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Erstes Kapitel.
Der Ueberfall

Im Süden Schwabens stand einst die feste Burg des in allen schwäbischen Gauen hochgeachteten Grafen Edelbert von Tannenburg. Stolz und kühn schauten die hohen Türme des edlen Herrensitzes über die schlanken Tannen dahin.

An einem stürmischen, rauhen Herbstabende saß der von Kummer tief gebeugte Schloßherr am Kaminfeuer, und die düstere Stimmung, die wie trübe, unheilvolle Wolken über des geliebten Vaters Angesicht zogen, preßte der lieblichen Tochter Rosa die bittersten Tränen der kindlichen Teilnahme aus. Der Wille des Herrn war es, der durch einen schnellen, sanften Tod die edle Gattin des Grafen Edelbert, Mechthild, zu sich in die himmlische Heimat abrief und somit den glücklichen Gatten zum Witwer, und das geliebte Kind zur mutterlosen Waise machte.

Mechthild war als Gattin und Mutter ein Muster weiblicher Tugend, daher ihr Tod auf den Gatten einen solch starken Eindruck machte, daß er nur mit gebrochenem Herzen sein liebes Kind, das treue Ebenbild der dahingeschiedenen Mutter, zu liebkosen pflegte.

Als Edelbert seine treue Mechthild zur Ruhe bettete, war Rosa kaum 14 Jahre alt; aber gleich einer so schön sich entfaltenden Rosenknospe erblühte auch Rosa zu jungfräulicher Anmut und Schönheit, daß sie, gleich ihrer Mutter, an Zucht und Sitte ein nachahmungswürdiges Beispiel aller Jungfrauen geworden war.

War ihr die sorgsamste, kindliche Pflege des um die geliebte Mutter so sehr trauernden Vaters zur Herzenssache geworden, so steigerte sich in ihr dies Bedürfnis noch mehr, als ihr Vater, der sonst so rüstige, kampfesmutige Ritter Edelbert von Tannenburg, in einer hitzigen Fehde mit einem übermütigen Grenznachbar eine schwere Wunde erhielt, infolge welcher sein rechter Arm gelähmt wurde.

Weniger die Schmerzen, die ihm die Wunde verursachte, machten, daß meist finstere Wolken auf seinem Angesicht lagerten, als der Gedanke, durch seinen allerdings nur vorübergehend gelähmten Arm verhindert zu sein, seiner Pflicht als Ritter Genüge zu leisten und seinem getreuen Freunde, dem Herzog von Schwaben, in den Kampf zu folgen.

Mit kindlicher Teilnahme hatte nun Rosa auch am heutigen rauhen Herbstabend, an dem der Regen in Strömen herabkam, den schweren silbernen Römer, den er vom Ahnherrn, dem Vater der Mutter Mechthildes, zum Geburtstagsangebinde erhalten, mit köstlichem Weine gefüllt, dem Vater auf dem künstlich geschnitzten Tische vorgesetzt, während sie sich mit ihrem Spinnrocken an seine Seite setzte und ihn durch ihr seelenvolles, kindliches Gespräch zu erheitern suchte.

»Du nimmst dir den Unfall doch zu sehr zu Herzen, liebes Väterchen, der dich diesmal vom Kriegsschauplatz fernhält,« sprach Rosa. »Ich habe es recht wohl wahrgenommen, welch tiefen Eindruck es auf dich machte, als deine treuen Dienstleute heute früh auf das Aufgebot des Herzogs von dannen zogen und du deines Armes wegen zurückbleiben mußtest. Laß deine Betrübnis fahren und laß uns Gott danken, daß die böse Wunde zu heilen beginnt und – gottlob – nicht eintrifft, was ich mit so großer Angst befürchtete. Es wird wohl nicht mehr lange anstehen, daß ich dich gesund wieder sehen darf! Dann wird aber freilich für mich der Schmerz erst recht auf diese Freude folgen, denn sobald du gesund bist, ruft dich der verwünschte Krieg wieder ins Feld und ich muß sodann allein in der verlaßenen Burg zurückbleiben, was um so schwerer auf mein Herz fallen wird, als auch meine liebe, gute Mutter mir durch den Tod entrissen wurde.«

»Allerdings, liebes Kind,« erwiderte Edelbert, »ist die Wunde, die meinem Herzen durch den Tod deiner treuen Mutter geschlagen worden ist, die schmerzlichste! Wie sie dir eine sorgliche, treuliebende Mutter gewesen, so war sie mir eine sorgliche, treue, verständige Gattin, deren heiligste Aufgabe es war, sich durchaus deiner Erziehung, deiner körperlichen und geistigen Pflege zu widmen.

»Als beim Turnier, das vor Jahren der Herzog von Schwaben der jungen Ritterschaft zur Probe ihrer Waffenfähigkeit gegeben, und ich als Sieger über meinen Gegner vor die Tribüne des Herzogs auf meinem stolzen Rappen hinritt, um meinen Kampfpreis zu empfangen, war es die holdselige Mechthild – wohl das sittsamste und schönste Fräulein am Hofe des Herzogs – von der mir, in Gegenwart der schwäbischen Ritterschaft, auf einem Purpurkissen das Schwert mit dem goldenen Griff als Kampfpreis überreicht wurde.

»Damals dachte ich freilich nicht daran, daß ich diese Perle, dieses edelste der Edelfräulein, so bald wieder verlieren sollte, dessen sittsam bescheidenes Benehmen mir dort zuerst den geheimen Wunsch ihres Besitzes in mir erregte. Wenige Wochen nach jenem Turnier führte ich Fräulein Mechthild als Gattin in die Burg meiner Väter ein und verlebte mit ihr die glücklichsten Tage meines Lebens.«

»Aber nicht wahr, lieber Vater,« unterbrach Rosa ihren Vater, »jener so glücklich erkämpfte Preis war auch die Ursache, warum Ritter Kunerich, unser Grenznachbar auf Fichtenburg, einen so entsetzlichen Haß gegen dich faßte, den er heute noch unverholen gegen dich äußert?«

»O freilich, liebes Kind, erhielt ich hierdurch in ihm einen sehr gefährlichen, heimtückischen Feind, dessen Groll dadurch noch aufs höchste gesteigert wurde, daß mir der Kaiser nach jener, dir bekannten Schlacht das goldene Ehrenzeichen umhängte, das ich stets auf meinem Herzen trage, während Kunerich, durch dessen unüberlegtes Dreinfahren die ganze Schlacht nahezu verloren gewesen wäre, einen empfindlichen Verweis erhalten hatte.«

Unvermerkt war Edelbert über diese Mitteilung in den Fluß der Rede gekommen, und war deshalb recht gern bereit, dem Wunsche seiner Rosa zu entsprechen und ihr zu erzählen, wie der wackere Köhler Burkhard, der vormals auf der Tannenburg gewohnt, und dessen Tochter Agnes Rosas Gespielin gewesen, mit der Geschichte des bösen Kunerichs eigentlich verflochten geworden sei.

»Der wackere Burkhard,« so erzählte Vater Edelbert seiner Rosa weiter, »war als mein Lehensmann und Kriegsgefährte der Besitzer eines kleinen Stück Landes, das an der Grenze unseres Gebietes liegt und anstößt an Ritter Kunerichs Besitztum. Kunerichs Waldungen wimmelten von Wild und es waren besonders die Hirsche, welche häufig ihre Grenzen überschritten und die Fruchtfelder des guten Burkhard heimsuchten und oft übel zurichteten; ebenso zerwühlten die Wildschweine seine Wiesen und Maisfelder, worüber sich Burkhard des öfteren bei mir beklagte und um Rat, Schutz und Hilfe bat. Dem wackern und getreuen Vasallen gab ich nun den entschiedenen Befehl, das auf seinen Gütern betroffene Wild geradezu niederzuschießen und es mir abzuliefern, was er um so eher zu tun das Recht habe, als von Rechts wegen alles Wild, das auf meinem Grund und Boden betreten werde, mir gehöre.

»So kam es nun, daß kurz darauf Burkhard an der Grenze, jedoch noch auf unserer Markung, einen Hirsch erlegte und ihn auf unsere Burg ablieferte. Das erfuhr nun Kunerich durch einen seiner Waldhüter, worauf er hoch und teuer schwur, an dem boshaften Wilddiebe, wie er den braven Mann nannte, die furchtbarste Rache zu nehmen, wozu dieser Wüterich leider nur zu bald Gelegenheit suchte und fand.

»Nach vollbrachtem Tagewerk saß eines Abends Vater Burkhard mit seiner getreuen Gertrud und der kleinen Tochter Agnes, nichts Böses ahnend, unter der alten Linde, die vor der Hütte ihre großen Aeste ausbreitete, um ihr einfaches Nachtessen zu verzehren, als Ritter Kunerich von der Fichtenburg mit mehreren bewaffneten Männern teils zu Fuß, teils zu Pferd, aus dem Dickicht des Waldes hervordrangen, und die stille, harmlose Familie überfielen.

»Vater Burkhard wurde von den rohen Knechten Kunerichs ergriffen, gebunden, auf einen Karren geworfen, und unter rohem Lärmen davongeführt. Händeringend und mit dem unbeschreiblichsten Schmerze erfüllt, flüchtete Gertrud mit ihrem weinenden Kinde auf die Tannenburg und baten mich fußfällig um Schutz und Hilfe, sowie um möglichste Rettung des gefangenen Gatten und Vaters.

»Ich suchte die jammernde Gertrud so gut als möglich zu trösten und versprach ihr augenblickliche Hilfe unter der Versicherung, daß ihr Mann frei werden solle, und wenn ich darüber das ganze Raubnest Fichtenburg zerstören müßte. Die Bekümmerten schickte ich auf die Burg, wo meine Rosa ihre schluchzende Gespielin Agnes mit der ihr eigentümlichen, liebreichen Weise zu beruhigen und ihre Tränen zu trocknen wußte.

»Wie allüberall schnelle Hilfe immer die beste ist,« fuhr Edelbert in seiner Erzählung weiter, »so auch im vorliegenden Fall.

»Sogleich, als ich den wahren Sachverhalt mir hatte erzählen lassen, fand ich, daß schleunige Hilfe not tue, ehe der Unmensch Kunerich mit seinem geraubten Opfer Fichtenburg erreichte, weshalb ich alsbald einige Reiterknechte auf Kundschaft ausschickte, ich selbst aber mit ziemlich stark bewaffneter Macht den geraden Weg zur Fichtenburg einschlug.

»Nach kurzem Ritt sprengte schon einer der auf Kundschaft ausgeschickten Reiter uns entgegen und brachte die Nachricht, daß Kunerichs Haufe in der Mühle im Föhrengrund verweile und dort unter Lärmen und Toben weidlich zeche, weil daselbst ausgezeichnetes Bier abgezapft werde, Vater Burkhard aber gefesselt auf einem Karren liege, der im Mühlhofe stehe.

»Nachdem ich mich, soweit es die Nacht im Walde gestattete, orientiert hatte, fand ich, daß ich mit meinen Leuten einen guten Vorsprung hatte; wir hielten daher an einem passenden Orte im Walde an, und als Kunerich, der natürlich an einen Ueberfall hier am wenigsten dachte, wohlgemut und unter Lärmen und Jodeln des Weges daherkam, fielen wir über den Reitertrupp her, zu welchem Befreiungswerke uns der eben aufgegangene Vollmond vortreffliche Dienste leistete. Sofern nun Kunerich einerseits auf den Ueberfall nicht gefaßt, andererseits aber so betrunken war, daß er unmöglich gut fechten konnte, suchte er nach kurzer Zeit und schlecht angeordneter Gegenwehr sein Heil in der Flucht und ließ den armen Gefangenen samt dem Karren in unsern Händen zurück.

»Ohne alle besondere Mühe hätte ich den wüsten Gesellen Kunerich zu meinem Gefangenen machen und ihm hierdurch fernere Untaten durch eine strenge Haft entleiden können; allein durch seine ganze Persönlichkeit, sowie durch sein wüstes, gottloses Gebaren wollte ich die Räume meiner Ritterburg nicht entweihen, daher ließ ich ihn mit seiner ganzen Sippschaft entwischen und dankte Gott, daß wir den Kampfplatz mit feindlichen Waffen besät fanden, dabei aber die erfreuliche Wahrnehmung machen durften, daß die Befreiung Burkhards kein Menschenleben kostete. Letzteren banden wir vom Karren los und luden statt seiner die erbeuteten Waffen auf denselben, hoben den geängstigten Mann auf ein gleichfalls eingefangenes Pferd, das einen unserer Gegner im Kampfe abgeworfen hatte, und zogen freudigen Mutes nach unserer Burg.

»Die Freude des Wiedersehens bei Vater, Mutter und Kind kannst du dir wohl denken, liebe Rosa; aber auch in meiner Brust zitterte es vor Freude und Wonnegefühl, als ich die Freudentränen und das herzliche Umarmen dieser geretteten Familie beobachtete.

»Um nun für die Zukunft die Burkhardsche Familie vor Kunerichs Rache zu schützen, nahm ich sie ganz in meine Burg; da aber in einem späteren Kriege Burkhard schwer verwundet und infolge dieser Wunden kampfunfähig wurde, jedoch zu sonstiger Handarbeit gerade nicht ganz unbrauchbar ward, so wollte er sein Stücklein Brot nicht müßig verzehren; weshalb ich ihm in einer der abgelegensten Gegenden des Waldes, die er zu seiner Ansiedelung am passendsten fand, eine bequeme Wohnung bauen ließ, um welche herum er sich ein großes Stück Ackerland urbar machte, das ihm und den Seinen reichlich Brot gab; ebenso überließ ich ihm im nächsten Talgrunde eine ansehnliche Strecke Wiesenplatz, der ihm einige Kühe ernährt, und treibt er nun seither mit meiner Einwilligung statt des Kriegshandwerks das Kohlenbrennen.

»Da die Gegend, wo Burkhard jetzt sein Gewerbe treibt, nur äußerst selten von Menschen besucht wird und man im rußigen Köhler auch nicht leicht den alten Kriegsmann zu erkennen vermag, so blieb Burkhard auch seither vor Kunerichs Nachstellungen sicher.«

Auf diese Erzählung ihres Vaters, die bis spät in die Nacht hinein währte, hatte Rosa aufmerksam zugehört, und manche Träne des Mitleids mit den armen Leuten perlte über die Rosenwangen, wobei sie nicht bemerkte, daß der schwere silberne Becher des freundlichen Erzählers leer geworden sei, und sie auch vergessen habe, neues Holz ins Kamin zu legen.

Gerade als Vater Edelbert seine Rosa erinnerte, daß es nun Zeit sei, das Nachtlager zu suchen, erhob sich in den unteren Räumen der Burg ein entsetzlicher Lärm. Waffengeklirr und Geschrei streitender Männer widerhallten in den hohen Bogengängen der alten Tannenburg: Heftige Fußtritte näherten sich dem Wohngemache, in dem sich gerade Edelbert mit seiner Tochter Rosa befand.

Ehe der Vater nach Waffen sich umsehen und die erschrockene Tochter die schwere eichene Tür verriegeln konnte, trat mit wildem Ungestüm ein geharnischter Ritter mit herabgelassenem Visier ein, dessen Rücken mehrere bewaffnete Gestalten deckten.

