Arthur Schnitzler
Professor Bernhardi
Arthur Schnitzler

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Vierter Akt

Salon bei Bernhardi. Türen im Hintergrund. Türe rechts.

Pflugfelder, gleich nach ihm Löwenstein von rechts.

Löwenstein (noch hinter der Szene). Professor Pflugfelder! (Herein.)

Pflugfelder. Ah, Löwenstein! – Sie sind ja ganz außer Atem.

Löwenstein. Schon von der Straße aus lauf ich Ihnen ja nach. (Fragend.) Also was ist –?

Pflugfelder. Waren Sie denn nicht im Gerichtssaal?

Löwenstein. Während der Beratung über das Strafausmaß bin ich weggeholt worden. Wieviel –?

Pflugfelder. Zwei Monate.

Löwenstein. Zwei Monate, trotz der Aussage des Pfarrers? Ist das möglich?

Pflugfelder. Diese Aussage! Die war nur für den Pfarrer selbst von Vorteil. Bernhardi hat nicht den geringsten davon gehabt.

Löwenstein. Das ist aber doch – Wieso für den Pfarrer –?

Pflugfelder. Ja, haben Sie denn das Plädoyer des Staatsanwaltes nicht angehört?

Löwenstein. Nur den Anfang. Viermal bin ich heute weggeholt worden während der Verhandlung. Sonst kann man tagelang warten, bis es einem Patienten einfällt –

Pflugfelder. Na, na, Sie haben sich nicht zu beklagen –

Löwenstein. Also, was war mit dem Staatsanwalt?

Pflugfelder. Nun, daß der Pfarrer keinen Stoß, sondern nur eine leichte Berührung an der Schulter verspürt haben wollte, das gab dem Staatsanwalt willkommenen Anlaß, Seine Hochwürden als ein Musterbild christlicher Langmut und Milde zu preisen und bei dieser Gelegenheit dem ganzen Priesterstand, der ja zur Not darauf verzichten könnte, ein Loblied zu singen.

Löwenstein. Da ist also Bernhardi tatsächlich nur auf die Zeugenaussagen von dieser hysterischen Schwester Ludmilla und von diesem sauberen Herrn Hochroitzpointner hin verurteilt worden?! Denn alle anderen Aussagen haben ihn doch vollständig entlastet. Adler muß ich direkt Abbitte leisten. Er hat sich famos benommen. Und Cyprian! Von Ihrem Herrn Sohn gar nicht zu sprechen!

Cyprian tritt ein. Löwenstein, Pflugfelder Begrüßung.

Pflugfelder. Wo bleibt Bernhardi?

Löwenstein. Haben sie ihn vielleicht gleich dort behalten?

Cyprian. Er wird wohl mit Doktor Goldenthal kommen.

Pflugfelder. So? Den bringt er sich gar mit?

Cyprian (befremdet). Auf den Verteidiger können wir bei unserer Beratung heut wohl nicht verzichten.

Pflugfelder. Wir hätten von Beginn an auf ihn verzichten sollen.

Löwenstein. Sehr wahr.

Cyprian. Was habt ihr denn gegen ihn? Er hat vorzüglich gesprochen. Nicht sehr schneidig vielleicht –

Pflugfelder. Das kann man allerdings nicht behaupten.

Löwenstein. Goldenthal hat sich benommen wie ein Schubjack, wie übrigens nicht anders zu erwarten war.

Cyprian. Wieso nicht anders zu erwarten?

Löwenstein. Ein Getaufter! Seine Frau trägt so ein Kreuz. Seinen Sohn läßt er in Kalksburg erziehen! Das sind schon die Richtigen.

Cyprian. Du machst einen wirklich schon nervös mit deiner fixen Idee.

Löwenstein. Ich bin kein Vogel Strauß, sowenig als ich ein Kiebitz bin. Herr Doktor Goldenthal ist einer von denen, die immerfort Angst haben, man könnte doch vielleicht glauben – Mit einem andern Advokaten wär die Sache anders ausgegangen.

Cyprian. Das bezweifle ich sehr. Mit einem andern Angeklagten vielleicht.

Pflugfelder. Wie?

Cyprian. Wir wollen Bernhardi ja nachträglich keine Vorwürfe machen, meine Lieben, gewiß nicht heute. Aber daß er sich besonders klug benommen hätte, das können ihm seine glühendsten Verehrer nicht nachsagen.

Löwenstein. Wieso? Ich habe ihn geradezu bewundert. Daß er sogar während der Aussage dieses Lumpen Hochroitzpointner die Ruhe bewahrte –

Cyprian. Ruhe nennst du das? Trotz war es.

Löwenstein. Trotz? Wieso Trotz?

Pflugfelder (zu Cyprian). Er war wahrscheinlich nicht dabei, als Bernhardi die Vorladung Ebenwalds verlangte.

Löwenstein. Ah!

Cyprian. Das weißt du nicht? – Auch den Minister Flint wollte er vorladen lassen. –

Löwenstein. Großartig!

Cyprian. Das war nichts weniger als großartig. Was haben Flint und Ebenwald mit der Prozeßsache zu tun?

Löwenstein. Na, hörst du –

Cyprian. Absolut nichts. Es sah geradezu nach Sensationshascherei aus.

Pflugfelder. Na –

Cyprian. Wenn man die Dinge so weit an ihre Wurzeln verfolgen wollte, was für Leute hätte man heute noch vor Gericht laden müssen! Es wäre eine illustre Gesellschaft gewesen, sag ich euch.

Löwenstein. Schad, schad!

Kurt tritt ein.

Pflugfelder. Kurt!

(Auf ihn zu, umarmt ihn.)

Löwenstein (zu Cyprian). Was ist denn das für eine rührende Familienszene?

Cyprian. Weißt du denn nicht? Kurt hat Herrn Hochroitzpointner vor Gericht einen Lügner genannt.

Löwenstein. Was –

Cyprian. Und wurde im Disziplinarwege zu zweihundert Kronen Geldstrafe verurteilt.

Löwenstein. Lieber Doktor Pflugfelder, darf ich Ihnen auch einen Kuß geben?

Kurt. Danke bestens, Herr Dozent, ich betrachte ihn als genossen.

Löwenstein. So lassen Sie mich wenigstens was zu den zweihundert Kronen beitragen.

Pflugfelder. Die zahlen schon wir. (Zu Kurt.) Aber das sag ich dir, Kurt, wenn du dir's vielleicht einfallen läßt, dich mit dem Menschen zu schlagen –

Kurt. Er soll's nur versuchen, mich zu fordern. Dann bring ich die Sache vor einen Ehrenrat. Und da wollen wir sehen –

Löwenstein. Er wird sich hüten.

Kurt. Das fürcht ich auch. Aber wie immer, abgeschlossen ist die Affäre Hochroitzpointner noch nicht, auch wenn es die Affäre Bernhardi sein sollte.

Cyprian. Was wir nicht hoffen wollen.

Löwenstein. Was haben Sie vor, Doktor Kurt?

Dr. Goldenthal, beleibter Herr von 45 Jahren, graumeliertes krauses Kopfhaar; schwarze Bartkoteletten; würdig, etwas salbungsvoll und nasal, kommt. Cyprian, Pflugfelder, Löwenstein, Kurt.

Goldenthal. Guten Abend, meine Herren.

Cyprian. Wo ist Bernhardi?

Goldenthal. Ich habe dem Professor geraten, sich durch eine Seitentüre aus dem Gerichtsgebäude zu entfernen.

Löwenstein. Um den ihm zugedachten Ovationen zu entgehen?

