Friedrich Schiller
Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände
Friedrich Schiller

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Friedrich Schiller

Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände.[Dieser Aufsatz erschien zuerst im fünften Stück der neuen Thalia vom Jahre 1793.]

Alle Eigenschaften der Dinge, wodurch sie ästhetisch werden können, lassen sich unter viererlei Klassen bringen, die sowohl nach ihrer objektiven Verschiedenheit, als nach ihrer verschiedenen subjektiven Beziehung, auf unser leidendes oder thätiges Vermögen ein nicht bloß der Stärke, sondern auch dem Werth nach verschiedenes Wohlgefallen wirken und für den Zweck der schönen Künste auch von ungleicher Brauchbarkeit sind; nämlich das Angenehme, das Gute, das Erhabene und das Schöne. Unter diesen ist das Erhabene und Schöne allein der Kunst eigen. Das Angenehme ist ihrer nicht würdig, und das Gute ist wenigstens nicht ihr Zweck; denn der Zweck der Kunst ist, zu vergnügen, und das Gute, sei es theoretisch oder praktisch, kann und darf der Sinnlichkeit nicht als Mittel dienen.

Das Angenehme vergnügt bloß die Sinne und unterscheidet sich darin von dem Guten, welches der bloßen Vernunft gefällt. Es gefällt durch seine Materie, denn nur der Stoff kann den Sinn afficieren und alles, was Form ist, nur der Vernunft gefallen.

Das Schöne gefällt zwar durch das Medium der Sinne, wodurch es sich vom Guten unterscheidet, aber es gefällt durch seine Form der Vernunft, wodurch es sich vom Angenehmen unterscheidet. Das Gute, kann man sagen, gefällt durch die bloße vernunftgemäße Form, das Schöne durch vernunftähnliche Form, das Angenehme durch gar keine Form. Das Gute wird gedacht, das Schöne betrachtet, das Angenehme bloß gefühlt. Jenes gefällt im Begriff, das zweite in der Anschauung, das dritte in der materiellen Empfindung.

Der Abstand zwischen dem Guten und dem Angenehmen fällt am meisten in die Augen. Das Gute erweitert unsere Erkenntniß, weil es einen Begriff von seinem Objekt verschafft und voraussetzt; der Grund unsers Wohlgefallens liegt in dem Gegenstand, wenn gleich das Wohlgefallen selbst ein Zustand ist, in dem wir uns befinden. Das Angenehme hingegen bringt gar kein Erkenntniß seines Objekts hervor und gründet sich auch auf keines. Es ist bloß dadurch angenehm, daß es empfunden wird, und sein Begriff verschwindet gänzlich, sobald wir uns die Affektibilität der Sinne hinwegdenken, oder sie auch nur verändern. Einem Menschen, der Frost empfindet, ist eine warme Luft angenehm; eben dieser Mensch aber wird in der Sommerhitze einen kühlenden Schatten suchen. In beiden Fällen aber, wird man gestehen, hat er richtig geurtheilt. Das Objektive ist von uns völlig unabhängig, und was uns heute wahr, zweckmäßig, vernünftig vorkommt, wird uns (vorausgesetzt, daß wir heute richtig geurtheilt haben) auch in zwanzig Jahren eben so erscheinen. Unser Urtheil über das Angenehme ändert sich ab, so wie sich unsere Lage gegen sein Objekt verändert. Es ist also keine Eigenschaft des Objekts, sondern entsteht erst aus dem Verhältniß eines Objekts zu unsern Sinnen – denn die Beschaffenheit des Sinnes ist eine nothwendige Bedingung desselben.

Das Gute hingegen ist schon gut, ehe es vorgestellt und empfunden wird. Die Eigenschaft, durch die es gefällt, besteht vollkommen für sich selbst, ohne unser Subjekt nöthig zu haben, wenn gleich unser Wohlgefallen an demselben auf einer Empfänglichkeit unsers Wesens ruht. Das Angenehme, kann man daher sagen, ist nur, weil es empfunden wird; das Gute hingegen wird empfunden, weil es ist.

Der Abstand des Schönen von dem Angenehmen fällt, so groß er auch übrigens ist, weniger in die Augen. Es ist darin dem Angenehmen gleich, daß es immer den Sinnen muß vorgehalten werden, daß es nur in der Erscheinung gefällt. Es ist ihm ferner darin gleich, daß es keine Erkenntniß von seinem Objekt verschafft noch voraussetzt. Es unterscheidet sich aber wieder sehr von dem Angenehmen, weil es durch die Form seiner Erscheinung, nicht durch die materielle Empfindung gefällt. Es gefällt zwar dem vernünftigen Subjekt bloß, insofern dasselbe zugleich sinnlich ist; aber es gefällt auch dem sinnlichen nur, insofern dasselbe zugleich vernünftig ist. Es gefällt nicht bloß dem Individuum, sondern der Gattung, und ob es gleich nur durch seine Beziehung auf sinnlich-vernünftige Wesen Existenz erhält, so ist es doch von allen empirischen Bestimmungen der Sinnlichkeit unabhängig, und es bleibt dasselbe, auch wenn sich die Privatbeschaffenheit der Subjekte verändert. Das Schöne hat also eben das mit dem Guten gemein, worin es von dem Angenehmen abweicht, und geht eben da von dem Guten ab, wo es sich dem Angenehmen nähert.

Unter dem Guten ist dasjenige zu verstehen, worin die Vernunft eine Angemessenheit zu ihren, theoretischen oder praktischen, Gesetzen erkennt. Es kann aber der nämliche Gegenstand mit der theoretischen Vernunft vollkommen zusammenstimmen, und doch der praktischen im höchsten Grad widersprechend sein. Wir können den Zweck einer Unternehmung mißbilligen, und doch die Zweckmäßigkeit in derselben bewundern. Wir können die Genüsse verachten, die der Wollüstling zum Ziel seines Lebens macht, und doch seine Klugheit in der Wahl der Mittel und die Consequenz seiner Grundsätze loben. Was uns bloß durch seine Form gefällt, ist gut, und es ist absolut und ohne Bedingung gut, wenn seine Form zugleich auch sein Inhalt ist. Auch das Gute ist ein Objekt der Empfindung, aber keiner unmittelbaren, wie das Angenehme, und auch keiner gemischten, wie das Schöne. Es erregt nicht Begierde, wie das erste, und nicht Neigung, wie das zweite. Die reine Vorstellung des Guten kann nur Achtung einflößen.

