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Grosser Schlafdieb

Eine Ammenballade

Der große Schlafdieb kam im Rossetrab
In eine Stadt nicht weit vom Meer und klein,
Im Gasthof Uvadoro stieg er ab,
Schrieb sich »Ser Gian« ins Hausbuch ein,
Befahl das Beste, was man hab,
Erschien zur Tafel, speiste fein
Und trank dazu vom allerbesten
Rotspon und ließ sichs gütlich sein;
Er glänzte vor den andern Gästen,
So sehr sogar, daß diesen Biedern
Nichts blieb,
Als die Beglänzung zu erwidern;
Saß prachtvoll da, ein Augenlab,
Und tat, daß man ihn liebgewann,
Ja lieb!
Und als er gleich das dicke Trinkgeld gab,
Sagten die Kellner und die Kammermädchen:
»Ein guter Herr! Ein feiner Mann!
Guckt ihn euch an!
So Leute gibts hier nicht im Städtchen!«
Der dicke Wirt rieb sich die Hände
Willkommen schmunzelnd ohne Ende.

Der große Schlafdieb nahm am Leben teil,
Und schnell verstrichen vierzehn Tage;
Es schien, daß ihm das Nest behage ...
Warum? Der Grund ist feil:
Die träge Daseinslage!
Man sagt zu Unrecht nicht der braven
Stadt, die zum Opfer er erkiest,
Nach, sie sei sagenhaft verschlafen,
Und weil sie diesen Ruf genießt,
Versuchte er grad hier sein Heil.
Er trat als Nabob auf, das sah man gern,
Er kaufte viel und blieb nichts schulden,
Nein, überzahlte gar in Gulden;
Er lernte Menschen kennen, Herrn
Vom Rat mit solcher Gunst sonst geizend
Und Damen. O, es fand ihn reizend
Die sogenannte Welt, wo er erschien.
Die kleinen Leute aber liebten ihn.
Er war die allgemeine Augenwonne,
Denn Augenwonne wirklich wars,
Wenn er die dünne Mittagssonne
Genießend jenes Januars,
Dickeingepelzt durchs Städtchen fuhr.
Ha! ... Welch ein Mann!
Da kommt er! Seht ihn nur ...
Am straffen Zügel hält er das Gespann,
Stramm traben die acht Vollblutrappen
Vor der Kalesche schwarzgelackt;
Der Stangenreiter rotbefrackt
Mit dicken goldnen Achselklappen
Und rotem Hut mit goldner Schnur;
Die Schlagbedienten stattlich von Statur
Und steif, mit hohen roten Kappen,
In weiße Mäntel eingepackt. –

Und abends gabs im Uvadoro Feste,
Strahlende Gäste,
Auf dem Tisch das Beste!
Das Allerbeste aber war auch dann
Er selbst: Ser Gian.
Sah man ihn tanzen, war man schon begeistert:
Wie schön, wie neu das Dasein schien,
Wie glückhaft aufgeweitet und wie leicht!
Ja, hier war Lebenskunst gemeistert
Zu einer Höchstform unerreicht!
Er strahlte, und so strahlte man durch ihn,
Er war so toll, man mußte mit ihm tollen,
Er schloß die Herzen auf, er riß sie hin,
Er schenkte aus dem Übervollen
Sich selbst, den Frohmut, ja das Glück,
Und die Beschenkten schenkten sich zurück
Und spürten schwingend alle Segnung
Aus so gesellig-menschlicher Begegnung. –

So ward es täglich kund und kunder,
Der Fremdling sei ein Menschenwunder,
Und hatte er am ersten Abend schon
Rein als Person
Den regen Stadtschwatz so beschäftigt,
Schien es nun mehr und mehr bekräftigt,
Er sei ein Hoher, eines Hohen Sohn.
Merkwürdig war, er nannte nie sein Land ...
Wo mocht' es liegen?
Die Diener waren sehr verschwiegen ...
Das tadelten die Krittler und die Klünger,
Sonst sehr von seinem Glanz verführt;
Das Volk jedoch, das tiefer spürt,
Sprach: »Ei, er ist ein zweiter Doktor Faust,
Nur jünger!
Ein Glück, daß er in unsern Mauern haust!
Man sichts ja, er hat magischen Verstand,
Ganz sicher macht er Gold aus Sand.«

Der große Schlafdieb schlief sehr tief
Den Schlaf von Dieben und von denen,
Die sich nach einem Ziele sehnen,
Zu dem der Weg geebnet ist,
Und in der dritten oder vierten Nacht,
Als er im Uvadoro schlief,
Wars tief wie immer;
Doch plötzlich fuhr er auf und war erwacht!
Ein Lärm im Zimmer!
Ein Laternenschimmer!
Laut rief er: »Licht!« Es ward sofort gebracht.
Und siehe da: Es hatte sich mit List
Ein kleiner hundsgemeiner Stehler
Über den Goldschrank hergemacht,
Den sich Ser Gian wohlweislich mitgebracht.
Es unterlief – so scheints – dem Kerl ein Fehler,
Denn als er knackte,
Hat das Schloß gekracht.
Ser Gian wildwütig aber packte
Den Schuft beim Kragen,
Warf ihn vom zweiten Stock zum Fenster raus
Vors Haus,
Wo jener (Gauner können viel vertragen)
Wüst wie ein Rollfuhrmann bei Radbruch fluchte
Und flugs aus Angst vorm Schergen
Und vorm Kerkerloch
Beim Helfershelfer oder Hehler
Zuflucht suchte.
Die Krafttat des Ser Gian jedoch,
Sie ließ sich nicht im Dunkel bergen,
Sie fiel dem Stadtgespräch als Eigentum
Anheim und schuf dem Fremdling Ruhm.

