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II. Prüfungen.

Es scheuen die Menschen in sich selbst zu sehen, und knechtisch erzittern Viele, wenn sie endlich länger nicht der Frage ausweichen können, was sie gethan, was sie geworden, wer sie sind. Aengstlich ist ihnen das Geschäft, und ungewiss der Ausgang. Sie meinen, leichter könne ein Mensch den andern kennen, als sich selbst; sie glauben, nur würdige Bescheidenheit zu zeigen, wenn sie nach der strengsten Untersuchung sich noch den Irrthum in der Rechnung vorbehalten. Doch ist es nur der Wille, der den Menschen vor sich selbst verbirgt; das Urtheil kann nicht irren, wenn er anders den Blick nur wirklich auf sich wendet. Aber das ist es, was sie weder können noch mögen. Es halten das Leben und die Welt sie ganz gebunden, und absichtlich das Auge beschränkt, um ja nichts Anderes wahrzunehmen, erblicken sie stets von sich nur trüben Schatten, gauklerischen Widerschein. Den Anderen zwar kann ich nur aus seinen Thaten kennen, denn niemals tritt sein inneres Leben selbst vor mein Auge. Was eigentlich er strebte, kann ich unmittelbar nie wissen; nur die Thaten vergleiche ich unter sich, und darf unsicher nur vermuthen, worauf die Handlung wohl in ihm gerichtet war, und welcher Geist ihn trieb. Doch Schmach, wer auch sich selbst nur wie der Fremde den Fremden betrachtet! wer auch um sein eigenes inneres Leben nicht weiss, und Wunder wie klug sich dünket, indem er nur den letzten auf äussere That gerichteten Entschluss belauscht, mit dem Gefühl, das ihn begleitet, mit dem Begriff, der ihm unmittelbar voranging, ihn zusammenstellt! Wie will der je den Andern oder sich erkennen? was kann beim Schluss vom Aeussern auf das Innere die schwankende Vermuthung leiten, dem der auf nichts unmittelbar Gewisses bauend mit lauter unbekannten Grössen rechnen will? Ein stetes Vorgefühl des Irrthums erzeugt ihm Bangigkeit; die dunkle Ahnung, er sei selbstverschuldet, beengt das Herz; und unstät schweifen die Gedanken aus Scheu vor jenem kleinen Antheil des Selbstbewusstseins, den leider herabgewürdigt zum Zuchtmeister er bei sich tragen, und ungern öfters hören muss.

Wohl haben sie Ursache, zu besorgen, wenn sie redlich das innere Thun, das ihrem Leben zum Grunde lag, erforschten, sie möchten oft nicht die Vernunft darin erkennen, und möchten das Gewissen, dieses Bewusstsein der Menschheit, schwer verletzt sehen: denn wer sein letztes Handeln nicht betrachtet hat, kann auch nicht Bürgschaft leisten, ob er beim nächsten noch bewähren wird, dass er der Menschheit angehöre, und ihrer werth sich zeigen. Den Faden des Selbstbewusstseins hat ein solcher, sei es niemals angesponnen, sei es wieder zerrissen, hat sich einmal nur der äusseren Vorstellung, dem niederen Gefühl ergeben, und dem entsagt, worin am deutlichsten die höhere Natur sich zeigt; wie kann er wissen, ob er nicht in plumpe Thierheit ist hinabgestürzt? Die Menschheit in sich selbst betrachten, und wenn man einmal sie gefunden, nie den Blick von ihr verwenden, dies ist das einzige sichere Mittel, aus ihrem heiligen Gebiet nie zu verirren, und nie das edelste Gefühl des eigenen Selbstes zu vermissen. Dies ist die innige und nothwendige, nur Thoren und Menschen trägen Sinnes unerklärte und geheimnissvolle Verbindung zwischen Thun und Schauen. Ein wahrhaft menschlich Handeln erzeugt das klare Bewusstsein der Menschheit in mir, und dies Bewusstsein lässt kein anderes als der Menschheit würdiges Handeln zu. Wer sich zu dieser Klarheit nie erheben kann, den treibt vergeblich dunkle Ahnung nur umher; vergebens wird er erzogen und gewöhnt, sinnt sich tausend hilfreiche Künste aus, und fasst Entschlüsse, um sich gewaltsam wieder hinein zu drängen in die verlassene Gemeinschaft: es öffnen sich die heiligen Schranken nicht, er bleibt auf ungeweihtem Boden, und kann nicht der gereizten Gottheit Verfolgungen entgehen, und dem schmählichen Gefühle der Verbannung aus dem Vaterlande. Eitler Tand ist's immer und leeres Beginnen, im Reich der Freiheit Regeln geben und Versuche machen. Ein einziger freier Entschluss gehört dazu ein Mensch zu sein: wer den einmal gefasst, wird es immer bleiben; wer aufhört, es zu sein, ist es nie gewesen.