Goldenthal. Nur Geduld, meine Herren, auch das könnte noch kommen.

Cyprian. Na –

Goldenthal. Denn wenn wir auch diesmal keinen Sieg erfochten haben –

Löwenstein. Das kann man allerdings nicht sagen.

Goldenthal. Es war doch eine ehrenvolle Niederlage.

Pflugfelder. Zum mindesten für die, die nicht eingesperrt werden.

Goldenthal (lacht). Sollten Sie den Verteidiger meinen, Herr Professor? Nun, das ist eine der wenigen Ungerechtigkeiten, gegen die einzuschreiten ich bisher noch niemals eine Nötigung empfunden habe. (Neuer Ton.) Aber nun, meine Herren, lassen Sie uns ein ernstes Wort sprechen. Es trifft sich vielleicht ganz gut, daß der Professor noch nicht hier ist. Ich wollte Sie nämlich dringend bitten, bei der nun bevorstehenden Beratung mich nach besten Kräften zu unterstützen.

Cyprian. Inwiefern?

Goldenthal. Unser verehrter Professor Bernhardi ist – wie soll ich nur sagen – ein wenig eigensinnig. Es hat sich ja heute auch leider im Laufe der Verhandlung gezeigt. Diese Idee mit der Vorladung des Ministers und sein obstinates Schweigen nachher – es machte keinen günstigen Eindruck! – Wir wollen nicht weiter davon reden. – Aber nun scheint Professor Bernhardi die Rolle des Beleidigten weiterspielen zu wollen und beabsichtigt, auf alle Rechtsmittel gegenüber dem Urteil von vornherein zu verzichten – und das –

Cyprian. So etwas habe ich vorausgesehen.

Löwenstein. Und Sie wollen die Nichtigkeitsbeschwerde einbringen, Herr Doktor?

Goldenthal. Selbstverständlich.

Löwenstein. Wäre ja aussichtslos.

Pflugfelder. Ich weiß, was jetzt zu tun wäre. An die Öffentlichkeit müßte man appellieren.

Goldenthal. Entschuldigen Sie, Herr Professor, der Prozeß hat nicht hinter verschlossenen Türen stattgefunden.

Pflugfelder. Zum Volk müßte man reden. Das mein ich. Der Unsinn war, daß wir bisher das Maul gehalten haben. Schaut euch die Gegenpartei an! Die klerikalen Blätter haben gehetzt, soviel sie nur konnten. Die haben es doch überhaupt dahin gebracht, daß die Anklage nicht wegen Vergehens, sondern gleich wegen Verbrechens, gegen Bernhardi erhoben worden ist, und man ihn so vor die Geschworenen bringen konnte. Die haben nicht erst den Ausgang der Verhandlung abgewartet, um über die Affäre zu schreiben, wie es unsere liberalen Zeitungen offenbar für nötig hielten.

Löwenstein. Die sind halt vornehm.

Pflugfelder. Ja, man könnte es zuweilen auch anders nennen. Aber es ist eben gegangen, wie leider so oft in der Welt. Was der Unbedenklichkeit und dem Haß der Feinde vielleicht doch nicht ganz gelungen wäre, das hat die Laxheit und die Feigheit der sogenannten Freunde besorgt.

Cyprian. Zum Volk willst du sprechen? Zu unserer Bevölkerung! Die Geschworenen heute könnten dir doch als Kostprobe dienen.

Pflugfelder. Man hat heute vielleicht nicht die richtigen Worte gefunden, um auf sie zu wirken.

Goldenthal. Oh!

Pflugfelder. Haltet mich für einen Narren, wenn es euch beliebt, ich glaube an ein elementares Rechtsgefühl in juridisch unverbildeten Köpfen, an den ursprünglich gesunden Sinn des Volkes.

Löwenstein. Pflugfelder hat recht! Man muß Versammlungen einberufen und die Leute über den Fall Bernhardi aufklären.

Cyprian. Versammlungen zur Besprechung des Falles Bernhardi dürften nicht gestattet werden.

Pflugfelder. Es bieten sich andere Gelegenheiten. Die Landtagswahlen stehen vor der Tür.

Cyprian. Kandidierst du vielleicht?

Pflugfelder. Nein, aber reden werde ich. Und werde nicht ermangeln, den Fall Bernhardi –

Cyprian. Was wirst du reden? Du wirst genötigt sein, Selbstverständlichkeiten zu sagen.

Pflugfelder. Meinethalben. Wenn unsere Gegner die Frechheit haben, diese Selbstverständlichkeiten zu leugnen, bleibt uns nichts übrig, als sie immer wieder in die Welt hinauszuschreien. Die Angst, daß uns die Snobs bei dieser Gelegenheit Phrasendrescher heißen könnten, darf uns nicht verleiten, den Paradoxen und Lügen das Feld zu räumen.

Löwenstein. Und es wäre sehr zu überlegen, ob im Interesse der Sache Bernhardi nicht jedenfalls seine zwei Monate absitzen sollte. (Gelächter.)

Pflugfelder. Gewiß würde die Infamie, die an ihm verübt wurde, augenfälliger.

Bernhardi und Oskar treten ein. Pflugfelden Cyprian, Kurt, Löwenstein, Goldenthal.

Bernhardi (sehr aufgeräumt, da er die andern eben noch lachen hört). Da geht's ja hoch her. Bin auch dabei. Bitte um Entschuldigung, daß ich habe warten lassen. (Händedrücke.)

Cyprian. Also, ist es dir gelungen, dich den Ovationen zu entziehen?

Bernhardi. Nicht so ganz. An der Seitentür haben vorsichtshalber auch einige – Herren – gewartet und mir einen gebührenden Empfang bereitet.

Löwenstein. Hat man dir die Pferde ausgespannt?

Bernhardi. Nieder mit den Juden! haben sie geschrien. Nieder mit den Freimaurern!

Löwenstein. Hört ihr!

Bernhardi. Sie machen mir doch das Vergnügen zum Abendessen, meine Herren. Willst du nicht nachsehen, Oskar, ob genügend vorgesorgt ist? Meine Wirtschafterin hat mir nämlich gekündigt. Ihr Beichtvater hat ihr erklärt, daß sie unmöglich in so einem Hause bleiben dürfe, ohne größte Gefahr für ihr Seelenheil! – Es wird natürlich etwas frugal sein, wie es sich für die Tafel eines angehenden Sträflings geziemt. Aber Oskar! Mir scheint gar, der Bub hat Tränen im Auge. (Leiser.) Nicht sentimental sein.

Oskar. Ich bin nur wütend. (Ab, kommt bald wieder.)

Adler tritt ein.

Bernhardi. Seien Sie mir gegrüßt, Doktor Adler. Ein reuiger Sünder ist meinem Angesicht wohlgefälliger als zehn Gerechte.

Adler (leicht). Ich war niemals ein Sünder, Herr Professor. Ich betone nochmals, dieser Prozeß erschien mir von allem Anfang an als eine Notwendigkeit. Allerdings konnte ich nicht voraussehen, daß Herr Hochroitzpointner vor Gericht mehr Glauben finden würde als Professor Cyprian und ich.

Cyprian. Wir können uns nicht beklagen. Dem Herrn Pfarrer selbst ist es nicht anders ergangen.

Goldenthal. Ja, meine Herren. Der Herr Pfarrer! – Das war ein merkwürdiger, in gewissem Sinn vielleicht sogar ein historischer Moment, als Seine Hochwürden Zeugenschaft ablegte, und – freilich erst auf meine Frage hin – seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, daß Professor Bernhardi keine feindselige Demonstration der katholischen Kirche gegenüber beabsichtigt hätte. Man kann ermessen, wie stark gewisse Strömungen in unserer Bevölkerung heute sein müssen, wenn nicht einmal die Aussage des Herrn Pfarrers imstande war, unserer Sache zu nützen.