Der große Schlafdieb war ein Mann von Ruf,
Der, seiner Zeit ein Riesenstück voran,
Eh die moderne Technik noch begann,
Vielforschend, vielentdeckend, Dinge schuf
Und umzugehn verstand mit ihnen,
Denn er ersann
Die ersten Schlafluft-Saugmaschinen,
Genannt Morpheo-klepto-automate,
Auch Somnex-Aërruptostate.
Ins Uvadoro bracht' er ein Gerätchen,
An Umfang klein, ein Apparätchen,
Nach Leistung aber ungemein:
Dies Ding aus Schräubchen, Spulchen, Drähtchen
Sog Schlummer aus der Umluft ein.
Er hatte dieses feine Instrument,
Aufs Tüttelchen durchdacht, selbstkonstruiert,
Bereits an vielen Orten ausprobiert.
Als Triebkraft nutzte er ein Element,
Das Melaradium, das er selbst entdeckte,
Wo es in Lavalagerungen steckte
Mitsamt dem Erdharz, das es isoliert.
Ein Milligramm genügte zur Battrie;
Der Rest war Technik, Apparat, Maschinerie,
Sein Forschergeist erschürft' das Wie.
Ihm war von vornherein zum Ziel
Bekannt, daß viel,
Ja, oft das Schönste auf der Welt,
Zum Beispiel Glück, Begabung, Liebe
Und auch der Schlaf vom Himmel fällt;
Und drum war das Funktionsgetriebe
Auf dieses Faktum eingestellt.
Das Melaradium (fand er) wirkt
In einem Umkreis wohlbezirkt:
4,8 km plus x, die Radius-Zahlen ...
Es strahlt (fand er) mit schwarzen Strahlen,
An die, nach nekrophysischem Gesetz,
Wie Tropfen Tau ins Spinnennetz,
Der Schlaf sich hängt,
Wenn er sich niedersenkt,
Vorzüglich aber Dickschlaf kleiner Städte.
Die Strahlen (fand er) sind wie Leitungsdrähte,
An denen Wassertropfen laufen,
Geschickt gelenkt ...
Die Strahlen (fand er) zapfen, saugen, saufen
Die Schlaf Substanz ... Man leitet zur Battrie,
Dort (fand er) fängt
Und kondenziert man sie.
Den Rest könnt' heut ein Physikprofessor
Durchschnittlichen Formats
Hinzutun, der Erfinder also tats:
Er schuf die Isolierung drum herum
Und tüftelte ein Klein-Brimborium
Zusammen aus Verdünster und Kompressor,
Suktor und Duktor, Filter, Manometer,
Nebst Schaltwerk, Stoppuhr und Katheter
Und einer Mikrodrehturbine
Und tat dazu noch als Gehängsei
Ne Mini-Abfüll- und Verkorkmaschine;
Das Ganze schloß er an an die Battrie,
Und, richtig ordnend das Gemengsel
Von Sachen zur bezweckten Harmonie,
Betrieb durch jene Kraft er sie.
Am End lief eingedickter Schlaf in Fläschchen,
Die packten sich in Ledertäschchen
Ganz automatisch, nichtens durch Magie,
Und dies Maschinchen Schlafentzieh
(Technische Spitzenleistung! Hochzupreisen!
Ja, quasi »made in Germany!«)
War Kleinformat und recht bequem auf Reisen:
Man schaltete bloß ein: Tick-klick!
Da lief das Werk und tat den Trick.
Der große Schlafdieb ließ in einer Nacht –
Die sechste nach der Ankunft war es –
Zwischen halb acht
Und zwölf von seinem Zimmer aus
(Während er selbst ein offenbares
Unten im Haus
Lächeln im Antlitz, kühl und überlegen,
Gesellschaft gab) das Somnex spielen.
Ha! Wie da jedes Strählchen sog und soff
Den honigsüßen Schlummersegen,
Der sänftiglich herniedertroff!
Die Kraft drang aus, die Strahlen fielen
Über die ganze Stadt, sich spannend
Ein unsichtbares dichtes Netz,
Die letzte Müdigkeit verbannend.
Das Nest war wach und jäh erwacht,
Denn wer schon schlief, fuhr auf, gepeinigt,
Die Atmosphäre war vom Schlaf gereinigt,
Disdormisiert und antikomatos
Und aphlegmatisch. Das war eine Hetz!
Ja, und die Hetz war groß!
Die Leute lachten, pfiffen, sangen,
Plötzlich vergnügt, man fühlte sich so frisch
Und muntrer als die lieben Fisch
Im Wasser, und die Gläser klangen,
Und Rufe hört man überall:
»Hui! Bald ist Karneval!
Hopp! Diesjahr gibts e Fastnacht wie noch nie!«
Und schon erschienen an den Straßenecken
Und auf den monderhellten Plätzen
Die Musikanten mit den Dudelsäcken,
Drehorgeln, Mandolinen, Klampfen, Geigen
Und spielten alle einen tollen Reigen
Nach einer Melodie; und dazu walzten
Die Bürgermänner und die Fraun,
Die Magd mit ihren Herzensschätzen,
Die Wackelgreis auf Traun und Schaun;
So war man von der Melodie gepackt!
Und die nicht walzten, nun die schnalzten,
Gröhlten und klatschten mit den Händen Takt.
Ein Taumel wards und ein Gedräng,
Den Magern ward es heiß, die Dicken schwitzten,
Und als die Herzen sich erhitzten,
Da ward auch manches Mieder eng
Und manches Mannes Kragen schnürte.
Hei, wie die Schrammelmelodie verführte!
Man hatte nicht mal Zeit, sich zu erfrischen,
Die Kinder wußten zu entwischen,
Man tobte, tollte, tanzte weiterweiter,
Und da bekanntlich jederzeit
Nichts stärker ansteckt als die Heiterkeit,
War bald das ganze Städtchen hell und heiter.
Um zwölf war Schluß,
Man ging nach Haus
Und schmunzelte im Nachgenuß
Und schlief sich dankbar für das Heute,
Wobei man sicli auch schon aufs Morgen freute,
Und sehr geruhig aus.
Und da sich dies mit Faschingsanfang traf,
Dacht' freilich niemand an gestohlnen Schlaf.

