Arthur Schopenhauer
Aphorismen
Arthur Schopenhauer

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Kapitel IV

Von dem, was einer vorstellt

Dieses, also unser Dasein in der Meinung anderer, wird, infolge einer besonderen Schwäche unserer Natur, durchgängig viel zu hoch angeschlagen; obgleich schon die leichteste Besinnung lehren könnte, daß es, an sich selbst, für unser Glück, unwesentlich ist. Es ist demnach kaum, erklärlich, wie sehr jeder Mensch sich innerlich freut, so oft er Zeichen der günstigen Meinung anderer merkt und seiner Eitelkeit irgendwie geschmeichelt wird. So unausbleiblich wie die Katze spinnt, wenn man sie streichelt, malt süße Wonne sich auf das Gesicht des Menschen, den man lobt, und zwar in dem Felde seiner Prätension, sei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft trösten ihn, über reales Unglück oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hierher abgehandelten Hauptquellen unseres Glücks fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, ist es zum Erstaunen, wie sehr jede Verletzung seines Ehrgeizes, in irgendeinem Sinne, Grad oder Verhältnis, jede Geringschätzung, Zurücksetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief schmerzt. Sofern auf dieser Eigenschaft das Gefühl der Ehre beruht, mag sie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von ersprießlichen Folgen sein; aber auf das eigene Glück des Menschen, zunächst auf die diesem so wesentliche Gemütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt sie mehr störend und nachteilig, als förderlich ein. Daher ist es, von unserm Gesichtspunkt aus, ratsam, ihr Schranken zu setzen und, mittelst gehöriger Überlegung und richtiger Abschätzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichst zu mäßigen, sowohl da, wo ihr geschmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geschieht: denn beides hängt am selben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und fremden Bedünkens.

Demnach wird eine richtige Abschätzung des Wertes dessen, was man in und für sich selbst ist, gegen das, was man bloß in den Augen anderer ist, zu unserm Glücke viel beitragen. Zum ersteren gehört die ganze Ausfüllung der Zeit unsers eigenen Daseins, der innere Gehalt desselben, mithin alle die Güter, welche unter den Titeln »Was Einer ist« und »Was Einer hat« von uns in Betracht genommen worden sind. Denn der Ort, in welchem alles dieses seine Wirkungssphäre hat, ist das eigene Bewußtsein. Hingegen ist der Ort dessen, was wir für andere sind, das fremde Bewußtsein: es ist die Vorstellung, unter welcher wir darin erscheinen, nebst den Begriffen, die auf diese angewandt werden. Die höchsten Stände in ihrem Glänze, in ihrer Pracht und Prunk und Herrlichkeit und Repräsentation jeder Art können sagen: unser Glück liegt ganz außerhalb unseres Selbst: sein Ort sind die Köpfe anderer. Dies nun ist etwas, das unmittelbar gar nicht für uns vorhanden ist, sondern bloß mittelbar, nämlich sofern das Betragen der andern gegen uns dadurch bestimmt wird. Und auch dieses selbst kommt eigentlich nur in Betracht, sofern es Einfluß hat auf irgend etwas, wodurch das, was wir in und für uns selbst sind, modifiziert werden kann. Außerdem ist ja, was in einem fremden Bewußtsein vorgeht, als solches, für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählich gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Oberflächlichkeit und Futilität der Gedanken, von der Beschränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Gesinnung, von der Verkehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der Irrtümer in den allermeisten Köpfen eine hinlängliche Kenntnis erlangen und dazu aus eigener Erfahrung lernen, mit welcher Geringschätzung eigentlich von jedem geredet wird, sobald man ihn nicht zu fürchten hat oder glaubt, es komme ihm nicht zu Ohren; insbesondere aber nachdem wir einmal angehört haben, wie vom größten Manne ein halbes Dutzend Schafsköpfe mit Wegwerfung spricht. Wir werden dann einsehen, daß wer auf die Meinung der Menschen einen großen Wert legt, ihnen zuviel Ehre erzeigt.

Jedenfalls ist der auf eine kümmerliche Ressource hingewiesen, der sein Glück nicht in den beiden, bereits abgehandelten Klassen von Gütern findet, sondern es in dieser dritten suchen muß, also nicht in dem, was er wirklich, sondern in dem, was er in der fremden Vorstellung ist. Denn überhaupt ist die Basis unseres Wesens und folglich auch unseres Glückes unsere animalische Natur. Daher ist für unsere Wohlfahrt Gesundheit das Wesentlichste, nächst dieser aber die Mittel zu unserer Erhaltung, also ein sorgenfreies Auskommen. Ehre, Glanz, Rang, Ruhm, soviel Wert auch mancher darauf legen mag, können mit jenen wesentlichen Gütern nicht kompetieren, noch sie ersetzen: vielmehr würden sie erforderlichenfalls unbedenklich für jene hingegeben werden. Dieserwegen wird es zu unserm Glücke beitragen, wenn wir beizeiten die simple Einsicht erlangen, daß jeder zunächst und wirklich in seiner eigenen Haut lebt, nicht aber in der Meinung anderer, und daß demnach unser realer und persönlicher Zustand, wie er durch Gesundheit, Temperament, Fähigkeiten, Einkommen, Weib, Kind, Freunde, Wohnort usw. bestimmt wird, für unser Glück hundertmal wichtiger ist, als was es andern beliebt aus uns zu machen. Der entgegengesetzte Wahn macht unglücklich. Wird mit Emphase ausgerufen, »über's Leben geht noch die Ehre«, so besagt dies eigentlich: »Dasein und Wohlsein sind nichts; sondern was die andern von uns denken, das ist die Sache«. Allenfalls kann der Ausspruch als eine Hyperbel gelten, der die prosaische Wahrheit zugrunde liegt, daß zu unserm Fortkommen und Bestehen unter Menschen die Ehre, d.h. die Meinung derselben von uns, oft unumgänglich nötig ist; worauf ich weiterhin zurückkommen werde. Wenn man hingegen sieht, wie fast alles, wonach Menschen ihr Leben lang, mit rastloser Anstrengung und unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten unermüdlich streben, zum letzten Zwecke hat, sich dadurch in der Meinung anderer zu erhöhen, indem nämlich nicht nur Ämter, Titel und Orden, sondern auch Reichtum und selbst Wissenschaft und Kunst im Grunde und hauptsächlich deshalb angestrebt werden und der größere Respekt anderer das letzte Ziel ist, darauf nun hinarbeitet; so beweist dies leider nur die Größe der menschlichen Torheit. Vielzuviel Wert auf die Meinung anderer zu legen, ist ein allgemein herrschender Irrwahn: mag er nun in unserer Natur selbst wurzeln, oder infolge der Gesellschaft und Zivilisation entstanden sein; jedenfalls übt er auf unser gesamtes Tun und Lassen einen ganz übermäßigen und unserm Glücke feindlichen Einfluß aus, den wir verfolgen können von da an, wo er sich in der ängstlichen und sklavischen Rücksicht auf das qu'en diva-t-on zeigt, bis dahin, wo er den Dolch des Virginius in das Herz seiner Tochter stößt, oder den Menschen verleitet, für den Nachruhm, Ruhe, Reichtum und Gesundheit, ja, das Leben zu opfern. Dieser Wahn bietet allerdings dem, der die Menschen zu beherrschen oder sonst zu lenken hat, eine bequeme Handhabe dar, weshalb in jeder Art von Menschendressierungskunst die Weisung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu schärfen, eine Hauptstelle einnimmt: aber in Hinsicht auf das eigene Glück des Menschen, welches hier unsere Absicht ist, verhält die Sache sich ganz anders und ist vielmehr davon abzumahnen, daß man nicht zuviel Wert auf die Meinung anderer lege. Wenn es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, dennoch geschieht, wenn die meisten Menschen gerade auf die Meinung anderer von ihnen den höchsten Wert legen und es ihnen darum mehr zu tun ist, als um das, was, weil es in ihrem eigenen Bewußtsein vorgeht, unmittelbar für sie vorhanden ist, wenn demnach mittelst Umkehrung der natürlichen Ordnung, ihnen jenes der reale, dieses der bloß ideale Teil ihres Daseins zu sein scheint, wenn sie also das Abgeleitete und Sekundäre zur Hauptsache machen und ihnen mehr das Bild ihres Wesens im Kopfe anderer, als dieses Wesen selbst am Herzen liegt; so ist diese unmittelbare Wertschätzung dessen, was für uns unmittelbar gar nicht vorhanden ist, diejenige Torheit, welche man Eitelkeit genannt hat, um dadurch das Leere und Gehaltlose dieses Strebens zu bezeichnen. Auch ist aus dem Obigen leicht einzusehen, daß sie zum Vergessen des Zwecks über die Mittel gehört, so gut wie der Geiz.

In der Tat überschreitet der Wert, den wir auf die Meinung anderer legen, und unsere beständige Sorge in betreff derselben, in der Regel, fast jede vernünftige Bezweckung, so daß sie als eine Art allgemein verbreiteter, oder vielmehr angeborener Manie angesehen werden kann. Bei allem, was wir tun und lassen, wird, fast vor allem andern, die fremde Meinung berücksichtigt, und aus der Sorge um sie werden wir, bei genauer Untersuchung, fast die Hälfte aller Bekümmernisse und Ängste, die wir jemals empfunden haben, hervorgegangen sehn. Denn sie liegt allem unseren, so oft gekränkten, weil so krankhaft empfindlichen, Selbstgefühl, allen unsern Eitelkeiten und Prätensionen, wie auch unseren Prunken und Großtun, zugrunde. Ohne diese Sorge und Sucht würde der Luxus kaum ein Zehntel dessen sein, was er ist. Aller und jeder Stolz, so verschiedener Gattung und Sphäre er auch sein kann, beruht auf ihr, – und welche Opfer heischt sie da nicht oft! Sie zeigt sich schon im Kinde, sodann in jedem Lebensalter, jedoch am stärksten im späten; weil dann, beim Versiegen der Fähigkeit zu sinnlichen Genüssen, Eitelkeit und Hochmut nur noch mit dem Geize die Herrschaft zu teilen haben. Am deutlichsten läßt sie sich an den Franzosen beobachten, als bei welchen sie ganz endemisch ist und sich oft in der abgeschmacktesten Ehrfurcht, lächerlichsten National-Eitelkeit und unverschämtesten Prahlerei Luft macht; wodurch dann ihr Streben sich selbst vereitelt; indem es sie zum Spotte der andern Nationen gemacht hat und die grande nation ein Neckname geworden ist. Um nun aber die in Rede stehende Verkehrtheit der überschwänglichen Sorge um die Meinung anderer noch speziell zu erläutern, mag hier ein, durch den Lichteffekt des Zusammentreffens der Umstände mit dem angemessenen Charakter, in seltenem Grade begünstigtes, recht suberlatives Beispiel jener in der Menschennatur wurzelnden Torheit Platz finden, der an demselben die Stärke dieser höchst wunderlichen Triebfeder sich ganz ermessen läßt. Es ist folgende, der Times vom 31. März 1846 entnommene Stelle aus dem ausführlichen Bericht von der soeben vollzogenen Hinrichtung des Thomas Wix, eines Handwerksgesellen, der aus Rache seinen Meister ermordet hatte; »An dem zur Hinrichtung festgesetzten Morgen fand sich der hochwürdige Gefängniskaplan zeitig bei ihm ein. Allein Wix, obwohl sich ruhig betragend, zeigte keinen Anteil an seinen Ermahnungen: vielmehr war das einzige, was ihm am Herzen lag, daß es ihm gelingen möchte, vor den Zuschauern seines schmachvollen Endes, sich mit recht großer Bravour zu benehmen. – Dies ist ihm denn auch gelungen. Auf dem Hofraum, den er zu dem, hart am Gefängnis errichteten Galgenschaffot zu durchschreiten hatte, sagte er: »Wohlan denn, wie Doktor Dodd gesagt hat, bald werde ich das große Geheimnis wissen!« Er ging, obwohl mit gebundenen Armen, die Leiter zum Schaffot ohne die geringste Beihilfe hinauf: da selbst angelangt machte er gegen die Zuschauer, rechts und links, Verbeugungen, welche denn auch mit dem donnernden Beifallsruf der versammelten Menge beantwortet und belohnt wurden, usw.« – Dies ist ein Prachtexemplar der Ehrsucht, den Tod, in schrecklichster Gestalt, nebst der Ewigkeit dahinter, vor Augen, keine andere Sorge zu haben, als die, um den Eindruck auf den zusammengelaufenen Haufen der Gaffer und die Meinung, welche man in deren Köpfen zurücklassen wird! – Und doch war ebenso der im selben Jahr in Frankreich, wegen versuchten Königsmordes, hingerichtete Lecomte, bei seinem Prozeß, hauptsächlich darüber verdrießlich, daß er nicht in anständiger Kleidung vor der Pariskammer erscheinen konnte, und selbst bei seiner Hinrichtung war es ihm ein Hauptverdruß, daß man ihm nicht erlaubt hatte, sich vorher zu rasieren. Daß es auch ehemals nicht anders gewesen, ersehen wir aus dem, was Mateo Aleman, in der, seinem berühmten Romane, Guzmann de Alfarache, vorgesetzten Einleitung anführt, daß nämlich viele betörte Verbrecher die letzten Stunden, welche sie ausschließlich ihrem Seelenheile widmen sollten, diesem entziehen, um eine kleine Predigt, die sie auf der Galgenleiter halten wollen, auszuarbeiten und zu memorieren. – An solchen Zügen jedoch können wir selbst uns spiegeln: denn kolossale Fälle geben überall die deutlichste Erläuterung. Unser aller Sorgen, Kümmern, Wurmen, Ärgern, Ängstigen, Anstrengen, usw. betrifft, in vielleicht den meisten Fällen, eigentlich die fremde Meinung und ist ebenso absurd, wie das jener armen Sünder. Nicht weniger entspringt unser Neid und Haß größtenteils aus besagter Wurzel.

Offenbar nun könnte zu unserm Glücke, als welches allergrößtenteils auf Gemütsruhe und Zufriedenheit beruht, kaum irgend etwas so viel beitragen, als die Einschränkung und Herabstimmung dieser Triebfeder auf ihr vernünftig zu rechtfertigendes Maß, welches vielleicht ein Fünfzigstel des Gegenwärtigen sein wird, also das Herausziehen dieses immerfort peinigenden Stachels aus unserm Fleisch. Dies ist jedoch sehr schwer: denn wir haben es mit einer natürlichen und angeborenen Verkehrtheit zu tun. Um jene allgemeine Torheit los zu werden, wäre das alleinige Mittel, sie deutlich als eine solche zu erkennen und zu diesem Zwecke sich klar zu machen, wie ganz falsch, verkehrt, irrig und absurd die meisten Meinungen in den Köpfen der Menschen zu sein pflegen, daher sie, an sich selbst, keiner Beachtung wert sind; sodann wie wenig realen Einfluß auf uns die Meinung anderer, in den meisten Dingen und Fällen haben kann; ferner, wie ungünstig überhaupt sie meistenteils ist, so daß fast jeder sich krank ärgern würde, wenn er vernähme, was alles von ihm gesagt und in welchem Tone von ihm geredet wird; endlich, daß sogar die Ehre selbst doch eigentlich nur von mittelbarem und nicht von unmittelbarem Werte ist. Wenn eine solche Bekehrung von der allgemeinen Torheit uns gelänge; so würde die Folge ein unglaublich großer Zuwachs an Gemütsruhe und Heiterkeit und ebenfalls ein festeres und sicheres Auftreten, ein durchweg unbefangeneres und natürlicheres Betragen sein. Der so überaus wohltätige Einfluß, den eine zurückgezogene Lebensweise auf unsere Gemütsruhe hat, beruht größtenteils darauf, daß eine solche uns dem fortwährenden Leben vor den Augen anderer, folglich der steten Berücksichtigung ihrer etwaigen Meinung entzieht und dadurch uns uns selber zurückgibt. Im gleichen würden wir sehr vielem realen Unglück entgehen, in welches nur jenes rein ideale Streben, richtiger jene heillose Torheit, uns zieht, würden auch viel mehr Sorgfalt für solide Güter übrig behalten und dann auch diese ungestörter genießen. Aber, wie gesagt: das Schöne ist schwer.

