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Achter Theil.

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1.

Die-Markgräfin von-Bayreuth, Witwe des Markgrafen Georg Wilhelm, geborene Prinzeß von Weißenfels und zuletzt Gräfin Hoditz »war, sagte man, schön wie ein Engel gewesen. Jedoch war sie so verändert, daß man hätte ihr Gesicht studiren müssen, um Spuren ihrer ehemaligen Reize darin zu entdecken. Sie war groß gewachsen und ihre Taille mag schön gewesen sein; um deren Schönheit nicht einzubüßen, soll sie wenigstens mehre ihrer Kinder durch den Gebrauch von Abortiven getödtet haben; ihr Gesicht war sehr lang, ebenso wie ihre Nase, welche sie sehr entstellte, denn dieselbe war einmal erfroren und sah da, von wie eine rothe Rübe und sehr unangenehm aus; ihre Augen, Gesetze zu geben gewohnt, waren groß, wohl geschlitzt und braun, aber so geschwächt, daß von der ursprünglichen Lebhaftigkeit derselben wenig mehr zu sehen war; in Ermangelung natürlicher Brauen trug sie falsche, die sehr dick und schwarz wie Tinte waren; ihr Mund, obgleich groß, war wohlgeformt und voller Anmuth; ihre Zähne waren regelmäßig und weiß wie Elfenbein; ihre Haut war glatt, aber gelblich, bleifarben und schlaff; ihre Miene war gut, aber etwas affectirt. Sie war die Laïs ihres Jahrhunderts. Sie konnte immer nur durch ihr Aeußeres gefallen haben; denn von Geist hatte sie nicht den Schatten.«

Wenn Ihnen dieses Portrait mit Unbarmherzigkeit und einigem Cynismus entworfen scheint, so geben Sie die Schuld nicht mir, verehrter Leser! Es ist Wort für Wort von der eigenen Hand einer durch ihre Leiden, ihre häuslichen Tugenden, ihren Stolz und ihren beißenden Witz berühmten Fürstin, der Schwester Friedrichs des Großen, Prinzessin Wilhelmine von Preußen, welche an den Erbprinzen, nachmaligen Markgrafen Heinrich von Bayreuth, einen Neffen unserer Gräfin Hoditz vermählt war. Sie war die böseste Zunge, die je aus königlichem Blute hervorgegangen. Aber ihre Portraits sind gemeinlich mit Meisterhand entworfen und indem man sie liest, kann man nicht umhin, sie für treu zu halten. In der obigen Schilderung der verwitweten Markgräfin von Bayreuth bin ich derjenigen Ausgabe der Memoiren der Prinzeß Friederike gefolgt, welche auch George Sand benutzt hat, der französischen. Wer die deutsche Uebersetzung zur Hand hat, wird eine etwas abweichende, einigermaßen gemilderte Schilderung finden (und zwar Th. I. S. 322). Die Memoiren erschienen nämlich zuerst in deutscher Uebersetzung, welche in Cotta's Auftrage aus einer eigenhändigen französischen Handschrift der Prinzessin angefertigt worden war (»Denkwürdigkeiten aus dem Leben der Kön. Preuß. Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine &c; vom J. 1709 bis 1733. Tübingen 1810«). Gleich darauf gab jedoch Vieweg in Braunschweig dieselben Memoiren aus einer andern Handschrift, welche zahlreiche Abweichungen, zum Theil viel schärfere Urtheile und Schilderungen enthält als die Cottasche, die Lücken dieser letzteren ausfüllt und die Erzählung bis zum J. 1742 fortführt, in französischer Sprache heraus, worauf auch Cotta seiner deutschen Ausgabe einen zweiten ergänzenden Theil (Tüb. 1811) beifügte. Beide Handschriften sind vermuthlich Redactionen der Prinzessin selbst aus verschiedenen Zeiten ihres Lebens. Der deutsche Herausgeber hält die mildere Redaction der (freilich lückenhaften) Cottaschen Handschrift für die spätere. – D. U.

 

Als Consuelo, von Keller coeffirt und, Dank seiner Bemühung, geschmackvoll aber einfach gekleidet, in den Salon der Markgräfin vom Porpora hineingeführt war, nahm sie mit ihm ihren Platz hinter dem Klavier, welches man, damit es der Gesellschaft nicht im Wege sei, in einer Ecke des Saales schräg aufgestellt hatte. Es war noch sonst Niemand erschienen, so pünktlich war Porpora, und die Bedienten zündeten noch die letzten Kerzen an.

Der Maestro setzte sich das Klavier zu versuchen, und kaum hatte er einige Accorde angeschlagen, als eine sehr schöne Dame hereintrat und mit liebenswürdigem Anstand auf ihn zuging. Da der Porpora sie mit dem tiefsten Respect grüßte und sie Prinzessin nannte, glaubte Consuelo, daß es die Markgräfin wäre und küßte ihr, der Sitte gemäß, die Hand. Diese Hand, die kalt und farblos war, drückte die Hand des jungen Mädchens mit einer Herzlichkeit, welche man bei den Großen selten antrifft und welche augenblicklich Consuelo's Zuneigung eroberte.

Die Prinzessin war ungefähr dreißig Jahr alt; ihr Wuchs war zierlich, obwohl nicht tadellos, es waren sogar einige Unregelmäßigkeiten ziemlich auffallend, welche von großen körperlichen Leiden herzurühren schienen. Ihr Gesicht war wunderschön, aber zum Erschrecken blaß und durch Ausdruck von tiefem Schmerze vor der Zeit verkümmert und entstellt. Ihre Toilette war auserlesen, aber einfach und sittsam bis zur Strenge. Durch ihr ganzes Wesen ging ein Zug von Güte, Traurigkeit und schüchterner Bescheidenheit, und der Ton ihrer Stimme hatte etwas Demüthiges und Rührendes, wovon Consuelo sich im Innersten ergriffen fühlte.

Ehe noch die Letztere Zeit gewann, zu bemerken, daß sie nicht die Markgräfin vor sich habe, trat die Frau Markgräfin selbst herein. Sie war damals mehr als Funfzigerin, und wenn vielleicht die Personbeschreibung, die man an der Spitze des Kapitels gefunden hat, für jene Zeit, welche die Beschreiberin meint, ein wenig übertrieben sein mag, so traf sie doch jetzt, nämlich zehn Jahre später, gewiß vollkommen zu. Ja, man hätte sehr höflich sein müssen, um es der Gräfin Hoditz, trotz ihrer Schminke und ihres mit studirter Coketterie gewählten Putzes anzusehen, daß sie einst eine der Schönheiten Deutschlands gewesen war. Ueber Formen, welche mit der Fülle des vorgerückten Alters überladen waren, machte sich die Markgräfin noch hartnäckig die seltsamsten Täuschungen, denn entblößt boten Schultern und Busen den Blicken mit einem herausfodernden Stolze Trotz, wie ihn zu zeigen nur die antike Kunst des Bildhauers ein Recht hat. Sie hatte Blumen, Brillanten und Federn im Haar wie eine junge Frau und ihre Robe funkelte von kostbaren Steinen.

– Mama, sagte die Prinzessin, in deren Person Consuelo sich geirrt hatte, dies ist die junge Sängerin, die uns Meister Porpora angekündigt hat und die uns das Vergnügen verschaffen wird, etwas Schönes aus seiner neuen Oper zu hören.

– Das ist kein Grund, antwortete die Markgräfin, Consuelo vom Kopf bis zu den Füßen musternd, sie so bei der Hand zu halten, wie du thust. Setzen Sie sich neben das Klavier, Mademoiselle, ich freue mich, Sie zu sehen. Sie werden singen, sobald die Gesellschaft versammelt sein wird. Meister Porpora, sein Sie gegrüßt. Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich mich nicht mit Ihnen beschäftige. Ich bemerke, daß an meiner Toilette etwas vergessen ist. Ma fille, unterhalten Sie Meister Porpora ein wenig. Er ist ein Mann von Talent, den ich schätze.

Nachdem die Markgräfin dies mit einer so groben Stimme gesprochen, als kaum ein Soldat hat, drehte sie sich schwerfällig auf ihren Hacken um und ging in ihre Apartements zurück.

Kaum war sie verschwunden, als die Prinzessin wieder zu Consuelo trat und deren Hand mit einer zarten, rührenden Freundlichkeit ergriff, als hätte sie gegen die Unverschämtheit ihrer Mutter protestiren wollen; dann ließ sie sich mit ihr und Porpora in ein Gespräch ein, bei welchem sie beiden voll Anmuth und Natürlichkeit ihre Theilnahme zu erkennen gab. Consuelo mußte die Freundlichkeit, mit welcher die junge Fürstin ihnen begegnete, noch höher anschlagen, als sie nach dem Eintritt mehrerer Personen bemerkte, daß dieselbe in ihrem gewöhnlichen Benehmen viel Kälte zeigte und eine Zurückhaltung, worin Schüchternheit und Stolz zugleich lag, und daß sie augenscheinlich mit dem Maestro und mit ihr eine Ausnahme gemacht hatte.

Als der Salon schon fast gefüllt war, trat der Graf Hoditz ein, der außer dem Hause gespeist hatte. Er war in großer Toilette, und, als ob er ein Fremder in seinem Hause gewesen wäre, ging er zu seiner Gemahlin, um ihr ehrfurchtsvoll die Hand zu küssen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Die Markgräfin spielte die Nervenschwache; sie saß halb liegend auf ihrer Causeuse und öffnete jeden Augenblick ein Riechfläschchen, während sie die Huldigungen, die ihr dargebracht wurden, mit einer Miene entgegennahm, welche sie für schmachtend hielt, welche aber nichts weiter als geringschätzig war. Kurz, sie spielte eine so durch und durch lächerliche Figur, daß Consuelo, die sich im ersten Augenblick durch ihre Ungezogenheit gekränkt und erzürnt gefühlt hatte, zuletzt im Stillen sich daran ergötzte und sich zum Voraus dachte, wie es sie belustigen würde, ihrem Freunde Beppo von der Frau Markgräfin ein treues Conterfei zu überliefern.

Die Prinzessin hatte sich dem Klavier genähert und versäumte, wenn ihre Mutter nicht auf sie achtete, keine Gelegenheit, an Consuelo ein freundliches Wort oder ein Lächeln zu richten. Hierdurch wurde es dieser letzteren möglich, eine kleine Familienscene zu beobachten und einen Aufschluß über die Verhältnisse des Hauses zu gewinnen. Der Graf Hoditz trat zu seiner Stieftochter, und nahm ihre Hand, die er an seine Lippen führte und dort einige Augenblicke mit einem fast ausdrucksvollen Blick festhielt. Die Prinzessin zog die Hand zurück und sagte ihm ein Paar kalte höfliche Worte. Der Graf überhörte diese und fuhr fort, sie unverwandt anzublicken.

– Nun, mein schöner Engel, sagte er; immer traurig, immer ernsthaft, immer bis ans Kinn gepanzert? Man sollte denken, daß Sie Lust hätten Nonne zu werden.

– Es ist möglich, daß ich zuletzt noch dahin komme, antwortete die Prinzessin halblaut. Die Welt hat mich nicht so behandelt, daß ich sehr an ihren Freuden hangen sollte.

– Die Welt würde Sie anbeten und zu Ihren Füßen liegen, wenn Sie sie nicht geflissentlich durch ihre Strenge zurückscheuchten. Ins Kloster gehen? Wie können Sie in Ihrem Alter und mit Ihrer Schönheit nur an ein so schreckliches Loos denken?

– In einem lachenderen Alter und da ich schöner war, als ich jetzt bin, habe ich das schreckliche Loos einer weit härtern Gefangenschaft erduldet: haben Sie es vergessen? Doch sprechen Sie nicht länger mit mir, Herr Graf! Mama sieht her.

Augenblicklich, wie von einer Feder weggeschnellt, verließ der Graf seine Stieftochter und trat zu Consuelo, die sich gemessen verbeugte. Nachdem er einige allgemeine Worte über Musik nach Liebhaberart an sie gerichtet, schlug er das Heft auf, welches Porpora auf das Instrument gelegt hatte, und indem er sich stellte als ob er etwas darin suchte, um sich darüber von ihr Auskunft zu erbitten, sagte er, sich auf das Pult niederbeugend, leise zu ihr:

– Gestern Morgen habe ich den Deserteur gesehen, und seine Frau hat mir ein Billetchen zugestellt. Ich bitte die schöne Consuelo, ein gewisses Rencontre zu vergessen, und en retour für ihr Stillschweigen werde ich einen gewissen Joseph vergessen, den ich soeben in meinen antichambres bemerkt habe.

– Der gewisse Joseph, antwortete Consuelo, die nach der Entdeckung jener ehelichen Eifersucht und Aengstlichkeit sehr ruhig über die Folgen ihres Passauer Abentheuers geworden war, ist ein talentvoller Künstler, der nicht lange in den Antichambres bleiben wird. Er ist mein Bruder, mein Kamerad, mein Freund. Ich habe keine Ursach, mich meiner Gesinnung für ihn zu schämen, ich habe in dieser Hinsicht nichts zu verheimlichen und von der Großmuth des Herrn Grafen nichts zu erbitten als ein wenig Nachsicht für meine Stimme und ein wenig Protection für Josephs künftigen Eintritt in die musikalische Carrière.

– Mein Interesse ist besagtem Joseph ebenso gewiß, wie bereits Ihrer schönen Stimme meine admiration. Ich schmeichle mir aber, daß eine gewisse plaisanterie von mir nicht au sérieux genommen worden ist.

– Ich bin nie eine solche Närrin gewesen, Herr Graf, und ich weiß auch übrigens, daß eine Frau sich nie dessen zu rühmen hat, wenn sie zum Gegenstande einer Plaisanterie dieser Art genommen worden ist.

– Genug, Signora, sagte der Graf, den die Markgräfin nicht aus dem Auge ließ, und der, um dieser keine Ursach zum Verdacht zu geben, sich beeilte, die Unterredung abzubrechen, die berühmte Consuelo wird der lustigen Stimmung, die man auf der Reise hat, etwas zu Gute zu halten wissen und sie kann in Zukunft auf den Respect und die Devotion des Grafen Hoditz rechnen.

Er legte das Notenbuch wieder auf das Klavier und ging einer Person entgegen, die pomphaft angekündigt und von ihm mit der unterwürfigsten Höflichkeit empfangen wurde. Es war ein kleiner Mann, man hätte ihn für eine verkleidete Frau halten können, so rosenroth, frisirt, geputzt, geschniegelt und parfümirt war er, es war der Mann, von dem Maria Theresia gesagt hatte, sie wünschte nichts, als daß sie ihn könnte in einen Ring fassen lassen, derselbe, von dem sie ein anderesmal gesagt hatte, sie hätte ihn zum Diplomaten gemacht, weil sie nichts besseres aus ihm zu machen gewußt hätte. Es war der allgebietende Mann in Oesterreich, der erste Minister, der Liebling, ja, man sagte der Amant der Kaiserin, mit einem Worte, der berühmte Kaunitz, dieser Staatsmann, der in seiner weißen, tausendfarbig beringten Hand alle die künstlich verschlungenen Fäden der europäischen Diplomatie hielt.

Er schien sehr ernst sogenannten ernsten Personen zuzuhören, die ihn von vermeintlich ernsten Dingen unterhielten. Plötzlich aber unterbrach er sich, um den Grafen Hoditz zu fragen:

– Wer ist das da am Klavier? Ist das die Kleine, von der Sie mir gesagt haben, die protegée vom Porpora? Armer Teufel von Porpora! Ich möchte etwas für ihn thun, aber er ist so exigeant und ein so großer Phantast, daß alle Künstler ihn hassen oder fürchten. Wenn man mit ihnen von ihm zu sprechen anfängt, so ist es, als ob man ihnen das Haupt der Meduse zeigte. Dem Einen sagt er, er singe falsch, dem Anderen, seine Sachen taugen nichts, dem Dritten, er verdanke seinen Succeß der Kabale. Und mit dieser Huronenderbheit will er sich Gehör und Gerechtigkeit verschaffen? Zum Teufel, wir leben halt nicht in den Urwäldern. Die Freimüthigkeit ist nicht mehr Mode und mit der Wahrheit lockt man keinen Hund vom Ofen. Sie ist nicht übel, die Kleine, das Figürel gefällt mir schon. Sie ist noch sehr jung, nicht wahr? Man sagt, sie hat in Venedig Succeß gehabt. Der Porpora muß sie mir morgen zuführen.