Der große Schlafdieb tats in nächster Nacht
Und in der nächsten und der übernächsten,
Er spielte mit dem Schlummerfänger,
Beginnend jeden Abend um halb acht,
Und jede Nacht tats er ein wenig länger ...
Das Nest ging auf in Karnevallenflammen
Ganz kunterbunterwundervoll,
Der Obrigkeit, der wachsam-strammen,
Entging mit nichten dies Getoll,
Drum rief den Stadtrat man zusammen.
Man sprach: »Ne Fastnacht von Verhexten!
Ganz so, als ob das Volk der Teufel ritt ...«
Doch selber tat man tüchtig mit
Bei diesem rauschenden, verfexten
Geschwärm und all der Tanzerei ...
Drum fand man auch, es sei ja nichts dabei,
So jung sei man nur einmal und so frei,
So rummeltummeltoll und froh ...
Na ja, und so ...
Es sei vielleicht gewagt ...
Es fehle wohl ein Modikum ...
Jedoch ... kurzum: –
Die Sitzung ward vertagt.

Der große Schlafdieb lag auf seinem Lager,
Und sprach zu sich: »Punkt eins: Gut war der Plan,
Im Karneval den großen Schlag zu führen,
Werd ich auch selbst dabei ein wenig mager,
Ist doch der Trubel darnach angetan,
Daß niemand glaubt,
Ich hätte künstlich ihm den Schlaf geraubt.
Punkt zwei: Hier wäre zu berühren,
Wie weislich ich die Wahl des Ortes pflag.
Hier strotzts! Wie pralle Euter zapfts sich an!
Fett rinnt die Schlafmilch, prächtig fett!
Das Somnex hat ganz mächtig eingemolken
Bei einem Durchschnittnachtertrag
Von siebzigtausend Schlummerwolken!
Recht nett!
Beim Mutterberg! Recht brav
Für so ein Nest von vierzigtausend Seelen.
Punkt drei: Mir fehlen
noch dreizehnhundert Klafterstunden Schlaf ...
Das Somnex schaffts in sieben Nächten,
Punkt vier: Mit meinem Meister rechten,
Ob alles richtig einvernommen ...«
Er hieß den Haushofmeister kommen,
Der kam ... »Sprich, Freund, ist Nachricht da?«
Worauf der Andre sagte: »Ja,
Gerade lief sie ein; Pier,
Der Mann, der neulich in der Nacht
Den Stehler mimte, hat die Post gebracht.
Das Schiff wird Dienstag morgen landen
In der besagten Bucht, mein Ser.
Es mußte kreuzen, westwärts schwenken,
Den Nordugieser abzulenken,
Wir sind ihn los, er kam abhanden
Im Nebel. Sonst ist alles auf dem Posten,
Die Karre läuft, sie wird nicht rosten.«
Dies sprach der Meister. Drauf der Ser:
»Ich dank dir, Freund. Jetzt mein Begehr:
Du weißt, wir brauchen diesen Karneval;
Ich bin dafür, daß wir den Drall,
Den Schwärm und Schwall
Noch ärger, schärfer, wüster treiben.
Wir wollen unvergessen bleiben,
Man soll in Büchern davon schreiben,
Daß man dereinst nur Tages schlief,
Daß Gläser klirrten, Saiten schwirrten
Und Wein aus allen Spünden lief.
Drum heißt die Order: Freiwein bei den Wirten
Und Geld ins Volk gesteckt! Jedoch nicht offen,
Nein, so: Da hockt ein Kerl besoffen,
Ihm schiebt man die Dukaten in die Tasch,
Er findet sie, das will ich hoffen,
Wirft sie an unsrerstatt zu Hasch ...
Wo anders, wenn der Morgen graut,
Legt man vor Tür und Fenster, auf die Stiegen
Die gelbe Münze, nicht zu laut,
Sie bleibt dann dort nicht liegen,
Den Finger kenn ich nicht, der sich da ziert ...
Und wo getanzt wird, kann man ungeniert
Geld fallen lassen, jemand hebt es auf
Und denkt »Mein Glück!« und brauchts zum Kauf.
Somit: Dem Volke Gold und Wein und Feste,
Und mir die bessern Leut als Gäste.
Ich gebe also hier im Haus
Den Maskenball ab Fastnachtsamstagnacht,
Die Einladung muß raus!« –
Der Meister sagte: »Ser, es wird gemacht!« –
»Und dann, am Aschermittwoch, fliehn
Wir mit dem Raub nach Schlafja hin.«

Man sagt, das süße Schlafja liege,
Ein Zaubereiland fern im Blauen,
Des Südmeers, wo's am blausten blaut,
Dort, wo das Urblau nie versiege ...
Man sagt, das süße Schlaf ja liege –
Ein Inselchen, klar aufgebaut,
Vom dunkeln Murmelrauschelaut
Der Wogenbrandung brausumbraut,
Ein reinenttauchtes Kind der Wellenwiege,
Ein traumbeschwornes,
Ein schaumgebornes,
Verlornes Einod –
Dort, wo des Weltmeers Bug ins Jenseits biege...
Man sagt, das süße Schlaf ja liege –
Erkornes Kleinod,
Ein Goldsmaragd mit einer Perlenschmiege
Gebettet in den riesenhaften blauen
Saphir der Südenwunderglut –
Dort, wo das Wähnen allen Wanderns ruht...
Man sagt, das süße Schlafja stiege,
Dem Schauen
Der Meerbefahrnen tausendfach vertraut,
Am Ende aller Irrfahrt aus der Flut ...

