Arthur Schnitzler
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Arthur Schnitzler

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Der Graf und die Dirne

Morgen, gegen sechs Uhr.

Ein ärmliches Zimmer; einfenstrig, die gelblich-schmutzigen Rouletten sind heruntergelassen. Verschlissene grünliche Vorhänge. Eine Kommode, auf der ein paar Photographien stehen und ein auffallend geschmackloser, billiger Damenhut liegt. Hinter dem Spiegel billige japanische Fächer. Auf dem Tisch, der mit einem rötlichen Schutztuch überzogen ist, steht eine Petroleumlampe, die schwach brenzlich brennt; papierener, gelber Lampenschirm, daneben ein Krug, in dem ein Rest von Bier ist, und ein halb geleertes Glas. Auf dem Boden neben dem Bett liegen unordentlich Frauenkleider, als wenn sie eben rasch abgeworfen worden wären. Im Bett liegt schlafend die Dirne; sie atmet ruhig. – Auf dem Diwan, völlig angekleidet, liegt der Graf, im Drapp-Überzieher; der Hut liegt zu Häupten des Diwans auf dem Boden.

Graf bewegt sich, reibt die Augen, erhebt sich rasch, bleibt sitzen, schaut um sich Ja, wie bin ich denn... Ah so... Also bin ich richtig mit dem Frauenzimmer nach Haus... Er steht rasch auf, sieht ihr Bett Da liegt s' ja... Was einem noch alles in meinem Alter passieren kann. Ich hab' keine Idee, haben s' mich da heraufgetragen? Nein... ich hab' ja gesehn – ich komm in das Zimmer... ja... da bin ich noch wach gewesen oder wach 'worden... oder... oder ist vielleicht nur, daß mich das Zimmer an was erinnert?... Meiner Seel', na ja... gestern hab' ich's halt g'sehn... Sieht auf die Uhr was! gestern, vor ein paar Stunden – Aber ich hab's g'wußt, daß was passieren muß... ich hab's g'spürt... wie ich ang'fangen hab' zu trinken gestern, hab' ich's g'spürt, daß... Und was ist denn passiert?... Also nichts... Oder ist was...? Meiner Seel... seit... also seit zehn Jahren ist mir so was nicht vorkommen, daß ich nicht weiß... Also kurz und gut, ich war halt b'soffen. Wenn ich nur wüßt', von wann an... Also, das weiß ich noch ganz genau, wie ich in das Hurenkaffeehaus hinein bin mit dem Lulu und... nein, nein... vom Sacher sind wir ja noch weg'gangen... und dann auf dem Weg ist schon... ja richtig, ich bin ja in meinem Wagen g'fahren mit'm Lulu... Was zerbrich ich mir denn viel den Kopf. Ist ja egal. Schaun wir, daß wir weiterkommen. Steht auf. Die Lampe wackelt Oh! Sieht auf die Schlafende Die hat halt einen g'sunden Schlaf. Ich weiß zwar von gar nix – aber ich werd' ihr 's Geld aufs Nachtkastel legen... und Servus... Er steht vor ihr, sieht sie lange an Wenn man nicht wüßt', was sie ist! Betrachtet sie lang Ich hab' viel 'kennt, die haben nicht einmal im Schlafen so tugendhaft ausg'sehn. Meiner Seel'... also der Lulu möcht' wieder sagen, ich philosophier', aber es ist wahr, der Schlaf macht auch schon gleich, kommt mir vor; – wie der Herr Bruder, also der Tod... Hm, ich möcht' nur wissen, ob... Nein, daran müßt' ich mich ja erinnern... Nein, nein, ich bin gleich da auf den Diwan herg'fallen und nichts is g'schehn... Es ist unglaublich, wie sich manchmal alle Weiber ähnlich schauen... Na gehn wir. Er will gehen Ja richtig. Er nimmt die Brieftasche und ist eben daran eine Banknote herauszunehmen.

Dirne wacht auf Na... wer ist denn in aller Früh –? Erkennt ihn Servus, Bubi!

Graf Guten Morgen. Hast gut g'schlafen?

