in sich aufzunehmen, ihr dennoch nicht genommen. Zwar war sie dem glänzenden Leben nicht abhold, in welchem sie stets mit Glück auftrat, aber sie fühlte jetzt doch, daß sie, unter Bedingungen, auch außer demselben glücklich seyn könne; und wenn der Abend in goldener Pracht auf den Bergen sich lagerte, beschlich sie zuweilen die Sehnsucht, einst in einem so schönen Thale in tiefer Einsamkeit mit ihrem Albert zu leben, und mit ihm glücklich zu seyn, so wie Rosen und Leontine es waren. Doch drückte auch manche Sorge ihr Herz. Seit sie die Residenz verlassen mußte, hatte sie nichts von Albert und ihrem Freunde Belcour vernommen, in ihrer jetzigen Lage durfte sie es nicht wagen, einem von Beyden zu schreiben, und sie erwartete mit Sehnsucht die Zeit, wo Rosen in der Residenz angelangt seyn würde, um dann mit Hülfe Leontinen's Nachricht von ihren Lieben einzuziehen.

»Da kommt Rosen! aber es ist nicht sein Pferd, und – Gott! er trägt den Arm in einer Binde!« rief Leontine, die an einem wunderschönen Abende mit Natalien in einer Gartenlaube saß, von der sie den Weg übersehen konnten, der, über die Berge, dem Hause sich zuwand.

Um das erste Wiedersehen der Gatten nicht zu stören, war Natalie in der Laube zuruck geblieben, während Leontine pfeilschnell dem Hause zuflog; doch auch ihr klopfte das Herz, denn der Wanderer hatte ihr ein Anderer zu seyn geschienen, als Rosen; indessen schalt sie ihre Phantasie kindisch und thöricht, und war im Begriffe, Leontinen zu folgen, als plötzlich Alberts Arme sie umfingen, und sie halb bewußtlos, im süßesten Erschrecken an seine Brust sank. Es währte lange, ehe Beyde die Sprache wieder fanden, dann aber wollte auch Albert gleich beginnen, sich und seinen Wahnsinn anzuklagen, Natalie aber ließ ihn nicht dazu kommen.

»Schweige, ich bitte dich, von der Vergangenheit,« sprach sie lächelnd unter Thränen, »laß uns nur der Gegenwart uns freuen, die so licht ist, wie der blaue Himmel über uns. Sage mir nicht, wie dies oder das gekommen sey, laß mir den lieben Wahn, dir etwas zu vergeben zu haben. Wenn ich dich ausreden ließe, käme wohl heraus, daß ich mit meiner Unbesonnenheit eigentlich die Schuldige bin, und das wäre mir gar nicht gelegen,« setzte sie mit der ihr eigenen Fröhlichkeit hinzu. »Sage mir lieber, warum du den Arm in der Binde trägst; ist das etwa ein Stück deiner Verkleidung? Denn nun ich dich recht betrachte, siehst du ja aus, wie ein junger Candidat, der seine erste Probepredigt halten will.«

Nataliens fröhliches Geschwätz verscheuchte alle Wolken von Alberts Stirne, aber er blieb dennoch dabey, daß er ihr erst alles sagen müsse, was er auf dem Herzen habe, ehe er zur vollkommenen Ruhe gelangen könne. »Ich kam,« sprach er, »um meinem treuen Freunde den kurzen Wahnsinn, der mich ergriffen hatte, und dessen Folgen zu bekennen; mein Schutzgeist sendet mir dich an seiner Stelle entgegen, und du darfst es mir nicht versagen, mich anzuhören. Ich hoffe, dich gefunden zu haben, um dich nie wieder zu verlieren, meine Natalie. Doch ehe du nicht alles weißt, habe ich nicht den Muth, von unserer Zukunft mit dir zu sprechen.«

Natalie ergab sich endlich darein, zu hören, wovor ihr heimlich bangte, und das erste, was er ihr gestand, war auch wirklich das, was sie vor allem gefürchtet hatte, hören zu müssen. Albert hatte bald nach jenem unglücklichen Zusammentreffen mit Belcour, diesen zum Zweykampfe gefordert, in Ausdrücken, welche es einem Manne von Ehre unmöglich machten, sich nicht zu stellen, selbst wenn Belcour sich dahin hätte bringen können, dieses zu wollen. Als Prinz hatte er dabey allen Vorrechten seines Standes entsagt, und auf den schlimmsten Fall für die Rettung seines Gegners großmüthig gesorgt. Sie trafen sich, wie unter ihnen verabredet worden war, hart an der Gränze, von keinem Secundanten begleitet. Albert ließ seinen Gegner zu Erläuterungen keine Zeit, die jener ihm geben zu wollen schien; so wie er ihn erblickte, bestand er darauf, sogleich zum Werke zu schreiten.

Beyde waren ganz allein; Belcour zeigte sich als ein sehr gewandter Fechter, der Prinz mochte ihm an Geschicklichkeit vielleicht nicht nachstehen, aber von Leidenschaft geblendet, drang er auf seinen Gegner ein, ohne dabey seine eigene Sicherheit gehörig zu berücksichtigen. Belcour benutzte keine der Blößen, die der Prinz ihm gab, er schien einzig darauf bedacht, sich gegen dessen Ausfälle zu vertheidigen; doch Albert ward immer hitziger, je mehr er gewahr wurde, daß Belcour ihn zu schonen suche, und dieser sah sich endlich genöthigt, ihm eine leichte Wunde am rechten Arm beyzubringen, um nur dem Kampf ein Ende zu machen. Albert wollte es versuchen, den Degen mit der linken Hand zu fassen, doch der heftige Blutverlust brachte ihn einer Ohnmacht nahe; er sank zu Boden, und Belcour hohlte sogleich alles zum Verbinden Nöthige aus seinem Oberrock herbey, und eilte ihm beyzustehen

»Ueberlassen sie sich mir ohne Sorge, gnädigster Herr,« sprach Belcour, indem er ihn verband »ich bin kein ganz ungeschickter Wundarzt, und führe kräftige Heilmittel aus meinem Vaterlande bey mir, die ihnen gewiß zur schnellen Heilung der ganz gefahrlosen Wunde verhelfen werden.«

Albert betrachtete indessen die edlen Züge von Belcours braunem Gesicht ganz in der Nähe, während sich dieser sorgsam um ihn beschäftigte, wie eine Mutter um ihr krankes Kind. Der heftige Blutverlust hatte die leidenschaftliche Bewegung, in welcher er sich Tage lang befunden, um vieles abgekühlt, er fing an, sich ihrer halb und halb zu schämen, je länger er Belcour ansah, und ganz andere Gedanken ganz andere Empfindungen stiegen in ihm auf, während er sich von seinem edlen Feinde einer nahen Bauernhütte langsam zuführen ließ, in welcher sein getreuer Kammerdiener ihn erwartete.