Bernhardi. Wenn Seine Hochwürden das hätte befürchten müssen, so hätte er jedenfalls anders ausgesagt.

Goldenthal. Oh, Herr Professor! Wie können Sie annehmen, daß ein Diener der Kirche jemals wissentlich eine Unwahrheit aussprechen würde.

Pflugfelder. Soll schon vorgekommen sein.

Adler. Ich glaube, Herr Professor, Sie tun dem Pfarrer unrecht. Aus seinen Worten, aus seiner ganzen Haltung sprach geradezu eine Art von Sympathie für Sie. Das ist kein ganz gewöhnlicher Mensch. Schon damals im Krankenzimmer hatte ich den Eindruck.

Bernhardi. Sympathie! An die glaube ich nur, wenn es mit einigem Risiko verbunden ist, sie zu beweisen.

Goldenthal. Ich bezweifle, daß Seiner Hochwürden die heutige Aussage in seiner weiteren Karriere von besonderem Vorteile sein dürfte. Wir wollen übrigens hoffen, daß er noch einmal in die Lage versetzt sein wird, Zeugenschaft abzulegen; – und dann, Herr Professor, wenn Ihnen Gerechtigkeit widerfahren sein wird, werden auch Sie gerechter urteilen.

Bernhardi. Ich sagte Ihnen schon, Herr Doktor, daß ich auf jedes Rechtsmittel verzichte. Der Prozeß heute war eine Farce. Ich werde mich nicht noch einmal vor diese Leute oder ihresgleichen hinstellen. Nebstbei wissen Sie so gut wie ich, Herr Doktor, daß es vollkommen aussichtslos wäre.

Goldenthal. Pardon! – wie sich die obersten Instanzen verhalten werden, das läßt sich durchaus nicht –

Pflugfelder. Je höher hinauf, um so schlimmer.

Goldenthal. Meine Herren, es wird auch Ihnen nicht entgangen sein, daß sich gerade im Laufe der letzten Monate gewisse Veränderungen in der politischen Konstellation vorbereiten.

Löwenstein. Ich merke nichts davon. Immer ärger wird es.

Goldenthal. Verzeihen Sie, ich fühle, wie durch unser Vaterland allmählich wieder ein freiheitlicherer Zug zu wehen beginnt, – und ein nächster Prozeß könnte sich schon unter einem minder verhängten Himmel abspielen.

Bernhardi. Und was wäre schon das Höchste, was ich erreichen könnte? Ein Freispruch. Das genügt mir nicht mehr. Wenn ich nur zu meinem Recht komme, so bin ich noch lange nicht quitt mit den Herren Flint, Ebenwald und Konsorten.

Goldenthal. Verehrter Herr Professor, ich sagte Ihnen schon, für das, was Sie diesen Herren vorzuwerfen haben, gibt es keine gerichtlichen Beweise.

Bernhardi. Man wird mir glauben – auch ohne gerichtliche Beweise.

Goldenthal. Aber eine Schuld dieser Herren im juridischen Sinn ist überhaupt nicht zu konstruieren.

Bernhardi. Darum verzichte ich eben auf weitere juridische Behandlung des Falles.

Goldenthal. Es ist meine Pflicht, Herr Professor, Sie vor Übereilungen zu warnen. Ich tue es hier vor Zeugen. Ich verstehe ja, daß das an Ihnen verübte Unrecht Ihr Blut in Wallung bringt. Aber auf dem Wege, der Ihnen jetzt vorzuschweben scheint, liegen nur neue Prozesse –

Cyprian. Und wahrscheinlich neue Verurteilungen.

Bernhardi. Man wird wissen, wo die Wahrheit ist, geradeso wie man's heute weiß.

Pflugfelder. Was immer du vorhast, auf mich kannst du zählen.

Löwenstein. Auch auf mich. Und ich behaupte, das ganze System muß getroffen werden.

Pflugfelder. Flint müßte man zum Teufel jagen.

Goldenthal. Aber meine Herren!

Löwenstein. Ja, dieser Flint, auf den ihr so große Hoffnungen gesetzt habt, und der jetzt einfach der Handlanger der Klerikalen geworden ist. Dieser sogenannte Mann der Wissenschaft, unter dem die Pfaffen frecher geworden sind als je. Wenn es so weitergeht, liefert er der schwarzen Brut die ganze Schule aus, dieser Minister für Kultus und Heuchelei!

Goldenthal. Pardon, es ist eine bekannte Tatsache, daß zweifellos liberale Journalisten im Unterrichtsministerium aus und ein gehen. Und was gewisse Maßnahmen des Herrn Ministers anbelangt, meine Herren, auf die Sie offenbar anspielen, so muß ich sagen, auf die Gefahr hin, mir Ihr Mißfallen zuzuziehen, daß ich sie nicht so durchaus verwerflich finde.

Pflugfelder. Wie, Sie sind für den Beichtzwang bei Schulkindern? Sie sind für die Gründung einer katholischen Universität, Herr Doktor?

Goldenthal. Ich will ja nicht sagen, daß ich meine Söhne dort studieren ließe.

Löwenstein. Warum, Herr Doktor? Man wird von Kalksburg aus ohne Umsteigen hingelangen.

Goldenthal. Kalksburg, meine Herren, ist eine der vorzüglichsten Schulen, die Österreich besitzt. Und ich konstatiere bei dieser Gelegenheit gern, daß auch unter den von mancher Seite so sehr verlästerten Klerikalen Männer von geistiger Bedeutung, ja sogar, wie es sich heute wieder gezeigt hat, tapfere und edle Menschen zu finden sind. Und mein Prinzip war immer, auch im erbittertsten Kampf: Respekt vor der Überzeugung meiner Gegner.

Löwenstein. Die Überzeugungen des Ministers Flint!

Goldenthal. Er schützt eben alle Überzeugungen. Und das ist seine Pflicht auf der Warte, wo ihn die Vorsehung hingestellt hat. Glauben Sie mir, meine Herren, es gibt Dinge, an die man nicht rühren – und nicht rühren lassen soll.

Pflugfelder. Warum, wenn ich fragen darf? Die Welt ist überhaupt nur dadurch weitergekommen, daß irgend jemand die Courage gehabt hat, an Dinge zu rühren, von denen die Leute, in deren Interesse das lag, durch Jahrhunderte behauptet haben, daß man nicht an sie rühren darf.

Goldenthal. In dieser allgemeinen Form dürfte Ihre geistreiche Behauptung kaum aufrecht zu erhalten sein, und jedenfalls kann sie auf unsere Affäre keine Anwendung finden, da ja unserem verehrten Freunde Bernhardi, wie er ohne weiteres zugeben wird, gewiß die Absicht ferngelegen war, die Welt weiterzubringen.

Löwenstein. Es wird sich vielleicht einmal zeigen, daß er es getan hat.

Bernhardi. Oh! Oh! Wohin geratet ihr!

Pflugfelder. Wie die Dinge heute stehn, ist deine Angelegenheit nur von einem allgemeinen Standpunkt aus zu behandeln. Deine Gegner haben ja den Anfang gemacht. Auch der Staatsanwalt hat sich nicht geniert. Sollten Sie das nicht bemerkt haben, Herr Doktor?

Goldenthal. Auf dieses Gebiet konnte ich dem Herrn Staatsanwalt nicht folgen. Meine Aufgabe ist es nicht, Politik zu machen, sondern zu verteidigen.