Nach Festsetzung des Unterschiedes zwischen dem Angenehmen, dem Guten und dem Schönen leuchtet ein, daß ein Gegenstand häßlich, unvollkommen, ja sogar moralisch verwerflich und doch angenehm sein, doch den Sinnen gefallen könne; daß ein Gegenstand die Sinne empören und doch gut sein, doch der Vernunft gefallen könne; daß ein Gegenstand seinem innern Wesen nach das moralische Gefühl empören und doch in der Betrachtung gefallen, doch schön sein könne. Die Ursache ist, weil bei allen diesen verschiedenen Vorstellungen ein anderes Vermögen des Gemüths und auf eine andere Art interessiert ist.

Aber hiermit ist die Classification der ästhetischen Prädikate noch nicht erschöpft; denn es gibt Gegenstände, die zugleich häßlich, den Sinnen widrig und schrecklich, unbefriedigend für den Verstand, und in der moralischen Schätzung gleichgültig sind, und die doch gefallen, ja, die in so hohem Grad gefallen, daß wir gerne das Vergnügen der Sinne und des Verstandes aufopfern, um uns den Genuß derselben zu verschaffen.

Nichts ist reizender in der Natur als eine schöne Landschaft in der Abendröthe. Die reiche Mannigfaltigkeit und der milde Umriß der Gestalten, das unendlich wechselnde Spiel des Lichts, der leichte Flor, der die fernen Objekte umkleidet – alles wirkt zusammen, unsere Sinne zu ergötzen. Das sanfte Geräusch eines Wasserfalls, das Schlagen der Nachtigallen, eine angenehme Musik soll dazu kommen, unser Vergnügen zu vermehren. Wir sind aufgelöst in süße Empfindungen von Ruhe, und indem unsere Sinne von der Harmonie der Farben, der Gestalten und Töne auf das angenehmste gerührt werden, ergötzt sich das Gemüth an einem leichten und geistreichen Ideengang und das Herz an einem Strom von Gefühlen.

Auf einmal erhebt sich ein Sturm, der den Himmel und die ganze Landschaft verfinstert, der alle andern Töne überstimmt oder schweigen macht und uns alle jene Vergnügungen plötzlich raubt. Pechschwarze Wolken umziehen den Horizont, betäubende Donnerschläge fallen nieder, Blitz folgt auf Blitz, und unser Gesicht wie unser Gehör wird auf das widrigste gerührt. Der Blitz leuchtet nur, um uns das Schreckliche der Nacht desto sichtbarer zu machen; wir sehen, wie er einschlägt, ja wir fangen an zu fürchten, daß er auch uns treffen möchte. Nichtsdestoweniger werden wir glauben, bei dem Tausch eher gewonnen als verloren zu haben, diejenigen Personen ausgenommen, denen die Furcht alle Freiheit des Urtheils raubt. Wir werden von diesem furchtbaren Schauspiel, das unsere Sinne zurückstößt, von einer Seite mit Macht angezogen und verweilen uns bei demselben mit einem Gefühl, das man zwar nicht eigentliche Lust nennen kann, aber der Lust oft weit vorzieht. Nun ist aber dieses Schauspiel der Natur eher verderblich als gut (wenigstens hat man gar nicht nöthig, an die Nutzbarkeit eines Gewitters zu denken, um an dieser Naturerscheinung Gefallen zu finden), es ist eher häßlich als schön, denn Finsterniß kann als Beraubung aller Vorstellungen, die das Licht verschafft, nie gefallen, und die plötzliche Lufterschütterung durch den Donner, so wie die plötzliche Lufterleuchtung durch den Blitz widersprechen einer nothwendigen Bedingung aller Schönheit, die nichts Abruptes, nichts Gewaltsames verträgt. Ferner ist diese Naturerscheinung den bloßen Sinnen eher schmerzhaft als annehmlich, weil die Nerven des Gesichts und des Gehörs durch die plötzliche Abwechslung von Dunkelheit und Licht, von dem Knallen des Donners zur Stille peinlich angespannt und dann eben so gewaltsam wieder erschlafft werden. Und trotz allen diesen Ursachen des Mißfallens ist ein Gewitter für Den, der es nicht fürchtet, eine anziehende Erscheinung.