Die hier geschilderte Torheit unserer Natur treibt hauptsächlich drei Sprößlinge: Ehrgeiz, Eitelkeit und Stolz. Zwischen diesen zwei letzteren beruht der Unterschied darauf, daß der Stolz die bereits feststehende Überzeugung vom eigenen überwiegenden Werte, in irgendeiner Hinsicht ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in andern eine solche Überzeugung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie, in Folge davon, auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hingegen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen. Dementsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam. Aber der Eitle sollte wissen, daß die hohe Meinung anderer, nach der er trachtet, sehr viel leichter und sicherer durch anhaltendes Schweigen zu erlangen ist, als durch Sprechen, auch wenn einer die schönsten Dinge zu sagen hätte. – Stolz ist nicht wer will, sondern höchstens kann wer will Stolz affektieren, wird aber aus dieser, wie aus jeder angenommenen Rolle bald herausfallen. Denn nur die feste, innere, unerschütterliche Überzeugung von überwiegenden Vorzügen und besonderem Werte macht wirklich stolz. Diese Überzeugung mag nun irrig sein, oder auch auf bloß äußerlichen und konventionellen Vorzügen beruhen, – das schadet dem Stolze nicht, wenn sie nur wirklich und ernstlich vorhanden ist. Weil also der Stolz seine Wurzel in der Überzeugung hat, steht er, wie alle Erkenntnis, nicht in unserer Willkür. Sein schlimmster Feind, ich meine sein größtes Hindernis, ist die Eitelkeit, als welche um den Beifall anderer buhlt, um die eigene hohe Meinung von sich erst darauf zu gründen, in welcher bereits ganz fest zu sein die Voraussetzung des Stolzes ist.

So sehr nun auch durchgängig der Stolz getadelt und verschrien wird, so vermute ich doch, daß dies hauptsächlich von solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz sein könnten. Der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit der meisten Menschen gegenüber, tut jeder, der irgendwelche Vorzüge hat, ganz wohl, sie selbst im Auge zu behalten, um nicht sie gänzlich in Vergessenheit geraten zu lassen: denn wer, solche gutmütig ignorierend, mit jenen sich geriert, als wäre er ganz ihresgleichen, den werden sie treuherzig sofort dafür halten. Am meisten aber möchte ich solches denen anempfehlen, deren Vorzüge von der höchsten Art, d.h. reale, und also rein persönliche sind, da diese nicht, wie Orden und Titel, jeden Augenblick durch sinnliche Einwirkung in Erinnerung gebracht werden: denn sonst werden sie oft genug das: ein Schwein stellt sich der Minerva gegenüber: sehen. »Scherze mit dem Sklaven, bald wird er dir den Hintern zeigen« – ist ein vortreffliches arabisches Sprichwort, und das Horazische: Maße dir den Stolz an, zu dem du durch deine Verdienste berechtigt bist, – ist nicht zu verwerfen. Wohl aber ist die Tugend der Bescheidenheit eine erkleckliche Erfindung für die Lumpe, da ihr gemäß jeder von sich zu reden hat, als wäre auch er ein solcher, welches herrlich nivelliert, indem es dann so herauskommt, als gäbe es überhaupt nichts als Lumpe.

Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen. Daher wird man z.B. unter fünfzig Engländern kaum mehr als einen finden, welcher mit einstimmt, wenn man von der stupiden und degradierenden Bigotterie seiner Nation mit gebührender Verachtung spricht: der eine aber pflegte ein Mann von Kopf zu sein. – Die Deutschen sind frei von Nationalstolz und legen hierdurch einen Beweis der ihnen angerühmten Ehrlichkeit ab; vom Gegenteil aber die unter ihnen, welche einen solchen vergeben und lächerlicherweise affektieren; wie dies zumeist die »deutschen Brüder« tun, die dem Volke schmeicheln, um es zu verführen. Es heißt zwar, die Deutschen hätten das Pulver erfunden: ich kann jedoch dieser Meinung nicht beitreten. Und Lichtenberg fragte: warum gibt sich nicht leicht jemand, der es nicht ist, für einen Deutschen aus, sondern gemeiniglich, wenn er sich für etwas ausgeben will, für einen Franzosen oder Engländer?« – Übrigens überwiegt die Individualität bei weitem die Nationalität, und in einem gegebenen Menschen verdient jene tausendmal mehr Berücksichtigung als diese. Dem Nationalcharakter wird, ehe er von der Menge redet, nie viel gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer anderen Form und diese nennt man den Nationalcharakter. – Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht.

Der Gegenstand dieses Kapitels, also was wir in der Welt vorstellen, d.h. in den Augen anderer sind, läßt sich nun, wie schon oben bemerkt, einteilen in Ehre, Rang und Ruhm.

Der Rang, so wichtig er in den Augen des großen Haufens und der Philister, und so groß sein Nutzen im Getriebe der Staatsmaschine sein mag, läßt sich für unsern Zweck, mit wenigen Worten abfertigen. Es ist ein konventioneller, d.h. eigentlich ein simulierter Wert: seine Wirkung ist eine simulierte Hochachtung, und das ganze eine Komödie für den großen Haufen.– Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers. Inzwischen sind sie, auch ganz abgesehen von dem vielen Gelde, welches sie, als Substitut pekuniärer Belohnungen, dem Staat ersparen, eine ganz zweckmäßige Einrichtung; vorausgesetzt, daß ihre Verteilung mit Einsicht und Gerechtigkeit geschehe. Der große Haufen nämlich hat Augen und Ohren, aber nicht viel mehr, zumal blutwenig Urteilskraft und selbst wenig Gedächtnis. Manche Verdienste liegen ganz außerhalb der Sphäre seines Verständnisses, andere versteht und bejubelt er, bei ihrem Eintritt, hat sie aber nachher bald vergessen. Da finde ich es ganz passend, durch Kreuz oder Stern, der Menge jederzeit und überall zuzurufen: »der Mann ist nicht euresgleichen: er hat Verdienste!« – Durch ungerechte oder urteilslose, oder übermäßige Verteilung verlieren aber die Orden diesen Wert; daher ein Fürst mit ihrer Erteilung so vorsichtig sein sollte, wie ein Kaufmann mit dem Unterschreiben der Wechsel. Die Inschrift pour le mérite auf einem Kreuze ist ein Pleonasmus: jeder Orden sollte pour le mérite sein, ohne das auszusprechen.

Viel schwerer und weitläufiger, als die des Ranges, ist die Erörterung der Ehre. Zuvörderst hätten wir sie zu definieren. Wenn ich nun in dieser Absicht etwa sagte: die Ehre ist das äußere Gewissen, und das Gewissen die innere Ehre; so könnte dies vielleicht manchem gefallen; würde jedoch mehr eine glänzende, als eine deutliche und gründliche Erklärung sein. Daher sage ich: die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserm Wert, und subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung. In letzterer Eigenschaft hat sie oft eine sehr heilsame, wenn auch keineswegs rein moralische Wirkung, im Mann von Ehre.

Die Wurzel und der Ursprung des jedem nicht ganz verdorbenen Menschen innewohnenden Gefühls für Ehre und Schande, wie auch des hohen Wertes, welcher ersterer zuerkannt wird, liegt in folgendem. Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassener Robinson: nur in der Gemeinschaft mit den andern ist und vermag er viel. Dieses Verhältnisses wird er inne, sobald sein Bewußtsein sich irgend zu entwickeln anfängt, und alsbald entsteht in ihm das Bestreben, für ein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu gelten, also für eines, das fähig ist, soviel in den Kräften eines Mannes steht mitzuwirken, und dadurch berechtigt, der Vorteile der menschlichen Gemeinschaft teilhaft zu werden. Ein solches nun ist er dadurch, daß er erstlich das leistet, wenn man von jedem überall und sodann das, was man von ihm in der besonderen Stelle, die er eingenommen hat, fordert und erwartet. Ebensobald aber erkennt er, daß es hierbei nicht darauf ankommt, daß er es in seiner eigenen, sondern daß er es in der Meinung der anderen sei. Hieraus entspringt demnach sein eifriges Streben nach der günstigen Meinung anderer und der hohe Wert, den er auf diese legt: beides zeigt sich mit der Ursprünglichkeit eines angeborenen Gefühls, welches man Ehrgefühl und nach Umständen Gefühl der Scham nennt. Dieses ist es, was seine Wangen rötet, sobald er glaubt, plötzlich in der Meinung anderer verlieren zu müssen, selbst wo er sich unschuldig weiß; sogar da, wo der sich aufdeckende Mangel eine nur relative, nämlich willkürlich übernommene Verpflichtung betrifft: und andererseits stärkt nichts seinen Lebensmut mehr, als die erlangte oder erneuerte Gewißheit von der günstigen Meinung anderer, weil sie ihm den Schutz und die Hilfe der vereinten Kräfte aller verspricht, welche eine unendlich größere Wehrmauer gegen das Übel des Lebens sind, als seine eigenen.

Aus den verschiedenen Beziehungen, in denen der Mensch zu andern stehen kann, und in Hinsicht auf welche sie Zutrauen zu ihm, also eine gewisse gute Meinung von ihm zu hegen haben, entstehen mehrere Arten der Ehre. Diese Bestrebungen sind hauptsächlich das Mein und Dein, sodann die Leistungen der Anheischigen, endlich das Sexualverhältnis: ihnen entsprechen die bürgerliche Ehre, die Amtsehre und die Sexualehre, jede von welchen noch wieder Unterarten hat.

Die weiteste Sphäre hat die bürgerliche Ehre: sie besteht in der Voraussetzung, daß wir die Rechte eines jeden unbedingt achten und daher uns nie ungerechter oder gesetzlich unerlaubter Mittel zu unserm Vorteile bedienen werden. Sie ist die Bedingung zur Teilnahme an allem friedlichen Verkehr. Sie geht verloren durch eine einzige offenbar und stark dawiderlaufende Handlung, folglich auch durch jede Kriminalstrafe, wiewohl nur unter Voraussetzung der Gerechtigkeit derselben. Immer aber beruht die Ehre in ihrem letzten Grunde auf der Überzeugung von der Unveränderlichkeit des moralischen Charakters, vermöge welcher eine einzige schlechte Handlung die gleiche moralische Beschaffenheit aller folgenden, sobald ähnliche Umstände eintreten werden, verbürgt: dies bezeugt auch der englische Ausdruck Charakter für Ruf, Reputation, Ehre. Deshalb eben ist die verlorene Ehre nicht wiederherzustellen, es sei denn, daß der Verlust auf Täuschung, wie Verleumdung, oder falschem Schein, beruht hätte. Demgemäß gibt es Gesetze gegen Verleumdung, Pasquille, auch Injurien: denn die Injurie, das bloße Schimpfen, ist eine summarische Verleumdung, ohne Angabe der Gründe: dies ließe sich gut ausdrücken: die Schmähung ist, kurz gesagt, Verleumdung; – welches jedoch nirgends vorkommt. Freilich legt der, welcher schimpft, dadurch an den Tag, daß er nichts Wirkliches und Wahres gegen den Edeln vorzubringen hat, da er sonst dieses als die Prämissen geben und die Konklusion getrost den Hörern überlassen würde; statt dessen er die Konklusion gibt und die Prämissen schuldig bleibt: allein er verläßt sich auf die Präsumtion, daß dies nur beliebter Kürze halber geschehe. – Die bürgerliche Ehre hat zwar ihren Namen vom Bürgerstande; allein ihre Geltung erstreckt sich über alle Stände, ohne Unterschied, sogar die allerhöchsten nicht ausgenommen: kein Mensch kann ihr entraten und ist es mit ihr eine gar ernsthafte Sache, die jeder sich hüten soll leicht zu nehmen. Wer Treu und Glauben bricht, hat Treu und Glauben verloren, auf immer, was er auch tun und wer er auch sein mag: die bittern Früchte, welche dieser Verlust mit sich bringt, werden nicht ausbleiben.

Die Ehre hat in gewissem Sinne einen negativen Charakter, nämlich im Gegensatz des Ruhmes, der einen positiven Charakter hat. Denn die Ehre ist nicht die Meinung von besonderen, diesem Subjekt allein zukommenden Eigenschaften, sondern nur von den der Regel nach vorauszusetzenden, als welche auch ihm nicht abgehen sollen. Sie besagt daher nur, daß dies Subjekt keine Ausnahme mache; während der Ruhm besagt, daß es eine mache. Ruhm muß daher erst erworben werden: die Ehre hingegen braucht bloß nicht verloren zu gehen. Dementsprechend ist Ermangelung des Ruhmes Obskurität, ein Negatives. Ermangelung der Ehre ist Schande, ein Positives. – Diese Negativität darf aber nicht mit Passivität verwechselt werden: vielmehr hat die Ehre einen ganz aktiven Charakter. Sie geht nämlich allein von dem Subjekt derselben aus, beruht auf seinem Tun und Lassen, nicht aber auf dem, was andere tun und was ihm widerfährt: sie ist also ein Ding, das in uns selbst ruht. Dies ist, wie wir bald sehen werden, ein Unterscheidungsmerkmal der wahren Ehre von der ritterlichen oder Afterehre. Bloß durch Verleumdung ist ein Angriff von außen auf die Ehre möglich: das einzige Gegenmittel ist Widerlegung derselben mit ihr angemessener Öffentlichkeit und Entlarvung des Verleumders.

Die Achtung vor dem Alten scheint darauf zu beruhen, daß die Ehre junger Leute zwar als Voraussetzung angenommen, aber noch nicht erprobt ist, daher eigentlich auf Kredit besteht. Bei den älteren aber hat es sich im Laufe des Lebens ausweisen müssen, ob sie, durch ihren Wandel, ihre Ehre behaupten konnten. Denn weder die Jahre an sich, als welche auch Tiere, und einige in viel höherer Zahl, erreichen, auch noch die Erfahrung als bloße, nähere Kenntnis vom Laufe der Welt, sind hinreichender Grund für die Achtung der jüngeren gegen die älteren, welche doch überall gefordert wird: die bloße Schwäche des höheren Alters würde mehr auf Schonung, als auf Achtung Anspruch geben. Merkwürdig aber ist es, daß dem Menschen ein gewisser Respekt vor weißen Haaren angeboren und daher wirklich instinktiv ist. Runzeln, ein ungleich sichereres Kennzeichen des Alters, erregen diesen Respekt keineswegs: nie wird von ehrwürdigen Runzeln, aber stets vom ehrwürdigen weißen Haar geredet.

Der Wert der Ehre ist nur ein mittelbarer. Denn, wie bereits am Eingang dieses Kapitels auseinandergesetzt ist, die Meinung anderer von uns kann nur insofern Wert für uns haben, als sie ihr Handeln gegen uns bestimmt, oder gelegentlich bestimmen kann. Dies ist jedoch der Fall, so lange wir mit oder unter Menschen leben. Denn da wir, im zivilisierten Zustande, Sicherheit und Besitz nur der Gesellschaft verdanken, auch der anderen, bei allen Unternehmungen, bedürfen und sie Zutrauen zu uns haben müssen, um sich mit uns einzulassen; so ist ihre Meinung von uns von hohem, wiewohl immer nur mittelbarem Werte für uns: einen unmittelbaren kann ich ihr nicht anerkennen.

