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Skulpturen

Die Madonna an der Treppe. Florenz, Casa Buonarroti.

Von MAs Neffen Lionardo dem Herzog Cosimo 1. geschenkt, 1617 von Cosimo II. der Familie Buonarroti zurückgegeben.

Sehr flaches Relief in der Art, wie es sich gelegentlich schon bei Arbeiten Donatellos und seiner Nachfolger findet. Aus der frühesten Zeit von MAs bildhauerischer Tätigkeit, etwa aus dem Jahre 1494.

Möglicher Beziehungen zur Antike ist in den Vorbemerkungen gedacht, zahlreiche Einzelzüge der Komposition sind schon bei Donatello nachgewiesen – trotzdem erscheint das Werk im ganzen als eine völlig selbständige Komposition, reich an Hinweisungen auf die Werke der späteren Zeit.

Nicht das »umgeknickte Handgelenk« des zurückgelegten Armes bei dem Kinde ist an sich das bezeichnende, sondern die komplizierte und dabei doch ganz ungezwungen natürliche Lagerung des ganzen Körpers. Wie später noch so oft ist hier die Ableitung der reichen Form aus einer überaus einfachen Situation geschehen.

Daß mit der hohen Haltung der Madonna ein bestimmter Empfindungsausdruck gewollt und erreicht ist, versteht sich von selbst, – wichtig aber ist, daß die Komposition im ganzen trotzdem nicht als religiöses Devotionsbild, sondern nur als Kunstwerk wirkt. Die vier paarweise ringenden und ein Tuchgehänge haltenden Kinder im Hintergrund vor allem verdanken ihr Dasein einzig dem künstlerischen Bedürfnis nach der Darstellung bewegter menschlicher Form.

Kampf der Kentauern und Lapithen. Florenz, Casa Buonarroti.

Immer im Besitz der Familie. Jugendarbeit, aber wohl sicher später als das Madonnenrelief. Ein Bronzerelief von Bertoldo, dem Verwalter der medizeischen Antikensammlung des Gartens von S. Marco, das oft als MAs direktes Vorbild erwähnt wird, bietet nichts für die künstlerische Leistung vergleichbares.

Im Gegensatz zu dem locker-durchsichtigen der früheren Madonna an der Treppe hier ein dicht verschränktes Gewebe – nackter – Gestalten: die Pferdeleiber der Kentauern verschwinden für das Auge fast ganz, sehr deutlich aber sind durch unaufdringliche Gesten, Gesichtswendungen und -Ausdruck, durch die Besonderheit ihres geistigen und körperlichen Gehabens Männer und Frauen unterschieden.

Statt der ganz flachen Marmorbehandlung bei dem Madonnenrelief hier ein tiefes, Licht-Schattenkontraste bewirkendes Aufarbeiten der Tafel, mit klarer Bezeichnung des Arbeitsfortschritts von der Vorderfläche, deren Rand ringsum als Rahmen stehen geblieben ist, gegen den Grund hin.

Kettengehänge von Motiven des Reißens, Zerrens, Anstemmens, Widerstrebens, Tragens, des Hoch-sich-aufrichtens und Frei-sich-entfaltens, des Lastend-liegens und Eng-sich-zusammenkrümmens.

Nach unbegründeten Zweifeln an der Richtigkeit des alten Titels scheint man sich heute wieder darauf einigen zu wollen, daß wirklich ein Kampf zwischen Lapithen und Kentauern um Frauen dargestellt ist, und zwar der Kampf des Herkules (links) gegen den Kentauern Eirithion (in der Mitte oben) um Deianira (in der Mitte vorn).

Bacchus. Florenz, Bargello.

Von Jacopo Galli 1497 in Auftrag gegeben, wohl vor dem Beginn der Arbeit an der Pietà (spätestens Ende August 1498) vollendet. Seit Ende des 16. Jahrhunderts im Besitz der Großherzoge von Toskana.

Mit Recht ist immer der Gegensatz der Auffassung Dionysos' zwischen MA und der antiken Kunst hervorgehoben Er beruht auf der grundsätzlichen Verschiedenheit der künstlerischen Problemstellung.