Sobald Albert sich genugsam dazu erhohlt hatte, bath Belcour den Prinzen sehr ernsthaft, ihm die Erlaubniß zu gewähren, von sich selbst sprechen zu dürfen, und wenn er ihn gehört habe, selbst zu entscheiden, ob ihr Zwist beendet sey, oder ob er sobald Albert geheilt seyn würde, von neuem wieder beginnen müsse.

»Lassen sie mich zuerst von meiner Leila zu ihnen sprechen, gnädigster Herr,« fing Belcour in sichtbarer Bewegung an, »von dem Wesen, dessen Leben an dem meinigen hängt, das mein ist durch die heiligsten Bande, das ich nie verlassen darf ohne den unmenschlichsten Verrath an der Natur selbst zu üben, denn Leila ist die Mutter meiner beyden Söhne. Ich nannte sie bis jetzt noch Keinem, weil ich nicht gewohnt bin, von allem, was meinem Herzen am nächsten liegt, viel zu sprechen, doch hier muß ich es, und wer so lieben kann, wie sie, der ist es auch werth, daß ich Leila ihm nenne. Wenn sie sähen, mein Prinz, wie ihr unschuldiges Gazellen-Auge den, in meiner Brust noch ungebornen Wunsch im Entstehen zu erspähen sucht, um ihm zuvor zu kommen! Sie ist voll Anmuth, schön, wie dort die dunkle Nelke, die am schlanken Stiele von jedem Lüftchen erzittert. Behüthe mich Gott, daß ich je mit rauhem Hauche das zarte Wesen verletze; ach, ich fürchte, ich habe der armen Leila nur schon zu wehe gethan!«

Belcour verbarg eine Weile sein Gesicht mit beyden Händen, dann hob er mit noch bewegterer Stimme wieder an:

»Leila ist die Tochter eines Braminen. Auf einem der Züge, die er durch das Land, nach alt hergebrachter Sitte, mit seinen Schülern zu unternehmen pflegte, kam der edle, silberweiße Greis auch unter die Palmen, die nahe am Hause meines Vaters ihr schützendes Dach weit umher verbreiten. Dort legte er sein ehrwürdiges Haupt zum Schlummer hin, und erwachte nicht wieder. Ich war noch ein Jüngling, ich fand die einsam verlassene Leila weinend neben ihrem entschlafenen Vater; dort gewann ich sie mir, und keine darf sie von meiner Seite, aus meinem Herzen sie verdrängen.«

»Als ein unruhiger Trieb nach Wissen mehr noch, als der Drang der Geschäfte, mich bewogen, nach Europa überzuschiffen, nahm ich Leila und meine beyden Knaben mit mir. In der gebildeten Welt, dachte ich, fließt der Quell aller Wissenschaft, aller Kunst; dort mit den Edelsten zu leben, muß ein Himmel seyn; dort werden auch meine Knaben zur höheren Entwickelung ihrer Kräfte gelangen, als ich in meiner Beschränktheit ihnen geben konnte; dort will ich ein Plätzchen finden, wo wir alle glücklich seyn werden. Ich landete in England, ich führte meine Leila in freudiger Erwartung zu meinen Verwandten, niemand wollte sie anerkennen. Die Frauen nannten es Unverschämtheit, daß ich es wage, ein solches Wesen in ihre Nähe zu bringen; die Männer riethen mir freundschaftlich, sie so schnell als möglich zurück nach Calcutta zu senden, und mir unter den Schönen, die sie mir vorführen wollten, eine schicklichere Gemahlinn zu wählen. Das gemeine Volk starrte meine Leila mit dummer Verwunderung an, und lachte über sie, weil sie braun ist, wie die Cocosnuß im Sonnenschein. Leila weinte, ihre Thränen fielen wie glühend Erz in meine Brust. Da alles mit Verachtung auf sie blickte, meynte sie, die Tochter eines Braminen, von diesen gebildeten Menschen zur untersten Classe der Parias hinab gestoßen zu seyn. Ich nahm sie und meine Söhne, und floh mit ihnen nach Hannover, zu Sara, meiner einzigen Schwester, die in jenem Lande als Witwe einsam auf ihren Gütern lebt. Sara ist, wie ich, in Calcutta geboren, doch von einer frühern Gattinn meines Vaters, einer Engländerinn. Schon im fünften Jahre mußte Sara mit ihrer Mutter nach England ziehen, weil diese das heiße Klima nicht ertragen zu können glaubte; doch das Bild ihres schönen Vaterlandes war der jungen Seele zu tief eingeprägt, um jemahls ganz zu erlöschen. Sara nahm meine Leila auf, wie ich von meiner Schwester es erwarten durfte; die arme, verschüchterte Taube mochte ihrem sichern Schutze sich nicht wieder entziehen sie blieb bey ihr mit den Kindern, während ich meine ferneren Wanderungen durch Europa antrat.«

»Ich fand nicht, was ich suchte, viel Wissen, viel Kunst, doch nirgend eine bleibende Stätte. Immer mußte ich jener schöneren Sonne, jener ewig blühenden Erde gedenken, bis ich Natalien fand, da war mir, als sey alles da, was ich bisher schmerzlich vermißte. Natalie ist arglos und gut, wie Leila, ihr Geist ist klar, wie die Sonne in meinem Vaterlande, ihr Wesen heiter und fröhlich; ach, sie ist schon, wie Leila war, da ich unter den Palmen sie fand, sie ist schöner noch, denn die arme braune Leila kann nicht erröthen, wie sie. Ihnen bekenne ich jetzt, was damahls mir selbst nicht deutlich war, ich war nahe daran, der armen Leila weniger zu gedenken, seit ich sie, die Königinn aller Anmuth, sah. Nur als ich in jener stürmischen entsetzlichen Stunde entdeckte, was sie ihr sind, nur als ich wußte, wie sie liebt und wen, seitdem erst bin auch ich mir wieder klar. Wie eine Himmelsblüthe, wie ein schöner Stern, steht Natalie hoch über mir und wird es ewig. Wie könnte ich daran denken, sie zu mir herabziehen zu wollen! Die Sterne, die begehrt man nicht, man freut sich ihrer Pracht; so hat sie selbst einst mir gesungen. Nur ihres Anblicks möchte ich immer mich erfreuen, und meine Leila sollte mit mir in ihrer beseligenden Nähe glücklich seyn. Und alles möchte ich thun, auch Natalie immer fröhlich zu sehen; denn die Freude steht ihr so gut, das weiß ich erst, seit es hieß, sie, mein Prinz, würden wieder heimkehren. Ich sah es damahls wohl, doch wußte ich nicht warum ihr Auge höher strahlte.«

