Friedrich Schiller
Geschichten aus dem alten Pitaval
Friedrich Schiller

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Geschichte der Marquise von Gange

Die Marquise von Gange, das einzige Kind des Herrn von Rossan, der in Avignon als Privatmann lebte, kam nach dem frühen Tode ihres Vaters in das Haus und unter die Aufsicht des Herrn von Rochères, ihres mütterlichen Großvaters, der ein Vermögen von beinahe 500 000 Livres besaß. Seine Enkelin war die einzige Erbin dieses Vermögens und hieß nach einem seiner Landgüter bis zu ihrer Heirat Fräulein von Châteaublanc. Ihre täglich zunehmenden Reize, ihr sanfter Charakter und ihre gewinnenden Manieren gewannen ihr bald die ganze Zärtlichkeit des ehrwürdigen Alten. Er kannte keine süßere Hoffnung, als seine schöne Enkelin einst in dem Besitz seines Vermögens an der Hand eines würdigen Gatten glücklich zu sehen. In der Absicht, seine Wünsche bald erfüllt zu sehen, vermählte er sie schon in ihrem dreizehnten Jahre mit dem Marquis von Castellane, einem Manne, der mit den äußern Vorzügen einer alten und vornehmen Abkunft und einer schönen Gestalt die schätzbarsten Eigenschaften des Geistes und Herzens verband.

Die Marquise war eine der ersten Schönheiten ihrer Zeit. Ihr Bildnis, von dem berühmten Maler Mignard gemalt, wird unter die vorzüglichsten Meisterstücke dieses großen Künstlers gerechnet; und alle Zeugnisse ihrer Zeitgenossen stimmen in Lobeserhebungen ihrer außerordentlichen Schönheit überein. In einem zu Rouen 1667 erschienenen Buche, das den Titel führt: »Die wahrhaften und merkwürdigen Umstände des kläglichen Todes der Frau Marquise von Gange«, wird sie als eine vollkommene Schönheit geschildert. Selbst Ludwig der Vierzehnte ward von ihren Reizen bezaubert und erteilte ihr die schmeichelhaftesten Lobsprüche. Zweimal tanzte er mit ihr bei öffentlichen Hoffesten, in deren Anordnung Galanterie mit der höchsten Pracht verbunden war, und jedesmal erhielt ihre Schönheit und ihre Anmut den Preis der allgemeinen Bewunderung. Die berühmte Königin Christine von Schweden, welche damals an dem französischen Hofe sich aufhielt, gestand, daß sie in allen Reichen, welche sie durchreist, nichts gesehen habe, das der schönen Provenzalin (so nannte man die Frau von Castellane) gleichkomme, die ihr Herz erobern würde, wenn sie vom andern Geschlecht wäre.

Diese allgemeine Bewunderung ihrer Schönheit erregte natürlich Neid und Eifersucht und reizte die Verleumdungssucht aller, die sich durch sie verdunkelt fühlten. Die Lästerchronik sprengte allerlei nachteilige Gerüchte von verliebten Abenteuern über sie aus, die aber nicht einmal mit einem scheinbaren Verdacht begründet werden konnten. Die Güte ihres Charakters entsprach der Schönheit ihres Körpers. Sie war gesellig und teilnehmend bei dem Unglück anderer. Ihr Verstand war mehr gründlich als lebhaft, ihr Urteil weniger glänzend als treffend.

Mitten im Genuß des Glücks, das Schönheit mit Reichtum und Überfluß gepaart zu gewähren vermag, erhielt sie die traurige Nachricht, daß ihr Gemahl, der als Befehlshaber der französischen Galeeren unter Segel gegangen war, bei Sizilien Schiffbruch erlitten und sein Grab in den Wellen gefunden habe. Einige Spötter, die der Marquise längst, um sich für ihre Nichtbeachtung zu rächen, den Verstand abgesprochen und sie nur »die schöne Bildsäule« genannt hatten, verbreiteten bei dieser Gelegenheit die Anekdote: sie habe bei der Nachricht von ihres Gemahls Tode gesagt: »Ach, er wird nicht ertrunken sein; junge Leute kommen von den weitesten Reisen wieder.«

Ihre Geschäfte riefen sie bald darauf nach Avignon zurück. Reichtum und Schönheit waren zwei zu reizende Vorzüge, um nicht bald eine Menge Anbeter herbeizuziehen, die sich zu ihren Füßen warfen. Die Liebe entschied für den Herrn von Lenide, Marquis von Gange, einen jungen Mann von zwanzig Jahren, aus einem der ersten Häuser der Provinz, mit allen Vorzügen eines vorteilhaften Wuchses, männlicher Schönheit und einer sanften Gesichtsbildung ausgestattet. Nie schien eine Verbindung zweier Personen besser gewählt worden zu sein als ebendiese, welche zwei der schönsten und reichsten Leute des Landes von gleichem Alter, von gleichem Adel des Geschlechts und von gleichen Eigenschaften vereinigte. Er war ein Freiherr aus Languedoc und Gouverneur von St. André in Niederlanguedoc. Die Hochzeit wurde 1658 vollzogen, als die Marquise eben das zweiundzwanzigste Jahr erreicht hatte.

Der Anfang dieser Ehe war sehr glücklich; der Marquis, von seiner Gemahlin bezaubert, verließ sie nie; und mehr war nicht nötig zum Glück eines Weibes, welches außer der Wonne, das Herz eines liebenswürdigen Gemahls zu besitzen, kein anderes Glück kannte. Zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, waren die Pfänder ihrer Zärtlichkeit.

Nach einiger Zeit fing der Marquis an, häufiger Gesellschaft zu suchen. Seine Frau glaubte sich nicht verpflichtet, in der Einsamkeit zu leben, während ihr Mann Zerstreuung suchte, sie machte Besuche und nahm andere entgegen. Doch suchte sie nur Gesellschaft, um der Langeweile zu entgehen, und dachte nie daran, mit den Männern, welche sie bei sich sah, in eine Bekanntschaft zu treten, welche die Grenzen des gesellschaftlichen Vergnügens überschritte; und ihrer Tugend ward es leicht, sie in diesen Gesinnungen zu erhalten. Bemerkte sie, daß ihre Reize irgendeinen ihrer Gesellschafter zu einer gefährlicheren Neigung hinrissen, so zog sie sich zurück und wendete sich an andere, die durch keine Leidenschaft versucht waren, die Schranken des bloß geselligen Umgangs zu überschreiten. Indessen konnte die Ordnung und Zurückhaltung, mit welcher sie lebte, sie doch nicht gegen die Eifersucht ihres Gemahls schützen.

Anfangs zwar schämte er sich einer Leidenschaft, welche immer den, der sich von ihr beherrschen läßt, lächerlich macht; und da er sich selbst gestehen mußte, daß das Betragen seiner Gemahlin ihm keine begründete Veranlassung zum Argwohn gab, so unterdrückte er, soviel er konnte, die Gemütsbewegung, welche ihm ein Verdacht verursachte, den er doch selbst für nichtig erklären mußte. Allein der Mißmut, der ihn quälte, zerstörte seine heitere Gemütsstimmung. Der sonst so zärtliche Gatte, der seine geliebte Gemahlin nie anders als mit dem Ausdruck des innigsten Vergnügens sah, war jetzt düster, niedergeschlagen und mürrisch. An die Stelle der liebreichen, zärtlichen Versicherungen, welche bisher ihre Unterhaltung ausmachten, trat jetzt Kälte und Zurückhaltung, die gewöhnlichen Vorboten eines gänzlichen Bruchs. So wurde jede Erholung, welche die Marquise in einer unschuldigen Zerstreuung suchte, durch den häuslichen Verdruß vergiftet, den sie immer dafür von dem Unmut ihres Gemahls zu erwarten hatte. Eine Begebenheit, welche der Marquise das Ende dieser Leiden oder doch Erleichterung ihrer schlimmen Lage zu versprechen schien, stürzte sie in den Abgrund ihres Unglücks.

Der Marquis von Gange hatte drei Brüder. Der eine, Graf von Gange, Oberst des Dragoner-Regiments von Languedoc, hat keine Rolle bei der Haupthandlung dieser Geschichte, kommt aber gleichwohl in der Folge wieder vor.

Der zweite, Abbé von Gange, verlangt der Rolle wegen, die er in dieser Geschichte spielt, eine eigne Charakterschilderung. Es fehlte ihm nicht an Verstand, den er aber nur anwendete, die schändlichen Eigenschaften seines verdorbenen Herzens zu verschleiern. Bosheit und Zügellosigkeit, Lasterhaftigkeit und Ausschweifung waren die Grundzüge seines Charakters, und nur deswegen hatte er, ohne einem besondern Orden anzugehören, das geistliche Kleid gewählt, weil es ihm geschickter dünkte, seine Zügellosigkeit zu begünstigen und zu verdecken. Er war herrschsüchtig, alles sollte seinen Einfällen und seinem Willen folgen; heftig, von Leidenschaften beherrscht, der größesten Laster fähig. Diese bösen Eigenschaften, mit List, Verschlagenheit und unglaublicher Verstellungskunst vereint, machten ihn zum gefährlichsten aller Menschen. Niemand war sanfter, liebenswürdiger, gefälliger, dienstfertiger als er, sobald er es scheinen wollte.

Der Ritter von Gange, der dritte Bruder des Marquis, war ein mittelmäßiger Mensch; geboren, um beherrscht zu werden, ging er, je nachdem man ihn leitete, den Pfad des Lasters oder den Weg der Tugend. Der Abbé hatte sich seiner ganz bemächtigt und leitete ihn so nach seinem Willen, daß er sich nicht einmal die Mühe gab, ihm den Beweggrund der Vorschriften zu erklären, die er ihm erteilte. Er besaß aber die Kunst, dem Ritter seine Herrschaft über ihn so zu verbergen, daß dieser nach seinem eignen Willen zu handeln glaubte, während er bloß dem Antrieb des Abbés folgte.

Dieser Bösewicht hatte sich auch durch eine erheuchelte Anhänglichkeit des ganzen Vertrauens seines ältern Bruders, des Marquis, bemächtigt. Es gelang ihm, sich bei dem Marquis in das Ansehen vorzüglicher ökonomischer Einsichten zu bringen, und vermöge der glänzenden Versprechungen, die er seinem Bruder von der Vergrößerung seines Vermögens vorzuspiegeln wußte, brachte er es dahin, daß ihm dieser die Verwaltung seiner Güter und die Aufsicht über sein ganzes Hauswesen anvertrauen wollte. Nachdem der Abbé alles auf diese Art vorbereitet hatte, kam er in Gesellschaft des Ritters zu dem Marquis, um künftig bei ihm zu wohnen.

Kaum hatte er die Reize der Marquise in der Nähe gesehen, als er für sie die ersten Eindrücke der Liebe empfand. Nie gewohnt, seinen Leidenschaften zu widerstehen, ließ er auch dieser freien Lauf und schmeichelte sich, das Ansehen, das er sich in dem Hause seines Bruders verschafft hatte, werde auch bei seiner Schwägerin seine Absichten begünstigen. Seine erste Sorge war, die Marquise sich verbindlich zu machen. Die Gelegenheit dazu bot sich ihm von selbst. Er übernahm es, den Marquis von der Tugend seiner Gemahlin zu überzeugen, erweckte in ihm die vorige Achtung und Zutrauen gegen sie wieder und wurde dadurch der Wiederhersteller ihrer häuslichen Glückseligkeit. Seinem Plan gemäß mußte die Marquise erfahren, wem sie die Rückkehr der glücklichen Tage, die sie genoß, zu verdanken habe. Er entdeckte ihr also, daß dies das Werk seiner Gewalt über ihren Gemahl sei, dessen Leidenschaften er sogar nach seinem Gutdünken lenken könne.