– Er wünscht, fiel die Prinzessin ein, daß Sie die Kaiserin veranlassen, sie zu hören, und ich hoffe, Sie werden ihm diese Gnade nicht abschlagen. Ich bitte Sie meinetwegen darum.

– Nichts ist leichter als sie vor Ihrer Majestät singen zu lassen und es ist mir genug, daß Euere Hoheit es wünscht, um mit Vergnügen dazu beizutragen. Aber bei dem Theater giebt es eine Person, die mächtiger ist als die Kaiserin. Nämlich Madame Tesi, und selbst wenn Ihre Majestät dieses Mädchen unter ihre Protection nähme, so zweifle ich doch, daß sie ein Engagement erlange, wenn nicht die Tesi ihre allerhöchste Approbation dazu giebt.

– Sie, sagt man, verderben diese Damen in Grund und Boden, Herr Graf! und ohne Ihre Nachsicht würden dieselben nicht so viel durchsetzen können.

– Was will man machen, Hoheit! Jeder ist Herr in seinem Hause. Ihre Majestät sieht sehr wohl ein, daß, wenn sie sich mit allerhöchsten Hofdecreten in die Angelegenheiten der Oper mischen thät, es mit der Oper ganz krumm gehen würd. Nun schafft aber Ihre Majestät, daß es mit der Oper gut gehn soll und daß man sich darin amüsir. Wie wollen's das effectuiren, wenn die Prima Donna an dem Tage, an welchem sie auftreten soll, den Schnupfen hat, oder wenn der Tenor, anstatt in einer schönen Versöhnungsscene dem Baß um den Hals zu fallen, ihm einen Tappen ins Gesicht giebt? Dem Herrn Caffariello seine Capricen machen uns halt schon genug zu arbeiten, und wir sind glücklich, seit Madame Tesi und Madame Holzbauer sich gut mit einander vertragen. Wenn man uns jetzt einen Zankapfel auf die Bühne wirft, so gerathen wir wieder bis an den Hals in die Calamitäten.

– Indessen ist doch eine dritte Sängerin unumgänglich nöthig, sagte der Botschafter von Venedig, welcher den Porpora und seine Schülerin eifrig protegirte; und nun bietet sich hier eine ganz bewundernswürdige ...

– Wenn sie bewundernswürdig ist, tant pis pour elle. Sie wird Madame Tesi jalouse machen, die bewundernswürdig ist und es allein sein will; sie wird Madame Holzbauer wüthend machen, die auch bewundernswürdig sein möchte

– Und es nicht ist! fiel der Botschafter ein.

– Sie ist von ansehnlicher Herkunft, aus sehr gutem Hause, bemerkte Herr von Kaunitz fein.

– Sie kann aber darum nicht zwei Rollen zugleich singen. Sie muß doch immer dem Mezzosopran seinen Antheil in den Opern lassen.

– Es bietet sich da auch eine Corilla an, die wahrhaftig das schönste Geschöpf der Erde ist.

– Ew. Excellenz hat sie schon gesehn?

– Gleich am Tage ihrer Ankunft. Gehört habe ich sie allerdings noch nicht. Sie war krank.

– Sie werden diese hören und ich zweifle nicht, daß Sie ihr den Vorzug geben.

– Möglich! Ich gestehe Ihnen sogar, daß ihr Gesicht, obgleich sie nicht so schön ist als die andere, mir doch angenehmer scheint. Sie sieht sanft und sittsam aus, aber meine gute Meinung wird dem armen Kinde nichts helfen. Sie muß der Madame Tesi gefallen, ohne der Madame Holzbauer zu mißfallen. Und leider, trotz der zärtlichen Freundschaft, welche diese beiden Damen vereint, hat bis jetzt die eine noch nicht das Geringste gebilligt, dem sich nicht die andere aus allen Kräften widersetzt hätte.

– Das ist ja eine schwere Krise und ein sehr bedenkliches Geschäft, sagte die Prinzessin halb spöttisch, als sie sah, mit welcher Wichtigkeit die beiden Staatsmänner über die Kulissenangelegenheiten verhandelten. Unser armer Schützling ist also auf der Wage mit Madame Corilla, und ich wette, daß Herr Caffariello sein Schwert in eine der beiden Schaalen werfen wird.

Als Consuelo gesungen hatte, war nur Eine Stimme darüber, daß man seit Madame Hasse's Anwesenheit nichts Aehnliches gehört habe, und Herr von Kaunitz gesellte sich zu ihr und sagte mit der feierlichsten Miene:

– Mademoiselle, Sie singen besser als Madame Tesi, aber es soll Ihnen das halt nur im Vertrauen von uns gesagt sein, denn wenn ein solches Urtheil über die Thürschwelle ging, so wären Sie perdue und würden für dieses Jahr in Wien nicht debütiren. Brauchen Sie also Vorsicht, große Vorsicht, sagte er leiser und setzte sich neben sie. Sie haben mit bedeutenden Hindernissen zu kämpfen, und Sie werden nur mittelst vieler Geschicklichkeit den Sieg davon tragen.

Hierauf begann der große Kaunitz ihr die tausend krummen Wege der Theaterintrigue auseinanderzusetzen, machte sie umständlich mit allen den kleinen Leidenschaften der Truppe bekannt und hielt ihr eine vollständige Vorlesung über die diplomatische Kunst in ihrer Anwendung auf das Kulissenleben.

Consuelo hörte ihm zu, indem sie ihre großen Augen vor Erstaunen weit öffnete, und da er im Laufe der Rede zwanzigmal gesagt hatte: »meine letzte Oper«, oder »die Oper, welche ich vorigen Monat aufführen ließ«, glaubte sie mit Bestimmtheit, sich verhört zu haben, als er angekündigt wurde, und hielt diesen in den Geheimnissen der dramatischen Carrière. so bewanderten Herrn für nichts anderes als einen Musikdirektor oder beliebten Maestro. Sie ließ sich daher ganz unbefangen gehen und sprach mit ihm wie mit einem Berufsgenossen. Diese Ungezwungenheit machte sie naiver und heiterer als es die Ehrfurcht vor dem allmächtigen Namen des Ministers zugelassen hätte, und Herr von Kaunitz fand sie charmant. Er beschäftigte sich eine Stunde lang nur mit ihr.

Die Markgräfin scandalisirte sich nicht wenig über eine solche Verletzung der Convenienz. Die Freiheit der großen Höfe war ihr verhaßt, da sie nur an das steife Ceremoniel der kleinen gewöhnt war. Sie hätte nur gar zu gern die Markgräfin geltend gemacht, aber damit war es für die Gräfin Hoditz vorbei. Sie war bei der Kaiserin wohl gelitten und wurde von ihr ziemlich gnädig behandelt, weil sie dem lutherischen Glauben entsagt hatte und zur katholischen Kirche übergegangen war. Um einer solchen Handlung der Heuchelei willen fand man am österreichischen Hofe Vergebung für alle Mesalliancen, selbst Verbrechen; Maria Theresia folgte hierin dem Beispiel, das ihr Vater und ihre Mutter ihr gegeben hatten, Jedem Aufnahme zu gewähren, der von dem protestantischen Deutschland ausgestoßen und verachtet, sich in den Schoß der römischen Kirche flüchten wollte. Aber wenn auch immer Prinzessin und Katholikin, die Frau Markgräfin war in Wien nichts und Herr von Kaunitz alles.

2.

Sobald Consuelo ihr drittes Stück gesungen hatte, winkte ihr Porpora, der die Gebräuche kannte, rollte seine Noten zusammen und entfernte sich mit ihr durch eine kleine Nebenthür, um durch ihren Aufbruch nicht die hohen Herrschaften zu incommodiren, welche die Gnade gehabt hatten, ihrem göttlichen Gesange ein geneigtes Ohr zu leihen.

– Alles geht gut, sagte er die Hände reibend, als sie auf der Straße waren, wo Joseph vor ihnen her die Fackel trug. Der Kaunitz ist ein alter Narr, der den Kram versteht und der dich poussiren wird.

– Welcher war der Kaunitz? Ich sah ihn nicht! sagte Consuelo.

– Sahst ihn nicht, Wirrkopf? Er hat ja eine Stunde mit dir geplaudert.

– Doch nicht der kleine Herr in der silber- und rosenfarb gewirkten Weste, der mir so viel vorgeklatscht hat, daß ich mit einer alten Logenschließerin zu reden glaubte?

– Derselbe! Was ist dabei zu verwundern?

– Ei, ich finde das sehr verwundersam, sagte Consuelo; ich habe mir von einem Staatsmanne eine ganz andere Vorstellung gemacht.

– Das macht, weil du nicht siehst, wie das Staatswesen geht. Könntest du da hineinschauen, so würdest du dich nur wundern, daß die Staatsmänner etwas anders als alte Klatschschwestern sein können. Genug, lassen wir das gehen, und treiben wir unser Metier ruhig unter dem Maskenspiel der Welt hin.

Consuelo versank in Gedanken, während sie über das breite Glacis nach der Vorstadt gingen, in welcher ihre bescheidene Wohnung lag.

– Ach, lieber Meister, sagte sie dann, ich fragte mich eben, was aus unserem Metier wird mitten unter diesen kalten oder lügenhaften Masken.

– Was soll daraus werden? rief der Porpora in seiner barschen, abgebrochenen Weise: es hat nichts daraus zu werden. Im Glück oder Unglück, gepriesen oder verachtet bleibt es das schönste, das nobelste Metier der Erde.

– Nun ja, sagte Consuelo, indem sie den stets raschen Schritt ihres Lehrers hemmte und sich an seinen Arm hing, ich sehe ein, daß, die Größe und die Würde unserer Kunst nicht steigt oder fällt je nach den nichtigen Launen und dem schlechten Geschmack der großen Welt. Allein warum lassen wir uns selbst herabziehen? Warum setzen wir uns der Verachtung oder dem was manchmal noch demüthigender ist, den Lobeserhebungen der Uneingeweihten aus? Wenn die Kunst heilig ist, sind nicht auch wir es, ihre Priester und Leviten? Warum leben wir nicht in der Stille unserer Dachstübchen, zufrieden, die Erhabenheit und Schönheit der Musik zu fühlen, zu begreifen? Was haben wir in diesen Salons zu suchen, wo man uns unter Geflüster anhört, wo man mit anderen Dingen im Kopf uns Beifall klatscht, und wo man erröthen würde, wenn wir als Histrionen Staat gemacht haben und fertig sind, uns noch eine Minute als menschliche Wesen bei sich zu dulden?

– Eh, eh! brummte der Porpora, indem er stehen blieb und seinen Stock auf das Pflaster stieß, was für dumme Eitelkeiten und was für falsche Ideen rennen uns denn heute durch den Kopf? Was sind wir, he? Was brauchen wir anderes zu sein als Histrionen? Sie nennen uns verächtlicher Weise so. Was schadet es, wenn wir aus Neigung, aus Beruf, von Gottes Gnaden Histrionen sind, wie sie aus Zufall, aus Nachgiebigkeit oder Feigheit des dummen Haufens große Herrn? Histrionen, Histrionen! das ist nicht wer will. Mögen sie doch einmal probiren es zu sein, und wir werden sehen, wie sie sich dabei benehmen, diese Knirpse die sich für was Rechtes halten!

Laß einmal diese Markgräfin von Bayreuth den tragischen Mantel umwerfen, laß sie einmal ihr häßliches, dickes Bein auf den Kothurn setzen und nur drei Schritte auf den Brettern thun, sie wird uns eine herrliche Prinzessin liefern! Und was glaubst du, daß sie an ihrem kleinen Hof in Erlangen gethan hat, wo sie sich noch für ein regierendes Haupt ansah? Sie hat es probirt, sich als eine Königin heraus zu staffiren, hat Blut und Wasser geschwitzt, um eine Rolle zu spielen die über ihre Kräfte ging. Sie war dazu geboren, ein Hökenweib zu sein, und durch einen lächerlichen Mißgriff hat das Schicksal eine Hoheit aus ihr gemacht. Auch hat sie tausendmal verdient ausgezischt zu werden, als sie die Hoheit ganz verhunzt spielte.

Und dich, dummes Ding, hat Gott zu einer Königin gemacht, er hat dir ein Diadem von Schönheit, Geist und Kraft auf die Stirn gesetzt. Erscheine du inmitten eines freien, geistigen, gefühlvollen Volkes (gesetzt, es gäbe ein solches) und du bist Königin, weil du dich nur hinzustellen und zu singen brauchst um zu beweisen, daß du von Gottes und Rechtswegen Herrscherin bist.

Nun, es ist nicht so; es geht anders in der Welt. Es geht, wie es geht; willst du es ändern? Der Zufall, der Eigensinn, der Irrthum, die Tollheit beherrschen die Welt. Können wir es bessern? Die in ihr gebieten, sie sind meist mißgeschaffen, unsauber, dumm, unwissend: nun gut, man muß sich das Leben nehmen oder mit an dem Strange ziehen. Was weiter? Monarchen können wir nicht sein, so sind wir Künstler, und wir herrschen, auch so.

Wir reden die Sprache des Himmels, die den gemeinen Sterblichen versagt ist; wir kleiden uns als Könige und große Menschen, steigen auf eine Bühne, setzen uns auf einen erdichteten Thron, spielen eine Farçe, sind Histrionen! Corpo d'Iddio! Die Welt sieht das und begreift nichts davon. Sie sieht nicht, daß wir die rechten Gewalthaber der Erde sind und daß unsere Herrschaft allein die wahre ist, während ihre Herrschaft, ihre Gewalt, ihr Treiben, ihre Majestät ein Zerrbild ist, das die Engel dort oben verlachen und die Völker im Stillen hassen und verfluchen.

Und die größten Fürsten der Erde kommen, um uns zu sehen und in unserer Schule zu lernen, und indem sie uns in ihrem Innersten als die Muster der wahren Größe bewundern, suchen sie es uns nachzuthun, wenn sie vor ihren Unterthanen Positur machen.

Geh! die Welt ist verkehrt. Sie fühlen es wohl, sie, die Gebietenden. Und wenn sie sich nicht völlig Rechenschaft darüber geben, wenn sie es noch viel weniger eingestehen, so ist doch an der Verachtung, die sie für uns und unsern Stand sehen lassen, leicht zu merken, daß sie eine geheime Eifersucht verspüren auf unsre wahre Ueberlegenheit.

Oh, wenn ich im Theater bin, dann wird es mir hell vor den Augen. Der Geist der Musik reißt die Decke hinweg und dort hinter der Rampe seh ich einen ächten Hof, ächte Helden, Geistesfunken von ächtem Gepräge; während es wahre Histrionen und elende verkleidete Stümper sind, die sich in den Logen auf sammtenen Stühlen breit machen. Die Welt ist eine Komödie, so viel ist gewiß, und deshalb sagte ich dir: gehen wir, meine edle Tochter, ruhig unseren Weg hin durch diese schändliche Maskerade, Welt geheißen ...

Die Pest über den Tölpel! rief der Maestro Joseph hinwegstoßend, der unvermerkt bis dicht an seinen Elbogen herangekommen war, um ihm zuzuhören: tritt mir der Schlingel auf die Füße und tropft mir das Pech von seiner Fackel auf den Leib! Thut er nicht, als ob er verstände was wir reden und wollte uns mit feinem Applaus beehren?

– Geh hier rechts zu mir her, Beppo, sagte Consuelo, indem sie ihm mit den Augen winkte. Du ärgerst den Maestro durch deine Ungeschicklichkeit.

Dann wendete sie sich wieder zu Porpora und entgegnete:

– Alles was Sie da sagten, ist der Erguß einer edeln Schwärmerei, aber es sagt meiner Denkungsart nicht zu: die Trunkenheit des Stolzes heilt auch nicht die kleinste Herzenswunde. Es hilft mir wenig zu einer Königin ohne Reich geboren zu sein. Jemehr ich diese Großen betrachte, desto mehr flößt mir ihr Loos Mitleid ein ...

– Nun, sagte ich nicht dasselbe?

– Ja, aber es ist nicht das wonach ich fragte. Jene sind gierig nach Schein und Herrschaft. Das ist ihre Thorheit und ihr Elend. Aber wir, wenn wir in Wahrheit größer und besser und weiser sind als sie, warum wollen wir in unserem Wetteifer mit ihnen Stolz gegen Stolz, Herrschaft gegen Herrschaft setzen? Wenn wir dauerhaftere Vorzüge besitzen, wenn wir uns wünschenswertherer und kostbarerer Schätze erfreun, was soll uns dieser kleinliche Kampf mit ihnen, der unsern Werth und unsre Gaben in die Gewalt ihrer Launen liefert und uns auf einerlei Stufe mit ihnen hinabdrückt?

