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In kühler Gartenveranda des Klosters auf Berg Karmel saßen im Jahre des Herrn eilfhundertundneunzig etliche deutsche Kreuzfahrer ritterlichen Standes aus dem Heere, das Landgraf Ludwig der Milde von Thüringen, dem großen schwerfällig zu Land einherziehenden Pilgerheer seines Oheims, des Kaisers Friedrich Rotbart, vorauseilend, von Brundusium über Meer vor Ptolemais geführt hatte. Bei dem letzten großen Mauersturm verwundet, waren sie zur Pflege und Heilung aus dem Lager nach des Karmels wohlbefestigter luftfrischer Einsamkeit verbracht worden. Ein jeder trug sein Denkzeichen von sarazenischem Gewaffen oder Brandgeschoß griechischen Feuers am Körper. Trotz ungeheurer Anstrengung war jener Sturm am Sonnabend nach dem Feste Christi Himmelfahrt ein siegloser geblieben.

Unter den thüringischen, rheinländischen und flandrischen Herren war ein ihnen unbekannter junger Kriegsmann, der auf dem ganzen Kreuzzug seither als ein stummer Pilgrim mitgezogen. Erst als sein Fuß die Umwallung des »verfluchten Turmes«, jener Hauptbefestigung von Ptolemais, stürmend betreten, hatte seine Zunge sich gelöst, und mit dem Schlachtruf: »Hilf Sankt Georg und Grab des Herrn, hie Neuenhewen und sein Stern!« war er unter die mauerverteidigenden Kämpfer Saladins gesprungen und stand tapfer zudruckend und mit seinem Streitkolben Bahn hauend im Gewühl, bis er schließlich schwer gewundet in den Festungsgraben hinabgeworfen von den Seinigen weggetragen ward.

Die Lazarettlangeweile zu kürzen, erzählten sich die invaliden Kämpfer ihre Geschichten und was ein jeder daheim erlebt und erstrebt, bis er, das Kreuz seinem Waffenrock anheftend und den heißen Sand Syriens gegen der Heimat geliebten Boden eintauschend, als Soldat des heiligen Grabes über Meer gekommen.

Als die Reihe des Erzählens den jungen Kriegsmann traf, dem erst seit jenem Sturmtag sich von des Schweigens Gelübde zu entbinden gestattet war, berichtete er seinen ritterlichen Gefährten, wie folgt, des Juniperus Geschichte.

»So heb' ich denn im Namen Gottes des Herrn an und erzähle euch, teuerwerte Genossen, alles, wie es ging und kam und mich von Donau und Rhein bis vor Akkons Wälle geführt … und wenn ich weit aushole und in strömendem Erguß der Rede euch beschwerlich falle, so wollet es einem zu gut halten, über dessen Lippen in zwei Jahren außer dem, was er unfreiwillig im Traume geredet, kein Sterbenswort kommen durfte. Und wenn euch, was ich zu berichten habe, nicht alles ein Wohlgefallen erregt, so wollet es der Jugend zugute halten, deren Angebinde heißes Blut ist und wenig Tugend.

Weit entfernt von euren Burgen und Städten, droben im glückseligen Schwaben ist meine Heimat, und als die Muhme Petrissa den Neugeborenen im geflochtenen Wiegenkorb wider das Licht hob und als untadeligen Sohn seines Vaters erfand, da sprach sie: »Du gutes festes Schwabenkind, es soll mich selber Wunder nehmen, wo überall hin durch die Welt dich deines Lebens Wege noch tragen und verschlagen werden.« Und so jung ich annoch bin, so möcht' ich schier vermeinen, jenes Wort wolle sich erfüllen, denn vom Neuenhewen im Hegau bis auf den Karmel im mediterranischen Meer ist ein weiter Weg und wohl noch nicht mein letzter.

Zwischen Bodensee, Rhein und Schwarzwald hebt auch manch stolzer Berg sein Haupt, und wenn ich Flügel trüge und wenn noch alles stünde daheim, wie es stand vor der Fastnacht Anno Domini eilfhundert acht und achtzig, so wollt' ich wohl am liebsten zur Stelle über das blaue Meer zurück und heimfliegen und nach meinem guten Hewenberg schauen, denn es muß etwas der schwäbischen Luft zugemischt sein, was uns hinaustreibt weit in alle Welt, aber auch ein Zweites, was wieder heimwärts zieht mit starkem Haken der Sehnsucht. Was an mir zieht zu den Höhen, die meine Wiege trugen, das ist die Pracht Gottes, die dort alltäglich vor den Fenstern sich auftut … die Pracht Gottes in Land und See und Strömen und Alpengebirgen der Ferne …

Darf zwar hier oben mit vollen Zügen des Karmels balsamische Luft trinken und aus einem Schwall von Blüten, die unsere Tannwälder nicht kennen, hinabschauen wie aus einem Gewürzgarten auf Meer und Land,

mare velivolum terrasque iacentes,

wie wir in der Schule es lasen, aber käme ich auch auf jenen andern Berg zu stehen, von dem einst der Versucher dem Heiland alle Herrlichkeiten dieser Welt gewiesen, nimmer würde ich vergessen, wie es auf meiner guten neuen Hewen bestellt sei. Hei, daß ich euch weisen könnte, was dort in meine Jugend hereingeglänzt: die grünen Wälder von Engen, einst des austrasischen Reiches wohlumwallter Grenzstadt … die steil aufgeschossenen Felsgipfel des Hegaus in einsamer Schöne … den blau im Widerschein blauen Himmels mit gedoppelter Buchtung zu uns sich herbiegenden Bodensee … die fernen riesigen wie ein Hauch im Abendrot verschwindenden Schneeberge! In krummem Flußlauf windet sich die kaum entsprungene Donau durch ein Ried und strebt dem Städtlein Geysingen vorüber … so einer von dort eine kleine Weile gen Sonnenaufgang reitet, steht er auf schwarzem Basaltstein vor meines Vaters Behausung, und mag all die Pracht erschauen, von der meine Zunge jetzt, da sie wieder reden darf, in voller Erinnerung überströmt.

Die gute neue Hewen aber ist nur ein Burgstall; ihr und der Stadt Engen gebieten die edeln Freiherrn auf dem Hohenhewen, der als der nächste in der Reihe der Hegauberge mit sanfter Schwingung seinen waldigen Gipfel erhebt. Aus fernem Hessenland kam das Hewengeschlecht einst herübergewandert in das Revier der Hegauer Kegelberge und hat von dort sein Wappen mitgebracht, den silbernen Stern im schwarzen Feld, den sie auch all ihren Dienstleuten zu Schildzier verliehen, daß sein Zeichen glückverheißend aufgepflanzt werde über dem Tor ihrer festen Berghäuser.

Darum soll keiner mich schmähen, daß ich zu Unrecht mich fremden Wappenschildes angemaßt, als ihr mir gestaltet habt, in euren Reihen den Stern meiner Heimat auf Akkons Wällen dem Sarazenen zu weisen.

Selten steigt ein Hewen von seinem Berggipfel hernieder, Lehen zu suchen … sitzen in semperfreier Stille daheim, wie der alte Krenkinger Freiherr im unweiten Thiengen, der selber, als der Kaiser Rotbart durchritt, nicht aufstand vom Armstuhl, darin er vor seinem Hoftor saß, und nur grüßend sein Käpplein lupfte, sprechend: »Mehr bin ich nicht schuldig.«

In der Eckstube des Burgstalls Neuenhewen, den man auch das Stettener Schlößlein nennt, bin ich geboren, der Sohn eines rittermäßigen Dienstmannes, der Gottfried heißt und wie viele seines Standes mit Stichen und Schlägen aus der Jugend in sein Alter kommen und Speerkrachens viel vernommen. Nach dessen Namen tauften sie auch mich Gottfried. Die Mutter aber, ein feinfühlig Weib, der Gott ihre Treue lohnen möge, ist früh weggestorben … und so weit die Welt vor den Fenstern der Burg ausgebreitet lag, so eng war sie in den innern Räumen, die wir hälftig zu teilen hatten mit zwei andern hewischen Dienstmännern, ihren Frauen und Kindern. Saßen darum nahbeisammen in der einen Eckstube, aber nur wenn schlecht Wetter war; bei gutem kroch ich draußen herum auf den Felsen und stieg zum Wächter auf den großen viereckigen Turm und schaute den Sperbern nach, die drüber hinwegflogen, oder zerrte den Vater am Leibrock, wenn er zu Rosse stieg, daß er mich heraufgriff und vor sich in den Sattel sitzen hieß, und blieb ein frischer Bub, der seiner Muhme Petrissa, die jahraus jahrein am schnurrenden Spinnrad im Eckfenster saß und allen das Linnen zum Gewand spann, viel Sorge schuf.

Wie ich so ein acht Jahre geworden, hielten sie Rat, was aus mir werden solle; da sprach die Muhme: »Ist ein Knab', in dem steckt etwas. Deß mag eine Ursache sein, daß seine Mutter, da er ungeboren unter ihrem Herzen ruhte und der Vater in den Krieg geritten war, so oft hinüberging zu ihrer Schwester auf der Burg zu Aach und lange Stunden am tiefblauen Quell saß, der dort mit Flussesgewalt aufsprudelt aus den Tiefen des Erdreichs, und daß ihr nichts lieber war, denn unter dem Schatten der Linden in die rinnende Flut zu schauen und mit sehnendem Weh des abwesenden Eheherrn zu denken.

Wer weiß, was Art Geister dort schalten: sie sagen, es sei ein Stück Donau ins Erdreich verschlupft und ströme plötzlich wieder zu Tage … in das Gottfriedlein ist etwas Elfisches hineingekommen, daß es anders geraten ist denn andere.

Auch hat dazumal das Gestirn Jupiter regiert, das schafft, daß seine Kinder sanft und der Weisheit vergangener Tage zugetan sind und fromme Leute und guten Rat und Gerechtigkeit lieb haben, aber viel Neigung zur Stille und verborgenem Sinnen. Vom Quellhauch der Aach aber ist ein Zug zu allem, was rinnt und strömt und braust, ihm eingeprägt, der wird ihn kaum geruhig auf den heimatlichen Berggipfel dulden. Werdet finden, daß er für unterirdisch Fließen der Quellen einen verborgenen Sinn hat, und wenn ihr durch die Felder mit ihm geht, wird's an ihm zucken, wo in der Tiefe ein Sprudel sprudelt und oben ein Brunnen zu graben ist. Und wie es Schicksal der Regentropfen, die unserer Neuenhewen Dachtraufe, wenn sie südwärts abfließen, zum Rhein, wenn nordwärts, zur Donau entsendet, so wird auch er in die weite Welt hinaus rinnen und schwimmen müssen, vom Fels zum Strom, vom Strom zum Meer, und Gott weiß, wann er die Heimat wieder sieht.