So vergnügt auch die Marquise war, ihr häusliches Glück wiederhergestellt zu sehen, so unangenehm war es ihr gleichwohl, einen so wesentlichen Dienst einem Manne verdanken zu müssen, gegen den sie von dem ersten Anblick an einen unüberwindlichen Widerwillen fühlte. Ohne seinen Charakter weiter zu kennen, hatte sie ihn erraten. Sie fürchtete mit Grund, er möchte den Dienst, den er ihr soeben erwiesen hatte, mißbrauchen, und die Sorgfalt, mit welcher er sie selbst davon unterrichtete, bestärkte ihre Ahnung, denn eine erwiesene Gefälligkeit geltend machen, heißt Dank dafür fordern. Diese Gesinnungen hatten unwillkürlich auf ihren Dank Einfluß, den sie ihm in ganz allgemeinen Komplimenten bezeugte, die mehr Formeln eingeführter Höflichkeit als Ausdruck wahrer Empfindung sind; und selbst diese Phrasen sprach sie so kalt aus, daß er leicht bemerken konnte, Herz und Mund stimmten bei ihr nicht überein.

Es kränkte ihn, daß es ihm nicht gelungen war, der Marquise Erkenntlichkeit einzuflößen, durch welche er in ihrem Herzen Eingang zu finden gehofft hatte. Seine Eitelkeit schmeichelte ihm aber, dies werde ihm durch seine eignen Vorzüge gelingen. Allein vergebens rief er alle Bemühungen der Galanterie und den Reiz, welchen sein Geist in jede Unterhaltung zu legen wußte, zu Hilfe; Gleichgültigkeit, nur mit der äußern Hülle der Höflichkeit bedeckt, war alles, was er gewann. Des ungewissen Strebens müde, entschloß er sich, durch eine deutliche Erklärung sein Schicksal zu entscheiden.

Die Marquise ging auf einige Tage zu einer ihrer Freundinnen aufs Land. Er folgte ihr. Es war bekannt, daß ihm alle Feinheit des gesellschaftlichen Tons zu Gebote stand und daß er die Seele der Unterhaltung war; man empfing ihn also mit Vergnügen, und die Begierde, seiner Schwägerin zu gefallen, machte ihn noch angenehmer als gewöhnlich. Die Damen wollten zu Pferde einer Jagd beiwohnen. Der Abbé bot sich zum Stallmeister der Marquise an und fand dadurch, was er suchte: Gelegenheit, sie viel, und ohne unterbrochen zu werden, zu sprechen. Er ließ den günstigen Zeitpunkt nicht ungenützt und fing an, ihr die Heftigkeit seiner Liebe mit allem Feuer der Beredsamkeit zu schildern. Die Marquise zeigte über sein Geständnis keinen Zorn; diese Aufwallung würde dem Verwegnen nur Anlaß zur Hoffnung gegeben haben; aber sie antwortete ihm mit dem kalten und trocknen Ton, welcher Verachtung oder wenigstens Gleichgültigkeit anzeigt. »Abbé,« sagte sie, »Sie wissen, wie eine Frau, wie Sie mich kennen, ein solches Kompliment erwidern muß, sagen Sie sich das selbst und ersparen Sie mir die Mühe, es Ihnen zu sagen.«

Empfindlich beleidigt, veränderte der Abbé plötzlich den Ton. »Wissen Sie, Madame,« sagte er, »daß Ihr Glück in meinen Händen ist und daß, wenn ich es will, Sie die unglücklichste Frau auf der Welt werden können? Das Glück, das Sie jetzt genießen, ist mein Werk, aber ich kann es zerstören, sobald ich will. Ich fürchte nicht, daß Sie das, was ich Ihnen sage, benutzen können, um mir zuvorzukommen und meinen Plan zu durchkreuzen; ich weiß zu gewiß, daß man Ihnen nicht glauben wird, Sie mögen sagen, was Sie wollen, und Maßregeln ergreifen, welche Sie wollen. Um Ihrer und meiner Ruhe willen, lassen Sie uns sich gegenseitig nicht entzweien; erwidern Sie meine Zärtlichkeit, und die lachendste Zukunft wird unsrer warten.« »Wenn Sie mich je lieben lernen konnten,« erwiderte sie, »so lernen Sie mich jetzt schätzen; nie, ich beteure es Ihnen, wird weder die schönste Aussicht auf die Zukunft, noch die Furcht vor dem unglücklichsten Schicksal mich bestimmen, meine Pflicht zu verletzen und etwas auf Kosten meiner Tugend zu tun. Wenn ich übrigens einer Schwachheit fähig wäre, so würden Sie der letzte sein, der mich dazu bewegen könnte.«

So demütigend auch die letzten Worte waren, so konnten sie doch den Verliebten weder von seiner Leidenschaft heilen, noch von seinem Plan abschrecken. Seine Hoffnung war noch nicht niedergeschlagen, er hatte zu viel Selbstvertrauen, um zu glauben, daß die empfindliche Erklärung der Marquise ihren Grund in der Verachtung seiner Person habe; vielmehr glaubte er, daß sie einen ähnlichen Antrag von jedem andern mit ebendem Unwillen würde abgewiesen haben. In diesem Vertrauen also, daß er keine andre Schwierigkeit als die Tugend der Marquise zu besiegen habe, um seinen Zweck zu erreichen, setzte er mit doppelter Aufmerksamkeit seine Gefälligkeiten gegen sie fort, durch welche er doch endlich ihr Herz zu gewinnen hoffte.

Die Marquise lebte indes glücklich mit ihrem Gemahl; aber ihre Abneigung gegen den Urheber dieses Glücks wurde durch diesen Genuß seiner Wohltat nicht gemindert. Sie vermied aufs sorgfältigste, mit ihm allein zu sein.

Der Ritter war nicht weniger in seine Schwägerin verliebt als sein Bruder. Aber sein sanfter Charakter machte seinen Umgang der Marquise angenehmer. Sie entdeckte ihm sogar Geheimnisse ihres Herzens, nicht als hätte er Eindruck auf sie gemacht, sondern sie verglich den Ritter mit dem Abbé; der erstere gewann und ward günstiger betrachtet. Diese Freundschaftsbezeugungen gaben ihm Hoffnung. Auch der Abbé bemerkte, daß sie seinen Bruder gern um sich sah, indes sie sorgfältig seine Gegenwart mied; er hielt ihn für begünstigt, er belauerte sie, aber er konnte nichts entdecken, was die Tugend der Marquise verdächtig gemacht hätte. Von der Macht, die er sonst über den Ritter behauptete, erwartete er mit Rücksicht auf die Aufschlüsse, die er jetzt suchte, nicht viel; er nahm also seine Zuflucht zur List. »Wir lieben beide unsers Bruders Frau,« sagte er ihm eines Tages, »wir wollen uns nicht im Wege stehen. Ich bin Herr meiner Leidenschaft und kann sie dir aufopfern; wenn dir es aber nicht gelingen sollte, bei ihr dein Glück zu finden, so ziehe dich zurück, und ich will es dann für mich versuchen; aber eines Weibes wegen wollen wir uns nicht entzweien.« Beide umarmten sich, und der Vertrag war geschlossen.

Der Abbé hatte bei diesem Vertrag keine andre Absicht, als sich zu überzeugen, ob die Tugend der Marquise allein die Ursache jener Mißachtung sei, die ihm von ihr widerfahren war, oder ob ein besondrer Widerwille gegen seine Person daran Anteil habe.

Der Ritter, von einem so furchtbaren Nebenbuhler befreit, verdoppelte seine Bemühungen bei der Marquise, welche sie mit Gefälligkeit aufnahm, solange sie den wahren Grund derselben nicht bemerkte. Kaum hatte sie aber diesen entdeckt, so trat eine so auffallende Kälte an die Stelle der bisherigen Freundlichkeit in ihrem Betragen, daß der Ritter es nie wagte, ihr seine Liebe deutlich zu erklären.

Zuletzt sah er wohl ein, daß seine Schwägerin nie seine Leidenschaft erhören würde; er entschloß sich also, seine Liebe zu unterdrücken, und benachrichtigte den Abbé davon, der ihn in seinem Entschluß bestärkte und ihn so sehr zu erbittern wußte, daß Haß in seinem Herzen die Stelle der Liebe einnahm.

Der Abbé hatte indessen seine Hoffnungen nicht ganz aufgegeben; er hatte sich nur dem Scheine nach zurückgezogen, um zu sehen, ob sein Bruder entweder wirklich in einem geheimen Verständnis mit der Marquise stünde oder ob er überhaupt etwas bei ihr ausrichten werde. Jetzt nahm er seinen Plan wieder auf. Aber der Weg, den er nun wählte, war sehr von dem verschieden, welchen er zuerst eingeschlagen hatte. Was er weder durch jenen wichtigen Dienst, den er der Marquise geleistet, noch durch seine fortgesetzten Gefälligkeiten hatte erlangen können, das hoffte er zu erreichen, indem er ihr seine Hilfe notwendig machte; hatte ihn das Glück, das sie ihm allein zu danken hatte, nicht zu seinem Ziel gebracht, so sollte ihn nun die Zerstörung desselben dahin führen.

Seit der Aussöhnung, welche er zwischen der Marquise und ihrem Gemahl gestiftet hatte, war dieser von seiner Eifersucht ganz geheilt, oder es waren wenigstens keine Umstände vorhanden, die seinen Verdacht wieder wecken konnten. Die Absichten des Ritters hatte ihm der Abbé glücklich zu verbergen gewußt, während die Aufmerksamkeit, welche er selbst der Marquise bewies, dem leichtgläubigen Ehemann bloße Sorgfalt schien, die Schritte einer Frau zu beobachten, die wegen ihrer Schönheit von Anbetern umringt, sich doch endlich hätte von einer Schwachheit übereilen lassen können. Das erste, was nun der Abbé begann, war die Zerstörung ebendieser Sicherheit des Marquis, die er, ganz Herr über den Geist seines Bruders, mit eben der Leichtigkeit wieder vernichten konnte, mit der er sie vorher hervorgerufen hatte. In dieser Absicht machte er den Marquis auf die Besuche aufmerksam, welche seine Gemahlin öfters in einem gewissen Hause machte. Sie suchte da die Gesellschaft eines jungen Mannes, dessen Unterhaltung ihr gefiel. Ihrer Unschuld bewußt, erlaubte sie diesem oft, sich neben sie zu setzen und führte bisweilen sogar in Gegenwart der übrigen Gesellschaft ein besonderes Gespräch mit ihm. Der Abbé benutzte diese Gelegenheit, seinem Bruder Verdacht gegen das Betragen seiner Frau einzuflößen. Er wußte dies unschuldige Vergnügen so darzustellen, daß der Marquis, ohne sie anhören zu wollen, sie dieserhalb beleidigte.

Sie sah wohl, woher dieser Streich kam; sie wollte aber ihrem Gemahl die Augen darüber nicht öffnen, weil sie doch kein Gehör bei ihm zu finden hoffen konnte. Um sie über den Urheber ihres Unglücks ja nicht in Ungewißheit zu lassen, erklärte ihr der Abbé eines Tages geradezu: die Leiden, welche sie erduldete, wären sein Werk, er könne sie, wenn er wolle, in Freude verwandeln, nur von ihm hänge ihr Glück ab; und um dieses wiederherzustellen, verlange er nur etwas mehr Gefälligkeit von ihr. Statt aller Antwort kehrte sie ihm den Rücken. Dieser deutliche Beweis der maßlosesten Verachtung erfüllte ihn, dessen Leidenschaften keine Grenzen kannten, mit wütendem Hasse.

Als sie kurz darauf Gesellschaft bei sich hatte, ließ sie Creme zur Erfrischung auftragen. Es befand sich Arsenik darunter; da es aber nur in geringer Menge eingemischt war und die Milch, das Gegengift des Arseniks, seine Wirkung verhinderte, so ward sie sowie alle übrigen, welche mit ihr davon gegessen hatten, nur leicht davon angegriffen.

Diese Begebenheit erregte anfangs großes Aufsehn zu Avignon. Doch zuletzt hörte man auf, davon zu reden, und ein Umstand, welcher dazwischen kam, machte, daß die Marquise es selbst vergaß.