Die Landschaft steigt gestuft aus dem Gestade:
Ein gelber Sandstreif, meerbeleckt,
Besäumt die Bucht, die breite Lade,
Drin leuchtend in der Saatenschwade
Die Ebne sich zum Fuß der Hänge streckt.
Den Sockel des Gebirgs bedeckt
Mit dunkelblaugrün-saftigsatten Schatten
Die Üppigkeit von Gärten, Hagen, Hainen,
Draus weiße Weiler, weiße Dörfer scheinen.
Höher am Hang, an steiler Hald
Sonnt goldgrün sich so manche Zeile Wein.
Dann kommt ein Gürtel Wald,
Fast schwarzgrün. Und darüber schimmern Matten
In einem Lichtgrün silberrein.
Die Inselmitte, sie steht fest
Zum Äther ragend
Spitzhimmelan
Über des Uferstocks gedrungner Gruppe:
Der Mutterberg mit schneebekappter Kuppe,
Der stets ein Säulchen Rauch entläßt,
Ganz dünner Strahn,
Besagend:
Ich bin Vulkan.

Dies Eiland, wo sichs leben läßt
Noch besser als bei Uvadorowirten,
Bewohnt ein Volk von Fischern, Gärtnern, Hirten.
Der Erdenglücksal ist es immer froh
Und hält das Leben für ein Fest,
Und seltsam ist, wieso
Sich Fremde niemals hinverirrten.
Die quellenreichcn Hänge fruchten,
Gut steht der Wald, die Wingerte sind heiß,
Sturzbäche taumeln in die tiefen Schluchten,
Der Ölbaum trägt, es treibt der Reis,
Die See ist fischreich, ohne Klippen,
Man spannt die großen Hamennetze,
Man jagt, man krebst, preßt nebenbei
Sein bißchen Öl, guckt nach den Bienen,
Freut sich der Frau, der Kinder, der Gesippen,
Genießt die Nacht – wie schön ist die! –
Taufrisch und prächtig sternbeschienen.
O alter Wein und junge Poesie!
Man singt, erfindet Fabeln, fühlt sich frei
Und sicher in der Obhut der Gesetze,
Sonnt sich und jätet und besorgt das Vieh,
Träumt unterm Feigenbaum, versieht die Reben
Und lebt schlaf jadisch und läßt andre leben.
Und dieses Eilands Fürst? Wer war der Mann?
Der große Schlafdieb wars, Ser Gian.
Er kam aus dem Geschlecht der Inselgrafen,
(Der Nam' schon sagts, wie gut sie schlafen);
Der Ahnherr war Korsarenkapitän,
Der kühnste, der das Südmeer je befuhr,
Ser Oslip Osleep Dormaben
Di Schlafja Sormosognopur. –
Im Wappenbilde der Familie
War, weiß auf blauem Grund, die Lilie.
Die Herrschaft des Ser Gian, wie seiner Ahnen,
Stand ganz in des Orakels Hut und Huld,
In Folgsamkeit vor dessen Mahnen,
Denn Ungehorsam war hier Schuld.
Dies Spruchbild war im Berg tiefinnen,
Ihm dienten siebzig ohne Makel
Befundne, greise Priesterinnen;
Die sangen abends am Gestade
Die uralt-dunkle, zaubrische Ballade,
So ward das Eiland eingelullt.
Doch schweigsam stets blieb vorm Orakel
Die Oberin – vom Dormabenistamme
War sie und hieß die Alte Amme –
Im Höhlentempel, Hüterin der Flamme,
Und harrte stumm des Spruchs und in Geduld;
Was dieser Geist sprach, mußte gelten,
Vollzogen wards getreu; doch sprach er selten.
Was er jemals gesprochen, wirkte fort
Durch die Geschlechter, bis ers widerriefe.
So kam zur Urzeit aus der Tiefe
Des Heiligtums das kluge Wort:
Solang der Dormaben gut schliefe,
Sei es um Schlaf ja wohlgetan,
Doch kam es anders, würde der Vulkan
Auftoben und das Eiland untergehn ...
Und seitdem war es Pflicht der Inselgrafen,
Fürs Vaterland und gut zu schlafen.
Ser Oslips Dynastie, um zu bestehn,
Schlief gut und fand dies nicht nur rühmlich,
Nein, nebenbei auch menschentümlich. –
Die nächste Herrscherpflicht betraf nach außen
Des Eilandstaates Sicherheit;
Zwar: weitab, wo Schlafjaden hausen,
Liegt man mit keinem Volk im Streit,
Braucht andre Vaterländer nicht zu hassen
Und kann sich auf das Meer verlassen.
Doch hatte nun in letzter Zeit
Das große Volk der Nordugiesen
Den langen Fangarm seiner Riesen-
Welthandelsmacht weit ausgestreckt
Und hätte Schlafja fast entdeckt! –
Die Nordugiesen sind von blonder Rasse,
Im grauen Norden liegt ihr Land,
Wo's ewig nebelt, ewig regnet,
Und trotzdem sind sie mit Verstand
Und Mut und Tatkraft sehr gesegnet;
Im Handel zäh und zäh im Hasse
Auf andre Krämer, listig, sehr gewandt
Und reich dazu (ihr Abgott heißt die Kasse),
Seekundig wie kein ander Volk der Welt.
Und was sie nehmen wollen, hält
Im Widerstand nie aus, es fällt
An ihre kluggenutzte Übermacht;
Erobert wirds und kennt sich bald geschlagen,
Das Unterlegne heißt dann Kolonie,
Mit ihrem Abgott Kasse kommen sie,
Der Handelsgeist wird eifrig hingetragen,
Und was einst glänzte, sinkt in Nacht.