Ferner. Mitten in einer grünen und lachenden Ebene soll ein unbewachsener wilder Hügel hervorragen, der dem Auge einen Theil der Aussicht entzieht. Jeder wird diesen Erdhaufen hinweg wünschen, als etwas, das die Schönheit der ganzen Landschaft verunstaltet. Nun lasse man in Gedanken diesen Hügel immer höher und höher werden, ohne das Geringste an seiner übrigen Form zu verändern, so daß dasselbe Verhältniß zwischen seiner Breite und Höhe auch noch im Großen beibehalten wird. Anfangs wird das Mißvergnügen über ihn zunehmen, weil ihn seine zunehmende Größe nur bemerkbarer, nur störender macht. Man fahre aber fort, ihn bis über die doppelte Höhe eines Thurmes zu vergrößern, so wird das Mißvergnügen über ihn sich unmerklich verlieren und einem ganz andern Gefühle Platz machen. Ist er endlich so hoch hinaufgestiegen, daß es dem Auge beinahe unmöglich wird, ihn in ein einziges Bild zusammen zu fassen, so ist er uns mehr werth, als die ganze schöne Ebene um ihn her, und wir würden den Eindruck, den er auf uns macht, ungern mit einem andern noch so schönen vertauschen. Nun gebe man in Gedanken diesem Berg eine solche Neigung, daß es aussieht, als wenn er alle Augenblicke herab stürzen wollte, so wird das vorige Gefühl sich mit einem andern vermischen; Schrecken wird sich damit verbinden, aber der Gegenstand selbst wird nur desto anziehender sein. Gesetzt aber, man könnte diesen sich neigenden Berg durch einen andern unterstützen, so würde sich der Schrecken und mit ihm ein großer Theil unsers Wohlgefallens verlieren. Gesetzt ferner, man stellte dicht an diesen Berg vier bis fünf andere, davon jeder um den vierten oder fünften Theil niedriger wäre als der zunächst auf ihn folgende, so würde das erste Gefühl, das uns seine Größe einflößte, merklich geschwächt werden – etwas Aehnliches würde geschehen, wenn man den Berg selbst in zehn oder zwölf gleichförmige Absätze theilte; auch wenn man ihn durch künstliche Anlagen verzierte. Mit diesem Berge haben wir nun anfangs keine andere Operation vorgenommen, als daß wir ihn, ganz wie er war, ohne seine Form zu verändern, größer machten, und durch diesen einzigen Umstand wurde er aus einem gleichgültigen, ja sogar widerwärtigen Gegenstand in einen Gegenstand des Wohlgefallens verwandelt. Bei der zweiten Operation haben wir diesen großen Gegenstand zugleich in ein Objekt des Schreckens verwandelt und dadurch das Wohlgefallen an seinem Anblick vermehrt. Bei den übrigen damit vorgenommenen Operationen haben wir das Schreckenerregende seines Anblicks vermindert und dadurch das Vergnügen geschwächt. Wir haben die Vorstellung seiner Größe subjektiv verringert, theils dadurch, daß wir die Aufmerksamkeit des Auges zertheilten, theils dadurch, daß wir demselben in den daneben gestellten kleinern Bergen ein Maß verschafften, womit es die Größe des Berges desto leichter beherrschen konnte. Größe und Schreckbarkeit können also in gewissen Fällen für sich allein eine Quelle von Vergnügen abgeben.

Es gibt in der griechischen Fabellehre kein fürchterlicheres und zugleich häßlicheres Bild als die Furien oder Erinyen, wenn sie aus dem Orkus hervorsteigen, einen Verbrecher zu verfolgen. Ein scheußlich verzerrtes Gesicht, hagere Figuren, ein Kopf, der statt der Haare mit Schlangen bedeckt ist, empören unsere Sinne eben so sehr, als sie unsern Geschmack beleidigen. Wenn aber diese Ungeheuer vorgestellt werden, wie sie den Muttermörder Orestes verfolgen, wie sie die Fackel in ihren Händen schwingen und ihn rastlos von einem Orte zum andern jagen, bis sie endlich, wenn die zürnende Gerechtigkeit versöhnt ist, in den Abgrund der Hölle verschwinden, so verweilen wir mit einem angenehmem Grausen bei dieser Vorstellung. Aber nicht bloß die Gewissensangst eines Verbrechers, welche durch die Furien versinnlicht wird, selbst seine pflichtwidrigen Handlungen, der wirkliche Actus eines Verbrechens, kann uns in der Darstellung gefallen. Die Medea des griechischen Trauerspiels, Klytemnestra, die ihren Gemahl ermordet, Orest, der seine Mutter tödtet, erfüllen unser Gemüth mit einer schauerlichen Lust. Selbst im gemeinen Leben entdecken wir, daß uns gleichgültige, ja selbst widrige und abschreckende Gegenstände zu interessieren anfangen, sobald sie sich entweder dem Ungeheuren oder dem Schrecklichen nähern. Ein ganz gemeiner und unbedeutender Mensch fängt an, uns zu gefallen, sobald eine heftige Leidenschaft, die seinen Werth nicht im Geringsten erhöht, ihn zu einem Gegenstand der Furcht und des Schreckens macht; so wie ein gemeiner, nichtssagender Gegenstand für uns eine Quelle der Lust wird, sobald wir ihn so vergrößern, daß er unser Fassungsvermögen zu überschreiten droht. Ein häßlicher Mensch wird noch häßlicher durch den Zorn, und doch kann er im Ausbruch dieser Leidenschaft, sobald sie nicht ins Lächerliche, sondern ins Furchtbare verfällt, gerade noch den meisten Reiz für uns haben. Selbst bis zu den Thieren herab gilt diese Bemerkung. Ein Stier am Pfluge, ein Pferd am Karren, ein Hund sind gemeine Gegenstände; reizen wir aber den Stier zum Kampfe, setzen wir das ruhige Pferd in Wuth, oder sehen wir einen wüthenden Hund, so erheben sich diese Thiere zu ästhetischen Gegenständen, und wir fangen an, sie mit einem Gefühle zu betrachten, das an Vergnügen und Achtung grenzt. Der allen Menschen gemeinschaftliche Hang zum Leidenschaftlichen, die Macht der sympathetischen Gefühle, die uns in der Natur zum Anblick des Leidens, des Schreckens, des Entsetzens hintreibt, die in der Kunst so viel Reiz für uns hat, die uns in das Schauspielhaus lockt, die uns an den Schilderungen großer Unglücksfälle so viel Geschmack finden läßt – alles dies beweist für eine vierte Quelle von Lust, die weder das Angenehme, noch das Gute, noch das Schöne zu erzeugen im Stand sind.