Soviel von der bürgerlichen Ehre. Die Amtsehre ist die allgemeine Meinung anderer, daß ein Mann, der ein Amt versieht, alle dazu erforderlichen Eigenschaften wirklich habe und auch in allen Fällen seine amtlichen Obliegenheiten pünktlich erfülle. Je wichtiger und größer der Wirkungskreis eines Mannes im Staate ist, also je höher und einflußreicher der Posten, auf dem er steht, desto größer muß die Meinung von den intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Eigenschaften sein, die ihm dazu tauglich machen; mithin hat er einen umso höheren Grad von Ehre, deren Ausdruck seine Titel, Orden usw. sind, wie auch das sich unterordnende Betragen anderer gegen ihn. Nach demselben Maßstabe bestimmt nun durchgängig der Stand den besonderen Grad der Ehre, wiewohl dieser modifiziert wird durch die Fähigkeit der Menge über die Wichtigkeit des Standes zu urteilen. Immer aber erkennt man dem der besondere Obliegenheiten hat und erfüllt, mehr Ehre zu, als dem gemeinen Bürger, dessen Ehre hauptsächlich auf negativen Eigenschaften beruht.

– Ich habe hier die Amtsehre in einem weitern Sinne genommen, als gewöhnlich, wo sie den dem Amte selbst gebührenden Respekt der Bürger bedeutet. Die Sexualehre scheint nur einer näheren Betrachtung und Zurückführung ihrer Grundsätze auf die Wurzel derselben zu bedürfen, welche zugleich bestätigen wird, daß alle Ehre zuletzt auf Nützlichkeitsrücksichten beruht. Die Sexualehre zerfällt, ihrer Natur nach, in Weiber- und Männer-Ehre, und ist von beiden Seiten ein wohlverstandener esprit de corps. Die erstere ist bei weitem die wichtigste von beiden: weil im weiblichen Leben das Sexualverhältnis die Hauptsache ist. – Die weibliche Ehre also ist, die allgemeine Meinung von einem Mädchen, daß sie sich gar keinem Manne, und von einer Frau, daß sie sich nur dem ihr angetrauten hingegeben habe. Die Wichtigkeit dieser Meinung beruht auf folgendem. Das weibliche Geschlecht verlangt vom weiblichen zunächst und unmittelbar nur eines. Daher mußte die Einrichtung getroffen werden, daß das männliche Geschlecht vom weiblichen jenes eine nur erlangen kann gegen Übernahme der Sorge für alles und zudem für die aus der Verbindung entspringenden Kinder: auf dieser Einrichtung beruht die Wohlfahrt des ganzen weiblichen Geschlechts. Um sie durchzusehen, muß notwendig das weibliche Geschlecht zusammenhalten und esprit de corps beweisen. Dann aber steht es als ein ganzes und in geschlossener Reihe dem gesammten männlichen Geschlechte, welches durch das Übergewicht seiner Körper- und Geisteskräfte von Natur im Besitze aller irdischen Güter ist als dem gemeinschaftlichen Feinde gegenüber, der besiegt und erobert werden muß, um, mittelst seines Besitzes, in den Besitz der irdischen Güter zu gelangen. Zu diesem Ende nun ist die Ehrenmaxime des ganzen weiblichen Geschlechts, daß dem männlichen jeder uneheliche Beischlaf durchaus versagt bleibe; damit jeder einzelne zur Ehe, als welche eine Art von Kapitulation ist, gezwungen und dadurch das ganze weibliche Geschlecht versorgt werde. Dieser Zweck kann aber nur vermittelst strenger Beobachtung der obigen Maxime vollkommen erreicht werden: daher wacht das ganze weibliche Geschlecht, mit wahrem esprit de corps, über die Aufrecherhaltung derselben unter allen seinen Mitgliedern. Demgemäß wird jedes Mädchen, welches durch unehelichen Beischlaf einen Verrat gegen das ganze weibliche Geschlecht begangen hat, weil dessen Wohlfahrt durch das Allgemeinwerden dieser Handlungsweise untergraben werden würde, von demselben ausgestoßen und mit Schande belegt: es hat seine Ehre verloren. Kein Weib darf mehr mit ihm umgehen: es wird gleich einer Verpesteten gemieden. Das gleiche Schicksal trifft die Ehebrecherin; weil diese dem Manne die von ihm eingegangene Kapitulation nicht gehalten hat, durch solches Beispiel aber die Männer vom Eingehen derselben abgeschreckt werden; während auf ihr das Heil des ganzen weiblichen Geschlechts beruht. Aber noch überdies verliert die Ehebrecherin wegen der großen Wortbrüchigkeit und des Betruges ihrer Tat, mit der Sexualehre zugleich die bürgerliche. Daher sagt man wohl mit einem entschuldigenden Ausdruck, »ein gefallenes Mädchen«, aber nicht »eine gefallene Frau«, und der Verführer kann jene, durch die Ehe, wieder ehrlich machen; nicht so der Ehebrecher diese, nachdem sie geschieden worden. – Wenn man nun, infolge dieser klaren Einsicht, einen zwar heilsamen, ja notwendigen, aber wohlberechneten und auf Interesse gestützten esprit de corps als die Grundlage des Prinzips der weiblichen Ehre erkennt; so wird man dieser zwar die größte Wichtigkeit für das weibliche Dasein und daher einen großen relativen, jedoch keinen absoluten, über das Leben und seine Zwecke hinausliegenden und demnach mit diesem selbst zu erkaufenden Wert beilegen können. Demnach nun wird man den überspannten, zu tragischen Farçen ausartenden Taten der Lukretia und des Virginius keinen Beifall schenken können. Daher eben hat der Schluß der Emilia Galotti etwas so Empörendes, daß man das Schauspielhaus in völliger Verstimmung verläßt. Hingegen kann man nicht umhin, der Sexualehre zum Trotz, mit dem Klärchen des Egmont zu sympathisieren. Jenes auf die Spitze Treiben des weiblichen Ehrenprinzips gehört, wie so manches, zum Vergessen des Zwecks über die Mittel: denn der Sexualehe wird, durch solche Überspannung, ein absoluter Wert angedichtet; während sie, noch mehr als alle andere Ehre, einen bloß relativen hat; ja, man möchte sagen einen bloß konventionellen, wenn man aus dem Thomasius de concubinatu ersieht, wie in fast allen Ländern und Zeiten, bis zur lutherischen Reformation, das Konkubinat ein gesetzlich erlaubtes und anerkanntes Verhältnis gewesen ist, bei welchem die Konkubine ehrlich blieb; der Mylitta zu Babylon usw. gar nicht zu gedenken. Auch gibt es allerdings bürgerliche Verhältnisse, welche die äußere Form der Ehe unmöglich machen, besonders in katholischen Ländern, wo keine Scheidung stattfindet; überall aber für regierende Herren, als welche, meiner Meinung nach, viel moralischer handeln, wenn sie eine Mätresse halten, als wenn sie eine morganatische Ehe eingehen, deren Deszendenz, beim etwaigen Aussterben der legitimen, einst Ansprüche erheben könnte; weshalb, sei es auch noch so entfernt, durch welche Ehe die Möglichkeit eines Bürgerkrieges herbeigeführt wird. Überdies ist eine solche morganatische, d.h. eigentlich allen äußeren Verhältnissen zum Trotz geschlossene Ehe, im letzten Grunde, eine den Weibern und den Pfaffen gemachte Konzession, zweien Klassen, denen man etwas einzuräumen sich möglichst hüten sollte. Ferner ist zu erwägen, daß jeder im Lande das Weib seiner Wahl ehelichen kann, bis auf einen, dem dieses natürliche Recht benommen ist: dieser arme Mann ist der Fürst. Seine Hand gehört dem Lande und wird nach der Staatsraison, d.h. dem Wohle des Landes gemäß, vergeben. Nun aber ist es doch ein Mensch und will auch einmal dem Hange seines Herzens folgen. Daher ist es so ungerecht und undankbar, wie es spießbürgerlich ist, dem Fürsten das Halten einer Mätresse verwehren oder vorwerfen zu wollen; versteht sich, so lange ihr kein Einfluß auf die Regierung gestattet wird. Auch ihrerseits ist eine solche Mätresse, hinsichtlich der Sexualehre, gewissermaßen eine Ausnahmeperson, eine Eximierte von der allgemeinen Regel: denn sie hat sich bloß einem Manne ergeben, der sie und den sie lieben, aber nimmermehr heiraten könnte. – Überhaupt aber zeigen von dem nicht rein natürlichen Ursprünge des weiblichen Ehrenprinzips die vielen blutigen Opfer, welche demselben gebracht werden. – im Kindermorde und Selbstmorde der Mutter. Allerdings begeht ein Mädchen, die sich ungesetzlich preisgibt, dadurch einen Treubruch gegen ihr ganzes Geschlecht: jedoch ist diese Treue nur stillschweigend angenommen und nicht beschworen. Und da, im gewöhnlichen Fall, ihr eigener Vorteil am unmittelbarsten darunter leidet, so ist ihre Torheit dabei unendlich größer, als ihre Schlechtigkeit.

Die Geschlechtsehre der Männer wird durch die der Weiber hervorgerufen, als der entgegengesetzte esprit de corps, welcher verlangt, daß jeder, der die dem Gegenpart so sehr günstige Kapitulation, die Ehe, eingegangen ist, jetzt darüber wache, daß sie ihm gehalten werde, damit nicht selbst dieses Paktum, durch das Einreißen einer laxen Observanz desselben, seine Festigkeit verliere und die Männer, indem sie alles hingeben, nicht einmal des einen versichert seien, was sie dafür erhandeln, des Alleinbesitzes des Weibes. Demgemäß fordert die Ehre des Mannes, daß er den Ehebruch seiner Frau ahnde und, wenigstens durch Trennung von ihr, strafe. Duldet er ihn wissentlich, so wird er von der Männergemeinschaft mit Schande belegt: jedoch ist diese lange nicht so durchgreifend, wie die durch den Verlust der Geschlechtsehre das Weib treffende, vielmehr nur ein Tadel von geringem Gewicht ist; weil beim Manne die Geschlechtsbeziehung eine untergeordnete ist, indem er in noch vielen anderen und wichtigeren steht. Die zwei großen dramatischen Dichter der neueren Zeit haben, jeder zweimal, diese Männerehre zu ihrem Thema genommen: Shakespeare, im Othello und im Wintermärchen und Calderon, in der Art seiner Ehre nur für geheime Schmach geheime Rache. Übrigens fordert diese Ehre nur die Bestrafung des Weibes; nicht die ihres Buhlen; welche bloß ein opus supererogationis ist: hierdurch bestätigt sich der angegebene Ursprung derselben aus dem esprit de corps der Männer. –

Die Ehre, wie ich sie bisher in ihren Gattungen und Grundsätzen betrachtet habe, findet sich bei allen Völkern und zu allen Zeiten als allgemein geltend; wenn gleich der Weiberehre sich einige lokale und temporäre Modifikationen ihrer Grundsätze nachweisen lassen. Hingegen gibt es noch eine, von jener allgemein und überall gültigen gänzlich verschiedene Gattung der Ehre, von welcher weder Griechen noch Römer einen Begriff hatten, so wenig wie Chinesen, Hindu und Mohammedaner, bis auf den heutigen Tag, irgend etwas von ihr wissen. Denn sie ist erst im Mittelalter entstanden und bloß im christlichen Europa einheimisch geworden, ja, selbst hier nur unter den höheren Ständen der Gesellschaft und was ihnen nacheifert. Es ist die ritterliche Ehre. Da ihre Grundsätze von denen der bis hierher erörterten Ehre gänzlich verschieden, sogar diesen zum Teil entgegengesetzt sind, indem je erstere den Ehrenmann, diese hingegen den Mann von Ehre macht; so will ich ihre Prinzipien hier besonders aufstellen, als einen Kodex, oder Spiegel der ritterlichen Ehre.

1. Die Ehre besteht nicht in der Meinung anderer von unserem Werte, sondern ganz allein in den Äußerungen einer solchen Meinung; gleichviel ob die geäußerte Meinung wirklich vorhanden sei, oder nicht; geschweige, ob sie Grund habe. Demnach mögen andere, infolge unseres Lebenswandels, eine noch so schlechte Meinung von uns hegen, uns noch so sehr verachten; so lange nur keiner sich untersteht, solches laut zu äußern, schadet es der Ehre durchaus nicht. Umgekehrt aber, wenn wir auch durch unsere Eigenschaften und Handlungen alle andern zwingen, uns sehr hoch zu achten (denn das hängt nicht von ihrer Willkür ab); so darf dennoch nur irgendeiner – und wäre es der Schlechteste und Dümmste –, seine Geringschätzung über uns aussprechen, und alsbald ist unsere Ehre verletzt, ja, sie ist auf immer verloren; wenn sie nicht wieder hergestellt wird. – Ein überflüssiger Beleg dazu, daß es keineswegs auf die Meinung anderer, sondern allein auf die Äußerung einer solchen ankomme, ist der, daß Verunglimpfungen zurückgenommen, nötigenfalls abgebeten werden können, wodurch es dann ist, als wären sie nie geschehen: ob dabei die Meinung, aus der sie entsprungen, sich ebenfalls geändert habe und weshalb dies geschehen sein sollte, tut nichts zur Sache: nur die Äußerung wird annulliert und dann ist alles gut. Hier ist es demnach nicht darauf abgesehen, Respekt zu verdienen, sondern ihn zu ertrotzen.

2. Die Ehre eines Mannes beruht nicht auf dem, was er tut, sondern auf dem, was er leidet, was ihm widerfährt. Wenn, nach den Grundsätzen der zuerst erörterten, allgemein geltenden Ehre, diese allein abhängt von dem, was er selbst sagt, oder tut, so hängt hingegen die ritterliche Ehre ab von dem, was irgendein anderer sagt, oder tut. Sie liegt sonach in der Hand, ja, hängt an der Zungenspitze eines jeden, und kann, wenn dieser zugreift, jeden Augenblick auf immer verloren gehen, falls nicht der Betroffene durch einen bald zu erwähnenden Herstellungsprozeß sie wieder an sich reißt, welches jedoch nur mit Gefahr seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Freiheit, seines Eigentums und seiner Gemütsruhe geschehen kann. Diesem zufolge mag das Tun und Lassen eines Mannes das rechtschaffenste und edelste, sein Gemüt das reinste und sein Kopf der eminenteste sein; so kann dennoch seine Ehre jeden Augenblick verloren gehen, sobald es nämlich irgendeinem – der nur noch nicht diese Ehrengesetze verletzt hat, übrigens aber der nichtswürdigste Lump, das stupideste Vieh, ein Tagedieb, Spieler, Schuldenmacher, kurz, ein Mensch, der nicht wert ist, daß jener ihn ansieht, sein kann – beliebt, ihn zu schimpfen. Sogar wird es meistenteils gerade ein Subjekt solcher Art sein, dem dies beliebt; weil eben, wie Seneka richtig bemerkt: je mehr einer verachtet und verspottet wird, umso größeren Lauf läßt er seiner Zunge: auch wird ein solcher gerade gegen einen, wie der zuerst Geschilderte, am leichtesten aufgereizt werden; weil die Gegensätze sich hassen und weil der Anblick überwiegender Vorzüge die stille Wut der Nichtswürdigkeit zu erzeugen pflegt; daher eben Goethe sagt:

Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,
Denen das Wesen, wie du bist,
Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist?
                              W. Ö. Divan.