Albert, tief bewegt und von Reue ergriffen, both schweigend Belcour die Hand, und der Abend fand die, welche am Morgen einander so feindlich gegenüber standen, auf das innigste mit einander vereint. Der Prinz machte seinen neuen Freund mit seinem Entschlusse bekannt, allen Rücksichten zu entsagen, Natalien öffentlich die Hand zu biethen, sobald sie mündig wäre, was in wenigen Monathen der Fall seyn würde, und dann mit ihr auf seinen Gütern zu leben, die glücklicher Weise in einem andern Gebiethe liegen. Belcour freute sich der, zu allen Opfern entschlossenen Liebe des jungen Prinzen, doch schien ihm der Ausführung dieses Plans sich Manches entgegen zu stellen. Er legte Alberten einen andern vor; unter Bedenklichkeiten, Ueberlegungen, Entschlüssen verging der Tag, Belcour eilte der Residenz wieder zu, um seine Abwesenheit nicht bemerkbar werden zu lassen, der Prinz mußte noch ein Paar Tage unter einem bürgerlichen Nahmen in der Bauernhütte verweilen, bis er Kräfte genug gesammelt hatte, um sich zu seinem Freunde Rosen zu begeben, an dessen Stelle ihm sein Glück Natalien entgegen führte

Mit immer steigender Theilnahme hatte Natalie den Prinzen angehört, so lange er von seiner Zusammenkunft mit Belcour sprach, doch als er nun zur Gestaltung ihrer beyder Zukunft übergehen wollte, da behauptete sie, daß vor allen Dingen der gegenwärtige Augenblick zu berücksichtigen sey. Leontine wurde mit zu Rathe gezogen, man bedachte, daß es höchst unvorsichtig seyn würde, wenn Albert, den Arm in der Binde, vor seinen Verwandten erscheinen wolle, und endlich ward beschlossen, daß der Prinz unter dem bürgerlichen Nahmen, unter welchem er das Haus betrat, in demselben verweilen solle, bis seine Wunde völlig geheilt sey. Leontine war mit diesem Entschlusse sehr zufrieden, denn Albert wußte sich so gegen sie zu benehmen, daß sie seinen eigentlichen Stand darüber völlig vergaß; sie fühlte sich gezwungen, ihm, wie Natalien, mit herzlicher Zutraulichkeit zu begegnen, und so gestaltete sich das Leben dieser Drey gar bald zu einer Art häuslicher Idylle, deren Neuheit für Albert und Natalie etwas unendlich Reizendes hatte. Beyde fühlten, als wären die Tage ihrer harmlosen Kindheit wiedergekehrt, und Leontine mit ihrer naiven Herzlichkeit erschien ihnen dabey wie ein freundlicher Spielgeselle aus jener Zeit; Albert meynte, Natalien nie schöner gesehen zu haben, als in der ganz schmucklosen ländlichen Kleidung, die sie jetzt trug; nie hatte Natalie so innig empfunden, was Albert ihr sey, und so lebten die Liebenden im seligsten Brautstande Tage lang ohne daß weiter ein Wort unter ihnen zur Sprache gekommen wäre, welches ihre Zukunft näher berührt hätte. Es war sogar, als ob beyde sich verabredet hätten, dieses so lange als möglich zu vermeiden, weil sie fürchteten, sie könnten ihr gegenwärtiges Glück über dem Bestreben verlieren, es fester begründen zu wollen, und wahrscheinlich hätten sie noch Monathe lang so hinleben können, wenn nicht ein Brief von Belcour den Prinzen aus seiner süßen Sorglosigkeit gewaltsam aufgerüttelt hätte.

Belcour benachrichtigte den Prinzen zuvörderst von Nataliens Flucht, und von seinen vergeblichen Bemühungen, sie wieder zu finden, und Albert schämte sich Anfangs nicht wenig, daß er den treuen Freund, der erst nach seiner Rückkehr von der Zusammenkunft mit ihm, Nataliens Verschwinden erfuhr, so lange in Sorgen gelassen habe. Doch als er weiter las, was Belcour von der empörenden Art ihm schrieb, mit der jetzt alle Zungen in der Residenz sich bemühten, Nataliens guten Nahmen auf das Unbarmherzigste zu zerreißen, da ergriff ihn ein so gränzenloser Zorn, daß er alles andere darüber vergaß.

»Niemand,« schrieb Belcour, »niemand, vom Höchsten bis zum Geringsten, weiß der giftigen Worte genug zu finden, um dieses engelreine Wesen zu lästern. Ein altes Mährchen wird wieder hervor gesucht, als ob Natalie schon früher wegen ganz unwürdigen Betragens ihrer Hofdamenstelle entsetzt worden wäre; Niemand zweifelt mehr an der Wahrheit desselben, und Hunderte beeifern sich, es mit unendlich empörenden Nebenumständen zu verbreiten. Daß Natalie zu niemand anders, als zu Ihnen, mein Prinz, geflohen sey, davon ist alle Welt so fest überzeugt, daß jeder für einen Thoren gehalten werden würde, der es nur wagen wollte, den kleinsten Zweifel dagegen aufzubringen. Man behauptet allgemein, sie lebe mit Ihnen in einem tief verborgenen Winkel, als – meine Hand weigert sich, alle die Unwürdigkeiten niederzuschreiben, welche diese Elenden sich gegen ein Wesen erlauben, das so hoch über ihnen steht. O wie sehne ich mich fort von diesen gebildeten Europäern, zu meinen Indianern zurück! Nataliens eigener Oheim, wahrscheinlich um seine, etwas ins Schwanken gerathene Hofgunst zu retten, steht an der Spitze ihrer wüthendsten Feinde; er nennt sie überlaut die Schande seines alten edeln Hauses, er schwört, sie nie wieder aufzunehmen, nie mehr als seine Verwandte anerkennen zu wollen. O hätten wir sie nur erst gefunden! Mein Schiff wird schon in Cuxhafen für die lange Seereise ausgerüstet, ich erwarte hier nur noch meine Schwester Sara, die sich entschlossen hat, mich und die Meinen nach unserem gemeinschaftlichen Vaterlande zu begleiten. Sara muß zu mir kommen, um mit mir unsere Europäischen Angelegenheiten zu ordnen, denn ich wanke und weiche nicht von hier, bis Natalie wieder gefunden ist. Dann aber, dann – was kann dieses dann nicht für Seligkeit in sich fassen, wenn Sie, wenn Natalie – ich will Sie nicht überreden, mein Prinz, aber ich beschwöre Sie, hierher zu eilen, wo in aller Hinsicht Ihre Gegenwart nöthiger ist, als je.«

Albert war nach Lesung dieses Briefes einige Augenblicke vernichtet, denn es fiel ihm schwer auf das Herz, mit welcher entsetzlichen Ironie der Zufall alles künstlich vorbereitet habe, um der frechsten Lüge den Schimmer der reinsten Wahrheit zu leihen. Er konnte es sich nicht verbergen, daß von nun an die Verleumdung Natalien überall hinfolgen werde, selbst an seiner Seite, denn gute Thaten werden schnell vergessen, doch böse Nachreden nie, und keine Macht auf Erden vermag dagegen zu schützen. Nur ein Ausweg war Alberten noch offen geblieben, um sich und Natalien zu retten, und mit dem festen Entschlusse, ihn zu ergreifen, suchte er endlich gefaßter sie selbst auf.