Ein Nordugieser war Sir Stiffneck Knorke,
Vom Schiffsknecht auf gedient zum Admiral,
Ein hart Stück Holz in einer harten Borke,
Recht rauh gings zu, wo er befahl;
Nur wenn er soff, dann war er jovial,
Und – welch ein Glück für Maat und Mann –
Sir Stiffneck war sehr oft besoffen!
Die hellen Seemannsaugen troffen
Ihm spaßhaft-grimm vor Rührung dann.
Ihm, diesem Blauaug-Blondhaar-Hünen,
Dem Kühnen, den zuhaus im Norden
Die Welt verehrte und bestaunte,
War der ersehnte Auftrag worden,
Zu fahnden nach der wundergrünen
Goldinsel, die die Sage raunte;
Man wollte sie als Kolonie.
Mit einer Flotte von elf Schiffen
(Das Flaggschiff hierin einbegriffen)
Suchte er sie seit sieben Jahren,
War schon durch sehr viel Meer gefahren,
Er fand sie nie. –

Ser Oslips zwölfter Stämmling, Ser Dorante,
Der hocherlauchte Vater der Ser Gian,
Wußte genau, was Nordugall ihm sann;
Und bald kam auf, worauf Sir Stiffneck brannte,
Denn Schlafjas Flotte von vier Kauffahrtschonern
Lief eines Tages den Heimathafen an
Und sagte es den Inselwohnern.
Man war dem Nordugieser kaum entronnen,
Dank dem Taifun, in den der Stiffneck rannte.
So war für diesmal zwar das Spiel gewonnen,
Doch spürte man, es ginge nicht mehr lang,
Und vor dem Ausgang war ganz Schlafja bang.
Der Fürst, erfüllt von ernster Sorge, sandte
Gleich zum Orakel; dieses ließ ihm melden:
»Tu was du mußt, Sohn eines Helden!«
Als er das Wort erwog, entbrannte
Sein Kämpferblut, als schrie es: Krieg!
Jedoch er dachte klar: Hier winkt kein Sieg;
Er sandte nochmals, das Orakel schwieg,
Zum drittenmal, das Spruchbild war noch stummer,
Und Ser Dorante voller Kummer
Sah ein: Für Land und Dynastie
Gäb's eine Rettung nur: Die Autarkie.
Er sagte sich: Mein Schlafja, wie es ist,
Kann ohne Außenhandel gut bestehn;
Die Flotte lenkt nur, das ist einzusehn,
Den Feind herbei; er könnte uns nicht kennen,
Wär sie nicht; darum laß ich sie verbrennen. –
Und er befahls. Nachts brannten die vier Schiffe;
Das Schauspiel sah zwar prächtig aus,
Allein die Tat verwirrte die Begriffe.
Es zischelte, klangs nicht wie Pazifist?
Es tuschelte, klangs nicht wie Vogel Strauß?
Kurzum, man hielts für schlechte List
Und nutzlos. Doch, was schlimmer ist,
Der Geist im Mutterberg schien nicht erbaut.
Er grollte furchtbar und gab Bodenlaut,
Der Krater wölkte, und es roch nach Schwefel,
Das Eiland bebte und – ganz unerhört –
Der Dormaben selbst wird im Schlaf gestört.
Er schickte aus, hieß das Orakel fragen,
Und diesmal ließ die Alte Amme sagen,
Der Berg erheische Sühne für den Frevel,
Und darum tobe er und sei empört.
Den edlen Ser fand der Bescheid gelassen,
Gleichgültig fast; er saß beim Morgenmahle
Und trank wie alle Tag drei Tassen
Und las mit einem Lächeln im Giornale,
Drin schon ein Nachruf auf ihn stand.
Dem Sohne ließ er sagen: Lieb dein Land!
Dann wählte er ein weißes Bußgewand
Und stieg allein am hohen Wanderstab
Den Berg hinan – im Krater ist sein Grab.
Doch der Vulkan blieb unzufrieden,
Er nahm den Freitod nicht als Sühne an,
Und ärger ward das Grollen, Tosen, Sieden,
Und als der Folgefürst, Ser Gian,
Anfragen ließ, ward er beschieden:
»Der Berg sagt, Fürst, sein Groll sei groß
Auf Schlafjas Staat, an seinen Hängen hausend;
Schlaf sühnt, der Klafterstunden Tausend
Millionen; schießt du die in seinen Schoß,
So will er Gnade zeigen,
Ewig schweigen,
Und auch die Nordugieser wirst du los.«
Ser Gian ließ melden: »Wir geloben,
O Mutterberg, zur Sühne dies zu tun,
Und bitten dich, fünf Jahre zu ruhn.«
Da ließ der Berg sofort das Toben.
Die Luft ward rein! Wie atmete man frei!
Ser Gian jedoch, der einst aus Spielerei,
Rein aus dem Forschertrieb des Somnologen,
Als er noch Kronprinz war, in Mußestunden
Das Somnexaerruptostat erfunden,
Ging rasch zur Tat
Und schuf – der Plan war vorerwogen –
Den Sommnexreiseapparat,
Er konstruierte eine Schlafkanone,
Dazu die Schlafgranate riesengroß,
Trieb einen Stollen in des Berges Schoß
Und baute und belud die Brigg »Benone« – – –
Dies alles kostete ein volles Jahr
An Arbeitskraft.
Somit, als alles wohl gerüstet war,
Bestellte er die Thronverweserschaft,
Die er der Huld des Mutterbergs empfahl,
Und fuhr umjubelt ab zum Schlafdiebstahl. –
Drei Jahr lang stahl er jede Nacht
Den Schlaf der Fremde voll Bedacht
Und stahl ihn witzig, und auf feine Weise
Hat er dabei manch Städtchen reich gemacht;
Laut trat er auf, doch stahl er leise,
Er, Erzfeind des Torbiden und Lethargen,
Fuhr viel umher, stahl überall,
Er stahl sogar (wer könnt es ihm verargen?)
Im regengrauen, trüben, kargen
Lande des Stiffneck: Nordugall.
Die Brigg Benone fuhr sehr oft im Kreise –
Denn auf den Stiffneck gab man acht! –
Schlupfhäfen fanden sich, die bargen
Das schöne Schiff von Fall zu Fall.
Der Ser indessen fuhr und ritt
Von Ort zu Ort, stets nahm er Schlummer mit,
Und nirgends kam es auf, was er vollbracht.
Dies kam wohl daher, daß die Alte Amme
Zuhaus im Grottentempel Nacht für Nacht
Und Stund um Stunde die geweihte Flamme
Beschwörerisch und wild umschritt.
Der große Schlafdieb tats als Patriot
Dem Volk von Gärtnern, Fischern, Schäfern,
Den bösen Berg auf immer einzuschläfern,
Und hinter seiner Tugend stand die Not
Und des Orakels drohendes Gebot. –
So kam er denn am Ende seiner Reise
Zum Ovadoro, stahl nun dreisterweise
Den letzten Schlafbedarf im Karneval
Beim Maskenball.