– Die Würde, die Heiligkeit der Kunst fordern es! rief der Maestro. Sie haben aus dem Schauplatz der Welt ein Schlachtfeld und aus unserem Leben eine Marter gemacht. Wir müssen kämpfen, müssen unser Blut aus allen Poren versprützen, um ihnen zu beweisen, noch sterbend in Qualen, erliegend unter ihrem Gehöhn' und Gezische, daß wir Götter sind, legitime Könige zum mindesten, und daß sie niedre Sterbliche sind, freche, elende Usurpatoren.

– O, lieber Meister, wie Sie sie hassen! sagte Consuelo schaudernd. Und dennoch bücken Sie sich vor ihnen, schmeicheln ihnen, nehmen jede Rücksicht, schleichen durch das Nebenthürchen hinaus, nachdem Sie ihnen respectvoll zwei oder drei Schüsseln Ihres Genies aufgetragen haben!

– Ja wohl, ja wohl! antwortete der Maestro, indem er sich bitter lachend die Hände rieb, ich habe sie zum Besten, ich mache meine Reverenz vor ihren Diamanten und Bändchen, und ich vernichte sie mit drei Accorden von meiner Mache und kehre ihnen den Rücken und bin froh, und habe nichts eiligeres zu thun, als von ihren Narrenfratzen los zu kommen.

– Demnach ist der Dienst der Kunst ein Kriegshandwerk? sagte Consuelo.

– Ja wohl, ein Kriegshandwerk. Ehre dem Braven!

– Und ein Spott über die Thorheit der Welt?

– Ja ein Spott. Ehre dem Klugen der ihn recht stachlig zu machen weiß.

– Ein verhaltener Grimm, eine immerwährende innere Wuth?

– Das ist es, Grimm und Wuth. Ehre dem Festen, der nicht müde wird und nie vergiebt.

– Und weiter nichts?

– Weiter nichts in diesem Leben. Gekrönt mit Glorie wird das wahre Genie erst nach dem Tode!

– Weiter nichts in diesem Leben? Meister, weißt du das gewiß?

– Es ist wie ich dir sage.

– Nun, dann ist es erstaunlich wenig! sagte Consuelo seufzend und zu den glänzenden Sternen des klaren, tiefen Himmels aufblickend.

– Wenig? Das wagst du auszusprechen, elende Seele? Wenig? rief der Porpora und blieb abermals stehen, indem er Consuelo's Arm heftig schüttelte, während Joseph vor Schreck die Fackel fallen ließ.

– Wenig, sage ich, ja wohl! antwortete Consuelo ruhig und fest; ich habe Ihnen dasselbe schon in Venedig gesagt, in einem Augenblick als mich ein grausames und für mein Leben entscheidendes Schicksal traf. Ich bin noch derselben Ansicht. Für den Kampf ist mein Herz nicht geschaffen, und die Lasten des Hasses und des Grimmes würde es nicht ertragen. Es ist kein Winkel in ihm, wo Wuth und Rache Wohnung finden könnte. Hinweg ihr schlimmen Leidenschaften, verzehrende Gluten, weit hinweg von mir! Wenn ich Genie und Ruhm nur unter der Bedingung erwarten kann, daß ich euch meine Brust öffne, dann, Ruhm und Genie, fahret wohl! Windet Anderen euere Kränze um die Stirne und entflammet Anderen den Busen. Ich werde mich um eueren Verlust nicht grämen.

Joseph erwartete einen jener Zornausbrüche, die anhaltender Widerspruch bei Porpora hervorzurufen pflegte, und die dann fürchterlich und komisch zugleich waren. Er hielt schon mit der einen Hand Consuelo's Arm gefaßt, um sie von der Seite des Meisters zu entfernen und sie vor einer jener wüthenden Geberden in Sicherheit zu setzen, mit denen der Meister sie oft bedrohte und die doch nie zu etwas anderem führten als ... zu einem Lächeln oder einer Thräne.

Es ging mit diesem Sturme wie gewöhnlich. Porpora stampfte mit dem Fuße, murrte dumpf vor sich hin wie ein Löwe im Käfigt und erhob mit Ungestüm die geballte Faust gen Himmel. Dann ließ er plötzlich seine Arme schlaff am Leibe niederfallen, stieß einen tiefen Seufzer aus, senkte den Kopf auf die Brust, und sagte bis zu Hause kein Wort weiter.

Consuelo's unerschrockener Muth und ihr edler liebevoller Sinn hatten ihm unwillkürlich Achtung abgenöthigt. Er machte vielleicht empfindliche Anwendungen auf sich selbst, aber er gestand es nicht, er war zu alt, zu ergrimmt, zu verhärtet in seinem Künstlerstolz, um sich noch zu bessern. Nur als ihm Consuelo mit einem Kuß gute Nacht wünschte, sah er sie mit trauriger Miene an und sagte mit erstickter Stimme:

– 's ist also aus! du bist nicht mehr Künstlerin, weil die Markgräfin von Bayreuth eine alte Kröte und der Minister Kaunitz ein altes Klatschweib ist!

– Nein, lieber Maestro; das habe ich nicht gesagt, entgegnete Consuelo lachend. Ich kann wohl alle Unverschämtheiten und Lächerlichkeiten der Welt ruhig hinnehmen: ich brauche dazu weder Haß noch Abscheu, nur mein gutes Gewissen und meinen guten Humor. Ich bin zur Künstlerin geboren und werde es immer sein. Ich denke mir ein anderes Ziel, einen anderen Zweck der Kunst, als hochmüthige Nebenbuhlerei und erniedrigende Rache. Ich habe etwas anderes das mich treibt und mir keine Ruhe lassen wird.

– Was für anderes, was? rief Porpora indem er seinen Leuchter, den ihm Joseph gereicht hatte, auf den Tisch im Vorzimmer setzte. Ich will wissen, was.

– Mich treibt das Verlangen, den Menschen die Kunst verständlich, lieb und werth zu machen, ohne ihnen Ursach zu geben, daß sie den Künstler scheuen und hassen müssen.

Der Porpora zuckte die Achseln.

– Jugendträume, sagte er, die ich ebenfalls gehabt habe.

– Nun wohl, ist mein Gedanke ein Traum, erwiderte sie, so ist der stolze Triumph ein anderer. Traum gegen Traum! der meinige ist mir lieber. Und dann treibt mich auch noch etwas, Meister! der Wunsch, dir zu gehorchen und dir Freude zu machen.

– Kein wahres Wort! kein wahres Wort! rief Porpora aus und nahm ärgerlich sein Licht und ging zur Thür; kaum aber hatte er die Hand auf den Drücker gelegt als er umkehrte und Consuelo umarmte, die lächelnd diese Gegenwirkung seines Gefühls erwartete.

In der Küche, welche an Consuelo's Kammer stieß, war eine kleine Treppe, eigentlich nur eine Leiter, welche auf eine Art Terrasse oder Platform von 6 Fuß im Gevierte hart am Dache führte. Sie pflegte diese zu benutzen, um daselbst die Jabots und Manschetten des Porpora, wenn sie dieselben gewaschen hatte, zum Trocknen aufzuhängen. Bisweilen ging sie auch Abends hinauf, um mit Beppo zu plaudern, wenn der Maestro früh zu Bette gegangen war und sie noch keine Lust zum Schlafen hatte. In ihrer Kammer konnte sie sich nicht beschäftigen, weil diese zu eng war, um einen Tisch zu fassen, und im Vorzimmer wollte sie sich nicht niederlassen, aus Furcht ihren alten Freund zu wecken: daher stieg sie auf die Platform, entweder um allein dort ihren Gedanken nachzuhängen und den Sternenhimmel anzuschauen, oder um dem Gefährten ihrer Pflicht und Hingebung die kleinen Erlebnisse des Tages mitzutheilen.

An diesem Abend hatten sie beide einander tausend Dinge zu erzählen. Consuelo wickelte sich in einen Pelzmantel, dessen Capouchon sie über den Kopf zog um keine Heiserkeit davonzutragen und stieg zu Beppo hinauf, der sie schon mit Ungeduld erwartete. Die Unterredungen Abends auf dem Dache riefen ihr aus ihrer Kindheit das nächtliche Geplauder mit Anzoleto ins Gedächtniß zurück; es war nicht der Mond von Venedig, es waren nicht Venedigs malerische Dächer, es waren nicht jene von Liebe und Hoffnung glühenden Nächte, es war vielmehr die deutsche, träumerische und kältere Nacht, der dunstigere, ernstere deutsche Mond, es war die Freundschaft mit ihrer wohlthuenden, sanften Ruhe, ohne die Gefahren und Erschütterungen der Leidenschaft.

Nachdem Consuelo alles erzählt, was bei der Markgräfin ihre Aufmerksamkeit erregt, was sie verletzt, was sie belustigt hatte, und an Joseph die Reihe des Erzählens war, begann er:

– Du hast von den Heimlichkeiten dieses Hoflebens nur die Umschläge und die petschirten Siegel gesehen, aber wie die Lakaien in die Briefe ihrer Herrn zu gucken pflegen, so habe ich im Vorzimmer das Leben der Großen inwendig kennen gelernt. Ich will dir nicht die Hälfte von den Geschichten wiedererzählen die über die Markgräfin im Schwange gehen. Du würdest schaudern vor Ekel und Entsetzen. Ach! wüßten nur die Weltleute, wie ihre Bedienten von ihnen reden! Hörten sie aus jenen prächtigen Sälen, in denen sie unter so vielen Ehrenbezeigungen einherstolziren, die Urtheile die jenseits der Wand über ihre Sitten und ihren Charakter gefällt werden!

Als uns der Porpora auf dem Glacis sein System von Haß und Kampf wider die Mächtigen der Erde vortrug, war die wahre Würde nicht in ihm. Er ließ sich durch Bitterkeit irre leiten. Und wohl hattest du Recht ihm zu sagen, daß er, indem er sich einbildete, jene Vornehmen durch seine Verachtung zu vernichten, sich zu derselben Stufe, auf der sie stehn, erniedrige. Ja, ja, er hatte nicht die Reden der Bedienten im Vorzimmer gehört; hätte er diese gehört, so würde er inne geworden sein, daß das Verstecken des persönlichen Stolzes und der Verachtung Anderer unter scheinbarem Respect und unterwürfigen Formen niedrigen und verderbten Seelen eigen ist.

Es war schön, es war originell, als der Porpora seinen Stock auf das Pflaster stieß und rief: Muth! Feindschaft! verzehrenden Spott! ewige Rache! Aber dein verständiges Wort war schöner als sein Rasen, und es traf mich um so mehr, als ich eben erst Lakaien, elende Augenknechte, feige Sklaven gesehen hatte, die ebenso mit eitler innerlicher Wuth vor meinen Ohren schrieen: Rache! Verrath! Ueberlistung! Ewigen Schaden, ewige Feindschaft den Herren, die sich uns überlegen dünken, während wir ihre Schande unter die Leute bringen.

Ich bin nie Lakai gewesen, Consuelo, und da ich es jetzt in der Art bin, wie du auf der Reise ein Bub gewesen bist, so habe ich über die Pflichten meines Standes, wie du siehst, Betrachtungen angestellt.

– Du hast wohl gethan, Beppo! antwortete die Porporina. Das Leben ist ein großes Räthsel, und man muß nicht den kleinsten Umstand sich entgehen lassen ohne ihn sich zu entziffern. Es ist immer dann doch ein Stück davon errathen. Aber sage, hast du dort etwas von dieser Prinzessin gehört, der Tochter der Markgräfin, die mir unter allen den geputzten, geschminkten, possenhaften Kreaturen allein natürlich, gut und ernst erschien.

– Ob ich etwas von ihr gehört habe? O gewiß! Und nicht erst heut Abend, sondern schon oft von Keller, der ihre Hofmeisterin frisirt und ihre Geschichte Punkt für Punkt weiß. Was ich dir erzählen werde, ist keine Antichambregeschichte, kein Lakaiengeschwätz, sondern offenkundige Wahrheit. Aber es ist eine schauderhafte Geschichte; hast du den Muth sie zu hören?

– Ja, denn ich nehme großen Antheil an diesem armen Geschöpf, das den Stempel des Unglücks auf der Stirn trägt. Zwei, drei Worte von ihr habe ich erhascht, aus denen ich abnahm, daß sie ein Opfer des Weltlebens, eine Beute seiner Ungerechtigkeiten sein müsse.

– Sage ein Opfer der frevelhaften Bosheit und eine Beute der unnatürlichsten Schändlichkeit. Die Prinzessin von Culmbach (das ist ihr Titel) ist in Dresden bei ihrer Tante, der Königin von Polen erzogen worden und dort hat der Porpora sie kennen gelernt und ihr, wie ich glaube, ebenso wie ihrer Cousine, der Grande Dauphine von Frankreich einigen Unterricht gegeben. Die junge Prinzessin von Culmbach war schön und klug; entfernt von einer ausschweifenden Mutter, und unter den Augen einer strengen und tugendhaften Königin erzogen, schien sie dazu bestimmt, glücklich und in Ehren zu leben.

Der Markgräfin, jetzigen Gräfin Hoditz beliebte es anders. Sie ließ sie zu sich kommen und that als ob sie sie vermählen wollte, bald mit einem ihrer Verwandten, einem der ebenfalls Markgraf von Bayreuth Markgraf Georg Friedrich Carl, nachmals regierender Markgraf, Schwiegervater der Prinzeß Friederike von Preußen. – D. U. war, bald mit einem andern Verwandten, auch einem Prinzen von Culmbach; denn diese fürstliche Familie zählt weit mehr Prinzen und Markgrafen, als sie Dörfer oder Schlösser besitzt, um sie zu apanagiren. Die Schönheit und die Sittsamkeit der Prinzessin verursachten ihrer Mutter eine tödtliche Eifersucht, und das teuflische Weib beschloß, die Tochter in Schande zu stürzen, um ihr die Liebe und die Achtung ihres Vaters, des Markgrafen Georg Wilhelm zu rauben. Das ist der dritte Markgraf; ich kann nicht dafür daß ihrer so viele in dieser Geschichte vorkommen. Für Liebhaber von Genealogien oder von äußerster Deutlichkeit will ich doch den markgräflichen Knäuel ein wenig zu entwirren suchen. Der Markgraf Georg Wilhelm, der Gemahl der nachmaligen Gräfin Hoditz, hatte einen einzigen Sohn, der als Kind starb. Sein nächster Erbe war daher ein Vetter von ihm, Markgraf Heinrich von Bayreuth, apanagirter Prinz von Culmbach; da dieser aber auch schon todt war, als sein regierender Vetter starb, so kam die Regierung an seinen ältesten Sohn Georg Friedrich Carl, dessen Sohn Heinrich die Prinzessin Friederike, Friedrichs des II. Schwester heiratete. – Des Georg Friedrich Carl Bruder war ein Prinz Albert von Culmbach, der in kaiserlichen Diensten Generallieutenant war. Des jüngern Heinrich Bruder war Prinz Wilhelm von Culmbach. – D. U.

Genug, es sollte von allen keiner für die Prinzessin von Culmbach sein. Ihre Mutter ließ einem Kammerherrn ihres Gemahls, einem gewissen Vobser viertausend Dukaten versprechen, wenn er es dahin bringen würde, ihre Tochter zu entehren. Nachdem Vobser lange vergeblich der Prinzessin den Hof gemacht und nichts geerntet hatte als Zurückweisung und Verachtung, versteckte die Mutter selber eines Abends den Vobser in dem Schlafzimmer der Prinzessin. Die Bedienten waren bestochen, die Thür wurde verschlossen, der Pallast hatte keine Ohren für das Angstgeschrei der Prinzessin, ihre Mutter hütete die Thür ...

Consuelo, du schauderst! Und doch ist es noch nicht Alles. Die Prinzessin von Culmbach kam mit Zwillingen nieder. Die Markgräfin nahm diese, trug sie im ganzen Schlosse herum, zeigte sie der ganzen Hofbedienung und schrie: Seht, das sind die Kinder, die meine schamlose Tochter zur Welt gebracht hat! Während dieses schauderhaften Auftritt starben die beiden Kinder beinah unter den Händen der Markgräfin. Diese scheußliche Geschichte ist oben im Texte eher gemildert als ins Schrecklichere gemalt. Sie ist Punkt für Punkt aus den Memoiren der Prinzessin Friederike entnommen. Diese sagt aber wörtlich: »Die Markgräfin hatte so viel mit den beiden Kindern gespielt, daß sie beide starben.« – D. U.