Natalie wurde bleich, als sie mit ungewohntem Ernst ihn in das Zimmer treten sah; sie fürchtete, er käme, ihr den Tag seiner Abreise zu nennen, dem sie schon längst mit Grauen entgegen sah, und sie war des ungestörten Beysammenlebens mit ihm zu gewohnt geworden, um anders, als mit Todesschmerzen davon zu scheiden. Seit sie in dieser ländlichen Einsamkeit lebte, war überhaupt in ihrem ganzen Wesen eine merkliche Veränderung vorgegangen; alles Fremde von ihr gewichen, das sonst ihr besseres Selbst zuweilen verhüllte; die Spannung hatte nachgelassen, in welche, während ihrer ehemahligen Verhältnisse, das an sich Unbedeutendste sie oft versetzte; milde Heiterkeit war an die Stelle jener, bisweilen fast wilden Lustigkeit getreten, mit der sie doch nur das tiefe Wehe in ihrer Brust zu übertäuben suchte. Durch alles dieses hatte sie an echter Liebenswürdigkeit gewonnen, sogar ihre Gestalt erschien verklärter, und ihr ganzes Wesen trug einen Ausdruck von Milde und Innigkeit, der ihr sonst nicht immer eigen gewesen war.

Mit sprachlosem Erstaunen hörte sie von Albert den Hauptinhalt von Belcours Schreiben an. Er fühlte, daß er sie hier nicht schonen durfte, daher sagte er ihr alles unumwunden, aber sein Herz blutete dabey, denn er sah auch, wie glühende Röthe ihr Gesicht und Hals überströmte, wie gerechter Zorn ihr Auge entflammte und endlich große Thränen in demselben aufstiegen, die sie kaum zurück zu halten vermochte.

»O daß ich so dich verwunden! daß ich um diesen Preis die Krone meines Lebens erkaufen muß!« rief Albert schmerzlich, indem er die Knie der Zitternden umfaßte.

Natalie zwang sich zu lächeln. »Frevle nicht so,« sprach sie, »wir behalten ja uns, was kümmern uns die Andern? Wir haben Belcour und Leontine und Rosen, die Treuen! wir sind ja überreich. Was sind jene Leute denn? Würden wir wohl nur eine Minute unsers Glücks hingeben, um die Gunst eines Einzelnen aus dem großen Haufen zu erwerben? und macht sie das zu mehr als sie einzeln sind, weil sie alle vereint gegen uns aufstanden? Selbst meinen Oheim nehme ich hier nicht aus; nicht mich hat er geliebt, nur den Nahmen seiner Ahnen, den auch ich trage. Er duldete mich in seinem Hause um dieses Nahmens willen, und glücklicher Weise hat das reiche Erbtheil meiner Aeltern, das nun bald ganz mein wird, mich davor bewahrt, Wohlthaten in seinem Sinn von ihm annehmen zu müssen. Er fahre hin mit allen Uebrigen! Dürfte ich nur von jenem glänzenden Nichts, das sie die große Welt nennen, nie wieder etwas sehen oder hören! Gewährte mir nur ein günstiges Geschick, mit dir, mein Albert, leben zu können, wie Rosen und Leontine leben, unbekannt, unbesprochen, unbeneidet, und doch so über alles neidenswerth in deiner Liebe!«

»Mein süßes Leben! mein theures liebes Herz, wie du mich entzückst!« rief Albert wonnetrunken. »Ja, alles soll werden, wie du sagst, weit schöner, weit herrlicher noch.« Er suchte sich zu fassen, um ihr ernst und eindringlich den Plan aus einander zu setzen, den Belcour, gleich nach dem Zweykampfe, ihm in der Bauernhütte schon vorgelegt hatte, und auf den dieser im Verfolg seines Schreibens wieder zurück gekommen war.

Albert sollte für jetzt nach der Residenz zurück gehen, bis Belcour im Begriffe seyn würde, abzureisen; dann sollte er zu Natalien zurück eilen, sich heimlich mit ihr trauen lassen, und mit ihr nach Cuxhafen fliehen, wo Belcours Schiff segelfertig lag, um sie alle nach Bengalen zu führen. Rosen sollte Vollmacht behalten, Alberts und Nataliens Vermögen zu Golde zu machen und ihnen nachzusenden. »Wir werden mit dem allen dort nicht reich seyn, meine Natalie! obgleich wir hier es wären,« setzte Albert hinzu, »aber doch wohlhabend genug, um keine Sorge zu fürchten, und was uns etwa noch mangeln sollte, werde ich unter Belcours Leitung uns erwerben. Du siehst, meine süße Braut, wir haben sogar die prosaische Seite unsers Plans überdacht und für alles gesorgt. Belcour lebt von Geschäften zurück gezogen, in einem Paradiese, wo man nicht mit der balsamischen Luft den Tod einathmet, wie in den Gegenden Indiens, in welchen die goldgierigen Europäer hausen. Er will uns in seiner Nähe eines seiner Landhäuser zur Wohnung einräumen. O Natalie! welch' ein Leben werden wir führen! Was bin ich hier? Ein Schatten, ein Schall. Ein Fürst ohne Land ist das traurigste aller Titularwesen; ich werfe diese Flittern, diese vergoldeten Fesseln von mir, und erringe mir dadurch ein zweyfach großes Glück, die Freyheit und dich!«

Natalie hörte diesem allen zu, wie sie in ihrer Kindheit einem Feenmährchen zuzuhören pflegte, und dabey in ihrem Innern sich betrübte, daß diese schöne Zauberzeit vergangen sey und sie dergleichen nicht mehr selbst erleben könne. Doch Alberts feurige Beredsamkeit zerstörte ihren Unglauben und überwältigte alle Einwendungen, die sie hätte aufbringen können. Fortgerissen von den Wonneträumen ihres Freundes, sank sie endlich in seine Arme, und überließ es ihm erröthend, über ihrer beyder Zukunft allein zu entscheiden und alles dazu Nöthige nach seinem eigenen Willen einzuleiten.

Albert riß in einem wahren Freudentaumel sich von Natalien los, um der Residenz zuzueilen, und mir Belcours Hülfe die nöthigen Vorkehrungen zu Ausführung des nun festgestellten Entschlusses zu treffen. Natalie blieb in dem stillen Hause zurück, und der Schmerz, der bey dieser, hoffentlich kurzen Trennung ihre Brust einengte, machte es ihr recht fühlbar, wie innig ihr Leben jetzt mit Alberts Leben verflochten sey. Nie hatte die Hoffnung, mit dem Geliebten auf immer vereint zu werden, ihr so nahe gestanden, und doch mußte sie gerade jetzt stets sich die Möglichkeit denken, daß er ihr dennoch entrissen werden könne. Ewig quälte sie sich mit der Frage: was denn aus ihr werden, wie sie es dennoch anfangen würde, um das Leben zu ertragen? doch ohne je eine genügende Antwort in ihrem Gemüth zu finden.