Der große Schlafdieb stob die letzten Nächte
Im Jubelsturm des Faschings um, er zog
Allen voran, ein Feldherr im Gefechte,
Ins rauschend-reißende Gewog.
Man praßte, tanzte, tollte, zechte;
Getaumel überschwänglich wars! Der echte
Ganz große Dreh trat ein, der Riesendrall!
In allen Sälen war Gedräng, Geprall,
Auf allen Straßen Schwarm und Schwall,
Geflirr, Geflimm, Geschwirr, Geflitter,
Durchs ganze Nest Geschiebe, Hall und Schall,
Als wüteten bacchantische Gewitter
In ein am Untergang berauschtes All.
Ihm ward jedoch der Stand nicht leicht,
Am Narrensonntag hatte ihn erreicht
Die schlimme Post vom Schiff: Man wüßte,
Der Nordugieser fahre an der Küste ... –
Auch in der Stadt erstanden Gegenmächte;
Dort hatte man nun dreißig Nächte
Tanzend vertan; die Nacht war wohl Genuß,
Allein der Tag war voller Überdruß;
Der alte Schlaf ward sehr entbehrt,
Man sprach: »Ist denn die Welt verkehrt?
Ein Bürger ist ein Mensch, der ruhen muß,
Besonders nachts ...« Wonach das Wort aufkam:
»Tagschlaf ist Buttermilch und Nachtschlaf Rahm.«
Und zudem gabs im Städtchen leider
Auch Mucker, Ducker, Meider, Neider,
Die waren all dem Leichtsinn gram
Und munkelten, der Nabob sei der Schürer
Der Lustglut und ein teuflischer Verführer
Zu Sünde und zu argen Ludersitten.
Andre verdienten schwer, deshalb bestritten
Sies stracks und meinten: »Meiner Treu!
Wüßte man doch, wo jener Fremde her ist!
Dort gibt es sicher Geld wie Heu!
Man muß ihm folgen!« Und was mehr ist,
Es gab im Nest wie überall
Auch Unersättliche von solchen Seelen,
Die nach dem Brand gern weiterschwelen;
Die sagten: »Ja! Er ist Prinz Karneval
In magischer, magnetischer Person.
Merkt auf! Wir wußtens lange schon!
Er nennt sich bloß aus Jux Ser Gian.
Wo der hinfährt, ho! he!, da kann
Es ihm und uns an Spaß nicht fehlen!
Wir setzen nach, fährt er davon ...«
Denn daß er weiterwolle, merkte man,
Ihm lag nichts dran, es zu verhehlen.
Am Dienstag waren in den Morgenstunden
Die Diener und der Troß verschwunden,
Bis auf drei Treue fürs Gespann,
Den stolzen Achterrappenzug;
Der Uvadorowirt war abgefunden
Mit einem Geldsack tausendfach genug; –
Und dann, in den Geburtsekunden
Des Aschermittwoch fuhr der Wagen vor
Durchs lärmende Gedräng am Gasthoftor.
Der Fremde bahnte sich, gewandt wie immer,
Den Weg durchs wühlende Gewälz,
Treppauf sprang er, betrat sein Zimmer,
Band sich vorm Spiegel keck noch die Krawatte.
Dann nahm er Hut und Pelz,
Den Automat, der abgeschaltet hatte
Um punkt zwölf Uhr – –
Eine Minute später stand der Ser
Schon auf dem Kutschbock, rief: »Arriveder!«
Und winkte mit der Hand und fuhr.

Der große Schlafdieb floh, galopphopphopp
Zum Nest hinaus, dem Meere zu, dem Meer ...
Man schirrte, zäumte, topphopphopp,
Zweihundert Wagen bäumten hinterher
Mit Ratterknatter, Donner und Radau,
Die Folger hatten längst den Grund vergessen,
(Sie wußten ihn auch vorher nicht genau),
Sie fuhren einfach! Fuhren wie besessen,
Dof vom Geschwof, die Beine schwerspatschwer,
Ganz stier vor Gier, ihn nicht zu lassen,
Ihn festzuhalten, ihn zu fassen
Und auszufinden, wer er wär, ja wer? ...
Den großen Schlafdieb freute diese Flucht!
Holterdiepolter! Wars nicht eine Pracht?
Dies stiebende Geschiebe durch die Nacht!
Die Rosse dampften, und die Fackeln grellten,
In aufgeschreckten Dörfern bellten
Die Hunde, und die Bauern gellten:
»Gespenster sinds!« und »Heidenzucht!« –
Im Frühlicht lag die kleine Bucht
Am großen aschermittwochsgrauen Meer,
Das Fischerdorf war wach, man rief: »Hierher!«
Man war gerüstet für den edlen Ser...
Er ließ die schaumbeflockten Rappen laufen
Und nahm am Strande – er war abgehetzt –
Um auszuschnaufen
Erst einen Glühwein, sprang ins Boot –
Der Nordwest blies, der Horizont glomm rot –
Man ruderte zum Schiff; er schrie: »Pirat ohe!«
Da klangs: »Ahoi!« Segel war längst gesetzt.
Nun Anker hoch! Lebwohl zuguterletzt!
Die Brigg Benone stach in See.
Doch die Verfolgerschar am Strande drohte;
Zwar schrien die meisten: »O wir Narren!«
Und fuhren heim mit ihren Rumpelkarren,
Doch dreißig, vierzig nahmen Klüverboote,
Ewer, Pinassen, flache Fischernachen
Und wagten einen Wellentanz,
Sie hingen am Benone wie der Schwanz
An einem schleifenden Septemberdrachen.
Der Anblick freute die Schlafjaden riesig,
Vom Heck der Brigg erschallte lautes Lachen. –
Die Fahrt war anfangs klar und brisig,
Bald war das Ufer fern, dann schwand es ganz,
Doch nachmittags verging der Glanz,
Das Wetter wurde diesig,
Ein Fisseldisselregen fiel aufs Meer;
Ein Nebel kam, der wallte schwer,
Kalt wars, und Seegang setzte ein,
Da schiens den Leutchen nicht geheuer.
»So Kleinfahrzeug ist doch zu klein.«
Sie kehrten um vom Abenteuer.
Kaum daß sie den Benone ließen,
Tauchten elf Kutter, Nordugiesen,
Im Nebel auf, sie standen luv;
Durchs lange Sprachrohr kam ein Wuf:
»Segel aho-i! Was sucht ihr hier?«
»Die Brigg Benone ließen wir.«
»Wo fährt sie?« – »Dort im Westen, Lord.«
»Ihr könnts uns weisen, will ich hoffen!«
Sir Stiffneck Knorke, just besoffen,
Nahm fünfzehn Bürgersleut an Bord,
Und war dann, als der Abend klärte,
Der Brigg Benone auf der Fährte.