»Hollahe! Ritter Edelbert!« spottete der Eingetretene dem Ritter von Tannenburg entgegen, »die Stunde der Rache ist nahe! Ich bin Kunerich von der Fichtenburg, und gekommen, endlich für so viele Beleidigungen Rechenschaft zu fordern und dich für dieselben schwer büßen zu lassen! Auf, ihr Kriegsleute, leget ihn in Fesseln und bewachet mir ihn sorgfältig, bis wir von hier abziehen! Warte, stolzer Sieger im herzoglichen Turniere! Das schauerlichste Gewölbe der Fichtenburg soll von nun an deine süße Brautkammer sein, in der du über deine Siege, ohnmächtig und lebendig begraben, nachdenken kannst. Und hörst du, diese Burg ist jetzt mein Eigentum, und ich werde mir von deinen Habseligkeiten aussuchen, was mir gefällt; hernach aber,« wandte er sich zu seinen Helfershelfern, »könnt ihr zum Lohn für die mir geleistete Beihilfe die Tannenburg rein ausplündern, während ich die Keller des Herrn von Tannenburg etwas näher untersuchen und mir seine alten Weine trefflich munden lassen werde. Auf, sputet euch! In wenigen Stunden wird wieder von dannen gezogen, und euer Plünderungswerk muß bis dahin beendet sein.«

Auf diesen schauerlichen Befehl warf sich Rosa dem Wüterich zu Füßen und flehte weinend und händeringend um Erbarmen für den geliebten Vater; allein der herzlose Mensch stieß das liebliche Kind von sich und verließ unter den fürchterlichsten Drohungen das Gemach, vor dem sogleich zwei Kriegsleute als Wache postiert wurden.

Teils die geringe Anzahl von Kriegern, die der Tannenburg als Besatzung diente, teils der krankhafte Zustand des Burgherrn hatten in Kunerich den längst gehegten Racheplan zur Reife gebracht, besten Ausführung gerade jetzt um so leichter gelang, als eben ein so herzloser, untreuer Diener des Grafen Edelbert von Kunerich mit Geld bestochen und dazu verleitet wurde, daß dies Scheusal von Diener nachts ein geheimes, von Dornengesträuch und Steingerölle verschüttetes Türchen öffnete, das einen unterirdischen Gang verschloß, der ins Innere des Schloßes führte.

Im Innern des Schlosses angekommen, wurde die nur schwache Besatzung der Tannenburg durch einen unvermuteten Ueberfall ganz außer Faßung gebracht und trotz ihrer Gegenwehr überwältigt und niedergemacht. Mit den schlechtesten Mitteln zwar, aber mit leichter Mühe hatte sich nun Kunerich freien Spielraum im Schloße Tannenburg verschafft, wo er jetzt ungehindert bis zu Edelberts Wohngemach vordringen und mitten in der Burg sich des Herrn derselben bemächtigen konnte.

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Zweites Kapitel.
Trennung.

In den tiefsten Schmerz versunken saß Ritter Edelbert mit Ketten beladen an dem erlöschenden Kaminfeuer. Stille weinend und betend kniete Rosa vor dem unglücklichen Vater, und indem sie die tränenschweren Augen zu dem Unglücklichen emporhob, konnte sie unmöglich an die traurige Gewißheit seines und ihres Schicksals glauben; sie glaubte zu träumen, und zwar einen schrecklichen, entsetzlichen Traum.

Nachdem auch das letzte Flämmchen des vorhin so hell und lustig auflodernden Kaminfeuers vollends erloschen war, war es still und düster in der Stube. Weithin durch alle Räume des Schlosses hallte aber der wilde Jubel dieser zechenden Räuber, und jeder solcher Jubelklang des Feindes steigerte den Schmerz und die bittern Gefühle der in ihrem Eigentum armen Eingeschlossenen.

Nur hier und da drang ein schmerzlicher Seufzer, den das arme Kind nicht zurückzuhalten vermochte, aus dem gepreßten Herzen hervor, und mit erhöhtem Schmerze erfaßte sodann Rosa die gefesselte Hand des Schwergeprüften, welcher sein ganzes Leben hindurch der Schirm der Unschuld, der Helfer der Witwen und der Vater der Waisen gewesen und bedeckte sie mit den heißesten Tränen.

Nach namenlosem, innerem Kampfe brach endlich der tiefgebeugte Vater das Schweigen und suchte sein mutloses, jammerndes Kind zu trösten und zur Fassung zu bringen.

»Liebes, teures Kind!« redete er die vor ihm knieende Rosa an, »fasse dich, trockne deine Tränen und gib die Hoffnung auf Gottes allmächtige Fürsorge, die sich gewiß auch an uns noch offenbaren wird, nicht auf! Dieses schwere Verhängnis hat Gott, der Herr, über uns geschickt, und sicherlich hat er dabei die besten und edelsten Absichten, so daß er noch alles, selbst die rachsüchtigste Tücke unseres Widersachers, zu unserem Besten lenken kann und lenken wird. Darum, liebes Kind: ›Nur hinaufgeschaut und auf Gott vertraut!‹«

Nachdem er diese Vertrauens- und Glaubensworte zu seinem Kinde gesprochen, schwieg er eine Weile, um sich selbst wieder ein bißchen zu erholen; allein endlich drängte es ihn, das geliebte Kind darauf aufmerksam zu machen, daß sie in Kürze voneinander scheiden müssen und er diese kurze Zeit ihres Beisammenseins noch benützen wolle, um der geliebten Tochter noch einige Ermahnungen, Belehrungen und Wünsche ans Herz zu legen.

»Ja, liebes Kind, wir müssen scheiden!« Und dabei umschlang er seine aufs neue schluchzende Rosa mit dem linken Arm, weil sein rechter Arm mit den schweren Ketten beladen war und die Wunde daran ihn heftig schmerzte.

»O, lieber Vater, sprich nicht von Scheiden, keine Macht und Gewalt soll mich aus deinen Armen reißen und ich folge dir ins Gefängnis, ja selbst in den Tod.«

»Nein, liebe Rosa,« erwiderter der Vater ruhig; »Kunerich wird uns unter allen Umständen trennen, und hauptsächlich schon deswegen nicht dulden, daß du bei mir bleibst, weil sein rachgieriges Herz mir diesen Trost nicht gönnt, darum höre meinen Rat: Fasse dich und tröste dich damit, daß uns Gott nicht verlassen, sondern gewiß wieder zusammenführen wird. Sicherlich wird sich auch einer unter meinen Dienern finden, der dir zur Flucht aus unserer alten Heimat helfen, somit dein zartes Alter vor der Schmach der Dienstbarkeit retten wird. Kunerich wird sein Wort halten und dieses Schloß und alles, was darinnen ist, zu seinem Eigentum machen, wodurch du aus einem Ritterfräulein ein armes, sehr armes Mägdlein geworden bist, ärmer als das ärmste Kind irgend eines meiner Sölder. Allein obwohl du jetzt, wie du gehst und stehst, aus der Burg deiner Väter vertrieben und du von dem Erbe und dem Schmuck deiner seligen Mutter auch nicht eines Hellers Wert behalten wirst, so laß dir darum für die Zukunft nicht bangen und verzage nicht, denn der Herr, der über den Seinen wacht, wird auch dich nicht verlassen. Wird es dir gelingen, zu entkommen, so suche unsern guten Köhler Burkhard auf. Er und seine Gertrud werden Vater- und Mutterstelle an dir vertreten und ihre Tochter Agnes wird dir treulich das Kreuz, das dir auferlegt ist, tragen helfen. Bleibe bei diesen guten Leuten, bis der Wille des Herrn anders beschließt.

»Wirst du dich genötigt sehen, ländliche Arbeiten zu verrichten, so schäme dich dessen nicht; Schwielen an den Fingern einer fleißigen Hand verdienen sicherlich mehr Achtung als Gold, Edelsteine und Perlen an der Hand eines Müßiggängers!

»Sieh, liebes Kind, jetzt wirst du es erst mit rechter Dankbarkeit anerkennen, wie gut es war, daß dich deine selige Mutter an Arbeitsamkeit und Fleiß gewöhnte, und dich nicht lehrte, dein Glück in eitlem Putz, in köstlichem Wohlleben und in rauschenden Vergnügungen zu suchen.

»Bete und arbeite! Das Gebet ist die wahrhafteste Speise für die Seele, während Arbeit Brot für den Leib gewinnt. Vor allem aber bewahre deine Unschuld und fliehe vor der Sünde, wie vor einer Schlange; fliehe solche Menschen, die Reden führen, vor welchen du erröten mußt. Bedenke, daß Gottes Auge überall hinschaut und auch den verborgensten Winkel des menschlichen Herzens kennt. Hüte dich daher vor dem Bösen und leide lieber zehnmal Unrecht, als du nur einmal Unrecht tust!

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»Bete auch für mich! Sonst aber sei um mich unbesorgt und überlasse mich der Vorsorge des Allerhöchsten, er verläßt mich gewiß nicht. Er, der liebende Vater im Himmel wird auch im Kerker mit mir sein, so wie ich getrost von ihm hoffe, daß er mich wieder aus demselben befreien wird. Und sollte es denn doch das letzte Mal sein, liebe Tochter, daß du in das Auge deines Vaters schauest; sollte ich mein ganzes Leben hindurch in Ketten und Banden schmachten, ja selbst im düstern Kerker meine Todesstunde erwarten müssen und in diesem schrecklichen Augenblick keine freundliche Hand das gebrochene Auge mir schließen, kein freundlich liebender Blick mich beim schweren Eintritt ins finstere Todestal begleiten, so laß mir, teures Kind, nur den einzigen Trost, nur den einzigen beruhigenden Gedanken, daß du die Ermahnungen deines Vaters nicht vergißt und in die Fußtapfen deiner frommen Mutter trittst, damit du mir und deiner seligen Mutter dereinst nachfolgen kannst in die Hütten des himmlischen Friedens.

»Das einzig irdische Gut, das ich dir hinterlassen kann und das ich rein durch Gottes vorsorgliche Fügung diesen Morgen zu mir genommen habe, die goldene Münze hier, die ich einst in den Tagen des Glücks aus den Händen meines kaiserlichen Herrn und Gönners empfangen habe, nimm sie zu dir und suche sie vor den Augen deiner Feinde zu verbergen. Es ist ja möglich, daß dies Ehrenzeichen, wenn ich einmal nicht mehr lebe, für dich von Wichtigkeit werden kann; vielleicht kannst du dereinst durch sie noch beweisen, daß du aus dem berühmten, altadeligen Geschlechte derer von Tannenburg abstammst. Nun, geliebte Tochter, so knie nieder, damit dich meine Hand noch segne!«

Weinend kniete Rosa vor dem geliebten Vater nieder, faltete ihre Hände und neigte ihr liebliches Haupt voll Wehmut, um den Segen des Vaters zu empfangen.

Ein erneuter Lärm entstand in den untern Hallen der weitläufigen Burg. Ritter Kunerich hatte, nachdem er alles Wertvolle, das er im Schlosse Edelberts vorfand, sich angeeignet hatte, Befehl zum Aufbruch gegeben und mit teuflischer Härte drangen die vom Weine erhitzten Kriegsknechte Kunerichs in Edelberts Wohnstube ein, rissen die fest an den Vater angeklammerte Tochter herzlos aus seinen Armen und führten Edelbert in den Burghof, dessen hohe Türme und Zinnen von den brennenden Pechfackeln schauerlich beleuchtet waren.

Hier mußte Edelbert mit ansehen, wie seine eigenen Pferde aus den Ställen gezogen und vor große, mit seinem Eigentum hochbeladene Wagen gespannt wurden, während er selbst auf einen bereitstehenden Karren wie ein schwerer Verbrecher festgebunden und als kranker Mann der rauhen Herbstabendluft preisgegeben wurde.

Endlich taumelte auch Ritter Kunerich in den Schloßhof herab und brüllte wie ein unvernünftiges Vieh nach seinem stattlich geschmückten Streitroß, das er wegen unmäßig genossenen Weines kaum zu besteigen vermochte. Rasch saßen auch seine Raubgesellen auf ihren Rossen, während andere Kriegsknechte den Karren, auf dem Edelbert gebunden lag, als Eskorte umringten Und auf Marschbefehl Kunerichs ungeduldig warteten. Dieser erfolgte endlich und jauchzend und mit wilder Schadenfreude zogen die Räuber endlich zum Tore hinaus.

Da man den steilen Burgweg hinunter mit den schwerbeladenen Wagen nur langsam vorwärts konnte, so wurde es der von ihrem Vater gewaltsam getrennten Rosa ermöglicht, den Zug einzuholen. Nachdem sie bei demselben angekommen, drängte sie sich schluchzend an den Karren hinan, neben welchem Kunerich mit satanischer Schadenfreude einherritt, den sie sofort mit aufgehobenen Händen und so flehentlich, als es nur einem verlassenen Kinderherzen möglich war, bat, sich zu ihrem Vater setzen und sein Los teilen zu dürfen; allein dieser Unmensch blieb taub und herzlos gegen alle Bitten des armen Kindes und mit barschen, herzlosen Worten hieß er sie von der Stelle weichen, und als man unten am Berge auf der Ebene angekommen war, erscholl das Kommando Kunerichs zum raschen »Vorwärts!«, worauf die Reiter und Fuhrleute ihre Sporen und Peitschen so anwendeten, daß in wenigen Minuten der Räubertrupp einen großen Vorsprung vor Rosa hatte und es dieser nicht mehr möglich war, denselben einzuholen. Trotz Sturm und Regen eilte Rosa so lange dem Zuge nach, bis sie erschöpft und durchnäßt zu Boden sank und ihr eine Ohnmacht, jedoch nur auf kurze Zeit, mitleidig das Bewußtsein ihrer schrecklichen Lage raubte.

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Drittes Kapitel.
Der Zufluchtsort.

Rosa stand nun einsam und verlassen im weiten offenen Felde, unter freiem Himmel, nichts als das leichte Gewand, das sie beim Ueberfall der Burg auf dem Körper trug, zu ihrer Bedeckung. Nach langem Suchen fand sie endlich im Dickicht ein Plätzchen, wo sie einigermaßen Schutz gegen Sturm und Regen fand. Die Schauer der Einsamkeit berührte sie jedoch nicht. Einzig und allein waren ihre Gedanken bei dem unglücklichen Vater.

Als sie beim Ausbruch des kommenden Tages aus ihrem Schlupfwinkel sich hervorgewagt hatte und die Türme ihrer väterlichen Burg vom Glanze der aufgehenden Sonne bereits sichtbar geworden, befiel sie aufs neue namenloser Schmerz, unter welcher Last sie der trauten, liebgewordenen Wohnung, in welcher sie geboren und erzogen worden und an welche sich so manche schöne Erinnerung ihrer Kinder- und Jugendjahre, an Vater und Mutter knüpfte, mit tränenschwerem Blicke ihr Lebewohl zuwinkte. Als wahrhaftes Bild des Jammers lenkte sie nun ihre Schritte derjenigen Gegend zu, wo sie glaubte, die Behausung ihres alten, bewährten Freundes, des Köhlers Burkhard, suchen zu müssen.

Obwohl die Wohnung des Köhlers nicht gar zu fern von Tannenburg lag, so war doch der Weg dahin für das zarte Fräulein eine äußerst schwere Aufgabe; denn bald stand sie mitten im Gesträuch und Dornengestrüpp, bald mußte sie einen schlammigen Sumpf umgehen, bald sich durch einen hervorstürzenden Waldbach wagen, bald sah sich das erschrockene Mädchen in der Nähe eines wilden Schweines, das ihr zähnefletschend und grunzend die wilden Hauer zeigte. So floß Stunde um Stunde dahin, eine immer banger als die andere und noch sah sie keine Spur von Burkhards Köhlerhütte. Der Abend nahte heran, und schwer und niederschlagend wirkte der schauerliche Gedanke auf die arme Kindesseele, mitten im Walde unter wilden Tieren abermals übernachten zu müssen. Vor Hunger und Müdigkeit fast zum Umsinken entkräftet, raffte sie sich doch noch einmal auf, verfolgte eine ihr etwas lichtgewordene sogenannte Waldlichtstatt und erreichte noch glücklich eine Anhöhe, von der aus sie sich orientieren konnte. Schwere Gewitterwolken türmten sich im Westen auf und verfinsterten die untergehende Sonne. Die ganze Gegend hatte ein trübes, düsteres Gewand angelegt und gewährte der Wandernden wenig Hoffnung auf ein menschliches Obdach. In dieser schrecklichen Lage fiel Rosa auf die Knie nieder und schüttete ihr bedrängtes Herz in kindlich demütigem Gebete vor dem Throne des himmlischen Vaters aus, mit der Bitte, seine ewige Hut und Vatertreue möchte sie doch aus dieser schauerlichen Lage den rechten Ausweg finden lassen.

