Adele Schopenhauer
Haus-, Wald- und Feldmärchen
Adele Schopenhauer

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Viele Tage waren seit jenem Morgen vergangen; totenbleich und erschöpft saß Alfred auf seinem Zimmer; vor ihm stand der gepackte, nach England bezeichnete Koffer. Die Türe der Nebenstube stand weit auf, Annette bewohnte sie nicht mehr.

Alfred hielt ein Blatt Papier in der Hand, das er zum zwanzigsten Mal zu lesen versuchte; er wußte längst, was darin stand, doch hatte nur sein Herz den unglückseligen Brief gelesen. Er lautete:

Mein teurer Alfred!

Wenn Du diese Zeilen liesest, bin ich weit von hier, mein guter Freund! in einem fremden Lande, in dem ich, wie sie sagen, mein Glück finden soll. Mein Gott! mein Glück war immer bei Dir. Sie wollten mich verheiraten und sagten mir, das sei das sicherste Mittel, Dich dahin zu vermögen, eine glänzende Partie zu tun, zu welcher Dich Dein Stand, der Reichtum Deiner Eltern und ihre Liebe beriefen. Mein Freund, ich glaube das nicht; wenn Du eine große Dame heiraten mußt, wenn Du dadurch vielleicht ein reicher mächtiger Herr wirst und das englische Parlament regierst, so wird es Dich gewiß nicht glücklicher machen, wenn Deine arme Annette einen ehrlichen Mann betrügt. Es gibt elende Menschen genug in der Welt. Mein Alfred! – Gott, nein, nicht mehr mein Alfred! – Du mußt nicht unnütz sorgen um mich. Man hat mir Geld, viel Geld gegeben; verzeih, daß ich Dir es wiederschicke, ich kann es nicht mitnehmen. Aber alles, was Du mir geschenkt hast, das Medaillon, die Kette, das seidene Kleid, alles, was Dir so schwer wurde, mir anzuschaffen – und mir so schwer, es zu behalten, das alles nehme ich mit mir.

Frage nicht, wohin ich gehe; ich habe Deinen Bruder und sie alle betrogen und bin nicht dorthin gegangen, wohin sie mich schickten; aber wiedersehen sollst Du mich nie, mein lieber Engel! Auch St. Valère, den ich herzlich grüße, weiß nicht, wo ich bin. Aber Gott wird mir gewiß Nachricht von Dir zukommen lassen und die Überzeugung, daß es gut war, Dich zu verlassen, und daß Du sehr glücklich geworden bist. Ich bitte ihn, daß Du nur nicht krank werdest aus Kummer. Siehst Du, ich schreibe auf den Knieen, als läge ich vor dem heiligen Altar der Mutter Gottes. Sei mir ja glücklich!

Deine Annette

St. Valère hatte den Brief mit gelesen; als Alfred sich mit tränenüberströmtem Gesicht aufrichtete, stand der Freund neben ihm.

»Sieh«, sagte Alfred und hielt ihm das Blatt hin, »acht Tage, acht lange Tage habe ich sie unaufhörlich gesucht, nicht einen Augenblick gerastet, das ist das Ende!«

»Ich weiß«, sagte St. Valère kurz, »der Alte hatte recht. In Thüringen hatte ich nichts gesehen. O diese erbärmlichen und erbarmungslosen trockenen, hölzernen Wichte!«

Alfred hatte die wunderlichen Worte überhört. »Nie wiedersehen! nie?« wiederholte er leise vor sich hin; »und – wie er sie nur dahin vermocht hat, mich zu verlassen?«

»Das steht alles in dem Briefe«, sagte St. Valère.

»Aber wie konnte sie es?« fuhr Alfred fort. »Anderthalb Jahre haben wir jeden Gedanken wie jeden Bissen Brot miteinander geteilt! Ach, St. Valère! du ahnest nicht, was sie für mich getan, was alles mir geopfert! – Meine Launen, meinen Mißmut, meine Verzweiflung über meiner Eltern Härte, die seit acht Monaten mir keinen Schilling sandten, um mich zur Rückkehr zu zwingen, – alles, alles hat sie mit mir getragen, oft wochen-, monatelang mit ihrer Hände Arbeit mich und sich erhalten. O, ich war oft unleidlich; aber nie, nie, das schwöre ich dir, hätte ich mit Undank ihr vergolten, nie hätte ich sie verlassen.«

»Eben darum«, sagte ruhig St. Valère, »hat dein Bruder sie freundlich gezwungen, dich zu verlassen.«

»Mensch!« rief Alfred ganz außer sich, »hast du denn kein Herz?«

»Mensch?« wiederholte St. Valère. »Schimpfe mich nicht, was geht ihr mich an!«

Er wandte ihm den Rücken und ging.