Mit stolzer Freude denke ich noch der Zeit, da ich das Bewusstsein der Menschheit fand, und wusste, dass ich nun nie es mehr verlieren würde. Von innen kam die hohe Offenbarung, durch keine Tugendlehren und kein System der Weisen hervorgebracht: das lange Suchen, dem nicht dies, nicht jene genügen wollten, krönte ein heller Augenblick; die Freiheit löste die dunklen Zweifel durch die That. Ich darf es sagen, dass ich nie seitdem mich selbst verloren. Was sie Gewissen nennen, kenne ich so nicht mehr; so straft mich kein Gefühl, so braucht mich keines zu mahnen. Auch strebe ich nicht seitdem nach der und jener Tugend, und freue mich besonders dieser oder jener Handlung, wie Jene, denen nur im flüchtigen Leben einzeln und bisweilen ein zweifelhaftes Zeugniss der Vernunft erscheint. In stiller Ruhe, in wechselloser Einfalt führe ich ununterbrochen das Bewusstsein der ganzen Menschheit in mir. Gern und leichtes Herzens sehe ich oft mein Handeln im Zusammenhang, und sicher, dass ich nirgend etwas, was die Vernunft verleugnen müsste, finden werde.

Wenn dies das Einzige wäre, was ich von mir fordere: wie lange könnte ich mich zur Ruhe begeben, und vollendet das Ende suchen! Denn unerschüttert fest steht die Gewissheit, und es würde mir strafwürdige Feigheit scheinen, die mein Sinn nicht kennt, wenn ich von langer Lebenszeit erst vollere Bestätigung erwarten, und bange zweifeln wollte, ob nicht doch etwas sich ereignen könnte, was im Stande wäre, mich hinabzustürzen von der Höhe der Vernunft zu thierischer Verworrenheit und sinnlicher Vereinzelung. Aber Zweifel sind auch mir noch mitgegeben; es ward ein anderes und höheres Ziel mir vorgesteckt, als jenes erreicht war, und bald stärker, bald schwächer es im Auge habend, weiss nicht immer die Selbstbetrachtung, auf welchem Wege ich mich ihm nähere, auf welchem Punkt des Weges ich stehe, und schwankt im Urtheil. Doch wird es sicherer und bestätigt sich mehr, je öfter ich wiederkehre zur alten Untersuchung. Wäre aber auch Gewissheit mir noch so fern, ich wollte doch nur schweigend suchen und nicht klagen: denn stärker als der Zweifel ist die Freude, gefunden zu haben, was ich suchen soll, und dem gemeinen Wahn entronnen zu sein, der viele der Besseren zeitlebens täuscht, und sie verhindert, zur rechten Höhe des Lebens sich empor zu schwingen. Lange genügte es auch mir, nur die Vernunft gefunden zu haben; und die Gleichheit des Einen Daseins als das Einzige und Höchste verehrend glaubte ich, es gebe nur Ein Rechtes für jeden Fall, es müsse das Handeln in Allen dasselbe sein, und nur wiefern doch Jedem seine eigene Lage, sein eigener Ort gegeben sei, unterscheide sich Einer vom Andern. Nur in der Mannigfaltigkeit der äusseren Thaten offenbare sich verschieden die Menschheit; der innere Mensch, der Einzelne sei nicht ein eigenthümlich gebildet Wesen, sondern überall ein jeder an sich dem andern gleich.

So besinnt sich nur allmälig der Mensch, und nicht vollkommen Alle! Wenn einer die unwürdige Einzelheit des sinnlichen thierischen Lebens verschmähend das Bewusstsein der allgemeinen Menschheit gewinnt, und vor der Pflicht sich niederwirft, vermag er nicht sogleich auch zu der höheren Eigenheit der Bildung und der Sittlichkeit empor zu blicken, und die Natur, die durch die Freiheit ausgebildet, mit ihr ganz eins geworden, zu schauen und zu verstehen. In unbestimmter Mitte schwebend erhalten sich die Meisten, und zeigen zwar wirklich alle Bestandteile der Menschheit; aber wie das Gestein, dem Ruhe nicht ward noch Raum, zur eigenthümlichen Gestaltung sich zu krystallisiren, nur als rohe Masse erscheint: so alle die, welche den Gedanken der Eigenthümlichkeit des Einzelwesens nicht gefasst. Mich hat er ergriffen. Nicht lange beruhigte mich das Gefühl der Freiheit allein; ich fragte, warum doch die Persönlichkeit und die Einheit des fliessenden vergänglichen Bewusstseins in mir; und es drängte mich, ein höheres sittliches zu suchen, dessen Bedeutung sie wäre. Mir wollte nicht genügen, dass die Menschheit nur dasein sollte als eine gleichförmige Masse, die zwar äusserlich zerstückelt erschiene, doch so, dass Alles innerlich dasselbe sei. Es nahm mich Wunder, dass die besondere geistige Gestalt der Menschen ganz ohne inneren Grund auf äussere Weise nur durch Reibung und Berührung sich sollte zur zusammengehaltenen Einheit der vorübergehenden Erscheinung bilden.