Ein anderweit befremdlich Zeichen aber ist des Buben absondere Freude am Strauch Wachholder, zu dem er eine Neigung spürt wie ein Birkhahn oder ein Krammetsvogel. Warum hat er allzeit zu schaffen in des Wächters Gaden? Weil droben aus des Gesteines Ritzen eine große Wachholder aufgewachsen ist und ihr stachlich Geäst heraufstreckt zum Fenster! Muß immer dort was herumzuknistern haben, Zweiglein auf die Kappe stecken, Beeren im Munde führen, Wurzeln im Sack nachschleppen.

Wo all dies hinauszielt, weiß die alte Petrissa nicht … aber ein strenger Kriegsmann wie sein Vater wird er kaum, sonst wäre er geboren im Zeichen des Planeten Mars und trüg' einen Sinn für Feuer und Eisen und Erz im Erdboden, statt für Wasser, und Neigung zu Roß und Gewild, statt zu Strauchwerk. Und dennoch deutet ihm Wachholder Späne und Stiche mancherlei.«

Dieser Rede hab' ich zugehört und sie wohl im Gedächtnis behalten. Mein Vater aber lachte und sprach: »Gib dich zufrieden, du Burgfabuliererin; so etwas in ihm steckt, wird's auch zutage kommen, und, so Gott in Ungnaden es gefügt hat, am Ende gar ein Scholastikus. Brüder hat er genug, die ein Streitroß tummeln; wollen's versuchen und ihn in eine Klosterschule eintun.«

Wenige Tage darauf stund das große Ritterpferd gesattelt und die Muhme hatte mir ein Bündelein zurechtgerichtet und schöne Schreibtafeln und hängte mir einen wohlgeschnitzten Griffelfisch an den Gürtel, und mein Vater hieß mich wie sonst vor sich in den Sattel sitzen und ritt mit mir in das Kloster zu Rheinau am Rhein und übergab mich dem Abt Heinrich, der ihm wohl befreundet war. Die Klosterbrüder zogen mir ein lang Gewand an, schoren meine Locken und wiesen mich zu den andern, die dort zur Schule und Unterweisung in den freien Künsten eingetan waren.

Und so war mir's ergangen wie den Wassertropfen, die von unserem Burgdach südwärts abfließen … war vom Neuenhewen mitten in den Rhein gekommen, wußte nicht warum. Dort auf der stillen flutumrauschten Insel im krummen Umschweif des jungen Stromes, wo des heiligen Fintan aus Irland Gebeine ruhen, hab' ich gute Tage und Jahre in Fleiß verlebt … und mich gehalten wie ein guter Klosterschüler und die lateinischen Buchstaben lesen und schreiben gelernt und kein ander Ziel gehabt, als mit den Jahren selber ein frommer Bruder zu werden, der am Steinsarg des irländischen Heiligen im Chor der großen Kirche seine Psalmen singt, im Scriptorium die alten Schriften abschreibt und an des Abtes Tafel mit benedicte und laudate dominum den herzstärkenden goldgelben Korbwein trinken darf.

Die Sprache der Lateiner aber ging mit voller Gewalt in meiner Seele auf; oft wandelte sich mein Denken aus der Muttersprache in ein lateinisches, und wenn bei sonntäglichem Hochamt die Orgel ihren Vollton durch des Münsters Gewölbe brausen ließ, so klang es in mir wider von Hymnen und frommen Chören der Altväter, als müßt' ich das Rauchfaß schwingen und in des Weihrauchs weiß emporwallendes Gewölk lateinische Lobpsalmen hauchen zu Ehren des Herrn Himmels und der Erde.

Unser Lehrer Tannastus tummelte sich im Wissen der Alten nicht so festgesattelt, daß allzuviel von ihm zu lernen stand. Oft hub er den Zeigefinger und sprach: »Par Dei, Gottfried mein Sohn, laß dir Zeit. Brauchst heute nicht mehr auf die Spitze der Eloquenz und des Parnassus emporzuklimmen, morgen ist auch noch ein Tag, sprach Cicero, da er nach dem Mittagessen schlafen ging.«

Aber ich ließ ungern ab, und als wir, in die Klasse der Poesie vorgerückt, angeben sollten, wen sich ein jeder zu nacheiferwertem Vorbild erwählte, gab ich an: »Ich möchte werden wie des Grafen von Beringen teuerwerter Sohn Hermann der Lahme, der vor hundert Jahren als Stern der Wissenschaft in der Reichenau erglänzte, und wollte es willig hinnehmen, mangelhaft auf den Füßen zu stehen, wenn ich wie er die hehren Hymnen Salve Regina und alma redemtoris mater angefertigt und erlebt hätte, daß die Kirchen der Christenheit von ihren Klängen erschalleten. Und gleich ihm möcht' ich ein Präfekt der Schule werden und alte und neue Geschichten in ein Chronikbuch verzeichnen und Musikinstrumente ersinnen und denen, die im Herren starben, schöne Disticha zu Grabschrift machen, wie jener seiner Mutter Chiltrudis.«

Da sprach Tannastus der Lehrer: »Par Dei, Gottfried mein Sohn, dein Eifer ist gut. Und deinem Vorbild immer näher zu kommen, sollst du statt meiner die Handschrift von des ehrwürdigen Beda Unterricht in der metrischen Kunst, die wir von den Reichenauern leihweise erhielten, abschreiben.«

Und in den Stunden, da er im Scriptorium arbeiten sollte, setzte er mich an seinen Schreibtisch und ging dafür Weinprobe zu halten mit dem Cellerarius. Dieweil jener in außergesetzlicher Zeit die Auslese des am gewundenen Hügelufer des Rheins prangenden Rebgartens, der Korb genannt, trank, schlürfte ich statt seiner noch edleren Korbwein aus des Angelsachsen Kommentaren … und so tief hat sich alles mir eingeprägt, daß ich heute noch vermöchte, seitenweise aufzusagen, was auf jenen Pergamenten geschrieben steht von sapphischem Metrum und iambisch hexametrischen und iambisch tetrametrischem, von Schema und Tropus, Rhythmus und Modulation.«

»Habt auch redlich Vortrag darüber gehalten, dieweil das Wundfieber Eure Zunge zum Phantasieren zwang,« sprach einer der gern zuhörenden Waffengefährten.

»So kam es,« fuhr der Jüngling fort, »daß all meine Lerngesellen mich den Lateiner hießen, und weil ich, wie meine Muhme schon früher erwittert, in seltsamer Neigung zum Strauch Wachholder oft mit einem Zweiglein desselben im Gürtel vor ihnen erschien oder Speise und Trank mit den schwarzen Beeren versetzte, gaben sie mir den Uebernamen Juniperus, der ist mir durch alle Jahre hindurch verblieben, daß bald keiner in der Abtei anders wußte, als ich sei Juniperus getauft, wiewohl sie solchen Heiligen vergeblich im Kalendarium gesucht hätten.

In selbiger Zeit gewann ich einen Freund, der war wie ich Schüler im Kloster und schlief in derselben Kammer, ein treues stilles Menschenkind und bald mir unzertrennlich; hieß Diethelm von Blumenegg.

Im wilden Wutachtal stand der Burgstall, darauf die Seinen als Dienstmannen der Zäringischen Herzoge saßen. Oft fügte es sich in fröhlicher Vakanzzeit, wenn wir als flügge Nestvögel die Lernsäle verlassen und heimschwärmen durften, daß ich mit ihm hinüberging zur Burg seiner Väter … heia, wie waren wir wohlgemut, in seinem felsengen Heimattal auf und nieder zu klettern, bei den Meiern auf den Herrschaftshöfen anzusprechen und Forellen zu fangen im klaren Wildwasser.

Gedenke ich aber des Tales der Wutach, so klingt es wie ein lateinisch Lied in mir zu Ehren des Wunderbaues, den Gott der Herr in seiner Felsenschroffe dort aufgerichtet … Gegenüber dem einsamen Steinklotz, der die gute Blumenegg trägt, streckt sich eine riesige steilnackte Wand von Kalkgestein, die bricht senkrecht mit einem Eckpfeiler ab und öffnet dem Auge den Fernblick durch das waldige Tal vorwärts zum Rhein und hinüber zum helvetischen Alpenschnee … ihr zu Füßen zieht wuchernder Laubwald, pfadloses Dickicht, trümmerbesätes Ufer, Marmorgefelse im Wildwasser. Wenn wir dort hinabkletterten, dem Flußlauf entgegen, und die klaffende Wildnis der Abgründe zurückließen, so bog sich milder und freundlicher das Tal und wir gehorsamten dem weisen Schulspruch im Regimen Vitae:

Mane petas montes, medio nemus, vespere fontes!

und kamen über schwanken Brückensteg zur alten Linde von Achdorf, allzeit Halt und Wahrzeichen unserer Wanderung. Dort hielt ein wackerer Vogt das Zeichen des Wirtes ausgesteckt an seinem Steinhaus; der hatte eine Tochter mit krausem Haar und lieblichem Lächeln und fand sich bei ihm allezeit ein frischer Labetrunk Weines, fröhliche Gesichter, Reigentanz und bäuerlicher Hoppaldeia um die Linde. Dort haben wir, wie es fünfzehnjährigen Jünglingen ziemt, oftmals, wenn die Angelruten abgestellt waren und der Weinkrug aufgestellt, geschwärmt von ewigen Banden der Freundschaft und Taten der Zukunft und minnigen Augen der Frauen, und als ich einst krank daheim auf dem Schragen liegen mußte, hab' ich meinem Freund einen lateinischen Erinnerungssang gefertigt und hinübergeschickt; der fand viel Beifall und lautete also:

Laeticia Silvestris.

Silvae nigrae corde toto
Qui devinctus sum, aegroto
Distans in exilio:
Quondam falco perbeatus,
Jam deterrime mutatus
Tristis vespertilio.

Ubi stas, vetus sodalis
Cuius vultus amicalis
Hilarabat oculum?
Scisne quoties laetabundi
Visebamus finem mundi
Blumnegg, florum angulum?