Herr von Rochères starb und hinterließ sie als Erbin seiner großen Güter. Die Liegenschaften, aus welchen diese Erbschaft bestand, wurden in der Hand der Marquise Paraphernalgüter,In den Ländern, in denen römisches Recht gilt, ist das Paraphernalvermögen der Frau jenes Vermögen, das ihr zugehört und nicht unter der Aussteuer, welche sie dem Mann zugebracht hat, begriffen ist. Von diesem hat sie freien Gebrauch der Kapitalien und Renten, der Mann selbst kann es nur als Bevollmächtigter der Frau verwalten. worüber sie nach Gefallen schalten konnte. Dieser Vorfall gab ihr neues Gewicht, und der Abbé selbst stellte dem Marquis vor, er müßte eine Frau schonen, die über so beträchtliche Güter und Renten freie Macht zu schalten habe.

Das Betragen ihrer Verfolger nahm nun auf einmal wieder eine andre Gestalt an. Allein sie sah den wahren Beweggrund dieser Veränderung und wurde dadurch doppelt mißtrauisch gegen die verstellte Freundlichkeit, womit man ihr begegnete, die sie nur dem Erbe zu danken hatte, das die Begierde ihrer feindseligen Verwandten reizte; deswegen betrug sie sich immer zurückhaltend gegen sie.

Man machte nicht lange darauf den Vorschlag, den Herbst zu Ganges zuzubringen, einer kleinen Stadt in Niederlanguedoc, sieben Meilen von Montpellier, und neunzehn von Avignon, wo der Marquis Gutsherr war und ein Schloß besaß. Bei diesem Vorschlag bemächtigte sich ein ängstliches Gefühl des Geists der Marquise. Das Andenken an die vergiftete Milch wachte wieder auf. Sie war überzeugt, daß sie in ihren beiden Schwägern zwei unversöhnliche Feinde hatte, welche desto mehr zu fürchten wären, als sie ihren Gemahl unumschränkt beherrschten. Sie beschloß, vor ihrer Abreise ein Testament zu errichten. Sie setzte Frau von Rossan, ihre Mutter, zu ihrer Erbin ein, mit der Bedingung, eines der beiden Kinder der Marquise (sie hatte einen Sohn von sechs und eine Tochter von fünf Jahren), welchem sie den Vorzug gebe, künftig zum Erben dieses Vermögens einzusetzen.

Nachdem sie dieses Testament mit aller Vorsicht nach der gesetzlichen Form hatte versichern lassen, legte sie vor dem Magistrat von Avignon und mehreren Personen von Stande, die sie zu dem Zwecke zusammenberufen hatte, eine rechtskräftige Erklärung nieder, daß, wenn sie auf ihren Sterbefall ein späteres Testament errichten sollte, sie förmlich das letztere für ungültig erkläre und verlange, man solle sich an das erstere halten. Diese Erklärung geschah in den bestimmtesten Ausdrücken und war mit allen Formeln begleitet, durch welche man sie vor aller Rechtsschikane sichern zu können glaubte.

Vor ihrer Abreise teilte sie verschiednen Geistlichen eine Summe Geldes aus, um auf ihren Sterbefall Messen für sie zu lesen, und diese fromme Bitte tat sie so dringend, als wäre sie schon dem Tode nahe. Alle diese Anstalten beweisen, daß sie von ihren Tyrannen einen Anschlag auf ihr Leben und auf ihr Vermögen befürchtete und das letztere wenigstens ihren Händen entziehen wollte, wenn sie auch jenes vor ihren mörderischen Kunstgriffen nicht retten könnte. Sie war bei dem Abschied von allen ihren Bekannten so bewegt und gerührt, daß sie auf ewig von ihnen zu scheiden schien. Jedermann war bei dieser Trennung bewegt und von traurigen Ahnungen erfüllt. Ihr Gemahl und ihre beiden Schwäger waren nach Ganges vorausgereist und hatten Frau von Gange, ihre Mutter, eine Frau von vielen Verdiensten, auf ihrem Gut in Montpellier abgeholt und mit sich dahin gebracht. Alle bestrebten sich wechselweise, sie angenehm zu empfangen. Man sparte nichts, um die Erinnerung an den Verdruß auszulöschen, welchen die Marquise hatte erdulden müssen. Die zärtlichsten Freundschaftsversicherungen, zuvorkommende Gefälligkeit, das einnehmendste Betragen, alles wurde angewendet, um sie völlig sicher zu machen. Der Abbé und der Ritter vermieden aufs sorgfältigste, ihre der Marquise so verhaßte Rolle der Liebhaber zu spielen, die Stelle leidenschaftlicher Liebe schien ehrfurchtsvolle Freundschaft eingenommen zu haben. Durch ihr offnes, argwohnloses Herz selbst der Verstellung unfähig, fiel die Marquise um so leichter in die Schlinge, welche man ihr legte. Ihre Schwiegermutter kehrte nach einigen Tagen nach Montpellier zurück; den Marquis riefen Geschäfte wieder nach Avignon; sie blieb also mit ihren Schwägern allein. Beide spielten ihre angenommene Rolle so glücklich fort, daß es ihnen endlich gelang, das Zutrauen der Marquise wieder zu gewinnen.

Sobald sie sich desselben hinreichend versichert hatten, lenkte der Abbé eines Tages sehr geschickt die Unterredung auf das Testament der Marquise und gab ihr zu verstehen: solange dieses Aktenstück bestehe, würde die Einigkeit zwischen ihr und ihrem Gemahl immer wankend sein, weil er immer Ursache haben würde zu glauben, daß sie wider ihn aufgebracht sei. »Ich weiß zwar gewiß,« setzte der Abbé hinzu, »daß dieser zärtliche Gemahl fest entschlossen ist, nie wieder die Eintracht zu stören, in welcher er so glückliche Tage mit Ihnen lebte; aber müssen Sie nicht selbst wünschen, ein Hindernis aus dem Wege zu räumen, das die Ausführung dieses Entschlusses immer wenigstens erschweren muß? Nur dies kleine Opfer kostet es Sie, die Zufriedenheit, welche jetzt Ihr ganzes Haus mit Ihnen genießt, unzerstörbar zu machen; wir alle werden mit der Zärtlichkeit unsers Bruders, der nur durch Sie glücklich ist, wetteifern, Ihre Tage froh zu machen; Sie werden unumschränkt über die Herzen Ihrer Verwandten herrschen.«

Es gelang dem Ungeheuer, die unglückliche Dame zu überreden. Sanftmut und Gefälligkeit waren der Grund ihres Charakters; sie machte ein zweites Testament ganz zugunsten ihres Gemahls. Von der Erklärung, welche die Marquise bei dem Magistrat niedergelegt hatte, wußte der Abbé entweder nichts oder er glaubte, es sei nicht nötig, sie zurücknehmen zu lassen, um das zweite Testament, welches er erhalten hatte, gültig zu machen; genug, dieser Urkunde wurde nicht gedacht.

Kaum glaubte der Abbé, alle Zwecke seiner Verstellung erreicht zu haben, so machte er Anstalten, den abscheulichen Plan auszuführen, wodurch er zugleich die Verachtung seiner Liebe rächen und seinen Bruder in den Besitz der Reichtümer, die er ihm durch das erhaltene Testament gesichert zu haben glaubte, schnell und sicher setzen wollte – ein Dienst, bei dem sein Eigennutz nicht weniger als seine Rachsucht Befriedigung erhoffte.

Am 19. Mai 1667 ließ die Marquise durch den Arzt des Ortes eine Arznei anfertigen, die sie einnehmen wollte. Als man sie aber brachte, schien ihr der Trank so schwarz und dick, daß sie aus Ekel ihn wegsetzte und statt dessen nur die Pillen nahm, welche sie gewöhnlich zur Vorsicht bei sich trug. Die Folge der Geschichte läßt nur zu deutlich vermuten, daß der Abbé und der Ritter diese Arznei vergiftet hatten. Vermutlich hofften sie durch diesen Kunstgriff ihr Verbrechen entweder ganz zu verbergen oder doch den Verdacht desselben von sich abzuwenden und auf den unschuldigen Arzt zu lenken, der den Trank bereitet hatte. Unter dem Vorwand der Höflichkeit ließen die beiden Brüder während des Vormittags mehreremal sich nach dem Befinden ihrer Schwägerin erkundigen. Sie staunten sehr, statt der traurigen Wirkungen, welche sie von dem Tranke erwarteten, zu erfahren, daß er ihr sehr heilsam gewesen sei. Daß die Marquise die Arznei nicht gebraucht hatte, wußten sie nicht.

Sie hatten aber einmal diesen Tag zur Ausführung ihres Plans bestimmt und beschlossen, um welchen Preis es auch sei, noch heute ihren Zweck zu erreichen.

Die Marquise blieb im Bett und ließ einige Damen, welche ihre gewöhnliche Gesellschaft ausmachten, auf den Nachmittag zu sich bitten. Sie war heute ungewöhnlich heiter. Ihre beiden Schwäger hingegen waren so zerstreut, daß man glauben mußte, sie seien mit irgendeinem großen Projekt beschäftigt. Die Marquise bemühte sich, durch Scherz über ihr Stillschweigen sie aus ihrer Nachdenklichkeit zu ziehen. Es gelang ihr zwar nicht ganz; doch um sich nichts merken zu lassen, nahmen sie sich zusammen. Der Ritter, der zu ihren Füßen am Bette saß, fing an, der Marquise kleine Neckereien zu sagen, und der Abbé, durch die Erinnerungen seiner Schwägerin wieder zu sich selbst gebracht, war angenehm und unterhaltend. Indes wurde doch der Zwang, den sie sich antaten, von der ganzen Gesellschaft bemerkt. Die Marquise bewirtete ihre Gäste mit kalter Küche, von der sie selbst viel aß. Ihre beiden Schwäger aber rührten gar nichts an. Endlich begab sich die Gesellschaft hinweg. Der Abbé begleitete die Damen bis an das Tor; der Ritter blieb allein bei der Marquise, in tiefes Nachdenken versunken. Sie konnte die Ursache davon nicht erraten und suchte sich eben darüber zu unterrichten, als die Zurückkunft des Abbés ihr das Rätsel schrecklich enthüllte.

Ein Glas mit einem schwarzen, trüben und dicken Trank in der einen, eine Pistole in der andern Hand, trat der Abbé ins Zimmer. Sein Gesicht war fürchterlich, alle Züge verzerrt, Wut in seinen Blicken, die Haare emporgesträubt, Schaum vor seinem Munde. Er schließt die Türe hinter sich ab, bleibt einige Schritte vor dem Bett stehen und heftet einen starren schrecklichen Blick, aus dem das Feuer seiner ganzen Wut blitzt, auf das unglückliche Schlachtopfer. Fürchterlicher als die heftigsten Ausbrüche des Zorns war dieser Anblick, diese Stellung, dieses Schweigen. Plötzlich erwachte der Ritter aus seiner Erstarrung. Ein nicht minder fürchterlicher Ausdruck der Wut, als sich an dem Abbé zeigte, verbreitet sich über sein Gesicht. Er springt auf und zieht den Degen. Anfangs glaubte die Marquise, er wolle ihr zu Hilfe kommen; aber mit Schrecken entdeckt sie bald in seinen drohenden Blicken ihren Irrtum. Eine neue fürchterliche stumme Szene folgt, von allen Qualen einer schauervollen Ungewißheit begleitet. Endlich nähert sich der Abbé und bricht das Stillschweigen. Mit dumpfem, erschütterndem Ton sagt er zur Marquise: »Madame, Sie müssen sterben, wählen Sie, ob durch Schwert, Gift oder Feuer.« »Ha, was tat ich,« schrie sie, »wodurch ich mich des Todes schuldig gemacht, wodurch ich durch Ihre eigene Hand zu sterben verdient hätte! Ich fühle mich gegen Sie keines andern Verbrechens schuldig, als nur dessen, zu sehr auf meine und Ihres Bruders Ehre gehalten zu haben.«

Sie wendete hierauf ihre schönen Augen auf den Ritter und erinnerte ihn an die Beweise ihrer bisherigen Freundschaft gegen ihn. Sie hatte sich ihres ersparten Geldes beraubt, um es ihm vorzuschießen, und erst vor kurzem hatte sie ihm einen Wechsel von 500 Livres zum Geschenke gemacht. Statt aller Antwort sagte dieser Unmensch: »Genug davon, Madame, wählen Sie jetzt, oder wir werden für Sie wählen.«

Mit einem Blick, voll der tiefsten Verachtung, den sie auf ihre Mörder warf, griff sie nach dem Glase und trank es aus, indes der eine ihr die Pistole auf die Brust und der andere die Degenspitze auf den Leib hielt. Einige Tropfen des Tranks, die auf ihren Busen fielen, entzündeten sogleich die Haut; eine Wirkung, die sich auch an ihren Lippen ebenso zeigte.