So ist mir aufgegangen, was seitdem am meisten mich erhebt; so ist mir klar geworden, dass jeder Mensch auf eigene Art die Menschheit darstellen soll, in eigener Mischung ihrer Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare, und Alles wirklich werde in der Fülle des Raumes und der Zeit, was irgend Verschiedenes aus ihrem Schoosse hervorgehen kann. Mich hat vorzüglich dieser Gedanke emporgehoben und gesondert von dem Geringeren und Ungebildeten, das mich umgiebt; ich fühle mich durch ihn ein einzeln gewolltes also auserlesenes Werk der Gottheit, das besonderer Gestalt und Bildung sich erfreuen soll; und die freie That, zu der dieser Gedanke gehört, hat versammelt und innig verbunden zu einem eigenthümlichen Dasein die Elemente der menschlichen Natur. Hätte ich stets seitdem das Eigene in meinem Thun auch so bestimmt gefühlt und so beharrlich es betrachtet, wie ich immer das Menschliche in mir geschaut; wäre ich jedes Handelns und Beschränkens, das Folge ist von jener freien That, mir eigens bewusst geworden, und hätte ich unverrückt auch jeder Aeusserung der Natur bei ihrer weiteren Bildung recht zugesehen: so könnte ich auch darüber keinen Zweifel hegen, welches Gebiet der Menschheit mir angehöre, und wo von meiner Ausdehnung und meinen Schranken der gemeinschaftliche Grund zu suchen sei; den ganzen Inhalt meines Wesens müsste ich genau ermessen, auf allen Punkten meine Grenzen kennen, und prophetisch wissen, was ich noch sein und werden kann. Allein nur schwer und spät gelangt der Mensch zum vollen Bewusstsein seiner Eigentümlichkeit; nicht immer wagt er es, darauf hinzusehen, und richtet lieber das Auge auf den Gemeinbesitz der Menschheit, den er liebend und dankbar schon länger festhält, ja zweifelt oft, ob ihm gebühre, sich als eigenes Wesen wieder gewissermaassen loszureissen aus der Gemeinschaft, und ob er nicht Gefahr laufe, wieder zurückzusinken in die alte strafwürdige Beschränktheit auf den engen Kreis der äusseren Persönlichkeit, das Sinnliche verwechselnd mit dem Geistigen, und spät erst lernt er recht das höchste Vorrecht schätzen und gebrauchen. So muss das unterbrochene Bewusstsein lange schwankend bleiben; das eigenste Bestreben der Natur wird oftmals nicht bemerkt, und wenn am deutlichsten sich ihre Schranken offenbaren, gleitet das Auge nur allzu leicht oft an den Umrissen vorbei, und hält da nur das unbestimmte Gemeinsame fest, wo eben in der Verneinung sich das eigene zeigt. Zufrieden darf ich damit sein, wie weit der Wille die Trägheit schon gezähmt, und wie die Uebung den Blick geschärft, dem wenig mehr entgeht. Wo ich jetzt, was es sei, nach meinem Geist und Sinne betreibe, da stellt die Phantasie zum deutlichsten Beweise der inneren Bestimmtheit noch tausend Arten vor, wie, ohne der Menschheit Gesetze zu verletzen, anders gehandelt werden konnte, in anderem Geist und Sinn; ich denke mich in tausend Bildungen hinein, um desto deutlicher die eigene zu erblicken.

Doch weil noch nicht vollendet das Bild in allen Zügen vor mir steht, und weil noch nicht ein immer ununterbrochener Zusammenhang des hellen Selbstbewusstseins mir für seine Wahrheit bürgt, darf auch noch nicht in immer gleicher und ruhiger Haltung die Selbstbetrachtung gehen; absichtlich muss sie öfter sich das ganze Thun und Streben und die Geschichte meines Selbst vergegenwärtigen, und darf der Freunde Meinung, die ich gern ins Innere schauen lasse, nicht überhören, wenn ihre Stimme von dem eigenen Urtheil abweicht. Zwar scheine ich mir derselbe noch zu sein, der ich gewesen, als mein besseres Leben anfing, nur fester und bestimmter. Wie sollte auch wohl der Mensch, nachdem er einmal zum unabhängigen und eigenen Dasein gelangt ist, mitten im Werden und sich Bilden plötzlich eine andere Richtung nehmen in sich selbst? oder wie sollte es ihm begegnen, ohne dass er es wüsste? Was uns nicht selten so erscheint, ist doch gewiss entweder nur Schein, der auf dem Wechsel der äusseren Gegenstände beruht, oder es ist Berichtigung unserer früheren Ansicht, und enthüllt uns tiefer eines Menschen inneres Wesen, den wir vorher zu flüchtig falsch beurtheilt. Vor allem aber mich selbst habe ich entweder nie verstanden, oder ich bin noch jetzt, der ich zu sein geglaubt; und jeder scheinbare Widerspruch muss mir, wenn die Betrachtung ihn gelöst, nur um so sicherer zeigen, wo und wie die letzten Enden meines Wesens verborgen und zur Harmonie verbunden sind.