MA stellt sich, unbeirrt durch Vorstellungen der antiken und der quattrocentistisch-zeitgenössischen Poesie, hier zum ersten Male die Aufgabe, den menschlichen Körper als Gefäß eines gelähmten Willens darzustellen, in diesem besonderen Fall den Körper in dem psychophysischen Zwischenzustand beginnender Trunkenheit.

Der künstlerische Geist des Werkes beruht darin, daß, in dieser Figur wirklich einmal ohne speziell seelische Motivierung, der leitende Wille zugunsten rein animalischer Körperfunktion ausgeschaltet ist. In dem labilen Aufbau des Bewegungsmotives, in der umfassenden Lebensgenauigkeit der Oberfläche ist ein Grad des Realismus erreicht, der gegenüber der spielerischen Häufung realistischer Einzelbeobachtungen in der späten Quattrocentokunst wahrhaft monumental wirkt. –

Der Trauben naschende Panisk ist eine poetische Dreingabe ohne formalen Zusammenhang mit dem statuarischen Motiv der Hauptfigur.

Cupido. London, Victoria aud Albert Museum.

Der linke Arm, im Hauptmotiv der Bewegung wohl richtig – doch vielleicht mit etwas zu weitem Ausladen des Ellenbogens? – in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Santarelli ergänzt. Die Figur ist MA in der ersten Zeit seines ersten römischen Aufenthalts (1496 bis 1501) von dem römischen Bankier Jacopo Galli in Auftrag gegeben, für den der Bacchus gearbeitet wurde und dem MA auch den Auftrag für die Pietà verdankt. Vgl. Vorbemerkg.

Die Pietà. Rom, St. Peter.

Jacopo Galli hat die Bestellung der Gruppe durch den französischen Gesandten am päpstlichen Hof, Kardinal Jean de Villiers de la Grolaye vermittelt. Der Kontrakt wird am 26. Aug. 1498 unterzeichnet – schon Ende 1497 ging MA, zum ersten Male in seinem Leben, nach Carrara, um den Marmor zu wählen. Die Gruppe stand zunächst in der von dem Kardinal gestifteten Kapelle der Petersbasilika, die dem Neubau von St. Peter durch Bramante weichen mußte. Nach zweimaligem Wechsel des Aufstellungsortes befindet sie sich seit 1749 viel zu hoch über dem Altar der ersten Seitenkapelle rechts in St. Peter.

Der Hauptakzent in der zu vollendeter Gruppeneinheit zusammengeschlossenen Komposition liegt auf dem von Maria der Betrachtung dargebotenen Leichnam Christi. Er zeigt das im Bacchus angeschlagene Motiv in eine andere Tonart transponiert. Dort die Glieder in der Willensumnebelung der Berauschtheit gelockert, hier willenlos im Tode gelöst. Die Arbeit ist in der gleichen Absicht umfassender künstlerischer Realisierung des in der Natur gegebenen durchgeführt, mit allen den Verfeinerungen, die die Wahl einer grazil gearteten Körperlichkeit von apollinischer Zartheit des Skeletts und der Muskulatur forderte. Noch im Sinne quattrocentistischer Formbelebung ist der Reichtum des stellenweise sehr tief unterhöhlten Faltenwerks im Gewand der Madonna durch Häufung vieler kleiner Motive gewonnen. Dieser Reichtum, dessen Glanzwirkung durch Oberflächenpolitur noch verstärkt wird, ist in der Berechnung des Künstlers wesentlich als Folie für den Körper Christi zu verstehen. Auf dem Brustbande der Madonna eingemeißelt: MICHAEL ANGELVS BONAROTVS FLORENT. FACIEBAT.

David. Florenz, Accademia.

Am 16. August 1501 wird MA der verhauene Block (vgl. Vorbemerkungen) für den David-Giganten überlassen, am 25. Jan. 1504 findet eine erste Beratung über den Ort der Aufstellung statt: ob vor dem Dom, im Hof oder am Eingang des Signoriapalastes, ob unter der Loggia dei Lanzi. In einer zweiten Sitzung wird der Platz links vom Eingangsportal des Signoriapalastes festgesetzt, am 8. Juni 1504 ist die Aufstellung beendet. Während des Aufstandes im Jahre 1528 wird der linke Arm der Figur abgeschlagen, 1543 durch Cosimo I. wieder angesetzt. Im Jahre 1874 ist die Figur in die Akademia übertragen. Heute steht eine Marmorkopie auf dem alten Platz des Originals vor dem Signoriapalast.