Und siehe da, so lange sie noch auf den Knien lag und händeringend ihre Gebete gen Himmel schickte, trat noch einmal Gottes liebe Sonne aus den Gewitterwolken hervor und ihre Strahlen vergoldeten eine Rauchsäule, die in nicht sehr großer Entfernung aus dem waldigen Grunde emporstieg.

Freudigen Herzens dankte Rosa dem gütigen Vater im Himmel, der ihre Bitte so bald erhört hatte. Mit ihrer letzten Kraftanstrengung eilte sie dem Orte zu, wo sie den Rauch hatte aufsteigen sehen, denn dort mußte sie Burkhards Hütte finden.

Ihr immer noch beschwerlicher Reisepfad wurde nach und nach lichter und mit der innigsten Freude vernahm sie vom Tale herauf eine Männerstimme, dem Herrn ein Abendlied singend, welch feierliche Töne ihren gesunkenen Mut wieder aufrichteten, sodaß sie trotz Hunger und Kummer leichten Fußes den steilen Berg hinabeilte, wobei ihr jener Gesang als leitender Kompaß diente und sie nach kurzem Marsche vor dem alten Freunde Burkhard stand, der eben den letzten Vers seines Abendliedes dankbar gen Himmel gesandt und sich angeschickt hatte, sein Abendessen zu sich zu nehmen.

Vater Burkhard wunderte sich nicht wenig, als er Rosa von Ferne erblickte, da er nicht begreifen konnte, wie sie den neuen Weg von der Herrenburg durch diese Wildnis habe finden und denselben gar zu Fuß habe zurücklegen können!

Mit lautem Gruße rief er ihr schon von weitem sein herzliches Willkommen entgegen und drückte bei ihrem Herannahen die dargereichte Hand des Mädchens aufs herzlichste. Aber Entsetzen und Angst malte sich in seinem Gesichte, als er die verstörten Gesichtszüge des Fräuleins, ihre rotgeweinten Augen und ihren zerrissenen Anzug näher ins Auge faßte.

»Teuerstes Fräulein! Woher kommt Ihr so spät am Abend und in diesem entsetzlichen Aufzuge, Ihr seid gewiß verirrt? – Euer guter Engel hat Euch aber zum Glück hierher geführt und gerade zu rechter Zeit,« setzte er wieder scherzend dazu, »damit Ihr zu meiner offenen Tafel hier, vor Tannen und Fichten, vor Eichen und Buchen geladen werden könnt. So nun ruht aus auf meinem hölzernen Ruhepolster, greift immerhin zu und was Küche, Keller und Speisekammer meines romantischen Waldschlosses zu bieten vermag, das soll Euch werden. Habt Ihr sodann an meiner fürstlichen Tafel Euch recht tüchtig gelabt, so geleite ich Euch heute Abend noch zurück zur Burg des Vaters, der sonst vor Kummer über Euer Ausbleiben heute Nacht kein Auge zutun könnte.«

»O, mein Vater!« schluchzte Rosa laut, »Ihr wißt wohl, Vater Burkhard, das Schreckliche noch nicht, was vergangene Nacht auf der Tannenburg vorgekommen ist, habt wohl von dem Frevel noch nicht gehört, den der wüste Ritter Kunerich von Fichtenburg an uns verübt!«

Aufs äußerste gespannt drängte Burkhard das Fräulein mit Frage auf Frage nach dem Vater, was ihm denn Unangenehmes widerfahren, was überhaupt Fürchterliches auf der Tannenburg geschehen sei? – Vor Weinen und Schluchzen konnte Rosa das alles kaum erzählen, was der liebe Leser im letzten Kapitel gewiß auch mit Tränen in den Augen gelesen hat.

Mit Schmerz und Entrüstung über das Gehörte griff der Kohlenbrenner nach dem neben ihm liegenden Schürhacken unter dem Ausrufe: »So, dieser Unmensch ist wieder im Spiele? – Den soll – doch ich will nicht fluchen; denn der Allmächtige sagt: Die Rache ist mein, ich will vergelten! Und, geliebtes Fräulein! – ihm, dem gerechten Richter alles Guten und Bösen, wollen wir Euren guten Vater, den edlen und frommen Ritter Edelbert empfehlen und die Sorge für ihn Gott anheimstellen, dessen treue Vatergüte desto bälder ins Mittel treten möge, da Euer Vater wohl in keine schlimmeren Hände hätte kommen können, als in die des ruchlosen, gottvergessenen Kunerichs.«

Auf Zureden des redlichen Köhlers setzte sich Rosa neben ihn auf einen Stuhl nieder, aß von dem ihr dargereichten Butterbrot und trank aus seines Kruges klarem Quell.

Hunger ist der beste Koch! sagt schon ein altes Sprichwort und dieses Sprichwort bewahrheitete sich auch aufs beste bei Fräulein Rosa; denn nie im Leben hatte sie Speise und Trank so sehr erquickt, als diesmal.

Nachdem sie gegessen und getrunken hatte, erhob sie Herz und Hände in einem andächtigen Gebet zu Gott und dankte ihm inbrünstig auch für ihre Erlösung aus den Händen Kunerichs und aus der im abgelaufenen Tage auf ihr gelasteten Angst und Sorge. Als nun Rosa dem edlen Freunde Burkhard erzählte, wie sie ihr Vater in der schweren Scheidestunde an ihn und seine Hilfe gewiesen, traten dem biedern Manne über dieses Vertrauen Tränen in die Augen und versprach sofort dem verlassenen Kinde, daß er es nie verlassen und selbst sein Leben für dasselbe opfern wolle, wenn es darauf ankäme, ihm Schirm und Hilfe zu gewähren.

Nun war seine erste Sorge die, seinen unglücklichen Gast zur Ruhe zu bringen, die er so sehr nötig hatte, weshalb er sich beeilte, da es zur Wohnung der Seinen zu weit war, in seiner Köhlerhütte auf weichem Moose ein Lager zu bereiten, so gut es möglich war, und wohin er sodann das Fräulein mit dem Bemerken führte: »Wer wie Ihr ein so gutes, reines Gewissen im Busen trägt, wer eine solche entsetzliche Nacht und einen solch kummervollen Tag an sich hat vorübergehen lassen müssen, der schläft auch auf dem ärmlichsten Lager besser als mancher Reiche, dem der Stachel der Sünde und des bösen Gewissens im Innern steckt, auf Seide und Flaum.«

Nachdem er dem Fräulein noch von ganzem Herzen eine gute Nacht gewünscht und das Hüttchen sorgfältig verwahrt hatte, setzte er sich unter den Tannen auf einen Rasensitz und wickelte sich in einen alten Reitermantel, der ihn hinlänglich vor Frost und Näße schützte; allein kein Schlaf kam in seine Augen, so sehr hatte ihn das Schicksal seines geliebten Herrn ergriffen, das ihn um so schmerzlicher berührte, als er sich selbst auch teilweise als die Ursache betrachtete, um derenwillen Kunerich so herzlos gegen den Ritter Edelbert verfahren ist. Mit wehmütigem Herzen faltete Burkhard seine Hände und betete zum allmächtigen Lenker unserer aller Geschicke, daß er doch den edlen Ritter von Tannenburg retten und das gnädige Fräulein trösten möchte.

Rosa schlief den sanften Schlaf der Unschuld, bis die Sonne des andern Tages schon hoch am Himmel stand, indessen eine treue Seele für ihr Heil zum Allgütigen betete und für sie wachte.

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Viertes Kapitel.
Die Köhlerswohnung.

Sturm und Regen hatten sich beim anbrechenden Morgen gelegt. Mit herzlicher Inbrunst verrichtete Vater Burkhard sein Morgengebet und mit ängstlich-besorgten Blicken horchte er von Zeit zu Zeit an seiner Köhlerhütte, ob das Fräulein noch nicht erwacht sei; aber immer und immer wieder schlich er sich leise von dannen, um den erquickenden Schlaf des Fräuleins nicht zu stören. Noch ehe Rosa erwachte, kam Agnes, des Köhlers einzige Tochter, welch freundliches, gutherziges Mädchen wir schon eingangs unserer Erzählung kennen gelernt haben, brachte in einem Korbe des Vaters Nahrung für den ganzen Tag. Schon beim »guten Morgen!« den das liebliche Kind dem Vater zurief, bemerkte es seine Niedergeschlagenheit, der ihr auf Befragen nach der Ursache Ritter Edelberts trauriges Schicksal erzählte und ihr mitteilte, daß Rosa in der Hütte noch schlafe, bei welcher Erzählung dem gutherzigen Kinde eine Träne um die andere über ihre hochgeröteten Wangen herabrollte.

Während Burkhard seiner lieben Agnes die Leidensgeschichte der Tannenburg und ihrer Insassen erzählte, war Rosa erwacht und kam weinend aus ihrem Schlafzimmer hervor. Mit den herzlichsten Worten grüßte Vater Burkhard das weinende Fräulein und suchte dasselbe, so gut es ihm möglich war, zu trösten und dessen gebeugten Mut aufzurichten.

»Liebes Fräulein!« redete er Rosa freundlichst an, indem er seine eigene Traurigkeit nur mit Mühe zu verbergen wußte: »Begrüßt den schönen Morgen nicht sogleich wieder mit Tränen. Seht, wie nach der letzten stürmischen Regennacht der Himmel wieder so schön und hell geworden ist, seht, wie die Sonne so warm und lieblich Euch entgegenlächelt; ebenso wird auch der Sturm vorübergehen, die Nacht mit ihrem entsetzlichen Grauen wieder weichen, der sich über Euch und den edlen Ritter, Euren Vater, gelagert und Gottes Gnadensonne wieder über der alten Tannenburg aufgehen.«

Nach dieser herzlichen Ansprache trat die liebliche Agnes auch hinter der alten Tanne hervor und begrüßte Rosa aufs herzlichste, welche Erscheinung wirklich einen wahrhaft heilsam wirkenden Eindruck auf Rosas blutendes Herz und Gemüt machte, daß sie imstande war, an dem Milchschüsselchen, das ihr Agnes mit Süßmilch darreichte, sich zu laben und das ländliche einfache Frühstück der wackeren Köhlersleute mit dankbarstem Gefühl zu teilen.

Als Rosa sich recht satt gegessen hatte und Agnes den Heimweg wieder anzutreten sich anschickte, sagte Burkhard: »Nun, mein liebes Fräulein! geht auch mit Agnes in unsere Wohnung und bleibet daselbst so lange, bis Gott weiter hilft und sobald es mir der brennende Kohlenhaufen da gestattet, werde ich auch nachkommen. Geht mit Gott! und du, Agnes, grüße mir die Mutter recht herzlich und sage ihr, daß auch ich bald heimkommen werde.«

Beide gingen miteinander durch den langen, dunklen Tannenwald, der sie bald bergauf-, bald bergabwärts führte, bis vor dem staunenden Auge Rosas ein kleines Tal, einem blühenden Garten gleich, sich erschloß und ihr den freundlichsten Anblick gewährte.

In diesem paradiesischen Tälchen lag das Wohnhaus der Köhlerfamilie. Das hölzerne, gelbbraune Köhlerhaus mit einem flachen, weit vorstehenden Dache sah recht freundlich aus der Mitte üppiger Obstbaumanlagen hervor, während hohe Tannen den Hintergrund bildeten und gleichsam als furchtlose Wächter des Tales stolz und kühn das gras- und wasserreiche Tälchen überwachten. Ein kristallheller Waldbach rauschte am Köhlerhause vorüber und schlängelte sich durch das noch frische Grün des Tales hinab, in dem Kühe emsig grasten, während seitwärts an den Felsen und Bergabhängen eine Schar Ziegen hin- und herkletterte und unter fröhlichen Sprüngen die beiden wandernden Mädchen mäckernd begrüßte. Ein zierlich eingezäuntes Gärtchen neben dem Hause zeugte von der fleißigen Hand der Bebauerin, während nebenan ein ziemlich bevölkerter das Bild des regsten Fleißes darbot und eine Herde Hühner fleißig im Sande scharrend, sich Nahrung suchte.

Unter dem wohltuendsten Eindrücke, den dies alles auf das zarte Mädchen machte, trat Rosa in die freundliche Wohnstube des Köhlerhauses und setzte sich von dem beschwerlichen Gange müde auf die hölzerne Bank.

Die Sonne stand bereits hoch und der Mittag war nicht mehr ferne; weshalb Mutter Gertrud in der Küche beschäftigt war, um das Mittagessen für sich und die heimkehrende Tochter zu bereiten. Als sie nun diese in der Wohnstube mit jemanden sprechen hörte, kam sie schnell aus der Küche herbei, um zu sehen, wer sich denn in dieser Einsamkeit verirrt haben möchte, und mit unbeschreiblichem Jubel begrüßte sie Fräulein Rosa, in der Meinung, daß diese nur gekommen sei, um sie und die lieben Ihrigen auf kurze Zeit zu besuchen; als sie jedoch die Ursache der Anwesenheit des Fräuleins erfuhr, so verwandelte sich die jubelnde Freude des Wiedersehens in das tiefste Leid, so daß Rosa sich innigst dankbar war, in ihrer trostlosen Lage ein Obdach bei solchen gutherzigen Leuten gefunden zu haben.

Was nun das Köhlerhaus zu bieten vermochte, wurde auf- und angewendet, um dem lieben Gaste seinen Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen und gerade jetzt bedauerte Gertrud, daß sie nicht reich sei; denn sie hätte gar zu gerne dem Fräulein mehr getan, als ihr die vorhandenen Mittel zu tun erlaubten. Ganz anders dachte und sprach aber Rosa über die teilnahmvolle Aufnahme, die sie in der Köhlerwohnung gefunden, indem sie Mutter Gertrud beruhigte und ihre Familie glücklich pries, daß sie bei ihrer Arbeit noch frisch, gesund und stark seien und dabei ein stilles, ruhiges Leben führen können, das matt im Getümmel großer Städte oder Burgen vermisse und wo man stets von Krieg und Kriegsgeschrei erschreckt, nicht wisse, wo aus und ein. »Eure stille Einsamkeit gefällt mir immer mehr und mehr und wollte ich, könnte mein Vater dies friedliche Los mit mir teilen, gewiß mein Leben lang hier bleiben.«

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Fünftes Kapitel.
Das Ritterfräulein als Köhlermädchen.

Vater Burkhard hatte den beiden Mädchen beim Abschied versprochen, er werde sobald es ihm möglich sei, auch nach Hause kommen, wo man im warmen Stübchen die Angelegenheit des Fräuleins näher besprechen könne; allein schon waren mehrere Tage verflossen und Burkhard ließ immer noch auf sich warten, so daß die Seinen anfingen, um ihn besorgt zu sein. Als Agnes das letzte Mal mit dem Essen auf der Kohlplatte beim Vater gewesen war, sagte er dieser allerdings daß er seine Kohlen zur Stadt fahren wolle, und sie also, solange er daselbst sei, das Essen nicht mehr bringen brauche, bis er selbst nach Hause kommen werde.