 

Es war in einer lauen Sommernacht, als man eine arme Nähterin des Faubourgs St.-Antoine still und geräuschlos beerdigte. Es wußte niemand, woran sie eigentlich gestorben. Sie hatte so hingelebt wie Tausende ihrer Art. Sie hatte ein ganz kleines Mädchen bei sich gehabt, das man nun ins Waisenhaus brachte. Es wußte niemand im Hause, ob es ihr eigenes Kind gewesen, nur sagten ihre Stubennachbarn, die denselben Stock mit ihr bewohnt, daß sie die Kleine nie geschlagen und sie aufs zärtlichste geliebt habe.

Ein wunderlich aussehender Literat hatte die arme Grisette dann und wann besucht. Man wußte nicht, was er für ein Landsmann, es kannte ihn auch niemand näher; nur erzählte man, daß er der Verfasser der artigen Vaudevilles sei, die eben in Paris en vogue waren und sehr gefielen. Er hatte eine Beschützerin oder Geliebte beim Theater, die Primadonna war und welcher er die seltsamsten Rollen in diesen Stücken schrieb. Abwechselnd stellte sie alle möglichen Naturerscheinungen vor, besonders oft weibliche Irrlichter, und man versicherte, daß dies Fach ihr ganz vorzüglich zusage.

Überhaupt hatte der junge Dichter eine ganz entschiedene Vorliebe für Naturgeister, denen er eine genaue Individualität verlieh. Er soll sogar einmal einen faulen Weidenstamm auf die Bühne gebracht haben, den Elfen verehrten und der im Dunkeln leuchtete und das ganze Theater erhellte. Die Leute sagten, es sei eine schlechte Nachahmung von Correggios Nacht. Andere meinten, es sei eine feine Anspielung auf die Naturphilosophie.

An dem Tage, an welchem in Frankreich die arme Grisette begraben ward, stand Sir Alfred G. in England mit einer schönen blühenden Braut am Altare, der er kalt und gelassen den Arm bot, um sie nach der Ceremonie aus der Kirche zu führen. Der junge Mann sah sehr bleich und krank aus. Als die Wagenreihe der Verwandten und der Hochzeitsgäste das Landhaus erreichte, zu welchem sie das junge Paar geleiteten, fehlte der Bruder des Bräutigams, der sie alle empfangen sollte.

Man hat nie wieder von ihm gehört; es hieß, er sei beim Entgegenreiten in einem den Park begrenzenden Morast verunglückt. Durch seinen Tod ward der neue Ehemann, dessen Vater wenige Wochen später verschied, Lord und Besitzer eines großen Vermögens.

 

»Nein«, sagte Satan, »du bist ein Schalk; ich will es aber nicht, daß du in meine Angelegenheiten dich mengst. Treiben dir's die Menschen zu bunt, so scher dich in deinen Wald zurück, aber bleibe mir mit deiner Irrlichtsmoral vom Halse!«

»Moral! Moral!« lachte das Irrlicht, das heißt, es zuckte in tausend und aber tausend Flämmchen auf. »Das arme Ding quälte sich unnütz; ich war am Ende so menschlich geworden, daß ich mich bei einem Haar selbst in sie verliebt und ihr meine Hand geboten hätte –«

»Du bist nicht gescheit«, unterbrach ihn der Teufel. »Solche Mesalliancen gibt der Alte nicht zu. Was gäbe denn das für Racen? Daß du mir den blonden Schlaraffen zugeschickt hast, ist ganz gut; der Narr ist vor purer Vortrefflichkeit ein Schuft. Indessen sind wir doch noch nicht ganz einig über ihn, der Alte und ich; aber nur vorwärts!«

 

Am Karlsbader Mühlbrunnen stand eine Gruppe junger Herren und Damen; alle blickten in ein gedrucktes Blatt, das die jüngste und hübscheste unter ihnen in der Hand hielt und laut daraus vorlas. Es schien, daß alle den Genuß des Sehens und Hörens vereinen wollten; nur ein einziger blonder Offizier sah die Vorleserin statt des Blattes an und machte dabei ein zweifelhaftes Gesicht, von dem schwer zu sagen, ob es Entzücken oder Verblüffung ausdrückte.

»Gott sei Dank!« sagte ein vorübergehender, scharf um sich blickender junger Mann – es war ein Dichter –, »sehen Sie, Baron! da steht ein Verliebter! der erste, den ich in der ganzen Saison hier gefunden!«

»Ach, lieber Freund!« erwiderte der Baron, »Sie sind schon wieder auf dem Holzwege! Sie sind ein poetisches Gemüt! Der gute Elsthal ist taub und arm; er hat sich vorgenommen, hier eine Partie zu tun. Die kleine Comtesse ist schön und sehr reich; er kann aber nicht verstehen, was sie liest!«

»Was liest sie denn eigentlich?« fragte ein hinzugetretener dritter Wassertrinker in einem fest zugeknöpften braunen Oberrocke.