Es gibt zwei Wege, das Kolossalformat einer Figur durch Stilisierung ästhetisch erträglich zu machen: einmal die vereinfachende Zusammenfassung benachbarter und verwandter Formengruppen zu größeren, einheitlichen Flächen oder kubischen Massen – und zweitens die gleichmäßig steigernde Belebung jeder Einzelform. Den letzteren Weg hat MA beim David eingeschlagen. Er ist sein »Meisterstück«, das Werk, mit dem er seine Lehrzeit vor dem Modell im eigentlichsten Sinne abschließt, – eine Aktstudie von ebenso großer Gewissenhaftigkeit wie Freiheit der Behandlung. Unästhetisch, d. h. rein nach dem Gegenstande betrachtet, mag die Kolossaldarstellung eines halbwüchsigen nackten – ja vielmehr der Kleider entledigten – Jungen unerträglich erscheinen, die prachtvolle Belebung jeder anatomischen Form, die MA ihm hat angedeihen lassen, macht sie zu einer künstlerischen Tat. Die flächige Entwicklung der Figur erfordert eine feste Rückwand, wie sie ja die alte Aufstellung darbot.

Die Deutung des dargestellten Momentes machte den Erklärern von jeher zu schaffen: unter den vielen Vorschlägen befriedigt keiner ganz. Man wird MA nicht zu nahetreten, wenn man annimmt, die Form des zu anderem Zweck schon zugehauenen Blockes habe ihn in der klaren Durchführung des Motives behindert. Die Renaissance empfand jedenfalls mehr im Sinne des Künstlers als unsere Zeit, wenn sie sich an der hochbedeutenden Form, an dem Sichtbaren freute, ohne sich über das Unsichtbare den Kopf zu zerbrechen: wo »Stock« und »Sack« der Schleuder zu suchen sei und welchen Schleudermodells der kolossale Jüngling sich denn überhaupt bediene.

Zwei Rundreliefs: Die Madonna mit dem Kinde und Johannes.

Unvollendet, um 1504. Erstes 1823 aus der Sammlung Wicar in Rom für das British Museum erworben, jetzt in der R. Accademy of Fine Arts in London. Zweites 1823 für die Uffizien angekauft jetzt im Bargello, Florenz.

Zwei Variationen des gleichen Themas: Kreiskompositionen mit drei Figuren in Marmor, wie die wenig früher für Angelo Doni gemalte h. Familie eine Kreiskomposition war. – Das Florentiner Relief ist stilistisch entwickelter. Die Vereinfachung der Draperiemotive, die größere Geschlossenheit der Raumfüllung, die Klarheit des Gliederzusammenhaltes hier haben der zerstreuteren Komposition des Londoner Reliefs gegenüber, bei dem vor allem die Lagerung der Madonna – nicht etwa nur, weil das Relief unvollendet ist – unklar bleibt, das Gewicht von Selbstkorrekturen des Künstlers. Übrigens sind beide Kompositionen – auch die ernstere, höher gestimmte in Florenz – von einer Gleichmäßigkeit der Belebung, von einer Heiterkeit und Stille der Empfindung, deren Ausdruck MA so nie wieder gelungen ist.

*

Matthaeus. Florenz, Accademia.

Unvollendet, gearbeitet mit Unterbrechungen zwischen 1504 und 1508. 1834 aus der Domopera in die Accademia übertragen.

In dem am 24. April 1503 unterzeichneten Kontrakt verpflichtet MA sich zur Herstellung von 12 Apostelstatuen für den Dom von Florenz. Aus dem allein begonnen Matthaeus ersehen wir, daß eine Reihe bewegter Standfiguren geplant war. Die Statue bereitet in ihrer stark kontrapostischen Bewegung schon auf die späteren Sklaven des Juliusgrabmals vor. Das Stufenmotiv, auf dem sich hier die ganze Komposition aufbaut, erscheint auch bei der gleichzeitig entstandenen Brügger Madonna. In seinem unvollendeten Zustand ist der Matthaeus das erste sichere Beispiel von MAs in den Vorbemerkungen näher erörterten Arbeitsmethode, deren Bedingungen und Wirkungen hier schon ganz deutlich werden.

Maria mit dem Kinde. Brügge, Liebfrauenkirche.

