Friedrich Schiller
Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst
Friedrich Schiller

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Friedrich Schiller

Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst.[Dieser Aufsatz erschien zuerst im IV. Theile der Sammlung kleiner prosaischen Schriften des Verfassers. (Leipzig bei Crusius, 1802.)]

Gemein ist alles, was nicht zu dem Geiste spricht und kein anderes als ein sinnliches Interesse erregt. Es gibt zwar tausend Dinge, die schon durch ihren Stoff oder Inhalt gemein sind; aber weil das Gemeine des Stoffes durch die Behandlung veredelt werden kann, so ist in der Kunst nur vom Gemeinen in der Form die Rede. Ein gemeiner Kopf wird den edelsten Stoff durch eine gemeine Behandlung verunehren; ein großer Kopf und ein edler Geist hingegen wird selbst das Gemeine zu adeln wissen, und zwar dadurch, daß er es an etwas Geistiges anknüpft und eine große Seite daran entdeckt. So wird uns ein Geschichtschreiber von gemeinem Schlage die unbedeutendsten Verrichtungen eines Helden eben so sorgfältig als seine erhabensten Thaten berichten und sich eben so lang bei seinem Stammbaum, seiner Kleidertracht, seinem Hauswesen, als bei seinen Entwürfen und Unternehmungen verweilen. Seine größten Thaten wird er so erzählen, daß kein Mensch es ihnen ansieht, was sie sind. Umgekehrt wird ein Geschichtschreiber von Geist und eignem Seelenadel auch in das Privatleben und in die unwichtigsten Handlungen seines Helden ein Interesse und einen Gehalt legen, der sie wichtig macht. Einen gemeinen Geschmack haben in der bildenden Kunst die niederländischen Maler, einen edeln und großen Geschmack die Italiener, noch mehr aber die Griechen bewiesen. Diese gingen immer auf das Ideal, verwarfen jeden gemeinen Zug und wählten auch keinen gemeinen Stoff.

Ein Porträtmaler kann seinen Gegenstand gemein und kann ihn groß behandeln. Gemein, wenn er das Zufällige eben so sorgfältig darstellt als das Nothwendige, wenn er das Große vernachlässigt und das Kleine sorgfältig ausführt; groß, wenn er das Interessanteste herauszufinden weiß, das Zufällige von dem Nothwendigen scheidet, das Kleine nur andeutet und das Große ausführt. Groß aber ist nichts, als der Ausdruck der Seele in Handlungen, Geberden und Stellungen.

Ein Dichter behandelt seinen Stoff gemein, wenn er unwichtige Handlungen ausführt und über wichtige flüchtig hinweggeht. Er behandelt ihn groß, wenn er ihn mit dem Großen verbindet. Homer wußte den Schild des Achilles sehr geistreich zu behandeln, obgleich die Verfertigung eines Schildes dem Stoff nach etwas sehr Gemeines ist.

Noch eine Stufe unter dem Gemeinen steht das Niedrige, welches von jenem darin unterschieden ist, daß es nicht bloß etwas Negatives, nicht bloß Mangel des Geistreichen und Edeln, sondern etwas Positives, nämlich Rohheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen anzeigt. Das Gemeine zeugt bloß von einem fehlenden Vorzug, der sich wünschen läßt, das Niedrige von dem Mangel einer Eigenschaft, die von jedem gefordert werden kann. So ist z. B. die Rache an sich, wo sie sich auch finden und wie sie sich auch äußern mag, etwas Gemeines, weil sie einen Mangel von Edelmuth beweiset. Aber man unterscheidet noch besonders eine niedrige Rache, wenn der Mensch, der sie ausübt, sich verächtlicher Mittel bedient, sie zu befriedigen. Das Niedrige bezeichnet immer etwas Grobes und Pöbelhaftes; gemein aber kann auch ein Mensch von Geburt und bessern Sitten denken und handeln, wenn er mittelmäßige Gaben besitzt. Ein Mensch handelt gemein, der nur auf seinen Nutzen bedacht ist, und insofern steht er dem edeln Menschen entgegen, der sich selbst vergessen kann, um einem andern einen Genuß zu verschaffen. Derselbe Mensch aber würde niedrig handeln, wenn er seinem Nutzen auf Kosten seiner Ehre nachginge und auch nicht einmal die Gesetze des Anstandes dabei respektieren wollte. Das Gemeine ist also dem Edeln, das Niedrige dem Edeln und Anständigen zugleich entgegengesetzt. Jeder Leidenschaft ohne allen Widerstand nachgeben, jeden Trieb befriedigen, ohne sich auch nur von den Regeln des Wohlstands, viel weniger von denen der Sittlichkeit zügeln zu lassen, ist niedrig und verräth eine niedrige Seele.