Diesen Gang nach der Stadt benützte der treue Mann aber nicht allein zum Verkaufe seiner Kohlen, sondern sobald er dieses Geschäft beendet hatte, eilte er durch die ganze Umgegend von einer Burg zur andern, um den Herren derselben kund zu tun, welcher Frevel in den jüngsten Tagen auf der Tannenburg verübt worden sei, und bat namentlich diejenigen unter den Edelleuten auf das dringendste, alles aufzubieten, um seinen guten Herrn aus den Klauen des Tigers Kunerich zu befreien, von denen er wußte, daß Edelbert ihnen auch schon und mitunter sehr wichtige Dienste geleistet hatte; allein der treue Bittsteller fand überall taube Ohren; überall hörte er leere Ausflüchte, hohle Entschuldigungen, denen man von weitem schon anmerkte, daß es nicht am »Können,« sondern am »Wollen« fehlte. Immer hoffnungsloser machte Burkhard seine Runde bei den früheren Freunden Edelberts und vor jeder, hinter ihm herabgelassenen Zugbrücke mußte er die Wahrheit des alten Sprichworts sich erinnern: »Freunde in der Not, gehen 99 auf ein Lot!«

Nach einer Rundreise von fünf Tagen lenkte Burkhard unverrichteter Dinge und mißmutig seine Schritte wieder heimwärts und obwohl er durch seine endliche Heimkunft die Seinen und Fräulein Rosa herzlich erfreute, so drang doch alsbald in diese freudige Stimmung seiner Hausgenossen ein greller Mißton dadurch, daß er von seiner Rundreise und mit der größten Entrüstung mitteilte, wie er überall und selbst da, woher er am sichersten Hilfe und Beistand für seinen Herrn, Ritter Edelbert, erwartet habe, mit leeren Ausflüchten abgewiesen worden und er hierdurch zu der Ueberzeugung gekommen sei, daß man eben leider im Unglück auf den Beistand von Freunden wenig rechnen könne. Am schmerzlichsten wurde die zarte Seele des edlen Fräuleins dadurch berührt, daß sich die vielen Freunde ihres unglücklichen Vaters nach ihr nicht einmal erkundigt hatten.

»Nun wir wissen, welche herzlose Menschen sich bisher zu den Freunden Eures Vaters gezählt, ist auch für Euch, liebes Fräulein, keine Hoffnung vorhanden, daß diese für Eure Zukunft besorgt sein wollten,« sprach Burkhard zu Rosa; »weshalb ich von nun an Vaterstelle an Euch vertreten will, worin mich Mutter Gertrud und Agnes gewiß unterstützen werden. Wir wollen alles aufbieten, Euer Leben und Euren Aufenthalt in dieser Einsamkeit so angenehm als möglich zu machen. Manche Stunde der langen Winterabende drehte sich die Unterhaltung einzig und allein um den Gegenstand ihrer Liebe und Sorge, um den geliebten Vater, Ritter Edelbert. Pläne zu seiner Versorgung und möglichst baldigen Befreiung wurden entworfen, besprochen, beraten und meist auch wieder verworfen und wieder ausgenommen, und gerade diese Stunden, welche dem Andenken des geliebten Vaters geweiht wurden, waren auch für Rosa immer die glücklichsten.

Schon war die Hälfte des Winters verstrichen, da saßen eines Sonntags nach dem Mittagstisch die vier Hausgenossen der Köhlerwohnung noch beisammen und ihre einzige Unterhaltung war eben wieder über die Befreiung Ritter Edelberts geführt. Zum Beschluß der sonntäglichen Mittagsmahlzeit trug Mutter Gertrud als besonderen delikaten Nachtisch eine Platte köstlich zubereiteter Schwämme auf, was Rosa um so mehr freute, als diese zu einer ihrer Lieblingsspeisen gehörte. Hierbei erzählte Burkhard, wie er noch zu Lebzeiten der seligen Burgfrau Mathilde, Rosas Mutter, gar oft und viel Schwämme auf die Tannenburg gebracht habe, weil sie ebenfalls der gnädigen Frau eine Leibspeise gewesen. Wie er diese Schwämmelieferung auf die Tannenburg besorgte, so haben die Kinder eines benachbarten Köhlers solche auf die Fichtenburg befördert, wodurch es gekommen, daß die betreffende Köhlerfamilie auf der Fichtenburg so bekannt geworden und selbst das ältere Mädchen desselben Köhlers in den Dienst der dortigen Torwärterin eintreten konnte.

Namentlich hierdurch sei die fernere Schwämmelieferung fortgesetzt und hätten die Kinder stets Zutritt zur Fichtenburg gehabt, was anderen Leuten schwer gelungen sei, die Torwärterin aber sei eine wahre »Furie«, bei der es kaum ihr Mann und die eigenen Kinder auszuhalten vermögen, geschweige denn ein Fremder, und daher ein steter Wechsel mit den Dienstboten auf dem Tor der Fichtenburg stattfände und weshalb auch das sonst brave und fleißige Mädchen des Köhlers nicht mehr im Dienste des bösen, zanksüchtigen Weibes sei; der Vater des Mädchens sei aber über die Behandlung so erbost geworden, daß er von Stund an keine Schwämme mehr auf die Fichtenburg geliefert habe.

Dieser scheinbaren geringfügigen Erzählung Burkhards hörte Rosa mit mehr Aufmerksamkeit zu, als der Erzähler nur ahnte, und nach einer kleinen Weile sprang Rosa plötzlich in die Höhe und rief zum Staunen aller Anwesenden: »Ja, ja, ich hab's! so kann's, so muß es gehen! Als Köhlermädchen gekleidet, trage ich Schwämme auf die Fichtenburg, suche mir die Gunst der bösen Torwärterin zu erwerben und vielleicht nimmt sie mich gar in den Dienst, und bin ich einmal im Innern des Felsennestes, so werde ich auch Mittel und Wege finden, daß ich meinen Vater sehen, ihm Gutes tun und ihn vielleicht gar von seiner Gefangenschaft befreien kann. Gesagt, getan! – Schon morgen, liebe Pflegeeltern, ziehe ich aus, um auf die Fichtenburg zu kommen und mein Inneres sagt mir, daß dieser Gedanke von oben mir eingegeben sei, von woher mir und meinem unglücklichen Vater gewiß auch noch Schutz und Hilfe kommt!«

Hierzu konnte und wollte Vater Burkhard auch nichts weiteres mehr einwenden und erwiderte dem Fräulein: »Nun, so wagt es in Gottes Namen und der Herr sei mit Euch! Und damit Ihr schon bei der Torwärterin gut aufgenommen werdet, so will ich selbst und zwar diesen Abend noch die schönsten Schwämme sammeln und sie Euch in ein niedliches Körbchen zusammenpacken; auch muß dann Agnes Euch morgen in aller Frühe bis zu den drei Kreuzen begleiten, von wo aus Ihr sodann die Fichtenburg sehen und den Weg dahin nicht mehr verfehlen könnt. Wie es Euch nun auch auf der Fichtenburg ergehen mag, so sputet Euch, daß Ihr bald wieder zurückkommt, damit Euch Agnes bei den drei Kreuzen erwarten und Euch wieder in unser Heimwesen zurückführen kann.

Rosa war am andern Morgen die erste Person, die das Lager verlassen und sich reisefertig gemacht hatte. Angetan in der niedlichen Tracht eines Köhlermädchens, den Korb mit Schwämmen am Arm, trat sie zum Abschiednehmen vor die guten Köhlersleute, die mit Tränen in den Augen das holde Mädchen anstaunten und sich ihrer kindlichen Liebe, die zu dem gewagten Gange anspornte, herzlich freuten. Um jedoch alles Verdächtige beim Anblick der feingebildeten Rosenwangen und Lilienhände zu beseitigen, hielt es Vater Burkhard für nötig, mittelst einer durchaus unschädlichen bräunlichen Farbe jene Frische in minder glänzendes Aussehen zu verwandeln. Bis zur völligen Unkenntlichkeit ausgerüstet, trat Rosa, begleitet von Agnes, den verhängnisvollen Weg zur Fichtenburg an.

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Sechstes Kapitel.
Rosa in der Höhle des Tigers.

Mit pochendem Herzen trat Rosa durch das bereits geöffnete Burgtor in den Hof der stolzen Fichtenburg, dessen Herr sich eben anschickte, umgeben von Edelknechten und Jägern, auf die Jagd auszureiten. Unter Hörnerschall und Jagdgesang kam der Zug an Rosa vorüber, welche beim Anblick des herzlosen Feindes ihres Vaters beinahe in die Knie sank.

Weniger aus Mattigkeit und Furcht, als innerer Bewegung, war Rosa einer Ohnmacht nahe und sah sich genötigt, auf der dem Tore am nächsten gelegenen steinernen Bank Platz zu nehmen. Kaum hatte sie sich auf ihrem Sitze wieder etwas erhöht, als zwei Kinder, ein kleines Mädchen und ein älterer größerer Knabe zu ihr herankamen, in kleiner Entfernung von ihr stehen blieben und sie neugierig anschauten. Mit der ihr eigentümlichen Freundlichkeit grüßte Rosa die beiden Kinder und fragte sie um ihren Namen. Nachdem sie diese erfahren und die kleine Elise Verlangen nach den schönen Blumen trug, die Rosa auf dem Wege zur Fichtenburg gepflückt und auf ihren Strohhut gesteckt hatte, gab diese bereitwilligst ihre Blumen dem kleinen Mädchen und beschenkte dieses, sowie dessen Bruder Bruno mit einigen süßen Frühbirnen, die sie noch vom Köhlerhaus her in ihrem Korbe hatte. Diese freundliche Unterhaltung zwischen dem fremden Mädchen und seinen Kindern hat der Vater der letzteren heimlich beobachtet und ward von der Freundlichkeit des fremden Mädchens gegen seine Kinder so gerührt und überrascht, daß er alsbald sein heimliches Guckfensterchen verließ und in den offenen Hof zur steinernen Bank hinaustrat, um sich das Mädchen näher zu besehen und sie um ihr Begehr näher zu befragen.

Mit Freuden vernahm er, daß das Mädchen Schwämme zu verkaufen gekommen sei, und es gewiß dankbar sein würde, wenn er ihm zu einem ordentlichen Erlös behilflich sein wolle.

Der Torwart nahm Rosa das Körbchen ab, führte sie in seine Stube und hieß sie daselbst warten, bis er wieder von der Schloßküche zurückkomme, wo er die Schwämme anzubringen hoffe. Kaum war aber der gute Mann zur Türe hinaus, als auch sein böses Weib mit dem Mittagessen eintrat und als sie das fremde Mädchen in der Stube gewahrte, wie ein Drache auf dasselbe hineinfuhr und ihr entgegenkreischte: »Du naseweiser Racker, was willst du hier? Woher kommst du? Wer bist du? – Packe dich auf der Stelle, du hergelaufene Dirne, oder ich werfe dir mit meiner Schüssel den Hirnkasten ein, oder lasse dich durch den großen Hofhund zur Burg hinaushetzen.«

An den beiden Kindern des Torwarts erhielt nun Rosa freundliche Fürbitter, welche der Mutter die Blumen und Birnen zeigten, die ihnen das gute Mädchen geschenkt habe. Auch kam der Torwart eben mit dem leeren Korbe von der Schloßküche zurück und suchte die ungebührliche Heftigkeit seines Weibes mit der Entschuldigung für das Mädchen zu beschwichtigen, daß er dasselbe selbst eingeführt und ihm erlaubt habe, sich so lange in der Stube bei den Kindern aufhalten zu dürfen, bis er von der Schloßküche zurückkomme. – »Und dann,« bemerkte er gegen seine Xantippe gewendet, »dachte ich auf dem Herweg schon halb und halb daran, ob wohl dieses Mädchen nicht bei dir in den Dienst eintreten möchte; wenn du aber an den Leuten gleich so wüst und toll auffährst, wie eine Bestie, so bleibt sicherlich kein vernünftiger Mensch mehr in unserem Hause und du kannst sehen, wer dir Magddienste verrichtet.«

Diese vernünftige Zurechtweisung machte auf das böse Weib einen solch niederschlagenden Eindruck, daß die Torwärterin milder gegen das fremde Mädchen gesinnt wurde und meinte, wenn sie als Dienstmädchen bei ihr eintreten wolle, so sei das etwas ganz anderes und sie könne dann ruhig dableiben.

»Mußt mir's also nicht übel nehmen,« sagte sie zu Rosa, »daß ich vorhin ein bißchen in den Eifer kam; dafür sind wir besoldet, daß wir auf fremde Leute wohl achthaben,« worauf Rosa dem Weibe Recht zusprach und sagte, daß es allerdings von ihr gefehlt gewesen, daß sie in einer fremden Stube allein geblieben sei, sie bekenne deshalb ihr Unrecht und bitte um Verzeihung. Mit dieser demütigen Erklärung war die Torwärterin ganz zufrieden, wie man sie überhaupt ganz auf seine Seite zu bekommen wußte, wenn man ihr auch beim größten Unrechte nur Recht widerfahren ließ, deshalb lud sie Rosa zum Mittagessen ein und die Kinder wurden mit dieser bald so vertraut und gewannen sie so lieb, daß sie dieselbe baten, bei ihnen zu bleiben. In Ermanglung einer Dienstmagd stimmte auch die Mutter mit dem Verlangen ihrer Kinder ein und fragte Rosa, ob sie nicht in den Dienst bei ihr treten möchte, worauf Rosa bejahend, jedoch unter dem Vorbehalt antwortete, daß es ihren Eltern auch recht sei. Hiermit war die Torwärterin einverstanden und sagte zu Rosa, daß wenn ihre Eltern nichts gegen ihren Dienstantritt bei ihr einzuwenden hätten, sie kommenden Samstag auf dem Tore zu Fichtenburg als Dienstmagd eintreten könne. Nachdem die Torwärterin noch den Jahreslohn genannt und ihr ein Stück weißes Brot und geräuchertes Fleisch zum Gruß an ihre Eltern in den Korb getan hatte, entließ sie Rosa und wünschte ihr Glück zur Heimreise.

Indessen harrte die gute Agnes an den drei Kreuzen auf Rosas Rückkehr und vertrieb sich die Zeit mit Stricken; von den mitgebrachten Speisen rührte sie aber nichts an, bis Rosa käme, mit der sie redlich teilen wollte. Da der Tag sich zu neigen begann, zogen es die Mädchen vor, unverzüglich ihre Wanderung nach Hause anzutreten, damit sie von der Nacht nicht überrascht würden. »Unterwegs kann ich dir ja meine Erlebnisse auf der Fichtenburg erzählen,« sagte Rosa zu Agnes.

Aus Besorgnis über das lange Ausbleiben der beiden Mädchen ging Burkhard und Gertrud, als die Sonne sich ihrem Untergange neigte, diesen im Walde entgegen und freuten sich einerseits von ganzem Herzen, als Rosa ihnen so freudevoll den glücklichen Verlauf der Verrichtungen des heutigen Tages erzählte, während es sie andererseits schmerzte, das Mädchen, das sie so lieb gewonnen hatten, nunmehr verlieren zu müssen. Der Abend war bereits hereingebrochen, als sie die Wohnung des Köhlers erreichten. Obwohl sehr ermüdet, versäumt doch Rosa nicht, als sie im trauten Kämmerlein allein war, und bevor sie das matte Haupt zum Schlummer niederlegte, dem himmlischen Vater inbrünstig auf den Knien zu danken für die großen Wohltaten, die er ihr im Laufe dieses Tages erwiesen habe und bat um seinen gnädigen Schutz und Beistand in ihrer gerechten Sache auch für die Zukunft.