Um 1505. Das kompositionelle Motiv, die Sitzfigur durch Höherstellen eines Fußes in der Gliederlagerung mannigfaltig zu gestalten, findet sich bereits bei der Pietà. Hier ist der Unterschied der Kniehöhe noch stärker betont als dort. Der Körper des Kindes wird durch das kindlichnatürliche Heruntertasten von dem Schemel mit dem rechten Fuß in lebhaftes Formenspiel gesetzt. Die blockmäßig-kompakte Geschlossenheit der Gruppe ist besonders zu beachten. Die Frontalhaltung der Madonna ist – ebenso wie bei der Pietà – durch den Zweck des Kultbildes mitbestimmt. Die Gruppe ist, nach Angabe Condivis, durch die flandrische Kaufmannsfamilie der Moscheroni (Mouscron) nach Brügge gekommen. Dürer sah sie dort schon in der Liebfrauenkirche. Das Tagebuch der Niederländischen Reise verzeichnet unter dem 7. April 1521: »Das Marienbild in Marmelstein von Michelangelo.«

Skulpturen für das Grabmal Papst Julius II – Rom, S. Pietro in Vincoli. – Paris, Louvre. – Florenz, Accademia.

Im Frühjahr des Jahres 1505 erreicht MA in Florenz die päpstliche Berufung nach Rom, die ihn aus der Arbeit an der Apostelfolge für den Dom und dem Karton für den Saal des großen Rates herausreißt. Noch im März desselben Jahres erhält er den größten Auftrag seines Lebens: das Grabmal Julius II. Erst im Februar 1545 ist der Aufbau in S. Pietro in Vincoli vollendet: im Verlauf dieser vierzig Jahre vollzieht sich »die Tragödie des Grabmals«, das allmähliche Zusammensinken des ersten großartigen Entwurfes für ein aus mehr«, als vierzig Figuren aufgebautes freistehendes Monument in St. Peter, .zu dem Kompromißwerk des Fassaden-Wandgrabes in S. Pietro in Vincoli, an dem von drei eigenhändigen Figuren von je nur der Moses MAs ganz würdig erschienen ist.

In den Vorbemerkungen ist angedeutet, wie der neue Auftrag der Sixtinadecke im Frühjahr 1508 dem erst geplanten architektonischplastischen Werk das Lebensblut entzogen hat. Schon damals war das Schicksal des Grabmals eigentlich besiegelt: daß MA selbst sich dessen nicht bewußt geworden, daß er an die Möglichkeit des Grabmals noch nach Vollendung der Sixtinadecke geglaubt hat, ist ihm zum Verhängnis geworden. Wie einen Leichnam hat er den entseelten Riesenplan ein Menschenleben lang noch von Kontrakt zu Kontrakt, von Kontraktbruch zu Kontraktbruch geschleppt. Durch Jahrzehnte bietet er das tragische Schauspiel eines Mannes, der sich im Kampf mit einem wesenlosen und doch übermächtigen Gegner aufreibt. »Meine ganze Jugend«, schreibt er selbst im Oktober 1542, »habe ich verloren, an dieses Grabmal gefesselt.« –

Der erste Entwurf, ja wahrscheinlich die Absicht des Grabmals überhaupt, wurde bei Julius durch das umfassendere Unternehmen des Neubaues von St. Peter zurückgedrängt. Erst nach dem Tode des Papstes am 6. Mai 1513 wird die Idee in einem neuen Kontrakt zwischen des Papstes Erben und dem Künstler wieder aufgenommen. Nur die beiden Sklavenfiguren des Louvre und das Mosessitzbild sind in .dieser Epoche von 1513–1516 entstanden: es zeigt sich sogleich, das das Werk im Keime erstickt war, daß es unmöglich bleiben mußte, es nach den erst gewollten Maßen durchzuführen.

Im Juli 1516 folgt ein dritter Kontrakt, der die Größe des Denkmals auf die Hälfte beschränkt, die Ausführungsfrist trotzdem verlängert. Nun aber treten zu der tiefen inneren Erschöpfung der gestaltenden Phantasie auch noch äußere Hemmungen in Gestalt anderer, von MA selbst begierig aufgegriffener Aufträge. Es ist, als ob er selbst empfunden habe, daß nur neue Aufgaben ihn aus dem unerträglichen Zustand künstlerischer Lähmung zu befreien vermöchten.