Der Ritter bemerkte, daß sie den dicksten Teil des Tranks, welcher aus Arsenik und sublimiertem, in Scheidewasser aufgelösten Merkurius bestand, auf dem Boden des Glases übriggelassen hatte. Er strich also mit einer silbernen Nadel alles zusammen, was sich an den Seiten des Glases angehängt hatte, rührte es mit dem Bodensatz um und gab der Marquise das Gefäß noch einmal. »Schnell, Madame,« sagte er, »der Becher muß geleert werden«, und begleitete diesen schrecklichen Befehl mit einem Ausdruck, welchen der Anstand aus gesitteten Gesellschaften verbannt hat. Sie nahm diesen Rest in den Mund, ohne ihn zu verschlucken, sank auf ihr Kopfkissen, und indem sie einen Schrei ausstieß, als ob sie schon die Annäherung des Todes fühlte, warf sie das, was sie zuletzt eingeschluckt hatte, auf ihr Bettuch aus. »Da Sie meinen Leib getötet haben,« schrie sie darauf, »so retten Sie doch um Gottes willen meine Seele und schicken Sie mir einen Beichtvater.«

Sie gingen beide weg, schlossen die Tür zu und riefen den Vikar des Ortes herbei, der in dem Schlosse wohnte. Dieses Ungeheuer, welches Perette hieß, war der Lehrer des Marquis gewesen, hatte auch nachher sich in seinem Hause aufgehalten und besaß noch immer das Zutrauen seines ehemaligen Zöglings.

Die Marquise hatte durch den ganzen schrecklichen Auftritt jedoch die Gegenwart des Geistes nicht verloren. Kaum sah sie sich allein, so machte sie Anstalten zum Entfliehen. In der Eile warf sie nur einen seidnen Überrock über und wollte durch ein Fenster, das zweiundzwanzig Fuß hoch über der Erde war, in den Schloßhof hinabspringen.

In dem Augenblick trat auch schon Perette ins Zimmer. Sie war bereits mit dem Kopf durchs Fenster und stürzte sich eben hinunter, als Perette dazukam und sie sogleich beim Rock faßte. Allein durch das Gewicht ihres Körpers und den Schwung, den sie sich gegeben hatte, zerriß der Rock, ein Teil davon blieb in den Händen des Priesters, und sie fiel hinab. Indes hatte ihr Perette doch das Leben gerettet. Nach der Richtung, die sie genommen hatte, würde sie ohne sein Dazwischentreten sich den Kopf zerschmettert haben; durch das Aufhalten veränderte sich aber die Neigung ihres Körpers, sie fiel auf die Füße und nahm weiter keinen Schaden als eine kleine Verletzung ihrer Füße an den unten liegenden Steinen. Da der Elende die unglückliche Marquise nicht hatte zurückhalten können, so warf er einen großen Krug voll Wasser, welcher im nächsten Fenster stand und sie gewiß zerschmettert haben würde, wenn er sie getroffen hätte, auf sie hinab. Allein glücklicherweise fiel er neben ihr nieder.

Sobald sie sich auf dem Boden sah, steckte sie das Ende ihres Hinterhaars tief in den Mund; und da sie stark gegessen hatte, ward es ihr leicht, sich zum Erbrechen zu reizen, und da die Speisen das Gift verhindert hatten, die Magenwände anzugreifen, so ward sie dadurch etwas erleichtert. Ein Eber verschlang ihren Auswurf und wurde dadurch auf der Stelle getötet.

Kaum hatte die Marquise diesen ersten Schritt zu ihrer Erhaltung getan, so eilte sie zu entfliehen; aber alle Ausgänge des Hofes waren verschlossen. Sie suchte durch die Ställe zu entkommen, allein diese waren gleichfalls abgeschlossen. Zufälligerweise begegnete ihr ein Stallknecht. »Ich bin verloren,« schrie sie, »wenn du mir nicht den Stall zum Entfliehen öffnest.« Der Zustand, in welchem er seine Gebieterin sah, der Ton, mit welchen sie sprach, ließen ihm nicht Zeit, sich lange zu besinnen. Vom innigsten Mitleid durchdrungen, ohne weiter nachzudenken, nahm er sie in seine Arme, trug sie aus dem Schlosse und übergab sie den Händen der ersten Weiber, denen er begegnete.

Indessen eilten die beiden Mörder, durch Perette von der Flucht ihrer Schwägerin benachrichtigt, herbei, liefen der Fliehenden nach, und während diese die Vorübergehenden um einen Zufluchtsort bat, schrien jene ihr nach: sie habe einen Anfall von Mutterbeschwerung und sei rasend. Wer würde dies nicht geglaubt haben, da die Marquise mit bloßen Füßen, im Hemde, nur mit einem zerrissenen taftnen Rocke bekleidet, in fliegenden Haaren, mit verstörtem Gesicht und um Hilfe rufend, durch die Straßen lief?

Schon war der Pöbel im Begriff, sie als rasend anzuhalten, als sie der Ritter bei dem Hause des Herrn Des Prats, ungefähr dreihundert Schritte von dem Schlosse, einholte. Er drängte sie mit Gewalt hinein und schloß die Tür hinter sich ab. Der Abbé stellte sich auf die Türschwelle, mit der Pistole in der Hand, und drohte, den ersten, der sich ihm nähern würde, zu erschießen; denn er wolle nicht, sagte er, daß seine Schwägerin in ihrer Raserei sich jedermann zum Schauspiel darstelle. Seine eigentliche Absicht war aber, wie man leicht einsehen kann, der unglücklichen Dame alle Hilfe abzuschneiden.

Der Herr Des Prats war nicht zu Hause; seine Frau hatte aber verschiedne ihrer Freundinnen zum Besuch bei sich. Die Marquise wiederholte stets, daß sie vergiftet sei. Brunelle, die Frau des protestantischen Predigers im Orte, steckte ihr heimlich eine Büchse mit Theriak zu, wovon sie einige Stücke aß, wenn der Ritter, der, um sie zu bewachen, in dem Zimmer auf und ab ging, ihr den Rücken zukehrte. Eine von den Frauen reichte ihr ein Glas Wasser, um die Hitze, welche das Gift und der Theriak in ihren Eingeweiden verursachte, zu lindern. Der Ritter ergriff das Glas und zerbrach es an den Lippen seiner Schwägerin. »Sie würden mir einen großen Gefallen erzeigen,« sagte er darauf zu den Frauen, »wenn Sie nicht länger Zeugen der Narrheit meiner Schwägerin sein und sie in ihren Einbildungen bestärken wollten; ich bin hier, um für sie zu sorgen, und werde sie nicht eher verlassen, bis sie sich in besserem Zustand befindet; Sie können sie also sicher meiner eigenen Vorsicht überlassen.«

Die Marquise ergriff diese Gelegenheit, so schwach auch immer ihre Hoffnung von diesem Mittel sein mochte, noch etwas zu ihrer Rettung zu versuchen. Sie glaubte noch, ihren Henker zum Mitleid bewegen zu können, und bat also die Gesellschaft selbst, sie mit ihm allein zu lassen. Nachdem diese sich entfernt hatte, warf sie sich ihrem Schwager zu Füßen, erinnerte ihn an die Beweise der Freundschaft, die sie ihm gegeben hatte, versprach ihm, in der Folge sich seinem Willen blindlings zu unterwerfen, die erlittne Behandlung zu vergessen und dem Auftritt, welcher sich soeben zugetragen habe, jede Auslegung zu geben, welche er für gut befinden würde.

Statt aller Antwort zieht dieser wütende Unmensch seinen Degen und versetzt ihr zwei Stiche in die Brust. Sie läuft gegen die Tür und ruft um Hilfe, er verfolgt sie, versetzt ihr von hinten noch fünf Stiche mit solcher Wut, daß der Degen zerbricht und ein langes Stück in ihrer Schulter steckenbleibt. Dann eilt er zu dem Abbé, der noch immer die Tür bewacht. »Abbé, laß uns fliehen,« rief er, »die Tat ist vollendet.« Auf das Schreien der Marquise stürzte die ganze Gesellschaft wieder ins Zimmer und fand sie in ihrem Blute schwimmend. Sie hofften aber doch, daß sie noch gerettet werden könne, und schrien deswegen aus dem Fenster, man solle einen Wundarzt rufen.

Der Abbé hört noch dieses Schreien, er fürchtet, die Marquise könnte sich vielleicht wieder erholen. Sogleich eilt er zurück, dringt durch die Umstehenden, setzt ihr die Pistole auf die Brust und drückt los. Zum Glück versagte seine Waffe; doch würde auch der Schuß von Madame Brunelle abgewendet worden sein, die ihm den Arm umdrehte, als er abdrückte. Mit geballter Faust gab er dieser Frau einen heftigen Schlag an den Kopf und drehte darauf seine Pistole um, um damit die Marquise zu erschlagen. Allein die Frauen fielen mit vereinter Macht über ihn her, schlugen ihn, so sehr sie konnten, und brachten ihn so bis an die Haustür.

Nun eilten sie der Marquise zu Hilfe, suchten das Blut zu stillen und das abgebrochene Stück des Degens aus der Schulter zu ziehen. Die Spitze war aber so tief in den Knochen eingedrungen, daß sie nur mit der äußersten Gewalt herausgezogen werden konnte, während sie, auf das Verlangen der Marquise selbst, das Knie gegen ihre Schulter anstemmten. Unterdessen war ein Wundarzt gekommen und legte nun den ersten Verband an; er fand aber keine von den Wunden tödlich.

Die Gerichtspersonen von Ganges erschienen mit bewaffneter Hand und stellten auf das Bitten der Marquise Wachen rund um das Haus des Herrn Des Prats. Der Oberrichter Baron von Tressan ließ sogleich den Mördern nachsetzen. Man konnte sie aber nicht erreichen. Es war neun Uhr abends, als sie den letzten Versuch auf das Leben der Marquise gewagt hatten; die Finsternis begünstigte also ihre Flucht.

Sie nahmen ihren Weg nach einem Landgut des Marquis, das nur eine Meile weit von Ganges entfernt war. Beide machten sich gegenseitig die heftigsten Vorwürfe, ihren Streich verfehlt zu haben. Dies schmerzte sie so sehr, daß sie beinahe Hand an sich selbst gelegt hätten; sie wollten sogar umkehren, um den Mord zu vollenden. Allein ihrer Wut unerachtet, begriffen sie doch bald, daß sie bei dem Aufsehen, welches ihre Tat erregt hatte, unfehlbar, sobald sie sich wieder zeigten, gefangengenommen werden würden. Sie dachten also nur daran, dem Richter zu entgehen, und flohen in die Nachbarschaft von Agde. Hier schifften sie sich ein, und man wird in der Folge sehen, was aus ihnen geworden ist.

Die Marquise erhielt allen möglichen Beistand, man ließ eilends Ärzte und Wundärzte aus Montpellier kommen, und der ganze Adel der Umgegend wetteiferte, ihr seine Teilnahme an ihrem Unglück zu bezeigen.

Der Marquis war in Avignon, als er von dem Anschlag auf seine Gemahlin erfuhr. Wenn er auch mit seinen Brüdern diesen Mord verabredet hatte, so waren ihm doch diese öffentlichen Ausbrüche ihrer Wut gewiß ebenso unerwartet als unangenehm, da er vermutlich bloß an eine heimliche Vergiftung gedacht hatte.

Wie dem auch sei, beim Empfang der Nachricht schien er ganz von dem Entsetzen ergriffen, das diese unmenschliche Tat bei jedem erregen mußte; er brach in Verwünschungen gegen seine Brüder aus und schwur, mit eigner Hand die schändliche Tat an ihnen zu rächen, kurz, er spielte in Gegenwart des Kuriers die Rolle, welche seiner Lage zukam.