Cominus saltus proclives
Eminus alpinas nives
Sol illustrat occidens;
Subtus arva per fecunda
Susurranti ruit unda
Wutach, aqua furiens.

Tune per rupes prominentes
Et convallia descendentes
Scisne, quo tetendimus?
Septus hortis er pometis
Portus adnuit quietis
Achdorf, pagus rusticus.

O dulcissimam tabernam,
O rosaceum pincernam,
Rusticas delicias!
Vinum tilia sub frondosa
Haurit filia graciosa
MariguttaSpringmitdemglas!

… Die Muhme Petrissa, die damals mit Spinnrad und Kunkel aus ihrem Eckfenster herübergesiedelt war an meine Lagerstatt, sprach kopfschüttelnd, da ich's auf langen Pergamentstreifen geschrieben: »O weh uns, ist das der verborgene Schatz, den ihm die Wasserelfen verheißen? Mit lateinischem Bacchantenlied wird kein Platz unter den Heiligen Gottes und keiner unter des Kaisers Ritterschaft gewonnen; von bösem Elementargeist rührt, was in dir steckt.« Und sie schickte, ohne daß ich's erfuhr, ein frisch geschossen Reh in den Pfarrhof zu Geysingen, daß gebetet werde für Aenderung meines Sinnes.

Die Marigutta Springmitdemglas aber mit ihrem krispen Haar hat mir es nicht angetan, und der kühle Lindenschatten von Achdorf auch nicht … von einem anderen stolzeren Krauskopf blitzenden Augs kam Leides viel über mich und über den Diethelm.

Oftmals wenn wir in der Vakanz, die Armbrust umgehangen, durch die Baar streiften, Federwild zu erjagen, kehrten wir beim alten Markwart von Almishofen an, dessen fester Ritterhof aus der Tiefe des Donaurieds die breiten Giebel reckte, ein freier Herrensitz, vor dessen Tor das vierfach geteilte Wappenschild mit der Almishofer Blume im Feld rechts grüßend herabwinkte. War ein fadengerader rauher alter Herr, von dem die Leute scherzweise sagten, es stecke ein Scheit Tannenholz in seinem Rücken, wenn er im Sattel sitze, aber viel Löbliches von ritterlicher Art und Pflicht stund von ihm zu erfahren, und hatte einen reichbesetzten Harnischsaal, die zahlreichen Männer des Geschlechts, das in ihm den Senior ehrte, zu waffnen, denn der Almishofer waren viele, weit herum seßhaft in der Baar, in Hüfingen und an der Wutach und drüben zu Ymmendingen, wo allzeit ein Jüngerer des Stammes als Kirchherr seiner Pfründe genoß.

Uns aber zog es meistenteils bald aus Stube und Waffensaal hinaus in den großen Baumgarten, wo wir des Alten drei Töchter trafen. Und wenn das Jagdglück ein Wildentenpaar beschert oder einen guten Trappen, brachten wir jenen die Beute, waren in guter Kurzweil mit ihnen zusammen und spielten das Kinderspiel: »Weih, Weih, was klopfst du?« Da mußte der Diethelm als Weih mit heiserem Raubvogelgeschrei uns umschwirren, die drei Edelfräulein duckten sich wie die Küchlein ängstlich zusammen oder flohen im wilden Rennlauf und ich mußte zu ihrer Verteidigung den Feind kampflich bestehen.

Die erste der Töchter hieß Liutgard, zu der sagten wir kurzweg Luggi; die zweite der Töchter hieß Yrmgard, zu der sagten wir kurzweg Yrmi; die dritte hieß Rothraut, der gaben wir keinen Beinamen.

Die Rothraut war nicht wie ihre Schwestern: jene schlank, hochgewachsen in ihres Vaters Art, gutmütig, scheu und sittig … sie minder groß, minder schön, fesselnd durch unergründbar Spiel der Seele im großen dunkeln Auge … ungleich im Wesen, oft ausgelassen wild, dann wieder verschlossen und verträumt und niemanden anschauend als die Fischlein im Becken des Donauquells … zumeist einherwandelnd wie eine Katze, die sich ihrer samtweichen Sauberkeit freut und stets bereit hält, mit scharfem Sprung den harmlos sie umhüpfenden Vogel zu erkrallen … so ging sie mit unnachahmbarem und keckem Wurf des Hauptes durch die Leute, mit niemanden Freund, selten um ein spitzig Wort verlegen, und dennoch vielen wohlgefallend. Wenn ihre Vettern geritten kamen, der Bikk von Almishofen von der Neuenburg am Gauchenbach, der Hug von Almishofen, dessen Haus zu Opferdingen stand, und Symphorion, der Kirchherr von Ymmendingen, den sie Symphorion den Dusler nannten, so drängten sich alle um Rothraut, mit ihr zu reden und zu spielen, und die Schwestern gingen leer aus.

Wenn die sich am Spinnrocken und mit Arbeiten der Frauen die Zeit kürzten, huschte die Rothraut bei ihres Vaters Falkenmeister herum und ließ sich unterweisen, wie der Stoßvogel auf der Hand zu tragen, wie ihm die Kappe abzunehmen und wie er mit sicherem Wurf in die Luft zu schwingen … oder sie streichelte das Schimmelfüllen, das im Baumgarten weiden durfte, und sprach: »Bis das groß geworden, bin auch ich groß und hab' ein Jagdkleid mit braunem Scharlach und einen Sattel mit klingenden Schellen, dann muß mir der Vater das weiße Roß schenken und ich reite mit euch ins Ried und reite durch Strauchwerk und Gräben und Sumpfesgefahr auf die Reiherbeize, hussa ihr Klosterlateiner, seht zu dann, wie ihr mir folget!«

So hielten wir etliche Sommer lang Vakanzeinkehr im Almishofer Ritterhaus, bis die Rothraut so emporgewachsen wie wir selber. Dann ward unser Kinderspiel: »Weih, Weih, was klopfest du?« fürder nicht mehr gespielt, denn als einstmals der Diethelm wieder den Weihenruf anstimmte, riß die Rothraut eine Stange aus dem Boden und ging selber auf ihn los, statt sich zu ducken wie ein Küchlein, und setzte ihm tapfer zu mit Hieb und Stich, daß er fliehen mußte und ihr Kranz von Herbstastern, den sie um das Haupt geschlungen trug, in des Kampfes Hitze aufgelöst und zerzaust zu Boden fiel.

Wie ich mit dem Diethelm wieder eingeheimst saß im Rheinauer Klosterschulsaal, ward es ein schlimmer Lernwinter uns beiden. Nur lässig stunden meine Gedanken zu dem erwählten Tugendvorbild Hermanns des Lahmen: ich vermeinte, es sei frischer und manneswerter, ein Roß zu tummeln und mit Speerbrechen und Schildzerhauen um Minnepreis zu werben … der lateinische Hymnenton, der sonst oft mit Stromesrauschen durch die Seele scholl, verstummte; minder ernste Reimklänge fuhren mit irrlichterndem Aufzucken um mich auf und nieder:

crines eius adamavi
quoniam fuere flavi
Ihre Haare mußt' ich lieben,
Denn blondgolden waren sie.

oder

O sagissima virago,
ecce Palladis imago
dixi te conspiciens …
Jungfrau klug und zauberhaftig,
Pallas Ebenbild leibhaftig
Schaut ich, als ich dich erblickt.

so daß Tannastus, unser Lehrer, kopfschüttelnd sprach: »Par Dei, Gottfried mein Sohn, du gefällst mir nur noch halb.« Zu meinem Stubengenossen aber sprach er: »Diethelm, Galea Populorum, du gefällst mir gar nicht mehr.«

Er mochte recht haben. Mein großer fröhlicher Herzbruder ward täglich stiller und schweigsamer und floh seine Gesellen … es war zur Fehde kommen zwischen ihm und der Freude. Oberhalb des Felix Regula Kirchlein beim Badeplatz auf grünem Damm stund ein alter Weidenstamm morsch und hohl, die Höhlung dem Talweg des Rheines zugekehrt. Dort störten wir ihn oftmals auf, daß er sich eingenistet hatte und vom hohlen Baum umschildet hinabstarrte in die kräftig strömenden Rheineswellen, wie ein in Sorgen Schwebender, und den Ruf des Glöckleins überhörte, das zur Lernstunde mahnte oder zur Vespermahlzeit.

Keinem verriet er, was ihn drückte. Da fiel nächtens einmal der Mondschein voll in unsere Stube und brach mir den Schlummer. Die Augen öffnend seh' ich den Diethelm auf seinem Lager aufgerichtet knien; um die Brust trug er allzeit eine große silberne Kapsel, seiner Mutter Geschenk, eine Heiligenreliquie dreingefaßt … wie er die Kapsel öffnete, ersah ich, daß er eine welke Herbstaster dreingelegt hatte, und er küßte sie und netzte sie mit rinnenden Tränen. Leise stand ich auf, schritt zu ihm hinüber, schlang den Arm um ihn und sprach: »Diethelm, Trautgesell, was weinest du?« Er aber stieß mich unsanft zurück und rief drohend: »Was kümmert's dich, Juniperus, apage, geh schlafen!

Nachdem er aber wegen Einschneidens eines großen Rbuchstabens in die Holzdecke eines. Psalterbuches eine Strafe mit Ausschließung vom gemeinsamen Tisch, Wasser und Brotkost erduldet, wachte ich nächtens wieder auf und sah ihn halbangekleidet von seinem Lager weggehen, das Fenster aufreißen und sich hinausschwingen. »Wohin, Diethelm?« rief ich betroffen. »Fort, Juniperus, auf Nimmerwiederkunft,« gab er zur Antwort und saß schon im Geäst der Ulme, die vom Rhein zu unserem Fenster emporragte, und ließ sich hinabgleiten, sprang in das Wasser und schwamm wohlgemut über an das rechte Ufer.

Deß war ich sehr betrübt, und es summte mir an jenem Tage lange eine lateinische Reimfügung durch den Kopf, die endigte:

non est unda tam profunda,
vis amoris furibunda
nos immergit fluvio
Stärker als der Wogen Strandung
Reißt der Minne wilde Brandung
Uns in Strom und Strudel fort.

Dachte dabei nicht, daß bald auch an mich die Reihe kommen sollte, gleiches zu erproben.

Aber von sehnendem Weh befreit nicht Heilkraut noch Gebet. Und in all mein Denken stellte sich der Rothraut wohlgetane Gestalt, ihr Mund rosigrot, ihr Haar goldblond und lauter, ihrer Hände Paar fein und weißblank.