Leo X., der erste Mediceerpapst, gibt ihm den Auftrag für den Entwurf zu einer Prachtfassade von S. Lorenzo in Florenz, der dann nach zwei Jahren fruchtlosen Planens und Vorbereitens durch das neue Unternehmen der Herzogsgräber für S. Lorenzo ersetzt wird. Nur als Nebenarbeit werden in diesen Jahren die für das Juliusgrabmal bestimmten Bildwerke gefördert. Um das Jahr 1519 entstehen die vier unvollendeten Sklavenfiguren und die Gruppe des Sieges, deren Zugehörigkeit zu dem Papstgrabmal übrigens nicht außer allem Zweifel steht.

Schon im Jahre 1525 taucht dann auch der Gedanke auf, das Freidenkmal in ein Wandgrab zu reduzieren, und damit beginnt die letzte Phase der Rückbildung des großen Jugendentwurfs aus dem Jahre 1505. Erst im April 1532 freilich – über zehn Jahre scheint die Arbeit so gut wie ganz gestockt zu haben – erfolgt nach unsäglichen Schwierigkeiten, Prozeßdrohungen von selten der Erben des Papstes, Rechtfertigungsversuchen von selten des Künstlers der förmliche (vierte) Kontrakt, auf Grund dieser entscheidenden Planveränderung, und zugleich wird jetzt auch die Kirche S. Pietro in Vincoli (östlich des alten römischen Forums) als Aufstellungsort für das Denkmal in Aussicht genommen.

Da tritt noch einmal ein päpstlicher Auftrag verzögernd vor die Ausführung: das Fresko des Jüngsten Gerichtes, das MA bis zum Oktober 1541 fesselt. Jetzt endlich wird im August 1542 der fünfte und letzte Kontrakt unterzeichnet, nach dem die Arbeit dann bis zum Februar 1545 vollendet wird.

Im letzten Moment noch zieht MA – gegen die Absicht des letzten Kontraktes – die beiden Sklaven des Louvre – sie wurden 1550 nach Frankreich verkauft – zurück und ersetzt sie durch zwei weibliche Gewandfiguren, Lea und Rahel, Allegorien des tätigen und beschaulichen Lebens, die in Seitennischen neben dem Mosessitzbild Platz fanden.

Der Moses ist von vier ursprünglich geplanten die allein vollendete Figur. Mit Paulus und den Allegorien des tätigen und beschaulichen Lebens – Vorahnungen der Sibyllen der Sixtinadecke – sollte er auf der oberen Plattform des freistehend gedachten Grabmals stehen. Er ist also auf Unteransicht gearbeitet und entspricht in seiner jetzigen Aufstellung auf ebener Erde jedenfalls nicht der ursprünglichen Intention des Künstlers. Es ist dringend zu fordern, daß mit einem Gipsabguß wenigstens der Versuch gemacht wird, die Wirkung der Figur bei einer Aufstellung in der ursprünglich beabsichtigten Höhe zu erproben – was seltsamerweise noch nie geschehen ist.

Über kein Kunstwerk der Welt vielleicht sind so widersprechende Urteile gefällt wie über diesen panköpfigen Moses. Schon die einfache Interpretation der Form bewegt sich in vollkommenen Widersprüchen: wo die einen ein felsenhaftes Dasitzen für die Ewigkeit sehen, glauben die andern den Moment des Aufspringens dargestellt. So schwer ist es, vor einem Kunstwerk von so hinreißender Gewalt die Ruhe objektiver Beobachtung walten zu lassen!

Wir folgen dem letzten Erklärer, der sich, nachdem er alle früheren hat Revue passieren lassen, folgendermaßen äußert: »Hier, wie immer, ist es ihm um die Gestaltung eines Charaktertypus zu tun. Er schafft das Bild eines gewaltsam leidenschaftlichen Führers der Menschheit, der, seiner göttlichen, gesetzgebenden Aufgabe bewußt, dem unverständigen Widerstand der Menschen begegnet. Einen solchen Mann der Tat zu kennzeichnen, gab es kein anderes Mittel, als die Energie des Willens zu verdeutlichen, und dies war möglich nur durch die Veranschaulichung einer die scheinbare Ruhe durchdringenden Bewegung, wie sie in der Wendung des Kopfes, der Anspannung der Muskeln, der Stellung des linken Beines sich äußert ...« (Thode.)