»Was sie liest? Was sonst als das neugebackene Karlsbader Tageblatt. Es ist ein hübscher Einfall eines sehr gescheiten Israeliten, den wir hier haben; er beschreibt uns alle Morgen auf die pikanteste Weise, was wir am Abend vorher in der pomadigsten und langweiligsten Weise getan.«

»Lesen denn das auch gescheite Protestanten oder nur gescheite Katholiken?« fragte ganz ernsthaft der Braune.

»Sind Sie klug, Wallstein?« rief der Baron. »Was geht denn das die Religionen an?«

»Ich verstehe ihn«, sagte der Dichter. »Aber wir sprachen von Nationalität, und die ist hierbei bezeichnend; denn ein geistlicher Jude faßt immer schärfer auf als ein geistreicher Christ.«

»Zugegeben«, sagte der Braune, »und nicht ohne Ursache!«

Der Dichter sah ihn an und lächelte. »Zugegeben, Wallstein; aber«, fuhr er ernster fort, »mehr als dies Zugegeben vermag unsere Zeit noch nicht. Warten wir es ab.«

Die kleine Comtesse las eben unter allgemeinem Jubel: »Seit gestern, nachmittags vier Uhr, sind wir so glücklich, den liebenswürdigsten und ungewöhnlichsten Reisenden unseres Jahrhunderts in unserem Dampfkreise zu besitzen. Von Geburt ein Deutscher, verschmähte Baron M. dennoch nicht, die reiche Laufbahn seiner Studien in unserm Grätz zu beschließen, wo wir vor einer Reihe von Jahren ihn zuerst gesehen. Damals stand er in enger Verbindung mit den feurigsten jungen Italienern jener unruhigen Zeit, deren südliche Lebensglut er in jeder Beziehung zu überbieten schien. Von Grätz aus reiste er nach Ungarn, wo wir ihn in der brillanten Uniform eines Christen wiedertrafen. Er entwickelte in den höhern Sphären der Gesellschaft die gewinnendsten Talente, sang, spielte Guitarre und Clavier, improvisierte, tanzte, ritt, focht – alles meisterhaft; und wir sahen ihn in so zauberischer Schnelle eine Reihe glänzender Liebessiege verfolgen, daß wir kaum umhin konnten, den frühern Revolutionair für einen geschickten, blasierten, routinierten Roué zu halten.

Aber in dem kleinen Fabrikstädtchen B. brach ein furchtbares, allen Löschanstalten trotzendes Feuer aus. Viele Tage hindurch zehrte die leckende Flamme am Marke unserer Wohlhabenheit. Unter einstürzenden Dächern und Mauern, durch Wasserfluten hin über morsche Balken wegschreitend, die unter seinem Tritte zusammenbrachen, sahen wir den Damenliebling plötzlich die Kenntnisse des reifen Ingenieurs, die Kraft und Gewandheit des stärksten Mannes entfalten. Baron M. rettete Hunderten Besitz und Leben und ward der Abgott der ihm Dank zujauchzenden Bürger.

Zwei Jahre später finden wir ihn in der Walachei als Geologen und Bergmann wieder, sehen ihn Minen sprengen, Gruben eröffnen und den ganzen dortigen neuen Bergbau mit der Besonnenheit eines erfahrenen Technikers leiten, und bald darauf in Italien bei der eben dort ausgebrochenen Cholera als Mediziner am Bette der Kranken sie ärztlich pflegen und bewachen, Hospitäler gründen, Gräber und Beerdigungen besorgen. Vor wenig Monaten taucht er in Paris als Magnetiseur auf, wo die unglaublichsten Erscheinungen des Somnambulismus seine Gewalt über die mit ihm in Rapport Stehenden beweisen.

Mit dieser chamäleontischen Gewandtheit vereint Baron M. die blühendste Gesundheit des Jünglings und die volle Kraft des Mannesalters und scheint somit durch jede Vergünstigung der Natur und des Geschicks uns den Begriff eines möglichen Menschenglücks erhalten zu wollen, das den meisten unserer Zeitgenossen zur Tradition einer ehemaligen Götterwelt geworden.«

»Ach!« riefen alle Damen wie aus einem Munde, »und dieser Wundermann, dieser Salamander, dieser Zauberer und Hexenfürst ist hier? Hier in Karlsbad? Wer kennt ihn? Wer hat ihn gesehen?«

Aber – keine hatte ihn gesehen.

Die drei Freunde, welche wir eben eingeführt, scherzten noch eine Weile über die neue Erscheinung. »Sollte er nicht ein bloßer Spaß des Redakteurs, so ein Monsieur ni vu ni connu sein, mit dem man die Kinder schreckt?« meinte der Baron.

»Bewahre!« sagte der Braune, »es ist eine indische Gottheit, ein Mahadöh, der sich verkörpert.«

»Oder eine neue Personifikation des Ewigen Juden«, meinte der Dichter.