Dirne reckt sich Ah, komm her. Pussi geben.

Graf beugt sich zu ihr herab, besinnt sich, wieder fort Ich hab' grad fortgehen wollen...

Dirne Fortgehn?

Graf Es ist wirklich die höchste Zeit.

Dirne So willst du fortgehn?

Graf fast verlegen So...

Dirne Na, Servus; kommst halt ein anderes Mal.

Graf Ja, grüß' dich Gott. Na, willst nicht das Handerl geben?

Dirne gibt die Hand aus der Decke hervor.

Graf nimmt die Hand und küßt sie mechanisch, bemerkt es, lacht Wie einer Prinzessin. Übrigens, wenn man nur...

Dirne Was schaust mich denn so an?

Graf Wenn man nur das Kopferl sieht, wie jetzt... beim Aufwachen sieht doch eine jede unschuldig aus... meiner Seel', alles mögliche könnt' man sich einbilden, wenn's nicht so nach Petroleum stinken möcht'...

Dirne Ja, mit der Lampen ist immer ein G'frett.

Graf Wie alt bist denn eigentlich?

Dirne Na, was glaubst?

Graf Vierundzwanzig.

Dirne Ja freilich.

Graf Bist schon älter?

Dirne Ins zwanzigste geh' i.

Graf Und wie lang bist du schon...

Dirne Bei dem G'schäft bin i ein Jahr!

Graf Da hast du aber früh ang'fangen.

Dirne Besser zu früh als zu spät.

Graf setzt sich aufs Bett Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?

Dirne Was?

Graf Also ich mein', geht's dir gut?

Dirne Oh, mir geht's alleweil gut.

Graf So... Sag, ist dir noch nie eing'fallen, daß du was anderes werden könntest?

Dirne Was soll i denn werden?

Graf Also... Du bist doch wirklich ein hübsches Mädel. Du könntest doch z. B. einen Geliebten haben.

Dirne Meinst vielleicht, ich hab' kein?

Graf Ja, das weiß ich – ich mein' aber einen, weißt einen, der dich aushalt, daß du nicht mit einem jeden zu gehn brauchst.

Dirne I geh' auch nicht mit ein' jeden. Gott sei Dank, das hab' i net notwendig, ich such' mir s' schon aus.

Graf sieht sich im Zimmer um

Dirne bemerkt das Im nächsten Monat ziehn wir in die Stadt, in die Spiegelgasse.

Graf Wir? Wer denn?

Dirne Na, die Frau, und die paar anderen Mädeln, die noch da wohnen.

Graf Da wohnen noch solche –

Dirne Da daneben... hörst net... das ist die Milli, die auch im Kaffeehaus g'wesen ist.

Graf Da schnarcht wer.

Dirne Das ist schon die Milli, die schnarcht jetzt weiter 'n ganzen Tag bis um zehn auf d' Nacht. Dann steht s' auf und geht ins Kaffeehaus.

Graf Das ist doch ein schauderhaftes Leben.

Dirne Freilich. Die Frau gift' sich auch genug. Ich bin schon um zwölfe Mittag immer auf der Gassen.

Graf Was machst denn um zwölf auf der Gassen?

Dirne Was werd' ich denn machen? Auf den Strich geh' ich halt.

Graf Ah so... natürlich... Steht auf, nimmt die Brieftasche heraus, legt ihr eine Banknote auf das Nachtkastel Adieu!

Dirne Gehst schon... Servus... Komm bald wieder. Legt sich auf die Seite.

Graf bleibt wieder stehen Du, sag einmal, dir ist schon alles egal – was?

Dirne Was?

Graf Ich mein', dir macht's gar keine Freud' mehr.

Dirne gähnt Ein' Schlaf hab' ich.

Graf Dir ist alles eins, ob einer jung ist oder alt, oder ob einer...

Dirne Was fragst denn?

Graf ... Also Plötzlich auf etwas kommend meiner Seel', jetzt weiß ich, an wen du mich erinnerst, das ist...

Dirne Schau i wem gleich?