Christus. Rom, Sta. Maria sopra Minerva.

Am 14. Juni 1514 nahm MA eine Christusstatue von Bernardo Cencio, Maestro Maria Scapucci und Metello Varchi in Auftrag. Sie wird bald darauf begonnen sein, blieb aber unvollendet, als der Marmor eine schwarze Ader an der Stelle des Gesichtes zeigte. Diese erste Statue ist verschollen. – Erst im Jahre 1517, nachdem MA zur Ausführung der ihm von Papst Leo X. übertragenen Fassade für San Lorenzo von Rom nach Florenz übergesiedelt war, wird der Plan auf Varchis Drängen – doch wohl nach dem ersten Modell von 1514/15 – wieder aufgenommen. Im Jahre 1518 bestellt MA einen neuen Marmorblock, Anfang März 1521 wird die noch nicht ganz vollendete Figur nach Rom abgeschickt und dort von zwei Schülern MAs, Pietro Urbano und Giov. Frizzi fertiggestellt. –

Zu entscheiden, wie weit die Figur den Forderungen des religiösen Gefühls entspricht, bleibt Sache des einzelnen – als künstlerische Darstellung einer nackten männlichen Figur ist sie von ganz bedeutendem Range und für MAs plastischen Stil sehr bezeichnend. Kaum irgendwo sonst hat er mit so leichten und zwanglosen

Drehungen und Wendungen des Körpers einen so großen Reichtum plastischer Form entwickelt. Das Bewegungsmotiv, wie es vor allem in der Rumpf- und Brustdrehung der Figur zur Erscheinung kommt, hat MA augenscheinlich am meisten gereizt. Die Vollendungsarbeiten in Rom haben sich nur auf den rechten Fuß, Hände und Gesicht bezogen, die Extremitäten also, deren Ausführung MA immer am wenigsten beschäftigt hat (vgl. die Vorbemerkungen). Später hinzugefügt: Bronzeschurz, der mit der Verdeckung der Hüften den Angelpunkt der Bewegung verhüllt, und Bronzeschuh, der den rechten Fuß vor Abnutzung durch die Küsse der Gläubigen schützt.

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Die Mediceergrabmäler. Florenz, Neue Sakristei von San Lorenzo.

Am 10. März 1520 wurde der Kontrakt, der MA zur Ausführung einer Prachtfassade für San Lorenzo in Florenz verpflichtete, nach zweijähriger resultatlos verlaufener Arbeit an dem Projekt gelöst. MA übernimmt den neuen Auftrag des Aufbaues und Skulpturenschmuckes der »Neuen Sakristei« von San Lorenzo als Mediceischer Grabkapelle. Bis zur Höhe des Gesimses war die Kapelle schon aufgemauert, die Grundmaße fand MA also unabänderlich vor, ihnen hatten sich seine Entwürfe anzupassen. Nur die Einwölbung der Kuppel und die architektonische Gestaltung des Innenraumes konnten noch nach seinen Intentionen geschehen.

Wie bei dem Juliusgrabmal war der Skulpturenschmuck auch hier anfangs in einem viel großartigeren Umfange geplant, als er nachher zur Ausführung kam. Wie dort war ursprünglich ein in der Mitte des Kapellenraumes aufgemauertes Freigrabmal beabsichtigt, mit vier Sarkophagen für die Magnifici Lorenzo, den Prächtigen, MAs ersten Gönner, und dessen 1478 ermordeten Bruder Giuliano und für die beiden Herzoge Lorenzo von Urbino † 1519, den Enkel, Giuliano von Nemours † 1516, den Sohn Lorenzos Magnifico. Vielleicht schon 1521, spätestens im Herbst 1523 ist der Freibau zugunsten zweier doppelsarkophagiger Wandgräber aufgegeben, dafür aber taucht im Mai 1524 das neue Projekt eines dritten Doppelwandgrabes für die beiden Mediceerpäpste auf, Leo X. († 1. 12. 1521) und Clemens VII. (seit Januar 1522). Auch der Altar der Kapelle sollte statuarischen Schmuck erhalten.