Der Samstag erschien, an dem Rosa ihren Dienst antreten sollte. Tief gerührt nahm sie Abschied von den guten Pflegeeltern, bei denen sie in Zeiten der Not eine sichere, liebreiche Zufluchtsstätte gefunden hatte. Burkhard und Gertrud begleiteten sie bis an die Waldgrenze und unter den herzlichsten Glückwünschen drückten sie der in Tränen zerfließenden Rosa die Hand zum Abschiede. Schwester Agnes ließ es sich jedoch nicht nehmen, der »Wandernden« das »Bündel« bis in die Torstube der Fichtenburg zu tragen und sich erst dann von derselben zu verabschieden.

Rosa hatte der Torwärterin als Gegengruß von den Eltern mehrere Reisten des feinsten Flachses mitgebracht und auch die Kinder mit Birnen, Pflaumen und Haselnüssen so reichlich beschenkt, daß ein günstiger, freundlicher Empfang nicht fehlen konnte; als jedoch auch die gutherzige Agnes ihre Hand mit Tränen in den Augen der geliebten Schwester zum Abschied reichte, und vor Schluchzen keines von den beiden Mädchen ein Wort zu sprechen vermochte, wurde selbst das steinerne Herz der Torwärterin weich, und bemühte sich diese, die schluchzenden Schwestern zu trösten und gab der scheidenden Agnes die Erlaubnis zum öfteren Besuche bei ihr.

So wohl diese Teilnahme auch dem blutenden Herzen Rosas tat, so fühlte sie sich eben doch nach dem Weggang der Schwester in den Mauern der feindlichen Burg so verlassen, wie nur je ein Sterblicher auf Erden. Gut war es für die tiefbekümmerte Seele, daß der Abend nahe war und sie Erlaubnis erhielt, bald in ihre Schlafkammer sich zurückziehen zu dürfen. Dankbar nahm sie diese Erlaubnis an, ging in ihre Schlafkammer und suchte und fand Trost und Erquickung in einem herzlichen Gebete zu Gott, in dem sie sich und den lieben Vater, mit dem sie nun gleichsam unter einem Dache sich wieder befinde, der göttlichen Fürsorge aufs beste empfahl.

Kaum hatte sie am andern Morgen den Dienst angetreten, als auch schon die schmähsüchtige Zunge der Torwärterin so geläufig wie ein Mühlrad sich bewegte, sie hatte alle früheren Mägde, eine um die andere – und deren waren in der Zeit von vier Jahren etliche und zwanzig – dermaßen abgezankt, daß es Rosa angst und bange wurde und sie recht wohl einsah, wie schwer es auch ihr werden würde, dem bösen, ungenügsamen Weibe etwas zum Danke zu machen; allein was hätte sie nicht alles im Hinblick auf ihren unglücklichen Vater erduldet und ertragen!

Freilich gab es hie und da im Laufe der Zeit auch. Arbeiten zu verrichten, die dem adeligen Fräulein unbekannt, daher ungewohnt waren und ihr schwer fielen, weshalb sie es in Geduld hinnahm, wenn sie von der Hausfrau als dumm und ungeschickt bezeichnet, mitunter auch noch mit ganz ungewöhnlichen Schimpfworten abgezankt wurde.

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Siebtes Kapitel.
Das Wiedersehen

Schon über ein Jahr war Rosa im Dienste der Torwärterin und noch hatte sie keine Gelegenheit gefunden, den geliebten Vater zu sehen, oder ihm Gutes tun zu können. Der eine Umstand nur, daß der Torwart auch zugleich Gefangenwärter oder Kerkermeister war, der auf Rechnung Kunerichs den Gefangenen Kost zu reichen hatte, ließ noch einen kleinen Hoffnungsstrahl im Herzen der unglücklichen Rosa zurück und diese einzige Hoffnung ließ sie wirklich auch nicht zuschanden werden, als der Torwart eines Abends in die Küche trat und Rosa aufforderte, ihn diesmal bei Verabreichung des Abendessens an die Gefangenen zu begleiten, weil er im Dienst des gestrengen Herrn Ritters eine Reise machen müsse.

Mit diesen kurzen Worten nahm er Speisebrett, auf dem die Geschirre mit sehr knapp zugemessenen Speiseportionen für die Gefangenen aufgestellt waren, zur Hand, hing den rasselnden Schlüsselbund an den Arm und ging durch den langen dunklen Gang dem Mädchen voran, das vor Begierde zitterte, den Vater so unverhofft sehen zu dürfen. Schon wollte ihr Herz an dieser schönen Hoffnung verzagen, weil der Gefangenwärter vor jedem Kerker, in dem ein Gefangener war, nur eine kleine Oeffnung, die in der dicken Mauer sich befand, ein kleines Lädchen öffnete und durch dieses dem Insassen seine kleine Suppenschüssel hineinschob und als dies geschehen, alsbald die Oeffnung auch wieder schloß. Trotz der entsetzlichen Angst, mit der sie die Speiseabgabe beobachtete, hütete sie sich dennoch sehr, sich nicht zu verraten. Endlich standen sie vor einer schweren eisernen Tür, vor der der Torwart mit den Worten stehen blieb: »Zu diesem Gefangenen dürfen wir wohl hineingehen; er ist ein herzensguter Mann, der Ritter Edelbert von Tannenburg, sanft und fromm wie die Geduld.«

Während dieser Aeußerung steckte der Torwart einen großen starken Schlüssel in die eiserne Tür und unter starkem Knarren öffnete sie sich und ließ einen dunklen Eindruck in den Aufenthalt des Unglücklichen gewähren. Kummer über sein eigenes und Sorge über das Schicksal seines Kindes hatten aber an dem sonst so kräftigen Körper solche Veränderungen hervorgebracht, daß Rosa den geliebten Vater nicht kannte. Bis zum Skelett abgemagert, bleich, mit einem bis auf die Brust herabwallenden grauen Barte saß Edelbert in seiner abgetragenen Kleidung auf einer steinernen Bank, an der er mit einer langen Kette angeschlossen war. Ein gleichfalls steinerner Tisch stand neben der Bank, und auf ihm ein Krug mit Wasser, neben dem noch ein kleiner Rest trockener Brotrinde lag, während die an der Wand stehende uralte Bettlade von der größten Aermlichkeit eines Nachtlagers zeugte. Dieser schauerliche Aufenthalt wurde durch ein schmales, stark vergittertes Fenster beleuchtet, dessen runde Scheiben von außen halb verschüttet, halb mit schuhhohen Nesseln verdeckt waren, was das düstere Gewölbe nur noch unheimlicher machte.

»Ritter Edelbert,« redete der eingetretene Torwart den Gefangenen an, »morgen wird Euch mein Dienstmädchen das Essen bringen, weil ich in Geschäften verreisen muß.«

Mit traurigem Auge richtete der Gefangene sich auf und sein Blick begegnete dem tränenschweren Auge des zitternden Mädchens. Ihre ganze Persönlichkeit schien in dem Unglücklichen alsbald Erinnerungen an sein verlorenes Kind zu erwecken; denn Edelbert seufzte im Andenken an dasselbe auf: »Ach, lieber Gott! etwa in dieser Größe, in diesen Jahren wird nun meine arme Rosa auch sein! Wo wird es wohl auch sein, das liebe gute Kind!« Und unter Tränen erkundigte er sich beim Torwart: ob er denn noch immer keine Kunde von seiner Rosa habe? Allein dieser bedauerte, noch keine Spur von dem Mädchen aufgefunden zu haben.

Unter den wiederholten Versicherungen, daß seine Rosa stets ein liebes gutes und folgsames Kind gewesen, sprach er schluchzend den so oft und viel schon, wiewohl immer vergebens gehegten Wunsch aus, daß er dann gern sterben wolle, wenn er noch einmal in seinem Leben sein geliebtes Kind sehen könnte.

Bei diesen Worten fing nun Rosa, die bisher nur den schauerlichen Aufenthalt und das entsetzliche Aussehen des Vaters angestaunt hatte, zu weinen und zu schluchzen an, so daß ihr Herz zu brechen schien und sie nur die Anwesenheit des Kerkermeisters davon abhielt, ihrem Vater um den Hals zu fallen und sich zu erkennen zu geben.

Die heftigen Gefühlsäußerungen seines Dienstmädchens mit dem unglücklichen Ritter, sowie dessen Schmerz selbst, veranlaßte den Torwart, der Szene ein Ende zu machen und den Rückweg zu seiner Wohnung anzutreten.

Kurze Zeit nach Mitternacht wurde Rosa schon wieder von der Torwärterin gerufen, da ihr Mann bis gegen 2 Uhr morgens fort wolle und Rosa ihm vorher noch ein Frühstück bereiten solle. Als nun der Torwart nach eingenommenem Frühstück weggeritten und seine teure Ehehälfte wieder das warme Lager zu suchen sich anschickte, erhielt auch Rosa die Erlaubnis, noch einmal schlafen gehen zu dürfen. Allein dem von dem Anblicke ihres unglücklichen Vaters tief erschütterten Mädchens war es nicht um die paar Stunden Schlafes zu tun, sie löste eilig den Schlüssel zu dem Gefängnis ihres Vaters vom großen Schlüsselbunde ab, nahm die große Handlaterne des Kerkermeisters, stellte ein Licht in dieselbe, schlich, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß alles im Schlosse stille und ruhig war, durch den langen schauerlichen Gang hinüber zu dem Gefängnisse ihres Vaters und öffnete so leise als möglich die schwere eiserne Tür desselben.

Das beim Anblick des Dienstmädchens diesen Abend aufs neue wachgewordene Schmerzgefühl des Ritters über sein verlorenes Kind ließ auch in seine Augen keinen Schlaf kommen. Mit ineinander geschlungenen Armen saß Edelbert auf der steinernen Bank neben dem Tische und betrachtete mit Staunen bei dem dunkelgelben Scheine der Laterne das zu ihm eingetretene Mädchen, in dem er auch sogleich wieder das Dienstmädchen des Torwarts erkennen zu müssen glaubte.

»Bist du es, gutes Kind? Was führt dich in dieser Mitternachtsstunde noch zu mir? Hast du mir vielleicht Nachricht von meinem lieben Kinde, von dem ich schon seit Jahr und Tag keine Kunde mehr habe und welche Ungewißheit mir meinen schauerlichen Aufenthalt nur noch grauenvoller macht?«

»Verzeiht meine Dreistigkeit, edler Ritter,« flüsterte Rosa; »allein ich möchte gern mit Euch allein etwas reden, das Euch vielleicht einige Ruhe bringen könnte, deshalb wählte ich diese Mitternachtsstunde.«

»Es soll mich von Herzen freuen, wenn du mir etwas Angenehmes, Ruhebringendes mitteilen kannst,« sprach Edelbert; »allein das könnte üble Folgen für dich haben und zudem sollte ein wackeres Mädchen bei Nacht und namentlich zu dieser Stunde keinen Fuß über die Schwelle ihrer Kammer setzen, um den guten Ruf nicht in Gefahr zu bringen.«

Nachdem das Mädchen den besorgten Ritter damit beruhigt hatte, daß außer dem Turmwächter alles im Schlosse im tiefsten Schlafe liege, sagte sie ihm, daß sie unter dem Beistände Gottes diesen Gang gewagt habe, um ihm Nachricht von seiner Tochter Rosa zu bringen.

Auf diese Rede sprang Edelbert von seinem Steinsitze rasch auf mit den Worten: »O Gott! wenn es wahr wäre, daß du mir sichere Kunde von meinem Kinde brächtest, du erscheinst mir als ein Engel des Himmels in dieser finsteren Kerkernacht!«

Mit der Versicherung, daß sie wohl die sicherste Nachricht von Rosa bringen könne, reichte sie ihm eine goldene Kette und eine goldene Münze dar, mit der Frage: »Kennt Ihr diese Zeichen?« Und als Edelbert im dunkeln Scheine der Laterne Kette und Münze näher betrachtet hatte, rief er mit freudestrahlendem Blicke nach oben: »Lieber Gott! das ist ja die Denkmünze, die ich meiner Rosa in jener schauerlichen Scheidestunde auf der Tannenburg zum Andenken gegeben habe! Deine Nachrichten von ihr, liebes Kind, sind gewiß sehr wichtig, daß sie diese Kleinodien in fremde Hände gab.«

»Eure Tochter hat diese kostbaren Andenken nicht in fremde Hände gegeben; siehe, lieber Vater, ich selbst bin deine Rosa, deine Tochter, die vor dir steht

Staunen und Freude zugleich wechselten in dem bewegten Gemüte des edlen Mannes, und erst dann, als Rosa beim hellen Scheine des Oellichtes, das sie aus der düsteren Laterne genommen, ihre ganze Person beleuchtete, konnte sich der Vater überzeugen, daß es wirklich sein liebes Kind sei, das vor ihm stehe und in deren Augen Tränen der Freude und des glücklichen Wiedersehens glänzten. Die goldene Kette entfiel der gefesselten Hand und mit den Worten: »Mein Kind, mein liebes Kind!« umfaßte er das geliebte Wesen und drückte es mit Inbrunst an die treue Vaterbrust. – »O, daß ich dich wiedersehe, dich umarmen kann, du gutes Kind! Jetzt will ich gerne sterben, da ich weiß, daß du noch lebst! Nun mag dieser feste Bau von schweren Quadern über mir zusammenstürzen und mich begraben, ich achte es nicht!« Und auch Rosa umarmte den weinenden Vater und weinte lange und heiße Tränen an seiner umklammerten Brust.

Nachdem der Sturm der bewegten Gefühle in den Herzen beider sich etwas gelegt hatte, mußte Rosa alle ihre Erlebnisse von ihrer Trennung an bis zur Stunde des Wiedersehens erzählen, worauf sie gemeinsam zum lieben Vater im Himmel ein Dankgebet für dieses glückliche Wiederfinden emporschickten und erst, als das Horn des Turmwächters den hereinbrechenden Tag verkündigte, verließ Rosa, innigst bewegt und von himmlischem Tröste neu aufgerichtet, den Kerker des gleichfalls aufs neue aufgerichteten Vaters.

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Achtes Kapitel.
Kindesliebe

Kurze Zeit nachher mußte Kunerich mit allen seinen Dienstleuten ins Feld; selbst der Torwart, als ein tapferer Krieger und treuer Diener seines Herrn, zog mit in den Krieg. Der Torschlüssel, sowie die Bewachung der Fichtenburg wurden dem alten Burgvogt übergeben, dem zur Unterstützung ein paar Kriegsknechte zurückgelassen wurden.

Die Abwesenheit des Burgherrn und ihres Mannes glaubte nun auch die Torwartin, welche mit den Kindern einen Besuch bei der im nächsten Dorfe wohnenden Mutter und Großmutter machen wollte, benützen zu dürfen, um so mehr, als sie sich hinlänglich von der Pflichttreue ihres Dienstmädchens überzeugt hatte. Diese Abwesenheit der strengen Frau kam daher ebenfalls auch dem Dienstmädchen sehr erwünscht, indem es während derselben, was freilich des Mädchens kühnste Erwartung übertraf, ihrem Vater den ganzen vollen Tag widmen konnte.

Rosa eilte zum geliebten Vater, brachte ihm frische Wäsche, deren er in der feuchten Kellerluft so sehr bedurfte, stellte ihm frische wollene Strümpfe zu und brachte ihm warmes Wasser mit Seife und Handtuch, damit er die fast gelähmten Glieder wieder waschen und erquicken konnte und überreichte ihm ein kleines Schlüsselchen, womit er sich von der schweren Kette befreien und ohne diese seine Runde im Gefängnis machen konnte. Auch führte sie ihn zuletzt in das an sein Gefängnis anstoßende freundliche Gärtchen des Torwarts, damit er wieder frische Luft schöpfen und seinen Körper in der warmen Sonne erholen konnte.

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Während der liebe Vater sich unter Gottes freien Himmel begeben hatte, bereitete ihm das sorgliche Kind auf dem Torturme ein solch gutes Mittagsmahl, wie er seit Jahr und Tag keines mehr genossen hatte, und auch den ganzen Nachmittag konnte er in frischer Luft zubringen; allein als die Nacht hereinbrach, mußte ihn das eigene Kind, freilich nur mit schwerem Herzen, wieder zurückführen in das Gefängnis.