Und vier Wochen darauf trug derselben Ulme Geäst mich selber aus dem heimlich geöffneten Fenster hinab zum Rhein, und ich sprang in das Wasser und schwamm hinüber auf das rechte Ufer, desselben Pfades, den mein Diethelm geschwommen.

Valeas, magister care,
Rhenum cogor pernatare,
Coenobitas desero,
Teurer Lehrer, Gott befohlen!
Durch den Rhein schwimm' ich verstohlen
Und verlaß' euch Klosterherrn.

rief ich aus den Fluten, da ich von des guten Tannastus wohlbekannter Zelle sein Lichtlein durch die Sommernacht schimmern sah.

Wie ich, in die nassen Kleider eingeschlüpft, durch die Waldstille am Schwabenegg dahin schlich und das Turmpaar der Abtei fern und ferner zurückwich, da konnt' ich freilich die Tränen nicht bannen und dachte: »Du gute, gute Rheinau, darin ich so viel gelernt und so viel an mir emporgebessert, wenn sich's tun ließe und kein Frevel wäre, daß ich jenes andere R, das mich hinübergezuckt wie der Magnet den Eisenspan, herbeiholte und mit ihm einziehen und leben dürfte in deinen Mauern, nimmermehr wollt' ich dich verlassen haben! …«

Auf der Neuen Hewen hub sich wieder ein böses Kopfschütteln an, da ich heimgelaufen kam. »Heilige Kummernis!« rief die Muhme Petrissa, »da haben wir's!« Der Vater brummte eine Weile, dann sprach er: »Die Schulbank hat noch achtzehnjährige rotbackige Kraft in dir gelassen, daß du in ritterlichem Handwerk dich einüben magst.« Da hub ich an, in Stall und Waffenkammer mich umzutun, kam tagelang nicht aus dem Sattel, ritt, daß die Heerstraßen stäubten, jagte, daß die Hunde zurückblieben, tummelte mich in allem, was einem Garzun zu lernen geziemt, und die lateinischen Buchstaben und Reimverse schufen mir fürder nicht viel Sorgen. Unser Herr zu Hewen aber sagte willig zu, mich als Schildknappen mitzunehmen, wenn er die nächste Heerfahrt tue.

Jungfräulein Rothraut war damals oft bei ihres Vaters Schwester auf der Burg zu Laufen über dem Rheinfall. Zu ihr ritt ich eines Tages hinüber, bracht' ihr ein weißes Pärlein aus meiner Muhme Taubenschlag und stand mit ihr auf dem Söller hoch über der wellenumschäumten Klippentiefe des durchfurchten Rheinbettes und deutete rheinaufwärts und sagte: »Rothraut, ich bin kein Klosterlateiner mehr, bin ein Rittersknab und reit' in Eisengewand und reite auf die nächste Heerfahrt mit unserem Herrn, den Rittergürtel zu erstreiten und ein trauliches Heim, darin Mann und Weib Platz finden …«

Da fiel sie mir lächelnd in das Wort: »Gestern ist der Diethelm bei uns eingekehrt, der hat mir das gleiche gesagt.«

Und wie ich einen schwermütigen Blick auf sie richtete und sagte: »Und all das tue ich um eine, deren Name hebt mit dem Buchstaben R an, und möcht' wissen, ob sie es gut heißt, daß ich mich in ihrem Dienst nicht sparen und ihr zu Lohne fahren will, wohin sie mir gebietet, mag's auch nach Babylonien sein …« Da lachte sie wieder und sprach: »Auch das hat der Diethelm zu mir gesagt; besinne dich auf was Neues, Juniperus, und schau dir einstweilen Berg und Tal an!«

Es gefiel ihr, die Landschaft durch ein Stück roten Glases zu betrachten, das aus dem Mantel des heiligen Christophorus im wohlbemalten Chorfenster des Burgkirchleins herausgebrochen war, »Gelt,« sprach sie, »das schaut anders drein?«

Mir grauste, wie ich durch das rote Glas gesehen, und ich sagte: »Was dem einfachen Auge mild und freundlich erscheint, das wird unter deinem Glas, o Rothraut, wild und unheimlich: fahl rötlich schäumt mir der Rheinfall, im Feuerglanz die sonst weißglänzenden sonnenbeschienenen Häuser des andern Ufers, und die grauen Wolken flammen und glasten, als wenn unterirdisch Feuer, empordringend aus den Tiefen der Erde, durch Fels und Berg und Wiesengeländ durchschimmere und am entgegengesetzten Himmel seinen infernalen Schein widerspiegle …«

»Eben darum ist's schön!« sprach sie mit kaltem Lächeln … »und so wird's aussehen am Vorabend des Tages, da die Posaunen strafender Engel erklingen und das jüngste Gericht heraufbricht über alternde Erde und Menschheit.«

»Frevle nicht, Rothraut, werde milder!« sagte ich … aber sie warf ihr Haupt stolz zurück: »Gerade so sprach der Diethelm gestern; o ihr lateinische Seelen!« lachte sie und ließ mich stehen, huschte in den Hof und spielte mit ihren Hahnen, denen hatte sie Glöcklein von Erz um die Hälse gebunden, und hetzte sie umher, daß der Schellen Tintinnieren und der Hahnen Gekräh seltsam durcheinander tönte.

Da ritt ich betrübt heim. Folgenden Tages sandte ich einen Knaben nach Blumenegg mit einem Zettel, darauf hatte ich in heimlicher Notenschrift, wie einst wir Klosterschüler sie in Uebung hatten, geschrieben: »Diethelm, kannst du von dem Buchstab R lassen?«

»Neinâ!« war Diethelms Antwort.

Gleich darauf kommt ein Bote des Blumeneggers mit einem Zettel, darauf steht in gleicher Schrift: »Juniperus, kannst du von dem Buchstab R lassen?«

»Neinâ, Diethelm!« war meine Antwort.

Da brach harte Zeit für uns zweibeide an, die wir bis dahin gute Gesellen und Herzbrüder gewesen.

Nun begab es sich im Lenzmonat des eilfhundert acht und achtziger Jahres, daß mit großem Zulauf aus nah und fern in Almishofen die Fastnacht begangen ward. Gastlich hatte der alte Markwart sein Haus aufgetan, viele Edle und Rittersleute aus der umliegenden Bertoldsbaar und dem nahen Schwarzwald kamen zu Kurzweil und Mummenschanz geritten, denn dort in Schwaben wird um diese Zeit viel Fröhlichkeit geübt mit Schneckenessen, Umtrunk und Reigentanz, und wer vermummt Gassen und Häuser durchlaufen will, der steckt sich in das weiße, figurenbemalte schellenbehangene Gewand des Heini Narrô, legt die Holzlarve Scheme vor das Antlitz, zieht die mit Blumenkranz und Fuchsschwanz verzierte Kapuze darüber und rennt hüpfenden Schrittes, hellauf »Narrô!« rufend und Aepfel und Nüsse unter die Kinder auswerfend, durch die fröhliche Menge.

Auch die Muhme Petrissa hatte ihr Turmfenster verlassen und ritt mit mir und etlichen reisigen Knechten zum Fest. Anlangend trafen wir auf gleicher Heerstraße die Blumenegger; die kamen in großer Sippe, alle in weißen Narrenlinnen zu Rosse, ein seltsam stattlicher Zug. Alsbald hielten sie, schüttelten allzusamt die Riemen mit den Metallschellen, daß fernhin die Fensterscheiben erklirrten … und einer der Vermummten, dessen Stimme ich wohl kannte, sang, wie es der Hansel Brauch und Recht, den Spottreim:

Wo aus, wo ein, Wachholderbusch
Vom Turm zu Neuenhewen?
Gelt, bei der Almishofer Blum'
Wär's lustiger zu leben? Narrô!

Da hub auch ich mich im Bügel und gab, wiewohl ich kein Mummkleid trug, dem Necker als Antwortreim:

Wenn Blumen blühten auf Blumenegg,
Wie sie ein Herz begehrte,
Wüßt' ich auch einen, der kurzweg
Im Trab nach Hause kehrte. Narrô!

So ritten wir zusammen in Herrn Markwarts Burgfrieden ein. Es war kein guter Anfang des Tages.

In der holzvertäfelten Halle hub sich groß Gedräng und Durcheinanderwogen. Als Wirt des Hauses schritt der alte Markwart durch die Reihen, seine weiße Zipfelkappe als Narrenhelm auf dem Haupte … bei ihm, wohlgetan in blühender Jugend, die drei Töchter. Und sie empfingen die Gäste nach höfischem Brauch, hießen sie mit schönem Verneigen Willkomm und küßten von den Alten und Vornehmen, wen ihr Vater sie bat zu küssen.

Wie war die Rothraut stolzstrahlend jenes Tages! In anschmiegend niederwallendem braunem Gewand, die fliegenden Zöpfe mit Goldfaden durchwoben, einen ehernen Reif um das Haupthaar geschlungen, glänzte sie neben den Schwestern … aber, als ob des Schönen Vollklang ohne zugemischten Mißton nicht sein möge, statt eines Straußes erster Lenzblumen trug sie die blattlosen mattroten Blütenzweige des giftigen Zylandstrauches, der als unheimlicher Frühlingsverkünder dortlands unter dem Ersten erscheint, was nach verschwundener Schneedecke aufblüht.

Mein Blick begegnete dem Blick Diethelms, der seine Holzlarve abgenommen, die Maid zu begrüßen. Sie aber hatte wenig Auge und wenig Sinn für uns, und wie ich vor sie trat, als sei ich grüßenden Kusses gewärtig, hielt sie mir mit vornehmen Wink ihren Strauß an die Lippen und sprach: »Narrô!« Ich aber sagte: »Rothraut, das sind nicht die rechten Blumen, dich zu schmücken; schön sind sie, aber giftsüß und tückisch zugleich: will das Aug sich ihrer Pfirsichblütfarbe ergötzen und der Geruch sich ihres Hyazinthenduftes laben, so endet's mit einem wehen, kranken Haupt.«

Da lachte sie ihr bekanntes Lachen und sprach: »Was ich dir reiche, Juniperus, du sanfter Fisch ohne Gräten, das soll dir recht sein!« und wendete mir den Rücken.

Und meine Sehnsucht nach ihr, trotz geringschätzenden Gebarens und giftrötlicher Zylandblüte, ward stark und stärker und war mir zum Troste nur, daß sie auch dem Diethelm lachend mit dem Strauß durch das Antlitz fuhr.