Pflugfelder. Wenn Sie wenigstens diese Aufgabe erfüllt hätten.

Bernhardi. Aber, Pflugfelder, ich werde nicht gestatten –

Goldenthal. Oh, lassen Sie doch, Herr Professor, die Sache beginnt mich zu interessieren. – Also, Sie finden, daß ich meinen Klienten nicht verteidigt habe?

Pflugfelder. Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach nein. Denn wenn man Ihnen zugehört hat, Herr Doktor, mußte man ja wirklich glauben, daß sämtliche religiösen Gefühle der katholischen Welt, von denen Seiner Heiligkeit des Papstes an bis zu denen des Betbruders im entlegensten Dorf, durch Bernhardis Vorgehen gegen den Pfarrer aufs tiefste verletzt worden seien. Und statt einfach zu erklären, daß jeder Arzt so handeln müßte, wie Bernhardi tat, und daß jeder, der das bestreitet, nur ein Tropf oder ein Schurke sein kann, haben Sie es für nötig gefunden, als einen Akt der Unbesonnenheit zu entschuldigen, was einfach seine ärztliche Pflicht gewesen ist. Die böswilligen Idioten auf der Geschworenenbank, die vom ersten Augenblick an entschlossen waren, Bernhardi schuldig zu sprechen, haben Sie behandelt wie die erlesensten Köpfe der Nation – und die Richter, die die Kerkerstrafe für Bernhardi sozusagen in der Aktentasche mitgebracht hatten, als Musterbilder von Scharfsinn und Gerechtigkeit. Sogar den Lumpen Hochroitzpointner und die Schwester Ludmilla haben Sie mit Glacéhandschuhen angefaßt und sind so weit gegangen, diesen falschen Zeugen den guten Glauben zuzubilligen. Und Sie haben sich nicht anders gebärdet, als glaubten Sie, Sie, Herr Doktor Goldenthal, im Innersten Ihrer Seele selbst an die Unerläßlichkeit und Kraft jenes Sakramentes, gegen das sich Bernhardi angeblich vergangen, und ließen durchblicken, daß unser Freund Bernhardi im Grunde doch sehr unrecht täte, nicht auch daran zu glauben. Immer zuerst ein höfliches Neigen des Kopfes gegen den Herrn Klienten, und dann ein tiefes Buckerl nach der Seite, wo seine Feinde standen, vor der Dummheit, der Verleumdung, der Heuchelei. Wenn Bernhardi damit zufrieden ist, so ist das seine Sache, ich, Herr Doktor Goldenthal, vermag für diese Art Verteidigung das nötige Verständnis nicht aufzubringen.

Goldenthal. Und ich, Herr Professor, muß es begrüßen, daß Sie Ihre großen Gaben der Medizin und nicht dem Jus gewidmet haben, denn zweifellos wäre es Ihnen gelungen, bei Ihrem Temperament und Ihrer Auffassung von der Würde des Gerichtssaales, auch den Unschuldigsten ins Kriminal zu bringen.

Löwenstein. Das treffen Sie ja auch, Herr Doktor, trotz Ihres erfreulichen Mangels an Temperament.

Bernhardi. Aber jetzt ist es wahrhaftig genug. Ich muß euch bitten –

(Die Türe ins Speisezimmer wurde geöffnet.)

Goldenthal (abwehrend). Verehrter Herr Professor, glücklich der Mann, der solche Freunde sein eigen nennt. Ich für meinen Teil lasse gern den Vorwurf auf mir sitzen, daß ich nicht zu den gewissenlosen Verteidigern gehöre, die einem rednerischen Effekt zuliebe ihren Klienten der Erbitterung seiner Richter preisgeben. – Aber selbstverständlich, Herr Professor, denke ich nicht daran, Ihnen meinen Rat weiterhin aufzudrängen, und stelle anheim –

Cyprian (zu Pflugfelder). Siehst du!

Bernhardi. Was fällt Ihnen ein, Herr Doktor.

Pflugfelder. Wenn sich hier einer zu entfernen hat, so bin das selbstverständlich ich. Ich muß dich auch um Verzeihung bitten, lieber Bernhardi, daß ich mich habe hinreißen lassen; zurücknehmen kann ich selbstverständlich nichts. Kein Wort mehr, Bernhardi, ich bin hier überflüssig.

Diener kommt, flüstert Bernhardi etwas zu.

Bernhardi sehr betreten, zögert eine Weile, er will sich an Cyprian wenden, läßt es wieder sein.

Pflugfelder hat sich indessen entfernt.

Bernhardi. Verzeihen Sie, meine Herren, ein Besuch, den ich unmöglich abweisen kann. Er wird mich hoffentlich nicht allzulange – Bitte fangen Sie nur an zu essen. Oskar, sei so gut –

Cyprian (zu Bernhardi). Was ist denn?

Bernhardi. Später, später.

(Oskar, Kurt, Löwenstein, Adler, Cyprian, Goldenthal ins Speisezimmer.)

Bernhardi. (zum Diener). Ich lasse bitten.

Diener ab.

Bernhardi schließt die Portiere zum Speisezimmer.

Pfarrer tritt ein. Bernhardi und Pfarrer.

Bernhardi. (ihn an der Türe empfangend). Ich bitte –

Pfarrer. Guten Abend, Herr Professor.

Bernhardi. Eine Beileidsvisite, Hochwürden?

Pfarrer. Nicht eben das. Aber es war mir ein unabweisbares Bedürfnis, noch heute mit Ihnen zu sprechen.

Bernhardi. Ich bin zu Ihrer Verfügung, Hochwürden. (Bietet ihm einen Stuhl an, beide setzen sich.)

Pfarrer. Trotz des für Sie ungünstigen Ausganges des Prozesses, Herr Professor, dürfte Ihnen klar sein, daß ich an Ihrer Verurteilung keine Schuld trage.

Bernhardi. Wenn ich Ihnen dafür dankte, Hochwürden, daß Sie unter Ihrem Zeugeneid die Wahrheit gesprochen haben, müßte ich fürchten, Sie zu verletzen. Also –

Pfarrer (schon etwas verstimmt). Ich bin nicht gekommen, mir Ihren Dank zu holen, Herr Professor, obwohl ich mehr getan habe, als einfach die Antwort zu erteilen, zu der ich als Zeuge verpflichtet war. Denn, wenn Sie sich freundlichst erinnern wollen, gab ich auf eine Frage Ihres Herrn Verteidigers hin ohne Zögern meiner Überzeugung Ausdruck, daß Sie bei Ihrem Verhalten gegen mich damals an der Türe des Krankenzimmers keineswegs von ostentativ feindlichen Absichten gegen die katholische Kirche geleitet waren.

Bernhardi. Damit sind Hochwürden gewiß über das Maß Ihrer Verpflichtungen hinausgegangen, aber vielleicht belohnt Sie hierfür die Wirkung, die Sie mit Ihrer Aussage erzielt haben.

Pfarrer. Ob diese Wirkung, Herr Professor, auch überall außerhalb des Gerichtssaales als eine mir günstige bezeichnet werden darf, das wollen wir dahingestellt sein lassen. Aber Sie können sich wohl denken, Herr Professor, daß ich nicht gekommen bin, um meine Aussage vor Gericht privatim vor Ihnen zu rekapitulieren. Was mich dazu veranlaßt, noch heute zu so später Stunde bei Ihnen vorzusprechen, ist der Umstand, daß ich Ihnen ein – noch weiter gehendes Zugeständnis zu machen habe.