Vobser, der vor dem Zorne des Markgrafen entflohen war, hatte die Unverschämtheit, einen langen Brief an die Markgräfin zu schreiben, in welchem er seine viertausend Dukaten forderte. Der unglückliche Vater, schon halb stumpf, wurde es durch dieses grausame Schicksal ganz und starb bald darauf an den Folgen der Gemüthserschütterung und des Grams.

Die Prinzessin von Culmbach wurde auf Befehl der Königin von Polen in dem Schloß Plassenburg gefangen gesetzt. Kaum aus dem Wochenbette genesen, wurde sie dorthin transportirt und verlebte mehre Jahre in strengem Gewahrsam.

Sie würde wohl noch in ihrem Kerker sein, wenn sich nicht einige katholische Priester bei ihr eingeschlichen hätten, welche ihr den Schutz der Kaiserin Amalie zusagten für den Fall, daß sie den lutherischen Glauben abschwöre. Sie gab dem Zureden dieser Priester und dem Wunsche ihre Freiheit wieder zu erlangen nach, wurde aber doch erst in Freiheit gesetzt, als die Königin von Polen gestorben war. Sie ließ sich bald darauf durch Gewissenszweifel bewegen, zur Religion ihrer Väter zurückzukehren.

Der Markgraf von Bayreuth lud sie an seinen Hof, und ließ sie ihrem Range gemäß empfangen. Sie erwarb sich durch ihre Tugenden und durch ihr sanftes und verständiges Wesen die Liebe und die Achtung Aller.

Es ist eine gebrochene Seele, aber immer noch eine schöne Seele, und obgleich sie am Wiener Hofe wegen ihres Rücktritts zur lutherischen Kirche nicht wohl angesehen ist, wagt doch Niemand die Unglückliche zu kränken; Niemand kann ihr Böses nachsagen, nicht einmal die Lakaien können es.

Sie ist nur auf der Durchreise hier, ich weiß nicht wegen welches Geschäftes; gewöhnlich lebt sie in Bayreuth, an dem kleinen Hofe der jungen Markgräfin Friederike von Preußen.

– Deshalb also, sagte Consuelo, hat sie mir so viel von diesem Lande erzählt und mich so sehr aufgemuntert, dorthin zu gehen. Ach! was für eine Geschichte, Joseph! was für ein Weib die Gräfin Hoditz! Nie, nie wird mich der Porpora wieder zu ihr schleppen, nie wieder werde ich für sie singen.

– Und doch können Sie die reinsten und achtungswerthesten Frauen vom Hofe bei ihr finden. So geht es in der Welt, wie man mir versichert. Der Name, der Reichthum bedecken alles, und wenn man nur in die Messe geht, so erfährt man hier eine bewundernswürdige Toleranz.

– Der Hof hier ist also wohl sehr heuchlerisch? sagte Consuelo.

– Ich fürchte, unter uns gesagt, entgegnete Joseph mit leiserer Stimme, daß unsere große Maria Theresia es ein wenig ist.

3.

Nach einigen Tagen welche der Porpora gut benutzt hatte, um zu rütteln und zu intriguiren nach seiner Weise, d. h. rechts und links hin drohend, polternd, spöttelnd, wurde Consuelo von Meister Reutter (dem ehemaligen Lehrer des jungen Haydn) in die kaiserliche Kapelle geführt und sang vor Maria Theresia die Partie der Judith in dem Oratorium Betulia liberata, Text von Metastasio, Musik von dem nämlichen Reutter. Consuelo war glänzend, und Maria Theresia geruhte zufrieden zu sein.

Nach Beendigung des heiligen Concerts wurde Consuelo eingeladen, mit den übrigen Sängern, unter denen auch Caffariello war, in einem Saale des Palastes an einem Mahl Theil zu nehmen, bei welchem Reutter den Vorsitz führte. Sie hatte kaum zwischen diesem und dem Porpora Platz genommen, als ein Geräusch, welches, rasch und feierlich zugleich, aus der anstoßenden Galerie kam, alle Gäste zittern machte, außer Consuelo und Caffariello, welche in lebhaftem Streit über das Tempo eines Chors begriffen waren.

– Niemand als der Maestro selbst kann entscheiden, sagte Consuelo, sich zu Reutter umwendend.

Aber sie sah weder Reutter zu ihrer Rechten, noch Porpora zu ihrer Linken: alle Welt war vom Tische aufgestanden und hatte sich mit durchdrungenen Mienen in Reihe und Glied gestellt. Consuelo sah dicht vor sich eine Frau von etwa dreißig Jahren, schöner Frische und lebendigem Wesen, schwarz gekleidet (Kapellentracht) und begleitet von sieben Kindern, deren eines sie bei der Hand hielt. Dieses letztere war der Thronerbe, der junge Caesar Joseph II. und die schöne Frau mit dem leichten Anstand und dem huldvollen und scharfen Blick war Maria Theresia.

Ecco la Giuditta? fragte die Kaiserin Reutter. Ich bin sehr mit Ihr zufrieden, mein Kind! setzte sie hinzu, Consuelo von oben bis unten musternd. Sie hat mir wahrhaftes Plaisir gemacht und habe die hohe Schönheit der Verse unseres Poeten nie mehr empfunden als von Ihren melodischen Lippen. Sie prononcirt sehr deutlich, und das ist eine Sach für die ich ganz besonders importirt bin. Wie alt ist Sie, Mademoiselle? Sie ist aus Venedig? Schülerin des celèbren Porpora? Wünscht ein Engagement bei dem Hoftheater? Es wird nicht fehlen, daß Sie darauf brillirt, Herr von Kaunitz protegirt Sie.

Nachdem die Kaiserin alle diese Fragen gethan, ohne Consuelo's Antwort abzuwarten und dabei abwechselnd Metastasio und Kaunitz, die sie begleiteten, angesehen hatte, winkte sie einem ihrer Kammerherrn und dieser übergab Consuelo ein ziemlich reiches Armband. Ehe noch Consuelo daran denken konnte zu danken, war Maria Theresia schon durch den Saal, hatte schon den Glanz ihrer kaiserlichen Stirn ihren Blicken entzogen. Sie entfernte sich mit ihrem königlichen Gefolge von Fürsten und Erzherzoginnen, an jeden der Musiker, den sie erreichen konnte, ein geneigtes und huldvolles Wort richtend und gleichsam eine leuchtende Spur in den von ihrer Herrlichkeit und Macht geblendeten Augen zurücklassend.

Caffariello war der einzige der kaltblütig blieb oder zu bleiben affectirte: er nahm sein Gespräch mit Consuelo gerade wieder da auf, wo er es gelassen hatte; und Consuelo, welche das Armband eingesteckt hatte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, fing wieder an, ihre Sache gegen ihn zu vertheidigen, zu großem Erstaunen und Aergerniß der übrigen Musiker, die tiefgebückt und bezaubert von dem Glanzbild der kaiserlichen Erscheinung nicht begriffen wie man diesen ganzen Tag nur an etwas anderes denken könne.

Wir brauchen nicht zu sagen, daß der Porpora allein in seinem Herzen, aus Instinct wie aus Grundsatz, eine Ausnahme machte von der allgemeinen Unterthänigkeitswuth. Er wußte sich vor Souverainen schicklich gebückt zu halten, aber in seinem Innern verspottete und verachtete er alle Sklavenseelen.

Meister Reutter, von Caffariello über das streitige Chortempo befragt, biß sich mit heuchlerischer Miene in die Lippen, ließ sich mehrmals fragen, und antwortete endlich sehr kalt:

– Ich gestehe Ihnen, mein Herr, daß ich nicht bei Ihrem Gespräche bin. Wenn Maria Theresia vor meinen Augen ist, so vergesse ich die ganze Welt, und noch lange nach ihrem Verschwinden bin ich in einer Aufregung, die mich verhindert, an mich selbst zu denken.

– Mademoiselle scheint nicht gerade betäubt von der ausgezeichneten Ehre, welche sie uns verschafft hat, sagte Herr Holzbauer, der zugegen war und der in seine Flachheiten etwas mehr Feinheit und Haltung zu legen wußte als Reutter. Sie sind dafür geschaffen, Signora, mit gekrönten Häupten zu reden. Man sollte denken, daß Sie in Ihrem ganzen Leben nichts anderes gethan hätten.

– Ich habe noch nie mit einem gekrönten Haupte gesprochen, antwortete Consuelo ruhig, ohne zu bemerken, was ihr Holzbauer unterzuschieben suchte; und auch Ihre Majestät hat mir dazu keine Gelegenheit gegeben; sie schien, als sie mich fragte, mir die Ehre verwehren oder die Verlegenheit ersparen zu wollen, ihr zu antworten.

– Und hättest wohl recht gewünscht mit der Kaiserin zu conversiren! sagte Porpora hämisch.

– Nein, antwortete Consuelo unbefangen, ich habe nie einen solchen Wunsch gehabt.

– Weil vermuthlich Mademoiselle mehr Gleichgültigkeit als Ambition besitzt, fiel Reutter mit kalter Verachtung ein.

– Herr Reutter, sagte Consuelo mit zutraulichem und ungezwungenem Tone, sind Sie unzufrieden gewesen mit der Art, wie ich Ihre Musik vorgetragen habe?

Reutter bekannte, daß Niemand sie je besser gesungen hätte, selbst unter der Regierung des »hochseligen und unvergeßlichen« Carls VI.

– Nun dann, sagte Consuelo, müssen Sie mir auch nicht vorwerfen, daß ich gleichgültig sei. Ich habe die Ambition, meinen Meistern zu genügen, ich habe die Ambition, meine Sache gut zu machen: welche andere Ambition könnte ich haben? welche andere würde meinerseits nicht lächerlich und übel angebracht sein?

– Sie sind zu bescheiden, Mademoiselle, entgegnete Holzbauer. Keine Ambition geht zu weit für ein Talent wie das Ihrige.

– Ich nehme das für ein sehr galantes Compliment, antwortete Consuelo, aber erst dann werde ich glauben, daß ich Sie einigermaßen zufrieden gestellt habe, wenn Sie mich einladen werden auf dem Hoftheater zu singen.

Holzhauer, gefangen ungeachtet seiner Vorsicht, bekam einen Husten, um der Antwort überhoben zu sein, und zog sich durch eine verbindliche und achtungsvolle Verneigung aus dem Handel. Indem er dann sogleich die Unterhaltung wieder in ihren früheren Kreis zurücklenkte, sagte er:

– Sie besitzen in der That eine Ruhe und eine Uneigennützigkeit ohne Beispiel: Sie haben das schöne Armband, womit Ihre Majestät Sie beschenkt hat, nicht einmal angesehen.

– Es ist ja wahr! sagte Consuelo und zog es hervor, um es ihren Nachbarn zu reichen, die begierig waren es zu sehen und seinen Werth zu schätzen.

Werde ich doch wenigstens Holz kaufen können für meines Lehrers Ofen, wenn ich diesen Winter kein Engagement haben sollte! dachte Consuelo; ein kleines Pensiönchen würde uns besser dienen als Schmucksachen und Tändeleien.

– Wie himmlisch schön ist doch Ihre Majestät! sagte Reutter mit einem de- und wehmüthigen Seufzer, indem er zugleich Consuelo mit einem harten Blick von der Seite ansah.

– Ja, sie schien mir sehr schön, antwortete das Mädchen, ohne auf die Stöße von Porpora's Ellbogen zu achten.

Schien Ihnen? entgegnete Reutter. Sie sind difficile.

– Ich hatte kaum Zeit, sie recht anzusehen. Sie ging so schnell vorüber.

– Aber ihr blendender Geist, dieses Genie das jede Silbe offenbart, die von ihren Lippen kommt!

– Ich hatte in der That kaum Zeit, darüber zu urtheilen: sie sprach so wenig.

– Kurz und gut, Mademoiselle, Sie sind von Eisen und Stahl. Ich weiß nicht was Sie brauchen, um in Feuer zu kommen.

– Ich brauche dazu nichts, als Ihre Judith zu singen, antwortete Consuelo, die bei Gelegenheit auch spitzig sein konnte und das Mißwollen der Wiener Herren gegen sie zu merken anfing.

– Das Mädchen hat Verstand bei aller ihrer scheinbaren Einfachheit, sagte Holzbauer Reuttern ins Ohr.

– Porpora's Schule! antwortete dieser. Hohn und Bosheit!

– Wenn man sich nicht vorsieht, versetzte Holzhauer, so werden wir wieder tiefer als jemals in das alte Recitativ und den stile osservato hineingerathen. Aber seid ruhig, ich werde schon dafür sorgen, daß diese Porporinerei nicht zu Worte komme.

Als man vom Tische aufstand, sagte Caffariello leise zu Consuelo:

– Siehst du das Volk da, Kind? lauter Canaille! Du wirst hier Mühe haben, etwas auszurichten. Sie sind alle gegen dich. Sie würden es ebenso gegen mich sein, wenn sie nur dürften.

– Was haben wir ihnen aber gethan? fragte Consuelo erstaunt.

– Wir sind Schüler des größten Singmeisters den die Welt gehabt hat. Sie und ihre Kreaturen sind unsere natürlichen Feinde. Sie werden Maria Theresia gegen dich einnehmen; jedes Wort von dir wird ihr mit boshaften Commentaren hinterbracht werden. Man wird ihr sagen, du habest sie nicht schön gefunden, habest ihr Geschenk verachtet. Ich kenne alle diese Schliche. Aber kehre dich nicht daran! Ich werde dich Allen zum Trotze in meinen Schutz nehmen, und in Musiksachen gilt, denk' ich, Caffariello's Meinung so viel als der Kaiserin ihre.

– Da bin ich gut gebettet zwischen der Schlechtigkeit der Einen und der Narrheit der Anderen! dachte Consuelo, während sie ging. O Porpora!, sagte sie in ihrem Herzen, ich werde mein Möglichstes thun, die Bretter wieder zu besteigen! O Albert! ich hoffe, es wird mir nicht gelingen!

Am andern Morgen mußte Porpora in die Stadt gehen, wo er den ganzen Tag zu thun hatte, und da er Consuelo ein wenig blaß fand, so schlug er ihr vor, mit Kellers Frau, die ihr angeboten hatte, sie so oft es ihr beliebte, zu begleiten, einen Spaziergang nach der »Spinnerin am Kreuz« zu machen.

Sobald der Meister fort war, sagte Consuelo:

– Beppo! geh geschwind und verschaff' einen Fiaker, wir wollen beide Angelika besuchen und dem Kanonikus Dank sagen. Wir hatten freilich versprochen, es eher zu thun, aber mein Schnupfenfieber wird uns zur Entschuldigung dienen.

– Und in welcher Kleidung werden Sie sich dem Kanonikus vorstellen? sagte Beppo.

– In dieser! antwortete sie.Der Kanonikus muß mich schon in meiner wahren Gestalt kennen lernen und aufnehmen.

– O der gute Kanonikus! Ich freu mich von Herzen, ihn wiederzusehen.

– Ich auch.

– Der arme gute Kanonikus! Es thut mir leid, wenn ich denk ...

– Was denn?

– Daß er ganz verwirrt im Kopfe werden wird.

– Weshalb? Bin ich eine Göttin? Ich dächte nicht.

– Consuelo, erinnern Sie sich, daß er schon drei Viertel närrisch gewesen ist, als wir weggegangen sind.

– Nun, und ich sage dir, es wird für ihn genug sein, wenn er weiß, daß ich eine Frau bin, und mich so sieht wie ich bin, um seinen Willen wieder in seine Gewalt zu bringen und wieder das zu werden, wozu ihn der liebe Gott gemacht hat, ein vernünftiger Mann.

– Es ist wahr, das Kleid thut etwas. Ich selbst, als ich Sie hier in ein Fräulein verwandelt gesehen hab, nachdem ich mich vierzehn Tage lang daran gewöhnt hab, dich für einen Buben anzusehn ... ich hab etwas gespürt, ich weiß selbst nicht was, eine Furcht, eine Genirtheit, daß ich selber nicht gewußt hab, wie mir geschehn ist ... Und doch während der Reise wenn ich mich in Sie hätt' verlieben dürfen ... aber du wirst sagen, daß ich Unsinn red' ...

– Gewiß, Joseph, das thust du, und was schlimmer ist, du verlierst mit dem Reden Zeit. Wir haben zehn Stunden bis zu der Priorei und zurück. Es ist acht Uhr und um sieben Uhr müssen wir zum Abendbrot des Meisters wieder da sein.