Leontinens lauter Jubel verkündigte Natalien nach wenigen Tagen Rosens, für jetzt noch ganz unerwartete Heimkehr, und auch Natalie eilte freudig, ihn zu bewillkommen; doch Rosen trat mit einem so innigen Ausdruck tiefer Wehmuth, schmerzlichen Mitleids auf sie zu, daß sie erbleichend vor ihm zurück schauderte. Kaum hörbar bath sie ihn, nur gleich ihr alles Traurige zu entdecken, was er mitbringe, und sie nur schnell der ihr peinlichsten Qual ungewissen Bangens vor einem unbekannten Unglück zu entreißen.

Rosen suchte lange nach Worten, er versicherte sie vor allem von Alberts Wohlseyn, den er unterwegs getroffen hatte, und begann dann erst, die unheilvollste Begebenheit ihr zu entdecken, deren wahrscheinlich traurigen Einfluß auf Nataliens Geschick er schon jetzt vorahnend empfand.

Seit Kurzem war in der Residenz ein höchst bösartiges Scharlachfieber ausgebrochen; kein Tag verging, an dem nicht trostlose Aeltern aus allen Ständen am Sterbebette ihrer Kinder jammernd verzweifelten, und beyde junge Prinzen, die Söhne von Alberts älterem Bruder, die herrlich erblühende Hoffnung des Landes, das seit Jahrhunderten gewohnt war, von diesem milden Herrscherstamme regiert zu werden, beyde waren unter den ersten Opfern, beyde sanken innerhalb weniger als vier und zwanzig Stunden in das Grab. Keine Vorstellungen der Aerzte, kein Flehen ihres verzweifelnden Gemahls, der mit unaussprechlicher Liebe an ihr hing, hatte die trostlose Mutter der armen Kleinen bewegen können, sie in der Todesnoth zu verlassen; Tag und Nacht lag sie über sie hingebeugt, und sank erst dann bewußtlos zusammen, als auch das letzte ihrer Kinder im Tode erstarrt war. Sie kehrte nie wieder zum hellen Bewußtseyn ihres ungeheuren Verlustes zurück; dieselbe Krankheit, an der ihre Kinder gestorben waren, brach sogleich unter den gefährlichsten Anzeigen bey ihr aus, und nach wenigen Tagen war auch sie nicht mehr.

Jede Hoffnung auf Erdenglück sank mit ihr dem verzweifelnden Gemahle in das Grab; in tiefer, an Geistesverwirrung gränzender Melancholie saß er von dieser Stunde an lautlos da, immer hörte er das letzte Aechzen des mit dem Tode kämpfenden Lebens seiner Lieben; in allem, was ihn umgab, sah seine ganz verwilderte Phantasie nur Särge und offene Gräber; das Leben schien ihm so gänzlich verloren, als er selbst dem Leben es war, und da er in diesem betrübten Zustande körperlich völlig gesund blieb, so mochte keiner der Aerzte es wagen, in geistiger Hinsicht eine Abänderung desselben zu versprechen.

Natalie hatte diese herzzerreißenden Nachrichten mit scheinbarer Fassung angehört, erst als sie alles wußte, verließen sie ihre Kräfte, und sie sank, von Todeskälte ergriffen, in halber Ohnmacht hin. Ihr erster Blick, als sie wieder zu einiger Besinnung kam, fiel auf eine fremde Dame, die sich nebst Leontinen beschäftigte, sie wieder ins Leben zu rufen. Natalie betrachtete mit starrem Blicke diese Gestalt, die ihr so lieb und bekannt und doch wieder so fremd erschien. »Sara! Belcours Schwester!« rief sie endlich, und sank unter einem Strome erleichternder Thränen in die Arme der Unbekannten, die Belcours edle Züge trug und ihm so vollkommen glich, wie die weiße Centifolie der dunkeln, die wir die schwarze Rose nennen. Es waren dieselben Züge, nur weicher, milder und an Farbe verschieden.

Wirklich war die Dame Belcours Schwester, die, nur von seinem ältesten Knaben begleitet, zu ihm gekommen war, kurz vorher, ehe die furchtbare Epidemie in der Residenz ausbrach, und alles in Furcht und Trauer versenkte. Zum Glücke war Belcour indessen mit dem Justizrath Rosen zufällig bekannt geworden, er hatte sich ihm als einen Freund des Prinzen Albert zu erkennen gegeben und dafür von ihm Nataliens sichern Aufenthalt erfahren. Beruhigt über diese, war der treue Freund nun fester als je entschlossen, die jetzt gewiß nahe Ankunft des Prinzen in der Residenz abzuwarten, doch Todesangst ergriff ihn, wenn er die Gefahr bedachte, in welcher sein geliebtes Kind jetzt hier indessen schwebte, wo jeder Athemzug mit dem Tode drohte. Rosen sah seine Sorge, er erboth sich, den Kleinen und Belcours Schwester sogleich zu Leontinen und Natalien zu bringen, wo die reine Bergluft seiner einsamen Wohnung das Kind vor jeder Gefahr der Ansteckung sicher stellte, und Belcour hatte voll dankbarer Freude diesen Vorschlag ergriffen und versprochen, späterhin seine Lieben in Rosens gastfreyer Wohnung selbst abzuholen.

Sobald nur Natalie von dem ersten heftigen Gefühl ihres Unglücks sich einiger Maßen erhohlt hatte, wirkte Sara's Gegenwart höchst beruhigend auf das Gemüth der tief Verwundeten. Sara war eine jener klaren kühlen Naturen, wie man unter den Englischen Frauen sie oft antrifft, die, bey gänzlichem Mangel an Phantasie, ein weiches fühlendes Herz mit der höchsten Reinheit aller Gedanken verbinden: ihre bloße Gegenwart wirkt gleich einem stillen klaren Lichte, und verfehlt daher nie, auf leidenschaftlich erregte Gemüther eine sichere Gewalt auszuüben. Sara fühlte sich gleich Anfangs zu Natalien gezogen, ohne doch weiter etwas von ihr zu wissen, als daß Belcour sie innigst verehrte. Sie hatte vom Leben zu viel gesehen um nicht zu ahnen, daß Nataliens Seelenleiden einen tiefern Ursprung haben müsse, als Mitleid mit dem Unglücke des fürstlichen Hauses, doch, ihrer Natur nach, war es ihr unmöglich, den eigentlichen Grund desselben zudringlich erforschen zu wollen. Sie begnügte sich damit, die arme Natalie so viel [als] möglich durch freundliche Unterhaltung von dem Gedanken daran abzuziehen, und so geschah es, daß sie ihr einmahl zufällig die Prinzessinn Isidore nannte, mit der sie früher genau bekannt gewesen war, und auch noch fortwährend in vertrautem Briefwechsel stand.