In diesem kritischen Stadium der Entwicklung des Werkes erleidet die Arbeit nun aber durch den Gang der politischen Ereignisse eine mehrjährige Unterbrechung, die das Projekt in dem geplanten Umfang zu Fall bringt. Der Einbruch des deutsch-spanischen Heeres in Italien, die Eroberung und Plünderung Roms im Jahre 1527 durch die Truppen Karls V. wirkt auf die inneren Zustände in Florenz entscheidend zurück. Es kommt dort zu einem Aufstande gegen das Mediceische Regime im Jahre 1528 (bei dem MAs David beschädigt wird –) MA selbst beteiligt sich als Leiter der Befestigungsarbeiten aktiv an dieser antimediceischen Bewegung. Da schließen Kaiser und Papst unerwartet Frieden, Florenz wird belagert und muß am 12. August 1530 kapitulieren: am 29. Juli des folgenden Jahres wird Alessandro dei Medici, des Pensieroso Lorenzo natürlicher Sohn, als Herzog von Florenz bestätigt.

Als nach diesen Wirren die Arbeit in der Kapelle wieder aufgenommen wird, ist der Plan des Grabmals der Magnifici und der Päpste aufgegeben. Es handelt sich nur noch darum, das Erreichbare zu sichern: die beiden Grabmale der Herzoge. –

Nachrichten über den Gang der Bildhauerarbeiten sind mehrfach erhalten. 1524 wird die Madonna genannt, ihre Vollendung bis zu dem heutigen Zustand zieht sich aber bis zum Herbst des Jahres 1531 hin. Auch die vier großen Allegorien und die Sitzbilder der Herzoge scheinen damals begonnen zu sein. Am 29. September 1531 sind Nacht und Morgendämmerung vollendet, der Tag fast fertiggestellt, der Abend begonnen. Als MA im Herbst 1534 für den Rest seines Lebens von Florenz nach Rom übersiedelte, waren nur die Fürstenbilder aufgestellt, die allegorischen Figuren sind erst später nach MAs Angaben von Vasari placiert. Die Madonna erhielt zwei von Montorsoli und Raffaello da Montelupo nach MAs Modellen gearbeitete Seitenfiguren in den Familienheiligen der Medici, Cosmas und Damian, den heiligen Ärzten. Die vier für die Nebennischen der Wandaufbauten geplanten Statuen und vier antike Flußgottheiten, die am Boden aufgestellt werden sollten, sind nie ausgeführt, zu den letzteren hatte MA wenigstens die Modelle schon gefertigt.

Wichtig für die Beurteilung des Werkes ist vor allem die urkundliche Feststellung, daß sämtliche Entwürfe vor das Jahr 1526, d. h. vor MAs politische Verstimmung gegen die Mediceer, fallen: alle Kombinationen, die man an die Figuren als Äußerungen menschlicher und politischer Verbitterung des Künstlers hat knüpfen wollen, sind damit hinfällig.

Eine Fülle von Scharfsinn, Witz und Kombinationsgabe ist an eine tiefsinnige Ausdeutung des allegorischen Figurenapparates gewandt. Aber ist nicht die einfachste Deutung der Figuren als Tageszeiten – als Personifikation des ewig gleichen, unabänderlichen Weltlaufs – zugleich auch die tiefsinnig-allgemeinste und für dies Fürstengrabmal schicklichste? –

Entscheidend für die großartig feierliche und doch trotz der Kleinheit der Kapelle nicht bedrückende Wirkung der überlebensgroßen Figuren ist die Zierlichkeit der Raumgestaltung mit der Vielteiligkeit der Wandgliederungen, der großen Zahl zart detaillierter Profile und schmaler, scharf geschnittener Schmuckleisten. Alle Zierglieder haben die Straffheit und Lebendigkeit elastischer Spannungen: die Voluten scheinen wie Stahlbänder zu federn. Zugleich erwecken sie aber den Eindruck sicherer Stabilität dadurch, daß alles so klar gegliedert ist, daß keiner Fläche, keinem Schmuckglied die sichere Korrespondenz in Pendant und Gegenüber fehlt. Die Wiederholung der Dekorationsmotive hat die Wirkung einer beruhigenden Monotonie.