Bernhardi. Ein weiter gehendes Zugeständnis?

Pfarrer. Ja. Vor Gericht gab ich meiner Überzeugung Ausdruck, daß Sie nicht in feindlicher Absicht gegen mich oder gegen – das, was ich zu repräsentieren habe, vorgegangen sind. Ich sehe mich aber nun veranlaßt, Ihnen zuzugestehen, Herr Professor, daß Sie in dem speziellen Fall – verstehen Sie mich wohl, Herr Professor – in dem speziellen Fall, um den es sich hier handelt, in Ihrer Eigenschaft als Arzt vollkommen korrekt gehandelt haben, daß Sie innerhalb Ihres Pflichtenkreises, geradeso wie ich innerhalb des meinen, nicht anders handeln konnten.

Bernhardi. Habe ich Sie recht verstanden? Sie gestehen mir zu, daß ich vollkommen korrekt – daß ich nicht anders handeln konnte?

Pfarrer. Daß Sie als Arzt nicht anders handeln konnten.

Bernhardi (nach einer Pause). Wenn dies Ihre Meinung ist, Hochwürden, dann muß ich allerdings sagen, daß sich vor wenigen Stunden für dieses Zugeständnis eine bessere, ja vielleicht die einzig richtige Gelegenheit geboten hätte.

Pfarrer. Daß es nicht Mangel an Mut war, der mir die Lippen verschloß, brauche ich Ihnen nicht zu versichern. Wäre ich sonst hier, Herr Professor?

Bernhardi. Was also –

Pfarrer. Das will ich Ihnen sagen, Herr Professor. Was mich vor Gericht verstummen ließ, das war die mit der Kraft göttlicher Erleuchtung in mir hervorbrechende Einsicht, daß ich durch ein Wort mehr einer wahrhaft heiligen, ja, der mir heiligsten Sache unermeßlichen Schaden zugefügt hätte.

Bernhardi. Ich kann mir nicht denken, daß es für einen so mutigen Mann, wie Hochwürden es sind, eine heiligere Sache geben könnte als die Wahrheit.

Pfarrer. Wie? Keine heiligere, Herr Professor, als die geringfügige Wahrheit, die ich etwa in jenem Einzelfall bis zu Ende hätte vertreten dürfen? Das werden Sie wohl selbst nicht behaupten wollen. Hätte ich Ihnen öffentlich nicht nur Ihre gute Absicht zugestanden, worin ich schon weiter ging, als mir manche Wohldenkende verzeihen werden, sondern es überdies als Ihr Recht erkannt, mich von dem Bett einer Sterbenden, einer Christin, einer Sünderin, fortzuweisen, so hätten die Feinde unserer heiligen Kirche eine solche Erklärung weit über das Maß ausgenützt, für das ich die Verantwortung hätte übernehmen können. Denn wir haben nicht nur loyale Feinde, Herr Professor, wie Ihnen gewiß nicht unbekannt sein wird. Und die geringfügige Wahrheit, die ich ausgesprochen hätte, wäre dadurch in einem höheren Sinne Lüge geworden. Und was wäre das Resultat gewesen? Nicht etwa als ein allzu Nachsichtiger, nein, als ein Abtrünniger, als ein Verräter wäre ich vor denjenigen gestanden, denen ich Rechenschaft und Gehorsam schuldig bin, – und vor meinem Gotte selber. Darum habe ich nicht gesprochen.

Bernhardi. Und warum, Hochwürden, tun Sie es jetzt?

Pfarrer. Weil ich in dem Augenblick, da jene Erleuchtung über mich kam, sofort das Gelübde tat, Ihnen persönlich als dem einzigen, dem ich es vielleicht schuldig bin, ein Bekenntnis abzulegen, das die Öffentlichkeit mißverstanden und mißdeutet hätte.

Bernhardi. Hierfür danke ich Ihnen, Hochwürden. Und lassen Sie mich hoffen, daß Sie niemals in die Lage kommen werden, öffentlich in einer Sache auszusagen, wo mehr auf dem Spiele stünde als – mein geringes Schicksal. Denn es könnte sich ja fügen, daß Sie auch dann, was mir als Ihr höchst persönliches Bedenken erscheint, als göttliche Erleuchtung empfänden, und daß damit eine noch höhere Wahrheit zu Schaden käme als die ist, die Sie glauben vertreten und schützen zu müssen.

Pfarrer. Eine höhere als die meiner Kirche vermag ich nicht anzuerkennen, Herr Professor. Und meiner Kirche höchstes Gesetz heißt Einordnung und Gehorsam. Denn bin ich aus der Gemeinschaft ausgestoßen, von deren Wirken so unendlicher Segen über die Welt ausstrahlt, so ist für mich, anders als bei Männern, die in einem freien Berufe stehen, wie Sie, Herr Professor, die Möglichkeit jeden Wirkens und damit der ganze Sinn meines Daseins aufgehoben.

Bernhardi. Mir ist, Hochwürden, als hätte es Priester gegeben, denen der Sinn des Daseins erst damit begann, daß sie sich aus ihrer Gemeinschaft lösten und ohne jede Rücksicht auf Unannehmlichkeit und Gefahr verkündeten, was sie für Recht und Wahrheit hielten.

Pfarrer. Wenn ich zu diesen gehörte, Herr Professor –

Bernhardi. Nun?

Pfarrer. – so hätte Gott mich wohl heute schon vor Gericht aussprechen lassen, was Sie nun erst in diesen vier Wänden vernehmen durften.

Bernhardi. Gott also war es, der Ihnen dort die Lippen verschloß? Und nun schickt Gott Sie zu mir, auf daß Sie mir unter vier Augen zugestehen, was vor Gericht auszusprechen Ihnen verwehrt war? Man muß sagen, er macht es Ihnen recht bequem, Ihr Gott!

Pfarrer (sich erhebend). Verzeihen Sie, Herr Professor, meinem Zugeständnis, das Sie sonderbarerweise als ein Bekenntnis eines an Ihnen begangenen Unrechtes aufzufassen scheinen, habe ich nichts hinzuzufügen. Keineswegs war es in meinem Gelöbnis mit einbegriffen, mit Ihnen ein Gespräch über Dinge zu führen, in denen wir uns kaum verstehen können.

Bernhardi. Und so schlagen Sie mir die Türe vor der Nase zu, Hochwürden –? Als einen Beweis dafür, daß Sie drin sind und ich draußen, vermag ich das allerdings nicht anzuerkennen. Immerhin bleibt mir nun nichts anderes mehr übrig als zu bedauern, Hochwürden, daß Sie sich vergeblich herbemüht haben.

Pfarrer (nicht ohne Ironie). Vergeblich?

Bernhardi. Da ich es doch nicht vermag, Sie so völlig zu absolvieren, als Sie nach einem so ungewöhnlichen Schritt vielleicht erwarten durften.

Pfarrer. Absolution? Um die war es mir wohl nicht zu tun, Herr Professor. Vielleicht um Beruhigung. Und die ist mir geworden, sogar in weit höherem Maße, als ich hoffen durfte. Denn jetzt, Herr Professor, beginne ich diese ganze Angelegenheit in neuem Lichte zu sehen. Es wird mir allmählich offenbar, daß ich mich über den wahren Grund meines Hierherkommens, meines Hierhergesandtseins im Irrtum befunden habe.

Bernhardi. Oh!