Natalie zeigte so viel Interesse daran, von dieser Prinzessinn mehr zu erfahren, daß Belcours Schwester sich dadurch bewegen fühlte, ein sehr ähnliches Miniaturbild derselben herbey zu hohlen, das sie vor Kurzem von ihr zum Geschenk erhalten hatte. Natalie erblickte die Gestalt eines Engels, der mit gemildertem Glanze vom Himmel sich herabgesenkt zu haben schien, die armen Sterblichen zu trösten; sie versank in Betrachtung der wundervollen Schönheit der ihrem Albert von den Seinen bestimmten Gemahlinn, während Sara sich sehr umständlich über die seltenen Eigenschaften des Geistes und Gemüthes der jungen Prinzessinn ausließ. Sie sprach von ihrer bescheidenen Anspruchslosigkeit bey so vielen innern und äußern Vorzügen, von ihrer Freude an Wohlthun, von ihrer vielseitigen Geistesbildung; doch von dem, was während dieses Gesprächs im Innern der armen Natalie vorgehen mochte, hatte dieses, von aller Leidenschaftlichkeit freye Wesen keine Ahnung. Sara war zufrieden, daß Natalie ihr gern zuzuhören schien, während sie fortsprach, ohne nur ein Auge von ihrer Stickerey aufzuschlagen, und als Natalie sie zuletzt mit bebender Stimme um die Erlaubniß bath, das Porträt der Prinzessinn in ihr Zimmer mitnehmen zu dürfen, so gewährte sie ihr dieses, wie sie auch jede andere Gefälligkeit ihr gewährt haben würde.

Von diesem Tage an ward Natalie immer stiller und stiller, aber auch immer freundlicher. Ein wehmüthiges Lächeln verklärte ihre Züge, so oft sie im kleinen häuslichen Kreise ihrer Freunde erschien, dem sie auf keine Weise auszuweichen sich bestrebte. Mit Sara suchte sie oft Gelegenheit allein zu seyn, wo sie dann immer das Gespräch so zu wenden wußte, daß diese ihr von der Prinzessinn Isidore erzählen mußte; ihre übrige Zeit brachte sie meistens in einem etwas abgelegenen Gartenhäuschen zu, welches Leontine der schönen Aussicht wegen gleich in den ersten Tagen ihr eingeräumt hatte. Albert schrieb an Natalien, so oft er dieses mit Sicherheit thun konnte; heiße Sehnsucht nach ihr athmete in jedem seiner Worte, doch auch er schien tief betrübt, und alle seine Briefe waren mit herzzerreißenden Klagen über den traurigen Zustand seines Bruders angefüllt, dessen tiefe Melancholie immer mehr in völlige unheilbare Geistesverwirrung überzugehen drohte.

Nach einigen so verlebten Wochen kam Belcour, seine Schwester und seinen Sohn abzuhohlen; er hatte lange nichts von sich hören lassen, und Sara fing schon an, seinetwegen in Unruhe zu gerathen. Sorge um Leila hatte ihn bewogen, den weiten Umweg über Sara's Güter zu nehmen, um sie, wenn auch nur auf Augenblicke, zu sehen, ehe er zu seiner Schwester sich begab. Er fand die zarte südliche Blume in Sehnsucht sich verzehrend, dem Welken nahe; auch sein jüngstes Kind litt augenscheinlich unter diesem nördlichen Himmelsstriche.

Als Belcour in ihr Zimmer trat, saß die arme Leila, in Trauerkleider nach ihrer Landessitte eingehüllt; ihr glänzend schwarzes Haar hing aufgelöst tief hinab, sie hielt ihr frierendes Kind am Busen festgedrückt, und sang leise mit unendlich rührender Stimme ein klagendes Lied aus ihrem Vaterlande. Belcours Anblick weckte sie aus ihrem Kummer, wie der frühe Morgenstrahl einen schwer und bange Träumenden erweckt. Keine Klage über seine lange Abwesenheit entschlüpfte ihrer Lippe, doch das nahmenlose Entzücken, mit dem sie ihm entgegen flog, der laute Jubel des Kleinen, der Freudentaumel, dem Mutter und Sohn mit aller Gluth südlicher Naturen sich lange überließen, ohne wieder zu sich selbst oder zu Athem kommen zu können, klagten Belcours Vergessen lauter und herzzerreißender an, als Worte es vermocht hätten.

Belcour fühlte mit tiefem Schmerz, was er durch Vernachlässigung hier angerichtet; sein Herz wallte auf in Reue und Mitleid; alle ehemahlige Liebe zu Leila, zu seinen Kindern erwachte, und er gelobte sich selbst, diese theuern Wesen nie wieder zu versäumen, noch zu vergessen. Noch einmahl mußte er von Leila sich trennen, aber er that es nur unter dem heiligsten Versprechen, bald wiederzukehren und dann sich mit ihr zu der weiten Reise in das geliebte Vaterland einzuschiffen, um sie in Zukunft nie wieder zu verlassen.

Belcours und Nataliens Wiedersehen glich der stillen Todtenfeyer um ein, einst heißgeliebtes Wesen, und Beyde saßen, in tiefe Wehmuth versenkt, lange schweigend neben einander. Belcour hatte längst eingesehen, daß höhere Pflichten es Alberten jetzt nicht mehr erlaubten, sich nach Bengalen zu flüchten; er theilte nicht die Illusion des Prinzen, welche diesem vorspiegelte, er könne im nächstkommenden Jahre mit Natalien dennoch ihm dorthin folgen; es war Belcour unmöglich, dieses Natalien zu verschweigen, und er brach endlich in laute Klagen darüber aus.

»Lassen sie die Zeit entscheiden,« erwiederte Natalie wehmüthig lächelnd, »wir alle sind ja nur das Kind des Augenblicks; unser kurzes Leben ist seiner Gewalt übergeben, und alle Versuche, unser künftiges Geschick im Voraus bestimmen zu wollen, sind ein trauriges vergebliches Wagniß, das sich selbst oft fürchterlich an uns rächt.«

»Daß ich von nun an nie wieder sie sehen soll, Natalie,« rief Belcour, ist der größte Schmerz meines Lebens, aber daß ich hier, in diesem Europa, sie lassen muß, in diesem Lande, das nach allem, was ich in den letzten Tagen sah und hörte, wie ein Gefängniß voll giftiger Molche mir erscheint, das wird mich noch zur Verzweiflung bringen! Du hlmmlisch reines Wesen, wie wird es dir ergehen unter diesen Larven voll Tugend und Verrath!«

»Und gehöre ich denn nicht auch diesem Lande an?« sprach Natalie; »und Albert und so viele Treffliche, die hoch über uns Beyde stehen, in Allem was den Menschen der Gottheit näher bringt?« Wie sonst in glücklichern Tagen fuhr sie fort, die leidenschaftliche Ungerechtigkeit ihres trostlosen Freundes auf ihre anmuthige Weise zu schelten. Belcour vertheidigte sich nur mit dem Schmerze, sie verlieren zu müssen; er war von diesem so durchdrungen, daß er den ganzen Tag über von nichts anderm reden konnte; doch in seinem ganzen Wesen lag dabey so wenig von dem eines leidenschaftlich Lebenden, es trug vielmehr das Gepräge eines um ein heiß geliebtes Kind ängstlich besorgten Vaters. daß Natalie ihn selbst in Alberts Beyseyn hätte gern anhören mögen. Noch in der nähmlichen Nacht reiste er mit Sara in aller Stille ab, weil er nicht den Muth hatte, Natalien das letzte Lebewohl zu sagen. Leontine brachte ihr am folgenden Morgen diese Nachricht: Natalie hörte sie erbleichend, und ging still in ihr Zimmer zurück, ohne ein Wort darauf zu erwiedern.

