Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Theil

Metaphysik der Sitten

Die Philosophie kann nirgends mehr thun, als das Vorhandene deuten und erklären, das Wesen der Welt, welches in concreto d.h. als Gefühl Jedem verständlich sich ausspricht, zur deutlichen abstrakten Erkenntniß der Vernunft bringen, und dieses in jeder Beziehung und von jedem Gesichtspunkt aus. Auf diese Weise wird jetzt das Handeln des Menschen der Gegenstand unsrer Betrachtung, und wir werden finden, daß es wohl nicht nur nach subjektivem, sondern auch nach objektivem Urtheil der wichtigste von allen ist. Ich werde dabei auf das bisher Vorgetragene mich als Voraussetzung stützen; ja eigentlich nur die eine Erkenntniß, welche das Ganze der Philosophie ist, jetzt an diesem Gegenstande entfalten, wie bisher an andern.

Eingang des letzten Kapitels: von der Verneinung des Willens zum Leben, oder von der Entsagung und Heiligkeit.

Wir sind mit der Betrachtung der ethischen Bedeutung des Handelns jetzt eigentlich zu Ende. Das Wesen von Recht, Unrecht, Tugend, Laster, ist erklärt und ausgelegt in Folge unserer Metaphysik der Natur. Ich könnte insofern meinen Vortrag hier beschließen. Allein ich habe noch ein Kapitel abzuhandeln über einen Gegenstand, den die Philosophen sonst nie mit in ihre Betrachtung gezogen haben, die Resignation. Ich habe über diesen Punkt viele Widersprüche hören müssen, und sage es Ihnen, damit Ihr Urtheil um so freier bleibe, mir beizustimmen, oder nicht. Von meiner Weltansicht ist jedoch dies Kapitel von der Resignation ein sehr wesentlicher Theil. Denn das Wesen der Resignation ist Verneinung des Willens zum Leben, also die Antithese der früher dargestellten Bejahung des Willens zum Leben. Durch diese Betrachtung der Verneinung des Willens zum Leben allein wird das Ganze meiner Philosophie abgeschlossen, indem dadurch allein das Daseyn der Welt als relativ erscheint, nämlich als völlig abhängig vom ewig freien Willen, der eben sowohl, als er die Welt wollen kann, sie auch nicht wollen kann. Die Welt ist uns eben nur die Darstellung, das Abbild des Willens zum Leben, durch welches Abbild er sich selbst erkennt, sein eigenes Wesen ihm als Vorstellung gegeben wird. Wir haben daher zu betrachten, welche Rückwirkung auf den Willen selbst diese Erkenntniß haben kann, wodurch wir erst ein Ziel, einen Zweck der erscheinenden Welt erkennen. – Wir haben ferner das Daseyn als dem Leiden wesentlich verknüpft erkannt: natürlich erhebt sich die Frage, ob wir denn diesem leidenden Daseyn durch ein unwiderrufliches Fatum auf ewig anheimgefallen sind, oder ob es eine Erlösung davon giebt; denn daß der Tod nicht aus der Welt herausführt, ist gezeigt, so wenig als die Geburt eigentlich hineinführt: nur unsre Erscheinung hat Anfang und Ende, nicht unser Wesen an sich.

Ueber dieses Alles nun giebt dies letzte Kapitel einen Aufschluß und ist sonach der Schlußstein des Ganzen. Ihre Beistimmung bleibt frei. Immer aber bemerken Sie ein für allemal, daß alle meine ethische Betrachtungen nie die Form des Gesetzes oder der Vorschrift haben, ich nie sage, man soll dies thun und jenes nicht: sondern ich immer nur mich theoretisch verhalte und das Thun jeder Art auslege, deute, was im Innern dabei vorgeht darlege in Begriffen. Unsere bisherige ethische Betrachtung über Recht, Unrecht, Tugend, Laster, nahm ihren Hauptlehrsatz aus der Metaphysik der Natur, wo uns die Einheit des Dinges an sich bei der Vielheit seiner Erscheinungen gewiß geworden war. In diesem letzten Kapitel von der Resignation oder Willenslosigkeit berücksichtige ich mehr den dritten Theil, die Metaphysik des Schönen, insofern nämlich wir schon dort, in der ästhetischen Anschauung, welche die Erkenntniß der Ideen ist, schon einen Zustand des willenslosen Erkennens gefunden haben, also einen Zustand, in welchem wir dasind, ohne zu wollen, eine Willenslosigkeit für den Augenblick. Also zur Sache.

 

Schluß des letzten Kapitels

Die Dunkelheit welche über unser Daseyn verbreitet ist, in deren Gefühl Lukrez ausruft

Qualibus in tenebris vitae, quantisque periclis
Degitur hocc' aevi quodcumque est!

diese Dunkelheit, die eben das Bedürfniß der Philosophie herbeiführt und deren sich philosophische Geister in einzelnen Augenblicken mit einer solchen Lebhaftigkeit bewußt werden, daß sie den Andern als beinahe wahnsinnig erscheinen können: diese Dunkelheit des Lebens also muß man nicht daraus zu erklären suchen, daß wir von einem ursprünglichen Licht abgeschnitten wären, oder unser Gesichtskreis durch irgend ein äusseres Hinderniß beschränkt wäre, oder die Kraft unsers Geistes der Grösse des Objekts nicht angemessen wäre; durch welche Erklärungen alle, jene Dunkelheit nur relativ wäre, nur in Beziehung auf uns und unsre Erkenntnißweise vorhanden. Nein, sie ist absolut und ursprünglich: sie ist daraus erklärlich, daß das innre und ursprüngliche Wesen der Welt nicht Erkenntniß ist, sondern allem Wille, ein Erkenntnißloses. Die Erkenntniß überhaupt ist sekundären Ursprungs, ist ein Accidentelles und Aeusseres. Darum ist nicht jene Finsterniß ein zufällig beschatteter Fleck mitten in der Region des Lichtes; sondern die Erkenntniß ist ein Licht mitten in der grenzenlosen ursprünglichen Finsterniß, in welche sie sich verliert. Daher wird diese Finsterniß desto fühlbarer, je grösser das Licht ist, weil es an desto mehr Punkten die Gränze der Finsterniß berührt: ich will sagen, je intelligenter ein Mensch ist, desto mehr empfindet er, welche Dunkelheit ihn umfängt und wird eben dadurch Philosophisch angeregt. Hingegen der Stumpfe und ganz Gewöhnliche weiß gar nicht, von welcher Dunkelheit eigentlich die Rede ist: er findet Alles ganz natürlich: daher ist sein Bedürfniß nicht Philosophie, sondern nur historische Notiz davon, Geschichte der Philosophie.


 << zurück weiter >>