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Dreizehnte Vorlesung

Über das Studium der Medizin und der organischen Naturlehre überhaupt

Wie der Organismus, nach der ältesten Ansicht, nichts anderes als die Natur im Kleinen und in der vollkommensten Selbstanschauung ist, so muß auch die Wissenschaft desselben alle Strahlen der allgemeinen Erkenntnis der Natur wie in einen Brennpunkt zusammenbrechen und eins machen. Fast zu jeder Zeit wurde die Kenntnis der allgemeinen Physik wenigstens als notwendige Stufe und Zugang zu dem Heiligtum des organischen Lebens betrachtet. Aber welches wissenschaftliche Vorbild konnte die organische Naturlehre von der Physik entlehnen, die selbst ohne die allgemeine Idee der Natur, jene nur mit ihren eignen Hypothesen beschweren und verunstalten konnte, wie es allgemein genug geschehen ist, seitdem die Schranken, wodurch man die allgemeine und die lebendige Natur voneinander getrennt glaubte, mehr oder weniger durchbrochen wurden?

Der Enthusiasmus des Zeitalters für Chemie hat diese auch zum Erkenntnisgrund aller organischen Erscheinungen und das Leben selbst zu einem chemischen Prozeß gemacht. Die Erklärungen der ersten Bildung des Lebendigen durch Wahlanziehung oder Kristallisation, der organischen Bewegungen und selbst der sogenannten Sinneswirkungen durch Mischungsveränderungen und Zersetzungen gehen vortrefflich vonstatten, nur daß diejenigen, die sie machen, vorerst noch zu erklären haben, was denn Wahlanziehung und Mischungsveränderung selbst sei, eine Frage, welche beantworten zu können, sie sich ohne Zweifel bescheiden.

Mit dem bloßen Übertragen, Anwenden von dem einen Teil der Naturwissenschaft auf den andern ist es nicht getan: jeder ist in sich absolut, keiner von dem andern abzuleiten, und alle können nur dadurch wahrhaft eins werden, daß in jedem für sich das Besondere aus dem Allgemeinen und aus einer absoluten Gesetzmäßigkeit begriffen wird.

Daß nun erstens die Medizin allgemeine Wissenschaft der organischen Natur werden müsse, von welcher die sonst getrennten Teile derselben sämtlich nur Zweige wären, und daß um ihr sowohl diesen Umfang und innere Einheit, als den Rang einer Wissenschaft zu geben, die ersten Grundsätze, auf denen sie ruht, nicht empirisch oder hypothetisch, sondern durch sich selbst gewiß und philosophisch sein müssen: dies ist zwar seit einiger Zeit allgemeiner gefühlt und anerkannt worden, als es in Ansehung der übrigen Teile der Naturlehre der Fall ist. Aber auch hier sollte die Philosophie vorerst kein weiteres Geschäft haben, als in die vorhandene und gegebene Mannigfaltigkeit die äußere formale Einheit zu bringen, und den Ärzten, deren Wissenschaft durch Dichter und Philosophen seit geraumer Zeit zweideutig geworden war, wieder einen guten Namen zu machen. Wenn Browns Lehre durch nichts ausgezeichnet wäre als durch die Reinheit von empirischen Erklärungen und Hypothesen, die Anerkennung und Durchführung des großen Grundsatzes der bloß quantitativen Verschiedenheit aller Erscheinungen, und die Konsequenz, mit der sie aus Einem ersten Prinzip folgert, ohne sich etwas anderes zugeben zu lassen oder je von der Bahn der Wissenschaft abzuschweifen: so wäre ihr Urheber schon dadurch einzig in der bisherigen Geschichte der Medizin und der Schöpfer einer neuen Welt auf diesem Gebiet des Wissens. Es ist wahr, er bleibt bei dem Begriff der Erregbarkeit stehen und hat von diesem selbst keine wissenschaftliche Erkenntnis, aber er verweigert zugleich alle empirische Erklärung davon, und warnt, sich nicht auf die Ungewisse Untersuchung der Ursachen, das Verderben der Philosophie, einzulassen. Ohne Zweifel hat er damit nicht geleugnet, daß es eine höhere Sphäre des Wissens gebe, in welcher jener Begriff selbst wieder als ein abzuleitender eintreten und aus höheren ebenso konstruiert werden könne, wie er selbst aus ihm die abgeleiteten Formen der Krankheit hervorgehen läßt.