Bald darauf langte Albert an, und Natalie stürzte mit einem Schrey schmerzlicher Freude ihm in die Arme.

»Nun habe sich dich! Nun halte ich dich auf immer, meine hoch geliebte Braut!« rief Albert; »du legtest unsere Zukunft in meine Hände, nie sollst du dieses bereuen, meine Natalie, alles ist vorbereitet. Morgen vereinigt ein Geistlicher in der kleinen Wald-Capelle uns durch den Segen der Kirche. Uebermorgen muß ich freylich wieder zu den Meinen zurück, die jetzt meiner noch nicht entbehren können. Sie sind sehr unglücklich, meine Natalie! darum vergib ihnen; vergib ihnen, was sie uns gethan haben, und vielleicht noch versuchen werden, uns zu thun. Nur versuchen, denn von morgen an bist du mein geliebtes Weib, das ich beschützen kann und darf.«

Natalie zerfloß in Thränen, und vermochte nicht zu antworten. »Weine nicht so, meine Natalie, meine Braut, mein süßes, geliebtes Leben, weine nicht so,« bath Albert. »Du bist ja mein, und nichts kann das Band trennen, das uns vereinen wird, wenn es gleich, wie du vielleicht ahnest, noch eine kleine Weile geheim gehalten werden muß. Meine Verwandten bedürfen einstweilen noch einiger Schonung, denn der Zustand meines armen Bruders ist entsetzlich. Doch Gott kann und wird dieses wenden, und würde auch diese Hoffnung zu Schanden, dennoch bin ich entschlossen, bald, recht bald unserem edlen Freunde in sein Paradies zu folgen. Von dort mag mein Volk einst mich abrufen, wenn es so käme, daß ich den Fürstenstuhl meiner Ahnherren besteigen müßte; doch hoch und theuer sey es beschworen, ich kehre nur an deiner Hand zurück, oder bleibe, wenn sie dich nicht als ihre Fürstinn anerkennen wollten, in der glücklichen Freystätte, welche die Freundschaft uns biethet, bis an das Ende meiner Tage mit dir.«

»Nur heute erwähne der Zukunft nicht!« rief mit einer Art Aengstlichkeit Natalie: »nur heute schenke mir, nur diesen einzigen Tag laß alles seyn, wie es sonst war. Morgen! morgen!« Albert sah sie tieferschüttert, in unnatürlicher Spannung, er fühlte wohl, was sie alles in dieser Zeit gelitten haben mußte, und gewährte gern, was sie verlangte.

Natalie erhohlte sich sichtbar, und von nun an schien es, als ob sie ihr ganzes Leben mit allen seinen schmerzlichen Wonnen und freudigen Schmerzen in dem kurzen Raume dieses einzigen Tages noch einmahl mit ihm durchleben wolle; alle Scherze und Spiele, die Jugendliebe und Phantasie ihnen beyden jemahls eingaben, rief sie wieder zurück; sie entfaltete den ganzen Reichthum ihres Gemüthes und Geistes vor seinen entzückten Blicken, und der Schleyer süßer Wehmuth, der bisweilen ihr schönes Auge umdüsterte, gab ihr einen neuen unwiderstehlichen Reiz.

Endlich war es Abend geworden; die Nacht brach herein; Rosen und Leontine saßen mit Albert und Natalien im traulichsten Vereine. Da ward Natalie immer ernster und bleicher, doch suchte sie das Gespräch noch aufrecht zu halten, bis es Mitternacht war. Ihr ganzes Wesen veränderte sich plötzlich, als sie den Schlag der Uhr im Schloßthurm vernahm; sie stand und trat dicht vor Albert hin, Todtenblässe deckte ihr Gesicht, aber ihr Auge strahlte in Himmelsglanz; sie schien größer als sonst, und ihr ganzes Ansehen war das einer Verklärten. Grabesstille herrschte im Zimmer, Rosen und Leontine schienen endlich aufstehen und sich entfernen zu wollen, doch ein Blick von Natalien hielt sie fest.

»Heute ist dahin, es ist Morgen!« sprach kaum hörbar Natalie, athmete schwer aus tiefster Brust, und ergriff Alberts beyde Hände. Große Thränen rollten einzeln aus den gen Himmel gehobenen Augen über das regungslose bleiche Gesicht, ohne daß sie es zu bemerken schien.

»Albert,« sprach sie erhebend, »mein Albert, Dank dir für deine treue Liebe, für alles Gluck meiner seligen Jugendzeit, und auch für diesen letzten Tag, den du mir heute schenktest, für diesen Tag, an dem ich noch ein Mahl, zum letzten Mahle, glücklich seyn wollte. Waffne dich mit Muth, wir scheiden jetzt für dieses Leben, weil wir müssen, weil höhere, weil die höchste, ernsteste Pflicht von meiner Seite dich abruft. Ich darf deine Gattinn nicht werden.«

Albert umklammerte sie mit einem Schreckensschrey, wie nur der furchtbarste Schmerz einer gemarterten Brust ihn auspressen kann. Seine Blicke wurden wild, er hielt sie fest, mit fast übermenschlicher Kraft, als drohe eine äußere Gewalt sie ihm zu entreißen.

»Nicht so,« sprach Natalie sehr sanft, »o nicht so, mein Geliebter, laß uns scheiden! Mache nicht, daß ich zu schmerzlich bereuen muß, daß ich nicht ging ohne Abschied von dir, wie ich es erst mir dachte. Seit jenem Momente, in dem ich das Unglück deines Hauses erfuhr, kämpfe ich den schweren Kampf mit – o mein Gott – ich gehe siegreich hervor, doch blutend aus tausend tiefen Herzenswunden.«

Die Stimme versagte ihr, Thränen überströmten ihr Gesicht; Albert lag wie vernichtet in den Armen seines Freundes, und Leontine schluchzte laut, als drohe das Herz ihr zu brechen.