Einem aber reichte sie gemessen und minnig den Kuß des Empfanges, das war in grünblauschillerndem Seidenrock, darauf das Wappenzeichen der drei roten Schilde im silbernen Feld kunstreich gewirkt, Reinald von Urselingen, den Sohn des tapfern Urselinger Konrad, den unser Kaiser Rotbart seiner Feldhauptmannstugend auf italischer Heerfahrt wegen mit der Herzogswürde von Spoleto beliehen.

War ein unschlanker, aber gutmütiger Gesell, der sich viel auf seine Kenntnis höfischer Sitten einbildete und sein großes Haupt schwer und unbehilflich trug. Sie hießen ihn darum und ob seines Wappenrockes Farbenschiller Reinald den Eisvogel.

Der Rothraut aber mochte alles, was sein Mund sprach, lieblich und höfisch dünken, denn sie lächelte ihm mit ihrem süßesten Lächeln zu und sprach, was sie sonst nur ungern tat, in Franzosensprache: a bien venianz, gentil Rainald! und wiegte ihr Haupt auf dem schlanken Hals, als wolle sie ihm deuten, es sei wohlgeschaffen, dereinst zur Seite dem seinigen herzoglichen Kronreif zu tragen.

Wie sie einmal wieder an mir vorbeistreifte und in meiner Augen trübnisschwerem Blick lesen mochte, wie wenig ich davon erbaut, sprach sie leichthin: »Weißt du auch etwas von Spoleto, Juniperus? Von Spoleto im Land Italia, wo der Himmel blau und die Aepfel golden?«

»Bin ein arm jung Blut, Rothraut,« gab ich zur Antwort, »und habe noch keine Heerfahrt getan dorthinüber. In der Schule lernt man, daß der Weg nach Rom dort vorbeizieht, es stehen im Itinerarium zwei andere Orte in der Nähe verzeichnet, der eine heißt der Narr, der andere der Tod Narni und Todi, zwei Bergstädte des ehemaligen Herzogtums Spoleto. »Vom Narren zum Tode« lautete der scherzhaft wegweisende Pilgerspruch der Romfahrer. und in Spoleto werden in Sommerszeit die Hunde wütend. Spoletaner aber gibt es, sind eigentlich in Urselingen drüben bei Rottweil daheim, wo man den Ostwind Heubergerluft und den Nordwind Kniebisluft heißt.«

Da schlug sie mir einen Schlag mit dem Daphnestrauß auf die Wangen und ließ mich abermals stehen.

Die Alten und Matronen nahmen bei dampfenden Schüsseln von Fleisch und Kraut Platz und schlürften die wohlgekochten Schnecken aus ihren Häuslein und sogen schnalzend des kriechenden Wildbrets Fettsaft, denn die Fastnacht wäre nicht rechtmäßig gefeiert, wenn dieser Leckerbissen fehlte, und meine Muhme Petrissa hätte keinen Fuß gerührt von ihrem Eckfenster herüber, wenn die Schneckenmahlzeit nicht lockend ihr vorgeschwebt.

Die Jungen sammelten sich auf dem grünenden Anger des Baumgartens, und wiewohl die benachbarten Berge noch mit beschneiten Häuptern dreinschauten, war es ein sonnig milder Vorfrühlingstag.

Dort ordnete Reinald von Urselingen den Tanzreigen an und hub sich buntfarbig Gemisch von Vermummten und erlesen höfischen Gewänden, wie die Paare, mit zierlicher Verschlingung der Hände sich geleitend, in Kranichsschritten dahinschritten. Jener aber tat sich etwas zu gut auf seine Führerkunst und hielt es für Amt und Dienstpflicht, als erfindungsreicher Vortänzer den Reigen nicht nur in den gewohnten Geleisen, sondern bei steigender Lust des Tollens auch über Tische und Bänke und anderweit zu führen.

Und weil am Ende des Baumgartens, von steinerner Umrandung sauber gefaßt, der große Almishofer Quell aussprudelt, der sein gesteinfrisches Wasser mit den andern Donauquellen vereinigt, fügte es Herr Rainald, daß die im Reigen paarweise Dahinwandelnden am Wasserbecken halt zu machen hatten. Flötenspieler, Sackpfeifer und Tamburer waren hinbestellt, die erhuben Getös und tönenden Festschall. Auf ihr Zeichen mußte, wer von den Tänzern vorüberkam, einen Sprung tun in die klar aus klarem Bodensand aufquillende Flut, und die Mundschenken eilten herzu und reichten einen gewaltigen Weinpokal, den mußte jener, bis zum Knie im Wasser stehend, leeren und zu Ruhm und Preis der Jungfrau, die mit ihm im Reigen schritt, einen Spruch sprechen. Dann hub sich wieder Musik; die Kehle vom Rheinwein, die Füße vom Donauwasser gefeuchtet, durfte der doppelt Genetzte in die Reihen zurückkehren; schallend Gelächter war sein Dank.

Anmutig zog sich Herr Rainald aus seiner Narreteiverpflichtung. Er führte in jenem Gang des Hauswirts ältestes Töchterlein, die Liutgard. Als zweites Paar folgte ich mit der Yrmi; der Blumenegger führte die Rothraut. Wie die Floitirer und Tamburer das Zeichen gaben, sprang der von Urselingen wacker hinab, griff den Becher, nickte vergnüglich mit dem großen Eisvogelhaupt und sprach: »Im Reifenglas den rheinischen Wein, den Donauquell zu Füßen, soll hier der Preiß getrunken sein, der Wonniglichen, Süßen. Der Becher leider klein ist, darin der gute Wein fließt, das Wasser quillt ohn' Ende: wüßt' ich's in Wein zu kehren, den ganzen Quell zu leeren, spräng' ich hinein behende.«

Damit verdiente er denn vollen Beifall, und als er mit geleertem Pokal wassertriefend zurückschritt, hub sich Zuruf und Händeklatschen, und wer am meisten klatschte und ihm ein Zweiglein ihres Straußes zuwarf, war die Rothraut, so daß der Diethelm an ihrer Seite ungeduldig mit dem Fuß aufstampfte. Rainald der Eisvogel nahm dessen nicht wahr, unbemerkt von ihm entschwand der Zylandzweig in der Quellflut. Das hatte auch wir die Gedanken erregt und gewirrt … immer die Rothraut … überall die Rothraut … und alles, was süßleidenschaftlich die Gedanken dachten, in lateinischem Tonfall die Seele durchschütternd … Als die Reihe an mich kam, vergaß ich ganz, daß als Tanzgefährtin ihre Schwester, nicht sie, an meiner Seite schritt, und vergaß, daß lateinisa, nicht deutsch ist, sprang in die Flut, hob den Zweig auf, den die Rothraut dem Rainald zugeworfen, steckte ihn an die Brust, griff den Pokal, da ihn der Mundschenk hinabreichte, und rief:

O formosa set spinosa
Rotraud Almishovae rosa
Te salutant hospites!
Dornentragende, schöne, lose,
Rothraut, Almishofens Rose,
Alle Gäste grüßen dich.

Ehe ich aber den Pokal an die Lippen setzen könnt', war der Diethelm mit großem Sprung in den Quell gesprungen, hielt meinen Arm gepackt und sprach: »Wie magst du wagen, für die zu sprechen, die ich im Reigen führe, Yrmi heißt dein Tanzgespons und nicht Rothraut!« Und er strebte mir den Pokal aus der Hand zu winden und rief: »Der Spruch soll gelten, aber Diethelm von Blumenegg ist's, der das Wohl der Almishofer Rose trinkt!« Ueber die Brüstung schalt Herr Rainald zu mir herunter: »Ist das courtoys, des Tanzes Brauch und Ordnung brechen? Und ist das courtoys, mit Namen zu nennen, wen ritterlich man ehrt? Und ist das courtoys, in Minnesache Pfaffensprache?« Oben am Quell stand gekränkt Yrmi, meine gute blauäugige, sanft sich anschmiegende Tänzerin … das Antlitz verfärbt vor Röte und darüber strömenden Tränen. Den Strauß vor die Lippen haltend, kalt mit durchbohrendem Blick sprach die Rothraut zu ihr: »Ist ein Klosterlateiner, wird zeitlebens kein ritterlicher Minner …« So stürmte es von allen Seiten wider mich los.

Der gröblichste von allen war des alten Markwarts Vetter, der Bikk von Almishofen, der auf der Neuenburg an der Gaucha seinen Sitz hatte; der rief: »Holet Strick und Eisenkette, daß wir den pfafflichen Ritterknaben gefesselt in sein Kloster zurückschicken, dem er zu Unrecht entronnen … die lateinischen Schnäbel taugen nicht zu uns!«

So stund ich, ein Unseliger, im Quell und senkte das Aug' auf den weißen Sand, den das klar aufsprudelnde Gewässer quirlend emporhub. Den Diethelm ließ ich den Pokal nicht gewinnen, drehte ihn um, daß der goldene Wein ungetrunken verströmen mußte in das Donauwasser, dann stieß, ich den Angreifer zurück: »Wem nicht gefällt, was ich getan, sprech' ich, dem will mein Schwert Antwort stehen! Hier aber sind minnige Frauen und gastliche Wirte … Vergebung, wenn es zu Unrecht war. An der Fastnacht ist jeder ein Narr in seiner Art, Narrô!«

Und ich winkte den Spielleuten, daß sie mit Musik einfielen und stieg heraus, mich wieder zu meiner Reigengefährtin zu gesellen.

Da unterbrach eine fremde Erscheinung den Tumult.

Auf einem Esel sitzend war ein weißbärtiger Alter in den Baumgarten eingeritten, den hielten die andern Gäste erstlich auch für einen Faschingsgast; entblößten Hauptes, den Leib in einen großen Sack gesteckt, welcher der Arme Bewegung kaum freiließ, lenkte er sein Tier; zur Seite schritten zwei Knaben, die trugen wie Kirchenfahnen gemalte Bilder an Stangen. Wie man aber näher zuschaute, war auf dem ersten Bild der Heiland gemalt, den geißelte und schlug ein Sarazen, so daß sein Antlitz blutrünstig war … und auf dem zweiten stund das heilige Grab zu Jerusalem zu sehen, das war von Saladins Reitern zerstampft, verunreint, zu einem Stall umgewandelt.