Alle bisher angeführten Beispiele haben etwas Objektives in der Empfindung, die sie bei uns erregen, mit einander gemein. In allen empfangen wir eine Vorstellung von etwas, »das entweder unsere sinnliche Fassungskraft oder unsere sinnliche Widerstehungskraft überschreitet, oder zu überschreiten droht,« jedoch ohne diese Ueberlegenheit bis zur Unterdrückung jener beiden Kräfte zu treiben, und ohne die Bestrebung zum Erkenntniß oder zum Widerstand in uns niederzuschlagen. Ein Mannigfaltiges wird uns dort gegeben, welches in Einheit zusammen zu fassen unser anschauendes Vermögen bis an seine Grenzen treibt. Eine Kraft wird uns hier vorgestellt, gegen welche die unsrige verschwindet, die wir aber doch damit zu vergleichen genöthigt werden. Entweder ist es ein Gegenstand, der sich unserm Anschauungsvermögen zugleich darbietet und entzieht und das Bestreben zur Vorstellung weckt, ohne es Befriedigung hoffen zu lassen; oder es ist ein Gegenstand, der gegen unser Dasein selbst feindlich aufzustehen scheint, uns gleichsam zum Kampf herausfordert und für den Ausgang besorgt macht. Eben so ist in allen angeführten Fällen die nämliche Wirkung auf das Empfindungsvermögen sichtbar. Alle setzen das Gemüth in eine unruhige Bewegung und spannen es an. Ein gewisser Ernst, der bis zur Feierlichkeit steigen kann, bemächtigt sich unserer Seele, und indem sich in den sinnlichen Organen deutliche Spuren von Beängstigung zeigen, sinkt der nachdenkende Geist in sich selbst zurück und scheint sich auf ein erhöhtes Bewußtsein seiner selbständigen Kraft und Würde zu stützen. Dieses Bewußtsein muß schlechterdings überwiegend sein, wenn das Große oder das Schreckliche einen ästhetischen Werth für uns haben soll. Weil sich nun das Gemüth bei solchen Vorstellungen begeistert und über sich selbst gehoben fühlt, so bezeichnet man sie mit dem Namen des Erhabenen, obgleich den Gegenständen selbst objektiv nichts Erhabenes zukommt und es also wohl schicklicher wäre, sie erhebend zu nennen.

Wenn ein Objekt erhaben heißen soll, so muß es sich unseren sinnlichen Vermögen entgegensetzen. Es lassen sich aber überhaupt zwei verschiedene Verhältnisse denken, in welchen die Dinge zu unserer Sinnlichkeit stehen können, und diesen gemäß muß es auch zwei verschiedene Arten des Widerstandes geben. Entweder werden sie als Objekte betrachtet, von denen wir uns ein Erkenntniß verschaffen wollen, oder sie werden als eine Macht angesehen, mit der wir die unsrige vergleichen. Nach dieser Eintheilung gibt es auch zwei Gattungen des Erhabenen, das Erhabene der Erkenntniß und das Erhabene der Kraft.

Nun tragen aber die sinnlichen Vermögen nichts weiter zur Erkenntniß bei, als daß sie den gegebenen Stoff auffassen und das Mannigfaltige desselben im Raum und in der Zeit aneinander setzen. Dieses Mannigfaltige zu unterscheiden und zu sortieren, ist das Geschäft des Verstandes, nicht der Einbildungskraft. Für den Verstand allein gibt es ein Verschiedenes, für die Einbildungskraft (als Sinn) bloß ein Gleichartiges, und es ist also bloß die Menge des Gleichartigen (die Quantität, nicht die Qualität), was bei der sinnlichen Auffassung der Erscheinungen einen Unterschied machen kann. Soll also das sinnliche Vorstellungsvermögen an einem Gegenstand erliegen, so muß dieser Gegenstand durch seine Quantität für die Einbildungskraft übersteigend sein. Das Erhabene der Erkenntniß beruht demnach auf der Zahl oder der Größe und kann darum auch das mathematische heißen.Siehe Kants Kritik der ästhetischen Urtheilskraft.

Von der ästhetischen Größenschätzung.

Ich kann mir von der Quantität eines Gegenstandes vier, von einander ganz verschiedene, Vorstellungen machen.

Der Thurm, den ich vor mir sehe, ist eine Größe.

Er ist zweihundert Ellen hoch.

Er ist hoch.

Er ist ein hoher (erhabener) Gegenstand.

Es leuchtet in die Augen, daß durch jedes dieser viererlei Urtheile, welche sich doch sämmtlich auf die Quantität des Thurms beziehen, etwas ganz Verschiedenes ausgesagt wird. In den beiden ersten Urtheilen wird der Thurm bloß als ein Quantum (als eine Größe), in den zwei übrigen wird er als ein Magnum (als etwas Großes) betrachtet.

Alles, was Theile hat, ist ein Quantum. Jede Anschauung, jeder Verstandesbegriff hat eine Größe, so gewiß dieser eine Sphäre und jene einen Inhalt hat. Die Quantität überhaupt kann also nicht gemeint sein, wenn man von einem Größenunterschied unter den Objekten redet. Die Rede ist hier von einer solchen Quantität, die einem Gegenstande vorzugsweise zukommt, d. h. die nicht bloß ein Quantum, sondern zugleich ein Magnum ist.

Bei jeder Größe denkt man sich eine Einheit, zu welcher mehrere gleichartige Theile verbunden sind. Soll also ein Unterschied zwischen Größe und Größe statt finden, so kann er nur darin liegen, daß in der einen mehr, in der andern weniger Theile zur Einheit verbunden sind, oder daß die eine nur einen Theil in der andern ausmacht. Dasjenige Quantum, welches ein anderes Quantum als Theil in sich enthält, ist gegen dieses Quantum ein Magnum.

Untersuchen, wie oft ein bestimmtes Quantum in einem andern enthalten ist, heißt dieses Quantum messen (wenn es stetig), oder es zählen (wenn es nicht stetig ist). Auf die zum Maß genommene Einheit kommt es also jederzeit an, ob wir einen Gegenstand als ein Magnum betrachten sollen, d. h. alle Größe ist ein Verhältnißbegriff.

Gegen ihr Maß gehalten, ist jede Größe ein Magnum, und noch mehr ist sie es gegen das Maß ihres Maßes, mit welchem verglichen dieses selbst wieder ein Magnum ist. Aber so, wie es herabwärts geht, geht es auch aufwärts. Jedes Magnum ist wieder klein, sobald wir es uns in einem andern enthalten denken; und wo gibt es hier eine Grenze, da wir jede noch so große Zahlreihe mit sich selbst wieder multiplicieren können?