Der Begriff der Erregbarkeit ist ein bloßer Verstandesbegriff, wodurch zwar das einzelne organische Ding, aber nicht das Wesen des Organismus bestimmt ist. Denn das absolut-Ideale, welches in ihm ganz objektiv und subjektiv zugleich, als Leib und als Seele erscheint, ist an sich außer aller Bestimmbarkeit; das einzelne Ding aber, der organische Leib, den es sich als Tempel erbaut, ist durch äußere Dinge bestimmbar und notwendig bestimmt. Da nun jenes über die Einheit der Form und des Wesens im Organismus wacht, als in welcher allein dieser das Symbol von ihm ist, so wird es durch jede Bestimmung von außen, wodurch die erste verändert wird, zur Wiederherstellung und demnach zum Handeln bestimmt. Es ist also immer nur indirekt, nämlich durch Veränderung der äußern Bedingungen des Lebens, niemals aber an sich selbst bestimmbar.

Das, wodurch der Organismus Ausdruck der ganzen Subjekt-Objektivierung ist, ist, daß die Materie, welche auf der tieferen Stufe dem Licht entgegengesetzt und als Substanz erschien, in ihm dem Licht verbunden (und weil beide, vereinigt, sich nur als Attribute von einem und demselbigen verhalten können) bloßes Akzidens des An-sich des Organismus und demnach ganz Form wird. In dem ewigen Akt der Umwandlung der Subjektivität in die Objektivität kann die Objektivität oder die Materie nur Akzidens sein, dem die Subjektivität als das Wesen oder die Substanz entgegensteht, welche aber in der Entgegensetzung selbst die Absolutheit ablegt und als bloß relativ-Ideales (im Licht) erscheint. Der Organismus ist es also, welcher Substanz und Akzidens als vollkommen eins und, wie in dem absoluten Akt der Subjekt- Objektivierung, in eins gebildet darstellt.

Dieses Prinzip der Formwerdung der Materie bestimmt nicht allein die Erkenntnis des Wesens, sondern auch der einzelnen Funktionen des Organismus, deren Typus mit dem allgemeinen der lebendigen Bewegungen derselbe sein muß, nur daß die Formen, wie gesagt, mit der Materie selbst eins sind und ganz in sie übergehen. Wenn man alle Versuche der Empirie, diese Funktionen sowohl überhaupt als ihren besondern Bestimmungen nach zu erklären, durchgeht, so findet sich auch nicht in Einer derselben eine Spur des Gedankens, sie als allgemeine und notwendige Formen zu fassen. Die zufällige Existenz unwägbarer Flüssigkeiten in der Natur, für welche ebenso zufälligerweise in der Konformation des Organismus gewisse Bedingungen der Anziehung, der Zusammensetzung und Zerlegung gegeben sind, ist auch hier das letzte trostlose Asyl der Unwissenheit. Und dennoch ist selbst mit diesen Annahmen noch keine Erklärung dahin gelangt, irgend eine organische Bewegung z.B. der Kontraktion auch nur von selten ihres Mechanismus begreiflich zu machen. Man fiel zwar sehr frühzeitig auf die Analogie zwischen diesen Erscheinungen und denen der Elektrizität; aber da man diese selbst nicht als allgemeine, sondern nur als besondere Form kannte und auch keinen Begriff von Potenzen in der Natur hatte, so wurden die ersten, anstatt mit den andern auf die gleiche Stufe, wenn nicht auf die höhere, gesetzt zu werden, vielmehr von ihnen abgeleitet und als bloße Wirkungen von ihnen begriffen: wobei, auch das elektrische Wesen als Tätigkeitsprinzip zugegeben, den eigentümlichen Typus der Zusammenziehung zu erklären, noch neue Hypothesen erfordert wurden.

Die Formen der Bewegung, welche in der anorgischen Natur schon durch Magnetismus, Elektrizität und chemischen Prozeß ausgedrückt sind, sind allgemeine Formen, die in den letzteren selbst bloß auf eine besondere Weise erscheinen. In ihrer Gestalt als Magnetismus usw. stellen sie sich als bloße von der Substanz der Materie verschiedene Akzidenzen dar. In der höheren Gestalt, welche sie durch den Organismus erhalten, sind sie Formen, die zugleich das Wesen der Materie selbst sind.