Man sieht, wie sehr viel gerade die Leute der zuletzt geschilderten Art dem Ehrenprinzip zu danken haben; da es sie mit denen nivelliert, welche ihnen sonst in jeder Beziehung unerreichbar wären. – Hat nun ein solcher geschimpft, d. h. dem andern eine schlechte Eigenschaft zugesprochen, so gilt dies vorderhand, als ein objektiv wahres und gegründetes Urteil, ein rechtskräftiges Dekret, ja, es bleibt für alle Zukunft wahr und gültig, wenn es nicht alsbald mit Blut ausgelöscht wird: d. h. der Geschimpfte bleibt (in den Augen aller »Leute von Ehre«) das, was der Schimpfer (und wäre dieser der letzte aller Erdensöhne) ihn genannt hat: denn er hat es »auf sich sitzen lassen.« Demgemäß werden die »Leute von Ehre« ihn jetzt durchaus verachten, ihn wie einen Verpesteten fliehen, z. B. sich laut und öffentlich weigern, in eine Gesellschaft zu gehn, wo er Zutritt hat, usw. – Den Ursprung dieser weißen Grundansicht glaube ich mit Sicherheit darauf zurückführen zu können, daß im Mittelalter, bis ins 15. Jahrhundert, bei Kriminalprozessen, nicht der Ankläger die Schuld, sondern der Angeklagte seine Unschuld zu beweisen hatte. Dies konnte geschehn durch einen Reinigungseid, zu welchem er jedoch noch der Eideshelfer bedurfte, welche beschworen, sie seien überzeugt, daß er keines Meineides fähig sei. Hatte er diese nicht, oder ließ der Ankläger sie nicht gelten; so trat Gottesurteil ein und dieses bestand gewöhnlich im Zweikampf. Denn der Angeklagte war jetzt ein »Bescholtener« und hatte sich zu reinigen. Wir sehen hier den Ursprung des Begriffs des Bescholtenseins und des genauen Hergangs der Dinge, wie er noch heute unter den »Leuten von Ehre stattfindet, nur mit Weglassung des Eides. Eben hier ergibt sich auch die Erklärung der obligaten, hohen Indignation, mit welcher »Leute von Ehre« den Vorwurf der Lüge, empfangen und blutige Rache dafür fordern, welche, bei der Alltäglichkeit der Lügen, sehr seltsam erscheint, aber besonders in England zum tiefwurzelnden Aberglaube erwachsen ist. Nämlich in jenen Kriminalprozessen des Mittelalters war die kürzere Form, daß der Angeklagte dem Ankläger erwiderte: »Das lügst du;« worauf dann sofort auf Gottesurteil erkannt wurde: daher also schreibt es sich, daß, nach dem ritterlichen Ehrenkodex, auf den Vorwurf der Lüge sogleich die Appelation an die Waffen erfolgen muß. – So viel, was das Schimpfen betrifft. Nun aber gibt es sogar noch etwas ärgeres, als Schimpfen, etwas so Erschreckliches, daß ich wegen dessen bloßer Erwähnung in diesem Kodex der ritterlichen Ehre, die »Leute von Ehre« um Verzeihung zu bitten habe, da ich weiß, daß beim bloßen Gedanken daran ihnen die Haut schaudert und ihr Haar sich emporsträubt, indem es das summum malum, der Übel größtes auf der Welt, und ärger als Tod und Verdammnis ist. Es kann nämlich, irrtümlich gesagt, einer dem andern einen Klaps, oder Schlag versetzen. Dies ist eine entsetzliche Begebenheit und führt einen so kompletten Ehrentod herbei, daß, wenn alle andern Verletzungen der Ehre schon durch Blutlassen zu heilen sind, diese zu ihrer gründlichen Heilung einen kompletten Todschlag erfordert.

3. Die Ehre hat mit dem, was der Mensch an und für sich sein mag, oder mit der Frage, ob seine moralische Beschaffenheit sich jemals ändern könne, und allen solchen Schulfuchsereien, ganz und gar nichts zu tun, sondern wenn sie verletzt, oder vorderhand verloren ist, kann sie, wenn man nur schleunigst dazutut, recht bald und vollkommen wiederhergestellt werden, durch ein einziges Universalmittel, das Duell. Ist jedoch der Verletzte nicht aus den Ständen, die sich zum Kodex der ritterlichen Ehre bekennen, oder hat derselbe diesem schon einmal zuwider gehandelt; so kann man, zumal wenn die Ehrenverletzung eine tätliche, oder auch wenn sie eine bloß wörtliche gewesen sein sollte, eine sichere Operation vornehmen, indem man bewaffnet ist, ihn auf der Stelle, allenfalls auch noch eine Stunde nachher, niedersticht; wodurch dann die Ehre wieder heil ist. Außerdem aber, oder wenn man aus Besorgnis vor daraus entstehenden Unannehmlichkeiten, diesen Schritt vermeiden möchte, oder wenn man bloß ungewiß ist, ob der Beleidiger sich den Gesetzen der ritterlichen Ehre unterwerfe, oder nicht, hat man ein Palliativmittel, an der »Avantage«. Diese besteht darin, daß, wenn er grob gewesen ist, man noch merklich gröber sei: geht dies mit Schimpfen nicht mehr an, so schlägt man drein, und zwar ist auch hier ein Klimax der Ehrenrettung: Ohrfeigen werden durch Stockschläge kuriert, diese durch Hetzpeitschenhiebe: selbst gegen letztere wird von einigen das Anspucken als probat empfohlen. Nur wenn man mit diesen Mitteln nicht mehr zur Zeit kommt, muß durchaus zu blutigen Operationen geschritten werden. Diese Palliativmethode hat ihren Grund eigentlich in der folgenden Maxime.

4. Wie Geschimpftwerden eine Schande, so ist Schimpfen eine Ehre. Z. B. auf der Seite meines Gegners sei Wahrheit, Recht und Vernunft; ich aber schimpfe; so müssen diese alle einpacken, und Recht und Ehre ist auf meiner Seite; er hingegen hat vorläufig seine Ehre verloren, bis er sie herstellt, nicht etwa durch Recht und Vernunft, sondern durch Schießen und Stechen. Demnach ist die Grobheit eine Eigenschaft, welche, im Punkte der Ehre, jede andere ersetzt, oder überwiegt: der Gröbste hat allemal Recht. Welche Dummheit, Ungezogenheit, Schlechtigkeit einer auch begangen haben mag; – durch eine Grobheit wird sie als solche ausgelöscht und sofort legitimiert. Zeigt etwa in einer Diskussion, oder sonst im Gespräch ein anderer richtigere Sachkenntnis, strengere Wahrheitsliebe, gesunderes Urteil, mehr Verstand, als wir, oder überhaupt, läßt er geistige Vorzüge blicken, die uns in Schatten stellen; so können wir alle dergleichen Überlegenheiten und unsere eigene durch sie aufgedeckte Dürftigkeit sogleich aufheben und nun umgekehrt selbst überlegen sein, indem wir beleidigend und grob werden. Denn eine Grobheit besiegte jedes Argument und eklipziert allen Geist: wenn daher nicht etwa der Gegner sich darauf einläßt und sie mit einer größeren erwidert, wodurch wir in den edlen Wettkampf der Avantage geraten; so bleiben wir Sieger und die Ehre ist auf unserer Seite: Wahrheit, Kenntnis, Verstand, Geist, Witz müssen einpacken und sind aus dem Felde geschlagen von der göttlichen Grobheit. Dabei werden »Leute von Ehre«, sobald jemand eine Meinung äußert, die von der ihrigen abweicht, oder auch nur mehr Verstand zeigt, als sie ins Feld stellen können, sogleich Miene machen, jenes Kampfroß zu besteigen; und wenn etwa, in einer Kontroverse, es ihnen an einem Gegen-Argument fehlt, so suchen sie nach einer Grobheit, als welche ja denselben Dienst leistet und leichter zu finden ist: darauf gehn sie siegreich von dannen. Man sieht schon hier, wie sehr mit Recht dem Ehrenprinzip die Veredelung des Tones in der Gesellschaft nachgerühmt wird. – Diese Maxime beruht nun wieder auf der folgenden, welche die eigentliche Grundmaxime und die Seele des ganzen Kodex ist.

5. Der oberste Richterstuhl des Rechts, an den man, in allen Differenzen, von jedem anderen, soweit es die Ehre betrifft, appellieren kann, ist der der physischen Gewalt, d. h. der Tierheit. Denn jede Grobheit ist eigentlich eine Appelation an die Tierheit, indem sie den Kampf der geistigen Kräfte, oder des moralischen Rechts, für inkompetent erklärt und an deren Stelle den Kampf der physischen Kräfte setzt, welcher bei der Spezies Mensch, die von Franklin ein toolmaking animal (Werkzeuge verfertigendes Tier) definiert wird, mit den ihr demnach eigentümlichen Waffen, im Duell, vollzogen wird und eine unwiderrufliche Entscheidung herbeiführt. – Diese Grundmaxime wird bekanntlich, mit einem Worte, durch den Ausdruck Faustrecht, welcher dem Ausdruck Aberwitz analog und daher, wie dieser, ironisch ist, bezeichnet: demnach sollte, ihm gemäß, die ritterliche Ehre die Faustehre heißen. –

6. Hatten wir, weiter oben, die bürgerliche Ehre sehr skrupulös gefunden, im Punkte des Mein und Dein, der eingegangenen Verpflichtungen und des gegebenen Wortes; so zeigt hingegen der hier in Betrachtung genommene Kodex darin die nobelste Liberalität. Nämlich nur ein Wort darf nicht gebrochen werden, das Ehrenwort, d. h. das Wort, bei dem man gesagt hat, »auf Ehre!« – woraus die Präsumtion entsteht, daß jedes andere Wort gebrochen werden darf. Sogar bei dem Bruch dieses Ehrenwortes läßt sich zur Not die Ehre noch retten, durch das Universalmittel, das Duell, hier mit denjenigen, welche behaupten, wir hätten das Ehrenwort gegeben. – Ferner: nur eine Schuld gibt es, die unbedingt bezahlt werden muß, – die Spielschuld, welche auch demgemäß den Namen »Ehrenschuld« führt. Um alle übrigen Schulden mag man Juden und Christen prellen: das schadet der ritterlichen Ehre durchaus nicht.

Daß nun dieser seltsame, barbarische und lächerliche Kodex der Ehre nicht aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder einer gesunden Ansicht menschlicher Verhältnisse hervorgegangen sei, erkennt der Unbefangene auf den ersten Blick. Zudem aber wird es durch den äußerst beschränkten Bereich seiner Geltung bestätigt, dieser nämlich ist ausschließlich Europa und zwar nur seit dem Mittelalter, und auch hier nur beim Adel, Militär und was diesen nacheifert. Denn weder Griechen noch Römer, noch die hochgebildeten Asiatischen Völker, alter und neuer Zeit, wissen irgend etwas von dieser Ehre und ihren Grundsätzen. Sie alle kennen keine andere Ehre, als die zuerst analysierte. Bei ihnen allen gilt demnach der Mann für das, wofür sein Tun und Lassen ihn kund gibt, nicht aber für das, was irgend einer losen Zunge beliebt von ihm zu sagen. Bei ihnen allen kann was einer sagt, oder tut, wohl seine eigene Ehre vernichten, aber nie die eines andern. Ein Schlag ist bei ihnen allen eben nur ein Schlag, wie jedes Pferd und jeder Esel ihn gefährlicher versetzen kann: er wird, nach Umständen, zum Zorne reizen, auch wohl auf der Stelle gerächt werden: aber mit der Ehre hat er nichts zu tun, und keineswegs wird Buch gehalten, über Schläge oder Schimpfwörter, nebst der dafür gewordenen, oder aber einzufordern versäumten »Satisfaktion«. An Tapferkeit und Lebensverachtung stehen sie den Völkern des christlichen Europas nicht nach. Griechen und Römer waren doch wohl ganze Helden: aber sie wußten nichts vom Ehrenkodex. Der Zweikampf war bei ihnen nicht Sache der Edeln im Volke, sondern feiler Gladiatoren, preisgegebener Sklaven und verurteilter Verbrecher, welche, mit wilden Tieren abwechselnd, aufeinander gehetzt wurden, zur Belustigung des Volkes. Bei Einführung des Christentums wurden die Gladiatorenspiele aufgehoben: an ihre Stelle aber ist, in der christlichen Zeit unter Vermittlung des Gottesurteils, das Duell getreten. Waren jene ein grausames Opfer, der allgemeinen Schaulust gebracht, so ist dieses ein grausames Opfer, dem allgemeinen Vorurteil gebracht; aber nicht wie jenes, von Verbrechern, Sklaven und Gefangenen; sondern von Freien und Edlen.

Daß den Alten jedes Vorurteil völlig fremd war, bezeugen eine Menge uns aufbehaltener Züge. Als z. B. ein Teutonischer Häuptling den Marius zum Zweikampf herausgefordert hatte, ließ dieser Held ihm antworten: »wenn er seines Lebens überdrüssig wäre, möge er sich aufhängen«, bot ihm jedoch einen ausgedienten Gladiator an, mit dem er sich herumschlagen könne. Im Plutarch lesen wir, daß der Flottenbefehlshaber Eurybiades, mit dem Themistokles streitend, den Stock aufgehoben habe, ihn zu schlagen; jedoch nicht, daß dieser darauf den Degen gezogen, vielmehr, daß er gesagt habe: »schlage mich, aber höre mich.« Mit welchem Unwillen muß doch der Leser »von Ehre« hierbei die Nachricht vermissen, daß das Atheniensische Offizierkorps sofort erklärt habe, unter so einem Themistokles nicht ferner dienen zu wollen! – Ferner zeigt die Stelle im Plato über die Mißhandlungen, zur Genüge, daß die Alten von der Ansicht des ritterlichen Ehrenpunktes bei solchen Sachen keine Ahnung hatten. Sokrates ist, infolge seiner häufigen Disputationen, oft tätlich mißhandelt worden, welches er gelassen ertrug: als er einst einen Fußtritt erhielt, nahm er es geduldig hin und sagte dem, der sich hierüber wunderte: »würde ich denn, wenn mich ein Esel gestoßen hätte, ihn verklagen ?« – Als ein andermal jemand zu ihm sagte: »schimpft und schmäht dich denn jener nicht?« war seine Antwort: »nein: denn was er sagt paßt nicht auf mich.« – Stobäos hat eine lange Stelle des Musonius uns aufbewahrt, daraus zu ersehen, wie die Alten die Injurien betrachteten: sie kannten keine andere Genugtuung, als die gerichtliche; und weise Männer verschmähten auch diese. Daß die Alten für eine erhaltene Ohrfeige keine andere Genugtuung kannten, als eine gerichtliche, ist deutlich zu ersehen aus Platos Gorgias; woselbst auch die Meinung des Sokrates darüber steht. Wir sehen also, daß den Alten das ganze ritterliche Ehrenprinzip durchaus unbekannt war, weil sie eben in allen Stücken der unbefangenen, natürlichen Ansicht der Dinge getreu blieben und daher solche finstere und heillose Fratzen sich nicht einreden ließen. Deshalb konnten sie auch einen Schlag ins Gesicht für nichts anderes halten, als was er ist, eine kleine physische Beeinträchtigung; während er den neuern die Katastrophe und ein Thema zu Trauerspielen geworden ist, z. B. im Cid des Corneille, auch in einem neueren deutschen bürgerlichen Trauerspiele, welches »die Macht der Verhältnisse« heißt, aber »die Macht des Vorurteils« heißen sollte: wenn aber gar einmal in der Pariser Nationalversammlung eine Ohrfeige fällt, so hallt ganz Europa davon wieder. Den Leuten »von Ehre« nun aber, welche durch obige klassische Erinnerungen und angeführte Beispiele aus dem Altertume verstimmt sein müssen, empfehle ich, als Gegengift, in Diderots Meisterwerke, Jaques le falaliste, die Geschichte des Herrn Desglands zu lesen, als ein auserlesenes Musterstück moderner ritterlicher Ehrenhaftigkeit, daran sie sich laben und erbauen mögen.