Der große Schlafdieb fuhr in Braus und Brise
Auf hoher See und hielt den Kurs nach West,
Durch Braus und Brise hielt der Nordugiese
Drei Monde schon die Fährte fest.
Die Bürger, seekrank, gaben furchtbar an
Und sehnten sich nach Haus zu Muttern,
Und als im vierten Monat ein Orkan
Auf tobte, glaubten sie ihr Ende nahn;
Die Haie freilich kriegten was zu futtern,
Doch Stiffneck überstand mit sieben Kuttern
Und ließ nicht ab, der sture Sir,
Er stand auf der Kommandobrücke
Und tat recht große Kummerschlücke
Machandelschnaps und Maislikör
Und fluchte auf des Meeres Tücke;
Doch die Schlafjaden – Dank sei dem Orakel! –
Hatten nicht einen Schaden im Getakel.
Im fünften Monat kam das große Blau,
Das Meer, der Himmel, alle Weiten blauten!
Da freuten sich die Benonauten
Der langersehnten schönen Schau.
Die Nordugiesen sahens kaum vor Grimm,
Sie litten Durst und Hunger, das war schlimm,
Sir Stiffneck war ins Blaue nachgerannt
Mit ungenügenden Proviant!
Gepökeltes und Zwieback gabs nicht mehr,
Das letzte Wasserfäßchen war fast leer,
Glüher Passat sang im Gerigg.
Ser Gian durchs gute Spähglas fand
Sehr bald heraus, wie's beim Verfolger stand;
Zum Meister und zum Kapitän der Brigg
Sprach er: »Sie sind in unserer Hand;
Da lungern sie auf Deck und lutschen Daumen,
Die heiße Zunge klebt am Gaumen,
Wie Feuer brennts im Eingeweid
Vor Hunger. Sie sind hundeschlapp,
Total erledigt, keiner sagt mehr Papp.
Sie dauern mich, sie tun mir wirklich leid ...
Du wolltest uns zur Kolonie?
O Stiffneck, das geht nimmermehr und nie!
Noch heute mußt du dich ergeben,
O Sir, auf Ungnad oder Gnade,
Die Schiffe auch mitsamt Bemannung,
Und so beschließt Ihr am Gestade
In höchstschlafjadischer Verbannung
Das rauhe Nordugieserleben;
Uns ist die Blutauffrischung ja kein Schade,
Im Gegenteil, sie scheint geboten,
Soweit sich sowas sagen läßt.
Wir fahren nach dem Log noch dritthalb Knoten,
Dann lockern wir die Segelschoten
Gerade recht zum Sommerfest.
Dann wird sofort die Vaterschuld berichtigt
Und unser Mutterberg beschwichtigt,
Die Schlafgranate ist gestopft, verpfropft,
Jedwedes Tröpfchen Schlaf hineingetropft, –
Und dann kommt Bruder Stiffneck dran ...«
In diesem Augenblick schwieg Ser Gian:
Vom Mastkorb kam ein Schrei! Bericht:
»Der Piz des Mutterberges ist in Sicht!«