Auf dem Wege der Messung können wir also zwar auf die comparative, aber nie auf die absolute Größe stoßen, auf diejenige nämlich, welche in keinem andern Quantum mehr enthalten sein kann, sondern alle andern Größen unter sich befasset. Nichts würde uns ja hindern, daß dieselbe Verstandeshandlung, die uns eine solche Größe lieferte, uns auch das Duplum derselben lieferte, weil der Verstand successiv verfährt und, von Zahlbegriffen geleitet, seine Synthese ins Unendliche fortsetzen kann. So lange sich noch bestimmen läßt, wie groß ein Gegenstand sei, ist er noch nicht (schlechthin) groß und kann durch dieselbe Operation der Vergleichung zu einem sehr kleinen herabgewürdigt werden. Diesem nach könnte es in der Natur nur eine einzige Größe per excellentiam geben, nämlich das unendliche Ganze der Natur selbst, dem aber nie eine Anschauung entsprechen und dessen Synthesis in keiner Zeit vollendet werden kann. Da sich das Reich der Zahl nie erschöpfen läßt, so müßte es der Verstand sein, der seine Synthesis endigt. Er selbst müßte irgend eine Einheit als höchstes und äußerstes Maß aufstellen und, was darüber hinausragt, schlechthin für groß erklären.

Dies geschieht auch wirklich, wenn ich von dem Thurm, der vor mir steht, sage, er sei hoch, ohne seine Höhe zu bestimmen. Ich gebe hier kein Maß der Vergleichung, und doch kann ich dem Thurm die absolute Größe nicht zuschreiben, da mich gar nichts hindert, ihn noch größer anzunehmen. Mir muß also schon durch den bloßen Anblick des Thurmes ein äußerstes Maß gegeben sein, und ich muß mir einbilden können, durch meinen Ausdruck: dieser Thurm ist hoch, auch jedem andern dieses äußerste Maß vorgeschrieben zu haben. Dieses Maß liegt also schon in dem Begriffe eines Thurmes, und es ist kein andres als der Begriff seiner Gattungsgröße.

Jedem Dinge ist ein gewisses Maximum der Größe entweder durch seine Gattung (wenn es ein Werk der Natur ist), oder (wenn es ein Werk der Freiheit ist) durch die Schranken der ihm zu Grunde liegenden Ursache und durch seinen Zweck vorgeschrieben. Bei jeder Wahrnehmung von Gegenständen wenden wir, mit mehr oder weniger Bewußtsein, dieses Größenmaß an; aber unsere Empfindungen sind sehr verschieden, je nachdem das Maß, welches wir zum Grund legen, zufälliger oder nothwendiger ist. Unterschreitet ein Objekt den Begriff seiner Gattungsgröße, so wird es uns gewissermaßen in Verwunderung setzen. Wir werden überrascht, und unsere Erfahrung erweitert sich; aber insofern wir an dem Gegenstand selbst kein Interesse nehmen, bleibt es bloß bei diesem Gefühle einer übertroffenen Erwartung. Wir haben jenes Maß nur auf einer Reihe von Erfahrungen abgezogen, und es ist gar keine Nothwendigkeit vorhanden, daß es immer zutreffen muß. Unterschreitet hingegen ein Erzeugniß der Freiheit den Begriff, den wir uns von den Schranken seiner Ursache machten, so werden wir schon eine gewisse Bewunderung empfinden. Es ist hier nicht bloß die übertroffene Erwartung, es ist zugleich eine Entledigung von Schranken, was uns bei einer solchen Erfahrung überrascht. Dort blieb unsere Aufmerksamkeit bloß bei dem Produkte stehen, das an sich selbst gleichgültig war; hier wird sie aus die hervorbringende Kraft hingezogen, welche moralisch oder doch einem moralischen Wesen angehörig ist und uns also nothwendig interessiren muß. Dieses Interesse wird in eben dem Grade steigen, als die Kraft, welche das wirkende Principium ausmachte, edler und wichtiger und die Schranke, welche wir überschritten finden, schwerer zu überwinden ist. Ein Pferd von ungewöhnlicher Größe wird uns angenehm befremden, aber noch mehr der geschickte und starke Reiter, der es bändigt. Sehen wir ihn nun gar mit diesem Pferd über einen breiten und tiefen Graben setzen, so erstaunen wir, und ist es eine feindliche Fronte, gegen welche wir ihn lossprengen sehen, so gesellt sich zu diesem Erstaunen Achtung, und es geht in Bewunderung über. In dem letztern Fall behandeln wir seine Handlung als eine dynamische Größe und wenden unsern Begriff von menschlicher Tapferkeit als Maßstab darauf an, wo es nun darauf ankommt, wie wir uns selbst fühlen, und was wir als äußerste Grenze der Herzhaftigkeit betrachten.

Ganz anders hingegen verhält es sich, wenn der Größenbegriff des Zwecks überschritten wird. Hier legen wir keinen empirischen und zufälligen, sondern einen rationalen und also nothwendigen Maßstab zum Grunde, der nicht überschritten werden kann, ohne den Zweck des Gegenstandes zu vernichten. Die Größe eines Wohnhauses ist einzig durch seinen Zweck bestimmt; die Größe eines Thurmes kann bloß durch die Schranken der Architektur bestimmt sein. Finde ich daher das Wohnhaus für seinen Zweck zu groß, so muß es mir nothwendig mißfallen. Finde ich hingegen den Thurm meine Idee von Thurmeshöhen übersteigend, so wird er mich nur desto mehr ergötzen. Warum? Jenes ist ein Widerspruch, dieses nur eine unerwartete Uebereinstimmung mit dem, was ich suche. Ich kann es mir sehr wohl gefallen lassen, daß eine Schranke erweitert, aber nicht daß eine Absicht verfehlt wird.

Wenn ich nun von einem Gegenstand schlechtweg sage, er sei groß, ohne hinzuzusetzen, wie groß er sei, so erkläre ich ihn dadurch gar nicht für etwas absolut Großes, dem kein Maßstab gewachsen ist; ich verschweige bloß das Maß, dem ich ihn unterwerfe, in der Voraussetzung, daß es in seinem bloßen Begriff schon enthalten sei. Ich bestimme seine Größe zwar nicht ganz, nicht gegen alle denkbaren Dinge, aber doch zum Theil, und gegen eine gewisse Klasse von Dingen, also doch immer objektiv und logisch, weil ich ein Verhältniß aussage und nach einem Begriffe verfahre.