Aus dem Angeführten erhellt zur Genüge, daß das ritterliche Ehrenprinzip keineswegs ein ursprüngliches, in der menschlichen Natur selbst gegründetes sein kann. Es ist also ein künstliches, und sein Ursprung ist nicht schwer zu finden. Es ist offenbar ein Kind jener Zeit, wo die Fäuste geübter waren, als die Köpfe, und die Pfaffen die Vernunft in Ketten hielten, also des belobten Mittelalters und seines Rittertums. Damals nämlich ließ man für sich den lieben Gott nicht nur sorgen, sondern auch urteilen. Demnach werden schwierige Rechtsfälle durch Ordalien oder Gottesurteile entschieden: diese nun bestanden mit wenigen Ausnahmen in Zweikämpfen, keineswegs bloß unter Rittern, sondern auch unter Bürgern; – wie dies ein artiges Beispiel in Shakespeares Heinrich VI. bezeugt. Auch konnte von jedem richterlichen Urteilsspruch immer noch an den Zweikampf als die höhere Instanz, nämlich das Urteil Gottes, appelliert werden. Dadurch war nur eigentlich die physische Kraft und Gewandtheit, also die tierische Natur, statt der Vernunft auf den Richterstuhl gesetzt, und über Recht oder Unrecht entschied nicht was einer getan hatte, sondern was ihm widerfuhr – ganz nach dem noch heute geltenden ritterlichen Ehrenprinzip. Wer an diesem Ursprunge des Duellwesens noch zweifelt, lese das vortreffliche Buch von J. G. Mellingen, die Geschichte des Duells, 1849. Ja, noch heutzutage findet man unter den, dem ritterlichen Ehrenprinzip nachlebenden Leuten, welche bekanntlich nicht gerade die unterrichtetsten und nachdenkendsten zu sein pflegen, einige, die den Erfolg des Duells wirklich für eine göttliche Entscheidung des ihm zugrunde liegenden Streites halten; gewiß nach einer traditionell fortgeerbten Meinung. Abgesehen von diesem Urspruche des ritterlichen Ehrenprinzips, ist eine Tendenz zunächst diese, daß man durch Androhung physischer Gewalt die äußerlichen Bezeugungen derjenigen Achtung erzwingen will, welche wirklich zu erwerben man entweder für zu beschwerlich oder für überflüssig hält. Dies ist ungefähr so, wie wenn jemand die Kugel des Thermometers mit der Hand erwärmend am Steigen des Quecksilbers dartun wollte, daß sein Zimmer wohlgeheizt sei. Näher betrachtet ist der Kern der Sache dieser: wie die bürgerliche Ehre, als welche den friedlichen Verkehr mit andern im Auge hat, in der Meinung dieser von uns besteht, daß wir vollkommenes Zutrauen verdienen, weil wir die Rechte eines jeden unbedingt achten; so besteht die ritterliche Ehre in der Meinung von uns, daß wir zu fürchten seien, weil wir unsere eigenen Rechte unbedingt zu verteidigen gesonnen sind. Der Grundsatz, daß es wesentlicher sei, gefürchtet zu werden, als Zutrauen zu genießen, würde auch, weil auf die Gerechtigkeit der Menschen wenig zu bauen ist, so gar falsch nicht sein, wenn wir im Naturzustande lebten, wo jeder sich selbst zu schützen und seine Rechte unmittelbar zu verteidigen hat. Aber im Stande der Zivilisation, wo der Staat den Schutz unserer Person und unseres Eigentums übernommen, findet er keine Anwendung mehr und steht da wie die Burgen und Warten aus den Zeiten des Faustrechtes, unnütz und verlassen, zwischen wohlbebauten Feldern und belebten Landstraßen, oder gar Eisenbahnen. Demgemäß hat denn auch die ihn festhaltende ritterliche Ehre sich auf solche Beeinträchtigungen der Person geworfen, welche der Staat nur leicht, oder nach dem Prinzip: Um Geringfügigkeiten kümmert sich das Gesetz nicht, gar nicht bestraft, indem es unbedeutende Kränkungen und zum Teil bloße Neckereien sind. Sie aber hat in Hinsicht auf diese sich hinaufgeschroben zu einer der Natur, der Beschaffenheit und dem Lose des Menschen gänzlich unangemessenen Überschätzung des Wertes der eigenen Person, als welchen sie bis zu einer Art von Heiligkeit steigert und demnach die Strafe des Staates für kleine Kränkungen derselben durchaus unzulänglich findet, solche daher selbst zu strafen übernimmt und zwar stets am Leibe und Leben des Beleidigers. Offenbar liegt hier der unmäßigste Hochmut und die empörendste Hoffahrt zugrunde, welche, ganz vergessend, was der Mensch eigentlich ist, eine unbedingte Unverletzlichkeit wie auch Tadellosigkeit, für ihn in Anspruch nehmen. Allein jeder, der diese mit Gewalt durchzusetzen gesonnen ist und demzufolge die Maxime proklamiert: »Wer mich schimpft oder gar mir einen Schlag gibt, soll des Todes sein«, – verdient eigentlich schon darum aus dem Lande verwiesen zu werden. Da wird denn zur Beschönigung jenes vermessenen Übermutes allerhand vorgegeben. Von zwei unerschrockenen Leuten, heißt es, gebe keiner je nach, daher es vom leisesten Anstoß zu Schimpfreden, dann zu Prügeln und endlich zum Todschlage kommen würde; demnach sei es besser, anstandshalber die Mittelstufen zu überspringen und gleich an die Waffen zu gehen. Das speziellere Verfahren hierbei hat man dann in ein steifes, pedantisches System mit Gesetzen und Regeln gebracht, welches die ernsthafteste Posse von der Welt ist und als ein wahrer Ehrentempel der Narrheit dasteht. Nun aber ist der Grundsatz selbst falsch: bei Sachen von geringer Wichtigkeit (die von großer bleiben stets den Gerichten anheimgestellt) gibt von zwei unerschrockenen Leuten allerdings einer nach, nämlich der Klügste, und bloße Meinungen läßt man auf sich beruhen. Den Beweis hierfür liefert das Volk, oder vielmehr alle die zahlreichen Stände, welche sich nicht zum ritterlichen Ehrenprinzip bekennen, bei denen daher die Streitigkeiten ihren natürlichen Verlauf haben: unter diesen Ständen ist der Totschlag hundertmal seltener als bei der vielleicht nur ein Tausendstel der Gesamtheit betragenden Fraktion, welche jenem Prinzipe huldigt; und selbst eine Prügelei ist eine Seltenheit. – Sodann aber wird behauptet, der gute Ton und die feine Sitte der Gesellschaft hätten zum letzten Grundpfeiler jenes Ehrenprinzip, mit seinen Duellen, als welche die Wehrmauer gegen die Ausbrüche der Roheit und Ungezogenheit wären. Allein in Athen, Korinth und Rom war ganz gewiß gute und zwar sehr gute Gesellschaft, auch feine Sitte und guter Ton anzutreffen, ohne daß jener Popanz der ritterlichen Ehre dahinter gesteckt hätte. Freilich aber führten daselbst auch nicht, wie bei uns, die Weiber den Vorsitz in der Gesellschaft, welches, wie es zunächst der Unterhaltung einen frivolen und läppischen Charakter erteilt und jedes gehaltvolle Gespräch verbannt, gewiß auch sehr dazu beiträgt; daß in unserer guten Gesellschaft der persönliche Mut den Rang vor jeder anderen Eigenschaft behauptet; während er doch eigentlich eine sehr untergeordnete, eine bloße Unteroffizierstugend ist, ja, eine, in welcher sogar Tiere uns übertreffen, weshalb man z. B. sagt: »mutig wie ein Löwe«. Sogar aber ist, im Gegenteil obiger Behauptung, das ritterliche Ehrenprinzip oft das sichere Asylum, wie im Großen der Unredlichkeit und Schlechtigkeit, so im Kleinen der Ungezogenheit, Rücksichtslosigkeit und Flegelei, indem eine Menge sehr lästiger Unarten stillschweigend geduldet werden, weil eben keiner Lust hat, an die Rüge derselben den Hals zu setzen. – Dem allen entsprechend sehen wir das Duell im höchsten Flor und mit blutdürstigem Ernst betrieben, gerade bei der Nation, welche in politischen und finanziellen Angelegenheiten Mangel an wahrer Ehrenhaftigkeit bewiesen hat: wie es damit bei ihr im Privatverkehr stehe, kann man bei denen erfragen, die Erfahrung darin haben. Was aber gar ihre Urbanität und gesellschaftliche Bildung betrifft, so ist sie als negatives Muster längst berühmt.

Alle jene Vorgeben halten also nicht Stich. Mit mehr Recht kann urgiert werden, daß, wie schon ein angeknurrter Hund wieder knurrt, ein geschmeichelter wieder schmeichelt, es auch in der Natur des Menschen liege, jede feindliche Begegnung feindlich zu erwidern und durch Zeichen der Geringschätzung, oder des Hasses, erbittert und gereizt zu werden; daher schon Cicero sagt; Jede Beschimpfung trägt einen Stachel in sich, den gerade kluge und tüchtige Männer am schwersten ertragen können; wie dann auch nirgends auf der Welt (einige fromme Sekten beiseite gesetzt) Schimpfreden, oder gar Schläge, gelassen hingenommen werden. Jedoch leitet die Natur keinesfalls zu etwas Weiterem, als zu einer der Sache angemessenen Vergeltung, nicht aber dazu, den Vorwurf der Lüge, der Dummheit oder der Feigheit, mit dem Tode zu bestrafen, und der altdeutsche Grundsatz »auf eine Maulschelle gehört ein Dolch« ist ein empörender ritterlicher Aberglaube. Jedenfalls ist die Erwiderung oder Vergeltung, von Beleidigungen Sache des Zorns, aber keineswegs der Ehre und Pflicht, wozu das ritterliche Ehrenprinzip sie stempelt. Vielmehr ist ganz gewiß, daß jeder Vorwurf nur in dem Maße, als er trifft, verletzen kann; welches auch daran ersichtlich ist, daß die leiseste Andeutung, welche trifft, viel tiefer verwundet, als die schwerste Anschuldigung, die gar keinen Grund hat. Wer daher wirklich sich bewußt ist, einen Vorwurf nicht zu verdienen, darf und wird ihn getrost verachten. Dagegen aber fordert das Ehrenprinzip von ihm, daß er eine Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht hat, und Beleidigungen, die ihn nicht verletzen, blutig räche. Der aber muß selbst eine schwache Meinung von seinem eigenen Werte haben, der sich beeilt, jeder denselben anfechtenden Äußerung den Daumen aufs Auge zu drücken, damit sie nicht laut werde. Demzufolge wird, bei Injurien, wahre Selbstschätzung wirkliche Gleichgültigkeit verleihen und wo dies, aus Mangel derselben, nicht der Fall ist, werden Klugheit und Bildung anleiten, den Schein davon zu retten und den Zorn zu verbergen. Wenn man demnach nur erst den Aberglauben des ritterlichen Ehrenprinzips los wäre, so daß niemand mehr vermeinen dürfte, durch Schimpfen irgend etwas der Ehre eines andern nehmen oder der seinigen wiedergeben zu können, auch nicht mehr jedes Unrecht, jede Roheit, oder Grobheit, sogleich legitimiert werden könnte durch die Bereitwilligkeit Satisfaktion zu geben, d. h. sich dafür zu schlagen; so würde bald die Einsicht allgemein werden, daß, wenn es an's Schmähen und Schimpfen geht, der in diesem Kampfe Besiegte der Sieger ist, und daß, wie Vincenzo Monti sagt, die Injurien es machen wie die Kirchenprozessionen, welche stets darin zurückkehren von wo sie aufgegangen sind. Ferner würde es alsdann nicht mehr, wie jetzt, hinreichend sein, daß einer eine Grobheit zu Markte brächte, um Recht zu behalten; mithin würden alsdann Einsicht und Verstand ganz anders zum Worte kommen, als jetzt, wo sie immer erst zu berücksichtigen haben, ob sie nicht irgendwie den Meinungen der Beschränktheit und Dummheit, als welche schon ihr bloßes Auftreten alarmiert und erbittert hat, Anstoß geben und dadurch herbeiführen können, daß das Haupt, in welchem sie wohnen, gegen den flachen Schädel, in welchem jene hausen, aufs Würfelspiel gesetzt werden müsse. Sonach würde alsdann in der Gesellschaft die geistige Überlegenheit das ihr gebührende Primat erlangen, welches jetzt, wenn auch verdeckt, die physische Überlegenheit und die Husarenkurage hat, und infolge hiervon würden die vorzüglichsten Menschen doch schon einen Grund weniger haben, als jetzt, sich von der Gesellschaft zurückzuziehn. Eine Veränderung dieser Art würde demnach den wahren guten Ton herbeiführen und der wirklich guten Gesellschaft den Weg bahnen, in der Form, wie sie, ohne Zweifel, in Athen, Korinth und Rom bestanden hat. Wer von dieser eine Probe zu sehen wünscht, dem empfehle ich das Gastmahl des Xenephon zu lesen.

Die letzte Verteidigung des ritterlichen Kodex wird aber, ohne Zweifel lauten; »Ei, da könnte ja, Gott sei bei uns! wohl gar einer dem andern einen Schlag versetzen!« – worauf ich kurz erwidern könnte, daß dies bei den 999/1000 der Gesellschaft, die jenen Kodex nicht anerkennen, oft genug der Fall gewesen, ohne daß je einer dran gestorben sei, während bei den Anhängern desselben, in der Regel, jeder Schlag ein tödlicher wird. Aber ich will näher darauf eingehen. Ich habe mich oft genug bemüht, für die unter einen Teil der menschlichen Gesellschaft so feststehende Überzeugung von der Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der tierischen oder in der vernünftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren oder wenigstens plausibeln, nur nicht in bloßen Redensarten bestehenden, sondern auf deutliche Begriffe zurückführbaren Grund zu finden; jedoch vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches Übel, welches jeder Mensch dem andern verursachen kann, dadurch aber weiter nichts beweist, als daß er stärker oder gewandter sei, oder daß der andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergibt die Analyse nichts. Sodann sehe ich denselben Ritter, welchem ein Schlag von Menschenhand der Übel größtes dünkt, einen zehnmal stärkeren Schlag von seinem Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davonhinkend, versichern, es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es läge an der Menschenhand. Allein ich sehe unsern Ritter von dieser Degenstiche und Säbelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei Kleinigkeit, nicht der Rede wert. Sodann vernehme ich, daß selbst Schläge mit der flachen Klinge bei weitem nicht so schlimm seien, wie die mit dem Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten wohl jenen, aber nicht diesen ausgesetzt waren; und nun gar der Ritterschlag, mit der Klinge, ist die größte Ehre. Da bin ich denn mit meinen psychologischen und moralischen Gründen zu Ende, und mir bleibt nichts übrig, als die Sache für einen alten, festgewurzelten Aberglauben zu halten, für ein Beispiel mehr, zu so vielen, was alles man den Menschen einreden kann. Dies bestätigt auch die bekannte Tatsache, daß in China Schläge mit dem Bambusrohr eine sehr häufige bürgerliche Bestrafung selbst für Beamte aller Klassen sind; indem sie uns zeigt, daß die Menschennatur, und selbst die hoch zivilisierte, dort nicht dasselbe aussagt. Sogar aber lehrt ein unbefangener Blick auf die Natur des Menschen, daß diesem das Prügeln so natürlich ist, wie den reißenden Tieren das Beißen und dem Hornvieh das Stoßen: er ist eben ein prügelndes Tier. Daher auch werden wir empört, wenn wir, in seltenen Fällen, vernehmen, daß ein Mensch den andern gebissen habe; hingegen ist, daß er Schläge gebe und empfange, ein so natürliches, wie leicht eintretendes Ereignis. Daß höhere Bildung sich auch diesem, durch gegenseitige Selbstbeherrschung, gern entzieht, ist leicht erklärlich. Aber einer Nation, oder auch nur einer Klasse, aufzubinden, ein gegebener Schlag sei ein entsetzliches Unglück, welches Mord und Totschlag zur Folge haben müsse, ist eine Grausamkeit. Es gibt der wahren Übel zu viele auf der Welt, als daß man sich erlauben dürfte, sie durch imaginäre, welche die wahren herbeiziehen, zu vermehren: das tut aber jener dumme und boshafte Aberglaube. Ich muß daher sogar mißbilligen, daß Regierungen und gesetzgebende Körper demselben dadurch Vorschub leisten, daß sie mit Eifer auf Abstellung aller Prügelstrafen, beim Zivil und Militär dringen. Sie glauben dabei im Interesse der Humanität zu handeln; während gerade das Gegenteil der Fall ist, indem sie dadurch an der Befestigung jenes widernatürlichen und heillosen Wahnes, dem schon so viele Opfer gefallen sind, arbeiten. Bei allen Vergehungen, mit Ausnahme der schwersten, sind Prügel die dem Menschen zuerst einfallende, daher die natürliche Bestrafung: wer für Gründe nicht empfänglich war, wird es für Prügel sein: nur daß der, welcher am Eigentum, weil er keines hat, nicht gestraft werden kann, und den man an der Freiheit, weil man seiner Dienste bedarf, nicht ohne eigenen Nachteil bestrafen kann, durch mäßige Prügel gestraft werde, ist so billig, wie natürlich. Auch werden gar keine Gründe dagegen aufgebracht, sondern bloße Redensarten von der »Würde des Menschen«, die sich nicht auf deutliche Begriffe, sondern eben nur wieder auf obigen verderblichen Aberglauben stützen. Daß dieser der Sache zum Grunde liege hat eine fast lächerliche Bestätigung daran, daß noch vor kurzem, in manchen Ländern, beim Militär die Prügelstrafe durch die Lattenstrafe ersetzt worden war, welche doch, ganz und gar wie jene, die Verursachung eines körperlichen Schmerzes ist, nun aber nicht ehrenrührig und entwürdigend sein soll.