Graf Unglaublich, unglaublich, jetzt bitt' ich dich aber sehr, red gar nichts, eine Minute wenigstens... Schaut sie an ganz dasselbe G'sicht, ganz dasselbe G'sicht. Er küßt sie plötzlich auf die Augen.

Dirne Na...

Graf Meiner Seel', es ist schad', daß du... nichts andres bist... Du könnt'st a dein Glück machen!

Dirne Du bist grad wie der Franz.

Graf Wer ist Franz?

Dirne Na, der Kellner von unserm Kaffeehaus...

Graf Wieso bin ich grad so wie der Franz?

Dirne Der sagt auch alleweil, ich könnt' mein Glück machen, und ich soll ihn heiraten.

Graf Warum tust du's nicht?

Dirne Ich dank' schön... ich möcht' nicht heiraten, nein, um keinen Preis. Später einmal vielleicht.

Graf Die Augen... ganz die Augen... Der Lulu möcht' sicher sagen, ich bin ein Narr – aber ich will dir noch einmal die Augen küssen... so... und jetzt grüß' dich Gott, jetzt geh' ich.

Dirne Servus...

Graf bei der Tür Du... sag... wundert dich das gar nicht...

Dirne Was denn?

Graf Daß ich nichts von dir will.

Dirne Es gibt viel Männer, die in der Früh nicht aufgelegt sind.

Graf Naja... Für sich Zu dumm, daß ich will, sie soll sich wundern... Also Servus... Er ist bei der Tür Eigentlich ärger' ich mich. Ich weiß doch, daß es solchen Frauenzimmern nur aufs Geld ankommt... was sag' ich – solchen... es ist schön... daß sie sich wenigstens nicht verstellt, das sollte einen eher freuen... Du – weißt, ich komm nächstens wieder zu dir.

Dirne mit geschlossenen Augen Gut.

Graf Wann bist du immer zu Haus?

Dirne Ich bin immer zu Haus. Brauchst nur nach der Leocadia zu fragen.

Graf Leocadia... Schön – Also grüß' dich Gott. Bei der Tür Ich hab' doch noch immer den Wein im Kopf. Also das ist doch das Höchste... ich bin bei so einer und hab' nichts getan, als ihr die Augen geküßt, weil sie mich an wen erinnert hat... Wendet sich zu ihr Du, Leocadie, passiert dir das öfter, daß man so weggeht von dir?

Dirne Wie denn?

Graf So wie ich?

Dirne In der Früh?

Graf Nein... ob schon manchmal wer bei dir war – und nichts von dir wollen hat?

Dirne Nein, das ist mir noch nie g'schehn.

Graf Also, was meinst denn? Glaubst, du g'fallst mir nicht?

Dirne Warum soll ich dir denn nicht g'fallen? Bei der Nacht hab' ich dir schon g'fallen.

Graf Du g'fallst mir auch jetzt.

Dirne Aber bei der Nacht hab' ich dir besser g'fallen.

Graf Warum glaubst du das?

Dirne Na, was fragst denn so dumm?

Graf Bei der Nacht... Ja, sag, bin ich denn nicht gleich am Diwan hing'fallen?

Dirne Na freilich... mit mir zusammen.

Graf Mit dir?

Dirne ja, weißt denn du das nimmer?

Graf Ich hab'... wir sind zusammen... ja...

Dirne Aber gleich bist eing'schlafen.

Graf Gleich bin ich... So... Also so war das!...

Dirne Ja, Bubi. Du mußt aber ein' ordentlichen Rausch g'habt haben, daß dich nimmer erinnerst.

Graf So... – Und doch... es ist eine entfernte Ähnlichkeit... Servus... Lauscht Was ist denn los?

Dirne Das Stubenmäd'l ist schon auf. Geh, gib ihr was beim Hinausgehn. Das Tor ist auch offen, ersparst den Hausmeister.

Graf Ja. Im Vorzimmer Also... Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuer gewesen... Es war mir halt nicht bestimmt. Das Stubenmädel steht da, öffnet die Tür Ah – da haben S'... Gute Nacht. –

Stubenmädchen Guten Morgen.

Graf Ja freilich... guten Morgen... guten Morgen.


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