Indem schritt ein auffallend schöner großer Mann zwischen die Redenden mitten hindurch; sein durchdringender Blick fiel auf das Tageblatt in der Hand der Comtesse und glitt dann auf diese hinüber. Ein kaum merkliches Lächeln zuckte wie ein Wetterleuchten über die edlen Züge. Er grüßte leicht, betrat die Brücke und bog um die nach der Egerstraße führende Gassenecke.

»Das war er!« riefen unwillkürlich alle.

Die Damen zogen diesmal sämtlich die Egerchaussee, den Weg nach dem »Posthofe« vor; die jungen Männer fanden das Wetter abscheulich, gingen alle nach dem »Elephanten« und verlangten eine halbe Stunde zu zeitig den Kaffee, die Cigarren, die Zeitungen. Die unglücklichen Aufwärter konnten gar nicht fertig werden. Die Ehemänner schlugen ihren Gattinnen entfernte Bergspaziergänge im Schatten vor; die drei Freunde aber blieben am Brunnen und lachten.

Aber doch wußte man abends in jeder, auch der kleinsten Coterie, wen der Baron M. gegrüßt, wo er gespeist, wen er kennengelernt habe, ja sogar, wem er morgen den Hof machen werde.

Drei Tage später kamen seine Reit- und Wagenpferde; lauter Vollblut- und Racetiere. Von dem Augenblick an zweifelten alle Männer an seiner Redlichkeit; denn welcher Privatmann konnte sechzehn solche Pferde sich halten? Nicht einmal Fürst Pückler – und nun gar ein deutscher Baron! Unmöglich!

Noch zwei Tage später wußte man in der ganzen besten Gesellschaft von fünf Verhältnissen, die er mit schönen Frauen in Wien, Paris, Rotterdam und London gehabt, von drei irgendwo trauernden Bräuten, die er verlassen, und von sechs oder sieben ihm fluchenden Elternpaaren. Gerade als die Woche um war, gab er im »Posthof« einen glänzenden Ball. Alle Welt war dort; es war deliciös. Beim Schlusse des Festes fehlten drei Damen. Wie es schien, hatte der ebenfalls fehlende Wirt sie alle drei entführt.

 

»Nun, hast du nun endlich ein Verhältnis mit einer schönen Gräfin gehabt?« fragte der Teufel das Irrlicht, das unter dem saftigen Blätterdache einer alten bemoosten Eiche hin und her wogte und dem ersten Mondviertel zuleuchtete. »Mehrere, Meister!« erwiderte der Waldgeist. »Es war eigentlich nicht der Rede wert. Ich führte sie alle drei, versteht sich, jede einzeln, dem Marienbader Moor zu, ließ jedesmal meine Pferde im Schlamm versinken, ging, Hülfe zu holen, und kehrte nicht zurück. Es muß spaßig gewesen sein, als am nächsten Morgen die drei in nächster Nähe voneinander haltenden Equipagen sich gewahrten und begrüßten. Schade, daß ich's nicht erlebt habe; denn in dem Augenblicke hattet Ihr mich schon –«

»Gerettet!« brummte der Teufel. »Du hast da wieder elementarisch großartig-dummes Zeug gemacht! Kein vornehmer Mann betrügt drei Comtessen auf ganz gleiche Weise.«

»Meint Ihr, Meister? Mir scheint die ganze Männer- und Weibermanier in diesem Punkte überall viel Ähnliches zu haben. Ich bin nun Thüringer, Preuße, Ungar, Walache und Franzose gewesen – nein, halt! ein Franzose macht es etwas anders, er ist roher, aber poetischer dabei. Im allgemeinen fand ich jedoch eine wirklich ermüdende Gleichförmigkeit, eine durch alle Klassen sich hinziehende Wiederholung –«

»Halt's Maul!« sagte der Teufel. »Wir verstehen nichts von der Civilisation, mein Bester! Wo die anfängt, hört Ihr auf!«

Ob ich nicht lieber nun im Walde bleibe? dachte das Irrlicht.

Indem erhoben sich die getragenen, schwermutsvollen Töne einer Klarinette, die, sehnend an den Bergspitzen und Baumgipfeln hingleitend, den ganzen Wald wie mit Maienduft erfüllten. Es war, als würde die Welt plötzlich so wehmütig schön, daß man jede Minute betrauern müsse, daß sie verflossen, und jede jubelnd begrüßen, daß sie zum Träger eines so zauberhaften Glückes geworden.

Ein junger Mann und ein wunderbar schönes Mädchen traten aus dem Gehölz. Er war der Virtuos und hielt sein Instrument noch in der Hand. Beide setzten sich zusammen ins Gras. Der Mond stand nun schon hoch und beleuchtete die anmutigen Gestalten. »Jetzt ist es an dir, Editha!« sagte der junge Mann.