Indessen eilte er nicht sehr, seiner Gemahlin zu Hilfe zu kommen. Er schob seine Abreise bis zum andern Tage nach Tisch auf und besuchte noch mehrere Personen in der Stadt, mit denen er gar nicht von dem Unglück seiner Gemahlin sprach. Als er zu Ganges ankam, ließ er sich der Kranken durch einen Geistlichen ankündigen. Er wurde mit allen Zeichen der Zärtlichkeit empfangen, welche nur der beste Ehemann verdienen kann, nur machte ihm seine Gemahlin einige Vorwürfe, daß er sie verlassen zu haben schiene. Doch fürchtete sie nachher, ihre Ausdrücke dabei nicht genug gemäßigt zu haben, und bat ihn deswegen um Verzeihung; sie reichte ihm auf die zärtlichste Weise die Hand, gab ihm wiederholt die Versicherung ihrer ganzen Achtung und bat ihn, den Vorwurf, welcher ihr soeben entfahren sei, nur ihrem Schmerz, nicht ihren Gesinnungen zuzuschreiben.

Der Marquis wollte eine so günstige Gelegenheit, seine eigensüchtigen Absichten zu erreichen, nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Durch die Zärtlichkeit, welche ihm seine Gemahlin bezeugte, ward er kühn genug, sie um die Zurücknahme jener Erklärung zu bitten, mit welcher sie ihr Testament zu Avignon bestätigt hatte. Diese Urkunde hatte nämlich den Vizelegat bewogen, die Einregistrierung des Testaments, welches zu Ganges errichtet worden war, zu verweigern. Sie antwortete aber standhaft, sie werde ihr Testament zu Avignon unberührt lassen, weil dieses die wahren Gesinnungen enthalte, mit welchen sie sterben wolle. Wahrscheinlich hatte das eigennützige Verlangen des Marquis ihr die Augen über die wahre Denkungsart ihres Gemahls geöffnet. Sie gab sich aber alle Mühe, ihren Argwohn zu verbergen; was hatte sie nicht von einem solchen Menschen zu befürchten, wenn er bemerkt hätte, man habe ihn wegen des Einverständnisses mit seinen Brüdern in Verdacht? Das Testament wurde nach dieser Unterhaltung nie wieder erwähnt.

Auch der Marquis bemühte sich, die Empfindungen seiner getäuschten Erwartung zu verbergen. Er wendete alle mögliche Sorgfalt für die Pflege seiner Gemahlin an und blieb beständig um sie in dem Hause des Herrn Des Prats, aus welchem sie ihres Gesundheitszustandes wegen nicht gebracht werden konnte. Sie verlangte dringend, nach Montpellier gebracht zu werden, wo die nötige Hilfe zur Hand war und wo sie von Frau von Rossan, ihrer Mutter, welche daselbst wohnte, gepflegt werden konnte. Der Arzt erlaubte aber diese Reise nicht, die das Leben der Marquise in augenscheinliche Gefahr gebracht haben würde. Frau von Rossan begab sich sogleich zu ihrer Tochter; aber die Gegenwart des Marquis war ihr unerträglich. Sie zitterte vor Unwillen, wenn sie ihn sah, und konnte es kaum begreifen, wie ihre Tochter ihn so gelassen um sich dulden konnte. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, mit einem Menschen in einem Hause zu wohnen, den sie als das Oberhaupt der fürchterlichen Verschwörung ansah, welche den wütenden Mördern ihrer Tochter die Waffen in die Hände gedrückt hatte. Nichts war imstande, sie länger aufzuhalten; sie reiste am dritten Tage wieder ab.

Die Marquise verlangte die letzten Sakramente. Sie schauderte vor Entsetzen, als sie Perette mit der Hostie sich ihr nähern sah, ihn, der mit ihren Mördern im Einverständnis sie zurückhalten wollte, als sie ihren Händen zu entfliehen suchte und, um sie zu erschlagen, einen vollen Wasserkrug auf sie herabgeworfen hatte. Sie traute auch jetzt dem Bösewicht nicht und wollte das Abendmahl nicht eher nehmen, bis er selbst vorher einen Teil der Hostie genossen hatte.

Durch die Gründe der Religion beruhigt und von dem Gefühl des nahen Todes ergriffen, versicherte nun die Marquise feierlich, bei Gott, dem allwissenden Richter, vor dessen Thron sie bald erscheinen würde, daß sie ihren Mördern vollkommen vergeben habe. Sie bat ihre Freunde, die Untersuchung der Justiz gegen dieselben zu unterdrücken, und bemühte sich, selbst ihrem Sohn, den sie immer bei sich an dem Bette hatte, alle Rachegelüste zu nehmen, die in seinem jungen Herzen erwachten.

Die Justiz konnte aber nicht den milden Gesinnungen der Marquise zustimmen. Sobald dem Parlament zu Toulouse der schreckliche Angriff auf ihr Leben hinterbracht wurde, schickte es sogleich den Rat von Catelan nach Ganges, um die Marquise zu vernehmen und alle Erkundigungen einzuziehen, die zur Überführung der Schuldigen dienen konnten. Gleich nach seiner Ankunft hatte er eine besondere geheime Unterredung mit der Kranken. Er wendete alle Mittel an, die ihm die Klugheit eingab, um sich von dem schrecklichen Verbrechen, das die Bestrafung durch die Justiz erforderte, genau zu unterrichten. Nachdem sie diesem Kommissar alles erklärt hatte, was die Heiligkeit ihres Eides sie zu sagen nötigte, bezeugte sie ihm, sie bleibe nur mit vielem Widerwillen zu Ganges; verschiedne begründete Anlässe zur Furcht beunruhigten sie unaufhörlich, und sie wünsche, anderswohin gebracht zu werden. Alle Vorstellungen des Herrn von Catelan konnten sie nicht über ihre Ängstlichkeit beruhigen; nichts konnte ihren Abscheu gegen einen Ort überwinden, der sie unaufhörlich an die schrecklichen Grausamkeiten erinnerte, die sie da erlitten hatte.

Diese Unterredung, welche in ihrer Phantasie alle Schrecken jener fürchterlichen Szene wieder hervorrief, verschlimmerte ihre Krankheit. Sie brachte die Nacht in großen Schmerzen zu und starb am andern Tage, dem 7. Juni 1667, gegen vier Uhr abends.

Herr von Catelan ließ sogleich kraft des Auftrages, welchen ihm sein Kollegium gegeben hatte, den Marquis von Gange in seinem Schlosse gefangennehmen. »Ich bin bereit zu gehorchen,« sagte der Marquis zu der Wache, die ihn abholen sollte, »es ist unnötig Gewalt anzuwenden, es ist selbst meine Absicht, die Mörder meiner Frau vor dem Parlament zu verfolgen.« Alles wurde nun im Schlosse versiegelt, und man brachte ihn in das Gefängnis zu Montpellier, wo er nachts ankam. Alle Einwohner waren an den Fenstern; und um den Marquis vorbeikommen zu sehen, hatte man beinahe die ganze Stadt erleuchtet. Der Pöbel lief ihm durch alle Straßen nach und verfolgte ihn mit Flüchen und wildem Geschrei. Alle Weiber von Montpellier und Avignon betrachteten das Schicksal der Marquise als ihr eignes, in allen Häusern sprach man davon, ihren Tod zu rächen, eben als wäre das Unglück jeder einzelnen Familie widerfahren.

Man öffnete den Leichnam der Marquise. Keine der empfangenen Wunden schien tödlich gewesen zu sein. Das Gift allein hatte sie getötet, es hatte ihre Eingeweide verbrannt und selbst das Gehirn geschwärzt. Die Natur, welche an ihr alle Reize der Schönheit verschwendet, hatte alle Teile ihres Körpers in einem schönen Verhältnis gebildet, welche eine regelmäßige und also starke Leibesbeschaffenheit bildeten. Das zehrendste Gift bestürmte neunzehn Tage lang ihren gesunden Körper, und die Natur selbst schien ein Werk verteidigen zu wollen, an dessen Bildung sie mit so vielem Vergnügen verweilt hatte, denn sie verdoppelte die Reize desselben während des Kampfes mit dem zerstörenden Feinde. Nie war die Marquise schöner, nie ihre Farbe blühender, das Feuer ihrer Augen lebhafter, ihre Stimme fester und sanfter gewesen.

Frau von Rossan, ihre Mutter, nahm nun als eingesetzte Erbin das ganze Vermögen ihrer Tochter in Besitz und strengte wider die Mörder, unter die sie auch den Marquis mit einschloß, eine peinliche Klage an, mit dem festen Entschluß, sie mit der äußersten Strenge zu verfolgen, bis der Tod der Marquise gerächt wäre. Der Marquis wurde jetzt in die Gefängnisse nach Toulouse abgeführt. Herr von Catelan unterzog ihn verschiednen Verhören, deren eins elf Stunden dauerte.

Frau von Rossan ließ eine Denkschrift veröffentlichen, welche die Beweggründe ihrer Anklage gegen ihren Schwiegersohn enthielt.

»Es ist ohne Zweifel sehr schwer,« sagte sie darin, »das Gericht und das Publikum zu überzeugen, daß ein Mann von Stande, dessen guter Name bisher immer unbefleckt gewesen ist, den Vorsatz gefaßt habe, durch die Hand seiner eignen Brüder eine Gemahlin ermorden zu lassen, die alle Reize der Schönheit im blühendsten Alter mit einem ganz untadelhaften Betragen vereinigte. Noch weniger wird man begreifen, wie es einer mit allem Feuer der Leidenschaft beseelten Beredsamkeit hätte gelingen können, seine beiden Brüder zu gleicher Zeit zu veranlassen, die Grausamkeit, Schande und Gefahr dieser Handlung zu übernehmen.

»Doch das Erstaunen wird noch größer, wenn man hört, daß bloß Eigennutz die Triebfeder dieser Grausamkeit gewesen sein soll. Er besaß von seiner Seite ein ansehnliches Vermögen, er hatte die Mitgift seiner Frau; und wenn diese ihr Paraphernalvermögen selbst verwaltete, so genoß er doch auch dies insofern zugleich, als er nun keine Ausgaben für sie zu machen hatte und also die Einkünfte des ganzen zusammengebrachten Vermögens zu seinem Vorteil verwenden konnte.

»Eine so vorteilhafte Lage war aber diesem gierigen Menschen nicht hinreichend, er wollte durch den Tod seiner Frau sich ihrer Aussteuer und ihres Paraphernalvermögens ganz bemächtigen. Er erpreßt von ihr das Testament, das zu Ganges errichtet wurde; und um der Erblasserin keine Zeit zu lassen, diese Urkunde zu widerrufen, und um zu gleicher Zeit unumschränkter Herr des Vermögens zu werden, wovon er erst den Genuß nach ihrem Tode bekommen sollte, entschließt er sich, sie auf der Stelle ermorden zu lassen.

»Diese Handlungen sind unglaublich, aber doch darum, leider! nicht minder wahr. Vergebens will sich der Marquis von Gange mit seiner Abwesenheit schützen. Vergebens führt er an, daß man weder einen schriftlichen, noch einen durch Zeugen bestätigten Beweis gegen ihn vorbringen könne. Vergebens schmeichelt er sich, der Strafe zu entgehen, weil sein mit seinen Brüdern entworfener Anschlag nicht gerichtlich erwiesen ist und weil die Flucht dieser beiden Mörder es unmöglich gemacht hat, durch Verhör oder Tortur die Wahrheit von ihnen zu erfahren.

»Wenn Verbrecher nicht anders als durch mündliche oder schriftliche Beweise überführt werden könnten, wie viele Verbrechen würden dann wohl ungestraft bleiben? Wie viele Schuldige würden dann wohl des Vorrechts der Unschuld genießen, weil sie so vorsichtig waren, alle Zeugen zu entfernen und nichts, was auf ihr Verbrechen Bezug haben könnte, dem Papier anzuvertrauen? Bloß die Unvorsichtigkeit der Verbrecher würde dann der Schutz der menschlichen Gesellschaft sein.