Auch in Kunstwerken kann man in das Niedrige verfallen, nicht bloß, indem man niedrige Gegenstände wählt, die der Sinn für Anstand und Schicklichkeit ausschließt, sondern auch indem man sie niedrig behandelt. Niedrig behandelt man einen Gegenstand, wenn man entweder diejenige Seite an ihm, welche der gute Anstand verbergen heißt, bemerklich macht, oder wenn man ihm einen Ausdruck gibt, der auf niedrige Nebenvorstellungen leitet. In dem Leben des größten Mannes kommen niedrige Verrichtungen vor, aber nur ein niedriger Geschmack wird sie herausheben und ausmalen.

Man findet Gemälde aus der heiligen Geschichte, wo die Apostel, die Jungfrau und Christus selbst einen Ausdruck haben, als wenn sie aus dem gemeinsten Pöbel wären aufgegriffen worden. Alle solche Ausführungen beweisen einen niedrigen Geschmack, der uns ein Recht gibt, auf eine rohe und pöbelhafte Denkart des Künstlers selbst zu schließen.

Es gibt zwar Fälle, wo das Niedrige auch in der Kunst gestattet werden kann, da nämlich, wo es Lachen erregen soll. Auch ein Mensch von feinen Sitten kann zuweilen, ohne einen verderbten Geschmack zu verrathen, an dem rohen, aber wahren Ausdruck der Natur und an dem Contrast zwischen den Sitten der feinen Welt und des Pöbels sich belustigen. Die Betrunkenheit eines Menschen von Stande würde, wo sie auch vorkäme, Mißfallen erregen; aber ein betrunkener Postillon, Matrose und Karrenschieber macht uns lachen. Scherze, die uns an einem Menschen von Erziehung unerträglich sein würden, belustigen uns im Munde des Pöbels. Von dieser Art sind viele Scenen des Aristophanes, die aber zuweilen auch diese Grenze überschreiten und schlechterdings verwerflich sind. Deßwegen ergötzen wir uns an Parodieen, wo Gesinnungen, Redensarten und Verrichtungen des gemeinen Pöbels denselben vornehmen Personen untergeschoben werden, die der Dichter mit aller Würde und Anstand behandelt hat. Sobald es der Dichter bloß auf ein Lachstück anlegt und weiter nichts will, als uns belustigen, so können wir ihm auch das Niedrige hingehen lassen, nur muß er nie Unwillen oder Ekel erregen.

Unwillen erregt er, wenn er das Niedrige da anbringt, wo wir es schlechterdings nicht verzeihen können, bei Menschen nämlich, von denen wir berechtigt sind feinere Sitten zu fordern. Handelt er dagegen, so beleidigt er entweder die Wahrheit, weil wir ihn lieber für einen Lügner halten, als glauben wollen, daß Menschen von Erziehung wirklich so niedrig handeln können; oder feine Menschen beleidigen unser Sittengefühl und erregen, welches noch schlimmer ist, unsere Indignation. Ganz anders ist es in der Farce, wo zwischen dem Dichter und dem Zuschauer ein stillschweigender Contrakt ist, daß man keine Wahrheit zu erwarten habe. In der Farce dispensieren wir den Dichter von aller Treue der Schilderung, und er erhält gleichsam ein Privilegium, uns zu belügen. Denn hier gründet sich das Komische gerade auf seinen Contrast mit der Wahrheit; es kann aber unmöglich zugleich wahr sein und mit der Wahrheit contrastieren.