Der Alte auf dem Esel war der Bruder Berthold von Gnadental, der drüben in der Scharte des Längenberges hinter Neidingen sein Klausnerhäuslein hatte. »Wehe,« rief er, »wehe!« in Sack und Asche klage dich, o Christenheit! sehet euern Herrn und Heiland an, wie ihn Muhammed der Lügenprophet mißhandelt; sehet sein Grab, für das unsere Väter ihr Herzblut gaben, wie trauert es itzo geschändet! Vernehmet die Botschaft des Jammers und der Schmach!« Der Bischof von Konstanz hatte ihm Briefe mitgegeben, von den Christen jenseits des Meeres in ihrer schweren Bedrängnis an den Pabst und ihre abendländischem Brüder um rettenden Beistand geschrieben … itzt wollt' er den Trauerbericht vorlesen über der Tempelherrn Untergang vor Tiberias, über des heiligen Kreuzstammes Verlust, über des Königs von Jerusalem und seiner Ritter Gefangenschaft und all den unsäglichen Jammer, der dem Papst Urbanus das Herz gebrochen.

Aber das tanzreigenlustige Völklein war nicht gewillt, von Kreuzfahrt und Sarazenenlärm sein Fest stören zu lassen, und der Gnadentaler Einsiedel, dem die großen Jagden so manches gute Stück Wildbret auf den Herd seiner Klause jagten, war allen zu wohl bekannt, als daß er Ehrfurcht erregte.

In anderer Zeit als Fastnacht hätten sie geweint bei seinen Worten, sich zu seinen Füßen geworfen und begeistert das Kreuz sich an die Brust geheftet, aber ein Schwab läßt sich die Fastnacht nicht stören. Bald war er umringt von lustigen Gesellen. »Narrô! Bruder Berthold,« rief ihm der Bikk von Almishofen entgegen und brachte ihm das volle Reifenglas zu, »seid um drei Tage zu früh ausgeritten, Aschermittwoch kommt später, Narrô!«

»Nehmet hin den Saladinszehnten,« rief Diethelm von Blumenegg und verlängerte seine hölzerne Narrenschere, daß sie schwirrend mit einem Stück Rehbraten dem Prediger unter die Nase fuhr.

Der greise Bruder aus dem Gnadental ließ sich so leicht nicht abweisen. »Wendel und kehret euch,« rief er im Sattel aufgerichtet, »tut von euch den sündigen Mummentand, vernehmet …«

»Wollen nichts vernehmen heut außer diesem,« rief Rainald von Urselingen und pfiff den Flötierern hinüber, daß sie ihre unterbrochene Tanzweise weiterspielten. »Narrô! schrie ein Trupp Vermummter und sang schellen klirrend den wohlbekannten Narrenmarsch. »Sacrilegium!« rief ein anderer, »wir sind gute Christen, aber auch gute Schwaben, und kommt uns ein Pfaff auf die Fastnacht geritten, soll er Predigen lassen sein.«

Derweil hatte mir der Bruder Berthold klagenden Blickes eines seiner Pergamente gereicht, das war der ausführliche Brief eines Ritters vom Hospital, der mitgefochten in der großen Schlacht am Berge Hittin, an Archimbald den Hospitalmeister in Italien, und stund genau drin erzählt, wie sich alles zugetragen … die Kampfnot auf der in Brand gesteckten dürren Heide, Rainalds von Chatillon Gefangenschaft und Mord, der Seestädte Fall … Da schien mir unbillig, solche wichtige Kunden den Anwesenden vorzuenthalten und mit tönendem Narrô dem Prediger den Mund zu sperren.

»Haltet ein, gebt Gott die Ehre!« rief ich und suchte dem Bruder von Gnadental, den der Bikk mit seinem Schwarm in den Narrenumzug hineinreißen wollte, Luft zu machen.

Das war denn erwünschter Anlaß, den Streit mit mir fortzusetzen.

»Hat er sich wieder ein besonderes, der Lateiner?« rief der Bikk von Almishofen. »Fahr in die Heiden, laß uns in Freuden!« schrie der Diethelm, glühend von Wein und Zorn und verhaltener Eifersucht; und sie griffen ihre hölzernen Flamberge, wie sie die Hansel führen, und stürmten pritschend auf mich ein. »Narrô oder Ernst?« fragte ich. »Wie du willt, Seehäsulein!« war des Bikken Antwort. Andere drängten den Bruder vom Gnadental samt Grautier und Bildfahnenträgern zu des Baumgartens Pforte. Vermittelnd warf sich Rainald von Urselingen dazwischen, es frommte nicht, Streit sollte sein! … Als der Bikk und der Diethelm wie in schwerem Buhurd auf mich den Ungewaffneten einhieben, rief ich: »Jetzo genug, Narrô ein Ende!«

Unter der Linde am Donauquell stund in eiserner Nische ein Holzbild der heiligen Barbara, das hielt ein stumpfes Eisenschwert in Handen. Da wußt' ich mir anders nicht zu helfen, als der Heiligen ihr Schwert zu entreißen und Hieb um Hieb lauschend mich durch die Menge zu hauen … geängsteter Aufschrei der Jungfrauen schreckte die Alten von ihrer Mahlzeit … Verwirrung allum … dem Bikk zog ich einen flachen Streich über das Antlitz, daß er betäubt wich … den verfolgenden Diethelm schwang ich wie eine Garbe Haferstroh unter den Armen und schleuderte ihn an einen Baumstamm, daß aller Trotz von ihm floh … grimmig rannt' ich in den Burghof: »Heda, Knappen, Hans Eisenhut, Rüdiger, Brun von Zimberholz, herbei, wer zu Hewens Stern gehört!« … Drohend sammelten sich die Meinen, bald waren die Rosse gesattelt. Da taten sich oben die Fenster der Waffenkammer auf; wie ich in den Sattel mich schwinge, streift ein Bolzen zischend an meiner Seite vorbei in des Rosses Nacken, daß es gewundet sich aufbäumt … der Bikk hatte den Schuß getan und stand hohnlachend am Fenster, die Armbrust von neuem spannend. »Soll dir nicht vergessen sein, dir und deiner Neuenburg nicht!« winkt' ich hinauf. »Bin unwert hier worden, Herr Markwart,« rief ich, zum bestürzten Wirt des Hauses mich wendend, »will Euer wacker Haus nicht zum Kampfplatz machen; von jetzt ab zwei Stunden lang halt' ich mit Schild und Lanze auf dem Anger jenseit der Breg; wer mich finden will, mag mich suchen, sorgt für die Muhme Petrissa!« Ohne Abschied entritt ich auf wundem Rosse mit den Knechten.

Draußen auf dem Anger hielt ich streitgerüstet … kein Widersacher kam … die Alten und der Klausner mochten geschwichtigt haben. Aber in mir schäumte und kochte es von erlittener Unbill und unbesonnener Jugend und Sehnen nach Rache … und als mein gutes Roß, da wir des Bikken Bolzen auszogen, zusammenbrach, sprach ich in Wut: »Aug' um Auge. Zahn um Zahn! wohlauf, ihr Knechte, dem Schädiger einen Gegenschaden!«

Das todwunde Roß schleppten wir in sichern Gewahrsam, stellten die andern Rosse dazu und suchten auf wohlbekannten Schleichwegen selbsieben den Gauchabach, in dessen verborgenen Schluchten der Bikk auf seiner Veste Neuenburg horstete.

Und mein Anschlag war, meinem Roßverderber seine Burgmühle in Brand zu stecken, daß ihm ein Rachefeuer entgegenleuchte, wenn er heimgeritten komme vom Gelag.

Von jener Stunde an war ich Gottes und seiner Heiligen nicht mehr eingedenk.

Sonst, wenn ich über die Höhen von Tekkingen kam, hielt ich bei einem hölzernen Kreuze, darob das Bild des Erlösers in das Grün der Tannenwälder schaut, betete ein Paternoster und tat einen rundschauenden Blick über das wildschöne Land. Noch steht alles wie ein reiches Farbenbild vor meinem Aug': die Hochebene mit den eng hinabgeklüfteten Spalten des Bodens, durch welche der Wildbach Gaucha auf dem Eillauf zu seinem Hauptfluß sich durchgefressen und schäumend zum Tal rennt … jenseit der mühlenbesetzten Schluchten lange Rücken dunkler Tannwälder, den dem Rhein entgegengekehrten Wutachlauf zeichnend, darüber klar und duftig, Wandersehnsucht und Hochgebirgsverlangen in der Seele wachrufend, die helvetische Alpenferne! In der guten Klosterzeit hatte ich zu Ehren jener Schluchten eine Cantilena angefertigt – sie begann:

e caligine nocturna
prominet arx taciturna,
fortis, soli aria –
Nächtig dunkeln Abgrundschauer
Überragt mit starker Mauer
Einsam trotzig eine Burg.

und hatte die ganze Landschaft bis zu den mit scharfem Umriß in die Himmelsbläue sich einzeichnenden Gipfel des Mönchs und der Jungfrau in das Gedicht verwoben … jetzo stieg ich durch den Tekkinger Eichwald, die einst besungene Burg mit Feuer und Schwert zu schädigen.

Und weil mir jener Tag mit allem, was geschah, unverlöschlich in der Erinnerung haftet, so erlaubet, daß ich auch den Weg schildere, der zum Ziele des Ueberfalles führen sollte: es sind böse Pfade, die einer im Schwarzwald zu schreiten hat, wenn er Fehde anhebt.

Ein hoher senkrechter Felsvorsprung trägt die Neuenburg. Rings umschließt und umtürmt steilste Felswand das enge Bett des Wildbachs … in verborgenem Winkel am Ufer geht das Rad der Burgmühle … ein Steg führt über das Gewässer.

Unvermerkt die Mühle zu beschleichen, mußten wir Tiefe und Bach gewinnen. Erst ging's über schwindelnd am Saum des Abgrundes niedersteigenden Fußpfad; von gefrorenem Schnee überlastet zwang er uns, in wildem Rutsch, mit Einstemmung der Lanzen das Gleichgewicht haltend, talab zu fahren.

In eine Seitenschlucht drangen wir ein, dort überraschte gespenstiger Anblick: Dunkel der Steinwand, rings kahle Bäume, wenig Tageslicht von oben einfallend, aber gegenüber der Talkessel von gefrorenem Wasserfall ausgefüllt; kristallhell übereist breitete sich der Fels, und zur Rechten an der Höhe, starr unbeweglich wie ein Toter im Sterbelinnen, lehnte ein zweiter in Eis verwandelter Waldbach.