Pfarrer. Kein Bekenntnis hatte ich Ihnen abzulegen, wie ich anfangs glaubte, sondern von einem Zweifel mich zu befreien. Von einem Zweifel, Herr Professor, der mir selbst als solcher noch nicht bewußt war, als ich hier eintrat. Nun aber hat er sich gelöst, Klarheit dringt in meine Seele, und was ich Ihnen früher zugestanden habe, Herr Professor, ich bedauere sehr, ich muß es wieder zurücknehmen.

Bernhardi. Sie nehmen es zurück? Ich habe es nun einmal empfangen, Hochwürden.

Pfarrer. Es gilt nicht mehr. Denn jetzt weiß ich es, Herr Professor, Sie waren nicht im Recht, als Sie mich von dem Bett jener Sterbenden fortwiesen.

Bernhardi. Ah!

Pfarrer. Sie nicht! Andere im gleichen Falle wären es vielleicht gewesen. Sie aber gehören nicht zu diesen. Jetzt weiß ich es. Es ist bestenfalls eine Selbsttäuschung, wenn Ihnen als ärztliche Fürsorge, als menschliches Mitleid erscheint, was Sie veranlaßt hat, mir den Eintritt in jenes Sterbezimmer zu verweigern. Dieses Mitleid, diese Fürsorge, sie waren nur Vorwände; nicht völlig bewußte vielleicht, aber doch nichts anderes als Vorwände.

Bernhardi. Vorwände? Sie wissen mit einemmal nicht mehr, Hochwürden, was Sie noch vor wenigen Minuten wußten und mir zugestanden, daß mir eine Verantwortung auferlegt war – wie Ihnen!?

Pfarrer. Das gestehe ich Ihnen auch weiterhin zu. Was ich bestreite, ist nur, daß Sie aus diesem Gefühl der Verantwortung heraus mir den Eintritt in das Sterbezimmer verweigert haben. Der wahre Grund Ihrer Haltung gegen mich lag nicht in Ihrem Verantwortungsgefühl, auch nicht in der edlen Aufwallung eines Momentes, wie Sie sich vielleicht einbilden, wie sogar ich selbst zu glauben nahe war, sondern er lag viel tiefer, in den Wurzeln Ihres Wesens selbst. Jawohl, Herr Professor, der wirkliche Grund war, – wie soll ich sagen –, eine Antipathie gegen mich – eine unbeherrschbare Antipathie – vielmehr eine Feindseligkeit –

Bernhardi. Feindseligkeit –?

Pfarrer. – gegen das, was dieses Gewand hier für Sie und Ihresgleichen bedeutet. Oh, im Laufe dieser Unterredung haben Sie mir genugsam Beweise gegeben, daß es sich so verhält. Und nun weiß ich auch, daß geradeso wie heute auch damals schon aus Ihrer ganzen Haltung, aus jedem Ihrer Worte mir doch nur jene Feindseligkeit entgegenklang, jene unbezwinglich tiefe, die Männer Ihrer Art gegen meinesgleichen nun einmal nicht überwinden können.

Bernhardi. Feindseligkeit! wiederholen Sie immer wieder. Und wenn es so wäre! Was mir im Laufe dieser letzten Wochen widerfuhr, diese ganze Hetze gegen mich, die Sie ja selbst als verlogen und unwürdig empfinden, könnte die nicht noch nachträglich rechtfertigen, was Sie Feindseligkeit nennen, wenn so etwas wirklich schon vorher bei mir bestanden hätte? Und ich will nicht leugnen, daß ich, trotz einer angeborenen beinahe ärgerlichen Neigung zur Gerechtigkeit, im Laufe dieser letzten Wochen von einer solchen – Feindseligkeit eine Ahnung in mir aufsteigen gefühlt habe – nicht so sehr gegen Ihre Person, Hochwürden – als gegen die – Gesellschaft, die sich um Sie geschart hat. Aber das kann ich beschwören, in dem Augenblick, Hochwürden, da ich Ihnen den Eintritt in jenes Krankenzimmer verweigerte, da war von dieser Feindseligkeit kein Hauch in mir. So reinen Herzens stand ich Ihnen dort gegenüber in meiner Eigenschaft als Arzt – wie nur je irgendein Angehöriger Ihres Standes am Altar eine kirchliche Handlung verrichtet hat. Nicht weniger reinen Herzens, als Sie mir gegenüberstanden, – der gekommen war, meiner Kranken die letzten Tröstungen der Religion zu bringen. Das wußten Sie, als Sie vorhin in mein Zimmer traten. Das gestanden Sie mir zu. Sie sollten diese Erkenntnis nicht plötzlich wieder von sich weisen, – weil Sie fühlen – was ja auch ich fühle – und vielleicht nie stärker gefühlt habe als in dieser Stunde, daß irgend etwas uns trennt, – über dessen Vorhandensein wir auch unter freundlicheren Umständen uns nicht hinwegtäuschen könnten.

Pfarrer. Und Sie fühlten es nie stärker als in dieser Stunde?

Bernhardi. Ja, – in dieser Stunde, da ich doch wohl einem der – Freiesten Ihres Standes gegenüberstehe. Aber für das, was uns trennt, und wahrscheinlich für alle Zeiten trennen muß, Hochwürden, – dafür scheint mir – Feindseligkeit ein zu armes und kleines Wort. Es ist von etwas höherer Art, denk ich – und – von hoffnungsloserer.

Pfarrer. Da mögen Sie recht haben, Herr Professor. Hoffnungslos. Gerade diesmal – gerade zwischen Ihnen und mir will es sich erweisen. Denn schon manchmal ward mir Gelegenheit zu ähnlichen bis an eine gewisse nicht unbedenkliche Grenze führenden Unterredungen mit Männern aus Ihren Kreisen, mit – Gelehrten, mit Aufgeklärten (etwas spöttisch) niemals aber schien jede Verständigung so außer dem Bereich der Möglichkeit zu liegen wie hier. Allerdings hätte ich es vielleicht gerade am Abend des heutigen Tages vermeiden sollen, – Ihnen im Gespräch bis zu diesen Grenzen zu folgen.

Bernhardi. Ich hoffe, Hochwürden, Sie erweisen mir so viel – Respekt, um nicht etwa eine durch persönliche Erlebnisse des heutigen Tages verursachte üble Laune für meine Art der – Weltbetrachtung verantwortlich zu machen.

Pfarrer. Das liegt mir fern, Herr Professor – Wenn es sich so unüberbrückbar – so abgrundtief auftut zwischen zwei Männern wie – Sie und ich, die ja vielleicht beide – ohne (lächelnd) Feindseligkeit sein mögen, dann muß das wohl seine tieferen Ursachen haben. Und ich sehe diese Ursache darin, daß immerhin zwischen Glaube und Zweifel eine Verständigung möglich sein dürfte, – nicht aber zwischen Demut und, – Sie werden das Wort nicht mißverstehn, wenn Sie sich mancher Ihrer früheren Äußerungen erinnern –, zwischen Demut und Vermessenheit.

Bernhardi. Vermessenheit –?! Und Sie, Hochwürden, dem sich für das, was Sie auf dem Grund meiner Seele vermuten, kein – milderes Wort darbietet, Sie glauben sich frei von – Feindseligkeit gegen – Männer meiner Art?

Pfarrer (will zuerst etwas heftiger werden, nach kurzer Sammlung, mit kaum merklichem Lächeln). Ich weiß mich frei. Mir, Herr Professor, gebietet meine Religion, auch die zu lieben, die mich hassen.

Bernhardi (stark). Und mir die meine, Hochwürden, oder das, was an ihrer Stelle in meine Brust gesenkt ist –, auch dort zu verstehen, wo ich nicht verstanden werde.