Drei Stunden später stiegen Beppo und seine Gefährtin am Thore der Priorei aus. Es war ein schöner Tag; der Kanonikus betrachtete seine Blumen mit schwermüthigen Mienen. Als er Joseph erblickte, stieß er einen Freudenschrei aus und rannte ihm entgegen; bestürzt blieb er aber stehen, als er seinen lieben Bertoni in Frauenkleidern erkannte.

– Bertoni, mein geliebtes Kind, rief er in seiner frommen Unschuld, was bedeutet diese Maskerade, warum kommst du so verkleidet zu mir? Es ist doch nicht Karneval! ...

– Mein ehrwürdiger Freund, entgegnete Consuelo, seine Hand küssend, Ew. Hochwürden müssen mir verzeihen, daß ich Sie hintergangen habe. Bertoni hat in Wahrheit nie existirt, und damals, als ich das Glück hatte, Sie kennen zu lernen, bin ich wirklich verkleidet gewesen.

– Wir glaubten, fiel Joseph ein, welcher fürchtete, daß die Bestürzung des Kanonikus in Mißvergnügen übergehen möchte, wir glaubten, daß Ew. Hochwürden sich von unserer unschuldigen List nicht hätten hintergehen lassen. Diese Finte ist nicht erdacht gewesen, um Sie zu betrügen, es war eine von den Umständen auferlegte Nothwendigkeit und wir sind immer in der Meinung gewesen, daß der Herr Kanonikus aus Großmuth und Schonung darauf eingegangen.

– Das habt ihr geglaubt? sagte der Kanonikus erschrocken; und Sie Bertoni ... ich wollte sagen, Mademoiselle, Sie haben es ebenfalls geglaubt?

– Nein, Herr Kanonikus, antwortete Consuelo, ich habe es nicht einen Augenblick geglaubt. Ich habe deutlich gesehen, daß Ew. Hochwürden von der Wahrheit keine Ahnung hatten.

– Sie lassen mir Gerechtigkeit widerfahren, sagte der Kanonikus mit fast strengem aber sehr wehmüthigem Tone, ich kann der Ehrlichkeit nichts abdingen, und wenn ich Ihr Geschlecht vermuthet hätte, so würde ich niemals darauf gedrungen haben, wie ich that, Sie bei mir zu behalten. Es lief in der That ein dunkles Gerücht in dem benachbarten Dorfe um, und sogar unter meinen Leuten, ein Verdacht, über den ich lachte, so hartnäckig war ich in meinem Irrthume. Es wurde nämlich gesagt, daß einer der beiden jungen Musikanten, die am Feste des Schutzheiligen die Messe sangen, ein verkleidetes Frauenzimmer gewesen wäre. Dann aber hieß es wieder, daß der Schuster Gottlieb dies nur aus Bosheit ausgesprengt habe, um dem Pfarrer einen Schrecken einzujagen und ihm Verdruß zu machen. Endlich habe ich selbst mit aller Zuversicht dem Leumund widersprochen. Ihr sehet, daß ich vollständig euer Narr gewesen bin, so vollständig man es nur fein kann

– Es hat in dieser Sache allerdings eine starke Täuschung obgewaltet, Herr Kanonikus, aber kein zum Narren haben, sagte Consuelo mit der Zuversicht des Selbstgefühles. Ich glaube mich keinen Augenblick von der Achtung entfernt zu haben, die Ihnen gebührt, noch von dem Anstande, welchen das Schicklichkeitsgefühl fordert. Ich befand mich in jener Nacht ohne Obdach auf der Landstraße, nach einem langen Marsch zu Fuße von Durst und Müdigkeit überwältigt. Sie würden einer Bettlerin die Gastfreundschaft nicht versagt haben. Sie haben sie mir im Namen der Musik gezollt, und mit Musik habe ich die Zeche bezahlt. Wenn ich nicht wider Ihren Willen sogleich am nächsten Morgen abgereist bin, so ist die Schuld davon unerwarteten Umständen beizumessen, welche mir eine Pflicht von größerem Gewicht als alle übrigen auferlegten. Meine Feindin, meine Nebenbuhlerin, meine Verfolgerin war vor Ihrer Thür aus den Wolken gefallen, und hatte hülflos und ohne Pflege wie sie war, Anspruch auf meine Pflege und Hülfe. Sie erinnern sich, hochwürdiger Herr, des Weiteren, und wenn ich von Ihrem Wohlwollen Gebrauch machte, so wissen Sie, daß es nicht meinetwegen geschah. Sie wissen, daß ich mich entfernt habe, sobald nur meine Pflicht erfüllt war, und wenn ich heut wiederkehre, um Ihnen für die Güte, mit welcher Sie mich überhäuft haben, in Person zu danken, so geschieht dies, weil meine Gewissenhaftigkeit es mir zur Pflicht machte, Sie selbst zu enttäuschen und Ihnen die Aufschlüsse zu geben, welche unsere beiderseitige Würde erheischt.

– In dem allen, sagte der Kanonikus schon halb überzeugt, liegt etwas Räthselhaftes und Außerordentliches. Sie haben die Unglückliche, deren Kind ich adoptirt habe, Ihre Feindin, Ihre Nebenbuhlerin genannt. Wer sind Sie denn, Bertoni? Verzeihen Sie, wenn dieser Name mir immer wieder auf die Lippen kommt, und sagen Sie mir, wie ich Sie hinfort nennen muß.

– Man nennt mich die Porporina, entgegnete Consuelo. Ich bin Zögling des Porpora, bin Sängerin. Ich gehöre dem Theater an.

– Nun ja, schön, schön! sagte der Kanonikus mit einem tiefen Seufzer. Ich hätte es nach der Art wie Sie Ihre Rolle gespielt haben, vermuthen sollen, und was Ihre erstaunliche Fertigkeit in der Musik betrifft, so darf ich mich nun nicht mehr darüber wundern: Sie sind in guter Schule gewesen. Darf ich fragen, ob Herr Beppo Ihr Bruder ist oder Ihr Gemahl?

– Keines von Beidem. Er ist mein Bruder dem Herzen nach, nichts weiter als mein Bruder, Herr Kanonikus! und wenn sich meine Seele nicht so rein gefühlt hätte wie die Ihrige, glauben Sie mir, ich würde Ihre Wohnung nicht mit meiner Gegenwart besudelt haben.

Consuelo hatte im Aussprechen der Wahrheit einen Ton, dem sich nicht widerstehen ließ und dessen Gewalt der Kanonikus fühlte, wie denn reine und ehrliche Seelen für die Aufrichtigkeit Anderer stets ein sicheres Gefühl haben. Er fühlte sich wie von einer ungeheuern Last befreit und während er langsam zwischen seinen beiden jungen Schützlingen einherging, befragte er Consuelo weiter mit Freundlichkeit und mit zurückkehrender Zuneigung, die er allmählig in sich zu bekämpfen vergaß.

Sie erzählte ihm in Kurzem und ohne Jemanden zu nennen, die vornehmsten Begebenheiten ihres Lebens, ihre Verlobung mit Anzoleto am Todesbette ihrer Mutter, Anzoleto's Untreue, den Haß der Corilla, die beleidigenden Absichten Zustiniani's, Porpora's Rath, ihre Abreise von Venedig, Albert's Neigung zu ihr, die Anträge der Familie Rudolstadt, ihre Bedenken und Zweifel, ihre Flucht aus dem Schlosse, ihr Zusammentreffen mit Joseph Haydn, ihre Reise, ihren Abscheu und ihr Mitleid an dem Schmerzenslager der Corilla, ihre dankbare Freude über die Aufnahme die der Kanonikus dem Kinde Anzoleto's in sein Haus bewilligt, endlich ihr Eintreffen in Wien und zuletzt noch ihre Begegnung vom vorigen Tage mit Maria Theresia.

Joseph hatte noch nicht Consuelo's ganze Geschichte gewußt: sie hatte von Anzoleto nie mit ihm gesprochen, und die wenigen Worte, welche sie über ihre ehemalige Liebe zu diesem Elenden hingeworfen hatte, waren ihm nicht besonders aufgefallen; aber ihre Großmuth in Betreff der Corilla und ihre Sorge um deren Kind machten einen so tiefen Eindruck auf ihn, daß er sich abwendete, um seine Thränen zu verbergen.

Der Kanonikus hielt die seinigen nicht zurück. Consuelo's Erzählung, kurz, kräftig und schlicht, wirkte auf ihn wie ein schöner Roman, den er läse, gewirkt haben würde, und er hatte in der That noch keinen gelesen, es war das erste Mal in seinem Leben, daß er tief in die Seelenzustände anderer Menschen hineingezogen wurde. Er hatte sich auf eine Bank gesetzt, um besser zuzuhören, und als das junge Mädchen geendet hatte, rief er aus:

– Wenn das alles wahr ist, wie ich denn glaube, daß es ist, wie denn mein Herz es mir, durch den Willen Gottes zu bestätigen scheint, so sind Sie eine heilige Jungfrau ... ja, Sie sind Sancta Cäcilia, die wieder auf Erden erscheint! Ich will Ihnen offen gestehen, daß ich nie ein Vorurtheil gegen das Theater gehabt habe, setzte er hinzu, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, und Sie geben mir den Beweis, daß man dort so gut als anderswo sein Seelenheil anbauen kann. Gewiß, wenn Sie so rein und großmüthig bleiben, als Sie bis jetzt gewesen sind, so werden Sie den Himmel verdient haben, lieber Bertoni! ... ich sage Ihnen wie ich es denke, liebe Porporina!

– Nun aber, Herr Kanonikus, sagte Consuelo, indem sie aufstand, erzählen Sie mir, bevor ich Ihnen Lebewohl sage, wie es unserer Angelika geht.

– Angelika ist wohl und nimmt sichtlich zu, antwortete der Kanonikus. Meine Gärtnerin wartet sie mit der größten Sorgfalt ab, und ich sehe stets, wie sie sie im Garten herumträgt. Mitten unter Blumen wird sie wie noch eine Blume mehr unter meinen Augen aufwachsen, und wenn es Zeit sein wird, eine christliche Seele aus ihr zu machen, so werde ich es an der Cultur nicht fehlen lassen: Verlaßt euch wegen dieser Sorge auf mich, meine Kinder! Was ich im Angesichte des Himmels versprochen habe, das werde ich gewissenhaft halten. Es scheint, daß ihre Frau Mutter mir diese Sorge nicht streitig machen wird, denn, obgleich sie in Wien ist, hat sie sich noch nicht ein einziges mal nach ihrem Töchterlein erkundigen lassen.

– Sie hat es vielleicht auf einem Umwege gethan und ohne daß Sie es wissen, antwortete Consuelo. Ich kann mir nicht denken, daß eine Mutter in diesem Punkte fühllos sein sollte. Aber die Corilla trachtet nach einem Engagement beim Hoftheater. Sie weiß, daß Ihre Majestät sehr strenge denkt und befleckten Personen nicht günstig ist. Es liegt ihr daran, ihre Fehltritte zu verbergen, wenigstens so lange, bis ihr Engagement unterzeichnet ist. Wir wollen ihr daher das Geheimniß bewahren.

– Und doch ist sie Ihre Mitbewerberin! rief Joseph, und man sagt, daß sie durch ihre Intriguen den Sieg davon tragen wird, daß sie Sie schon in der Stadt verlästert, daß sie Sie als die gewesene Maitresse des Grafen Zustiniani geschildert hat. Man hat davon beim Botschafter gesprochen, ich weiß es von Keller ... Man ist empört darüber gewesen, aber man fürchtet, daß sie es doch dem Herrn von Kaunitz aufbinden könnte, der solche Geschichten gern hört und gar nicht müde wird, die Schönheit der Corilla zu rühmen ...

– Sie hat dergleichen gesagt? rief Consuelo vor Unwillen erröthend; sie setzte aber mit Ruhe hinzu: Es konnte nicht anders sein, ich hätte es erwarten sollen.

– Man braucht aber nur ein Wort zu sagen, um alle ihre Verleumdungen zu Schanden zu machen, hob Joseph wieder an, und ich, ich werde dieses Wort sagen, ich werde sagen ...

– Du wirst nichts sagen, Beppo! es wäre niederträchtig und grausam. Auch Sie werden nichts sagen, Herr Kanonikus; ja, wenn ich etwa Lust hätte es zu thun, so würden Sie mich davon abhalten, nicht wahr?

– Wahrhaft evangelische Seele! rief der Kanonikus. Aber bedenken Sie, daß dieses Geheimniß nicht lange Geheimniß bleiben kann. Es braucht nur irgend ein Bedienter oder Bauer, der von der Sache weiß, Lärm davon zu machen, so ist es in vierzehn Tagen stadtkundig, daß die berühmte Corilla dahier mit einem vaterlosen Kinde niedergekommen ist und dasselbe noch obenein im Stiche gelassen hat.

– Ehe vierzehn Tage vergehen, wird das Engagement entweder mit der Corilla oder mit mir abgeschlossen sein. Ich möchte nicht durch eine Handlung der Rache den Sieg über sie davon tragen. Bis dahin also still, Beppo, wenn du nicht meine Achtung und meine Freundschaft verlieren willst. Und nunmehr, Herr Kanonikus, leben Sie wohl! Sagen Sie mir, daß Sie mir verzeihen, reichen Sie mir noch eine väterliche Hand, und ich gehe, ehe mich Ihre Leute in diesen Kleidern sehen.

– Mögen meine Leute sagen was sie wollen, möge mein Benefiz zum Teufel gehen, wenn es des Himmels Wille ist. Ich habe eine Erbschaft eingenommen, die mich in den Stand setzt, den Bannstrahlen des Ordinarius Trotz zu bieten. Also, Kinderlein, haltet mich nicht für einen Heiligen, ich habe es satt zu gehorchen und mir Zwang anzuthun, ich will rechtschaffen leben und ohne die ewige dumme Angst. Seit ich den Kobold Brigitte nicht mehr um mich habe, und sonderlich seit ich ein unabhängiges Vermögen zur Verfügung habe, fühle ich mich muthig wie einen Löwen. Also kommt und frühstückt mit mir! nachher taufen wir Angelika und dann musiciren wir bis zum Mittagessen.

Er zog sie mit sich nach der Priorei.

– Heda, Andres, Seppel! rief er eintretend seinen Bedienten zu, schaut's den Signor Bertoni, der in eine Dame verwandelt ist. Hättet ihr das vermuthet? Ich auch nicht. Nun, macht's geschwind, verwundert euch und tragt uns das Frühstück auf.

Die Mahlzeit war auserlesen und unsere jungen Leute sahen, daß die Veränderungen, die in dem Kanonikus vor sich gegangen waren, sich nicht bis auf seinen Geschmack an üppigem Schmausen erstreckten. Nach dem Frühstück wurde das Kind in die Kapelle der Priorei getragen. Der Kanonikus zog seinen Schlafrock aus und legte Leibrock und Chorhemd an. Er vollzog die Taufe, Consuelo und Joseph waren die Pathen und der Name Angelika wurde dem Täufling beigelegt.

Der übrige Theil des Tages wurde der Musik gewidmet und dann kam das Abschiednehmen. Der Kanonikus bedauerte sehr, daß seine Freunde nicht zum Essen bleiben wollten, aber er mußte ihre Gründe anerkennen und tröstete sich mit dem Gedanken, sie in Wien wiederzusehen, wo er einen Theil des Winters zu verleben gedachte.

Während der Wagen angespannt wurde, führte er sie in sein Treibhaus, um ihnen verschiedene neue Gewächse zu zeigen, mit denen er seine Sammlung bereichert hatte. Der Tag neigte sich, aber der Kanonikus, der eine geübte Nase hatte, war kaum in seinen durchsichtigen Pallast eingetreten und hatte einige Schritte darin gethan, als er ausrief:

– Ich bemerke hier einen eigenthümlichen Duft! Sollte der Gladiolus carinatus Glayeul-Vanille heißt es im Original. Ich kenne diesen Namen nicht, habe aber den obigen gesetzt, weil unter den Schwertlilien ( gladiolus, glayeul) der carinatus stark duftend ist. – D. Uebers. blühen? Aber nein! es ist nicht der Geruch meines Gladiolus. Die Strelitzia riecht doch nicht ... Das Cyclamen hat kein so reines Aroma, auch nicht so durchdringend. Was geht denn hier vor? Wenn meine Volkameria nicht leider abgestorben wäre, so würde ich glauben, daß es ihr Wohlgeruch ist, den ich athme. Armes Gewächs! Ich mag gar nicht daran denken.

