Hermann Harry Schmitz
Titti, das Schneelämmchen auf der Pfarrwiese
Hermann Harry Schmitz

Hermann Harry Schmitz

Titti, das Schneelämmchen auf der Pfarrwiese


Personen:

Pepi Schlitzauf, genannt das schwache Kind, ein Lustmörder

Adalbert Blutrunst, genannt der Kühne, ein zweiter Lustmörder

Brösel Neckisch, genannt der Tritt, ein Zuhälter

Josef Bartlieb, genannt der Krühmling, ein Sodomit

Gottlieb Labe, genannt der Revolver, ein Knabenschänder

Hubert Quade, ein Detektiv

Kaspar Muhlmann, genannt der Freund, ein Wirt


1. Auftritt

Verbrecherkneipe. Schlitzauf, Blutrunst, Bartlieb sitzen am Tisch. Blutrunst spielt mit einem Baukasten. Schlitzauf liest. Bartlieb spielt auf einer Flöte.

Blutrunst: Verdammt, stoßt doch nicht so am Tisch. Ich bin im übrigen dafür, daß Krümling sein Gewimmer einstellt.

Schlitzauf: Mag er von mir aus flöten, soviel er mag. Wo nur der Tritt bleibt?

Bartlieb: (das Flötenspiel unterbrechend) Der Tritt ist im Druck, er fürchtet, seine Stute geht ihm durch.

Blutrunst: Ist die Mulattenjule ihn leid? Neckisch ist doch ein patenter Kerl. (Bartlieb stößt am Tisch.) Verdammt! Wer jetzt noch einmal an den Tisch stößt, renne ich mein Messer in den Balg. – – – Wir hätten der Jule die große Brosche von der dicken Minderhoff nicht schenken sollen.

Schlitzauf: (sinnend) Die dicke Minderhoff starb langsam – ein wahrhaft köstlicher Fall – sie stöhnte noch, als ich das Gedärm herausriß. – Von der Brosche sprachst du? Wer nahm die Brosche? Ich bin lediglich Genießer, aber kein Verbrecher!

Blutrunst: Andenken an Menschen, die einem teuer, sind verzeihlich.

Bartlieb: Waisenknaben, ihr – als ich in eurem Alter – war ich weiter.

Blutrunst: (ihn nicht beachtend) Die Sache mit der kleinen Scheim war unser bester Fall – nuancenreicher, als die Sache mit der Dicken.

Schlitzauf: Nuancenreicher wohl schon – aber nicht so pastos – nicht so monumental so michelangelesk. Die Chose mit der Minderhoff ist ein Ereignis – eine Girandole in meiner Erinnerung.

Bartlieb: Macht euch nicht lächerlich mit euren antiquierten, überwundenen Neigungen. – Brutale Schlächter seid ihr – wenn ihr meine Liebste kennen würdet.

Blutrunst: Laß uns in Ruhe mit deinen ekelhaften Manieren.

Bartlieb: Prolet! Du kennst meine Freundin nicht.

Blutrunst: Ein rassiges Huhn, eine brünstige Ziege – ekelhaft!

Bartlieb: Es täte mir leid – verdammt – man nennt mich den Napoleon der Sodomie. Ich bin der Entdecker einer köstlichen Variante – eine Schildkröte.

Blutrunst: Pfui, Krühmling – eine Schildkröte!

Schlitzauf: Du bist uns zu gemein. Man kann mit dir nicht verkehren. – Wir werden durch dich in der Tat verdorben – völlig verdorben.

 
2. Auftritt

Neckisch: (stürmt herein) Eine Gemeinheit – eine Schamlosigkeit! Diese Dirne, dieses verdammte Biest!

Blutrunst: Die Mulattenjule?

Schlitzauf: Unpassend finde ich dein Benehmen, sehr unpassend. – Ihr verwildert!

Neckisch: Quält man sich ab mit so 'nem Weib – steckt sein Geld in so 'ne Person – zieht sie zu sich empor – was ist der Dank? Schon fängt sie sich einen anderen.

Schlitzauf: Du bist ein Egoist. – Du hast schlechte Manieren, Tritt – sehr schlechte Manieren. Ich gebe dich auf. Wer erbost sich heute über Widrigkeiten im Leben?

Neckisch: Die Sache ist für mich eine Lebensfrage. – Du hast dein Auskommen, aber ich?

Schlitzauf: Solange du Nerven hast, gehört die Welt dir. Behaupte, die Welt gehört dir, und sie gehört dir!

Neckisch: Seidene Wäsche habe ich ihr aus Brüssel mitgebracht – berückende Strümpfe – durchbrochen – rote Seide nur unten durchbrochen bis zur halben Wade – mehr als dreihundert Mark gab ich für den Traum aus!

Bartlieb: Meine Schildkröte braucht diesen Tand nicht.

Neckisch: Ich habe das Geschäft eingerichtet – ich lehrte sie Nuancen – Nuancen sage ich euch. – Nächte habe ich durchdacht nach neuen Nuancen.

Schlitzauf: Du warst kulturell tätig. Sei zufrieden mit dem Erfolg. Wer wird um ein Bündel Seide jammern?