Von allen Gegensätzen im Beruf und Thun der Menschen, in denen sich zugleich die Verschiedenheit ihrer Naturen bekundet, tritt immer noch dieser mir, was mich betrifft, am stärksten entgegen. Die Menschheit in sich zu einer entschiedenen Gestalt durch wechselreiches Handeln bilden, und sie kunstreiche Werke verfertigend äusserlich so darstellen, dass jeder, was man zeigen wollte, erkennen muss, dies beides ist zu sehr zweierlei, als dass es Vielen könnte in gleichem Maasse beschieden sein. Wer freilich noch in dem äusseren Vorhof der Sittlichkeit sich aufhält, und als Neuling, aus Furcht sich zu beschränken, noch fester Bestimmung abhold ist, der wird gern beides in rohen Versuchen durch einander werfen, in beiden wenig leistend; und so schwankt auch das Leben der meisten Menschen von einer zu der anderen Seite. Doch wer schon tiefer eingedrungen ist in das Heiligthum der Sittlichkeit, wird bald dem einen vorzugsweise nachstreben, und nur sparsame Gemeinschaft bleibt ihm übrig mit dem anderen. Erst am Ende scheinen sich beide Bahnen einander wieder zu nähern, so dass beides zu vereinen nur eine solche Vollkommenheit vermag, die selten der Mensch erreicht. Wie könnte mir es zweifelhaft erscheinen, welche von beiden ich gewählt? So ganz entschieden vermied ich immer mich um das zu mühen, was den Künstler macht, so sehnsuchtsvoll ergriff ich Alles, was der eigenen Bildung frommt, und ihre Bestimmung beschleunigt und befestigt, dass hier kein Zweifel bleibt. Es jagt der Künstler von allem, was Zeichen und Symbol der Menschheit werden kann, mit ungeteilter Liebe einem nach; der wühlt den Schatz der Sprachen durch, das Chaos der Töne bildet der zur Welt; der sucht geheimen Sinn und Harmonie im schönen Farbenspiele der Natur; in jedem Werk, das sich ihnen darstellt, ergründen sie den Eindruck aller Theile, des Ganzen Zusammenfassung und Gesetz, und freuen sich des kunstreichen Gefässes mehr oft als des köstlichen Gehaltes, den es darbeut. Dann bilden sich in ihnen neue Gedanken zu neuen Werken, sie nähren heimlich sich im Gemüth und wachsen, in stiller Verborgenheit gepflegt. Es rastet nimmer der Fleiss, es wechseln Entwurf und Ausführung. Es bessert immer allmälig die Uebung unermüdet, das reifere Urtheil zügelt und bändigt die Phantasie, so geht des Künstlers bildende Natur entgegen dem Ziele der Vollkommenheit.

Mir aber hat dies Alles nur an Anderen der Sinn erspäht; doch meinem eigenen Treiben bleibt es fremd. Andächtig zwar betrachte ich gern der Künstler Werke; aber aus jedem Kunstwerk strahlet mir, was Menschliches darin ist abgebildet, weit heller als des Bildners Kunst entgegen; nur mit Mühe ergreife ich diese in späterer Betrachtung, und erkenne nur ein wenig von ihrem Wesen. Ich gebe frei mich hin der freien Natur: und wie sie ihre schönen bedeutungsvollen Zeichen mir darbeut, wecken sie alle in mir Empfindungen und Gedanken, ohne dass mich es je gewaltsam drängte, was ich geschaut umbildend anders und bestimmter zu eigenem Werke zu gestalten. Und muss ich irgend wie darstellen, niemals liegt es mir am Herzen, dem Stoff die letzte Spur des Widerstrebens wegzuglätten, das Werk bis zur Vollendung zu zwingen, wie der Künstler strebt; darum scheue ich Uebung, und wenn ich einmal in Handlung dargestellt, was in mir wohnt, so mühe ich mich nicht weiter, dass etwas schöner immer und fasslicher die That sich oft erneue. Die freie Musse ist meine liebe Göttin, da lernt im unbefangenen Sinnen der Mensch sich selbst begreifen und bestimmen, da gründet der Gedanke seine Macht, und herrscht dann leicht über Alles, wenn die Welt auch Thaten von ihm fordert. Darum darf ich auch nicht, wie der Künstler, einsam bilden; es trocknen mir in der Einsamkeit die Säfte des Gemüths, es stocket der Gedanken Lauf; ich muss hinaus in mancherlei Gemeinschaft mit den anderen Geistern, nicht nur zu schauen, wieviel es Menschliches giebt, was lange ja wohl immer mir fremd bleibt, und was hingegen mein eigen werden kann, nein auch immer fester durch Geben und Empfangen das eigene Wesen zu bestimmen. Der ungestillte Durst es weiter stets zu bilden verstattet nicht, dass ich der That, der Mittheilung des Innern, auch äussere Vollendung gebe; ich stelle die Handlung und die Rede hin in die Welt, es kümmert mich nicht, ob Schauende und Hörer mit ihrem Sinn durchdringen durch die rauhe Schale, ob sie den innersten Gedanken, den eigenen Geist auch in der unvollkommeneren Darstellung glücklich finden. Mir bleibt nicht Zeit, nicht Lust darnach zu fragen; fort muss ich von der Stelle, wo ich stand, durch neues Thun und Denken im kurzen Leben noch das eigene Wesen, so weit es möglich, zu vollenden. Schon zweimal zu wiederholen hasse ich, ein unkünstlerisch Gemüth. Darum mag ich Alles gern in Gemeinschaft treiben: beim inneren Denken, beim Anschauen, beim Aneignen des Fremden bedarf ich irgend eines geliebten Wesens Gegenwart, dass gleich an die innere That sich reihe die Mittheilung, und durch die süsse und leichte Gabe der Freundschaft ich mich leicht abfinde mit der Welt. So war es, so ist es, und noch bin ich so fern von meinem Ziele, dass ich es aufgebe, jemals darüber hinaus zu kommen. Wohl habe ich Recht, was auch die Freunde sagen, mich auszuschliessen aus dem heiligen Gebiet der Künstler. Gern sage ich Allem ab, was sie mir liehen, wenn ich nur in dem Felde, wo ich mich hingestellt, mich weniger unvollendet finde.