Dieser Begriff kann aber empirisch, also zufällig sein, und mein Urtheil wird in diesem Fall nur subjektive Gültigkeit haben. Ich mache vielleicht zur Gattungsgröße, was nur die Größe gewisser Arten ist, ich erkenne vielleicht für eine objektive Grenze, was nur die Grenze meines Subjekts ist, ich lege vielleicht der Beurteilung meinen Privatbegriff von dem Gebrauch und dem Zweck eines Dinges unter. Der Materie nach kann also meine Größenschätzung ganz subjektiv sein, ob sie gleich der Form nach objektiv, d. h. wirkliche Verhältnißbestimmung ist. Der Europäer hält den Patagonen für einen Riesen, und sein Urtheil hat auch volle Gültigkeit bei demjenigen Völkerstamm, von dem er seinen Begriff menschlicher Größe entlehnte; in Patagonien hingegen wird es Widerspruch finden. Nirgends wird man den Einfluß subjektiver Gründe auf die Urtheile der Menschen mehr gewahr, als bei ihrer Größenschätzung, sowohl bei körperlichen als bei unkörperlichen Dingen. Jeder Mensch, kann man annehmen, hat ein gewisses Kraft und Tugendmaß in sich, wornach er sich bei der Größenschätzung moralischer Handlungen richtet. Der Geizhals wird das Geschenk eines Guldens für eine sehr große Anstrengung seiner Freigebigkeit halten, wenn der Großmüthige mit der dreifachen Summe noch zu wenig zu geben glaubt. Der Mensch von gemeinem Schlag hält schon das Nichtbetrügen für einen großen Beweis seiner Ehrlichkeit; ein Anderer von zartem Gefühl trägt manchmal Bedenken, einen erlaubten Gewinn zu nehmen.

Obgleich in allen diesen Fällen das Maß subjektiv ist, so ist die Messung selbst immer objektiv; denn man darf nur das Maß allgemein machen, so wird die Größenbestimmung allgemein eintreffen. So verhält es sich wirklich mit den objektiven Maßen, die im allgemeinen Gebrauch sind, ob sie gleich alle einen subjektiven Ursprung haben und von dem menschlichen Körper hergenommen sind.

Alle vergleichende Größenschätzung aber, sie mag nun idealisch oder körperlich, sie mag ganz oder nur zum Theil bestimmend sein, führt nur zur relativen und niemals zur absoluten Größe; denn wenn ein Gegenstand auch wirklich das Maß übersteigt, welches wir als ein höchstes und äußerstes annehmen, so kann ja immer noch gefragt werden, um wie vielmal er es übersteige. Er ist zwar ein Großes gegen seine Gattung, aber noch nicht das Größtmögliche, und wenn die Schranke einmal überschritten ist, so kann sie ins Unendliche fort überschritten werden. Nun suchen wir aber die absolute Größe. weil diese allein den Grund eines Vorzugs in sich enthalten kann, da alle komparativen Größen, als solche betrachtet, einander gleich sind. Weil nichts den Verstand nöthigen kann, in seinem Geschäfte still zu stehen, so muß es die Einbildungskraft sein, welche demselben eine Grenze setzt. Mit andern Worten: die Größenschätzung muß aufhören, logisch zu sein, sie muß ästhetisch verrichtet werden.

Wenn ich eine Größe logisch schätze, so beziehe ich sie immer auf mein Erkenntnißvermögen; wenn ich sie ästhetisch schätze, so beziehe ich sie auf mein Empfindungsvermögen. Dort erfahre ich etwas von dem Gegenstand, hier hingegen erfahre ich bloß an mir selbst etwas, auf Veranlassung der vorgestellten Größe des Gegenstandes. Dort erblicke ich etwas außer mir, hier etwas in mir. Ich messe also auch eigentlich nicht mehr, ich schätze keine Größe mehr, sondern ich selbst werde mir augenblicklich zu einer Größe, und zwar zu einer unendlichen. Derjenige Gegenstand, der mich mir selbst zu einer unendlichen Größe macht, heißt erhaben.

Das Erhabene der Größe ist also keine objektive Eigenschaft des Gegenstandes, dem es beigelegt wird; es ist bloß die Wirkung unsers eignen Subjekts aus Veranlassung jenes Gegenstandes. Es entspringt einestheils aus dem vorgestellten Unvermögen der Einbildungskraft, die von der Vernunft als Forderung aufgestellte Totalität in Darstellung der Größe zu erreichen, anderntheils aus dem vorgestellten Vermögen der Vernunft, eine solche Forderung aufstellen zu können. Auf das Erste gründet sich die zurückstoßende, auf das Zweite die anziehende Kraft des Großen und des Sinnlich-Unendlichen.

Obgleich aber das Erhabene eine Erscheinung ist, welche erst in unserm Subjekt erzeugt wird, so muß doch in den Objekten selbst der Grund enthalten sein, warum gerade nur diese und keine andern Objekte uns zu diesem Gebrauch Anlaß geben. Und weil wir ferner bei unserm Urtheil das Prädikat des Erhabenen in den Gegenstand legen (wodurch wir andeuten, daß wir diese Verbindung nicht bloß willkürlich vornehmen, sondern dadurch ein Gesetz für Jedermann aufzustellen meinen), so muß in unserm Subjekt ein nothwendiger Grund enthalten sein, warum wir von einer gewissen Klasse von Gegenständen gerade diesen und keinen andern Gebrauch machen.

Es gibt demnach innere und gibt äußere nothwendige Bedingungen des Mathemathisch-Erhabenen. Zu jenen gehört ein gewisses bestimmtes Verhältniß zwischen Vernunft und Einbildungskraft, zu diesen ein bestimmtes Verhältniß des angeschauten Gegenstandes zu unserm ästhetischen Größenmaß.

Sowohl die Einbildungskraft als die Vernunft müssen sich mit einem gewissen Grad von Stärke äußern, wenn das Große uns rühren soll. Von der Einbildungskraft wird verlangt, daß sie ihr ganzes Comprehensionsvermögen zu Darstellung der Idee des Absoluten aufbiete, worauf die Vernunft unnachläßlich dringt. Ist die Phantasie unthätig und träge, oder geht die Tendenz des Gemüths mehr auf Begriffe als auf Anschauungen, so bleibt auch der erhabenste Gegenstand bloß ein logisches Objekt und wird gar nicht vor das ästhetische Forum gezogen. Dies ist der Grund, warum Menschen von überwiegender Stärke des analytischen Verstandes für das Aesthetisch Große selten viel Empfänglichkeit zeigen. Ihre Einbildungskraft ist entweder nicht lebhaft genug, sich auf Darstellung des Absoluten der Vernunft auch nur einzulassen, oder ihr Verstand zu geschäftig, den Gegenstand sich zuzueignen und ihn aus dem Felde der Intuition in sein discursives Gebiet hinüber zu spielen.