Feucht und schneidig kam es aus der beeisten Wildnis wider uns geweht, daß Rüstung und Gewaffen tauig anlief: hei des kühlenden Ganges nach Narrenhitze und Narrenstreit! So einer in bösem Sinnieren des Weges zieht, ist dort ein Anlaß gegeben, sich des Näheren zu bedenken. In Sündersweise schlug der alte Waffenknecht Rüdiger an die Brust, ein Gebet murmelnd, und der Brun von Zimberholz, der sonst den Teufel in der Hölle zu knebeln sich vermaß, sprach zwinkernden Auges: »Jungherr, es wird wilde!«

Ich aber war allzu zornmütig, abzulassen.

Je weiter wir dem Bache nachdrangen, desto enger ward der Uferraum, desto steiler sprang die Kalkwand entgegen. Endlich verbaut sie den Pfad ganz. Aus dichtem Geäst des noch nicht grünenden Buchwaldes ragte jenseit der Neuenburg Turm, in der Tiefe der Burgmühle breiter Giebel. Vor uns Tosen der Gaucha. »Klappre mir mit den Zähnen nicht!« rief ich dem alten Waffenknecht zu, der abermals sein Gebet murmelte, und schritt watend, die Waffen hochgehalten, durch das schäumende Gewässer. Schier hätt' es wie Steingeröll uns fortgerissen.

Drüben angelangt schleichen wir schweigsam, gezückten Schwertes wider den Steg. Da sitzt unbefangen einer im weißen Faschinggewand als Heini Narrô auf der Holzbrücke, läßt seine Beine schaukelnd herabhangen und sonnt sich. Auch wie er uns kommen sieht, bleibt er unverwundert sitzen. »Stich ihn herab,« rief ich dem Brun zu, der die längste Hallparte trug … Der rennt mächtig vor, da steht der weiße Narr langsam und lächelnd auf, fährt mit dem Finger spöttisch deutend nach der Stirn, als wollte er sagen: »Was fällt euch ein, ihr Männer?« greift sein Hörnlein und bläst anmutig den ersten Absatz des allbekannten Narrenmarsches; der klang fremdsonderbar, der Seele unvergeßlich durch die einsam wilde Schlucht; aber eh' der Widerhall an den Steinwänden melodisch verklungen, stürmte von allen Seiten, auf Mühlweg und Burgweg, ein Narrenschwarm heran, alle im weißzwilchenen Pickelheringgewand, aber statt hölzerner Flamberge und Pritschen mit scharfen Bauernspießen gewaffnet.

Und sie besetzen den Brückensteg, wälzen Wurfsteine heran, schütteln die kreuzweis übergehangenen Riemen mit den Metallglocken, daß furchtbares Schellengetös das Waffengeklirr übertönte, und singen den Spottgruß:

Willkomm, Willkomm am Mühlebach
Fremde Spieß und Stangen:
Heini Narrô ist auch schon da,
Euch wacker zu empfangen! Narró!

Unser Anschlag war verraten. Holzhauer, die einen Tannenbaum fällten auf der Höhe, hatten unsern Wasserpfad erlauscht und waren hinübergesprungen in das große Dorf Bachheim, wo der Burgmüller mit seinem Mühlknappen äpfelauswerfend des Narrenlaufes pflag, und hinüber nach Unnadingen, wo die von der Burghut in Mummenschanz den Wein tilgten, und hatten den ganzen Schwarm mit »Waffen, Narrô!« aufgejagt, daß sie keine Zeit mehr nahmen, in Streitgewand zu fahren … selbst das Bauernvolk war dem Bikk zugetan, denn auch des Geplagtseins und Gepacktseins alte Gewohnheit kann Neigung begründen.

Wie ein losgelassen Wespennest summten sie mit Uebermacht herzu.

Da entspann sich wüster Raufhandel um den Brückensteg … ein ritterliches Fechten war es nicht, aber ein merkwürdiges, wert auf Pergament gemalt zu sehen: in tannendüsterer Wildnis die von sinkender Sonne rotgolden umstrahlte Brücke … der Streitenden Fastnachtaufzug … quellendes Blut auf weißen Narrenjacken … Niedergestochene mit Schellengekling in die Fluten der Gaucha versinkend … und dazu des Mühlrads einförmig weitergehend Geklapper, des Wächters Alarmhorn vom Turm, herbeieilenden Volkes die Waldschlucht durchtönend Geschrei … verzeih mir Gott, daß es mir nicht mißfiel.

Als der Abendstern am Himmel aufging, war es uns nicht gelungen, des Bikken Mühle in Brand zu stecken. Aber sein Müller samt dem Mühlknappen schwamm erschlagen talab und aus vielen Wunden floß neuenburgisch Blut.

Selbfünft zogen wir uns in das Waldesdickicht der Wutachberge flüchtend zurück und heim.

… Drei Tage darauf, als noch mein wundes Haupt von dem Essig schmerzte, damit die Muhme Petrissa es gewaschen, jagte von des Wächters Turmgemach mitternächtiger Hornstoß uns vom Lager … eh' wir gewaffnet hinausspringen konnten, Feuerschein und lohender Strohdachbrand auf einem der Häuser der Vorburg … jammernd kamen Weiber und Kinder gelaufen; Haus und Fruchtscheuer, darin der Herrschaft Kernen und Roggengilten gespeichert lagen, stund in Flammen … enteilender Hufschlag tönte von der Geysinger Straße.

Das war des Bikken von der Neuenburg und des Diethelm von Blumenegg einstweilige Antwort. Sie hatten uns das gebrannte Leid angetan und einen Burgmann, im Schlaf überfallend und geknebelt, mannraubend mit fortgeschleppt.

Da sprach ich zu meinem Vater: »So darf es weiter nicht spinnen, daß unser Handel den Landfrieden bricht und unsere Lehenherren wider einander in die Waffen ruft; was ich angefangen, sei von mir allein zu Ende gefochten.«

Etliche Weile später sollte zu Schaffhausen eine ritterliche Hochzeit begangen werden mit Ringelrennen, Speerschaftbrechen und mannigfachem Waffenspiel. Die Rothraut war wieder bei ihres Vaters Schwester auf der Burg am Rheinfall. Da wußt' ich, daß der Diethelm bei jenem Fest nicht fehlen würde.

Ritt also aus, zu mildem wie scharfem Fechten wohlgewaffnet, von niemanden begleitet, zum Schlimmsten entschlossen.

Wie der hohe Randen hinter mir lag und schon Schaffhausens Munot aus seiner Tiefe heraufragte und zur Rechten in dumpfer Ferne der Rheinfall rauschte, da erschau' ich auf nachbarlichem Waldweg einen Reiter traben, gewaffnet wie ich in Eisengewand, um den Helm ein Kränzlein mit Frühlingsblumen geschlungen. Ich kannte des Blumeneggers Abzeichen, hielt mein Roß, rief ihn mit dem Kampfruf »Juniperus!« hart an und legte den Speer in die Seite. Der Diethelm verstand den Zuruf. »Rothraut!« antwortete sein Krîe, den Speer eingelegt, sprengte er heran. Da tyostierten wir so gewaltig wider einander, daß mein Schaft ihm den Schild mit den roten Balken und blauen Wolken mitten durchbohrte, den Arm zerstach und den hintern Sattelbogen wegriß.

Aber auch ich mußte durch seinen Stoß erlernen, was Fallen sei. Beide stunden wir, ab den Pferden gehoben, im frischgepflügten Ackerfeld … nun ward der Schwerter nicht vergessen, triefend in Schweiß und Blut droschen wir auf einand, als stünde Christ und Sarazen im Streit; dem Diethelm war nur ein Fetzen des Schildes noch verblieben, da erklang's an beiden Helmen, da trafen, wie erst die Lanzen, beide Schwerter gleichzeitig ihr Ziel. Ueber das Haupt gehauen, taumelte ich nieder; der Diethelm, vom Sturz schon betäubt, sank meinem ungefügen Streich … stöhnend lagen wir in des neugebrochenen Ackers Furchen.

Es war ein einsamer Ort und Abendstille, niemand Kampfzeuge, als die dunkeln, blaugrauen, von schwerem Gewölk überzogenen Häupter der fernen Alpen. Die Wipfel des Bergwalds durchkrachte Gewitterwind.

Mählich klärte sich da und dort der Himmel. In zerrissenem Gewölk ging die Nacht auf. Betaut von Regen und Blut lag ich auf dem Rücken, über mir unbekannte klare Sterne, die Landschaft tief schwarz, jenseit um den fernen Schwarzwald aufzuckend elektrisch Leuchten, von hellen Blitzen durchschnitten. Auch am Boden unfern von uns hub sich zuckend Schimmern, daß Helm und Harnisch vom Sankt Elmsfeuer umsäumt glasteten.

So lag ich, ein wunder Mann, eingetaucht in der Erde phosphorisch blauleuchtenden Dunst, des Himmels siderische Ruhe zu Häupten. Und auf dem finstern Waldweg scholl ein Glöcklein und schritt mit vorgetragener Kienfackel der Leutpriester von Moerishausen, einem Sterbenden die letzte Wegzehrung bringend.

Da kam fremde Kraft und fremdartig Denken über mich. Schwerfällig schob ich mich zum Diethelm hin, löste den Dolch Misericordia aus dem Gürtel, kniete an dem Schwergewundeten empor und rief ihm seinen Namen in das Ohr. Er schlug die Augen auf. »Stoß zu!« stöhnte er.

»Magst du noch immer vom Buchstab R nicht lassen?« fragte ich.

»Neinâ!« sprach er matt und trotzig, »stoß zu! Ich hab's verdient. Nicht um dich: der Rainald …«

»Um Gottes Willen,« schrie ich und hielt die Hand abwehrend wider seine Lippen, »ich will nicht wissen, was du dem Rainald getan …«. Den Dolch stieß ich in die Scheide zurück. »Schau, Diethelm,« sagte ich, »alte Brüder und Lerngesellen, wie wir, sollten einander nicht mit Dolch und Gnadenstoß das letzte Fahrwohl sagen. Des Streites wäre genug. Wenn wir nicht auf freiem Felde verenden und wieder heil werden …«

… »müssen wir wiederum fechten auf Leben und Sterben!« fiel Diethelm ein.

»Müssen wir?« unterbrach ich seine Rede, »sieh zu, alter Gesell, ob wir müssen. Eins bleibt wahr, solang keiner von uns den Buchstab R vergessen mag, ist einer von uns zu viel auf der Welt …«

»So ist es!« seufzte der Diethelm.