Mit dem höchsten Erstaunen setzte er aber den Fuß in dasselbe, denn wie durch Zauberhand war das dunkle und unfreundliche Gewölbe umgewandelt in ein freundliches Wohngemach. Die rostgelben Wände waren weiß übertüncht, und bereits durch die warme Luft, die in den Kerker den ganzen Tag Zutritt hatte, getrocknet. Der schmutziggelbe Ziegelboden war frisch ausgewaschen und mit weißem Sande bestreut. Schutt und Nesseln, welche den Zugang des Lichts und der wärmenden Sonne hemmten, waren verschwunden; die dunkeln vergitterten Fensterscheiben waren gereinigt, so daß der blaue Abendhimmel freundlich durch sie hineinschaute. Auch das harte Lager erhielt frisches, weiches Stroh, über das ein weißes Leintuch gebreitet lag; auch ein weiches Kopfkissen, das bisher fehlte, ward herbeigeschafft und ein Teppich von Wolle bildete die Decke. Alle diese Veränderungen machten auf das Gemüt des alten Vaters den tiefsten Eindruck.

Zum Abendessen wählte Rosa des Vaters Lieblingsspeise, wozu sie noch eine Flasche Wein getan, der den alten Ritter aufs beste erquickte und da Rosa ihre Dienstverrichtungen schon erledigt hatte, als sie das Abendessen dem Vater gebracht, so konnte sie längere Zeit bei ihm bleiben und sich freuen, wie ihm Speise und Trank so sehr schmeckte. Zur Beruhigung erzählte sie ihm, wie sie zu den Mitteln gekommen sei, durch die sie ihm seine Lage habe verbessern können. Hierzu verdanke sie die meiste Beihilfe den braven Köhlersleuten; auch habe sie manches von ihrem Lohne und dem erhaltenen Trinkgeld angeschafft, das sie von den Gästen für Auf- und Zuschließen des Burgtors empfangen habe.

Mit den dankbarsten Gefühlen für ihre kindliche Liebe mahnte abends spät der gute Vater die geliebte Tochter zum Abschiede und zum Schlafengehen.

Daß von nun an Rosa dem geliebten Vater jeden Tag eine neue Freude bereiten und ihm sein hartes Los möglichst zu erleichtern suchte, brauchen wir den lieben Lesern kaum zu sagen.

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Neuntes Kapitel.
Feindesliebe.

Je schwerer Ritter Edelberts hartes Schicksal seiner Tochter Rosa zu Herzen ging und je tiefer sie dessen Beschwernisse niederdrückten, um so höher stieg in ihrem sonst so guten Gemüt die Abneigung, die sie gegen Kunerich, den sie als alleinigen Urheber alles Unglücks betrachtete, das auf ihr und dem geliebten Vater lastete, welche Bitterkeit sich sogar so weit ausdehnte, daß sie selbst die unschuldige Gemahlin und die Kinder Kunerichs nicht ohne einen Grad von Haß betrachten konnte. Diese Gesinnung blieb dem Vater nicht verborgen, die er höchlich mißbilligte.

Ritter Kunerich wurde im Kriege schwer verwundet und mußte auf eine von den Seinen weit entfernte Burg von Anverwandten gebracht werden; die Kinder Kunerichs wurden von den Blattern befallen und selbst Kunerichs Gemahlin mußte, von all diesen schlimmen Erlebnissen niedergebeugt, das Bett hüten. Dies alles erzählte Rosa eines Abends mit lächelndem Munde dem Vater, daß nun auch ihre Feinde erfahren müssen, was Elend sei, und sie nun ihren Stolz werden beugen lernen.

Daß der Vater mit dieser unchristlichen Gesinnung seiner Tochter nicht einverstanden war, können wir daraus ersehen, daß er ihr entgegnete: »Wie, meine liebe Rosa, dich höre ich so hartherzig sprechen, so teilnamslos urteilen? In deinem sonst so sanften, milden Angesichte sehe ich die Flamme der unchristlichen Schadenfreude auflodern?

»O, mein Kind, laß solche Gedanken in deinem guten Herzen nicht aufkommen; laß Schadenfreude deine reine kindliche Seele nicht vergiften! Und daß du auch vollends Kunerichs unschuldige Gattin und Kinder in das Bereich deines Hasses ziehen kannst, ist mir vollends ganz und gar unbegreiflich, da ich dich stets nur als ein Wesen kennen lernte, das nur Wohltun und Liebe kannte. O, siehe, liebes Kind, so wahr Gott lebt, ich hasse meinen Todfeind Kunerich nicht und könnte ihm wohl mit meinem eigenen Leben das seine retten.«

Mit solchen Ermahnungen wußte der von Gram so tief gebeugte Vater den Groll seines Kindes wieder zu töten, so daß Rosa von nun an den Kindern ihres Feindes aufs liebreichste begegnen konnte, so oft sie diesen im Schloßhofe oder im Schloßgarten begegnete, woher es kam, daß auch die Kinder Zuneigung und Liebe zu ihr gewannen und offen kundgaben.

Hierdurch eigentlich beschämt, mußte sie sich nicht selten selbst Vorwürfe darüber machen, daß sie je habe feindliche Gedanken gegen diese unschuldigen Kinder in ihrem Innern nähren können.

An einem schönen Herbsttage waren die Leute der Burg alle auf dem Felde mit dem Einernten der Feldfrüchte beschäftigt. Jella, das Kindermädchen, hatte die Erlaubnis erhalten, nach dem Mittagstisch mit den drei Kindern Kunerichs in den Schloßhof zu gehen und diese im Freien spielen zu lassen. Ein großer Brunnen stand mitten im geräumigen Schloßhofe, der wegen seiner großen Tiefe als die größte Merkwürdigkeit der Burg von allen Besuchern derselben angestaunt und bewundert wurde. Ein großer, runder, üppiger Rasenplatz, der mit prächtigen Kugelakazien eingefaßt war, umgab den unheimlich tiefen Brunnen.

Auf dem Rasenplatz am Brunnen reihten die beiden Mädchen Ida und Klara die roten Vogelbeeren, die ihnen Jella vom Baume gepflückt hatte, an Fäden und schmückten mit diesen Korallenschnüren Hals und Arme, während der etwas ältere Bruder Kuno sich auf seinem Steckenpferde im Hofe herumtummelte, bis er dessen müde, sich an die Brüstung des Brunnens begab und von da aus zum weitern Zeitvertreib Kieselsteine in die Tiefe des Brunnens warf, deren immer ferneres Rollen ihn zu ergötzen schien.

Unversehens machte der Bruder die kleinere Schwester Klara auf ein äußerst schön befiedertes Vögelein aufmerksam, das auf den Brunnen geflogen und sich auf den Wassereimer gesetzt hatte, in dem man mittels eines großen Rades das Wasser aus der Tiefe heraufzuwinden pflegte. Alle drei Geschwister beschauten das glitzernde, freundlich und heiter dreinschauende Vögelein, das auf dem Eimer saß und gleichsam zu erwägen schien, ob es sich wohl in denselben hineinwagen und von dem auf dem Boden ruhenden Wasser seinen Durst löschen oder gar sein glitzerndes Gefieder in demselben baden dürfe? Nach kurzer Rekognoszierung war ein Entschluß gefaßt und an aufplätschernden Wassertropfen bemerkten die neugierigen Kinder, daß das hübsche Vögelein in der Tiefe des Eimers sein erquickendes Bad nahm.

Nicht ganz ohne übermütiges Selbstvertrauen, wie man das bei kleinen Knaben gar oft und viel zu beobachten Gelegenheit hat, sprach Kuno zu seinen Schwestern: »Wartet nur, das kleine hübsche Ding will ich bald haben; das wird einen schönen Spaß abgeben.«

Behendig kletterte Kuno nun an der steinernen Brüstung des Brunnens empor, stand ganz herzhaft auf der Kuppel desselben aufrecht und streckte seinen kleinen Arm ganz pfiffig nach dem Eimer aus, bekam aber über das Nachgeben des schaukelnden Eimers das Uebergewicht und war den Augen der Schwestern entschwunden!

Auf das entsetzliche Jammergeschrei der kleinen Mädchen eilte sofort das Kindermädchen Jella herbei, die unerlaubterweise die Kinder allein gelassen und sich in der Küche heimlich gütlich tun wollte und sah mit Entsetzen und Angst den kleinen Knaben in beträchtlicher Tiefe des Brunnens mit dem Flügel seines Kleides an einem Mauerhaken hängen. Händeringend und todesblassen Angesichts rief das geängstigte Mädchen um Hilfe.

Das Jammern und Schreien der kleinen Schwestern und des Kindermädchens drang zunächst zu den Ohren Rosas, die in demselben Augenblicke über den unteren Teil des Schloßhofs ging; und ohne sich lang zu besinnen, rannte sie den jammernden Kindern zu, um sich nach der Ursache ihres entsetzlichen Geschreis zu erkundigen.

Nachdem sie sich rasch von der gefährlichen Lage des Knaben überzeugt hatte, war sie auch schnell entschlossen, demselben in seiner Not Hilfe zu bringen. Schnell stieg sie auf die Brüstung des Brunnens, sagte der Jella, daß sie jetzt das Rad festhalten und so lange halten solle, bis sie (Rosa) den Eimer bestiegen habe, und sobald dies geschehen, so solle sie langsam den Eimer in die Tiefe lassen, bis sie ihr zum Anhalten durch Zuruf ein Zeichen geben werde. Sei dieses erfolgt, so solle sie ja alle ihre Kraft aufbieten, das Rad in Ruhe zu halten, damit sie in dieser Zeit den kleinen Kuno von dem Haken befreien und ihn zu sich in den Eimer aufnehmen könne.

Willig, wiewohl am ganzen Leibe zitternd, unterzog sich Jella den Anordnungen der Torwartsmagd und siehe, in ungewöhnlich kurzer Zeit erhielt Jella das Zeichen zum Aufziehen des Eimers und nach wenigen Minuten lag der kleine Kuno ohnmächtig, doch gerettet, auf dem weichen Rasenplatze vor dem Brunnen.

Das Wehgeschrei der Kinder, das diese beim Sturze ihres Brüderchens erhoben, hatte auch die kranke Mutter an das Fenster gerufen, um nach der Ursache des Jammers zu forschen. Die entsetzliche Angst, mit der die Mutter die gefährliche Lage ihres Kindes vernahm, kann man sich wohl denken; aber auch die entzückende Freude, mit welcher sie den ihr wiedergeschenkten Sohn in die Arme schloß, als man ihr denselben wieder auf ihr Zimmer brachte.

Rosa, der rettende Engel des kleinen Kuno, war aber indessen zu ihrem Vater geeilt, um ihm mit Freuden die glückliche Rettung des Kindes zu verkündigen.

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Zehntes Kapitel.
Rosas wahrer Stand wird entdeckt.

Ungesäumt ließ Frau Hildegard die Lebensretterin ihres Kindes zu sich rufen, um ihr danken und sie möglichst belohnen zu können; allein Rosa weigerte sich anfangs, mit Jella zu gehen, die gekommen war, Rosa zu ihrer Herrin abzuholen. Erst als Jella sie bat, doch mit ihr zu gehen und auch bei der gnädigen Frau Fürbitte für sie einzulegen, da ihr bereits der Dienst gekündigt worden sei, entschloß sie sich, ins Herrenschloß zu gehen, jedoch auch schon deshalb, um durch eine unfreundliche Weigerung die Freudengefühle der Mutter des geretteten Knaben nicht unangenehm zu berühren.

Wie natürlich nicht anders zu erwarten war, wurde Rosa von der edlen Frau Hildegard mit der größten Zuneigung empfangen und mit den huldvollsten Worten der Dankbarkeit setzte sie ihren hohen Stand beiseite und umarmte das nur dürftig und unscheinbar gekleidete Dienstmädchen und liebkoste dasselbe, als ob es ein Glied ihres Standes und Ranges gewesen wäre.

Ihre erste Dankbarkeit suchte die Edelfrau dem armen Dienstmädchen dadurch zu beweisen, daß sie es bat, für immer bei ihr zu bleiben; während sie der leichtsinnigen Kinderwärterin Jella ihre Pflichtvergessenheit auf das nachdrücklichste verwies, an deren Stelle nun Rosa treten sollte.

Als arme, heimatlose Waise bat Jella unter Tränen und Schluchzen um Vergebung, mit dem aufrichtigsten Versprechen, daß sie sich gewiß bessern und der gnädigen Frau und den Kindern treu und redlich dienen, und sie ihren Leichtsinn, überhaupt die Fehler, über die sie schon oft und wiederholt verwarnt worden war, ablegen wolle. Die gedrückte Verfassung des Mädchens ging nun auch Rosa so zu Herzen, daß sie es nicht unterlassen konnte, als Fürbitterin für dasselbe aufzutreten und die gnädige Frau zur Zurücknahme ihres Strafurteils zu bewegen, was ihr auch so vollkommen gelang, daß Frau Hildegard dem Kindermädchen verzieh und gestattete, ihren Dienst beizubehalten.

»Obwohl nun Jella ihren Dienst auf deine besondere Bitte beibehalten soll,« sprach Frau Hildegard zu Rosa, »so mußt auch du dennoch bei mir bleiben, herziges, gutes Mädchen! Weiß ich doch wahrlich nicht, ob ich deinen Heldenmut, den du an meinem Kinde bewiesen, mehr bewundern soll oder deinen Edelmut, der Jella gegenüber.

»Vorerst weiß und kenne ich kein Mittel, liebes Kind, dich zu belohnen, als das, daß du nun bei mir bleibst und nicht mehr in den Dienst zu der Torwartin zurückkehrst; wenn dann mein Gemahl von dem Kriege heimkommt und er von deiner herrlichen Tat hört, wird er dich gewiß reichlich belohnen. Indessen sei meine Gesellschafterin, meine Freundin, meine – Tochter! Sicherlich bist du mit deiner edlen Gesinnungs- und Handlungsweise zu etwas Höherem bestimmt, als zur Dienstmagd.«

So sehr nun auch das freundliche Benehmen der Edelfrau sie innigst rührte und ihre Seele mit der hochachtungsvollsten Ehrerbietung gegen Frau Hildegard erfüllte, so konnte sich Rosa doch nicht gleich entschließen, bei ihr zu bleiben, ohne vorerst den lieben Vater darüber gehört und ihn um seinen väterlichen Rat gefragt zu haben.

Mit bescheidenen Worten schlug sie daher vorerst das huldreiche Anerbieten der Burgfrau aus und erbat sich Bedenkzeit bis zu einer Zeit, die gewiß nicht ausbleiben werde, in der dann die edle Frau Gelegenheit erhalten solle, ihr zu großem Glücke zu verhelfen.

Erstaunt über das Benehmen des Mädchens, in dessen Worten und Gedankengange sie etwas ganz Abweichendes von der Art der Töchter gewöhnlichen Standes fand, wurde Frau Hildegard äußerst nachdenklich und nahm sich ernstlich vor, nicht weiter in dasselbe zu dringen, es aber geflissentlich näher zu beobachten.

Mit der gnädigsten Zusicherung entließ sie also Rosa ihrem Willen gemäß wieder nach Hause und diese versah bei der Torwartin nach wie vor in gewohnter Weise ihren schweren Dienst.

Eines Morgens trat der alte Burgvogt, der besondern Auftrag hatte, des Torwarts Dienstmädchen genau zu beobachten, vor die Burgfrau mit der Nachricht, daß Rosa spät in der Nacht, wenn alles bereits im tiefsten Schlafe liege, den feindlichen Ritter tut Gefängnisse besuche und meist mehrere Stunden lang bei ihm zubringe.