Ohne eine gewisse Stärke der Phantasie wird der große Gegenstand gar nicht ästhetisch; ohne eine gewisse Stärke der Vernunft hingegen wird der ästhetische nicht erhaben. Die Idee des Absoluten erfordert schon eine mehr als gewöhnliche Entwicklung des höhern Vernunftvermögens, einen gewissen Reichthum an Ideen und eine genauere Bekanntschaft des Menschen mit seinem edelsten Selbst. Wessen Vernunft noch gar keine Ausbildung empfangen hat, der wird von dem Großen der Sinne nie einen übersinnlichen Gebrauch zu machen wissen. Die Vernunft wird sich in das Geschäft gar nicht mischen, und es wird der Einbildungskraft allein, oder dem Verstand allein überlassen bleiben. Die Einbildungskraft für sich selbst ist aber weit entfernt, sich auf eine Zusammenfassung einzulassen, die ihr peinlich wird. Sie begnügt sich also mit der bloßen Auffassung, und es fällt ihr gar nicht ein, ihren Darstellungen Allheit geben zu wollen. Daher die stupide Unempfindlichkeit, mit der der Wilde im Schooß der erhabensten Natur und mitten unter den Symbolen des Unendlichen wohnen kann, ohne dadurch aus seinem thierischen Schlummer geweckt zu werden, ohne auch nur von weitem den großen Naturgeist zu ahnen, der aus dem Sinnlich-Unermeßlichen zu einer fühlenden Seele spricht.

Was der rohe Wilde mit dummer Gefühllosigkeit anstarrt, das flieht der entnervte Weichling als einen Gegenstand des Grauens, der ihm nicht seine Kraft, nur seine Ohnmacht zeigt. Sein enges Herz fühlt sich von großen Vorstellungen peinlich auseinander gespannt. Seine Phantasie ist zwar reizbar genug, sich an der Darstellung des Sinnlich-Unendlichen zu versuchen, aber seine Vernunft nicht selbständig genug, dieses Unternehmen mit Erfolg zu endigen. Er will es erklimmen, aber auf halbem Wege sinkt er ermattet hin. Er kämpft mit dem furchtbaren Genius, aber nur mit irdischen, nicht mit unsterblichen Waffen. Dieser Schwäche sich bewußt, entzieht er sich lieber einem Anblick, der ihn niederschlägt, und sucht Hilfe bei der Trösterin aller Schwachen, der Regel. Kann er sich selbst nicht aufrichten zu dem Großen der Natur, so muß die Natur zu seiner kleinen Fassungskraft heruntersteigen. Ihre kühnen Formen muß sie mit künstlichen vertauschen, die ihr fremd, aber seinem verzärtelten Sinne Bedürfniß sind. Ihren Willen muß sie seinem eisernen Joch unterwerfen und in die Fesseln mathematischer Regelmäßigkeit sich schmiegen. So entsteht der ehemalige französische Geschmack in Gärten, der endlich fast allgemein dem englischen gewichen ist, aber ohne dadurch dem wahren Geschmack merklich näher zu kommen. Denn der Charakter der Natur ist eben so wenig bloße Mannigfaltigkeit als Einförmigkeit. Ihr gesetzter, ruhiger Ernst verträgt sich eben so wenig mit diesen schnellen und leichtsinnigen Uebergängen, mit welchen man sie in dem neuen Gartengeschmack von einer Decoration zur andern hinüber hüpfen läßt. Sie legt, indem sie sich verwandelt, ihre harmonische Einheit nicht ab, in bescheidener Einfalt verbirgt sie ihre Fülle, und auch in der üppigsten Freiheit sehen wir sie das Gesetz der Stetigkeit ehren.Die Gartenkunst und die dramatische Dichtkunst haben in neuern Zeiten ziemlich dasselbe Schicksal, und zwar bei denselben Nationen gehabt. Dieselbe Tyrannei der Regel in den französischen Gärten und in den französischen Tragödien, dieselbe bunte und wilde Regellosigkeit in den Parks der Engländer und in ihrem Shakespeare, und so wie der deutsche Geschmack von jeher das Gesetz von den Ausländern empfangen, so mußte er auch in diesem Stück zwischen jenen beiden Extremen hin und herschwanken.

Zu den objektiven Bedingungen des Mathematisch-Erhabenen gehört fürs erste, daß der Gegenstand, den wir dafür erkennen sollen, ein Ganzes ausmache und also Einheit zeige; fürs zweite, daß er uns das höchste sinnliche Maß, womit wir alle Größen zu messen pflegen, völlig unbrauchbar mache. Ohne das Erste würde die Einbildungskraft gar nicht angefordert werden, eine Darstellung seiner Totalität zu versuchen; ohne das Zweite würde ihr dieser Versuch nicht verunglücken können.

Der Horizont übertrifft jede Größe, die uns irgend vor Augen kommen kann, denn alle Raumgrößen müssen ja in demselben liegen. Nichtsdestoweniger bemerken wir, daß oft ein einziger Berg, der sich darin erhebt, uns einen weit stärkern Eindruck des Erhabenen zu geben im Stande ist, als der ganze Gesichtskreis, der nicht nur diesen Berg, sondern noch tausend andere Größen in sich befaßt. Das kommt daher, weil uns der Horizont nicht als ein einziges Objekt erscheint und wir also nicht eingeladen werden, ihn in ein Ganzes der Darstellung zusammen zu fassen. Entfernt man aber aus dem Horizont alle Gegenstände, welche den Blick insbesondere auf sich ziehen, denkt man sich auf eine weite und ununterbrochene Ebene oder auf die offenbare See, so wird der Horizont selbst zu einem Objekt, und zwar zu dem erhabensten, was dem Aug je erscheinen kann. Die Kreisfigur des Horizonts trägt zu diesem Eindruck besonders viel bei, weil sie an sich selbst so leicht zu fassen ist und die Einbildungskraft sich um so weniger erwehren kann, die Vollendung derselben zu versuchen.