»Meinetwegen«, erwiderte sie; »aber bilde dir nicht ein, daß ich's für dich gemacht.«

Er schüttelte traurig das Haupt. Während sie mit entzückend klarer Stimme ein Lied sang, blies er, dann und wann einfallend, eine Art obligater Begleitung zu der Melodie desselben. Er verstand es, alle die in der nächtigen Stille fehlenden Frühlingsstimmen wie durch Zauber zu ersetzen. Bald klang es, als zwitscherten erwachende Vögel, bald wogte es wie ein ferner Luftstrom über den Bergwald hin, es tröpfelte als Felsbächlein durch die Kluft, es summte wie eine geschäftige Insektenwelt in emsiger Einförmigkeit fort, ja, es rief mit Posthornlauten aus der weit entlegenen Talschlucht herauf.

»Das nennt man plastisch in der Musik«, bemerkte der Teufel dem Irrwisch, »und landschaftlich. Mich wundert nur, daß er nicht ein wenig heulenden Sturm und rollenden Lawinendonner macht!«

Das Mädchen sang:

»Wenn der Blütenstaub der Weiden
Niederfliegt ins stille Tal,
Werd ich mit dem Frühling scheiden,
Küß ich dich zum letzten Mal!

Denn mich locken die Verwandten,
Mich, der Elemente Kind;
Was gestaltend hier sie bannten,
Lösen leise sie und lind.

Dann umschmeichl' ich dich als Welle,
Spiel als Zephyr dir im Haar,
Flattre vor dir als Libelle,
Jung mit jedem jungen Jahr.

Lieg als Ranke dir zu Füßen,
Blick als Blume dir ins Herz,
Grüße dich in tausend süßen
Lenzgebilden – ohne Schmerz.«

Das Irrlicht seufzte; ja, es seufzte vor Vergnügen. Gott! dachte es, mit den schönen Gräfinnen war's nichts, und nun führt mir der Himmel dies Engelsangesicht zu, das rein elementarische Gesinnungen hat!

»Bewahre!« sagte der Teufel, »die Kleine ist in einen jungen Philosophen verliebt und hat seitdem antediluvianische Erinnerungen und neigt sich zum Pantheismus. Die Herren krabbeln immer an meiner Türe herum, um zu wissen, was ich und der Andere zusammenbrauen.«

»Ach, Editha!« flüsterte der Musiker, »welch ein Gotteshauch weht aus deiner Stimme mich an! Ich fühle und begreife die Kunst der alten Meister nie besser, ich empfinde die schöpferische Kraft, die der Menschenseele inwohnt, nie tiefer, als wenn ich dich höre! Du machst mich fromm – ach! wendete sich nur dein Geist nicht dem Abstrakten, dem ungläubig Forschenden zu! Du, selbst eine Offenbarung des Höchsten, solltest an dir die Beglaubigung aller Wunder unserer Religion empfinden! Denn eine reine Jungfrau ist ja das Sinnbild alles Göttlichen auf Erden!«

In diesem Augenblicke stürzte ein zweiter junger Mann aus dem Gebüsch hervor und blieb mit dem Ausdruck der Verzückung vor Editha stehen. Seine vollen schönen Lippen bebten vor Aufregung, seine Pulse flogen, seine Augen flammten. Mehrere Minuten stand er, wie geblendet, vor dem Mädchen sprachlos, endlich rief er: »Ja, Sie waren es! Sie haben mir die Seele aus dem Körper gesungen!« Er zitterte so heftig, daß er sich an einen Baum lehnen mußte; sein Blick brannte fort, aber die ganze Kraft seiner jugendlichen Gestalt war wie zerbrochen. Der Musiker fing ihn in seinen Armen auf; der Fremde lehnte seinen Kopf an dessen Brust und lag eine Weile wie besinnungslos. Endlich brachen leise Tränen aus und überströmten sein Gesicht; aber selbst in diesem kaum bewußten Zustande blieb sein Auge starr an dem Antlitz des schönen Mädchens haften.

Auf diese schien der ganze Vorgang wenig Eindruck zu machen; sie mochte dergleichen gewohnt sein, denn sie blieb ganz gelassen.

»Wer ist denn der?« fragte heimlich das Irrlicht. »Ein Irländer«, erwiderte der Teufel. »Ich will auch ein Irländer werden!« rief das Irrlicht.

Allmählich hatte sich der Fremde gefaßt. Ein begütigend freundliches Gespräch, das er jedoch oft durch rhapsodische Ausrufungen unterbrach, erläuterte, daß er mit dem Musiker und Editha im nämlichen Hause wohne, ohne es zu ahnen. Die beiden jungen Männer brauchten eine Wasserkur in der Nähe und verlebten einige Wochen in der Familie, der das Mädchen angehörte.

Es entspann sich nun gar bald ein anmutiges Liebesspiel unter den jungen Leuten. Editha nahm beider Huldigungen freundlich hin, doch war es leicht zu sehen, daß ihre Gedanken eine ganz andere Richtung verfolgten und ihr Herz einem fernen Gegenstande entgegenschlug. Die Eltern des Mädchens, brave Förstersleute, hatten des wenig acht; sie hatten zu viel anderes zu tun, kümmerten sich daher nur wenig um ihre Mietsleute und ließen das schöne Kind ruhig gewähren.