»Hier aber ist das Gesetz der Gerechtigkeit zu Hilfe gekommen; wenn schriftliche und Zeugenbeweise fehlen, so hat es Mutmaßungen zugelassen. Wenn diese stark genug sind, um zur Gewißheit zu leiten, so sind sie so gut wie Beweise, denn in diesem Fall sind sie selbst Beweise.

»1. Man kann gar nicht bezweifeln, daß der Abbé und der Ritter bei ihrem Anschlag auf das Leben der Marquise keinen andern Zweck hatten, als den Marquis sogleich in den unumschränkten Besitz ihres Vermögens zu setzen. Daher die ausgezeichnete Gefälligkeit, die scheinbare Anhänglichkeit, die erheuchelte Achtung, welche diese Lasterhaften während des Aufenthalts zu Ganges der Marquise bezeugten. Sie wollten ihr Vertrauen, ihre Zuneigung gewinnen, um sie zu dem Testamente zu bereden, das sie durch die Schmeicheleien der Betrüger verführt, zum Besten ihres Gemahls wirklich errichten ließ. Kaum hatten sie diese dem Marquis so wichtige Urkunde in Händen, als sie, um jede Abänderung derselben auf immer zu verhindern, den Mord der Marquise beschlossen und beschleunigten.

»Wer sollte denn nun den Nutzen dieses Testaments einernten? Wer anders als der Marquis? Wessen Interesse war es denn, der Erblasserin den Widerruf ihres letzten Willens unmöglich zu machen und sich so schnell als möglich in den Besitz der Erbschaft zu setzen? War es nicht das Interesse des Marquis? Und wen kann man denn der Natur der Sache nach als den Urheber eines Verbrechens ansehn, als nur den, der Nutzen davon zieht? Is fecit scelus, cui prodest.

»Von der andern Seite betrachtet können diese beiden Mörder so wenig aus eignem Interesse diese Mordtat begangen haben, da sie vielmehr augenscheinlich ihren eignen Untergang dabei wagten. Wenn der Marquis sie nicht selbst aufgefordert hätte, würden sie es wohl gewagt haben, seine Gemahlin zu ermorden? Würden sie wohl aus freiem Willen sich der Wut, dem Abscheu und der Rache eines verzweifelten Ehemanns ausgesetzt haben? Liefen sie denn nicht Gefahr, Opfer der Gerechtigkeit zu werden, welcher sie, von einem Manne verfolgt, dessen Gefühle, dessen eigne Ehre ihn zu ihrem unversöhnlichsten Feind machen mußten, nicht leicht entrinnen konnten? Sahen sie denn nicht, daß, wenn auch der Zufall sie der Hand dieses fürchterlichen Rächers und dem Arm der Gerechtigkeit entzog, sie doch ihre Tage in steter Angst, im Elende und allen daraus entspringenden Schrecknissen durchleben mußten?

»Solche fürchterliche Verbrechen können nur durch die Gewalt der heftigsten Leidenschaften erzeugt werden. Die einzigen Leidenschaften, welche hier beide Brüder anspornen konnten, waren Rache oder Eigennutz. Wodurch hatte denn aber diese Unglückliche ihre Rachsucht gereizt? Welches Unrecht hatte sie ihnen zugefügt? Hatte sie nicht vielmehr beide, so sehr sie konnte, sich verbindlich gemacht? Hatte sie nicht dem Ritter verschiedne wesentliche Dienste geleistet? Über welche Beleidigung von ihr konnten sie sich beklagen? Sie hatte ihre Liebe nicht erwidert. Mußte ihnen nicht dieser Widerstand sogar Hochachtung gegen sie einflößen? Überdies hatte sie ja auf ihr Verlangen ganz so, wie sie es wünschten, ein Testament errichtet. Rache konnte also nicht der Beweggrund ihrer Handlung sein. Wie konnte sie aber Eigennutz zu dieser Untat bewegen? Das Testament schaffte ihnen ja keinen Nutzen. Wollten sie etwa nach verübtem Morde ihre Barschaft stehlen? Wie unbeträchtlich war diese, mit dem Opfer verglichen, das sie dagegen hätten bringen müssen, den Rest ihres Lebens in fortwährender Furcht stets verborgen, mit einem Wort in dem Zustand derjenigen Leute zu durchleben, welche gewiß sind, überall, wo man sie kennt, als Feinde der menschlichen Gesellschaft betrachtet zu werden? Überdies war dieser Raub nicht ergiebig genug, ihnen, wo es auch sei, die Ruhe und Annehmlichkeit zu verschaffen, welche sie in dem Hause ihres Bruders genossen. Unmöglich also kann man mutmaßen, daß der Reiz eines Diebstahls, der ihnen keinen andern Vorteil als nur die Schande, ihn begangen zu haben, gewähren konnte, sie zu einem Mord verleitet habe, der mit Verleugnung aller menschlichen Gefühle vollzogen wurde. Wenn man also annehmen wollte, die unmenschliche Tat sei ohne Veranlassung des Marquis von ihnen ausgeführt worden, so würde dieser fürchterliche Ausbruch von Grausamkeit nicht nur ohne Ursache begangen worden sein, sondern die Mörder hätten sich auch vorsätzlich in einen Abgrund von Unglück gestürzt, während dahingegen, wenn man annimmt, daß sie auf Veranlassung des Marquis gehandelt haben, alles als sehr möglich sich darstellt.

»Man kann in der Tat nicht glauben, daß die Grausamkeiten, welche die Ausführung dieser Untat begleiteten, mit in dem anfangs entworfenen Plan gewesen seien. In ihrer Handlung selbst zeigt sich ihr ganzer Plan. Indem sie ihrem Schlachtopfer die Wahl unter drei Todesarten ließen, erwarteten sie wohl, sie würde das Gift wählen. Die Pistole, gespannt, ihren Kopf zu zerschmettern, der Degen, gezückt, ihre Brust zu durchbohren, wurden ihr nur vorgehalten, um ihr zu zeigen, daß ihr Tod fest beschlossen sei. Der Tod durch Feuerwaffen oder durch ein Schwert ist fürchterlich, weil er plötzlich ist; das Gift hingegen läßt noch einigen Schein der Hoffnung übrig. Die Leibesbeschaffenheit ist vielleicht stark genug, ihm zu widerstehen; die Dosis ist vielleicht nicht hinreichend; unvorhergesehene Umstände können vielleicht unerwartete Hilfe verschaffen, ehe noch das Gift seine verwüstende Wirkung äußern konnte. Auch wußte die Marquise aus Erfahrung, daß Nachstellungen durch Gift nicht immer unfehlbar tödlich sind; sie war schon einmal solchen Anschlägen auf ihr Leben entgangen. Daß sie alle diese Überlegungen anstellen konnte, kann man nicht leugnen; ihr Betragen während der drei oder vier Stunden, solange sie in den Händen ihrer Mörder war, beweist, daß die nahe Gefahr ihr die Geistesgegenwart nicht geraubt hatte. Sie kannten überdies die Frömmigkeit der Marquise und erwarteten daher, sie werde die Todesart wählen, welche ihr Zeit ließe, für das Wohl ihrer Seele zu sorgen. Aus dieser Rücksicht hatten sie auch Perette in die Verschwörung eingeweiht und ihm den Auftrag erteilt, sich zu dem letzten geistlichen Beistand bereitzuhalten.

»Was aber die Vermutung, daß sie eigentlich durch Gift ihre Tat hatten ausüben wollen, noch mehr bestätigt, ist die dunkle Farbe und das trübe Aussehen der Arznei, welches die Marquise bewog, sie nicht zu gebrauchen; und die Unruhe, mit welcher die beiden Schwäger den ganzen Morgen hindurch jeden Augenblick sich nach ihrem Befinden erkundigten. Entsprang diese Unruhe etwa aus dem Interesse an einer Person, deren Tod sie beschlossen hatten? Ist es nicht im Gegenteil augenscheinlich, daß sie nur aus der Furcht, ihren Anschlag verfehlt zu haben, entstand?

»Gift war also das Mittel, welches sie erwählt hatten, eine Erbschaft freizumachen, welche der Gegenstand aller ihrer Wünsche war. Ihre Maßregeln waren sehr gut getroffen. Hätte die Marquise, durch ihre Drohungen erschreckt, den Giftbecher ruhig ausgeleert, ihr Verbrechen wäre das undurchdringlichste Geheimnis geblieben. Die vorhergegangene Unpäßlichkeit der Marquise, die widrige Wirkung der Arznei, die Unvorsichtigkeit, ihren von der Arznei noch angegriffnen Magen mit vielem Essen zu überladen, waren Gründe genug, denen man ihren plötzlichen Tod zuschreiben konnte; und mit Hilfe des Vikars konnte der Leichnam ohne weitere Untersuchung und Formalitäten beerdigt werden.

»So war der Plan gemacht. Aber die Klugheit der beiden Mörder artete in blinde Wut aus, als sie die Sache eine so unerwartete Wendung nehmen sahen. Diese Veränderung in ihrem Herzen scheint ganz natürlich zu sein und zeigt immer deutlicher die Mitschuld des Marquis. Konnte die Marquise einen Zufluchtsort erreichen, so war ihre Tat entdeckt und das Gelingen ihrer eignen Flucht am hellen Tage beinahe unmöglich. Der Zufall kam ihnen zwar zu Hilfe, indem sie Zeit genug hatten, die Marquise, ehe sie sich in ein Haus einschließen und ihre Erlebnisse erzählen konnte, einzuholen. Allein ihr Streich war doch verfehlt, die Umstände machten ihre Absicht öffentlich bekannt. Da sie nun keine andre Rettung als Flucht vor sich sahen, so wollten sie sich wenigstens vorher die versprochne Belohnung sichern, indem sie den ihnen von ihrem Bruder aufgetragnen Mord vollendeten.

»2. Ehe noch die Marquise das Testament errichtet hatte, in welchem sie ihre Mutter zur Erbin einsetzte, hatte man versucht, sie mit Arsenik, der unter eine Creme gemischt war, zu vergiften. Schon dieses ersten Anschlags auf das Leben der Marquise hat sich ihr Gemahl verdächtig gemacht, in dessen Interesse es lag, dem Testament zuvorzukommen. Alle, die mit ihr von der Creme aßen, wurden krank; die Sache erregte allgemeines Aufsehn. Gleichwohl wurde keine Untersuchung angestellt; man überließ es der Zeit, den Vorfall in Vergessenheit zu bringen. Wenn der Marquis nicht schuldig gewesen wäre, würde er nicht den Urhebern dieses Verbrechens nachgespürt haben, um sie bestrafen zu lassen? Seine Kälte, seine Unempfindlichkeit und Sicherheit über einen Zufall, dessen Opfer er ja selbst werden konnte: machen diese nicht einen unumstößlichen Beweis seiner Schuld aus? Hat er das erste Verbrechen begangen, so ist er auch des zweiten schuldig.

»3. Der Eigennutz, der ihm dieses Verbrechen einflößte, fand kein Hindernis in seinem Herzen. Er liebte seine Gemahlin nicht, er hegte den schwärzesten Haß gegen sie. Als sie ihm einst bloß im Scherz einige Vorwürfe machte, schlug er sie mit seinem Degengehenk und schloß sie mehrere Tage in einen Turm ein, wo ihr der Verdruß eine Art von Schlagfluß zuzog. Durch diese Grausamkeiten bereitete er sich zu dem blutigen Ausgang vor, den er durch seine Brüder ausführen lassen wollte.

»4. Die vertraute Freundschaft selbst, in welcher die Mörder mit ihrem Bruder standen, hätte ihnen einen solchen Anschlag auf seine Gemahlin nicht erlaubt. Wie eng diese Freundschaft war, läßt sich schon daraus erkennen, daß beide sich nicht entschließen konnten, ihm die Ausführung eines solchen Verbrechens abzuschlagen; daß selbst der Abbé, der doch das Herz des Marquis so ganz in seiner Gewalt hatte, es nicht wagte, ihm zu widerraten. Wie hätte bei einem so hohen Grad von Freundschaft irgendeine Leidenschaft sie zu der schaudervollen Ermordung der Gattin ihres zärtlich geliebten Bruders hinreißen können, wenn er nicht selbst mit ihnen darüber einverstanden gewesen wäre?