Es gibt aber auch im Ernsthaften und Tragischen einige seltene Fälle, wo das Niedrige angewandt werden kann. Alsdann muß es aber ins Furchtbare übergehen, und die augenblickliche Beleidigung des Geschmacks muß durch eine starke Beschäftigung des Affekts ausgelöscht und also von einer höhern tragischen Wirkung gleichsam verschlungen werden. Stehlen z. B. ist etwas Absolut-Niedriges, und was auch unser Herz zur Entschuldigung eines Diebs vorbringen kann, wie sehr er auch durch den Drang der Umstände mag verleitet worden sein, so ist ihm ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt, und ästhetisch bleibt er immer ein niedriger Gegenstand. Der Geschmack verzeiht hier noch weniger, als die Moral, und sein Richterstuhl ist strenger, weil ein ästhetischer Gegenwand auch für alle Nebenideen verantwortlich ist, die auf seine Veranlassung in uns rege gemacht werden, da hingegen die moralische Beurtheilung von allem Zufälligen abstrahiert. Ein Mensch, der stiehlt, würde demnach für jede poetische Darstellung von ernsthaftem Inhalt ein höchst verwerfliches Objekt sein. Wird aber dieser Mensch zugleich Mörder, so ist er zwar moralisch noch viel verwerflicher, aber ästhetisch wird er dadurch wieder um einen Grad brauchbarer. Derjenige, der sich (ich rede hier immer nur von der ästhetischen Beurtheilungsweise) durch eine Infamie erniedrigt, kann durch ein Verbrechen wieder in etwas erhöht und in unsre ästhetische Achtung restituiert werden. Diese Abweichung des moralischen Urtheils von dem ästhetischen ist merkwürdig und verdient Aufmerksamkeit. Man kann mehrere Ursachen davon anführen. Erstlich habe ich schon gesagt, daß, weil das ästhetische Urtheil von der Phantasie abhängt, auch alle Nebenvorstellungen, welche durch einen Gegenstand in uns erregt werden und mit demselben in einer natürlichen Verbindung stehen, auf dieses Urtheil einfließen. Sind nun diese Nebenvorstellungen von einer niedrigen Art, so erniedrigen sie den Hauptgegenstand unvermeidlich.

Zweitens sehen wir in der ästhetischen Beurtheilung auf die Kraft, bei einer moralischen auf die Gesetzmäßigkeit. Kraftmangel ist etwas Verächtliches, und jede Handlung, die uns darauf schließen läßt, ist es gleichfalls. Jede feige und kriechende That ist uns widrig durch den Kraftmangel, den sie verräth; umgekehrt kann uns eine teufelische That, sobald sie nur Kraft verräth, ästhetisch gefallen. Ein Diebstahl aber zeigt eine kriechende, feige Gesinnung an; eine Mordthat hat wenigstens den Schein von Kraft, wenigstens richtet sich der Grad unsers Interesse, das wir ästhetisch daran nehmen, nach dem Grad der Kraft, der dabei geäußert worden ist.