Durch dergleichen Beförderung des besagten Aberglaubens arbeitet man aber dem ritterlichen Ehrenprinzip und damit dem Duell in die Hände, während man dieses andererseits durch Gesetze abzustellen bemüht ist, oder doch es zu sein vorgibt. Infolge davon treibt denn jenes Fragment des Faustrechts, aus den Zeiten des rohesten Mittelalters bis in das 19. Jahrhundert herabgeweht, sich in diesem, zum öffentlichen Skandal, noch immer herum: es ist nachgerade an der Zeit, daß es mit Schimpf und Schande hinausgeworfen werde. Ist es doch heutzutage nicht mal erlaubt, Hunde oder Hähne, methodisch aufeinander zu hetzen (wenigstens werden in England dergleichen Hetzen gestraft), aber Menschen werden, wider Willen, zum tödlichen Kampf aufeinander gehetzt, durch den lächerlichen Aberglaube des absurden Prinzips der ritterlichen Ehre und durch dessen bornierte Vertreter und Verwalter, welche ihnen die Verpflichtung auflegen, wegen irgendeiner Lumperei, wie Gladiatoren miteinander zu kämpfen. Unsern deutschen Puristen schlage ich daher, für das Wort Duell, welches wahrscheinlich nicht vom lateinischen duellum, sondern vom Spanischen duelo, Leid, Klage, Beschwerde, herkommt – die Benennung Ritterhetze vor. Die Pedanterie, mit der die Narrheit getrieben wird, gibt allerdings Stoff zum Lachen. Indessen ist es empörend, daß jenes Prinzip und sein absurder Kodex einen Staat im Staate begründet, welches, kein anderes als das Faustrecht anerkennend, die ihm unterworfenen Stände dadurch tyrannisiert, daß er ein heiliges Vehmgericht offen hält, vor welches jeder jeden, mittelst sehr leicht herbeizuführender Anlässe als Schergen laden kann, um ein Gericht auf Tod und Leben über ihn und sich ergehen zu lassen. Natürlich wird nun dies der Schlupfwinkel, von welchem aus jeder Verworfenste, wenn er nur jenen Ständen angehört, den Edelsten und Besten, der ihm als solcher notwendig verhaßt sein muß, bedrohen, ja, aus der Welt schaffen kann. Nachdem heutzutage Justiz und Polizei es so ziemlich dahingebracht haben, daß nicht mehr auf der Landstraße jeder Schurke uns zurufen kann: »die Börse oder das Leben«, sollte endlich auch die gesunde Vernunft es dahin bringen, daß nicht mehr, mitten im friedlichen Verkehr, jeder Schurke uns zurufen könne »die Ehre oder das Leben«. Und die Beklemmung sollte den höheren Ständen von der Brust genommen werden, welche daraus entsteht, daß jeder, jeden Augenblick, mit Leib und Leben verantwortlich werden kann für die Roheit, Grobheit, Dummheit oder Bosheit irgendeines anderen, dem es gefällt, solche gegen ihn auszulassen. Daß, wenn zwei junge, unerfahrene Hitzköpfe mit Worten aneinandergeraten, sie dies mit ihrem Blut, ihrer Gesundheit, oder ihrem Leben büßen sollen, ist himmelschreiend, ist schändlich. Wie arg die Tyrannei jenes Staates im Staate und wie groß die Macht, jenes Aberglaubens sei, läßt sich daran ermessen, daß schon öfter Leute, denen die Wiederherstellung ihrer verwundeten ritterlichen Ehre, wegen zu hohen, oder zu niedrigen Standes, oder sonst unangemessener Beschaffenheit des Beleidigers unmöglich war, aus Verzweiflung darüber sich selbst das Leben genommen und so ein tragikomisches Ende gefunden haben. – Da das Falsche und Absurde sich am Ende meistens dadurch entschleiert, daß es auf seinem Gipfel den Widerspruch als eine Blüte hervortreibt; so tritt dieser zuletzt auch hier in Form der schreiendsten Antinomie hervor: nämlich dem Offizier ist das Duell verboten: aber er wird durch Absetzung gestraft, wenn er es, vorkommenden Falls, unterläßt.

Ich will aber, da ich einmal dabei bin, in der Parrhesia noch weiter gehen. Beim Lichte und ohne Vorurteil betrachtet, beruht bloß darauf, daß, wie gesagt, jener Staat im Staate kein anderes Recht, als das des Stärkeren, also das Faustrecht, anerkannt und dieses zum Gottesurteil erhoben, seinem Kodex zum Grunde gelegt hat, der so wichtig gemachte und so hochgenommene Unterschied, ob man seinen Feind im offenen, mit gleichen Waffen geführten Kampf, oder aus dem Hinterhalt erlegt habe. Denn durch ersteres hat man doch weiter nichts bewiesen, als daß man der Stärkere, oder der Geschicktere sei. Die Rechtfertigung, die man im Bestehen des offenen Kampfes sucht, setzt also voraus, daß das Recht des Stärkeren wirklich ein Recht sei. In Wahrheit aber gibt der Umstand, daß der andere sich schlecht zu wehren versteht, mir zwar die Möglichkeit, jedoch keineswegs das Recht, ihn umzubringen, sondern dieses letztere, also meine moralische Rechtfertigung, kann allein auf den Motiven, die ich, ihm das Leben zu nehmen, habe, beruhen. Nehmen wir nun an, diese wären wirklich vorhanden und zureichend; so ist durchaus kein Grund da, es jetzt noch davon abhängig zu machen, ob er, oder ich, besser schießen oder fechten könne, sondern dann ist es gleichviel, auf welche Art ich ihm das Leben nehme, ob von hinten oder von vorne. Denn moralisch hat das Recht des Stärkeren nicht mehr Gewicht, als das Recht des Klügeren, welches beim hinterlistigen Morde angewandt wird: hier wiegt also dem Faustrecht das Kopfrecht gleich; wozu noch bemerkt sei, daß auch beim Duell das eine wie das andere geltend gemacht wird, indem schon jede Finte, beim Fechten, Hinterlist ist. Halte ich mich moralisch gerechtfertigt, einem das Leben zu nehmen, so ist es Dummheit, es jetzt noch erst darauf ankommen zu lassen, ob er etwa besser schießen oder fechten könne, als ich, im welchen Fall er dann, umgekehrt, mir, den er schon beeinträchtigt hat, noch obendrein das Leben nehmen soll. Daß Beleidigungen nicht durch das Duell, sondern durch Meuchelmord zu rächen seien, ist Rousseaus Ansicht, die er behutsam andeutet, in der so geheimnisvoll gehaltenen 21. Anmerkung zum 4. Buche des Emile. Dabei aber ist er so stark im ritterlichen Aberglauben befangen, daß er schon den erlittenen Vorwurf der Lüge als eine Berechtigung zum Meuchelmorde ansieht; während er doch wissen mußte, daß jeder Mensch diesen Vorwurf unzählige Male verdient hat, ja, er selbst im höchsten Grade. Das Vorurteil aber, welches die Berechtigung, den Beleidiger zu töten, durch den offenen Kampf, mit gleichen Waffen, bedingt sein läßt, hält offenbar das Faustrecht für ein wirkliches Recht und den Zweikampf für ein Gottesurteil. Der Italiener hingegen, welcher von Zorn entbrannt, seinen Beleidiger, wo er ihn findet, ohne weiteres, mit dem Messer anfällt, handelt wenigstens konsequent und naturgemäß: er ist klüger, aber nicht schlechter als der Duellant. Wollte man sagen, daß ich, bei der Tötung meines Feindes im Zweikampf, dadurch gerechtfertigt sei, daß er eben sich bemühe, mich zu töten, so steht dem entgegen, daß ich, durch die Herausforderung, ihm in den Fall der Notwehr versetzt habe. Dieses sich absichtlich gegenseitig in den Fall der Notwehr versetzen, heißt im Grunde nur, einen plausibeln Vorwand für den Mord suchen. Eher ließe sich die Rechtfertigung durch den Grundsatz: Dem Wollenden geschieht kein Unrecht, hören, sofern man durch gegenseitige Übereinkunft sein Leben auf dieses Spiel gesetzt hat: aber dem steht entgegen, daß es mit dem »Wollenden« nicht seine Richtigkeit hat; indem die Tyrannei des ritterlichen Ehrenprinzips und seines absurden Kodex der Scherge ist, welcher beide, oder wenigstens einen der beiden Kämpen vor dieses blutige Vehmgericht geschleppt hat.

Ich bin über die ritterliche Ehre weitläufig gewesen, aber in guter Absicht – und weil gegen die moralischen und intellektuellen Ungeheuer auf dieser Welt der alleinige Herkules die Philosophie ist. Zwei Dinge sind es hauptsächlich, welche den gesellschaftlichen Zustand der neuen Zeit von dem des Altertums, zum Nachteil des ersteren, unterscheiden, indem sie demselben einen ernsten, finstern, sinistern Anstrich gegeben haben, von welchem frei das Altertum heiter und unbefangen, wie der Morgen des Lebens, dasteht. Sie sind: das ritterliche Ehrenprinzip und die venerische Krankheit – ein edles Bewerberpaar! Sie zusammen haben Streit und Liebe des Lebens vergiftet. Die venerische Krankheit nämlich erstreckt ihren Einfluß viel weiter, als es auf den ersten Blick scheinen möchte, indem derselbe keineswegs ein bloß physischer, sondern auch ein moralischer ist. Seitdem Amors Köcher auch vergiftete Pfeile führt, ist in das Verhältnis der Geschlechter zueinander ein fremdartiges, feindseliges, ja teuflisches Element gekommen; infolge wovon ein finsteres und furchtsames Mißtrauen es durchzieht; und der mittelbare Einfluß einer solchen Änderung in der Grundfeste aller menschlichen Gemeinschaft erstreckt sich, mehr oder weniger, auch auf die übrigen geselligen Verhältnisse; welches auseinander zu sehen mich hier zu weit führen würde. – Analog, wiewohl ganz anderartig, ist der Einfluß des ritterlichen Ehrenprinzips, dieser ernsthaften Posse, welche den Alten fremd war, hingegen die moderne Gesellschaft steif, ernst und ängstlich macht, schon weil jede flüchtige Äußerung skrutiniert und ruminiert wird. Aber mehr als dies! Jenes Prinzip ist ein allgemeiner Minotaur, dem nicht wie dem antiken, von einem, sondern von jedem Lande in Europa, alljährlich eine Anzahl Söhne edeler Häuser zum Tribut gebracht werden muß. Daher ist es an der Zeit, daß diesem Popanz einmal kühn zu Leibe gegangen werde, wie hier geschehn. Möchten doch beide Monstra der neueren Zeit im 19. Jahrhundert ihr Ende finden. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß es mit dem ersteren den Ärzten, mittelst der Prophylaktika, endlich doch noch gelingen werde. Den Popanz aber abzutun ist Sache des Philosophen, mittelst Berichtigung der Begriffe, da es den Regierungen, mittelst Handhabung der Gesetze, bisher nicht hat gelingen wollen, zudem auch nur auf dem ersteren Wege das Übel an der Wurzel angegriffen wird. Sollte es inzwischen den Regierungen mit der Abstellung des Duellwesens wirklich ernst sein und der geringe Erfolg ihres Bestrebens wirklich nur an ihrem Unvermögen liegen; so will ich ihnen ein Gesetz vorschlagen, für dessen Erfolg ich einstehe, und zwar ohne blutige Operationen, ohne Schaffot, oder Galgen, oder lebenswidrige Einsperrungen, zu Hilfe zu nehmen. Vielmehr ist es ein kleines, ganz leichtes, homöopatisches Mittelchen: wer einen anderen herausfordert, oder sich stellt, erhält à la Chinoise, am helle Tage vor der Hauptwache 12 Stockschläge vom Korporal, die Kartellträger und Sekundanten jeder sechs. Wegen der etwaigen Folgen wirklich vollzogener Duelle bliebe das gewöhnliche kriminelle Verfahren. Vielleicht würde ein ritterlich Gesinnter mir einwenden; daß nach Vollstreckung solcher Strafe mancher »Mann von Ehre« imstande sein könnte, sich todzuschießen; worauf ich antworte: es ist besser, daß so ein Narr sich selber totschießt, als andere. – Im Grunde aber weiß ich sehr wohl, daß es den Regierungen mit der Abstellung der Duelle nicht sehr ernst ist. Die Gehalte der Zivilbeamten, noch viel mehr aber die der Offiziere stehen (von den höchsten Stellen abgesehen) weit unter dem Wert ihrer Leistungen. Zur andern Hälfte werden sie daher mit der Ehre bezahlt. Diese wird zunächst durch Titel und Orden vertreten, im weiteren Sinne durch die Standesehre überhaupt. Für diese Standesehre nun ist das Duell ein brauchbares Handpferd; daher es auch schon auf den Universitäten seine Vorschule hat. Die Opfer desselben bezahlen demnach mit ihrem Blut das Defizit der Gehalte. –