In ganz umfassender Weise hat MA bei der Belichtung der Kapelle, die mit der Einwölbung der Kuppel in seine Hand gegeben war, als Architekt sich selbst, dem Bildhauer, in die Hände gearbeitet. Alle Figuren gewinnen ihre zauberhafte Erscheinung vor allem durch die Einheitlichkeit des von der Kuppelhöhe her sie überrieselnden Lichtregens. Die tief geheimnisvolle Verschattung des Gesichtes bei der Allegorie der Nacht und bei dem Sitzbild des Pensieroso kann darum nur in dem Kapellenraume selbst zu voller Wirkung kommen.

Die Herzogsbilder sind keine Porträte (beide Fürsten waren, um nur dies zu erwähnen, vollbärtig), sondern ganz freie Charakterdarstellungen: Kontrastpendants zweier Temperamente. Das energische Temperament ist dem melancholischen gegenübergestellt, beziehungsvoll das psychologische Milieu weiter ausmalend sind jenem die Tageszeiten eines vollendeten Zustandes – Tag und Nacht – diesem die eines unentschlossenen Zwitterzustandes – Morgendämmerung und Abendgrauen – zugesellt.

David-Apollo. Florenz, Bargello. 1530/31.

Eine jugendliche männliche Figur mit hochgestelltem rechten Fuß, am Körper herabhängender rechter, frei hoch über die rechte Schulter greifender linker Hand. Die Figur ist nicht ganz vollendet und daher verschieden gedeutet. Vasari, der das unbearbeitete Marmorstück auf dem Rücken als Köcher nimmt, nennt sie Apollo, in dem Inventar des mediceischen Kunstbesitzes unter Cosimo I. wird sie David genannt, das Marmorstück also als Schleuder gedeutet. Die einfache Aktion des übergreifenden Armes ist so intensiv durchgeführt, daß der ganze Körper dadurch in Spiel und Bewegung gesetzt ist. Ein Vergleich mit dem David-Giganten der frühen Epoche zeigt, wie viel mehr jetzt die Bewegung innerlich und als ein Mittel reicher Körperdarstellung erfaßt wird. Die Figur ist wohl sicher identisch mit der im Herbst des Jahres 1530 für Baccio Valori in Angriff genommenen.

Brutus. Florenz, Bargello. Unvollendet, 1539 oder 1540.

Im Jahre 1537 ermordete Lorenzino dei Medici seinen Vetter, den ersten Herzog von Florenz, Alessandro, mit dessen Thronbesteigung die Bürgerfreiheit von Florenz ihr Ende gefunden hatte. Lorenzino selbst starb schon 1539. Im Kreise der florentiner Verbannten in Rom, mit dem MA Fühlung hatte, wurde er als ein neuer Brutus gefeiert; seinem Andenken ist die Büste gewidmet, die MA nach Lorenzinos Tode für den Kardinal Ridolfi gearbeitet hat, nach Vasaris Bericht mit Benutzung eines geschnittenen antiken Kornalins. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Büste in Mediceischem Besitz. – Die locker schematische Drapperie, deren Eigenhändigkeit mehrfach bezweifelt ist, sticht seltsam ab gegen die plastische Geschlossenheit – die psychologische Verschlossenheit der Römermaske.

Grablegung Christi. Florenz, Sta. Maria del Flore. 1550 ff.

Zweimal hat MA in hohem Alter Christus im Tode dargestellt: in einer vollständig verhauenen Pietà (Rom, Palazzo Rondanini) und in der 1722 unter der Vierungskuppel des Florentiner Domes aufgestellten Grablegungsgruppe, die er selbst für sein Grabmal bestimmt hatte. Auch sie ist unvollendet, weil in der beabsichtigten Form in dem vorhandenen Block nicht durchzuführen: vor allem fehlt der Raum für das linke Bein Christi. Der zusammenbrechende Körper Christi, besonders der schlaff herabhängende linke Arm noch voll Großartigkeit der plastischen Bildung. Die Gruppe ist in der Art wie der Leichnam Christi liebevoll umhegt wird, ein Dokument für MAs religiöse Altersstimmung.

Hockender Knabe. Sta. Petersburg, Eremitage.

Ein Versuch vollkommenster Organisierung eines würfelförmigen Marmorblockes, vollendet bis auf die letzte Bearbeitung und Glättung der Oberfläche. Wahrscheinlich stammt die Figur aus der Zeit des David-Apollo für Baccio Valori, d. h. aus dem Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts. Über ihre Bestimmung und Herkunft ist nichts bekannt.


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