Zum Schlafja lag viel Volk im Uferrasen,
Als einer aufschrie: »Schiffe!! Viele sinds!«
Und sieh! Sie kamen, Segel prallgeblasen
Vom Atem eines guten Wanderwinds.
Ein Späher rief: »Die Brigg, der Prinz,
Gejagt von Kuttern, nach dem Bau
Sinds Nordugieser ...« – O Entsetzen! –
»Doch führen ihre Mäste weiße Fetzen,
Erbeutet hat er sie, ich sehs genau!«
Bald sahens alle, bang durchschauert,
Sprachlos, ungläubig, jäherblaßt
Die kurze Weile, die es dauert,
Bis sich das Herz vor Glücksal faßt.
Dann aber brach es los; Geschrei,
Getaumel maßlos, Raserei,
Gejauchze, Übereifer, Hast;
Man hißte Wimpel, rollte Wein zum Strand,
Es liefen Boten fort auf allen Wegen,
Es liefen Boote aus, dem Ser entgegen,
Musik scholl, Pauke, Horn, Trombone ...
Und als im Abendlichte der Benone
Vor Anker ging in Schlafjas goldnem Sand,
Umschrie das Volk den Herrn der Krone.
Der grüßte freudigst, trat an Land,
Schritt stracks zur großen Schlafkanone,
Die schon zum Schuß gerichtet stand.
Derweil er alles prüfte mit Bedacht,
Ward das Geschoß herbeigebracht
Von vierzig ächzenden Schlafjaden;
Rasch hieß der Ser die Leute laden,
Ein Ruck, ein Zuck, sie saß im Rohr ...
Bald schrie der Schlafschütz: »Obacht! Schuß!«
Das Lunteflämmchen lief zum Laufverschluß –
Bumm!! Feuer! Aus dem Rohr hervor –
Flutsch! – wie ein riesiger Delphin im Bogen
Fuhr die Granate – ratsch! – ins Stollentor
Und barst dumpf dröhnend in der Gruft.
Kaum war der Pulverdampf verzogen,
Da starrte alles Volk zum Piz empor,
Das Aug beschirmend, daß es besser sähe ...
Ja! Überm Krater floß nun klare Luft,
Weg war der Schmauch, der dünne Strahn,
Ein weißer Rauchring aber jähe
Vom Schlund auf hochgepufft
Quirlte und wirlte himmelan: –
Geweissagt war, wenn dieses je geschähe,
Erlösche der Vulkan.
Man sah das Zeichen, schwieg, verstand,
Staunte hinauf, blieb herzbeklommen,
Eh man zum Wundern Worte fand,
War des Orakels Bote schon gekommen;
Man gab die Gasse frei, da stand
Vorm Ser er und ward so vernommen:
»Der Berg spricht, Fürst, er sei beschwichtet
Auf immerdar vom Ruhm der Tat allein,
Die du zu Schlafjas Ehr verrichtet,
Und das geraubte Gut sei dein!«
Da sprach der Ser: »Aha, der Berg verzichtet!«
Doch ein Gemurmel wurlte schon im Volke,
Denn aus dem Stollen, wo der Schlafschuß traf,
Quoll schon wie Molke, eine wollne Wolke,
Der in den Schoß geschoßne Schlaf ...

Eia, da schwoll der Schlaf, er schwoll
Zum Schlafschwall, eia, taumeltoll,
Der Schlafschwall schwoll, eia, zur Traufe;
Gleich wars als ob der Abhang überlaufe,
Weil immer mehr Gemolk vom Stollen quoll.
Umschummert war alsbald der Haufe
Des Volks und ward des Schlafs so voll,
Weil ja kein Wachseinwollen – oder Wähnen,
Kein Wehren half vorm brodelnden Gekroll
Des Schillernebels, der in bunten Strähnen
Zcrzäuselt, endlos aufgerollt, zerging
Und alles Atmende umfing: –
Man schöpfte Luft und mußte gähnen,
Ah! oh! man gähnte abgrundtief,
Sank um wie vor die Stirn getupft und schlief.
So schlief an schlafberauschten Uferstaden
Am Traumestraumberauschten Abendmeer
Die Menge wie ein hingelagert Heer ... –
Schlaft wohl, ihr seligen Schlafjaden! –
So schlief bei seiner Schlafkanone
Recht reisemüd, Glieder und Lider schwer,
Der große Schlafdieb selbst, der edle Ser
Gian Dormaben di Sonnosognopur ... –
Schlafjadenprinz, dormi benone! –
Um ihn die Schar, die mit ihm fuhr,
Der Majordom, der Kapitän und Pier,
(Der aus dem Fenster flog so ohne Schaden)
Diener und Maat und Voll- und Leichtmatros ... –
Dormite bene, bravi, buon ripos'! –
So, tief in der Orakelgrotte
Die Alte Amme... – Buona notte!
Vecchia baliona! – So die Priesterinnen
Kurz vor dem heiligen Beginnen
Der Cantafavola im Ninnanannaton ...
Gutnacht, ihr Guten! Schlaft ihr schon? –
So auch die Hüter, jene Braven
Am Berg gebliebnen samt den Schafen,
Dem Vieh des Volks, dem Vieh des Grafen
Recht gute Nacht und wohl zu schlafen! –
Die fremden Seeleut, die im Hafen
Kuchen und Wein die Fülle fanden
Und Trost bei Kuchen und bei Wein ... –
Sleep well, sleep well, ihr Nordugieser! –
Lammzahm dazu die dreizehn Spieker
Aus jener Stadt nicht weit vom Meer und klein,
Die heilfroh waren, endlich anzulanden;
Sie sanken umgehaucht am Kai
Sweet dreams, sweet dreams and lullaby! –
Der Hüne Stiffneck, umgeschwait,
Als er sich grad am Muskateller
Gelabt aus Schlaf jas tiefstem Keller
Und sagen wollend: »Ei, ei, ei!«
»Ah – ah – oh – oh« gegähnt vor Müdigkeit... –
Goodnight, dear Sir, goodnight, goodnight! –
Der Schlafschwall aber schwoll und lief,
Nachdem das ganze Eiland schlief... –
Ja, schlaf, o Schlafja, schlaf ja tief! –
Bald schläferten gemeinsam Wind und Meer,
Es schralte, flaute, wurde kalm und glatt
Schlaft Meer und Wind, schlaft fest und schwer
Bald schläferten die fernen Küstenränder,
Tiefer entschlief die Uvadorostadt,
Bald aller Kontinente Binnenländer
Von Pol zu Pol ... –
Umarmte Welt! Schlafwohl! Schlafwohl! –
Es zog die Sternenpracht im grenzenlosen
Blauäther auf zur Fernenwacht,
Weltwiegenlieder klangen, sachtesacht,
Der Vollmond kam mit rotem Glosen
Und lächelte, fast hätte er gelacht,
Als er des Schlafschwalls wundersame Macht
Gewahrte, eia, aber mit Bedacht
Begann er, eia, eia, zu liebkosen
Mit stillen Strählchen, fächerig entfacht,
Das alte liebe Erdrund, das den großen
Schlafdiebstahl schlief.

Gutnacht, gutnacht, gutnacht.


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