Plötzlich stieß der Kanonikus einen Schrei aus vor Ueberraschung und Entzücken, als er vor seinen Augen in einem Blumengeschirr die prächtigste Volkameria sich erheben sah, die er je geschaut, ganz bedeckt mit ihren Trauben von weißen, rosenroth gefüllten Röschen, deren lieblicher Duft das Treibhaus durchzog, die gemeineren Wohlgerüche alle überwältigend.

– Ist ein Wunder geschehen? Woher kommt mir dieser Vorschmack des Paradieses, diese Blume aus dem Garten der Beatrix? rief er in poetischer Anwandlung.

– Wir haben sie in unserem Wagen mit aller erdenklichen Sorgfalt hergebracht, antwortete Consuelo. Erlauben Sie, daß wir sie Ihnen darbringen, um eine abscheuliche Verwünschung wieder gut zu machen, die mir eines Tages entfuhr und die ich Zeit meines Lebens bereuen werde.

– O, meine liebe Tochter! Was für ein Geschenk und mit welcher Delicatesse gegeben! sagte der Kanonikus gerührt. Ach, liebe Volkameria! du sollst einen eigenen Namen haben, wie ich ihn den herrlichsten Blumen meiner Sammlung zu ertheilen pflege, du sollst Bertoni heißen, um das Andenken eines Wesens zu bewahren, das nicht mehr ist und das ich mit einem Vaterherzen geliebt habe.

– Mein guter Vater, sagte Consuelo, seine Hand drückend, Sie müssen sich gewöhnen, Ihre Töchter ebenso sehr zu lieben als Ihre Söhne. Angelika ist auch kein Knabe ...

– Und die Porporina ist ebenfalls meine Tochter, sagte der Kanonikus; ja, meine Tochter! ja, ja, meine Tochter! wiederholte er, indem er abwechselnd Consuelo und die Volkameria Bertoni mit thränenerfüllten Augen ansah.

Um sechs Uhr waren Joseph und Consuelo wieder zu Hause. Sie stiegen am Eingange der Vorstadt aus dem Wagen und nichts verrieth ihren unschuldigen Streich. Der Porpora war nur erstaunt, daß Consuelo nach einem Spaziergang auf die schönen Wiesen, welche die Hauptstadt umgeben, nicht mehr Hunger hatte. Das Frühstück des Kanonikus mochte sie ein wenig wählerisch gemacht haben. Aber der Bewegung in freier Luft verdankte sie einen köstlichen Schlaf und sie erwachte am andern Morgen mehr bei Muth und Stimme, als sie sich je gefühlt hatte, seit sie in Wien war.

4.

In der Ungewißheit ihrer Lage, in welcher sie vielleicht eine Entschuldigung oder einen Grund für die Unentschiedenheit ihres Herzens zu finden glaubte, entschloß sich Consuelo endlich an den Grafen Christian von Rudolstadt zu schreiben, um ihn in Kenntniß zu setzen von ihrer Stellung dem Porpora gegenüber, von den Anstrengungen, welche dieser machte, sie an das Theater zurückzuführen und von der Hoffnung, welche sie noch unterhielt, dieselben scheitern zu sehen. Sie sprach mit Aufrichtigkeit, stellte ihm vor, wie viel Erkenntlichkeit, Hingebung und Gehorsam sie ihrem alten Lehrer schuldig wäre, und bat ihn inständigst, indem sie ihre Besorgnisse Albert's wegen nicht verhehlte, ihr zu rathen, was sie diesem letztern schreiben sollte, um seinem Gemüthe Vertrauen und Ruhe einzuflößen. Sie schloß mit den Worten:

»Ich habe Ew. Gnaden gebeten, mir Zeit zu lassen, damit ich mich selbst prüfen und mich entscheiden könne. Ich bin entschlossen, mein Wort zu halten und schwöre vor Gott, daß ich die Kraft in mir fühle, mein Herz und meinen Sinn jeder entgegengesetzten Laune wie jeder andern Neigung zu verschließen. Und doch ergreife ich allerdings, wenn ich die Bühne wieder betrete, eine Wahl, welche anscheinend ein Bruch meines gegebenen Wortes ist und eine förmliche Verzichtung auf die Aussicht es zu erfüllen. Mögen Sie urtheilen, gnädiger Herr, über mich, oder vielmehr über das Loos, das mir gefallen ist, und über die Pflicht, der ich unterworfen bin. Ich sehe kein Mittel, mich ohne Vergehen ihr zu entziehen. Ich erwarte von Ihnen einen bessern Rath, als ihn mein eigenes Nachdenken mir zu geben vermag, aber wird er dem meines Gewissens entgegen sein können?«

Als dieser Brief gesiegelt und Joseph zur Besorgung übergeben war, fühlte sich Consuelo ruhiger, wie es in schlimmer Lage zu geschehen pflegt, wenn man ein Mittel gefunden hat, um Zeit zu gewinnen und den Augenblick der Entscheidung hinauszuschieben. Sie schickte sich nunmehr an, mit Porpora einen Besuch zu machen, den dieser für wichtig und entscheidend hielt, nämlich bei dem viel berühmten und gerühmten kaiserlichen Poeten, dem Herrn Abbate Metastasio.

Dieser hochangesehene Mann war damals ungefähr funfzig Jahre alt. Er war ein schöner Mann, von gefälligem Benehmen und außerordentlicher Anmuth im Gespräche, so daß sich Consuelo gewiß sehr zu seinen Gunsten hätte einnehmen lassen, wenn sie nicht auf dem Wege nach seiner Wohnung folgende Unterredung mit dem Porpora gehabt hätte.

– Consuelo! sagte Porpora, du wirst einen Mann finden von gesundem Aussehen, lebhaftem schwarzem Auge, blühender Farbe, rothem lächelndem Munde, der mit aller Gewalt die Beute einer schleichenden, grausamen, gefährlichen Krankheit sein will; einen Mann, welcher ißt, schläft, arbeitet und fett wird wie ein Anderer und dabei vorgiebt an Schlaflosigkeit, Unverdaulichkeit, Erschöpfung und Abzehrung zu leiden. Laß dir nicht die Ungeschicklichkeit passiren, ihm zu sagen, wenn er über seine Leiden klagt, daß man ihm nichts davon anmerke, daß er sehr wohl aussehe oder sonst dergleichen Plattheiten, denn er will bedauert sein, man soll sich Sorge um ihn machen und ihn im Voraus beweinen. Laß dir es aber ebensowenig einfallen, mit ihm vom Tode oder von irgend einem Verstorbenen zu reden, er hat Furcht vor dem Tode und will nicht sterben. Dessenungeachtet hüte dich vor der Tölpelei, ihm etwa beim Abschiede zu sagen: »Ich hoffe, daß Ihre kostbare Gesundheit bald wieder hergestellt sein wird!« denn er will, daß man ihn für einen Todescandidaten halte und wenn er den Andern einbilden könnte, daß er gestorben sei, so würde ihm nichts lieber sein, vorausgesetzt, daß er selbst nicht daran zu denken brauchte.

– Das ist ja eine seltsame Marotte für einen großen Mann, antwortete Consuelo. Was muß man ihm denn sagen, wenn man ihm weder von Besserwerden, noch von Sterben etwas sagen darf?

– Man muß mit ihm über seine Krankheit reden, ihm tausend Fragen thun, die Erzählung seiner Leiden und Ungemächlichkeiten geduldig anhören und zu guter Letzt ihm sagen, daß er sich nicht genug in Acht nehme, daß er nicht an sich denke, daß er sich nicht schone, daß er zu viel arbeite. Auf diese Weise werden wir ihn zu unseren Gunsten stimmen.

– Haben wir nicht aber vor, ihn um ein Gedicht zu bitten, welches Sie in Musik setzen wollen, damit ich es singen könne? Wie können wir in demselben Athem ihm anempfehlen, nicht zu schreiben und ihn beschwören für uns so geschwind als möglich zu schreiben?

– Das findet sich alles im Laufe des Gespräches, man muß nur die Sachen richtig anbringen.

Des Maestro Absicht war, seine Schülerin zu belehren, wodurch sie sich dem Poeten angenehm machen könnte; allein die beizende Manier, die ihm eigen war, erlaubte ihm nicht, die Lächerlichkeiten Anderer zu bemänteln, und daher ließ er sich selbst die Ungeschicklichkeit zu Schulden kommen, daß er Consuelo in die krittelnde und gewissermaßen von vorn herein geringschätzige Stimmung versetzte, welche uns nicht eben liebenswürdig und theilnehmend gegen Solche macht, die Schmeichelei und angemessene Bewunderung erwarten. Keiner Heuchelei und keines Trugs fähig, fühlte sie sich schmerzlich berührt, als sie den Porpora die Jämmerlichkeiten des Poeten hätscheln, und dessen eingebildete Leiden unter der Maske eines zärtlichen Mitgefühls grausam verspotten sah. Mehrmals erröthete sie tief und vermochte nichts als ein peinliches Schweigen zu beobachten, trotz der Zeichen, durch die Porpora sie aufforderte, ihm beizustehen.

Consuelo's Ruf hatte angefangen sich in Wien zu verbreiten, sie hatte in verschiedenen Salons gesungen, und die Frage, ob sie bei der italienischen Oper engagirt werden würde, beschäftigte schon einigermaßen die musikalischen Coterien. Metastasio war allmächtig; gewann Consuelo seine Gunst, indem sie seiner Eigenliebe schmeichelte, so war es möglich, daß er die Composition seines Attilio Regolo, der ihm seit einigen Jahren im Pulte lag, dem Porpora anvertraute. Die Schülerin mußte zu diesem Ende sich der Sache ihres Lehrers annehmen, weil dieser selbst dem kaiserlichen Poeten nicht im Geringsten behagte.

Metastasio war nicht umsonst Italiener, und die Italiener täuschen sich nicht leicht über ihre Landsleute. Metastasio war zu scharfsichtig, war zu fein, um nicht zu merken, daß für sein dramatisches Genie der Porpora nur eine mäßige Bewunderung hatte, um nicht zu wissen, daß der Porpora sich mehr als einmal hart (mit Recht oder Unrecht) über des Abbate ängstlichen Character, seinen Egoismus und seine Empfindelei ausgesprochen hatte.

Consuelo's kalte Zurückhaltung und die geringe Theilnahme welche ihr seine Krankheit einzuflößen schien, nahm er natürlich nicht für das was sie wirklich waren, für eine Verstimmung ihres achtungsvollen Mitleids. Er sah darin fast eine Beleidigung, und wäre er nicht Sklav der Höflichkeit und guten Lebensart gewesen, so würde er es gewiß rund abgeschlagen haben, sie singen zu lassen: so aber verstand er sich dazu nach einigen Zierereien, indem er seine Nervenschwäche und seine Furcht vor Aufregungen vorschützte. Er hatte Consuelo in seinem Oratorium Judith singen hören, aber er sollte auch ihre Fähigkeit für das dramatische Fach kennen lernen und Porpora ließ nicht ab, in ihn zu dringen.

– Wie soll ich's nur machen, wie soll ich singen, sagte Consuelo ihm in's Ohr, wenn ich ihn nicht aufregen darf?

– Im Gegentheil, du mußt ihn aufregen, antwortete der Maestro. Er hat es sehr gern, wenn man ihn aus seiner Erstarrung reißt, weil er in der Aufregung zum Schreiben aufgelegt ist.

Consuelo sang eine Arie aus dem Achille in Sciro, dem besten dramatischen Werke Metastasio's, welches von Caldara 1736 in Musik gesetzt und bei den Feierlichkeiten zu Maria Theresiens Vermählung aufgeführt worden war. Consuelo's Stimme und ihr Vortrag ergriffen Metastasio wieder ebenso sehr als da er sie zum ersten Male hörte; er war aber Willens sich hinter dasselbe kalte und gezwungene Schweigen zu verstecken, welches sie bei der Erzählung seiner Krankheit beobachtet hatte. Das ging nun nicht, denn bei aller seiner Narrheit war er Künstler, der gute Mann, und wenn in der Seele des Dichters die Ergüsse seiner Muse, edel vorgetragen, und mit ihnen die Erinnerungen seiner Triumphe wiederklingen, so hält kein Grollen Stich.

Metastasio versuchte sich gegen diesen allmächtigen Zauber zu wehren. Er hustete viel, warf sich auf seinem Lehnstuhl hin und her, wie ein Mensch, dem das Leiden die Aufmerksamkeit raubt, und mit einem Male von einer noch mächtigeren Erinnerung als der seines alten Ruhmes ergriffen, verbarg er sein Gesicht in sein Taschentuch und schluchzte. Hinter dem Lehnstuhl hielt sich der Porpora versteckt, machte seiner Schülerin Zeichen, den Poeten um Alles nicht zu schonen und rieb sich mit pfiffigem Lächeln die Hände.

Die Thränen, welche Metastasio aus aufrichtigem Gefühle vergoß, söhnten das junge Mädchen mit ihm aus. Als sie ihre Arie beendet hatte, trat sie zu ihm, küßte ihm die Hand und sagte mit ihrer unwiderstehlichen Treuherzigkeit:

– Ach, Signor Abbate, wie stolz und glücklich würde es mich machen, Sie so bewegt zu haben, wenn ich mir nicht ein Gewissen daraus machen müßte. Die Besorgniß, daß es Ihnen schaden möchte, vergiftet meine Freude.

– Ach, mein liebes Kind, rief der Abbate, nun völlig gewonnen, Sie wissen nicht, Sie können nicht wissen, wie wohl und wehe Sie mir gethan haben. Nie habe ich bis auf diesen Tag eine Frauenstimme gehört, die mir so lebhaft die Stimme meiner theuern Marianne zurückgerufen hätte. Ja so lebhaft haben Sie mich an sie erinnert, auch in Manier und Ausdruck, daß es mir war, als ob ich sie selbst hörte. Ach, Sie haben mir das Herz gebrochen.

Und wieder sing er zu schluchzen an:

– Ihre Signoria spricht von einer hochberühmten Dame, die du dir zum beständigen Vorbilde nehmen mußt, sagte Porpora zu seiner Schülerin; von der unvergeßlichen, unvergleichlichen Marianne Bulgarini.

– Von der Romanina? rief Consuelo. Ach, ich habe sie in meiner Kindheit in Venedig gehört, es ist die erste, mächtige Erinnerung, die ich habe, und ich werde sie nie vergessen.

– Ja, ich sehe, Sie haben sie gehört und sie hat Ihnen einen Eindruck hinterlassen, der nicht zu verwischen ist, entgegnete Metastasio. O, junges Mädchen, ihr ahmen Sie nach in allem, in ihrem Spiel wie in ihrem Gesange, in ihrer Güte wie in ihrer Größe, in ihrer Stärke wie in ihrer Hingebung! O, wie war sie schön, als sie die göttliche Venus darstellte, in der ersten Oper, die ich in Rom machte. Ihr verdanke ich meinen ersten Triumph.

– Und sie verdankte Ihrer Signoria ihre schönsten Erfolge, sagte Porpora.

– Es ist wahr, wir haben gegenseitig zu unser Beider Glück beigetragen. Aber ich habe ihr doch nie genug bezahlen können. So viel Liebe, so viel heldenmüthige Geduld und so viel zarte Sorgfalt hat nicht in der Seele einer Sterblichen gewohnt. Engel meines Lebens, ewig werde ich um dich weinen, und nichts begehre ich, als wieder bei dir zu sein.

Hier weinte der Abbate wieder. Consuelo war sehr gerührt. Porpora that als ob er es wäre, aber wider seinen Willen behielt sein Gesicht den alten spöttischen und verächtlichen Ausdruck. Consuelo bemerkte es und nahm sich vor ihn wegen dieses Mangels an gutem Glauben oder wegen dieser Hartherzigkeit zur Rede zu stellen.

Metastasio seinerseits sah nur den Effect an, den er hervorzubringen beabsichtigte, die Rührung und Bewunderung der gutmüthigen Consuelo. Er war von der rechten Poetenart, d. h. er weinte lieber vor Zeugen als in seinem Kämmerlein und fühlte seine Freuden und Schmerzen nie besser als wenn er sie beredt aussprach.