So öffne sich denn noch einmal meiner prüfenden Betrachtung das weit verbreitete Gebiet der Menschheit, das die bewohnen, die nur in sich hinein zu wirken trachten, nicht ausser sich ein bleibend Werk hervorzubringen, die nur den Geist durch Alles, was sie umgiebt, zu nähren bedacht, und dann zufrieden sind, in wechselreichem Thun sich darzustellen, wie es Zeit und Ort ergiebt. Hier will ich schauen, ob mir ein eigener Platz gebührt, ob nicht; ob in mir ist, was sich zusammenreimt, oder ob ein innerer Widerspruch verhindert, dass die Zeichnung sich nicht schliessen kann, und bald als ein verunglückter Entwurf mein eigenes Wesen, statt die Vollendung zu erreichen, sich auflöst in ein leeres Nichts. O nein, ich darf nicht fürchten, es erhebt sich kein traurig ahnendes Gefühl im Innern des Gemüths! ich erkenne, wie Alles in einander greift, ein wahres Ganzes zu bilden, ich fühle keinen fremden Bestandtheil, der mich drückt, auch fehlt mir kein Organ, kein edles Glied zum eigenen Leben. Wer sich zu einem bestimmten Wesen bilden will, dem muss der Sinn geöffnet sein für Alles, was er nicht ist. Auch hier im Gebiet der höchsten Sittlichkeit regiert dieselbe genaue Verbindung zwischen Thun und Schauen. Nur wenn der Mensch im gegenwärtigen Handeln sich seiner Eigenheit bewusst ist, kann er sicher sein, sie auch im künftigen nicht zu verletzen; und nur wenn er von sich beständig fordert, die ganze Menschheit anzuschauen, und jeder anderen Darstellung von ihr sich und die seine vergleichend gegenüber zu stellen, kann er das Bewusstsein seiner Selbstheit erhalten: denn nur durch Entgegensetzung wird das Einzelne erkannt. Die erste Bedingung der eigenen Vollendung im bestimmten Kreise ist allgemeiner Sinn, und dieser, wie könnte er wohl bestehen ohne Liebe? Schon im ersten Versuch sich so zu bilden, müsste das furchtbare Missverhältniss zwischen Geben und Empfangen bald das Gemüth zerrütten, und weit hinaus es treiben aus der Bahn, und den, der so ein eigenes Wesen werden wollte, ganz zertrümmern, oder zur Gemeinheit ihn herunterstürzen. Ja, Liebe, du Anziehungskraft der geistigen Welt! Kein eigenes Leben und keine Bildung ist möglich ohne dich, ohne dich müsste Alles in gleichförmige rohe Masse zerfliessen! Die freilich weiter nichts als solche zu sein begehren, bedürfen deiner nicht; ihnen genügt Gesetz und Pflicht, gleichmässiges Handeln und Gerechtigkeit. Ein unbrauchbares Kleinod wäre ihnen das heilige Gefühl. Darum lassen sie auch das Wenige, was ihnen davon gegeben ist, nur ungebaut verwildern; und das Heilige verkennend, werfen sie es sorglos mit ein in das gemeine Gut der Menschheit, das nach Einem Gesetz verwaltet werden soll. Uns aber bist du das Erste wie das Letzte. Keine Bildung ohne Liebe, und ohne eigene Bildung keine Vollendung in der Liebe; Eins das Andere ergänzend, wächst beides unzertrennlich fort. Vereint finde ich in mir die beiden grossen Bedingungen der Sittlichkeit! Ich habe Sinn und Liebe zu eigen mir gemacht, und immer weiter noch entwickeln beide sich, zum sicheren Zeugniss, dass frisch und gesund das Leben sei, und dass noch fester die eigene Bildung werde. Was ist es, wofür mein Sinn verschlossen wäre? Die Freunde, welche jeden begabten Freund so gern zum Meister und Künstler in der Wissenschaft erheben möchten, klagen genug, dass keine Beschränkung von mir zu gewinnen sei, dass jede Hoffnung trüge, wenn es einmal scheint, als wollte ich alles Ernstes ausschliessend mich zu einer Sache begeben: denn wenn ich eine Ansicht mir errungen, so eile nach gewohnter Weise der flüchtige Geist bald wieder zu anderen Gegenständen fort. O möchten sie doch einmal mir Ruhe gönnen und begreifen, wie nicht anders meine Bestimmung ist, und wie sehr mir es in der Ferne liegen muss, im Einzelnen die Wissenschaft zu bilden, weil meine Sorge nur ist, freilich auch durch Wissen, mich selbst zu bilden, gleichgültig, ob sich gar nicht oder spät vielleicht auch jenes noch ergiebt. Vergönnten sie mir doch den Sinn für Alles, was sie geschäftig thun und treiben, mir offen zu erhalten, und möchten sie, was durch das Anschauen ihres Thuns ich in mir bilde, doch auch für etwas achten, das ihrer Mühe werth gewesen sei. Diese nun zeugen durch ihre Klagen für mich: aber ihnen entgegen klagen Andere, die, zwar verschiedener Natur, dennoch gleich mir in aller menschlichen Dinge Inneres einzudringen streben, es sei im Grunde beschränkt mein Sinn; ich vermöchte es über mich, gleichgiltig vor vielem Heiligen vorüberzugehen, und durch eitle Streitsucht den unbefangenen tiefen Blick mir zu verderben. Ja, ich gehe vor Vielem noch vorüber, aber gleichgiltig nicht; ich streite, ja, doch nur, um unbefangen den Blick mir zu erhalten. So und nicht anders muss ich thun nach meiner Art, bestrebt, gleichmässig mir den Sinn zu füllen und zu erweitern. Wo sich mir das Gefühl von etwas, das im Gebiet der Menschheit mir noch unbekannt ist, aufdringt, da ist mein Erstes, zu streiten, nicht ob es sei, nur dass es nicht das, und das allein sei, wofür es der mir giebt, durch den ich es zuerst erblickte. Es fürchtet der spät erwachte Geist, erinnernd, wie lange er fremdes Joch getragen, immer wieder aufs Neue die Herrschaft fremder Meinung; und wo in neuen Gegenständen ein unerforschtes Leben sich ihm enthüllt, da rüstet er sich erst, die Waffen in der Hand, sich Freiheit zu erringen, um nicht in des fremden Einflusses Knechtschaft ein jedes wieder wie das Erste zu beginnen. Habe ich so die eigene Ansicht mir erst gewonnen, dann ist die Zeit des Streites vorüber; ich lasse gern jede neben der meinigen bestehen, und der Sinn vollendet friedlich das Geschäft, sich jede zu deuten, und in ihren Standpunkt einzudringen.