Pfarrer. Ich zweifle nicht an Ihrem guten Willen. Aber das Verstehen, Herr Professor, hat seine Grenzen. Wo der menschliche Geist waltet, – Sie haben es gewiß selbst oft genug erfahren –, gibt es Trug und Irrtum. Was nicht trügt, – Menschen meiner Art nicht zu trügen vermag, – ist – (zögert) ich will lieber gleich ein Wort wählen, gegen das auch Sie nichts werden einzuwenden haben, Herr Professor, ist – das innere Gefühl.

Bernhardi. Wollen wir's denn so nennen, Hochwürden. Diesem inneren Gefühl, wenn es auch in meine Seele aus andern Quellen fließen dürfte, – dem versuche ja auch ich zu vertrauen. Was bleibt uns – allen am Ende anderes übrig? Und wenn es – unsereinem nicht so leicht wird wie Männern Ihrer Art, Hochwürden, Gott, der Sie – so demütig schuf, und mich – so vermessen, dieser – unbegreifliche Gott wird schon seine Gründe dafür haben.

Pfarrer sieht ihn lang an; dann, mit einem plötzlichen Entschluß streckt er ihm die Hand entgegen.

Bernhardi (zögernd, ganz wenig lächelnd). Über – den Abgrund, Hochwürden?

Pfarrer. Lassen Sie uns – nicht hinabschauen – für einen Augenblick!

Bernhardi reicht ihm die Hand.

Pfarrer. Leben Sie wohl, Herr Professor!(Er geht.)

(Bernhardi allein, eine Weile wie unentschlossen, sinnend, gefaltete Stirn, die sich wieder glättet, Bewegung, wie wenn er etwas von sich abschüttelte, dann schiebt er die Portiere zurück und öffnet die Türe. Man sieht die andern bei Tisch sitzen, zum Teil schon stehen und rauchen.)

Cyprian. Endlich!

Adler. Wir halten schon bei der Zigarre.

Cyprian (aus dem Zimmer tretend, zu Bernhardi kommend). Was hat's gegeben? Heute – so spät noch ein Patient?

Bernhardi. – Das ist schwer zu beantworten.

Oskar (auch aus dem Zimmer kommend). Da sind ein paar Telegramme für dich gekommen, Papa.

Bernhardi (öffnet eines). Ah, das ist nett.

Cyprian. Darf man wissen?

Bernhardi. Ein einstiger Patient, der mich seiner Sympathie versichert. Ein armer Teufel, der ein paar Wochen bei uns im Elisabethinum gelegen ist.

Goldenthal. Darf man sehen? Florian Ebeseder?

Löwenstein. Ebeseder? Florian? Das scheint ja ein Christ zu sein.

Pflugfelder (ihn an der Schulter berührend). Kommt vor!

Bernhardi (ein anderes Telegramm öffnend). O Gott! (Zu Cyprian.) Da, sieh einmal.

Adler. Vorlesen, vorlesen!

Cyprian (liest). »Wir versichern den mannhaften Kämpfer für Freiheit und Aufklärung unserer herzlichsten Verehrung und Teilnahme und bitten ihn zu glauben, daß er uns im Kampf gegen die Dunkelmänner stets an seiner Seite finden wird. Doktor Reiß, Walter König –«

Bernhardi. Namen, die ich gar nicht kenne.

Goldenthal. Das ist eine höchst erfreuliche Kundgebung. Es ist anzunehmen, daß sie nicht vereinzelt bleiben wird.

Bernhardi. Und dagegen kann man nichts machen?

Goldenthal (lachend). Wie? Das fehlte noch, daß man dagegen –

Oskar. Papa, willst du dich nicht endlich zu Tisch setzen?

Diener bringt eine Karte.

Bernhardi. Was gibt's denn schon wieder?

Oskar (liest). Der Vorstand des Vereines der Brigittenauer Freidenker.

Bernhardi. Die Freidenker aus der Brigittenau –? Ich bin nicht zu Hause. Bitte sagen Sie das den Herren.

Goldenthal. Aber warum denn?

Bernhardi. Ich bin schon im Kerker – Ich bin hingerichtet.

(Geht ins Speisezimmer, ebenso die andern außer Goldenthal und Löwenstein. Dann Doktor Kulka.)

Goldenthal (zum Diener, den er noch bei der Türe erwischt). Sagen Sie den Herren, der Herr Professor sei jetzt etwas abgespannt, es wird ihm aber – Wann hat der Professor Ordination?

Diener. Von zwei Uhr an.

Goldenthal. Also, es wird dem Herrn Professor morgen um dreiviertel zwei ein Vergnügen sein, die Herren zu empfangen.

Diener ab.

Löwenstein. Ein Vergnügen? Sind Sie davon überzeugt?

Goldenthal. Überlassen Sie es doch mir, die Interessen meines Klienten zu wahren.

Löwenstein achselzuckend ins Speisezimmer.

Diener kommt mit Karte.

Goldenthal (wendet sich um). Was gibt's denn? Lassen Sie sehen. Oh!

Diener. Der Herr will sich nicht abweisen lassen.

Goldenthal. Führen Sie den Herrn nur herein.

Diener ab.

Goldenthal räuspert sich, macht sich irgendwie bereit.

Kulka (tritt ein). Oh, Herr Doktor Goldenthal? – wenn ich nicht irre.

Goldenthal. Der bin ich. Wir kennen uns ja, Herr Doktor Kulka – Sie müssen schon für heute mit mir vorliebnehmen. Der Professor ist etwas müde, wie Sie sich wohl denken können –

Kulka. Müde? – Hm – Da werde ich wohl noch einmal – Ich könnte vor meinem Chef nicht verantworten –

Goldenthal. Aber Sie hören doch, Herr Doktor –

Kulka. Ja, freilich höre ich. Ich verstehe auch, aber was hilft mir das? Wenn ich den Herrn Professor nicht persönlich sprechen kann, vor meinem Chef hab doch nur ich die Schuld.

Goldenthal. Vielleicht bin ich in der Lage, Ihnen Rede zu stehen.

Kulka (zögernd). Wenn Sie so liebenswürdig sein wollen – Darf ich vielleicht fragen, Herr Doktor, ob es richtig ist, daß Herr Professor Bernhardi keine Nichtigkeitsbeschwerde einzubringen gedenkt?

Goldenthal. Wir haben uns der Form wegen Bedenkzeit vorbehalten.

Kulka hat ein Notizbuch herausgenommen.

Goldenthal (hiervon beeinflußt, in rednerischem Ton). Denn, wenn es uns auch fernliegt, in die Gesetzeskenntnis und die Weisheit österreichischer Richter den geringsten Zweifel zu setzen, oder gar dem gesunden Sinn der Wiener Bürger auf der Geschworenenbank Mißtrauen entgegenzubringen, so können wir uns doch der Vermutung nicht verschließen, daß die faktiöse Haltung einer gewissen, hier nicht näher zu bezeichnenden Presse geeignet schien, den Boden für einen Rechtsirrtum vorzubereiten und –

Bernhardi kommt herein.

Kulka. Oh, Herr Professor.

Bernhardi. Was ist denn das?

Goldenthal. Ich war so frei, Herr Professor, da Sie ja nicht gestört sein wollten, – und glaube ganz in Ihrem Sinne –

Bernhardi. Mit wem habe ich denn das Vergnügen?

Kulka. Kulka von den »Neuesten Nachrichten«. Mein Chef, der die Ehre hat, persönlich von Ihnen gekannt zu sein, läßt sich bestens empfehlen und –

Goldenthal. Es sind Gerüchte verbreitet, denen man am besten gleich entgegentreten sollte.