»5. Aus welcher andern Ursache wurde Ganges zum Schauplatz dieses Mordes ausersehen, als weil hier der Marquis als Oberherr unumschränkte Macht hatte und also seinen Anschlag entweder selbst oder durch seine Vertrauten ungehindert ausführen konnte?

»6. Mehr als bloße Vermutung, einen wirklichen Beweis gibt folgender Umstand. Die Tat geschah am 19. Mai 1667 abends; und am andern Morgen traf der Bediente des Abbé von Gange schon zu Avignon bei dem Marquis ein, so daß er in der Nacht neunzehn Meilen geritten war. Durch diesen Kurier erhielt der Marquis die Nachricht von dem Zustand seiner Gemahlin, durch ihn verbreitete sich diese Neuigkeit in Avignon. Schickt wohl ein Mörder selbst Kuriere, um diejenigen von seiner Mordtat zu benachrichtigen, deren Interesse es ist, sie zu rächen? Wird er wohl selbst seine Verfolger durch Eilboten in den Stand setzen, seine Flucht zu verhindern?

»7. Hat der Marquis auch nur einen Schritt bei der Polizei getan, um die Mörder verfolgen zu lassen? Beweist seine Untätigkeit nicht, daß er dadurch gegen sich selbst zu handeln fürchtete? Aber sein Betragen überhaupt kann uns schon den vollständigsten Beweis seines Verbrechens geben.

»Ob er gleich schon am andern Morgen das seiner Gemahlin widerfahrne Unglück erfuhr, so reiste er dennoch erst am folgenden Tage ab und brachte drei Tage auf einer Reise zu, welche der Abgeschickte der Mörder in einer Nacht gemacht hatte. Dieses Betragen beweist seine Gleichgültigkeit gegen seine Frau und zu gleicher Zeit die Absicht, den Mördern Zeit zum Entfliehen zu lassen. Welcher Ehemann, der für seine Frau auch nur das geringste menschliche Gefühl hegte, würde nicht zu ihrer Hilfe herbeigeeilt sein, wenn er nicht der Urheber oder wenigstens der Mitwisser der gegen ihre Person gewagten Anschläge gewesen wäre? Ist es nicht unleugbar, daß er durch diesen Zeitgewinn den Mördern Gelegenheit gab, zu entfliehen und einen sichern Zufluchtsort zu erreichen? Alles zeigt an, daß dieser Gedanke ihn allein beschäftigte, und es war wirklich sein größtes Interesse, wenn sie glücklich entflohen. Hätte die Polizei sie eingeholt, so würde man ihnen das Geständnis der Mitschuld ihres Bruders entrissen haben.

»Er brachte den ganzen Tag in Avignon zu und machte wie gewöhnlich Besuche daselbst. Sein Aussehen und sein Betragen zeugten von keinem Schrecken, er sprach mit niemand von dem Unglück, welches seiner Gemahlin begegnet war, und schien so ruhig, als hätte er die angenehmsten Nachrichten von ihrem Befinden erhalten. Dieses Schweigen war eine wesentliche Vorsicht, um den Mördern Zeit zum Entweichen zu lassen. Er glaubte, das Gerücht dieses Verbrechens sei nur zu seinen Ohren gekommen, er könne sich folglich stellen, als wisse er es nicht; denn wenn er so unvorsichtig gewesen wäre zu erkennen zu geben, er sei davon benachrichtigt, so hätte er unmöglich zu Avignon bleiben können, ohne wenigstens zum Schein Anstalten zu treffen, dem Entweichen der Mörder zuvorzukommen; und seine Untätigkeit selbst würde alsdann hinlänglicher Vorwand für die Obrigkeit gewesen sein, ihn als der Mitschuld verdächtig gefangenzunehmen. Aber er soll auch nicht diese Absicht gehabt haben: muß man nicht wenigstens zugestehen, daß diese unnatürliche Gleichgültigkeit einen sehr rohen Charakter und einen tiefen Haß gegen seine Gemahlin beweist?

»Endlich reiste er ab und bringt so viele Zeit auf der Reise zu, als er nötig glaubte, um die Mörder in Sicherheit zu wissen. Er kommt an. Er hatte Zeit genug gehabt, sich auf die Rolle vorzubereiten, die er jetzt spielen mußte. Ein doppeltes Interesse war es, worauf er Rücksicht zu nehmen hatte: einmal, allen Verdacht seiner Gemahlin sowohl als des ganzen Publikums von sich abzuwälzen; und dann seine Gemahlin zu der Zurücknahme ihrer in Avignon niedergelegten Erklärung zu bewegen, um ihr erstes Testament ungültig zu machen und das, welches die Mörder von ihr erpreßt hatten, zu sichern. Um in beiden Plänen seine Absicht zu erreichen, erscheint er vor seiner Gemahlin und denen, die sie umgaben, mit den Zeichen des lebhaftesten Schmerzes, wünscht nichts sehnlicher als die Genesung seiner geliebten Gattin, atmet nichts als Rache gegen ihre Mörder und will keine Mühe scheuen, diese in ihrem äußersten Umfang auszuüben. Dieses unglückliche Weib, welches nicht glauben konnte, daß Verstellung so natürlich die Rolle der Wahrheit spielen könne, welche so viele Verdorbenheit in einem Herzen, das sie einst im Besitz hatte, nicht vermuten konnte, welches mit einem Wort ein argloses unschuldiges Herz besaß, erwies einem Gemahl, den sie zu ihrer Hilfe herbeigeeilt glaubte, alles, was aufrichtige Zärtlichkeit zu erweisen vermag. Aber nun verläßt den Grausamen seine bisherige Klugheit; der Eigennutz verblendet ihn. Er benutzt den Augenblick, wo diese Unglückliche sich den Gesinnungen, von welchen sie gegen ihn durchdrungen war, überläßt, und verlangt von ihr den Widerruf der Erklärung, welche sie zur Bestätigung ihres ersten Testaments vor dem Magistrat zu Avignon abgegeben hatte. Der Elende! Er fürchtet nicht, durch diesen Vorschlag alle ihre Wunden aufzureißen, er scheut sich nicht, seinen Anteil an dem Verbrechen zu offenbaren, indem er selbst den Beweggrund desselben gesteht, einen Grund, worüber die Wahl der Mörder keinen Zweifel ließ!

»Dieser einzige Vorschlag öffnete der Marquise die Augen und zeigte ihr den Urheber aller ihrer Leiden. Sie sah mit Recht diese Bitte als eine versteckte Billigung dessen an, was der Abbé und der Ritter gegen sie unternommen hatten; daher die Entschlossenheit, mit der sie die niederträchtige Forderung standhaft zurückwies!

»Dies ist aber nicht der einzige Umstand, wo die Klugheit den Marquis verließ. Er speiste vier Tage lang mit Perette zusammen, er schloß sich allein mit ihm in dem Schloß zu Ganges ein, er brachte die Abende von seiner Ankunft an bis zu dem Tode seiner Gemahlin mit ihm zu, und doch gestand er in dem Verhör, dieser nämliche Perette hätte allen Anzeichen nach Anteil an der Verschwörung gehabt. Man braucht weiter gar nicht über ein solches Betragen nachzudenken, es trägt das unverkennbarste Gepräge der Schuld.

»Könnte man wohl irgendeinen Beweis durch Urkunden und Zeugen aufstellen, der stärker wäre als derjenige, der sich aus diesen überzeugenden Vermutungen ergibt? Überdies ist hier ein Korpusdelikti, und in diesem Fall ist es Grundsatz, daß der Angeklagte, gegen den sich mehrere Vermutungen erheben, für schuldig erkannt wird, solange er nicht durch klare Beweise sich rechtfertigt. Welche Beweise kann aber wohl der Angeklagte den Gründen entgegensetzen, welche hiermit dem Gerichte vorgelegt werden?« –

Dies waren die Gründe, mit welchen Frau von Rossan ihre Anklage gegen den Marquis unterstützte. Der Abbé und der Ritter von Gange waren beide überführt, noch ehe sie angeklagt wurden. Die Stimme der Öffentlichkeit hatte, indem sie beide den Gerichten angab, schon die Beweise ihrer Grausamkeit entwickelt.

Die Verteidigung des Marquis von Gange war sehr kurz. »Ich habe das Unglück,« sagte er, »zwei lasterhafte Brüder zu haben, welche meiner Gattin, einer Frau, die ich zärtlich liebte, nach dem Leben trachteten. Die Bösewichter haben sie grausam ermordet, und zum Übermaß des Unglücks werde ich selbst als Urheber dieses Verbrechens angeklagt, welches die Natur schaudern macht. Niedergebeugt durch das ganze Gewicht einer so schrecklichen Anklage, tief verwundet durch dies ungerechte Mißtrauen gegen meine Unschuld, habe ich kaum die Kraft, etwas zu meiner Verteidigung vorzubringen. Alles, was ich tun kann, ist zu sagen, daß es einesteils nur Vermutungen, andernteils bloß Verleumdungen sind, die man gegen mich aufgestellt hat. Dies sind die Waffen, deren man sich gegen mich bedient.

»Auf bloße Verleumdungen zu antworten, hieße in der Tat, seine Unschuld selbst verdächtig machen. Was soll man aber gegen Vermutungen sagen? Vermutungen sind nichts anderes als Zeichen, welche die Möglichkeit möglicher Handlungen zulassen, die aber ebensowohl auch nicht möglich zu sein brauchen. Wie kann man nun einen Angeklagten auf Möglichkeiten hin verdammen? Muß man nicht, wenn von beiden Seiten Möglichkeiten vorhanden sind und man ebensowohl für die Unschuld, als für das Verbrechen mutmaßen kann, muß man sich dann nicht für die Unschuld erklären? Diese Regel haben Menschlichkeit und Billigkeit in unsre Herzen geschrieben, denn sonst ist kein Unschuldiger vor der Verurteilung sicher. Ein Verbrechen ward begangen; der Zufall ließ verschiedne Umstände zusammentreffen, aus welchen erhellt, daß ein solcher Mensch vielleicht der Schuldige sein könne: wird man ihn wegen dieses bloßen Anscheins verdammen? Wenn dies die Regel wird, nach welcher die Gerichte urteilen, so wird täglich der Schuldige mit dem Unschuldigen leiden.

»So groß auch die Zahl dieser Vermutungen sein mag, so leihen diese einander selbst kein größeres Gewicht. Sie verbreiten wechselseitig kein Licht übereinander, besonders wenn sie von verschiednen Tatsachen hergeleitet werden, deren jedermann in gleichem Maße strafbare oder unschuldige Beweggründe zuschreiben kann. Ist aber dies nicht wirklich bei allen den Tatsachen der Fall, aus denen man die Mutmaßungen herleitet, welche mich zu dem Blutgerüste führen sollen?

»Wieviel weniger können aber solche Vermutungen, welche man nur durch äußerste Anstrengung der Einbildungskraft zusammengeschmiedet hat, dann gelten, wenn die Tatsachen, die ihnen zur Grundlage dienen, falsch und verleumderisch sind? Wenn man von solchen Beschuldigungen, wie zum Beispiel die von dem angeblich unter Creme gemischten Arsenik oder von der üblen Behandlung der Marquise, welche man in der Anklage vorgebracht hat, einen Beweis weder beibringt noch beibringen kann?«

Auf diese wenigen Bemerkungen schränkte der Marquis seine ganze Verteidigung ein. Das Publikum hielt ihn für schuldig und forderte Rache – mit lauter Stimme Rache. Die Richter waren wohl als Menschen von der Schuld des Marquis überzeugt, sie glaubten aber nicht, daß Vermutungen allein, so überzeugend sie auch wären, ein Todesurteil begründen könnten.