Für die körperlichen Dinge, deren Begriff bloß der unmittelbare Begriff von ihnen selbst ist, fällt die unendliche Möglichkeit aller als Licht außer ihnen: im Organismus, dessen Begriff unmittelbar zugleich der Begriff anderer Dinge ist, fällt das Licht in das Ding selbst, und in gleichem Verhältnis wird auch die zuvor als Substanz angeschaute Materie ganz als Akzidens gesetzt.

Entweder ist nun das ideelle Prinzip der Materie nur für die erste Dimension verbunden: in diesem Fall ist jene auch nur für die letztere als Dimension des in- sich-selbst-Seins von der Form durchdrungen und mit ihr eins; das organische Wesen enthält bloß die unendliche Möglichkeit von sich selbst als Individuum oder als Gattung. Oder das Licht hat auch in der andern Dimension der Schwere sich vermählt: so ist die Materie zugleich für diese, welche die des Seins in andern Dingen ist, als Akzidens gesetzt, und das organische Wesen enthält die unendliche Möglichkeit anderer Dinge außer ihm. In dem ersten Verhältnis, welches das der Reproduktion ist, waren Möglichkeit und Wirklichkeit beide auf das Individuum beschränkt und dadurch selbst eins; in dem andern, welches das der selbständigen Bewegung ist, geht das Individuum über seinen Kreis hinaus auf andere Dinge: Möglichkeit und Wirklichkeit können hier also nicht in ein und dasselbige fallen, weil die andern Dinge ausdrücklich als andere, als außer dem Individuum befindliche gesetzt sein sollen. Wenn aber die beiden vorhergehenden Verhältnisse in dem höheren verknüpft werden und die unendliche Möglichkeit anderer Dinge doch zugleich als Wirklichkeit in dasselbige fällt, worein jene, so ist damit die höchste Funktion des ganzen Organismus gesetzt; die Materie ist in jeder Beziehung und ganz Akzidens des Wesens, des Idealen, welches an sich produktiv, aber hier, in der Beziehung auf ein endliches Ding, als ideal zugleich sinnlich-produzierend, also anschauend ist.

Wie auch die allgemeine Natur nur in der göttlichen Selbstbeschauung besteht und die Wirkung von ihr ist, so ist in den lebenden Wesen dieses ewige Produzieren selbst erkennbar gemacht und objektiv geworden. Es bedarf kaum des Beweises, daß in diesem höheren Gebiet der organischen Natur, wo der ihr eingeborne Geist seine Schranken durchbricht, jede Erklärung, die sich auf die gemeinen Vorstellungen von der Materie stützt, so wie alle Hypothesen, durch welche die untergeordneten Erscheinungen noch notdürftig begreiflich gemacht werden, völlig unzureichend werden; weshalb auch die Empirie dieses Gebiet allmählich ganz geräumt und sich teils hinter die Vorstellungen des Dualismus teils in die Teleologie zurückgezogen hat.

Nach Erkenntnis der organischen Funktionen in der Allgemeinheit und Notwendigkeit ihrer Formen ist die der Gesetze, nach welchen ihr Verhältnis untereinander, sowohl im Individuum als in der gesamten Welt der Organisationen, bestimmt ist, die erste und wichtigste.