Der ästhetische Eindruck der Größe beruht aber darauf, daß die Einbildungskraft die Totalität der Darstellung an dem gegebenen Gegenstande fruchtlos versucht, und dies kann nur dadurch geschehen, daß das höchste Größenmaß, welches sie auf einmal deutlich fassen kann, so vielmal zu sich selbst addiert, als der Verstand deutlich zusammen denken kann, für den Gegenstand zu klein ist. Daraus aber scheint zu folgen, daß Gegenstände von gleicher Größe auch einen gleich erhabenen Eindruck machen müßten, und daß der minder große diesen Eindruck weniger werde hervorbringen können, wogegen doch die Erfahrung spricht. Denn nach dieser erscheint der Theil nicht selten erhabener als das Ganze, der Berg oder der Thurm erhabener als der Himmel, in den er hinaufragt, der Fels erhabener als das Meer, dessen Wellen ihn umspülen. Man muß sich aber hier der vorhin erwähnten Bedingung erinnern, vermöge welcher der ästhetische Eindruck nur dann erfolgt, wenn sich die Imagination auf Allheit des Gegenstandes einläßt. Unterläßt sie Dieses bei dem weit größern Gegenstand und beobachtet es hingegen bei dem minder großen, so kann sie von dem letztern ästhetisch gerührt, und doch gegen den ersten unempfindlich sein. Denkt sie sich aber diesen als eine Größe, so denkt sie ihn zugleich als Einheit, und dann muß er nothwendig einen verhältnißmäßig stärkern Eindruck machen, als er jenen an Größe übertrifft.

Alle sinnlichen Größen sind entweder im Raum (ausgedehnte Größen) oder in der Zeit (Zahlgrößen). Ob nun gleich jede ausgedehnte Größe zugleich eine Zahlgröße ist (weil wir auch das im Raum Gegebene in der Zeit auffassen müssen), so ist dennoch die Zahlgröße selbst nur insofern, als ich sie in eine Raumgröße verwandle, erhaben. Die Entfernung der Erde vom Sirius ist zwar ein ungeheures Quantum in der Zeit und, wenn ich sie in Allheit begreifen will, für meine Phantasie überschwänglich; aber ich lasse mich auch nimmermehr darauf ein, diese Zeitgröße anzuschauen, sondern helfe mir durch Zahlen, und nur alsdann, wenn ich mich erinnere, daß die höchste Raumgröße, die ich in Einheit zusammenfassen kann, z. B. ein Gebirge, dennoch ein viel zu kleines und ganz unbrauchbares Maß für diese Entfernung ist, erhalte ich den erhabenen Eindruck. Das Maß für dieselbe nehme ich also doch von ausgedehnten Größen, und auf das Maß kommt es ja eben an, ob ein Objekt uns groß erscheinen soll.

Das Große im Raum zeigt sich entweder in Längen oder in Höhen, wozu auch die Tiefen gehören: denn die Tiefe ist nur eine Höhe unter uns, so wie die Höhe eine Tiefe über uns genannt werden kann. Daher die lateinischen Dichter auch keinen Anstand nehmen, den Ausdruck profundus auch von Höhen zu gebrauchen:

ni faceret, maria ac terras coelumque profundum
quippe ferant rapidi secum. –

Höhen erscheinen durchaus erhabener als gleich große Längen, wovon der Grund zum Theil darin liegt, daß sich das dynamisch Erhabene mit dem Anblick der erstern verbindet. Eine bloße Länge, wie unabsehlich sie auch sei, hat gar nichts Furchtbares an sich, wohl aber eine Höhe, weil wir von dieser herabstürzen können. Aus demselben Grund ist eine Tiefe noch erhabener als eine Höhe, weil die Idee des Furchtbaren sie unmittelbarer begleitet. Soll eine große Höhe schreckhaft für uns sein, so müssen wir uns erst hinaufdenken und sie also in eine Tiefe verwandeln. Man kann diese Erfahrung leicht machen, wenn man einen mit Blau untermischten bewölkten Himmel in einem Brunnen oder sonst in einem dunkeln Wasser betrachtet, wo seine unendliche Tiefe einen ungleich schauerlicheren Anblick als seine Höhe gibt. Dasselbe geschieht in noch höherem Grade, wenn man ihn rücklings betrachtet, als wodurch er gleichfalls zu einer Tiefe wird und, weil er das einzige Objekt ist, das in das Auge fällt, unsere Einbildungskraft zu Darstellung seiner Totalität unwiderstehlich nöthigt. Höhen und Tiefen wirken nämlich auch schon deswegen stärker auf uns, weil die Schätzung ihrer Größe durch keine Vergleichung geschwächt wird. Eine Länge hat an dem Horizont immer einen Maßstab, unter welchem sie verliert, denn so weit sich eine Länge erstreckt, so weit erstreckt sich auch der Himmel. Zwar ist auch das höchste Gebirge gegen die Höhe des Himmels klein, aber das lehrt bloß der Verstand, nicht das Auge, und es ist nicht der Himmel, der durch seine Höhe die Berge niedrig macht, sondern die Berge sind es, die durch ihre Größe die Höhe des Himmels zeigen.

Es ist daher nicht bloß eine optisch richtige, sondern auch eine symbolisch wahre Vorstellung, wenn es heißt, daß der Atlas den Himmel stütze. So wie nämlich der Himmel selbst auf dem Atlas zu ruhen scheint, so ruht unsere Vorstellung von der Höhe des Himmels auf der Höhe des Atlas. Der Berg trägt also, in figürlichem Sinne, wirklich den Himmel, denn er hält denselben für unsere sinnliche Vorstellung in der Höhe. Ohne den Berg würde der Himmel fallen, d. h. er würde optisch von seiner Höhe sinken und erniedriget werden.