Folgendes Urteil ward am 21. August 1667 kundgemacht: »Der Abbé und der Ritter von Gange sind verdammt, lebendig gerädert zu werden; der Marquis, ihr Bruder, ist auf ewig des Landes verwiesen, seines Adels verlustig erklärt, und seine Güter sind zum Nutzen des Königs eingezogen. Der Priester Perette soll durch die geistliche Macht seines Ordens entsetzt und lebenslänglich auf die Galeeren geschmiedet werden.«

Man war unzufrieden mit diesem Urteil, welches entweder zu hart oder zu gelinde war. War der Marquis schuldig, so verdiente er den Tod, war er unschuldig, so mußte man ihn freisprechen. Wenn Indizien zu einem Todesurteil nicht hinreichten, so hätte man weitläufigere Untersuchungen anstellen und unter diesem Vorwand einen Mann, der wegen eines so schrecklichen Verbrechens verdächtig war, im Gefängnis behalten sollen.

Selbst der König war mißvergnügt über dieses Urteil und äußerte es sehr deutlich bei folgender Gelegenheit. Der Marquis von Douze ward einige Zeit nachher auch wegen Vergiftung seiner Frau eingezogen und hatte starke Indizien gegen sich. Als man den König um Gnade für ihn bat, erwiderte er: »Er hat keine Gnade nötig, weil er unter dem Parlament von Toulouse steht, bei welchem der Marquis von Gange so gut durchgekommen ist.« Vermutlich war diese Äußerung schuld, daß der Marquis von Douze zum Tode verurteilt wurde.

Perette ward in Ketten geschmiedet und starb auf dem Wege zu den Galeeren.

Der König schenkte dem Grafen von Gange die eingezogenen Güter seines Bruders; dieser gab sie aber nachher dem Sohn des Marquis, nachdem er mündig geworden war, wieder zurück.

Der Marquis lebte nach seiner Verurteilung eine Zeitlang verborgen. Nachher fand er aber Gelegenheit, bei dem Herrn von Baville, Intendanten von Languedoc, sich in Gunst zu setzen, indem er die Reformierten unter dessen Vasallen zum Hören der Messe anhielt und diejenigen anzeigte, welche es nicht taten. Unter dem Schutz dieses Intendanten hatte er zuletzt nicht mehr nötig, sich verborgen zu halten, sondern lebte ganz öffentlich auf dem Schlosse zu Ganges bei seinem Sohne, dem der Graf inzwischen den Besitz seiner Güter wiedergegeben hatte. Endlich mußte er aber doch Frankreich noch verlassen; sein Sohn selbst sah sich gezwungen, auf die Vollziehung des wider ihn ausgesprochnen Urteils zu dringen.

Wir müssen hier unsre Leser mit diesem Sohn selbst bekannt machen. Er war Hauptmann eines Dragonerregiments. Sein liebenswürdiger Charakter und sein gefälliges Betragen ließen vergessen, daß er der Sohn des Marquis sei; und man erinnerte sich dieses Umstandes nur, um seine guten Eigenschaften um so mehr zu bewundern.

Als er einst zu Metz in Besatzung lag, verliebte er sich in die Frau eines Goldschmieds, konnte sie aber aller Zärtlichkeit ungeachtet nicht zur Erwiderung seiner Liebe bewegen. So standen die Sachen, als sein Regiment Befehl erhielt, die Hugenotten in Metz zur Änderung ihres Glaubens zu zwingen. Die Geliebte des jungen Marquis, welche dieses Glaubens war, bekam Einquartierung in ihr Haus und sollte gezwungen werden, die Messe zu hören. Sie ertrug einige Tage die Verfolgung ihrer Bekehrer; da sie es aber nicht länger aushalten konnte und gleichwohl entschlossen war, alles ihrem Glauben aufzuopfern, ließ sie den Hauptmann von Gange zu sich rufen. »Marquis,« sagte sie zu ihm, »Sie versicherten mich oft Ihrer Liebe, wollen Sie mir dies jetzt beweisen? Lassen Sie mich von hier entfliehen, verschaffen Sie mir Gelegenheit, das Königreich zu verlassen; zur Belohnung verspreche ich Ihnen die Erfüllung Ihrer Wünsche. Der Himmel wird mir eine Sünde verzeihen, welche mich des Lasters, als Heuchlerin zu leben, überhebt.« »Nein, Madame,« sagte der Marquis, »ich werde Ihre Lage nicht ausnutzen. Meine Wünsche wären erfüllt, wenn ich Ihrer Zärtlichkeit das verdanken könnte, was ich jetzt nur dem Zwang anrechnen kann. Ich möchte alles Ihrem Herzen verdanken können, aber schändlich wäre es, Ihre jetzige Lage so auszunutzen. Ich will Sie daraus befreien, und statt aller Belohnung bitte ich Sie bloß um die Gefälligkeit, zuweilen an mich zu denken.« Er hielt Wort und brachte sie sicher aus der Stadt bis über die Grenze, obgleich ein Dienst dieser Art mit großer Gefahr für ihn selbst verbunden war.

Einige Zeit nachher heiratete er die reiche und liebenswürdige Tochter des Barons von Moissac. Er brachte seine junge Gemahlin nach Ganges, wo er sie, während er zu seinem Regiment zurückkehren mußte, in den Händen seines Vaters zurückließ. Da die Geschichte dieses Mannes ziemlich vergessen war und niemand Interesse daran hatte, auf die Erfüllung seiner Landesverweisung zu dringen, so konnte er jetzt ganz ruhig bei seinem Sohn sich aufhalten. Bei seiner Abreise empfahl der junge Marquis seinem Vater die liebenswürdige Marquise aufs dringendste. Aber dieser alte Bösewicht mißbrauchte bald seinen Auftrag. Um sich durch seinen Bekehrungseifer bei dem Intendanten immer mehr einzuschmeicheln, nahm er ihr ein Kammermädchen weg, das sie sehr liebte, unter dem Vorwand, daß sie als eine Neubekehrte keine Protestantin in ihrem Dienst haben dürfte. Die junge Marquise verbarg ihren Verdruß darüber. Sie war allein mit ihrem Schwiegervater, der hier über alles zu befehlen hatte, in dem Schlosse. Sie zitterte täglich, mit ihm allein in dem Zimmer, wo ihre Schwiegermutter ihr Leben geendigt hatte, speisen zu müssen. Aber ihr Schrecken stieg aufs äußerste, als sie in ihm einen feurigen Liebhaber entdeckte. Wie gefährlich war es nicht, einen Mann, dessen Leidenschaften so heftig wüteten, durch eine verdiente Zurechtweisung zu beleidigen? Sie konnte sich niemand anvertrauen, alles in dem Schlosse war ihr verdächtig. Ihr Vater war selbst erst vor kurzer Zeit zu dem katholischen Glauben übergetreten, an ihn konnte sie also nicht schreiben, weil dies ihrem Schwiegervater selbst Veranlassung geben konnte, die Briefe zu erbrechen. Es blieb ihr nur das einzige Mittel, an ihren Gemahl zu schreiben, weil ihre Briefe an diesen, welcher ein alter Katholik war, dem Inquisitor nicht verdächtig sein konnten.

Sobald der junge Marquis von dem schändlichen Unternehmen seines Vaters und der unglücklichen Lage seiner Gemahlin benachrichtigt war, eilte er in größter Geschwindigkeit an den Hof, warf sich dem König zu Füßen, bat ihn, die Landesverweisung gegen seinen Vater ausüben zu lassen, und versprach, diesem, wo er sich auch aufhalten werde, reichlichen Lebensunterhalt zu geben.

Der König schien erstaunt, daß der Marquis von Gange seine Landesverweisung nicht befolgt hatte, und befahl, den Prozeß gegen ihn zu erneuern. Zum Glück für den Marquis war eben der Graf von Gange am Hofe, als dies beschlossen wurde. Sobald er es erfuhr, reiste er eilends ab und brachte seinen Bruder nach Avignon, welcher sich von da nach l´Isle begab, einer kleinen Stadt in der Grafschaft Venaissin unweit der berühmten Quelle Vaucluse. Seit der Zeit hat man nichts weiter von ihm gehört.

Der Ritter von Gange begab sich nach Venedig und trat in die Dienste dieser Republik, welche damals mit den Türken Krieg führte. Er ward nach Candia abgeschickt, welches die Muselmänner schon zweiundzwanzig Jahre lang belagerten. Hier soll er durch eine Bombe getötet worden sein. Wenigstens verschwand er seitdem, und niemand wußte zu sagen, wo er hingekommen sei.

Der Abbé von Gange flüchtete sich nach Vianen in Holland, welches damals dem Grafen von der Lippe gehörte. Hier lernte er einen Edelmann kennen, der ihn dem Grafen als einen geflüchteten Franzosen von Talenten vorstellte. Er hatte den Namen La Martellière angenommen.

Der Graf, welcher an diesem Fremden einen Mann von Geist und Geschmack fand, der sich durch vorzügliche Kenntnisse besonders in den schönen Wissenschaften auszeichnete, vertraute ihm die Erziehung seines neunjährigen Sohnes an. Die glücklichen Fortschritte des jungen Grafen und die übrigen ausgezeichneten Talente des vermeintlichen La Martellière gewannen ihm so sehr die Achtung des Grafen und der Gräfin, daß bald ohne seinen Rat nichts geschah und er gleichsam diesen kleinen Staat regierte. Einst wollten sich französische Flüchtlinge in Vianen niederlassen und sich anbauen. Aus Furcht, von ihnen entdeckt zu werden, überredete er den Grafen, die Bitte abzuschlagen.

Endlich wagte er es, um die Hand einer jungen Dame anzuhalten, deren Neigung er zu erschleichen gewußt hatte und die eine Verwandte der Gräfin war. Die Gräfin, welche dem Hofmeister ihres Sohnes gewogen war, wollte ihm zwar für sein übriges Leben eine anständige Versorgung verschaffen, doch glaubte sie, sein Stand berechtige ihn nicht zu einer solchen Verbindung. Sie erklärte also der jungen Dame geradezu: man werde ihr eine solche Mißheirat nie erlauben; zwar sei La Martellière ein ehrlicher Mann, mit dem man zufrieden sein könne. Aber er sei fremd und habe stets seine wahre Herkunft, die ihm vermutlich nicht viel Ehre mache, verheimlicht; man könne ihn also wohl für seine Dienste belohnen, doch müsse man ihm die Ehre des Hauses nicht aufopfern.

Weil seine Herkunft das einzige Hindernis zu sein schien, so wagte es der Abbé, der Gräfin seinen wahren Namen zu entdecken. »Wie,« schrie die Gräfin, als sie dies hörte, »Sie sind der abscheuliche Abbé von Gange, dessen Name schon zittern macht? Himmel, wie konnte ich einem solchen Ungeheuer die Erziehung meines Sohnes anvertrauen!« Er erhielt sogleich Befehl, schnell das Gebiet von Vianen zu verlassen und sich nie wieder vor dem Grafen oder der Gräfin sehen zu lassen.

Er begab sich nach Amsterdam, wo er Sprachlehrer ward. Seine Geliebte suchte ihn daselbst auf und heiratete ihn. Der junge Graf, sein Zögling, unterstützte ihn heimlich, und in der Folge bekam er den Nießbrauch der Güter seiner Gemahlin. Seine Kenntnisse verschafften ihm eine Stelle in dem protestantischen Konsistorium, und er starb hier mit dem Namen eines ehrlichen Mannes.

Die Tochter der Marquise von Gange vermählte sich mit dem Marquis von Perraud, einem siebzigjährigen Greis, der sich nur aus Haß gegen seine Verwandten verheiratete, um ihnen durch eigne Nachkommenschaft seine Erbschaft zu entziehen. Diesen Zweck zu erreichen, verfolgte er selbst seine Gemahlin mit verschiednen Angriffen auf ihre Tugend, welche der Frau von Noyer Gelegenheit gegeben haben, in einer ihrer Schriften eine Ehestandsgeschichte dieser Frau zu schreiben. Der Tod befreite sie endlich von diesem Feinde ihrer Tugend. Sie vermählte sich zum zweitenmal mit einem Mann von vorzüglichen Eigenschaften, dem Marquis Durban. Doch ward (wenn man Frau von Noyer glauben darf) diese Dame, welche während ihrer Ehe mit einem Greis ein Muster der Tugend gewesen war, als sie einen jungen, liebenswürdigen Mann geheiratet hatte, die Schande ihres Geschlechts.

 


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