Das Individuum ist in Ansehung desselben auf eine gewisse Grenze eingeschränkt, welche nicht überschritten werden kann, ohne sein Bestehen als Produkt unmöglich zu machen: es ist dadurch der Krankheit unterworfen. Die Konstruktion dieses Zustandes ist ein notwendiger Teil der allgemeinen organischen Naturlehre, und von dem, was man Physiologie genannt hat, nicht zu trennen. In der größten Allgemeinheit kann sie vollkommen aus den höchsten Gegensätzen der Möglichkeit und Wirklichkeit im Organismus und der Störung des Gleichgewichtes beider geführt werden: die besondern Formen und Erscheinungen der Krankheit aber sind allein aus dem veränderten Verhältnis der drei Grundformen der organischen Tätigkeit erkennbar. Es gibt ein doppeltes Verhältnis des Organismus, wovon ich das erste das natürliche nennen möchte, weil es als ein rein quantitatives der innern Faktoren des Lebens zugleich ein Verhältnis zu der Natur und den äußern Dingen ist. Das andere, welches ein Verhältnis der beiden Faktoren in bezug auf die Dimensionen ist, und die Vollkommenheit bezeichnet, in welcher der Organismus Bild des Universum, Ausdruck des Absoluten ist, nenne ich das göttliche Verhältnis. Brown hat allein auf das erste als das vornehmste für die medizinische Kunst reflektiert, aber deshalb das andere nicht positiv ausgeschlossen, dessen Gesetze allein den Arzt die Gründe der Formen, den ersten und hauptsächlichsten Sitz des Mißverhältnisses lehren, ihn in der Wahl der Mittel leiten, und über das, was der Mangel an Abstraktion das Spezifische in der Wirkung der letztern sowohl als in den Erscheinungen der Krankheit genannt hat, verständigen. Daß nach dieser Ansicht auch die Lehre von den Arzneimitteln keine eigne Szienz, sondern nur ein Element der allgemeinen Wissenschaft der organischen Natur sei, versteht sich von selbst.

Ich müßte nur das von würdigen Männern vielfach Gesagte wiederholen, wenn ich beweisen wollte, daß die Wissenschaft der Medizin in diesem Sinne nicht nur überhaupt philosophische Bildung des Geistes, sondern auch Grundsätze der Philosophie voraussetze; und wenn es zur Überzeugung von dieser Wahrheit für die Verständigen noch etwas außer den allgemeinen Gründen bedürfte, wären es folgende Betrachtungen: daß in Ansehung dieses Gegenstandes das Experiment, die einzig mögliche Art der Konstruktion für die Empirie, an sich unmöglich ist, daß alle angebliche medizinische Erfahrung ihrer Natur nach zweideutig ist, und mittelst derselben über Wert oder Unwert einer Lehre niemals entschieden werden kann, weil in jedem Fall die Möglichkeit bleibt, daß sie falsch angewendet worden; daß in diesem Teile des Wissens, wenn in irgend einem andern, die Erfahrung erst durch die Theorie möglich gemacht werde, wie die durch die Erregungstheorie gänzlich veränderte Ansicht aller vergangenen Erfahrung hinlänglich beurkundet. Zum Überfluß könnte man sich auf die Werke und Hervorbringungen derjenigen berufen, die, ohne den geringsten Begriff oder einige Wissenschaft erster Grundsätze, durch die Macht der Zeit getrieben, die neue Lehre, obgleich sie ihnen unverständlich ist, dennoch in Schriften oder Lehrvorträgen behaupten wollen, und selbst den Schülern lächerlich werden, indem sie das Unvereinbare und Widersprechende damit zu vereinen suchen, auch das Wissenschaftliche wie einen historischen Gegenstand behandeln, und da sie von Beweisen reden, doch immer nur zu erzählen vermögen: auf die man anwenden möchte, was zu seiner Zeit Galenus von dem großen Haufen der Ärzte gesagt hat: so ungeübt und ungebildet und dabei so frech und schnell im Beweisen, wenn sie schon nicht wissen, was ein Beweis ist – wie soll man mit diesen vernunftlosen Wesen noch länger streiten und seine Zeit an ihren Erbärmlichkeiten verlieren!

Dieselben Gesetze, welche die Metamorphosen der Krankheit bestimmen, bestimmen auch die allgemeinen und bleibenden Verwandlungen, welche die Natur in der Produktion der verschiedenen Gattungen übt. Denn auch diese beruhen einzig auf der steten Wiederholung eines und desselben Grundtypus mit beständig veränderten Verhältnissen, und es ist offenbar, daß die Medizin erst dann in die allgemeine organische Naturlehre vollkommen sich auflösen wird, wenn sie die Geschlechter der Krankheiten, dieser idealen Organismen, mit der gleichen Bestimmtheit wie die echte Naturgeschichte die Geschlechter der realen Organismen konstruiert, wo denn beide notwendig als sich entsprechend erscheinen müssen.

Aber was kann die historische Konstruktion der Organismen, welche den schaffenden Geist durch seine Labyrinthe verfolgt, anders leiten als die Form der äußern Bildung, da kraft des ewigen Gesetzes der Subjekt-Objektivierung das Äußere in der ganzen Natur Ausdruck und Symbol des Inneren ist, und sich ebenso regelmäßig und bestimmt wie dieses verändert?