Frau Hildegard wußte nun von ihrem Gemahl nichts anderes über diesen Ritter, als daß er sein erbittertster Feind sei; weshalb die Vertraulichkeit des Mädchens mit ihrem Todfeinde sie nur höchst unangenehm berühren mußte. Um aber der Sache auf den Grund zu kommen, nahm sie sich vor, einmal selbst zu hören, was denn das Mädchen mit dem gefangenen Ritter zu tun habe. Der alte Burgvogt erhielt nun den Auftrag, genau auf das. Mädchen achtzuhaben und ihr sogleich Bericht zu erstatten, wenn sie sich wieder zum Gefängnis des Ritters begeben habe.

Wenige Stunden nach Sonnenuntergang der hierauffolgenden zweiten Nacht kam der Burgvogt zur Burgfrau mit der Meldung, daß Rosa eben wieder sich zu dem feindlichen Ritter begeben habe, worauf Frau Hildegard schnell einen Mantel überwarf und zur Tür des Gefängnisses eilte.

Freilich mußte sich die edle Frau auf dem Wege dahin gestehen, daß »Horchen« keines der lobwertesten Geschäfte sei; allein teils aus Besorgnis um ihr eigenes und das Wohl der Ihrigen suchte sie das Verwerfliche des Horchens niederzukämpfen, während welcher Zeit sie vor der Tür des Gefängnisses ankam, die nur angelehnt war, und in welch letzterem ungewöhnlicherweise ein Licht brannte.

Kein Wort, das der gefangene Ritter mit dem Mädchen und dieses mit ihm sprach, entging dem horchenden Ohre der Burgfrau.

»Aber, liebe Rosa,« sprach eben der Ritter, »die Pfirsiche, die du mir soeben brachtest, schmecken vortrefflich, und es däucht mich, als seien sie von derselben Art, wie sie der Baum im äußern Schloßgarten trägt, von dem ich auch immer am liebsten aß. Und nicht mehr, wie du sagst, als zehn Stück trug dieser Baum und drei davon hat dir die edle Frau gegeben? Wahrlich, liebes Kind, diese Frau ist sehr gütig, sehr liebreich gegen dich!«

»O ja, lieber Vater! Darum meine ich auch immer, ich sollte ihr sagen, daß ich deine Tochter bin und gewiß würde es ihren Bitten, vereint mit den meinen, gelingen, daß dir Ritter Kunerich die Freiheit wieder schenkte, und uns unser Eigentum wieder zurückgäbe.«

»O, liebe Seele, daran denke nur ja nicht! Er haßt mich zu sehr und sein grimmiger Haß gegen, mich ist schon zu alt, als daß selbst das Bitten und Flehen seiner edlen Gemahlin seinen harten Sinn ändern und er mir die Freiheit wieder geben könnte. Ich kenne ihn; sein Sinn ist hart und unbeugsam.«

»Meinst du wirklich, lieber Vater, daß er dich doch im Gefängnis sterben lassen. wird, wenn er hört, daß ich, die seinem Kinde das Leben gerettet, deine Tochter bin und ich mich ihm zu Füßen werfe und ihn um Gnade für dich und mich bitten werde?«

»Ja, er wird hart gegen dich und mich bleiben; darum täusche dich nicht mit Hoffnungen, die zu erfüllen seinem harten Herzen keinen Raum geben.«

»Aber, lieber Vater! wenn man ihn überzeugen könnte, daß du ihn, dessen ungeachtet er dich um Hab und Gut und um die Freiheit brachte, dennoch liebst und segnest, und ihm, wenn es in deiner Macht stände, sogar alles mögliche Gute erweisen würdest, daß du mich lehrtest, ihn und die Seinigen alle zu lieben und ihnen Gutes zu tun, daß ich ohne deine Ermahnungen und Zurechtweisungen gewiß nicht so schnell zur Rettung seines Kindes bereit gewesen wäre, daß also du die Hauptursache derselben seiest, sollte da sein hartes Herz nicht weich werden und friedlich sich zur Versöhnung neigen? –«

»Es ist das wohl möglich,« antwortete der alte Vater, »aber – liebes Kind – sehr unwahrscheinlich! Indessen laß uns das Beste hoffen, bis er heimkommt und so lange muß ich schon ehrenhalber auch dann im Gefängnis bleiben, wenngleich seine hochherzige edle Gemahlin mich dir zulieb aus demselben frei lassen wollte, was ich jedoch ohne seine Einwilligung um so entschiedener zurückweisen würde, als es die edle Frau schwer büßen müßte. Was ich dich also bitte, liebe Rosa! sage ja der edlen Burgfrau nicht, daß du meine Tochter bist. Wir wollen ihr keine Unannehmlichkeiten bereiten und solange es Gott gefällt, in Niedrigkeit und Gefangenschaft bleiben.«

Frau Hildegard hatte durch die im Gefängnis gehaltene Unterredung mehr als zur Genüge erfahren; weshalb sie mit Tränen des Mitleids auf ihr Zimmer zurückeilte und, überwältigt von gewaltigen Eindrücken über die gemachte Entdeckung, eine schlaflose Nacht zubrachte. Im stillen mußte sie der Ansicht des gefangenen Ritters beitreten und gestehen, daß sie vorerst in betreff seiner Befreiung nichts tun könne und dürfe; aber den Entschluß hielt sie fest, dem edlen Fräulein und ihrem Vater, soweit es, ohne Aufsehen zu erregen, geschehen könne, Gutes zu tun, wo, wann und so oft sie könne und ihr Geheimnis zu ehren, bis ein glücklicher Augenblick dasselbe von selbst lösen werde.

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Elftes Kapitel.
Ritter Edelbert wird frei.

Seitdem Frau Hildegard wußte, daß Rosa kein gewöhnliches Dienstmädchen, sondern das Edelfräulein von Tannenburg sei, begegnete sie ihr mit noch weit größerer Güte, Achtung und Liebe, als zuvor; lobte sie sogar ihres Mitleids wegen, das sie mit dem gefangenen Ritter zeigte, und gab ihr für diesen täglich von ihrer Tafel die auserlesensten Speisen und den besten Wein, den die Fichtenburg zu bieten vermochte. Der alte, grämliche Burgvogt wurde von Hildegard über die Besuche des Mädchens bei dem feindlichen Ritter so ganz beruhigt, daß er ferner dasselbe nicht mehr beobachtete und es ganz nach Belieben gewähren ließ. Auch das Schicksal Rosas wurde von der Edelfrau dadurch erleichtert, daß diese zu öfterem Besuche im Schlosse eingeladen wurde und sogar die Erlaubnis erhielt, auch die Kinder der Torwärterin mitzubringen, wodurch sich letztere sehr geschmeichelt fühlte und deshalb Rosas schweren Dienst zu erleichtern suchte.

Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche harrte Frau von Fichtenburg mit Sehnsucht auf die Heimkehr ihres Gemahls. Endlich, wiewohl nach noch nicht gänzlicher Genesung, traf die Nachricht ein, daß Kunerich demnächst seine Rückkehr antreten und seinen Einzug in die Fichtenburg halten werde.

Mit großer Pracht und unter dem Schalle der Trompeten zog an einem freundlichen Abend Kunerich, umgeben von einer glänzenden Ritterschar, die Helme und Spieße mit Eichenlaub geschmückt hatten, in die Fichtenburg ein.

Als der erste Begrüßungsjubel im Schlosse vorüber war, versammelte Kunerich die Vornehmsten seines Gefolges im großen Rittersaal zu einem Bankett, dem auch seine Gemahlin und Kinder anwohnen sollten. Kunerich freute sich namentlich über das gesunde und frische Aussehen seines Söhnleins, das er, so roh und unwirsch er auch sonst war, herzte, liebkoste und küßte. Als nun Hildegard die weichgestimmte Gesinnung ihres Gemahls bemerkte, glaubte sie diese nicht unbenützt vorübergehen lassen zu sollen; weshalb sie demselben mit großer Wärme die Gefahr, in der das Kind geschwebt und die Art und Weise, auf die und durch wen es gerettet worden sei, erzählte und ihm zu verstehen gab, daß sie die Belohnung der Lebensrettung seines Lieblings hinausgeschoben habe, bis er selbst in der Lage sei, das heldenmütige Mädchen zu belohnen.

Um nun die gefährliche Lage, in der das Kind geschwebt, noch recht anschaulich zu machen, ließ sie dessen Kleid herbeiholen und zeigte dem bestürzten Gemahl den Riß in demselben, der durch den eisernen Haken entstanden, an dem der Knabe noch glücklich hängen geblieben und wie es die höchste Zeit gewesen, daß Hilfe erschienen sei, wenn nicht das Kind in der entsetzlichen Tiefe des Brunnens hätte umkommen sollen.

Die Erzählung dieser Lebensrettung, die nur mit eigener Lebensgefahr für die Retterin habe bewerkstelligt werden können, machte auf die ganze anwesende Ritterschaft, besonders aber auf den zunächst beteiligten Vater einen solch tiefen Eindruck, daß er den Edelmut des Mädchens nicht genug rühmen und preisen konnte und sie deshalb fürstlich zu belohnen versprach. Auf sein Verlangen wurde Rosa sogleich in den Rittersaal gerufen, damit er ihr vor allen um ihn versammelten Edeln und Großen seinen Dank ausspreche und ihr den Lohn für ihre Heldentat versprechen könne.

Unerschrocken trat Rosa in den glänzenden Kreis der Ritterschaft, daß diese sich nur wunderten, woher die Torwartsmagd solche feine Manieren habe. Mit freudigem Zurufe grüßte Kunerich das bescheidene Mädchen: »Willkommen, heldenmütige Lebensretterin meines Sohnes! Ohne deinen Heldenmut wäre mir mein heutiger Freudentag ein Tag des Jammers und des Schmerzes geworden! Ich habe dich deshalb rufen lassen, damit ich dir danken, dich ehren und fürstlich belohnen kann. Auf mein Ehrenwort schwöre ich dir vor dieser edeln Ritterschaft: Fordere von mir, was du auch immerhin willst und solltest du eines von meinen zwei Schlössern, die Fichtenburg oder die Tannenburg zum Lohn begehren, es sei dein und ich trete es dir ab!«

Ruhig und bescheiden nahm nun Rosa das Wort und entgegnete dem Ritter: »Vor Gott und diesen edlen Zeugen habt Ihr, Herr Ritter, ein großes Wort gesprochen; ich könnte Euch also um eine große Gnade bitten, aber nur um ein Recht bitte ich, Herr Ritter von der Fichtenburg! Gebt mir, gebt meinem Vater das uns genommene Eigentum, die Tannenburg wieder zurück und ich will sodann meines Lohnes quitt sein! Ich bin Rosa von Tannenburg! Ritter Edelbert ist mein Vater

Wie vom Blitzstrahl getroffen standen Kunerich und alle die Ritter da und staunten das heldenmütige Mädchen wie Statuen an.

Endlich fand Kunerich die Sprache wieder; mit ihr aber kehrte auch sein alter Groll, sein alter Haß und Neid gegen den Vater des edlen Mädchens zurück; weshalb er mit finsterem, leichenblassen Angesichte diesem Haß den entsprechenden Ausdruck mit den Worten gab: »Mehr als die Hälfte meines Vermögens wollte ich jetzt geben, wenn mein Kind jemand anders gerettet hätte, als die Tochter dieses Mannes!«

Ueber diese plötzliche Sinnesänderung des Ritters erschraken alle Anwesenden und obwohl die Edelgesinntesten unter den Rittern sich mit der Gemahlin Kunerichs verbanden und diesem das große Verdienst, das sich das Fräulein um ihn erworben habe, auseinanderzusetzen sich bemühten, er schien sie nicht zu hören, nicht zu verstehen, so in sich gekehrt stand er da und besann sich eines passenden Ausweges.

Endlich siegte das Gute über die zarte Eisrinde seines Herzens und mit dem Zugeständnis: »Rosa mag die Tannenburg mit allem Zubehör wieder zurücknehmen, Ritter Edelbert aber ist und bleibt mein Gefangener!« erfüllte er nur halb die Hoffnung, die in Rosas Herzen bei dem freundlichen Empfang aufgeblüht hatte.

Auf diese Antwort ergriff Frau Hildegard das Wort und mit Tränen in den Augen führte sie ihm den geretteten Sohn zu, mit der Aufforderung an diesen, daß er doch den Vater bitten helfe, damit er das gegen seine Lebensretterin ausgesprochene harte Wort mildern und auch dem Fräulein den Vater wieder schenken solle. Der holde Knabe kniete nun vor dem harten Vater nieder, erhob seine kleinen Händchen bittend zu ihm empor und sprach die herzlichen Worte der Mutter nach, die diese ihm vorsagte.

Die Bitten des lieblichen Knaben erweichten die letzte Eiskruste, die das Herz Kunerichs noch umgeben hatte, und mit Tränen ringend, hob er den Kleinen zu sich empor, herzte, küßte und versicherte ihn, daß er seinen Bitten nachgeben und den Ritter Edelbert freigeben wolle und mit den Worten: »Ein Mann, der eine solche Tochter erzogen hat, kann unmöglich ein böser Mann sein; ich will wieder gut machen, was ich ihm Leides zugefügt hatte.« Er befahl sodann, daß Ritter Edelbert alsbald auf freien Fuß gesetzt werden solle.

Mit Freude und Entzücken hing ihm seine Gemahlin am Halse und dankte ihm mit Tränen; alle anwesenden Ritter lobten Kunerichs ritterlichen Entschluß und Rosa war es hauptsächlich, die mit Tränen der Dankbarkeit die dargereichte Rechte des Ritters benetzte und küßte.

Kunerich wünschte nun, daß Rosa sogleich dem gefangenen Vater seine Freiheit verkündigen und ihn in die Burg bringen solle, damit er mit ihm das Fest der Versöhnung feiern könne. Frau Hildegard wollte aber das Fräulein vorerst standesgemäß kleiden und schmücken, und in dieser Tracht sollte sie sofort dem gefangenen Vater seine Ketten lösen und ihm die Freiheit verkündigen. Behufs dessen gab die Frau dem entzückten Fräulein aus ihrer Garderobe das beste Kleid, brachte ihre Haare in kunstlose Locken und überlieferte ihr zu beliebigem Gebrauche den kostbaren Schmuck ihrer Mutter, den Kunerich in jener Schreckensnacht auf der Tannenburg auch an sich gebracht und seiner Gattin verehrte, die diesen aber nie getragen hatte.

In Erinnerung an die geliebte, schon längst verstorbene Mutter glänzten beim Betrachten dieses Schmuckes helle Tränen in den Augen der dankbaren Tochter.

Die auf das prächtigste geschmückte Rosa begleitete nun Frau Hildegard bis zur Kerkertüre. Rosa öffnete diese und mit dem Ausrufe: »Nun gottlob, lieber Vater! jetzt bist du frei,« fiel sie dem erstaunten Manne um den Hals und weinte laut vor Freude. Im ersten Wonnestrom hatte Rosa nicht einmal die äußere und innere Veränderung des Vaters bemerkt, und erst als er seinen Dank für ihre kindlichen Bemühungen zu seiner Befreiung ihr aussprach, sah sie, daß derselbe in seiner Rittertracht vor ihr stand, angetan mit schwarzem Samt und geziert mit der goldenen Kette und der kaiserlichen Denkmünze.

Zwei der Ritter, die auch mithalfen, das harte Herz des Kunerichs auf dem Ambose der Liebe und der Versöhnung zu bearbeiten, hatten es übernommen, den alten Ritter von der Tannenburg auf seine Freiheit vorzubereiten, die ihm demnächst durch seine Tochter werde gebracht werden.