Kulka. Es heißt nämlich, daß Herr Professor auf jedes Rechtsmittel verzichten –

Goldenthal. Ich habe den Herrn Doktor schon aufgeklärt, daß wir uns Bedenkzeit vorbehalten haben.

Bernhardi. Das stimmt.

(Allmählich kommen aus dem Nebenzimmer Löwenstein, Cyprian, Adler, Kurt, Oskar.)

Kulka. Für diese Aufklärung bin ich sehr dankbar. Aber nun, Herr Professor, habe ich Ihnen noch eine spezielle Bitte meines Chefs vorzutragen. Herr Professor haben heute im Laufe der Verhandlung die Vorladung des Unterrichtsministers beantragt. Es geht daraus zur Evidenz hervor, daß in dieser Angelegenheit noch Momente mitspielen, die im Laufe des Prozesses nicht zur Sprache gekommen sind oder nicht kommen durften. Mein Chef würde sich nun eine besondere Ehre daraus machen, Herr Professor, Ihnen die Spalten unseres Blattes zur Verfügung zu stellen –

Bernhardi (abwehrend). Danke, danke.

Kulka. Es ist Ihnen gewiß nicht unbekannt, Herr Professor, daß unser Blatt, wenn es auch Seiner Exzellenz im Beginn seiner Amtstätigkeit mit dem größten Vertrauen entgegenkam, sich neuerdings genötigt sah, gegen gewisse überraschende fortschrittsfeindliche, ja geradezu reaktionäre Maßnahmen des Ministers in energischer Weise Front zu machen, wobei stets jene maßvolle Form gewahrt wurde, die uns seit jeher als die Vorbedingung eines gedeihlichen Wirkens auch auf politischem Gebiete erschienen ist. Und so wäre es uns höchst willkommen in unserm Kampf für Fortschritt und Freiheit, einen Mann wie Sie an unserer Seite zu wissen, dessen durch Geschmack gezügelte Leidenschaft uns die Gewähr bietet, einen Bundesgenossen –

Bernhardi. Verzeihen Sie, ich bin kein Bundesgenosse.

Kulka. Aber wir sind die Ihren, Herr Professor.

Bernhardi. Das kommt Ihnen heute so vor. Meine Angelegenheit ist eine rein persönliche.

Löwenstein. Aber –

Kulka. Manche persönliche Affären tragen eben den Keim von politischen in sich. Die Ihrige –

Bernhardi. Das ist ein Zufall, für den ich keine Verantwortung übernehme. Ich gehöre keiner Partei an und wünsche von keiner als der ihrige in Anspruch genommen zu werden.

Kulka. Herr Professor werden nicht vermeiden können –

Bernhardi. Ich will nichts dazu tun. Wer für mich eintritt, tut es auf seine eigene Gefahr. (Immer leicht und jetzt mit dem ihm eigenen ironischen Lächeln.) So wie ich heute beschuldigt wurde, die katholische Religion gestört zu haben, könnte es mir nächstens passieren, als Feind einer andern, Ihnen vielleicht näherstehenden, verdächtigt zu werden –

Kulka. Ich bin konfessionslos, Herr Professor. Wir sind es alle, wenigstens innerlich. Unser Standpunkt, der Standpunkt unseres Blattes, wie männiglich bekannt, ist derjenige der absoluten Gewissensfreiheit. Wie sagt Friedrich? – Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.

Bernhardi. Also, dann bitte ich Sie auch bei mir nach diesem Grundsatz zu handeln. Danken Sie Ihrem Herrn Chef für seine freundliche Einladung, es wäre einfach ein Mißbrauch seines Vertrauens, eine Art Falschmeldung, wenn ich ihr folgte.

Kulka. Ist das wirklich Ihr letztes Wort, Herr Professor?

Bernhardi. Die unterscheiden sich selten von meinen ersten.

Kulka. Mein Chef wird unendlich bedauern – ich weiß wirklich nicht – Aber bitte, Herr Professor, falls Sie sich doch noch entschließen sollten, Ihren Gefühlen gegenüber Seiner Exzellenz publizistischen Ausdruck zu verleihen, können wir wenigstens darauf rechnen, daß kein anderes Blatt –

Bernhardi. Sie können sich darauf verlassen, daß ich mich, was immer ich unternehmen sollte, nicht in den Schutz irgendeiner Zeitung zu stellen gedenke. Meine beste Empfehlung Ihrem Herrn Chef.

Kulka. Ich danke, Herr Professor. Ich habe die Ehre, meine Herren.

(Ab. Kleine unbehagliche Pause.)

Cyprian. Notwendig war das nun gerade nicht.

Goldenthal. Ich muß eigentlich auch sagen, Herr Professor –

Bernhardi. Ja, verstehen Sie denn noch immer nicht, meine Herren, daß ich mit den Leuten absolut nichts zu tun haben will, die eine politische Affäre aus meiner Angelegenheit machen wollen.

Löwenstein. Aber es ist doch nun einmal eine.

Goldenthal. Gewiß, wie die Dinge sich gestaltet haben, stehen Sie mitten im politischen Kampf. Und eigentlich müßten wir es begrüßen –

Bernhardi. Ich bitte, lieber Herr Doktor, begrüßen Sie nichts! Ich führe keinen politischen Kampf. Das lächerliche Kriegsgeschrei, das sich von einigen Seiten erheben will, wird mich nicht zu einer Rolle verführen, die mir nicht behagt, zu der ich mich gar nicht tauglich fühle, weil es eben nur eine Rolle wäre. Und was die Bedenkzeit anbelangt, Herr Doktor, ich bitte Sie hiermit, sie als abgelaufen zu betrachten.

Goldenthal. Ich verstehe nicht –

Bernhardi. Ich wünsche meine Strafe anzutreten, und zwar so bald als möglich. Am liebsten morgen.

Cyprian. Aber –

Bernhardi. Ich will die Sache hinter mir haben. Das ist das Einzige, worauf es mir jetzt ankommt. Diese ganzen letzten Monate waren für meine Arbeit, meinen Beruf schon so gut wie verloren. Nichts als Konferenzen und Vernehmungen. Und was ist dabei herausgekommen? Als Rechtsfall war die Sache schon unerquicklich genug; nun soll sie gar ein Politikum werden, davor flücht' ich mich, und wär' es ins Gefängnis. Meine Sache ist es, Leute gesund zu machen, – oder ihnen wenigstens einzureden, daß ich es kann. Dazu will ich so bald wieder Gelegenheit haben, als es nur angeht.

Löwenstein. Und deine Rache?

Bernhardi. Wer spricht von Rache?

Löwenstein. Nun, Flint, Ebenwald. Die Herren willst du so einfach laufen lassen?

Bernhardi. Keine Rache soll es werden, – eine Abrechnung. Auch dazu wird es kommen. Aber es soll doch nicht plötzlich mein Lebensinhalt sein, mich mit diesen Leuten herumzuraufen. Das will ich nebstbei erledigen. Aber keine Angst. Geschenkt wird ihnen nichts bleiben.

Cyprian. Ob du nun die Sache politisch oder juridisch oder ganz privatim weiterführen willst, ich bleibe dabei, es war nicht notwendig, diesem Herrn Kulka gewissermaßen die Türe zu weisen.

Goldenthal. Auch ich möchte nochmals betonen, daß die Freundschaft des Blattes, als dessen Vertreter Herr Kulka hier erschien –

Bernhardi (ihn unterbrechend). Verehrter Herr Doktor, seine Feinde muß man nehmen, wie und wo man sie findet; meine Freunde kann ich mir aussuchen – glücklicherweise –

Vorhang

 


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