Drittens werden wir bei einem schweren und schrecklichen Verbrechen von der Qualität desselben abgezogen und auf seine furchtbaren Folgen aufmerksam gemacht. Die stärkere Gemütsbewegung unterdrückt alsdann die schwächere. Wir sehen nicht rückwärts in die Seele des Thäters, sondern vorwärts in sein Schicksal, auf die Wirkungen seiner That. Sobald wir aber anfangen zu zittern, so schweigt jede Zärtlichkeit des Geschmacks. Der Haupteindruck erfüllt unsre Seele ganz, und die zufälligen Nebenideen, an denen eigentlich das Niedrige hängt, erlöschen. Daher ist der Diebstahl des jungen Ruhberg, in Verbrechen aus Ehrsucht, auf der Schaubühne nicht widrig, sondern wahrhaft tragisch. – Der Dichter hat mit vieler Geschicklichkeit die Umstände so geleitet, daß wir fortgerissen werden und nicht zu Athem kommen. Das schreckliche Elend seiner Familie und besonders der Jammer seines Vaters sind Gegenstände, die unsre ganze Aufmerksamkeit von dem Thäter hinweg und auf die Folgen seiner That leiten. Wir sind viel zu sehr im Affekt, um uns auf die Vorstellungen der Schande einzulassen, womit der Diebstahl gebrandmarkt wird. Kurz: das Niedrige wird durch das Schreckliche versteckt. Es ist sonderbar, daß dieser wirklich begangene Diebstahl des jungen Ruhberg nicht so viel Widriges hat, als der bloße ungegründete Verdacht eines Diebstahls in einem andern Schauspiel. Hier wird ein junger Officier unverdienter Weise beschuldigt, einen silbernen Löffel eingesteckt zu haben, der sich nachher findet. Das Niedrige ist also hier bloß eingebildet, bloßer Verdacht, und doch thut es dem unschuldigen Helden des Stücks, in unsrer ästhetischen Vorstellung, unwiederbringlich Schaden. Die Ursache ist, weil die Voraussetzung, daß ein Mensch niedrig handeln könne, keine feste Meinung von seinen Sitten beweist, da die Gesetze der Convenienz es mit sich bringen, daß man einen so lange für einen Mann von Ehre hält. als er nicht das Gegentheil zeigt. Traut man ihm also etwas Verächtliches zu, so sieht es aus, als ob er doch irgend einmal zur Möglichkeit eines solchen Argwohns Anlaß gegeben hätte, obgleich das Niedrige eines unverdienten Verdachts eigentlich auf Seiten des Beschuldigers ist. Dem Helden des angeführten Stücks thut es noch mehr Schaden, daß er Officier und Liebhaber einer Dame von Erziehung und Stande ist. Mit diesen beiden Prädicaten macht das Prädicat des Stehlens einen ganz erschrecklichen Contrast, und es ist uns unmöglich, uns nicht augenblicklich daran zu erinnern, wenn er bei seiner Dame ist, daß er den silbernen Löffel in der Tasche haben könnte. Das größte Unglück dabei ist, daß derselbe den auf ihm ruhenden Verdacht gar nicht ahnet; denn wäre dieses, so würde er als Officier eine blutige Genugthuung fordern; die Folgen würden dann ins Fürchterliche gehen und das Niedrige verschwinden.

Noch muß man das Niedrige der Gesinnung von dem Niedrigen der Handlung und des Zustandes wohl unterscheiden. Das erste ist unter aller ästhetischen Würde, das letzte kann öfters sehr gut damit bestehen. Sklaverei ist niedrig, aber eine sklavische Gesinnung in der Freiheit ist verächtlich: eine sklavische Beschäftigung hingegen ohne eine solche Gesinnung ist es nicht; vielmehr kann das Niedrige des Zustandes, mit Hoheit der Gesinnung verbunden, ins Erhabene übergehen. Der Herr des Epiktet, der ihn schlug, handelte niedrig, und der geschlagene Sklave zeigte eine erhabene Seele. Wahre Größe schimmert aus einem niedrigen Schicksal nur desto herrlicher hervor, und der Künstler darf sich nicht fürchten, seinen Helden auch in einer verächtlichen Hülle aufzuführen, sobald er nur versichert ist, daß ihm der Ausdruck des innern Werths zu Gebote steht.

Aber was dem Dichter erlaubt sein kann, ist dem Maler nicht immer gestattet. Jener bringt seine Objekte bloß vor die Phantasie, dieser hingegen unmittelbar vor die Sinne. Also ist nicht nur der Eindruck des Gemäldes lebhafter als der des Gedichtes, sondern der Maler kann auch durch seine natürlichen Zeichen das Innre nicht so sichtbar machen, als der Dichter durch seine willkürlichen Zeichen, und doch kann uns nur das Innere mit dem Aeußern versöhnen. Wenn uns Homer seinen Ulyß in Bettlerlumpen aufführt, so kömmt es auf uns an, wie weit wir uns dieses Bild ausmalen und wie lang wir dabei verweilen wollen. In keinem Fall aber hat es Lebhaftigkeit genug, daß es uns unangenehm oder ekelhaft sein könnte. Wenn aber der Maler oder gar noch der Schauspieler den Ulyß dem Homer getreu nachbilden wollte, so würden wir uns mit Widerwillen davon hinwegwenden. Hier haben wir die Stärke des Eindrucks nicht in unserer Gewalt: wir müssen sehen, was uns der Maler zeigt, und können die widrigen Nebenideen, die uns dabei in Erinnerung gebracht werden, nicht so leicht abweisen.