So ist, was oft Beschränkung des Sinnes scheint zu sein, in Wahrheit nur seine erste Regung. Oft hat sie freilich sich äussern müssen in dieser schönen Periode des Lebens, wo so vieles Neue mich berührt, wo manches mir im hellen Lichte erschien, was ich bisher nur dunkel geahndet, wofür ich nur den Raum mir leer gelassen hatte! Oft hat sie feindlich die berühren müssen, die mir der neuen Einsicht Quelle waren. Gelassen habe ich es angesehen, vertrauend, dass auch sie es einst verstehen werden, wenn tiefer erst ihr Sinn in mich wird eingedrungen sein. So haben mich auch oft die Freunde nicht verstanden, wenn ich nicht streitend aber antheilnehmend ruhig vor dem vorüberging, was sie mit Wärme und frischem Eifer rasch umfassten. Nicht alles kann auf einmal der Sinn ergreifen, vergeblich ist es, in einer einzigen Handlung sein Geschäft vollenden wollen; unendlich geht es in zwiefacher Richtung immer fort, und Jeder muss seine Weise haben, wie er beides vereint, um so das Ganze zu vollbringen. Mir ist es versagt, wenn etwas Neues das Gemüth berührt, mit heftigem Feuer gleich ins Innerste der Sache zu dringen, und bis zur Vollendung sie zu kennen. Ein solches Verfahren ziemt der Gleichmuth nicht, die von meines Wesens Harmonie der Grundton ist. Heraus aus meines Lebens Mitte würde es mich werfen, mir irgend etwas so zu vereinzeln; und in dem Einen mich vertiefend, würde ich nur das Andere mir entfremden, ohne Jenes doch als mein wahres Eigenthum zu haben. Niederlegen muss ich erst jede neue Erwerbung im Innern des Gemüths, und dann das gewohnte Spiel des Lebens mit seinem mannigfaltigen Thun forttreiben, das sich mit dem Alten das Neue erst mische, und Berührungspunkte gewinne mit Allem, was schon in mir war. Nur so gelingt es mir, allmälig eine tiefere und innigere Anschauung mir zu bereiten; es muss der Wechsel zwischen Betrachtung und Gebrauch gar oft sich wiederholen, ehe ich etwas ganz durchdrungen und ergründet zu haben mich erfreuen mag. So und nicht anders darf ich zu Werke gehen, wenn nicht mein inneres Wesen verletzt soll werden, weil in mir Selbstbildung und Thätigkeit des Sinnes möglichst in jeglichem Momente das Gleichgewicht sich halten sollen. Nur langsam schreite ich also fort, und langes Leben kann mir gewährt sein, ehe ich Alles in gleichem Grade umfasst: doch weniger als Andere habe ich auch zurückzunehmen; denn was ich so aufgefasst, ist mir auch eigen, mit meinem Stempel bezeichnet; und wieviel meinem Sinne vergönnt wird zu ergreifen von der Welt, das wird auf diesem Wege in mir durchgebildet werden und in mein Wesen übergehen.