Die Denkmäler einer wahren Geschichte der organisch-zeugenden Natur sind also die sichtbaren Formen lebendiger Bildungen von der Pflanze bis zum Gipfel des Tiers, deren Kenntnis man bisher, in einseitigem Sinne, als vergleichende Anatomie bezeichnet hat. Zwar leidet es keinen Zweifel, daß in dieser Art des Wissens Vergleichung das erste leitende Prinzip ist: aber nicht Vergleichung mit irgend einem empirischen Vorbild, am wenigsten mit der menschlichen Bildung, welche als die vollendetste nach einer Richtung zugleich an der Grenze der Organisation steht. Die erste Beschränkung der Anatomie überhaupt auf die des menschlichen Körpers hatte zwar in dem Gebrauch, der von derselben in der Arzneikunst beabsichtigt wurde, einen sehr einleuchtenden Grund, war aber der Wissenschaft selbst in keinem Betracht vorteilhaft. Nicht nur weil die menschliche Organisation so verborgen ist, daß, um der Anatomie derselben auch nur diejenige Vollkommenheit zu geben, die sie jetzt hat, die Vergleichung mit andern Organisationen notwendig war, sondern auch, weil sie, durch ihre Potenziertheit selbst, den Gesichtspunkt für die übrigen verrückt und die Erhebung zu einfachen und allgemeinen Ansichten erschwert. Die Unmöglichkeit, über die Gründe einer so verwickelten Bildung im Einzelnen die geringste Rechenschaft abzulegen, nachdem man sich selbst den Weg dazu versperrt hatte, führte die Trennung der Anatomie und Physiologie, die sich beide wie Äußeres und Inneres entsprechen müßten, und jene ganz mechanische Art des Vertrags herbei, der in den meisten Lehrbüchern und auf Akademien der herrschende ist.

Der Anatom, welcher seine Wissenschaft zugleich als Naturforscher und im allgemeinen Geiste behandeln wollte, müßte zuvörderst erkennen, daß es einer Abstraktion, einer Erhebung über die gemeine Ansicht bedarf, um die wirklichen Formen auch nur historisch wahr auszusprechen. Er begreife das Symbolische aller Gestalten, und daß auch in dem Besondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Äußern ein innerer Typus, ausgedrückt ist. Er frage nicht: wozu dient dieses oder jenes Organ? sondern: wie ist es entstanden? und zeige die reine Notwendigkeit seiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den besondern Fall eingerichtet die Ansichten sind, aus denen er die Genesis der Formen herleitet, desto eher wird er die unaussprechliche Naivität der Natur in so vielen ihrer Bildungen erreichen und fassen. Am wenigsten wolle er, indem er die Weisheit und Vernunft Gottes zu bewundern meint, seine eigne Unweisheit und Unvernunft zu bewundern geben.

Beständig sei in ihm die Idee von der Einheit und inneren Verwandtschaft aller Organisationen, der Abstammung von Einem Urbild, dessen Objektives allein veränderlich, das Subjektive aber unveränderlich ist: und jene darzustellen, halte er für sein einziges wahres Geschäft. Er bemühe sich vor allem um das Gesetz, nach welchem jene Veränderlichkeit stattfindet: er wird erkennen, daß, weil das Urbild an sich immer dasselbige bleibt, auch das, wodurch es ausgedrückt wird, nur der Form nach veränderlich sein könne, daß also eine gleiche Summe von Realität in allen Organisationen verwendet und nur verschiedentlich genutzt wird; daß eine Ersetzung des Zurückstehens der einen Form durch das Hervortreten der andern und des Übergewichts von dieser durch das Zurückdrängen von jener statthabe. Er wird sich aus Vernunft und Erfahrung einen Schematismus aller innern und äußern Dimensionen entwerten, in welche sich der produktive Trieb werten kann, wodurch er für die Einbildungskraft ein Prototyp aller Organisationen gewinnt, das in seinen äußersten Grenzen unbeweglich, innerhalb derselben aber der größten Freiheit der Bewegung fähig ist.

Die historische Konstruktion der organischen Natur würde, in sich vollendet, die reale und objektive Seite der allgemeinen Wissenschaft derselben zum vollkommenen Ausdruck der Ideen in dieser, und dadurch mit ihr selbst wahrhaft eins machen.


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