Der Vervollständigung wegen Sei hier noch die Nationalehre erwähnt. Sie ist die Ehre eines ganzen Volkes als Teiles der Völkergemeinschaft. Da es in dieser kein anderes Forum gibt, als das der Gewalt, und demnach jedes Mitglied derselben seine Rechte selbst zu schützen hat; so besteht die Ehre einer Nation nicht allein in der erworbenen Meinung, daß ihr zu trauen sei, sondern auch in der, daß sie zu fürchten sei: daher darf sie Eingriffe in ihre Rechte niemals ungeahndet lassen. Sie vereinigt also den Ehrenpunkt der bürgerlichen mit dem der ritterlichen Ehre. – Zu dem, was einer vorstellt, d. h. in den Augen der Welt ist, war oben in letzter Stelle der Ruhm gezählt worden: diesen hätten wir also noch zu betrachten. – Ruhm und Ehre sind Zwillingsgeschwister; jedoch so, wie die Dioskuren, von denen Pollux unsterblich und Kastor sterblich war: der Ruhm ist der unsterbliche Bruder der sterblichen Ehre. Freilich ist dies nur vom Ruhme höchster Gattung, dem eigentlichen und echten Ruhme, zu verstehen: denn es gibt allerdings auch mancherlei ephemeren Ruhm. – Die Ehre, nun ferner, betrifft bloß solche Eigenschaften, welche von jedem, der in denselben Verhältnissen steht, gefordert werden; der Ruhm bloß solche, die man von niemanden fordern kann, die Ehre solche, die jeder sich selber öffentlich beilegen darf; der Ruhm solche, die keiner sich selber beilegen darf. Während unsere Ehre so weit reicht, wie die Kunde von uns; so eilt umgekehrt, der Ruhm der Kunde von uns voran und bringt diese so weit er selbst gelangt. Auf Ehre hat jeder Anspruch; auf Ruhm nur die Ausnahmen: denn nur durch außerordentliche Leistungen wird Ruhm verlangt. Diese nun wieder sind entweder Taten, oder Werke, wonach zum Ruhm zwei Wege offen stehen. Zum Wege der Taten befähigt vorzüglich das große Herz; zu dem der Werke der große Kopf. Jeder der beiden Wege hat seine eigenen Vorteile und Nachteile. Der Hauptunterschied ist, daß die Taten vorübergehend, die Werke bleiben. Die edelste Tat hat doch nur einen zeitweiligen Einfluß; das geniale Werk hingegen lebt und wirkt, wohltätig und erhebend, durch alle Zeiten. Von den Taten bleibt nur das Andenken, welches immer schwächer, entstellter und gleichgültiger wird, allmählich sogar erlöschen muß, wenn nicht die Geschichte es aufnimmt und es nur im petrifizierten Zustande der Nachwelt überliefert. Die Werke hingegen sind selbst unsterblich, und können, zumal die schriftlichen, alle Zeiten durchleben. Von Alexander dem Großen lebt Name und Gedächtnis; aber Plato und Aristoteles, Homer und Horaz sind noch selbst da, leben und wirken unmittelbar. Die Weden mit ihren Upanishaden, sind da: aber von allen den Taten, die zu ihrer Zeit geschehen, ist gar keine Kunde auf uns gekommen. Ein anderer Nachteil der Taten ist ihre Abhängigkeit von der Gelegenheit, als welche erst die Möglichkeit dazu geben muß; woran sich knüpft, daß ihr Ruhm sich nicht allein nach ihrem innern Werte richtet, sondern auch nach den Umständen, welche ihnen Wichtigkeit und Glanz erteilen. Zudem ist er, wenn, wie im Kriege, die Taten rein persönliche sind, von der Aussage weniger Augenzeugen abhängig: diese sind nicht immer vorhanden und dann nicht immer gerecht und unbefangen. Dagegen aber haben die Taten den Vorteil, daß sie, als etwas Praktisches, im Bereich der allgemeinen menschlichen Urteilsfähigkeit liegen; daher ihnen, wenn dieser nur die Data richtig überliefert sind, sofort Gerechtigkeit widerfährt; es sei denn, daß ihre Motive erst später richtig erkannt, oder gerecht abgeschätzt werden: denn zum Verständnis einer jeden Handlung gehört Kenntnis des Motivs derselben. Umgekehrt steht es mit den Werken: ihre Entstehung hängt nicht von der Gelegenheit, sondern allein von ihren Urheber ab, und was sie an und für sich sind, bleiben sie, so lange sie bleiben. Bei ihnen liegt dagegen die Schwierigkeit im Urteil, und sie ist umso größer, in je höherer Gattung sie sind: oft fehlt es an kompetenten, oft an unbefangenen und redlichen Richtern. Dagegen nur wieder wird ihr Ruhm nicht von einer Instanz entschieden; sondern es findet Appelation statt. Denn während, wie gesagt, von den Taten bloß das Andenken auf die Nachwelt kommt und zwar so, wie die Mitwelt es überliefert; so kommen hingegen die Werke selbst dahin, und zwar, etwa fehlende Bruchstücke abgerechnet, so, wie sie sind: hier gibt es also keine Entstellung der Data, und auch der etwa nachteilige Einfluß der Umgebung, bei ihrem Ursprunge, fällt später weg. Vielmehr bringt oft erst die Zeit nach und nach, die wenigen wirklich kompetenten Richter heran, welche, schon selbst Ausnahmen, über noch größere Ausnahmen zu Gerichte sitzen: sie geben successiv ihre gewichtigen Stimmen ab, und so steht, bisweilen freilich erst nach Jahrhunderten, ein vollkommenes gerechtes Urteil da, welches keine Folgezeit mehr umstößt. So sicher, ja, unausbleiblich ist der Ruhm der Werke. Hingegen daß ihr Urheber ihn erlebe, hängt von äußeren Umständen und dem Zufall ab: es ist umso seltener, je höherer und schwierigerer Gattung sie waren. Demgemäß sagte Seneka unvergleichlich schön, daß dem Verdienste sein Ruhm so unfehlbar folge, wie dem Körper sein Schatten, nur aber freilich, eben wie auch dieser, bisweilen vor, bisweilen hinter ihm herschreite, und fügt, nachdem er dies erläutert hat, hinzu: Wenn auch allen deinen Mitlebenden der Neid die Lippen zudrückt, so werden doch solche kommen, die ohne Liebe und Haß dir gerecht werden; woraus wir nebenbei ersehen, daß die Kunst des Unterdrückens der Verdienste durch hämisches Schweigen und Ignorieren, um, zugunsten des Schlechten, das Gute dem Publiko zu verbergen, schon bei den Lumpen des Seneka'schen Zeitalters üblich war, so gut wie bei denen des unsrigen, und daß jene, wie diesen, der Neid die Lippen zudrückte. In der Regel wird sogar der Ruhm, je länger er zu dauern hat, desto später eintreten; wie ja alles Vorzügliche langsam heranreift. Der Ruhm, welcher zum Nachruhm werden will, gleicht einer Eiche, die aus ihrem Samen sehr langsam emporwächst, der leichte, ephemere Ruhm den einjährigen, schnellwachsenden Pflanzen, und der falsche Ruhm gar dem schnell hervorschießenden Unkraute, das schleunigst ausgerottet wird. Dieser Hergang beruht eigentlich darauf, daß, je mehr einer der Nachwelt, d. i. eigentlich der Menschheit überhaupt und im ganzen, angehört, desto fremder er seinem Zeitalter ist; weil was er hervorbringt nicht diesem speziell gewidmet ist, also nicht demselben als solchem, sondern nur sofern es ein Teil der Menschheit ist, angehört und daher auch nicht mit dessen Lokalfarbe tingiert ist: infolge hiervon aber kann es leicht kommen, daß dasselbe ihn fremd an sich vorüber gehen läßt. Es schätzt vielmehr die, welche den Angelegenheiten seines kurzen Tages, oder der Laune des Augenblicks dienen und daher ganz ihm angehören, mit ihm leben und mit ihm sterben. Demgemäß lehren Kunst- und Literaturgeschichte durchgängig, daß die höchsten Leistungen des menschlichen Geistes, in der Regel mit Ungunst aufgenommen worden und darin so lange geblieben sind, bis Geister höherer Art herankamen, die von ihnen angesprochen wurden und sie zu dem Ansehn brachten, in welchem sie nachher, durch die so erlangte Auktorität, sich erhalten haben. Dies alles nur aber beruht, im letzten Grunde, darauf, daß jeder eigentlich nur das ihm Homogene verstehen und schätzen kann. Nun aber ist dem Platten das Platte, dem Gemeinen das Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das Unsinnige homogen, und am allerbesten gefallen jedem seine eigenen Werke, als welche ihm durchaus homogen sind. Daher sang schon der alte fabelhafte Epicharmos:

Kein Wunder ist es, daß ich red' in meinem Sinn,
Und jene, selbst sich selbst gefallend, stehn im Wahn,
Sie wären lobenswert: so scheint dem Hund der Hund
Das schönste Wesen, so dem Ochsen auch der Ochs,
Dem Esel auch der Esel, und dem Schwein das Schwein.

Wie selbst der kräftigste Arm, wenn er einen leichten Körper fortschleudert, ihm doch keine Bewegung erteilen kann, mit der er weit flöge und heftig träfe, sondern derselbe schon in der Nähe matt niederfällt, weil es ihm an eignem materiellen Gehalte gefehlt hat, die fremde Kraft aufzunehmen; ebenso ergeht es schönen und großen Gedanken, ja, den Meisterwerken des Genies, wenn, sie aufzunehmen, keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Köpfe da sind. Dies zu bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum Chorus vereint. Z.B. Jesus Sirach sagt: wer mit einem Narren redet, der redet mit einem Schlafenden. Wenn es aus ist, so spricht er: was ist's. – Und Hamlet: eine schalkhafte Rede schläft im Ohr eines Narren. Und Goethe:

Das glücklichste Wort es wird verhöhnt,
Wenn der Hörer ein Schiefohr ist.

und wieder:

Du wirkest nicht, alles bleibt so stumpf,
Sei guter Dinge! ,
Der Stein im Sumpf
Macht keine Ringe.

Und Lichtenberg: »Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl; ist denn das allemal im Buche?« – Und wieder: »Solche Werke sind Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehn.« Zu dieser intellektuellen Unfähigkeit der Menschen, infolge welcher das Vortreffliche, wie Goethe sagt, noch seltener erkannt und geschätzt als gefunden wird, gesellt sich nun hier wie überall, auch noch die moralische Schlechtigkeit derselben, und zwar als Neid auftretend. Durch den Ruhm nämlich, den einer erwirbt, wird abermals einer mehr über alle seiner Art erhoben: diese werden also nur ebenso viel herabgesetzt, so daß jedes ausgezeichnete Verdienst seinen Ruhm auf Kosten derer erlangt, die keines haben.

»Wenn wir andern Ehre geben,
Müssen wir uns selbst entadeln.«
                  Goethe, W. Ö. Divan.

Hieraus erklärt es sich, daß, in welcher Gattung auch immer das Vortreffliche auftreten mag, sogleich die gesamte, so zahlreiche Mittelmäßigkeit verbündet und verschworen ist, es nicht gelten zu lassen, ja, womöglich, es zu ersticken. Ihre heimliche Parole ist: nieder mit dem Verdienste. Aber sogar auch die, welche selbst Verdienste besitzen und bereits den Ruhm desselben erlangt haben, werden nicht gern das Auftreten eines neuen Ruhmes sehen, durch dessen Glanz der des ihrigen um so viel weniger leuchtet. Während also die Ehre, in der Regel, gerechte Richter findet und kein Neid sie anficht, ja sogar sie jedem zum Voraus, auf Kredit verliehen wird, muß der Ruhm, dem Neid zum Trotz, erkämpft werden, und den Lorbeer teilt ein Tribunal entschieden ungünstiger Richter aus. Denn die Ehre können und wollen wir mit jedem teilen: der Ruhm wird geschmälert oder erschwert, durch jeden, der ihn erlangt. – Nun ferner steht die Schwierigkeit der Erlangung des Ruhmes durch Werke im umgekehrten Verhältnis der Menschenzahl, die das Publikum solcher Werke ausmacht; aus leicht abzusehenden Gründen. Daher ist sie viel größer bei Werken, welche Belehrung, als bei solchen, welche Unterhaltung verheißen. Am größten ist sie bei philosophischen Werken; weil die Belehrung, welche diese versprechen, einerseits ungewiß, und andrerseits ohne materiellen Nutzen ist; wonach denn solche zunächst vor einem Publiko auftreten, das aus lauter Mitbewerbern besteht. – Aus den dargelegten Schwierigkeiten, die der Erlangung des Ruhmes entgegenstehn, erhellt, daß wenn die, welche ruhmwürdige Werke vollenden, es nicht aus Liebe zu diesen selbst und eigener Freude daran täten, sondern der Aufmunterung durch den Ruhm bedürfen, die Menschheit wenige, oder keine, unsterbliche Werke erhalten haben würde. Ja, sogar muß, wer das Gute und Rechte hervorbringen und das Schlechte vermeiden soll, dem Urteile der Menge und ihrer Wortführer Trotz bieten, mithin sie verachten. Hierauf beruht die Richtigkeit der Bemerkung, die besonders Osorius hervorhebt; daß der Ruhm vor denen flieht, die ihn suchen, und denen folgt, die ihn vernachlässigen: denn jene bequemen sich dem Geschmack ihrer Zeitgenossen an, diese trotzen ihm. So schwer es demnach ist, den Ruhm zu erlangen, so leicht, ist es ihn zu behalten. Auch hierin steht er im Gegensatz mit der Ehre. Diese wird jedem, sogar auf Kredit, verliehen: denn durch eine einzige nichtswürdige Handlung geht sie unwiederbringlich verloren. Der Ruhm hingegen kann eigentlich nie verloren gehen: denn die Tat, oder das Werk, durch die er erlangt worden, stehn für immer fest und der Ruhm derselben bleibt ihrem Urheber, auch wenn er keinen neuen hinzufügt. Wenn jedoch der Ruhm wirklich verklingt, wenn er überlebt wird; so war er unecht, d. h. unverdient, durch augenblickliche Überschätzung entstanden, wo nicht gar so ein Ruhm, wie Hegel ihn hatte und Lichtenberg ihn beschreibt, »ausposaunt von einer freundschaftlichen Kandidatenjunta und vom Echo leerer Köpfe widergehallt – – aber die Nachwelt, wie wird sie lächeln, wann sie dereinst an die bunten Wörtergehäuse, die schönen Nester ausgeflogener Mode und die Wohnungen weggestorbener Verabredungen anklopfen und alles, alles leer finden wird, auch nicht den kleinsten Gedanken, der mit Zuversicht sagen könnte: herein!« –

Der Ruhm beruht eigentlich auf dem, was einer im Vergleich mit den übrigen ist. Demnach ist er wesentlich ein Relatives, kann daher auch nur relativen Wert haben. Er fiele ganz weg, wenn die übrigen würden was der Gerühmte ist. Absoluten Wert kann nur das haben, was ihn unter allen Umständen behält, also hier, was einer unmittelbar und für sich selbst ist: folglich muß hierin der Wert und das Glück des großen Herzens und des großen Kopfes liegen. Also nicht der Ruhm, sondern das, wodurch man ihn verdient, ist das Wertvolle. Denn es ist gleichsam die Substanz und der Ruhm nur das Akzidenz der Sache: ja dieser wirkt auf den Gerühmten hauptsächlich als ein äußerliches Symptom, durch welches er die Bestätigung seiner eigenen hohen Meinung von sich selbst erhält; demnach man sagen könnte, daß, wie das Licht gar nicht sichtbar ist, wenn es nicht von einem Körper zurückgeworfen wird; ebenso jede Trefflichkeit erst durch den Ruhm ihrer selbst recht gewiß wird. Allein er ist nicht einmal ein untrügliches Symptom; da es auch Ruhm ohne Verdienst und Verdienst ohne Ruhm gibt, weshalb ein Ausdruck Lessings so artig herauskommt: »einige Leute sind berühmt, und andre verdienen es zu sein.« Auch wäre es eine elende Existenz, deren Wert oder Unwert darauf beruhte, wie sie in den Augen anderer erschiene; eine solche aber wäre das Leben des Helden und des Genies, wenn dessen Wert im Ruhme, d.h. im Beifall anderer, bestände. Vielmehr lebt und existiert ja jegliches Wesen seiner selbst wegen, daher auch zunächst in sich und für sich. – Was einer ist, in welcher Art und Weise es auch sei, das ist er zuvörderst und hauptsächlich für sich selbst: und wenn es hier nicht viel wert ist, so ist es überhaupt nicht viel. Hingegen ist das Abbild seines Wesens in den Köpfen anderer ein Sekundäres, Abgeleitetes und dem Zufall unterworfenes, welches nur sehr mittelbar sich auf das erstere zurückbezieht. Zudem sind die Köpfe der Menge ein zu elender Schauplatz, als daß auf ihm das wahre Glück seinen Ort haben könnte. Vielmehr ist daselbst nur ein chimärisches Glück zu finden. Welche gemischte Gesellschaft trifft doch in jenem Tempel des allgemeinen Ruhmes zusammen! Feldherren, Minister, Quacksalber, Gaukler, Tänzer, Sänger, Millionäre und Juden: ja, die Vorzüge aller dieser werden dort viel aufrichtiger geschätzt, finden vielmehr estime, sentie, als die geistigen, zumal der hohen Art, die ja bei der großen Mehrzahl nur eine estime sur parole erlangen. In eudämonologischer Hinsicht ist also der Ruhm nichts weiter, als der seltenste und köstlichste Bissen für unsern Stolz und unsere Eitelkeit. Diese aber sind ja in den meisten Menschen, obwohl sie es verbergen, übermäßig vorhanden, vielleicht sogar am stärksten in denen, die irgendwie geeignet sind, sich Ruhm zu erwerben, und daher meistens das unsichere Bewußtsein ihres überwiegenden Wertes lange in sich herum tragen müssen, ehe die Gelegenheit kommt, solchen zu erproben und dann die Anerkennung desselben zu erfahren: bis dahin war ihnen zumute, als erlitten sie ein heimliches Unrecht. Da unser größtes Vergnügen darin besteht, bewundert zu werden, die Bewunderer aber, selbst wo alle Ursache wäre, sich ungern dazu herbeilassen, so ist der Glücklichste der, welcher, gleichviel wie, es dahin gebracht hat, sich selbst aufrichtig zu bewundern. Nur müssen die andern ihn nicht irre machen. Überhaupt ist ja, wie am Anfange dieses Kapitels erörtert worden, der Wert, den der Mensch auf die Meinung anderer von ihm legt, ganz unverhältnismäßig und unvernünftig; so daß Hobbes die Sache zwar sehr stark, aber vielleicht doch richtig ausgedrückt hat in den Worten: alles Vergnügen des Geistes, alle seine Freude beruht darauf, daß er, wenn er sich mit anderen vergleicht, Gelegenheit habe, über sich selbst recht hoch zu denken. Hieraus ist der hohe Wert erklärlich, den man allgemein auf den Ruhm legt, und die Opfer, welche man bringt, in der bloßen Hoffnung, ihn dereinst zu erlangen:

Ruhm (diese letzte Schwäche edler Geister) ist der Stachel, der die reine Seele die Freude verachten und mühevolle Tage leben läßt.

wie auch:

Wie schwer sind die Höhen zu erklimmen, von denen herab der Ruhmestempel fernerhin leuchtet.

Hieraus endlich erklärt es sich auch, daß die eitelste aller Nationen beständig la gloire im Munde führt und solche unbedenklich als die Haupttriebfeder zu großen Taten und großen Werken ansieht. – Allein, da unstreitig der Ruhm nur das Sekundäre ist, das bloße Echo, Abbild, Schatten, Symptom des Verdienstes, und da jedenfalls das Bewunderte mehr Wert haben muß als die Bewunderung, so kann das eigentlich Beglückende nicht im Ruhme liegen, sondern in dem, wodurch man ihn erlangt, also im Verdienste selbst, oder, genauer zu reden, in der Gesinnung und den Fähigkeiten, aus denen es hervorging, es mag nun moralischer oder intellektueller Art sein. Denn das Beste, was jeder ist, muß er notwendig für sich selbst sein: was davon in den Köpfen anderer sich abspiegelt und er in ihrer Meinung gilt, ist Nebensache und kann nur von untergeordnetem Interesse für ihn sein. Wer demnach nur den Ruhm verdient auch ohne ihn zu erhalten, besitzt bei Weitem die Hauptsache, und was er entbehrt, ist etwas, darüber er sich mit derselben trösten kann. Denn nicht daß einer von der urteilslosen, so oft betörten Menge für einen großen Mann gehalten werde, sondern daß er es sei, macht ihn beneidenswert; auch nicht, daß die Nachwelt von ihm erfahre, sondern daß in ihm sich Gedanken erzeugen, welche verdienen, Jahrhunderte hindurch aufbewahrt und nachgedruckt zu werden, ist ein hohes Glück. Zudem kann dieses ihm nicht entrissen werden: denn es gehört zu jenen Dingen, die in unserer Gewalt sind, jenes andere aber zu denen, die nicht in unserer Gewalt stehen. Wäre hingegen die Bewunderung selbst die Hauptsache, so wäre das Bewunderte ihrer nicht wert. Dies ist wirklich der Fall beim falschen, d. i. unverdienten Ruhm. An diesem muß sein Besitzer zehren, ohne das, wovon derselbe das Symptom, der bloße Abglanz, sein soll, wirklich zu haben. Aber sogar dieser Ruhm selbst muß ihm oft verleidet werden, wann bisweilen, trotz aller aus der Eigenliebe entspringenden Selbsttäuschung, ihm auf der Höhe, für die er nicht geeignet ist, doch schwindelt oder ihm zumute wird, als wäre er ein kupferner Dukaten; wo dann die Angst vor Enthüllung und verdienter Demütigung ihn ergreift, zumal wenn er auf den Stirnen der Weiseren schon das Urteil der Nachwelt liest. Er gleicht sonach dem Besitzer durch ein falsches Testament. – Den echtesten Ruhm, den Nachruhm, vernimmt sein Gegenstand ja nie, und doch schätzt man ihn glücklich. Also bestand sein Glück in den großen Eigenschaften selbst, die ihm den Ruhm erwarben, und darin, daß er Gelegenheit fand, sie zu entwickeln, also daß ihm vergönnt wurde, zu handeln, wie es ihm angemessen war, oder zu treiben, was er mit Lust und Liebe trieb: denn nur die aus dieser entsprungenen Werke erlangen Nachruhm. Sein Glück bestand also in seinem großen Herzen oder auch im Reichtum eines Geistes, dessen Abdruck in seinen Werken die Bewunderung kommender Jahrhunderte erhält; es bestand in den Gedanken selbst, welchen nachzudenken die Beschäftigung und der Genuß des edelsten Geistes einer unabsehbaren Zukunft ward. Der Wert des Nachruhms liegt also im Verdienen desselben, und dieses ist sein eigener Lohn. Ob nun die Werke, welche ihn erwarten, unterweilen auch den Ruhm der Zeitgenossen hatten, hing von zufälligen Umständen ab und war nicht von großer Bedeutung. Denn da die Menschen in der Regel ohne eigenes Urteil sind und zumal hohe und schwierige Leistungen abzuschätzen durchaus keine Fähigkeit haben; so folgen sie hier stets fremder Autorität, und der Ruhm in hoher Gattung beruht bei neunundneunzig unter hundert Rühmern bloß auf Treu und Glauben. Daher kann auch der vielstimmigste Beifall der Zeitgenossen für denkende Köpfe nur wenig Wert haben, indem sie ihm stets nur das Echo weniger Stimmen hören, die zudem selbst nur sind wie der Tag sie gebracht hat. Würde wohl ein Virtuose sich geschmeichelt fühlen durch das laute Beifallsklatschen seines Publikums, wenn ihm bekannt wäre, daß es bis auf einen oder zwei aus lauter völlig Tauben bestände, die nun, einander gegenseitig ihr Gebrechen zu verbergen, eifrig klatschen, sobald sie die Hände jenes einen in Bewegung sähen? – Und nun gar, wenn die Kenntnis hinzukäme, daß jene Vorklatscher sich oft bestechen ließen, um dem elendesten Geiger den lautesten Applaus zu verschaffen! – Hieraus ist erklärlich, warum der Ruhm der Zeitgenossen so selten die Metamorphose in Nachruhm erlebt; weshalb d'Alembert in seiner überaus schönen Beschreibung des Tempels des literarischen Ruhmes sagt: »Das Innere des Tempels ist von lauter Toten bewohnt, die während ihres Lebens nicht darin waren, und von einigen Lebenden, welche fast alle, wenn sie sterben, hinausgeworfen werden.« Und beiläufig sei es hier bemerkt, daß einem bei Lebzeiten ein Monument setzen die Erklärung ablegen heißt, daß hinsichtlich seiner der Nachwelt nicht zu trauen sei. – Wenn dennoch einer den Ruhm, welcher zum Nachruhm werden soll, erlebt, so wird es selten früher als im Alter geschehen: allenfalls gibt es bei Künstlern und Dichtern Ausnahmen von dieser Regel, am wenigsten bei Philosophen. Eine Bestätigung derselben geben die Bildnisse der durch ihre Werke berühmten Männer, da dieselben meistens erst nach dem Eintritt ihrer Celebrität angefertigt wurden: in der Regel sind sie alt und grau dargestellt, namentlich die Philosophen. Inzwischen steht eudämonologisch genommen die Sache ganz recht. Ruhm und Jugend auf einmal ist zu viel für einen Sterblichen. Unser Leben ist so arm, daß seine Güter haushälterischer verteilt werden müssen. Die Jugend hat vollauf an ihrem eigenen Reichtum und kann sich daran genügen lassen. Aber im Alter, wenn alle Genüsse und Freuden, wie die Bäume im Winter, abgestorben sind, dann schläft am gelegensten der Baum des Ruhmes aus als ein echtes Wintergrün: auch kann man ihn den Winterbirnen vergleichen, die im Sommer wachsen, aber im Winter genossen werden. Im Alter gibt es keinen schöneren Trost, als daß man die ganze Kraft seiner Jugend Werken einverleibt hat, die nicht mit altern.

Wollen wir jetzt noch etwas näher die Wege betrachten, auf welchen man, in den Wissenschaften, als dem uns zunächst Liegenden, Ruhm erlangt, so läßt sich hier folgende Regel aufstellen. Die durch solchen Ruhm bezeichnete intellektuelle Überlegenheit wird allemal an den Tag gelegt durch eine neue Kombination irgendwelcher Data. Diese nun können sehr verschiedener Art sein; jedoch wird der durch ihre Kombination zu erlangende Ruhm umso größer und ausgebreiteter sein, je mehr sie selbst allgemein bekannt und jedem zugänglich sind. Bestehen z. B. die Data in einigen Zahlen, oder Kurven, oder auch in einer speziellen physikalischen, zoologischen, botanischen, oder anatomischen Tatsache, oder auch in einigen verdorbenen Stellen alter Autoren, oder in halb verlöschten Inschriften, oder in solchen, deren Alphabet uns fehlt, oder in dunklen Punkten der Geschichte; so wird der durch die richtige Kombination derselben zu erlangende Ruhm sich nicht viel weiter erstrecken, als die Kenntnis der Data selbst, also auf eine kleine Anzahl meistens zurückgezogen lebender und auf den Ruhm in ihrem Fach neidischer Leute. – Sind hingegen die Data solche, welche das ganze Menschengeschlecht kennt, sind es z. B. wesentliche, allen gemeinsame Eigenschäften des menschlichen Verstandes, oder Gemütes, oder Naturkräfte, deren ganze Wirkungsart wir beständig vor Augen haben, oder der allbekannte Lauf der Natur überhaupt; so wird der Ruhm, durch eine neue, wichtige und evidente Kombination Licht über sie verbreitet zu haben, sich mit der Zeit fast über die ganze zivilisierte Welt erstrecken. Denn, sind die Data Jedem zugänglich, so wird ihre Kombination es meistens auch sein. – Dennoch wird hierbei der Ruhm allemal nur der überwundenen Schwierigkeit entsprechen. Denn, je allbekannter die Data sind, desto schwerer ist es, sie auf eine neue und doch richtige Weise zu kombinieren; da schon eine überaus große Anzahl von Köpfen sich an ihnen versucht und die möglichen Kombinationen derselben erschöpft hat. Hingegen werden Data, welche, dem großen Publiko unzugänglich, nur auf mühsamen und schwierigen Wegen erreichbar sind, fast immer noch neue Kombinationen zulassen: wenn man daher an solche nur mit geradem Verstande und gesunder Urteilskraft, also einer mäßigen geistigen Überlegenheit, kommt; so ist es leicht möglich, daß man eine neue und richtige Kombination derselben zu machen das Glück habe. Denn zwar erfordert die Lösung von Problemen solcher Art großes Studium und Arbeit, während in jener andern Art, in welcher eben der größte und ausgebreiteste Ruhm zu erwerben ist, die Data unentgeltlich gegeben sind: allein in dem Maße, wie diese letztere Art, weniger Arbeit erfordert; gehört mehr Talent, ja Genie dazu, und mit diesen hält, hinsichtlich des Wertes und der Wertschätzung, keine Arbeit, oder Studium, den Vergleich aus.

Hieraus nun ergibt sich, daß die, welche einen tüchtigen Verstand und ein richtiges Urteil in sich spüren, ohne jedoch die höchsten Geistesgaben sich zuzutrauen, viel Studium und ermüdende Arbeit nicht scheuen dürfen, um mittelst dieser sich aus dem großen Haufen der Menschen, welchen die allbekannten Data vorliegen, herauszuarbeiten und zu den entlegeneren Orten zu gelangen, welche nur dem gelehrten Fleiße zugänglich sind. Denn hier, wo die Zahl der Mitbewerber unendlich verringert ist, wird der auch nur einigermaßen überlegene Kopf bald zu einer neuen und richtigen Kombination der Data Gelegenheit finden: sogar wird das Verdienst seiner Entdeckung sich mit auf die Schwierigkeit, zu den Datis zu gelangen, stützen. Aber der so erworbene Applaus seiner Wissensgenossen, als welche die alleinigen Kenner in diesem Fache sind, wird von der großen Menge der Menschen nur von Weitem vernommen werden. – Will man nun den hier angenommenen Weg bis zum Extrem verfolgen; so läßt sich der Punkt nachweisen, wo die Data, wegen der großen Schwierigkeit ihrer Erlangung, für sich allein und ohne daß eine Kombination derselben erfordert wäre, den Ruhm zu begründen hinreichen. Dies leisten Reisen in sehr entlegene und wenig besuchte Länder: man wird berühmt durch das, was man gesehen, nicht durch das, was man gedacht hat. Dieser Weg hat auch noch einen großen Vorteil darin, daß es viel leichter ist, was man gesehen, als was man gedacht hat, andern mitzuteilen und es mit dem Verständnis sich ebenso verhält: demgemäß wird man für das erstere, auch viel mehr Leser finden, als für das andere. Denn, wie schon Asmus sagt:

»Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er was erzählen.«

Diesem allen entspricht es aber auch, daß, bei der persönlichen Bekanntschaft berühmter Leute dieser Art einem oft die Horazische Bemerkung einfällt:

Himmel und Klima, nicht ihren Sinn, ändern die Menschen; flüchteten sie auch übers Meer.

Was aber nun andererseits den mit hohen Fähigkeiten ausgestatteten Kopf betrifft, als welcher allein sich an die Lösung der großen, das Allgemeine und Ganze betreffenden und daher schwierigsten Probleme wagen darf, so wird dieser zwar wohl daran tun, seinen Horizont möglichst auszudehnen, jedoch immer gleichmäßig, nach allen Seiten, und ohne je sich zu weit in irgendeine der besonderen und nur wenigen bekannten Regionen zu verlieren, d. h. ohne auf die Spezialitäten irgendeiner einzelnen Wissenschaft weit einzugehen, geschweige sich mit den Mikrologien zu befassen. Denn er hat nicht nötig, sich an die schwer zugänglichen Gegenstände zu machen, um dem Gedränge der Mitbewerber zu entgehen, sondern eben das allen vorliegende wird ihm Stoff zu neuen, wichtigen und wahren Kombinationen geben. Dem nun aber gemäß wird sein Verdienst von allen denen geschätzt werden können, welchen die Data bekannt sind, also von einem großen Teile des menschlichen Geschlechts. Hierauf gründet sich der mächtige Unterschied zwischen dem Ruhm, den Dichter und Philosophen erlangen, und dem, welcher Physikern, Chemikern, Anatomen, Mineralogen, Zoologen, Philologen, Historikern usw. erreichbar ist.


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