O wie viel reicher ist es schon geworden! welches frohe Bewusstsein des erworbenen Werthes, welch erhöhtes Gefühl des eigenen Lebens und Daseins krönt mir die Selbstbetrachtung beim Blick auf den Gewinn so vieler schönen Tage! Nicht war vergebens die stille Thätigkeit, die ungeschäftig müssiges Leben von aussen scheint; kräftig hat sie das innere Werk der Bildung gefördert. Dies wäre nicht so weit gediehen bei mancherlei verwickelt buntem Verkehr und Treiben, das meiner Natur nicht angemessen, noch minder bei erzwungener Beschränkung meines Sinnes. Darum kann ich nur beklagen, dass des Menschen inneres Wesen so misskannt werden kann von denen selbst, die wohl es überall zu kennen vermöchten und verdienten; dass doch auch ihrer so viele nicht von der äusseren That zur inneren Bewegung durchdringen mit ihrem Blick, oder diese eben wie jene im Einzelnen aus abgerissenen Stücken zu erkennen meinen, und deshalb, auch wo Alles übereinstimmt, Widersprüche ahnen! Ist denn der eigene Charakter meines Wesens so schwer zu finden? Versagt mir diese Schwierigkeit auf immer den liebsten Wunsch meines Herzens sich allen Würdigen mehr und mehr zu offenbaren? Ja, auch jetzt, indem ich tief in mein Inneres schaue, bestätigt sich aufs Neue mir, dass dies der Trieb sei, der am stärksten mich bewegt. So ist es, wie oft auch mir gesagt wird, ich sei verschlossen und stosse der Liebe und Freundschaft heiliges Anerbieten oft kalt zurück. Wohl dünkt mich niemals nöthig von dem, was ich gethan, was mir geschehen ist, zu reden; zu unbedeutend achte ich Alles, was an mir der Welt gehört, als dass ich den damit verweilen sollte, den ich das Innere gern erkennen liesse. Auch rede ich nicht von dem, was nur noch dunkel und ungebildet in mir liegt, und noch der Klarheit mangelt, die es erst zum Meinigen macht. Wie sollte ich eben das dem Freund entgegen tragen, was mir noch nicht gehört? warum ihm dadurch, was ich schon wirklich bin, verbergen? wie sollte ich hoffen, ohne Missverstand das mitzutheilen, was ich selbst noch nicht verstehe? Solche Vorsicht ist nicht Verschlossenheit und Mangel an Liebe; sie ist nur heilige Ehrfurcht, ohne welche die Liebe nichts ist; ist zarte Sorgfalt, das Höchste nicht zu entweihen noch in Verwirrung zu verstricken. So bald ich etwas Neues mir angeeignet, an Bildung und Selbständigkeit hier und dort gewonnen: eile ich dann nicht in Wort und That, dem Freund es zu verkünden, dass er die Freude mit mir theile, und meines inneren Lebens Wachsthum wahrnehmend selbst gewinne? Wie mich selbst liebe ich den Freund: sobald ich etwas für mein erkenne, gebe ich es ihm hin. So nehme ich freilich auch an dem, was er thut und was ihm geschieht, nicht immer so grossen Antheil, als die meisten, die sich Freunde nennen. Sein äusseres Handeln, wenn ich das Innere, aus dem es herfliesst, schon verstehe, und weiss, dass es so sein muss, weil er so ist, wie er ist, lässt mich gar unbesorgt und ruhig. Es hat als That mit meiner Liebe wenig zu schaffen, es gewährt ihr nicht so viel Nahrung, noch regt es mir so sehr Bewunderung und Freude auf, als denen die minder vorher das Innere des Handelnden verstanden. Auch als Ereigniss spannt es mir weniger die Erwartung, als denen, für die alles hängt an Glück und an Erfolg; der Welt gehört es, und unter der Notwendigkeit Gesetze muss es sich fügen mit Allem, was daraus folgt, und was nun folgt, was dem Freund geschieht, er wird es schon mit Freiheit seiner würdig zu behandeln wissen. Das Andere kümmert mich nichts, ich sehe ruhig seinem Schicksal wie dem meinem zu. Wer achtet das für kalte Gleichgültigkeit? Es ist die Frucht nur jenes hellen Bewusstseins davon, was an jedem Menschen er selbst ist, und was der Welt ausser ihm gehört, jenes Bewusstseins, wonach ich Überall mich selbst behandle, worauf die Achtung gegen mich und das Gefühl der Freiheit ruht: soll ich ihm minder folgen in dem, was den Freund betrifft, als was mich selbst?