Die seligsten Gefühle, die in dieser Stunde der glücklichen Wiedervereinigung die Herzen aller Anwesenden, insbesondere aber die Seelen von Vater und Tochter erfüllten, lassen sich wohl fühlen, aber nicht beschreiben!

Ritter Kunerich von der Fichtenburg und Ritter Edelbert von der Tannenburg versöhnten sich miteinander aufs herzlichste und aufrichtigste.

Eine reich gedeckte Tafel, die edelsten Weine und die ungetrübteste Heiterkeit und Freude beschlossen den Tag dieser frohen Erlebnisse, wobei Kunerich offen gestand, wie er noch bei keinem Mahle so seelenvergnügt gewesen, als bei diesem, und er nunmehr einsehen müsse, daß Haß und Feindschaft Kinder des Teufels, daß Freundschaft und Liebe aber Töchter des Himmels seien.

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Zwölftes Kapitel.
Lohn des vierten Gebotes.

Durch die lange Abwesenheit Ritter Edelberts war das Schloß Tannenburg, in dem derzeit nur Reitersknechte gewirtschaftet hatten, ziemlich verwahrlost geworden und mußte deshalb erst restauriert werden, ehe der rechtmäßige Besitzer dasselbe wieder beziehen konnte; weshalb Edelbert und Rosa schon noch einige Zeit sichs bei Kunerich gefallen lassen mußten. Dieser, mit seiner Gemahlin Hildegard, suchte aber auch ihren werten Gästen den Aufenthalt auf der Fichtenburg so angenehm als möglich zu machen, indem ihnen alles Sehenswerte der umfangreichen Burg gezeigt, unter diesem allem aber dasjenige, was auf die Tannenburg gehörte, gesondert und dem Ritter Edelbert als sein Eigentum zurückgegeben werde.

Rosa ließ sich nicht nehmen, in dieser Zeit auch noch einmal einen Besuch auf der Torstube zu machen, wo der Torwart seine Freude über die glückliche Veränderung der Lage des Fräuleins aussprach, während die Kinder desselben scheu und schüchtern vor dem vornehmen Besuche in eine Ecke der Stube sich zurückzogen und die keifige Torwärterin sich eiligst in die Küche flüchtete. Die aufrichtige Teilnahme bei Torwarts erwiderte Rosa mit herzlichem Danke; die schüchternen Kinder wußte sie durch ihre herzgewinnende Freundlichkeit zu gewinnen und auch die geflüchtete Torwärterin mußte herbei, wiewohl es sie, im Bewußtsein ihrer Härte, mit der sie oft Rosa behandelt hatte, sauer ankam, welche Behandlungsweise sie jedoch dem Ritterfräulein unter tausend Entschuldigungen jetzt abbat.

Indessen war die Tannenburg wieder hergerichtet und die Befreiung Ritter Edelberts auch seinen sämtlichen Untertanen bekannt geworden; selbst zur Köhlerwohnung des redlichen Burkhards, in die Tiefe der Wälder, drang diese Freudenbotschaft. Kunerich, seine Gemahlin und ihre Kinder begleiteten Edelbert und Rosa nach Tannenburg, ihr Zug dahin war ein wahrer Triumphzug; denn überall, wo sie durchkamen, suchte man ihnen Ehre zu erweisen und aus allen Fenstern schauten freundliche Menschen heraus, welche sich über die Eintracht der beiden Ritter freuten und das Fräulein sehen wollten, das so kindlich und edelmütig an ihrem Vater gehandelt und so heldenmütig und beherzt das Kind ihres Todfeindes mit eigener Lebensgefahr von einem schrecklichen Tode rettete.

Als nun Edelbert vollends in sein eigenes Gebiet kam, da wuchs der Jubel zum Strome an; überall wurde der geliebten Herrschaft der herzlichste Empfang bereitet und als er endlich durch das äußere Tor seiner Burg eintrat, stieg seine Freude zum Entzücken: Alle seine Untertanen, Männer und Weiber, Jungfrauen, Jünglinge, selbst Greise und Kinder hatten ihre Festkleider angetan und wollten ihre geliebte Herrschaft in der Herrenburg festlich empfangen.

Vater Burkhard, der ehrliche Köhler und seine getreue Gertrud, sprachen im Namen aller Anwesenden wenige, aber herzliche Worte der Begrüßung an Edelbert und Rosa, und Tränen der Freude und des Wiedersehens erstickten fast den guten Leuten die Worte im Munde.

Vor der inneren Schloßpforte auf einer sanften Anhöhe waren die gesamte Ritterschaft der Umgegend mit den Ihrigen und ihrer zahlreichen Dienerschaft aufgestellt, – unter der aber wohl mancher Ritter war, der sich jetzt seiner Feigheit schämen mußte, weil er damals, als Köhler Burkhard ihn um Hilfe anflehte, nicht erhören wollte, – um den feierlich ernsten Einzug Ritter Edelberts in seine Burg durch ihre glänzende Gegenwart zu erhöhen.

In ihrer Mitte stand Agnes, das Köhlermädchen, weiß gekleidet, mit Blumen bekränzt und überreichte auf einem scharlachroten Kissen den Einziehenden die Burgschlüssel.

Rosa umarmte und küßte ihre geliebte Schwester Agnes und hieß sie herzlich willkommen; Ritter Edelbert übernahm die Burgschlüssel mit einem dankbaren Blick zum Himmel, woher ihm und seinem Kinde Hilfe und Rettung in Not und Elend gesandt wurde, und diese dankbare Gesinnung bestätigte er sogleich auch noch dadurch, daß er, ehe er die Schwelle der Schloßpforte betrat, der Burgkapelle zuschritt, wo er ein heißes Dankgebet dem geliebten Vater im Himmel zuschickte, in welch heiliger Andacht ihn sein alter Schloßkaplan treulich unterstützte.

Während nun das Volk im Schloßhofe bewirtet wurde, tafelten die Herrschaften im großen Rittersaals der Tannenburg. Die Mahlzeit war jedoch kaum zur Hälfte beendet, als Edelbert sich zu seinen geliebten Untertanen in den Schloßhof begab, wo er für jeden Anwesenden ein freundliches Wort hatte. Vielen sicherte er die früher genossenen Wohltaten wieder zu, die sie, seit Kunerich die Tannenburg im Besitz hatte, entbehrt hatten.

Vor allem aber war seine Hauptsorge der Köhlersfamilie zugewandt, indem er den alten Burkhard zum Burgvogt, Mutter Gertrud aber zur Beschließerin machte. Des Fräuleins Schwester und Gefährtin im Unglück, Agnes, sollte auch von nun an im Glücke Rosas Schwester und Gesellschafterin sein und bleiben.

Auf der Tannenburg ging wieder alles den geordneten Gang und fühlten sich sämtliche Hausgenossen äußerst glücklich; aber auch auf der Fichtenburg hatte das wahre Glück seinen Einzug gehalten, und die Mauern derselben widerhallten nicht mehr von Krieg und Kriegsgeschrei, von Jagdgesang und wildem, rohem Lärmen, oder tollen Trinkgelagen.

Kunerich war wie verwandelt und suchte von nun an sein eigenes Glück und seine eigene Ruhe im Glücke und in der Ruhe anderer! Daher kam es auch, daß er sogar viel Unrecht gut zu machen sich vorgenommen hatte, was wir nicht nur im bisher Gesagten sehen, sondern auch noch in folgendem, dem Ritter Edelbert gegenüber kennen lernen werden.

Das Gefängnis, in dem Ritter von der Tannenburg Jahr und Tag schmachtete, ließ Kunerich zu einer Kapelle umwandeln, die von nun an die Burgkapelle sein und bleiben und zu den täglichen Gottesdiensten benützt werden sollte. Einige hohe Bogenfenster mit bunten Glasmalereien gaben der Kapelle das Licht. Das hohe Gewölbe mit den Mauern waren blau angestrichen und mit goldenen Sternlein besät; der Altar war ein Prachtbild von Schnitzwerk.

Zur Einweihung dieser Kapelle ergingen nun an die benachbarte Ritterschaft feierliche Einladungen. Der fromme Abt Roberts als Weihbischof sollte die Festrede halten und die Einweihung der Burgkapelle vornehmen.

Erstaunt, mit den innigsten Dank- und Freudengefühlen, traten Edelbert und Rosa in diese heilige Halle ein und blickten wohl mit Andacht und Dankbarkeit auf zu dem hohen Christusbilde, das die Rückseite des kunstvoll gearbeiteten Altars zierte. Während der Einweihung dieses mit Blumen und Kränzen geschmückten Gotteshauses waren sämtliche Ritter mit ihren Gemahlinnen anwesend und freuten sich der edlen Gesinnung Kunerichs.

Nachdem der feierliche Akt der Einweihung durch den Weihbischof vollendet war, begab man sich in den großen Rittersaal zum Festmahle, das wohl, seit die Fichtenburg stand, das glänzendste, aber auch das würdigste war.

Kaum waren einige Gerichte aufgetragen, als alle Anwesenden durch Trompetengeschmetter und Pferdegetrappel aufgeschreckt wurden. Der Eintritt eines Ritters von hoher, edler Gestalt, der alsbald sein Visier zurückschlug, den glänzenden Helm ablegte und die Tafelgesellschaft nach echt deutscher Sitte grüßte, brachte sogleich wieder volle Beruhigung in die Gemüter aller Anwesenden; denn jeder kannte den Biedermann, den Herzog von Schwaben, zu gut, als daß man an einen feindlichen Ueberfall hätte denken können.

Er brachte den beiden Rittern Kunerich und Edelbert, als Abgeordneter des Kaisers, dessen höchste Zufriedenheit über ihre Aussöhnung. Hierauf wandte er sich zu Hildegard und sprach: »Ich komme heute zu Euch, edle Frau, als ungeladener Kirchweihgast; allein im Vertrauen auf Eure gütigen Gesinnungen begrüße ich in Euch meine und der Ritter, die mit mir gekommen sind, freundliche Hauswirtin!« Und sich zu Rosa wendend, die neben ihrer mütterlichen Freundin Hildegard den hohen Gast empfing, sprach er: »Auch an Euch, edles Fräulein! habe ich Aufträge von meinem hohen Herrn und Gönner, dem Kaiser, die ich Euch jedoch erst nach aufgehobener Tafel mitteilen will.«

Während des Mahles, bei der der Herzog den Ehrenplatz einnahm, ließen sie sich nun ausführlich die Geschichte des Streits erzählen, der für Edelbert so harte Zeiten zur Folge hatte.

Auch Rosa mußte ihr Leben im Köhlerhaus erzählen und namentlich ihre Erlebnisse auf dem Tore zu Fichtenburg mitteilen, wobei neben manchem Ernste auch manche Mitteilung zum Scherze und zur Heiterkeit Anlaß gaben.

Kunerich bekannte seine Härten und Fehler offen und ehrlich und reichte wiederholt zum Zeichen seiner aufrichtigsten Gesinnungen Edelbert die treue Rechte zum Friedensbunde dar.

Unter anderen Gesprächen wendete sich der Herzog an Rosa und bedeutete der hohen ritterlichen Gesellschaft, wie sie mit Gottes Hilfe und Beistand es eigentlich sei, die noch zu rechter Zeit blutige Kämpfe verhütet habe; da schon im kaiserlichen Lager beschlossen worden sei, nach erlangtem Frieden zu Edelberts Befreiung vor die Fichtenburg zu rücken und dieselbe zu erobern. Gott der Herr aber habe nun durch den Heldenmut des edlen Fräuleins all dies Blutvergießen abgewandt.

Hocherrötend wies die bescheidene Rosa dieses schmeichelhafte Lob aus dem Munde eines so allgemein beliebten Mannes zurück, deutete auf die göttliche Vorsehung und sagte, wie diese oft durch ein ohnmächtiges kleines Vögelein großes Unglück zu verhüten und die erbittertsten Herzen zu versöhnen vermöge; weshalb sie auch allen Dank ablehnen und den größten Anteil an dem glücklichen Ausgange fraglicher Ereignisse der göttlichen Güte zuschreiben müsse.

Nach kurzer Pause erhob der edle Herzog den schweren goldenen Becher und trank mit sämtlichen Anwesenden auf das Wohl des Kaisers, worauf er sich, zu Rosa gewendet, des kaiserlichen Auftrags an diese mit folgenden Worten entledigte: »Seine kaiserliche Majestät haben mit größtem Wohlgefallen vernommen, mit welch kindlicher Liebe und Aufopferung Ihr Eures geliebten Vaters Euch angenommen; wie Ihr mit eigener Lebensgefahr dem Kinde Eures und Eures Vaters Todfeindes das Leben gerettet und hierdurch diesen zur gegenseitigen Versöhnung gebracht habt, infolgedessen großes Blutvergießen verhindert worden ist und hat mich deshalb der Kaiser hierher gesandt, Euch allerhöchst dessen Beschluß zu eröffnen.«

Ein Ritter vom Gefolge des Herzogs überreichte diesem eine Pergamentrolle, die er einem prächtigen, goldenen Etui entnahm und welche sofort dem Fräulein Rosa von Tannenburg mit den Worten eingehändigt wurde: »Da Euer Vater – verehrtes Fräulein! – außer Euch kein Kind, namentlich keinen männlichen Erben hat und die Tannenburg als Mannslehen bei dem Tode Eures Vaters an den Kaiser und das Reich zurückfallen würde, Ihr aber dem Kaiser und dem Reiche, wie wir ja alle wissen, solch außerordentliche Dienste geleistet habt, wie vielleicht zehn Söhne Eures Vaters es nicht vermocht hätten, so wird kraft dieses Briefes das Mannslehen der Tannenburg vom Kaiser und des Reiches Fürsten auf Euch übergetragen. Aus den edelsten Rittersöhnen des Reichs könnt Ihr nun Euch einen Gemahl wählen, den Euer Herz wünscht und hat dieser keine andere Bedingung Kaiser und Reich gegenüber zu erfüllen, als daß er sich von seiner Vermählung an mit Euch »Ritter von Tannenburg« schreibe. Möge dieser glorreiche Name noch auf Enkel und Urenkel sich forterben!«

Vater und Tochter fanden über diese hohe Gnade keine Worte und die hellen Dankestränen, die in den Augen dieser frommen Menschenseelen glänzten, genügten auch dem Herzog so vollkommen, daß er ebenfalls tief ergriffen und stillschweigend seine biedere Rechte beiden darreichte und die dargebotene herzlich drückte.

Nur wenige Tage nach diesem denkwürdigen Kirchweihfest hatte Rosa den Wunsch des Herzogs erfüllt; sie hatte sich unter den Rittersöhnen den edelsten zu ihrem Gemahl auserwählt: Es war Friedberg, der jüngste Sohn des Herzogs von Schwaben selbst, und dieser und Edelbert segneten den Bund ihrer Kinder von Grund ihrer Herzen.

Die Ehe dieser wohlerzogenen, zum Teil in der Schule der Leiden groß gewordenen Seelen war eine vollkommen glückliche.

So glücklich, angesehen und reich aber Rosa mit ihrem allüberall gerechten und geliebten Gemahl war, sie also alle Ursache hatte, mit ihrem Lebensschicksale durchaus zufrieden zu sein, so folgte sie doch dem Beispiel Davids, des königlichen Sängers, der in höchsten königlichen Ehren und Würden doch seinen Hirtenstab und seine Harfe nicht vergaß. So auch Rosa!

In ihrem Garderobezimmer hing zum Zeichen und zur Erinnerung an ihr dereinstiges Elend in einem gläsernen Schranke jene Kleidung eines Köhlermädchens, in der sie zur Fichtenburg ging, um dort eine Magdstelle zu suchen. Ueber den Schrank selbst hatte sie eigenhändig die Mahnworte geschrieben:

»Denk in Glück und Herrlichkeit
auch an die vergangne Zeit!«

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