Da kam eines Abends noch ein dritter Gast hinzu; er gab sich James als dessen Landsmann zu erkennen und teilte ihm eine Menge Nachrichten aus ihrer gemeinschaftlichen Heimat mit. Die Darstellung der dort mehr und mehr um sich greifenden Not, des steigenden Jammers der Armut, stürzte James in Verzweiflung; er lief erhitzt den ganzen Tag umher und entwarf tausend Pläne, dem Unheil zu steuern, zeigte sich zu jedem noch so schweren Opfer bereit und schrie unaufhörlich: I love my country. Dann versank er abwechselnd in dumpfes Hinbrüten, erklärte Editha zum zwanzigsten Mal seine heftige Liebe und beschwor sie, ihn zu heiraten, damit er zurückkönne nach Irland, um sein Vaterland retten zu helfen und gemeinschaftlich mit ihr die Bauern auf seinem Gute zu beglücken.

Das Mädchen wiederholte ihm, daß sie Deutschland nicht verlassen könne und ihn nicht liebe; sie ließ ihn sogar erraten, daß ihr Herz einem andern geneigt sei.

»Heirate mich! Heirate mich!« bat er, ohne darauf zu achten. »Kein anderer wird so dich lieben, kein anderer dich so unsäglich glücklich machen!« Dabei zählte er ihr aber all seine Fehler auf, gestand ihr, daß er ein Trinker, ein Spieler und Raufer sei, daß er bis jetzt ein wüstes, liederliches Leben geführt habe; aber darum müsse sie ihn heiraten, damit er ein ganz anderer Mensch werde. Sie solle, sie müsse ihn retten und mit ihm seine Untertanen beglücken.

»Ja, ich liebe mein Vaterland!« rief er in höchster Aufregung; »aber ich werde nichts, gar nichts für dasselbe tun ohne dich!«

So blieb er denn Tag um Tag, ohne andere Entscheidung, fast stundenlang ihr gegenüber mit seinem Liebesweh, weinte, wütete. Zuweilen erschreckte sie das heftige Wesen; sie war besorgt um seine Gesundheit, sein Leben, und doch vermochte sie ihm nicht mehr zu gewähren als eben diese tiefe, innere Mitleidsqual, zu welcher er nach und nach ihre Empfindung gesteigert hatte.

Der neue Ankömmling, eine höchst angenehme jugendliche Erscheinung, entwickelte alle möglichen nationellen Ähnlichkeiten mit James, aber auch einiges individuelle Heitere. Er war um mehrere Jahre jünger und strahlte vor Frohsinn. Auch er verliebte sich in Editha und erklärte sich; auch er ward abgewiesen. Auch er wollte ins Wasser springen, vergaß es aber über einen in der Nähe abgehaltenen Pferdemarkt, auf welchem er, statt eines lange gewünschten Rappens, einen Windhund kaufte.

Als er zurückkehrte, war gerade das Gefühl der Freundschaft das vorherrschende in seiner Seele geworden. Er beschwor die Geliebte, seinem Freunde anzugehören, dem er ihren Besitz zu opfern fest entschlossen sei. Als er auch hierauf ein sehr bestimmtes Nein erhielt, suchte er James zur Abreise zu bewegen; als auch das mißlang, wollte er ihn gewaltsam entführen. Nach einem solchen Ausbruch blieb James, in Kummer aufgelöst, auf dem Sopha liegen. Paddy – so hieß der andere Irländer – eilte auf der Stelle fort in die weite Welt.

»Du mußt sie versöhnen, Editha!« bat der junge Musiker. »James kann es nicht ertragen, es lastet zu viel auf ihm.«

Ein lautes, so herzliches Lachen, in das unwillkürlich der Virtuos, Editha, ja selbst der melancholische James leise mit einstimmten, weil es gar zu liebenswürdig und frisch klang, unterbrach die Ermahnung.

Paddy war, statt in die weite Welt, ins enge Wirtshaus des nahen Städtchens gegangen und tipsy nach Hause gekommen. Edithas jüngere Geschwister spielten vor der Türe draußen, und eben half der Verzweifelnde, der seinen Gram vergessen, den Buben Seifenblasen machen; dabei mußten sie aber zugleich über einen niedrigen Zaun springen. Das Lachen über die aufgeblasenen Backen der Kleinen und die zu nichts führenden Anstrengungen waren die Hauptsache im Spiel.

Mitten in seinem Kummer mußte James doch zusehen. Allmählich sprang er mit, hoch und immer höher, machte auch Seifenblasen, und immer schönere, und ward bald so ganz zum Kinde unter den ihm zujauchzenden Kindern, daß Editha lächelnd fortschlich; der Musiker aber folgte ihr. James merkte nicht, daß die Geliebte davonging, weil er eben mit Paddy um die Wette über seinen mit beiden Händen gehaltenen Handschuh sprang.