»Aber nicht unsere Hand soll Raum schaffen, Diethelm,« sprach ich; »Blutschuld an Freund mag nicht um Minne werben. Ein anderer soll das Urteil fällen!« Ich wies nach dem Rhein, der grollend durch die schweigsame Nacht seines Falles Brausen ertönen ließ. »Wollen jenen zum Schiedsrichter machen,« fuhr ich fort, »ihn, durch den wir dem Kloster entschwommen, da jene Unsegensminne die Herzen zu umstricken begann, unsern alten guten treuen Rheinauer Rhein! wollen wieder eintauchen in seine Flut, nicht gegen ihn, mit ihm, da wo er, der Rothraut Söller nahe, über Klippen und Felsen tobend hinabstürzt. Dort im Laufenfall sprüht der Tod so sicher wie von unserer Schwerter Schneide; dort laß uns hindurchsausen! Wem der Rhein durch seine Fälle Paß gestattet, der mag die Rothraut freien; wen es zerschmettert, gut, der läßt es sein.«

… Bauern aus der Nähe hatten unsere Rosse eingefangen und fanden uns im Felde liegen. Schreiend kamen sie mit Tragbahren, uns nach der Stadt zu schleppen.

»Eingeschlagen!« sprach der Diethelm, da wir auseinander kamen, »eingeschlagen, mein Leben ist verwirkt, im Rheinfall sehn wir uns wieder« …

Und was ich jetzo zum Schluß meiner Geschichte zu erzählen habe, ist schwere Aventiure. An meinem Krankenlager erzählten sie, der Rainald liege auf den Tod geschossen auf der Urselinger Burg, wisse nicht von wem.

Es dauerte lange, bis unsere Wunden heil waren. Aber als der Mai die Wiesen zu blümen begann, erhielt ich vom Diethelm die Frage: »Bist du bereit, Juniperus?« und gab zurück: »Ich bin's, Diethelm.« Stumm, das Geheimnis in der Brust verschlossen, einen Zweig vom alten Turmwachholder an der Jägerkappe, verließ ich die gute Neuenhewen.

Ich habe sie nicht wiedergesehen.

Und am Morgen des fünften Maien – da wir stürmten am Fluchtturm war der Jahrestag – knieten wir in der Kirche des Allerheiligenklosters oberhalb Schaffhausen, taten eine christliche Beicht für alles Vergangene und machten Frieden mit Gott.

Der Diethelm zitterte, wie er von dem Priester kam. Ohne unsern Vorsatz zu offenbaren, schritten wir zum Rheinstrand. Jeder hatte seinen Kahn bereit, mit Rudern und einem Fähnlein, das sein ritterlich Wappen trug.

Auf das Laufenschloß über dem Fall hatten wir einen Boten gesandt mit der Botschaft: »Wenn Rothraut von Almishofen heutigen Morgens den Söller nicht verläßt, mag sie auf dem Rhein Aventiure erschauen.« Der Bote hatte nicht verraten, von wem er komme.

Mit fest ausgepolstertem Lederwams taten wir uns zu der Fahrt an. Zwei ungleiche Halme in der Hand verschließend, bat ich den Diethelm zu ziehen, wem auf rechter, wem auf linker Stromseite zu fahren zufalle. Er zog für sich die linke Seite. Wir umarmten einander lang und schweigend. »Ohne Groll!« sprach er endlich.

»Ohne Groll!« sprach ich. »Im Namen Gottes, ab!« …

… Gleichzeitig stießen wir vom Lande und ruderten nebeneinander an Schaffhausens Mauern und Türmen vorbei. Laut und lauter begann das Herz zu schlagen. Es ging dem Rheinfall entgegen. Des Frühlings Hochgewässer hatten ihn geschwellt, daß er stärker toste denn gewöhnlich.

Einmal war's, als bringe der Wind Zitherspiel durch die Lüfte, hoch über uns, auf dem Söller des Laufenschlosses stand ein Kreis von Frauen; ich erkannte der Rothraut braunes Gewand, das sie um Fastnacht getragen.

Schon rissen die Wogen schneller die Boote Wie sein Los bestimmte, steuerte der Diethelm nach der linken Stromseite, zwischen dem Laufenschloß und dem dunkeln Fels, der in Mitte des Stromes schief emporragend den Fall in zwei Hälften teilt. Er hatte sein Ruder niedergelegt und stand aufrecht im vorwärts schießenden Nachen, in seiner Rechten flatterte das Fähnlein mit Blumeneggs roten Balken und blauen Wolken im silbernen Feld.

Ich ruderte zur Rechten. Im offenen Eisenhammer am Ufer hämmerten die Schmiedknappen ein glühend Eisen platt, Funken stiebten um die dunkle Halle.

Einen letzten Blick warf ich hinüber zum Söller … o daß meine Augen blind geworden und mein Herz zerbrochen wäre für immerdar! … Die Rothraut zog in diesem Augenblick ihr rotes Glasstück aus der Tasche, damit der Strom und was in ihm vorübertrieb, sich farbenwilder ausnehmen möge … und sie schaute unbeweglich durch.

Da legte auch ich mein Ruder nieder, kreuzte die Arme über der Brust und ließ dahintreibend dem Strom sein Recht.

Jetzt schwankte und tanzte zuerst des Diethelms Boot und schoß wie ein Pfeil in die Stromschnelle; fortgerissen tauchte es unter, noch einmal hob es aufbäumend sich empor, noch einmal schwang Diethelm sein Fähnlein, dann von Gischt und Schaum und der Wellen tobendem Zusammenschlag überströmt, sank Mann und Schiff.

Durch meinen Nachen fuhr schlitternd ein Stoß. Wasserwirbel riß ihn wie einen Taumelnden; hinausgeschnellt flog Ruder, flog Wappenfähnlein in die Flut … ich fühlte der Strömung gähes Bergabschießen … schaumumzischt hob ich noch einmal den Blick, da sah ich nichts mehr rundum als tauig aufsprühenden Wasserschwall, durchglänzt von regenbogenfarbener Spiegelung und hoch über mir Gottes blauen Himmel … als wollte er Zeuge sein des vermessenen Schauspiels, hielt gerade ein Gabelweih unbeweglich droben im Aether und schwebte, die krummen Fittiche ausgebreitet, ruhig und starr über der Brandung. Jetzt krachte und schütterte ein zweiter Stoß … angeprallt an verborgenem Fels barsten des Nachens Planken … bogenförmig hinausgeschleudert flog ich in die milchweiß aufschäumende Sturzflut … hochauf pochte das Herz, als sterb' es und sei schon gestorben, und um die Ohren toste ein Getöse, als wenn tausend Schmiedehämmer schwer einschlagend niederdonnerten auf eiserne Ambosse und wenn tausend Blasbälge zischend in die Glut schmelzenden Eisens hineinbliesen, prasselnde Waffergüsse drauf strömend, aufdampfend, lärmend, unfähig die Glut zu löschen … so von infernalem Gebraus das arme Haupt durchtobt … Himmel, Erde, Wasser, Feuer, Donner Gottes und Qual der Hölle, alles mit Schnelle des Blitzes um den Versinkenden wirbelnd … so durchsauste ich des Rheines gräßliche Schrecken und fuhr kopfüber hinab zum Tale, wo auf zerspültem Kalkfels die Bretterwände einer Fischerhütte friedlich emporschauen in den tosenden Strudel.

… Wie ich weiter schwimmend mich hindurch gearbeitet, weiß ich kaum. Als mein geschwunden Bewußtsein wieder aufzuleben begann, war ich in der alten Klosterschulheimat Rheinau. Fischer vom Nohl hatten den Dahintreibenden aufgefischt.

In die Vorhalle der Büßer hatten mich die Mönche gelegt … Kloster und der Kirche Inneres dem Sünder sperrend.

Wie ich die Augen aufschlug, brannten Lichter in dem Vestibulum; von den Steinpfeilern schauten der vier Evangelisten Säulenbilder auf mich hernieder, vor mir stund der Abt Heinrich von Wartenberg und ließ seinen strengen Blick auf meinem zitternden Körper haften, besprengte ihn mit geweihtem Wasser und sprach:

»Ihr habt Gott versucht mit eurem Stromordal, du und jener andere, den der Rhein verschlungen. Und wer im Frevel üppigen Herzens die Schwelle des Todes überschritt und vernahm, wie die Donner der Unterwelt über ihm zusammenschlugen, der soll als ein neuer Mensch aus Gottes Stromtaufe zum Leben erstehen.

Gottfried von der Neuenhewen, auf daß die Bürger dieses Landes nicht mit Fingern auf dich deuten und sprechen: der hat an seinem Schöpfer gefrevelt! sollst du Buße tun als ein echter und rechter, reuiger Büßer, sollst kein farbig Gewand mehr tragen und die Waffen nur gegen der Christenheit Erbfeind, sollst fasten bei Wasser und Brot jeden Mittwoch und jeden Freitag, und wo du in einer Kirche zu Gott beten willst, sollst du barfuß sie betreten und eine Rute in der Hand halten.

Von der schwäbischen Erde sollst du dich abscheiden, sollst deines Namens vergessen und deines Standes, sollst von heute ab zwei Jahre lang kein Wort mehr über die Lippen bringen und dich als der niedrigste der Knechte Gottes seinem Dienste stellen, sobald die Drometen rufen zum Streite für des heiligen Grabes Befreiung.

Gottfried von der Neuenhewen, sei gebannt von heute an und abgeschieden aus der Gemeinschaft deiner Kirche und deiner Heimat, ein schweigender Mann, bis deine Buße gelöst!«

Grabtiefen Tones stimmten die Brüder einen Psalm an, ich aber warf mich dem Abte zu Füßen und küßte reumütig den Saum seines Gewandes und legte die Finger auf die Lippen, Schweigen gelobend und Heerfahrt des Kreuzes. Des Gehens wieder fähig, fuhr ich in Knechtsweise von dannen. Vale dulcis patria, suavis Suevorum Suevia!

Ein Brief des Abtes wies mich nach Reinhardtsbrunn, das mit Rheinau durch gemeinsame Beobachtung hirsauischer Ordensobservanz verbrüdert ist.

Das weitere, werte Herren und Streitgenossen, wisset ihr. Am Tage, da ich euch zur Seite auf Akkons Wall in die Heiden schlagen durfte, war meines Schweigens Frist abgelaufen.

Und also lief des Juniperus Weg vom Berg Neuenhewen im Hegau zum Berg Karmel im gelobten Lande.«

 


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