Blutrunst: Die Jule hat die Brosche von uns – die große Brillantenbrosche mit dem Saphir. – Es macht mir Sorge, es wäre doch besser, wenn sie mit ihm zusammenbliebe.

Schlitzauf: Ich stahl die Brosche nicht. – Es ist schade um die Jule. Ich hatte sie ein Sonett von Petrarca gelehrt. – Es handelte von der Ehrfurcht gegen das Alter. – Sie sprach es so naiv zynisch. Ihr verliebter alter Marquis verbrauchte sehr viel Quecksilber – sehr viel Merkur seit jener Nacht mir ihr.

Bartlieb: Rosinen in Milch getaucht ißt sie am liebsten.

Blutrunst: Die Jule?

Bartlieb: Tor, meine Schildkröte!

Blutrunst: Schwein!

Neckisch: Soll ich sie der Polizei denunzieren? Soll ich ihr auflauern und sie töten!

Schlitzauf: (sinnend) Die Jule töten. – Sie hat einen geschmeidigen Leib. – Sie hat im Leben so zuckende Bewegungen. Sie töten? Der Gedanke ist nicht übel. – Laß es! – Nein, laß es!

Blutrunst: Dumm, dumm war es, ihr die Brosche zu geben.

Schlitzauf: Die Jule hat weißes Fleisch. – Zitterndes, kaltes, weißes Fleisch.

Blutrunst: Laß deine Hände davon. – Noch einen Mord verträgt diese Stadt nicht. – Laß deine Hände davon – ich habe genug!

Schlitzauf: Schade wäre es, eine solche Giftblume zu vernichten. Ein gleißendes Gefäß von Salviati, gefüllt mit den Lastern aller Zeiten, zu zerschellen.

Neckisch: Anstatt geistreiches Gewäsch zu machen, ratet mir lieber, was ich machen soll...

Blutrunst: Es muß was geschehen. – Die Jule muß zu ihm zurück. – Sie weiß zuviel. Mit wem hält sie es jetzt?

Neckisch: Sie ist verliebt!! (Schlitzauf, der wieder zu seinem Buch gegriffen hat, schaut mit Spannung auf.) In einen kleinen Studenten ist sie verliebt, den sie füttert. – Schon drei Tage ist sie mit ihm zusammen.

Schlitzauf: Laß ihr diesen Ausflug in das Sittliche.

Blutrunst: Ich bin dafür, daß man sie tötet. Die Jule ist die einzige, die uns verraten könnte, und sie wird es!

Schlitzauf: Du hast recht – sie ist zu satanisch, um uns zu schonen. Lediglich aus Neugierde wird sie uns vernichten. Es ist anziehend, überaus fesselnd, ein Verhängnis zu erwarten.

Blutrunst: Ich verzichte gern auf den Genuß. Es muß etwas geschehen!

Schlitzauf: Warum?

Neckisch: Wir lassen sie laufen und sind morgen verhaftet. – Sie haßt mich – sie hat mich immer gehaßt. – Meint ihr denn, sie würde über eure Taten die Schnauze halten?

Schlitzauf: Was der Kühne tat, verwerfe ich. Die Leute haben ja so recht, daß sie Menschen mit Nervinstinkten bekämpfen. – Sie haben in der Tat recht – ich weiß, daß gigantische Genüsse in einigen Tropfen Blausäure enden. – Ich hatte immer den Ehrgeiz, im Frack zu sterben – in einem köstlichen Märchenraum, umgeben von Orchideen. Pfui, in einer solchen Gesellschaft und einem solchen Milieu gefunden zu werden. –

Labe: (kommt verstört herein) Ihr, es ist etwas im Spiel. – Es geht etwas vor! Muhlmann hörte auf der Straße, daß man dem Mörder der Minderhoff auf der Spur sei. – Man hat die Jule verhaftet. – Meine beiden Gymnasiasten haben auch gequatscht.

Neckisch: Mir kann man nichts wollen. Was soll man mir wollen? Ich wüßte nicht, was ich getan hätte. – Hättet ihr auf mich gehört!

Schlitzauf: Labe erzählt schlecht – sehr schlecht. Er hat kein Talent, Vulgäres anziehend zu gestalten.

Blutrunst: Du hast mich verführt. – An deinen Morden habe ich mich nie beteiligt – ich war dabei. Der Verdacht wird auf mich fallen. – Ich war nur dabei – ich habe nie Hand mit angelegt. – Ich kann es beschwören, daß ich nicht gemordet habe. – Auch von den Morden in Monte Carlo werde ich erzählen! Alles werde ich sagen – alles. – Du hast mich in die Sache verwickelt. – Satan! Satan!!

Schlitzauf: Du tust mir leid – wirklich ich habe grenzenloses Mitleid mit dir. –

Muhlmann: (kommt hereingestürzt) Das Haus ist umstellt – ihr seid geliefert! Quade hat eure Spur entdeckt.

Quade: Guten Abend, meine Herren. Ich bedaure unendlich, stören zu müssen.

Blutrunst: (hebt den Finger in die Höhe) Darf ich einmal austreten?

Vorhang