Editha ließ ihm die Vernachlässigung nicht entgelten; sie hatte ganz anderes im Sinne. Sie erwartete den Liebsten zum letzten Mal auf lange, lange! Gespannt hatte sie den fernen Hufschlägen eines Pferdes zugehört und eilte jetzt dem Reiter entgegen.

Der Musiker war ihr nachgeschlichen; ihn quälte wütende Eifersucht und er hätte den beiden gern die letzte Stunde verkümmert. Draußen war es so sonnenhell und schön, als könnten diese heißen Mittagsstrahlen nur Glück bescheinen. Als er sie in den Armen des Beneideten sah, lief der arme Virtuos mit seinem Instrument tiefer in den Wald hinein; die Liebenden aber hielten die vom Winde getragenen einzelnen Laute seines melodischen Schmerzes für den Widerhall ihrer eigenen Klagen. Hermann – so hieß der Freund – zog in die Weite. Die Wissenschaft war die Nebenbuhlerin des schönen geliebten Wesens, das so treu an ihm hing. Er schied mit tausend Gelübden, aber zu Vater und Mutter wollte er nicht; ihm graute vor dem Philistertum und vor den fremden Gesichtern, und dann sollte sie ihm unbedingt, wortlos glauben.

Trotz aller Schwärmerei spannen beide einen langen goldenen Glücksfaden der Zukunft aus: die Rückkehr, die künftige Professur auf einer kleinen Universität, das häusliche Zusammenleben – alle reizenden Möglichkeiten einer geteilten Existenz flossen vor ihren innern Augen in einen Brennpunkt zusammen; denn in der Jugend grenzt der Himmel überall an die Erde!

Die Mittagsglocke des Forsthauses, deren Klang die im Gehölz zerstreuten Jägerburschen zusammenrief, trennte die Liebenden, und bald schmetterte am jenseitigen Flußufer das Posthorn des dahinrollenden Eilwagens vorüber, den Hermann vielleicht schon versäumt hatte.

Editha blieb allein im Walde. Als Paddy und der Virtuos sie endlich fanden, folgte sie ihnen freundlich-still; aber sie mochte nicht reden. Der Musiker drückte ihr die Hand und unterhielt die Eltern und Paddy; es war einer der sanften deutschen Charaktere, die so leicht aus der Rolle des Liebhabers in die des wehmütig Liebenden, Vertrauten übergehen und oft auf diese Weise später ein glückliches Ziel erreichen.

James fehlte; er ward den ganzen Abend und einen Teil der Nacht hindurch gesucht. Paddy schwur darauf, daß er sich Edithas wegen ein Leid getan. Editha schüttelte lächelnd das schöne Köpfchen und schwieg.

Drei Tage blieb er weg. Den Alten und sogar dem Virtuosen war herzlich bange geworden – da kam er wieder mit einem alten Auerhahn und einer neuen Vogelflinte. Die Jagdlust hatte ihn wieder aus seiner Leidenschaft herausgerissen; aber ach! als er Edithas holde Augen sah und ihr die Jagdbeute zu Füßen legte, ging der Jammer von neuem an, und er schrie lauter und schmerzlicher denn je: »Heirate mich, denn ich sterbe, wenn du mich nicht liebst!«

Editha riß sich los und lief in den Wald hinein, zur Stelle, wo er von ihr geschieden. Der Musiker und die Eltern hatten ihr gelobt, die Fremden endlich zu entfernen.

 

Es war wieder ein goldener Mittag über die Hügel gebreitet, der sie wie ein Strahlennetz umspannte, und drüben schmetterte das Posthorn, wie zu jener Stunde. Das Mädchen ging lange am Ufer hin und her; endlich löste sich die bange Qual in Wohllaute auf; sie setzte sich auf einen bemoosten Felsblock und sang in die klare Luft hinaus:

»O all ihr Wolken, Berg' und Tale!
Verbergt ihr mir den Heißgeliebten?
Ist er nun fort mit einem Male?
Sonne! was soll's mit deinem Strahle?
Was soll dein Rauschen, arme Saale?
Was seid ihr alle der Betrübten?

O all ihr Feld- und Waldgesänge!
Was fragt ihr mich, wo er verweilet?
Wenn zu erreichen ihn gelänge,
Du klarer Quell, glaub mir, ich spränge
Gern auch ihm nach durchs Grasgedränge,
Durch das der Flüchtling dir enteilet.

Glaub's wohl, daß ihr ihn gern gehalten,
Ihr Bäume, mit den grünen Armen!
Felsen, euch hat es nicht zerspalten,
Als seine Schritte leis verhallten
Und er mich preisgab den Gewalten
Der Einsamkeit – ohn all Erbarmen?«

Der Teufel saß auf einem Grenzstein und las – im Kalender. Im Himmel und in der Hölle ist keine Zeit; es lag ihm aber daran, zu wissen, wie lange das Irrlicht nun unter den Irländern sei. Daß James und Paddy miteinander das Forsthaus verlassen, wußte der Alte; denn es hatte entsetzlich viel Verdruß dabei gegeben, und er selbst war mehre Male, obschon nicht eben höflich, hinzugerufen worden. Seitdem jedoch waren Jahre vergangen. Um die guten Leute im Forsthause hatte sich der Teufel nicht sonderlich gekümmert; in Irland aber war er mehre Male in großen Versammlungen gegenwärtig gewesen; er hatte das Irrlicht auch zuweilen dort gefunden; das war jedoch schon eine Weile her.