Das ist es, dessen ich mich hoch erfreue, dass meine Liebe und Freundschaft nie unedlen Ursprungs sind, nie auf des Geliebten sinnlich Wohlergehen gerichtet, mit keiner gemeinen Empfindung je gemischt, nie der Gewohnheit, nie des weichen Sinnes, noch minder störriger Parteisucht Werk, immer der Freiheit reinste That, und auf das eigene innerste Sein des Menschen allein gerichtet. Verschlossen war ich immer jenen gemeinen Gefühlen; nie hat mir Wohlthat Freundschaft abgelockt, nie Schönheit Liebe, nie hat das Mitleid mich so befangen, dass es dem Unglück Verdienst geliehen, und den Leidenden mir anders und besser dargestellt; nie Uebereinstimmung im Einzelnen mich so ergriffen, dass ich mich über die Verschiedenheit des tiefsten Innern je getäuscht. So war für wahre Liebe und Freundschaft freier Raum gelassen im Gemüth, und nimmer weicht die Sehnsucht, ihn reicher stets und mannigfaltiger auszufüllen. Wo ich Anlage merke zur Eigenthümlichkeit, weil Sinn und Liebe, die hohen Bürgen, da sind, da ist auch für mich ein Gegenstand der Liebe. Jedes eigene Wesen möchte ich mit Liebe umfassen, von der unbefangenen Jugend an, in der die Freiheit erst keimt, bis zur reifsten Vollendung der Menschheit; jedes, das ich so erblicke, begrüsse ich in mir mit der Liebe Gruss, wenn auch die That nur angedeutet bleibt, weil mehr nicht als ein flüchtiges Begegnen uns vergönnt wird. Auch messe ich nie nach irgend einem weltlichen Maassstab, nach der äusseren Ansicht des Menschen ihm Freundschaft zu. Weit überfliegt Welt und Zeit der Blick, und sucht die innere Grösse des Menschen auf. Ob schon jetzt sein Sinn viel oder wenig hat umfasst, wie weit er in der eigenen Bildung fortgerückt, wie viel er Werke vollendet oder sonst gethan, das darf mich nicht bestimmen, und leicht kann ich mich trösten, wenn es fehlt. Sein eigenthümlich Sein und das Verhältniss desselben zur gesammten menschlichen Natur, das ist es, was ich suche: so viel ich jenes finde und dieses verstehe, so viel Liebe habe ich für ihn; allein beweisen kann ich freilich ihm nur so viel, als er auch mich versteht. Deshalb, ach, ist sie so oft mir unbegriffen zurückgekehrt! des Herzens Sprache wurde nicht vernommen, gleich als wäre ich stumm geblieben; und Jene meinten auch, ich wäre stumm.

In nahen Bahnen wandeln oft die Menschen, und kommen doch nicht einer in des andern Nähe; vergebens ruft der ahnungsreiche und den nach freundlicher Begegnung verlangt: es horcht der Andere nicht. Oft nähern Andere sich einander, deren Bahnen weit aus einander gehen; es meint der Eine wohl, es sei für immer, doch ist es nur ein Moment; entgegengesetzte Bewegung reisst Jeden fort, und Keiner begreift, wo ihm der Andere hingekommen. So ist es meiner Sehnsucht nach Liebe oft ergangen; wäre es schmählich nicht, wenn sie nicht endlich reif geworden, die allzu leichte Hoffnung geflohen wäre, und ahnungsreiche Weisheit eingekehrt? »So viel wird der von Dir verstehen, und Jener jenes; mit dieser Liebe magst du den umfassen, halte sie gegen Jenen doch zurück!« so ruft mir Mässigung oft zu, doch oft vergebens. Es lässt der innere Drang des Herzens nicht der Klugheit Raum; viel weniger, dass die stolze Anmaassung ich hegte, den Menschen und ihrem Sinn für mich und meine Liebe Schranken zu setzen. Mehr setze ich immer voraus, versuche stets aufs Neue, und werde der Habsucht gleich gestraft, oft im Versuch verlierend, was ich hatte. Doch es kann nicht anders dem Menschen, der sich eigen bildet, ergehen; und dass es so mir geht, ist nur der sicherste Beweis, dass ich mich eigen bilde. Je mehr ins Allgemeine strebt der Sinn, von desto mehreren Kreisen fühlt auch, wer sich bildet, sich angezogen, und die auf einen davon beschränkt sind, wähnen dann, der Theilnehmende sei der ihrigen einer. Je mehr sich Alles eigen gestaltet in mir, um desto mehr gehört auch allgemeiner Sinn dazu, und freie Liebe zu fremdartiger Bildung, wenn Einer auf die Dauer mich soll verstehen und lieben. Wie man es von Kometen wohl geglaubt, verbindet der Gebildete gar viele Weltsysteme, bewegt um manche Sonne sich. Jetzt erblickt ihn freudig ein Gestirn, es strebt ihn zu erkennen, und freundlich beugt er nähernd sich heran; dann sieht es ihn wieder in fernen Räumen, verändert scheint ihm die Gestalt, es zweifelt, ob er noch derselbe sei. Er aber kehrt wieder im raschen Lauf, begegnet ihm wieder mit Liebe und Freundschaft. Wo ist das schöne Ideal vollkommener Vereinigung? die Freundschaft, die gleich vollendet auf beiden Seiten ist? Nur wenn in gleichem Maasse Beiden Sinn und Liebe fast über alles Maass hinaus gewachsen sind. Dann aber sind mit der Liebe zugleich auch sie vollendet, und es schlüge dann gewiss die Stunde, die wohl Allen schon früher hat geschlagen! -- der Unendlichkeit sich wieder zu geben, und in ihren Schooss zurückzukehren aus der Welt.


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