Er ließ sich von dem Augenblick hinreißen und erzählte dem jungen Mädchen jenen Theil seiner Jugendgeschichte, in welchem die Romanina eine so große Rolle gespielt hatte: er gedachte der Dienste, welche diese edelmüthige Freundin ihm geleistet, der kindlichen Liebe, mit welcher sie seine alten Eltern gepflegt, des mütterlichen Opfers, welches sie gebracht, indem sie sich von ihm trennte um ihn nach Wien zu schicken, aus daß er dort sein Glück suche; und als er an die Abschiedsscene kam, als er in den gewähltesten und zärtlichsten Ausdrücken geschildert hatte, wie seine liebe Marianne mit zerrissenem Herzen und unter Schluchzen ihn ermahnte sie zu verlassen und nur an sich allein zu denken, rief er aus:

– Ha! wenn sie geahnt hätte, welche Zukunft meiner wartete fern von ihr, wenn sie vorausgesehen hätte die Schmerzen, die Kämpfe, die Qualen, die Aengste, die Schickungen und selbst die schweren körperlichen Leiden, die hier mein Antheil werden sollten, o sie hätte sich und mir das grausamste der Opfer erspart. Ach! ich war weit entfernt zu glauben, daß wir uns Lebewohl auf ewig sagten, daß wir einander nie auf Erden wieder begegnen sollten!

– Wie! Sie haben einander niemals wieder gesehen? sagte Consuelo, deren Augen in Thränen schwammen, denn Metastasio's Rede hatte etwas Bezauberndes; sie ist nie nach Wien gekommen?

– Nie! antwortete der Abbate mit kraftloser Stimme.

– Sie, die Ihnen so ergeben gewesen, hatte nicht den Muth hierher zu kommen und Sie aufzusuchen? fuhr Consuelo fort, während ihr Porpora vergebens fürchterliche Augen machte.

Metastasio antwortete nicht; er schien tief in Gedanken versunken.

– Aber sie könnte ja wohl noch kommen? setzte Consuelo in ihrer Herzensunschuld hinzu; und sie wird gewiß. Ein solches Glück wird Ihnen die Gesundheit wiedergeben.

Der Abbate wurde blaß und machte eine Geberde des Schauderns. Der Maestro hustete aus aller Macht und Consuelo, die sich plötzlich erinnerte, daß die Romanina vor mehr als zehn Jahren gestorben war, bemerkte jetzt erst die Ungeschicklichkeit welche sie begangen hatte, indem sie den Freund, der nichts, seinen Aeußerungen nach, sehnlicher wünschte, als bei seiner Geliebten im Grabe zu sein, an den Gedanken des Todes mahnte. Sie biß sich in die Lippen und entfernte sich bald mit ihrem Lehrer, der von diesem Besuche nichts davon trug als unbestimmte Versprechungen und eine Menge Höflichkeiten wie gewöhnlich.

– Was hast du angerichtet, Flattergeist! sagte er zu Consuelo, als sie draußen waren.

– Etwas sehr Dummes, ich sehe es wohl. Ich hatte ganz vergessen, daß die Romanina nicht mehr am Leben ist. Aber glauben Sie wirklich, daß dieser so treu liebende und so tief betrübte Mann so am Leben hange wie Sie von ihm sagten? Ich kann mir im Gegentheil nur denken, daß der Verdruß über den Verlust seiner Schlaflosigkeit sein einziges Uebel ist und daß er, wenn auch eine abergläubische Furcht vor der letzten Stunde ihn bisweilen befällt, doch nichtsdestominder des Lebens entsetzlich überdrüssig, recht herzlich überdrüssig ist.

– Kind! sagte Porpora, man ist nicht des Lebens überdrüssig, wenn man reich und geehrt ist, wenn man sich huldigen sieht und wohlauf ist; und wenn man nie im Leben andere Sorgen und Leidenschaften gehabt hat, als diese, so lügt man und spielt Comödie, wenn man das Dasein verwünscht.

– Sie müssen aber nicht sagen, daß er nie andere Leidenschaften gehabt hat. Hat er doch die Marianna geliebt, und ich begreife nun wohl, warum er diesen geliebten Namen der Marianna Martinez gegeben hat seiner Pathe und Nichte, die ...

Consuelo hätte beinah gesagt: die bei Joseph Unterricht hat; aber sie besann sich zur rechten Zeit und brach ab.

– Nun, nur heraus damit! sagte Porpora: seiner Pathe und Nichte, die  ... vermuthlich seine Tochter ist.

– Die Leute sagen das; was geht es mich an?

– Es würde wenigstens beweisen, daß der liebe Abbate sich bald genug über die Trennung von seiner Geliebten getröstet hat. Aber als du ihn fragtest (das Wetter, über deine Dummheit!) warum seine liebe Marianna ihn nicht aufgesucht habe, gab er keine Antwort. Ich will sie dir an seiner Stelle geben. Die Romanina hat ihm in der That die größten Dienste erwiesen, die ein Mann nur von einer Frau annehmen kann; er hatte von ihr Unterhalt, Wohnung, Kleidung, Unterstützung jeder Art und sie hat ihm auch zu dem Titel poeta Cesareo verholfen. Sie hatte sich auch wirklich zur Magd, zur Freundin, zur Krankenwärterin, zur Wohlthäterin seiner alten Eltern hergegeben. Das ist alles richtig. Die Marianna hatte ein großes Herz: ich habe sie sehr gut gekannt; aber wahr ist auch, daß sie sehnlich wünschte, sich mit ihm zu vereinigen, und daß sie deshalb ein Engagement bei dem Hoftheater suchte. Und es ist noch wahrer, daß der Herr Abbate keinen Gefallen daran fand und es nicht zuließ. Sie standen in dem allerzärtlichsten Briefwechsel. Ich zweifle gar nicht daran, daß die Briefe des Herrn Poeten lauter kleine Meisterstücke gewesen sind. Man wird sie drucken: das hat er zum Voraus gewußt.

Aber während er seiner dilettissima amica fortwährend betheuerte, daß er seufze nach dem Tage ihrer Verbindung und daß er unablässig arbeite, den Augenblick zu beschleunigen, in welchem die Sonne dieses Glückes ihrer Beiden Dasein bestrahlen werde, wußte Meister Fuchs es so zu drehen, daß das Unglückskind von Sängerin nur ja nicht seiner sehr hohen und lucrativen Amour in die Quere käme, welche er damals mit einer dritten Marianna (dieser Name ist in seinem Leben ein Glücksbringer) mit der hochedeln und allmächtigen Gräfin von Athan, der Favorite des verstorbenen Kaisers unterhielt. Es heißt sogar, daß eine heimliche Ehe stattgefunden habe; ich finde es demnach sehr abgeschmackt, sich die Haare auszuraufen um jene arme Romanina, die er hat vor Gram sterben lassen, während er in den Armen der Hofdamen Madrigale drechselte.

– Sie deuten und beurtheilen das alles im unreinsten Sinne und mit der grausamsten Härte, lieber Meister! antwortete Consuelo betrübt.

– Ich sage, was die ganze Welt sagt, ich thue nichts hinzu; es ist die öffentliche Stimme, der ich folge. Geh! es ist ein alter Spruch: nicht jeder Comödiant ist auf den Brettern.

– Die öffentliche Stimme ist nicht immer die Stimme der Wahrheit, und gewiß nie die Stimme der Menschenfreundlichkeit. Sieh, Meister, ich kann mir nicht denken, daß ein Mann von solchem Ruhm und so vielem Geist nichts weiter sein soll als ein Comödiant auf den Brettern. Ich habe ihn wirkliche, wahre Thränen vergießen sehen, und wenn er sich auch vorwerfen müßte, seine erste Marianna so schnell verlassen zu haben, so wird seine Neue darüber gewiß nur den Schmerz vergrößern, den er jetzt empfindet. Ich will ihn in dem Allen lieber für schwach als für schlecht halten. Man hat ihn zum Abbate gemacht, man hat ihn mit Wohlthaten überhäuft, sein Liebesverhältniß zu einer Schauspielerin würde großes Aergerniß gegeben haben. Er wird die Bulgarini nicht gerade haben verrathen und betrügen wollen: er hat sich gefürchtet, hat aufgeschoben, Zeit zu gewinnen gesucht ... darüber ist sie gestorben  ...

– Und er hat Gott gedankt! setzte der unerbittliche Maestro hinzu. Und jetzt schickt ihm unsere allergnädigste Kaiserin Dosen und Ringe mit ihrer Chiffer in Brillanten, Schreibstifte mit Lorbeeren in Brillanten, Töpfchen von massivem Gold mit spanischem Tabak, Siegel, die aus einem prächtigen Solitair gemacht sind, und das alles blitzt und glitzt und funkelt dermaßen, daß die Augen des Herrn Poeten ewig in Thränen schwimmen.

– Und das sollte ihn trösten, wenn er der Romanina das Herz gebrochen?

– Vielleicht nicht. Aber aus Gier nach solchen Sachen hat er es gethan. Armselige Eitelkeit! Ich wenigstens hatte Mühe, mich des Lachens zu enthalten, als er uns seinen ganz goldenen Leuchter zeigte, auf den die Kaiserin die sinnreiche Devise hat graviren lassen:

Perché possa risparmiare i suoi occhi! »Damit er seine Augen schonen könne.«

Wie delikat! und er konnte sich nicht enthalten mit Emphase auszurufen: Affettuosa espressione valutabile assai dell'oro! »Liebreiches Wort, o unendlich werthvoller als das Gold!« O, der arme Mann!

– O, der unglückliche Mann! sagte Consuelo seufzend, und sie kam in tiefer Betrübniß nach Hause, denn unwillkürlich hatte sie die Lage Metastasio's in Bezug auf die Marianna mit ihrer eigenen in Bezug auf Albert verglichen. Warten und sterben! sagte sie zu sich: ist denn so das Loos derer, die mit Leidenschaft lieben? Warten lassen und sterben lassen, ist so das Schicksal derer, die dem Trugbild des Ruhmes nachjagen?

– Was grübelst du so? sagte der Maestro zu ihr, ich bin der Meinung, daß alles gut steht und daß du den Metastasio trotz deiner dummen Fragen erobert hast.

– Kümmerlicher Gewinn, antwortete Consuelo, eine schwache Seele erobert zu haben! Der nicht den Muth gehabt hat, die Marianna beim Hoftheater anzubringen, wird ihn, wie mir scheint, noch weniger haben, um für mich einen Schritt zu thun.

– Der Metastasio hat in Kunstsachen jetzt das Regiment am Hofe der Kaiserin.

– Der Metastasio wird in Kunstsachen der Kaiserin gewiß nie etwas anderes rathen als was sie zu wünschen scheint. Mögen sie doch von Günstlingen und Rathgebern Ihrer Majestät reden ... ich habe Maria Theresiens Züge gesehen, und ich sage Ihnen, lieber Meister, Maria Theresia ist zu politisch, um Liebhaber zu haben, zu unabhängig, um Freunde zu haben.

– Gut denn! sagte der Porpora sorgenvoll, so gilt es, die Kaiserin selbst zu gewinnen; es kommt darauf an, daß du eines Morgens in ihren Apartements singst, daß sie dich spreche, sich mit dir unterhalte. Sie liebt nur tugendhafte Personen, sagt man. Wenn sie den Adlerblick hat, der an ihr gerühmt wird, so wird sie dich richtig beurtheilen und dir den Vorzug geben. Ich will alles daran setzen, daß sie dich unter vier Augen sehe.

5.

Als Joseph eines Morgens das Vorzimmer Porpora's frottirte, vergaß er im Eifer seiner Arbeit, daß die Wand nur dünn war und daß der Maestro einen leisen Schlaf hatte: er ließ sich gehen und sang ein Thema, welches ihm eben einfiel, unwillkürlich vor sich hin, indem er im Takt dazu mit seiner Bürste auf den Dielen rieb.

Porpora erwacht, sieht mit Verdruß, daß er vorzeitig geweckt ist, dreht sich im Bett um, sucht wieder einzuschlafen; die hübsche frische Stimme, welche eine sehr anmuthige, sehr wohl gemachte Melodie mit Sicherheit und Leichtigkeit singt, läßt ihm nicht Ruhe: er springt auf, fährt in seinen Schlafrock und lugt durch das Schlüsselloch, halb angelockt von dem was er hört, halb aufgebracht über den Künstler, der vor seinem Aufstehen zu ihm kommt und ohne Umstände in seinem Vorzimmer laut componirt.

Aber welche Ueberraschung! Es ist Beppo, welcher singt und in Gedanken verloren sein Thema verfolgt, während er mit zerstreuter Miene seinen häuslichen Geschäften obliegt.

– Was singst du da? rief der Meister mit Donnerstimme, indem er plötzlich die Thür aufriß.

Joseph fuhr zusammen, wie Jemand zusammenfährt, der aus seinen Gedanken jählings aufgeschreckt wird, und es fehlte wenig, daß er Besen und Schippchen hinwarf und spornstreichs aus dem Hause lief. Allein wenn er auch die Hoffnung, Porpora's Schüler zu werden, schon lange fast aufgegeben hatte, so schätzte er sich doch glücklich, lauschen zu dürfen, wenn Consuelo mit dem Maestro arbeitete, und sich von seiner großmüthigen Freundin im Geheimen, so oft der Maestro abwesend war, unterrichten zu lassen. Um alles in der Welt hätte er nicht mögen aus dem Hause gewiesen werden; daher ersann er schnell eine Lüge, um den Argwohn seines Herrn abzuwenden.

– Was ich singe? sagte er ganz verschüchtert; ich weiß nicht,. was es ist.

– Wer wird nicht wissen, was er singt? Du lügst.

– Wahrhaftig, Ihr Gnaden, ich weiß nicht, was ich gesungen habe. Sie haben mir einen solchen Schrecken eingejagt, daß ich es schon gar nicht mehr weiß. Ich weiß wohl, daß ich einen großen Fehler begangen habe, dicht bei Ihrem Zimmer zu singen. Ich bin in Gedanken gewesen: ich glaubte weit weg und ganz allein zu sein und dachte: singe du jetzt nur, weil Keiner da ist, der zu dir sagt: halt's Maul, Dummkopf, du singst falsch! Halt's Maul und thu's nicht wieder auf, denn du lernst dein Leben lang nichts.

– Wer hat dir gesagt, daß du falsch singst?

– Alle Leute.

– Und ich, ich sage dir, rief der Maestro mit zürnendem Tone, daß du nicht falsch singst. Wer hat es versucht, dir Unterricht zu geben?

– Mir? ... nu, zum Exempel, Meister Reutter, den mein Freund Keller rasirt; der hat mich aus der Lection gejagt und hat gesagt, ich würd' ewig ein Esel bleiben.

Joseph kannte den Maestro schon genug, um zu wissen, daß er wenig von Reutter hielt und er hatte sogar schon auf diesen Umstand Rechnung gemacht, um sich den Porpora günstig zu stimmen, wenn ihm etwa Reutter bei seinem Herrn einen schlimmen Dienst zu leisten Lust gehabt hätte. Reutter aber hatte sich die wenigen Male, daß er den Porpora besuchte, gar nicht nach dem Bedienten umgesehen und daher seinen ehemaligen Schüler im Vorzimmer nicht erkannt.

– Selbst ein Esel, der Meister Reutter, murmelte Porpora zwischen den Zähnen. Aber es ist davon nicht die Rede, fuhr er laut fort; du sollst mir sagen, wo du die Melodie, die du sangst, aufgefischt hast? ...

Und er sang das, was Joseph in seiner Achtlosigkeit ihn mehr als zehnmal hatte hören lassen.

– Ach das! sagte Haydn, welcher den Maestro schon etwas mehr zu seinem Gunsten gestimmt zu sehen glaubte, aber doch noch nicht recht traute: dass ich habe es von der Signora singen hören.

– Von Consuelo? Von meiner Tochter? Es ist mir ganz fremd. Aha! Du horchst also an den Thüren?

– O nein, Ihr Gnaden! aber die Musik geht aus einer Stube in die andere, und bis in die Küche, und man muß sie wohl hören, man mag wollen oder nicht.

– Ich kann keine Dienstboten gebrauchen, die ein so gutes Gedächtniß haben, und unsere eben geborenen Gedanken auf der Straße ausschreien. Ihr werdet noch heut zusammenpacken und werdet Euch eine andere Condition suchen.

Dieser Befehl traf den armen Joseph wie ein Donnerschlags er, ging in die Küche und weinte. Bald kam Consuelo zu ihm und ließ sich seinen Unfall erzählen. Sie tröstete ihn und versprach ihm, die Sache wieder ins Gleiche zu bringen.

– Wie, Meister, sagte sie zu Porpora, indem sie ihm den Kaffee hinsetzte, du willst den armen Burschen aus dem Hause jagen, der so fleißig und treu ist, und blos weil es ihm zum erstenmale in seinem Leben begegnet ist, richtig zu singen?