»Nein«, sagte der Alte, nachdem er ziemlich mühsam sich in das Zeitenmaß hineinstudiert, »es geht nicht länger, die Repeal-Versammlungen sagen ihm alle zu, Pater Mathews Wassertrinken liegt ohnehin in seiner Natur, und tipsy ist er so noch dabei, den Shamrock hat er vom Walde aus grundlieb; raufen, balgen, schlagen und mitunter flunkern und flimmern – das geht ihm alles von der Hand wie angeboren; und wenn er mir nun noch einmal aus den Gedanken kommt, bin ich capable, ihn so ein paar hundert Jahre da zu vergessen; denn keiner merkt dort, wer und was er ist. Das bringt eine entsetzliche Verwirrung in alle Einrichtungen der Menschlichkeit und gibt Verdruß mit Dem oben. – Hoho! der Geselle muß wieder her!« – Der Teufel pfiff schrillend auf seinem Finger, und der junge hübsche Irländer stand vor ihm, oder vielmehr, versuchte möglichst still zu stehen. »Hat er doch wahrhaftig noch seine irländische Physiognomie!« brummte der Alte.

»Ganz gut!« erwiderte der Irländer, »was soll ich denn sonst haben? Ich weiß ohnehin nicht, wie ich mit mir daran bin, und mein Vater –«

»Kerl, du hast ja keinen!« sagte der Teufel. »Oder meine Mutter.« – »Schatz, das ist ja eine alte Eiche! Flunkere mir doch nichts vor!«

»Nun kurz; also mein Freund, der Virtuos, der jetzt die ganze Welt durchflackert und elektrisiert, sagt, daß er selbst nie recht genau weiß, wie ich aussehe. Wie soll ich's da nun wissen?«

»Es ist nun genug!« sagte der Alte – und nun gehe ein jeder seines Weges und nach Hause.

Ende des Märchens

 

Über die Chaussee kamen zwei Freunde eilig geschritten; sie wählten abschneidend den Fußpfad durch das Feld, um schneller nach Hause zu kommen. Den einen erwarteten daheim Weib und Kinder, den andern, der ein Phantast war, erwartete niemand.

»Aha«, sagte der verständige Hausvater, »da drüben blitzen ein paar Irrlichter auf, gerade an der Rodung hin! Schade, daß ich meinen Paul nicht hier habe; der Bursche hat noch keins gesehen und quält mich oft abends darum, ihm welche zu zeigen. Sie werden jetzt selten, gottlob! Die Kultur des Bodens nimmt überall zu.«

»Wissen Sie«, sagte der Phantast, der des andern Rede überhört hatte – es war ein Junggeselle in mittlern Jahren –, »wenn ich so übers Feld gehe in der Abenddämmerung, wird mir immer ganz märchenhaft und schauerlich zumute. Die Gedanken springen hin und wider; es bilden sich mir Gestalten und ganze Geschichten aus den Gegenständen, die ich nicht eigentlich sehe, sondern nur errate. Wunderbar, wie die äußere Natur in der Seele reflektiert; die Ideen tanzen mir im Kopfe wie dort jene Irrlichter. Überall erblicke ich Gesichter. Sehen Sie den Eichenstamm dort? Steht er nicht da wie ein gebückter Riese? Und das Irrlicht, das an ihm vorüber- und zu ihm hinaufflackert? Es kommt mir ordentlich wie ein Mensch vor! Ja, wahrlich, lange Märchen könnte ich Ihnen erzählen – aber sie brechen zuweilen ab, und winden sich doch auch mitunter, wie dort die Nebelschlange, zwischen dem Nächsten und Fernsten hin –«

»Lieber Gevatter, Sie sind ein Phantast! Ich habe es Ihnen schon hundert Mal gesagt. Dorthin geschaut! da blinken die Lichter von unserm Städtchen! – Ei, nehmen Sie sich doch in acht: hier ist ja der Bach ausgetreten; die Wiesenwasserleitung ist entzwei. Die verdammten Runkeln liegen auch querpfadein –«

»Sonderbar! Sonderbar!« murmelte der Freund.

»Nun, wenn wir nach Hause gekommen, so erzählen Sie es nur meiner Frau!« sagte begütigend der Gevatter; »jetzt ist es ruhig bei uns, die Kleinen sind schon zu Bette.«

Der Phantast verstummte und schritt träumerisch weiter.

 

Scherenschnitt von Adele Schopenhauer


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