Natalie ermannte sich wieder. »Du bist zum Herrscher über dein Land berufen; Gott legte die schönste, aber schwerste Pflicht dir auf; du darfst hinfort nur ihr allein leben,« sprach sie feyerlich ernst. »Du darfst nur eine Gemahlinn deines Standes dir wählen, die arme Natalie ist es nicht. Nie kann ich den Thron mit dir theilen, erspare mir, dir aufzuzählen, was alles unüberwindlich zwischen mir und dir sich gestellt hat.«

»Natalie, edles geliebtes Wesen, du Leben meines Lebens, meine geliebte mir verlobte Braut,« rief Albert und riß mit verzweifelndem Ungestüme sie wieder an seine Brust, »willst du, daß ich wie mein Bruder in Wahnsinn und Verzweiflung untergehe? Sterben kann ich für mein Vaterland, doch ohne dich leben kann ich nicht. Auch du kannst es nicht ohne mich, dein edler Muth reißt zum eigenen Untergange dich hin. Du weißt nicht, was du thun willst, nur Einen Tag, Einen Tag der ruhigen Ueberlegung schenke uns. Jetzt flehe ich wie du gestern, viel heißer, in Todesangst bitte ich: nur Einen Tag noch. Morgen, morgen!«

»Morgen!« wiederhohlte Natalie mit schwacher tonloser Stimme, drückte noch ein Mahl ihn ans Herz, hielt lange, lange sprachlos ihn fest, ehe sie ans seinen Armen sich wand, schritt dann festen Schrittes der Thüre zu, blickte noch ein Mahl ihn an, bewegte noch ein Mahl die Hand gegen ihn hin, und war verschwunden.

Rosen verhinderte den Prinzen, ihr zu folgen; blieb die ganze Nacht ihm zur Seite, die dieser im furchtbarsten Kampfe durchwachte, bis gegen Morgen seine Kräfte schwanden und er in ruhelosen Schlummer hin sank. Als Albert erwachte, war Natalie abgereiset, die treue Leontine hatte es sich nicht nehmen lassen, sie bis an den ersten Ort ihrer Bestimmung zu begleiten. Alberts Zustand, als er diese Nachricht vernahm, war furchtbar.

Natalie hatte einen Brief an Albert zurück gelassen, den sie mehrere Tage zuvor mit großer Fassung geschrieben. Alles, was ihrer Vereinigung mit dem künftigen Erben eines Thrones sich unüberwindlich entgegen stellte, hatte sie so klar ihm in diesem Schreiben aus einander gesetzt, daß Albert, wenn gleich unter Todesschmerzen, sich endlich darein ergeben mußte. Sie fügte am Ende noch die rührende Bitte hinzu, sie als eine Gestorbene ein Jahr lang in seinem Herzen zu betrauern, und dann um die Prinzessinn Isidore zu werben. Eine von ihrer eigenen Hand gemahlte treue Copie des Gemähldes dieser Prinzessinn war dem Briefe beygefugt. Sie schloß den Brief mit dem Versprechen, den Schmerz nie zum Geschäfte ihres Lebens machen zu wollen, und beschwor ihren Albert, ihrem Beyspiel zu folgen, und des vergangenen Glücks nur wie eines schönen Jugendtraumes zu gedenken, dessen Erfüllung einem höheren Daseyn vorbehalten sey.

Natalie traf ihren Freund Belcour nebst den Seinigen in Cuxhaven an, wo sie auf günstiges Wetter warten mußten, ehe sie die lange Seereise antreten konnten. Der frohe und schmerzliche Empfang, der ihr ward, läßt sich leichter fühlen als beschreiben.

Eine schmerzliche Freude, die auf ihr ganzes künftiges Leben Einfluß hatte, ward Natalien noch, ehe sie Europa verließ. Als Belcour noch hoffte, daß Albert mit Natalien vereint, ihn in sein geliebtes schönes Vaterland begleiten würde, war der Gedanke in ihm aufgestiegen, sich einen geschickten, menschenfreundlichen Arzt für sie und die Seinen zu gewinnen. Um Natalien freudig zu überraschen, hatte er an den Leibarzt, den sie ihm oft gerühmt, sich schriftlich gewendet. Die Vorschläge, die er ihm that, waren sehr glänzend, und der Arzt, des Lebens an seinem Hofe längst müde, faßte bald den Entschluß, diesem zu entsagen, und sein Heil in einem andern Welttheile zu versuchen. »O mein warnender Freund! wie wahr hat ihr prophetischer Geist einst zu nmi gesprochen,« rief Natalie unter Thränen, so wie sie ihn erblickte.

Am folgenden Tag war der Wind günstig, und blieb es; alle schifften sich ein unter dem lauten Jubel Leila's und der Kinder. Belcour und Natalie waren still und ernst. Nach mehreren Monathen leuchtete in bezauberndem Glanz die neue Welt Natalien entgegen, welche sie zum Wohnplatz sich erkoren hatte. Dort lebt sie; ihre Juqendlust ist verschwunden, aber das Bewußtseyn, das Rechte erwählt zu haben, gibt ihr ruhige Heiterkeit. Der Arzt steht mit seinem heitern Ernste tröstend, wie das Schattenbild ihres entschwundenen Glücks, ihr zur Seite; die im Vaterlande wieder erblühende Leila hängt mit kindlicher Ergebenheit an ihr, und Belcour verehrt sie, gleich einem höhern Wesen, dessen Nähe der Segen seiner Tage ist. Ihr Geschick gleicht dem einer jungen Braut, die in der höchsten Blüthe des Lebens früh zu einem bessern Daseyn überging, ohne den lebendigen Strom des Gefühls, dem sie ewige Dauer zutraute, in den alles verschlingenden Sumpf der Gewohnheit langsam und trübe versiegen sehen zu müssen.

Nach Jahresfrist erfüllte Prinz Albert den Wunsch Nataliens und seines Landes, indem er mit der Prinzessinn Isidore sich vermählte. Schon früher waren manche sehr entstellte Gerüchte über ihn und Natalien bis zu der jungen Fürstinn vorgedrungen; doch ein Brief von ihrer Freundinn Sara machte mit der wahren Geschichte dieser Liebe sie bekannt, und erfüllte sie mit Bewunderung des Heldenmuthes dieses edlen Wesens. Sie nannte in der Folge zuerst Nataliens Nahmen ihrem Gemahle auf eine Weise, die seinen innigsten Dank ihr erwarb.

Noch immer wird Nataliens Angedenken von dem jungen fürstlichen Paare heilig gehalten, und Albert weiht ihm manche einsame Stunde, die ihm nie durch eifersüchtiges Bewachen von Seiten seiner Gemahlinn verkümmert wird. Der alte Fürst ist indessen entschlafen; Alberts unglücklicher, in unheilbare Schwermuth versunkener Bruder hat sich ein Kloster zum letzten Asyl seines verlöschenden Lebens erwählt, und Prinz Albert verwaltet schon jetzt, als anerkannter Erbprinz zum Heil seiner Unterthanen die Regierung des Landes, dessen Zepter der jetzt regierende, in Unmuth und Kränklichkeit langsam vergehende Fürst nur dem Nahmen nach führt.

 

Ende.

 


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