– Ich sage dir, dieser Bursch ist ein Schleicher und ein frecher Lügner, und ist mir von einem meiner Feinde ins Haus geschickt, der mir meine Compositionen ablauschen und sie sich aneignen will, ehe sie an den Tag gekommen sind. Ich wette darauf, dieser Bursch weiß schon meine ganze neue Oper auswendig, und schreibt meine Manuscripte ab, sobald ich nur den Rücken wende. Wie viele Male bin ich nicht auf diese Weise bestohlen und verrathen worden! Wie viele Melodien von mir habe ich nicht in jenen charmanten Opern gehört, nach denen ganz Venedig lief, während sie in den meinigen gähnten und sagten: das alte Großmaul giebt uns Melodien für neu, die man schon an allen Ecken hört. Siehst du, der Dummkopf hat sich selbst verrathen: er hat ein Thema gesungen, das von keinem Anderen sein kann als von dem »Mein Herr« Hasse; ich hab' es recht gut behalten, ich werde mir's merken und, um mich zu rächen, werde ich es in meiner Oper benutzen, blos um ihm den Streich zurückzugeben, den er mir so oft gespielt hat.

– Nehmen Sie sich in Acht, Meister! dieses Thema ist vielleicht schon bekannt. Sie haben nicht alle neueren Compositionen im Kopfe.

– Ich habe sie alle gehört, und ich sage dir, diese Melodie fällt zu sehr ins Ohr, als daß sie mir nicht sollte aufgefallen sein.

– Nun, Meister, ich bedanke mich für die Ehre. Das Compliment macht mich stolz, denn die Melodie ist von mir.

Consuelo log: die Melodie war an dem nämlichen Morgen in Haydns Kopf aufgeschossen. Aber sie hatte sich mit ihm verständigt und sich die Melodie gemerkt, um auf Nachfrage des mißtrauischen Maestro Rede stehen zu können.

Der Porpora verfehlte auch nicht, die Melodie von ihr zu fodern. Sie sang sie auf der Stelle und gab vor, sie hätte am vorigen Tage einen Versuch gemacht, dem Metastasio zu Gefallen, die ersten Strophen von dessen hübschem Pastorale in Musik zu setzen:

Già reide la primavera
Col suo florito aspetto;
Già il gratto zeffiretto
Scherza fra l'erbe e i fiori.

Tornan le frondi agli alberi
L'erbette al prato tornano;
Sol non ritorna a me
La pace del mio cor.
Etwa:
Nun schmückt der Frühling wieder
Die lachenden Gefilde;
Der Zephir scherzt, der milde,
In Blumen und im Laub.
Die Grüne kehrt nun wieder
Den Bäumen und der Flur;
Mir aber kehrt der Friede
Nicht wieder in das Herz.

Ich hatte den Anfang meiner Composition mehrmals wiederholt, als ich Herrn Beppo im Vorzimmer wie einen Kanarienvogel meine Melodie halb recht halb falsch nachpfeifen hörte; dies machte mich ungeduldig und ich bat ihn still zu sein. Aber nach einer Stunde fing er wieder damit an, und sang sie auf der Treppe so entstellt, daß ich darüber die Lust verlor, meine Arie weiter zu componiren.

– Nun, und wie geht es zu, daß er sie heut ganz richtig singt? Ist es ihm im Schlafe gekommen?

– Ich will dir das Räthsel erklären, lieber Meister! ich bemerkte, daß der Bursch eine ganz hübsche und reine Stimme hatte, aber daß er unrecht sang, aus Mangel an Gehör, an Beurtheilung, an Gedächtniß. Da hab' ich mir den Spaß gemacht, ihm nach deiner Methode die Mundstellung und die Bildung des Tons begreiflich zu machen und ihn die Scala singen zu lassen, um zu versuchen, ob es wohl damit gelänge, auch bei einer geringen musikalischen Anlage.

– Es muß immer gelingen, es muß bei allen Menschen gelingen, rief der Porpora. Keine Stimme ist von Natur falsch, und wenn das Ohr gebildet wird ...

– Das sagte ich mir eben, unterbrach ihn Consuelo, die ungeduldig war, zu ihrem Zwecke zu gelangen; und so geschah es auch. Es glückte mir, mit Hülfe deines Pensums für die erste Stunde diesem Meister Ungeschick soviel beizubringen, als ihm der Herr Reutter und die Deutschen allesammt in seinem ganzen Leben nicht von weitem beigebracht haben würden. Nach dieser Uebung sang ich ihm mein Thema wieder vor und er begriff es beim ersten Hören. Er konnte es richtig nachsingen und war darüber so erstaunt und vergnügt, daß er die ganze Nacht nicht geschlafen hat: es war wie eine Offenbarung für ihn. Ach, Mademoiselle, sagte er heut zu mir, wenn ich so unterrichtet worden wäre, so hätte ich vielleicht die Musik so gut gelernt wie ein anderer. Aber ich gestehe Ihnen, daß ich nie etwas begriffen habe bei der Art, wie man mir die Sachen im Kapellhause vorgetragen hat.

– Er ist also im Kapellhause gewesen, wirklich?

– Und ist mit Schimpf weggejagt worden, du brauchst nur Meister Reuttern zu fragen: der wird dir sagen, daß der Joseph ein nichtsnutziges Subject ist, aus dem nie was werden kann.

– Komm einmal her, Mensch! rief der Porpora dem Beppo zu, der noch draußen in der Küche weinte. Stell dich hier neben mich, ich will einmal sehen, ob du kannst, was du gestern gelernt hast.

Nun fing der boshafte Maestro an, ihm die Elemente der Musik in der weitschweifigen, pedantischen und unklaren Weise vorzutragen, welche er den deutschen Lehrern schuld gab. Joseph wußte zu gut Bescheid, um nicht alles, was der Maestro sagte, ungeachtet der Dunkelheit die derselbe geflißentlich hineinbrachte, zu verstehen; hätte er aber sein Verständniß merken lassen, so wäre er verloren gewesen. Indessen er war schlau genug, um nicht in die Falle zu gehen und stellte sich so dumm an, daß der Meister, nachdem er die Probe welche er mit ihm anstellen wollte, lange mit der größten Hartnäckigkeit fortgesetzt hatte, sich vollkommen beruhigt fand.

– Ich sehe schon, daß du sehr bornirt bist, sagte er endlich und stand auf, indem er eine Verstellung fortsetzte, welche die beiden andern recht gut durchschauten. Geh und bleib bei deinem Besen und laß das Singen, wofern du Lust hast, in meinem Dienst zu bleiben.

Nach einigen Stunden aber konnte es der Porpora nicht länger aushalten: gestachelt von der Liebe zu einem Gewerbe, das er aufgegeben, nachdem er es so lange Zeit in unbestrittener Ueberlegenheit ausgeübt hatte, wurde er unversehens wieder Singelehrer: er rief Joseph abermals und stellte ihn neben sich. Jetzt trug er ihm dieselben Grundsätze die er vorher entwickelt hatte, aber mit jener Klarheit und in jener Ordnung, welche Jegliches begründet und an feste rechte Stelle bringt, mit jener Einfachheit und schlagenden Kürze vor, die nur dem genialen Menschen gegeben ist.

Dieses Mal begriff Haydn, daß er begreifen durfte, und Porpora war voll Freude über den Triumph, den er sich bereitet hatte. Haydn erfuhr nun zwar Sachen die er längst wußte, dennoch war dieser Unterricht im höchsten Grade anziehend und gewiß nicht ohne Nutzen für ihn: er lernte lehren, und da er in den Stunden, welche ihm sein Dienst bei Porpora frei ließ, in die Stadt ging, um seinen wenigen Schülern, die er nicht gern verlieren wollte, Unterricht zu geben, so konnte er von der vortrefflichen Methode, die ihm Porpora überlieferte, sogleich eine Anwendung machen.

– Ja, sehen Sie, sagte er am Ende seiner Stunde zum Porpora, indem er seiner Rolle treu blieb: diese Musik gefällt mir besser als die andere, und ich glaube, ich werde sie lernen können; aber die von heut morgens, da wollt' ich lieber wieder in das Kapellhaus gehen, als daß ich nur daran rühren thät.

– Es ist aber doch dasselbe, was du im Kapellhause gelernt hast; kann es zweierlei Musik geben, Dummkopf? Es giebt nur Eine Musik, wie nur Einen Gott.

– O, ich bitte mir's aus, lieber Herr! es giebt die Musik von Meister Reutter, die mir langweilig ist, und die Ihrige, die mir nicht langweilig ist.

– Viel Ehre für mich, Herr Beppo! sagte lachend der Porpora, dem das Compliment ganz wohl behagte.

Von diesem Tage an war Haydn Porpora's Schüler. Sie gelangten bald zu den Uebungen der italienischen Schule und zu den Grundregeln der lyrischen Composition. Dies war das Ziel, das der junge Mann so heiß ersehnt und so muthig verfolgt hatte. Er machte so geschwinde Fortschritte, daß der Meister entzückt, zugleich aber erstaunt und manchmal erschreckt war.

Als Consuelo Porpora's altes Mißtrauen wieder rege werden sah, gab sie ihrem jungen Freunde die Mittel an, dasselbe zu zerstreuen. Ein wenig Schwerfälligkeit, ein wenig Zerstreutheit mußten dann und wann geheuchelt werden, um des alten Meisters Lehrtrieb und Leidenschaft anzuspornen, denn Menschen von großen Fähigkeiten wollen zu deren Gebrauche gewöhnlich durch Widerstand und Schwierigkeiten angereizt sein.

Joseph sah sich genöthigt, bisweilen Unlust und Unachtsamkeit zu erkünsteln, um sich diesen kostbaren Unterricht zu erhalten, den er um Alles nicht hätte einbüßen mögen. Wenn er so that, als schleppte er sich nur unwillig zu der Stunde, dann stachelten Widerstandsgeist und Zähmungstrieb alle Kräfte des alten halsstarrigen und kampflustigen Professors auf, und nie gewann Beppo köstlichere Aufschlüsse, als wenn er deren klaren, feurigen, beredten Erguß dem Zorneifer und der Ironie des Meisters abgelistet hatte.

6.

Die Corilla, welche ihre Angelegenheiten thätiger und geschickter zu betreiben wußte, als der Porpora die seinigen, gewann inzwischen mit jedem Tage mehr Feld und unterhandelte schon, da sie völlig genesen war, mit der Direktion des Hoftheaters persönlich über die einzelnen Punkte ihres Contractes. Sie, die rüstige Virtuosin und mittelmäßige Künstlerin, gefiel dem Herrn Director und seiner Frau weit mehr als Consuelo.

Diese Herrschaften fühlten, daß die durchgebildete Porporina Meister Holzbauers Opern und seiner Frau Gemahlin Leistungen sehr von oben herab, wenn auch nur in ihren Gedanken, ansehen würde. Es war ihnen bekannt, daß große Künstler, wenn sie schlecht unterstützt und gezwungen werden, armselige Ideen wiederzugeben, erdrückt von solcher Gewaltthat gegen ihren Geschmack und ihr Künstlergewissen, nicht lange jene handwerksmäßige Leichtigkeit und jenes kecke Selbstvertrauen sich bewahren, womit die mittelmäßigen Darsteller jedes, auch das elendste Werk frischweg anfassen und von dem schreienden Mißlaut, den die rings um ihnen her verpfuschten Nebenrollen in das Ganze bringen, ungestört zu Ende führen.

Und selbst wenn es solchen großen Künstlern durch Wunderthaten der Kraft und Selbstüberwindung gelingt, die Widerwärtigkeiten ihrer Rolle und ihrer Umgebung zu besiegen, weiß es die neidische Umgebung ihnen keinen Dank; der Componist erräth ihr inneres Leiden und zittert unaufhörlich das erzwungene Feuer auslöschen und seinen Erfolg gefährden zu sehen; das Publikum sogar, gestört, beklommen, ohne zu wissen wovon, ahnt wenigstens das Ungeheuere welches sich vor ihm begiebt, daß ein Genie im Joche gemeiner Zumuthungen sich gegen seine Fessel bäumt, und klatscht den Riesenanstrengungen des Tapferen fast mit Angst und Seufzen Beifall.

Herr Holzbauer wußte vollkommen genau, wie wenig Consuelo seine Werke schätzte. Sie hatte das Unglück gehabt, es ihm selbst zu verrathen, als sie verkleidet ihm, als einem Manne, dem man auf der Reise begegnet, und dem man wahrscheinlich niemals wieder begegnen wird, rückhaltlos ihre Meinung darlegte, ohne zu ahnen, daß in der nächsten Zeit die Verfügung über ihre Künstlerthätigkeit diesem Unbekannten, dem guten Freunde des Kanonikus, in die Hände fallen würde.

Holzbauer hatte den Vorfall nicht vergessen und während er eine ruhige, bescheidene, höfliche Miene annahm, hatte er, im Innersten verwundet, es sich gelobt, ihr den Weg zu verschließen. Da er aber nicht wollte, daß der Porpora und seine Schülerin und was er deren Anhang nannte, ihn einer kleinlichen Rachsucht und einer elenden Empfindlichkeit öffentlich anklagen sollten, hatte er sein früheres Zusammentreffen mit Consuelo und. das Abentheuer beim Frühstück im Pfarrhause Niemanden als seiner Frau erzählt.

Daher kam es, daß der Herr Director von jenem Abentheuer gar nichts mehr zu wissen, daß er die Züge des kleinen Bertoni vergessen zu haben und nicht im Mindesten zu vermuthen schien, daß der herumziehende Sänger und die Porporina eine und dieselbe Person wären. Consuelo wußte nicht, wie sie Holzbauers Benehmen gegen sie sich auslegen sollte.

– Ich muß doch recht unkenntlich auf der Reise gewesen sein, sagte sie im Vertrauen zu Beppo; die Anordnung des Haares muß mein Gesicht unglaublich verändert haben, daß dieser Mann, der mich auf der Pfarre mit so scharfen, durchdringenden Augen ansah, mich hier nicht wiederkennt.

– Hat Sie doch auch der Graf Hoditz nicht wiedererkannt, als er Sie das erstemal beim Botschafter wiedersah, entgegnete Joseph, und wenn er Ihr Billet nicht erhalten hätte, würde er Sie vielleicht niemals erkannt haben.

– Ja! der Graf Hoditz hat aber eine nachlässige, unachtsame, stolze Art, die Leute anzusehen; er sieht sie eigentlich gar nicht an. Ich glaube fast, daß er auch in Passau von meinem Geschlechte nichts gemerkt haben würde, wenn nicht der Baron von Trenck dabei gewesen wäre, der es ihm sicherlich verrathen hat. Holzbauer dagegen sieht mich jedesmal wenn wir einander begegnen, mit denselben aufmerksamen, neugierigen Augen an, die ich auf der Pfarre an ihm bemerkt habe. Warum bewahrt er mir großmüthig das Geheimniß eines tollen Abentheuers, das, wenn er es schlimm auslegen wollte, für meinen Ruf nachtheilige Folgen haben, mir sogar Händel mit meinem Lehrer zuziehen könnte, welcher glaubt, daß ich ohne Leid und Fahr und Abentheuer nach Wien gekommen sei – warum thut das Holzbauer, während er doch andrerseits unter der Hand meine Stimme und meine Gesangmethode verkleinert und alles aufbietet was er vermag, um nicht in den Fall zu kommen, mich engagiren zu müssen? Er haßt mich, er will mich nicht, und die stärksten Waffen die er wider mich in Händen hat, gebraucht er nicht? Ich verstehe das nicht.

Das Räthsel löste sich ihr bald. Doch ehe man liest, was ihr begegnete, muß man sich erinnern, daß eine zahlreiche und mächtige Cotterie gegen sie arbeitete, daß die Corilla schön und galant war, daß der Minister Kaunitz diese oft sah, daß er sich gern in den Mischmasch der Theaterhändel mengte und daß ihn Maria Theresia, zur Erholung von den ernsten Geschäften gern von solchen Possen schwatzen hörte, indem sie sich innerlich über die Kleinheiten dieses großen Geistes lustig machte und andrerseits mit Ergötzen sah, wie die Klätschereien und Kabalen des Theaters ihr von dem Treiben an den drei vornehmsten, sämmtlich damals von Weiberintriguen beherrschten Höfen Europa's, dem ihrigen, dem der Czarin und dem der Frau von Pompadour, ein Bild im Kleinen lieferten.

Es ist bekannt, daß Maria Theresia einmal wöchentlich offene Audienz gab: ein von Hause aus heuchlerischer Brauch, welchen jedoch auch ihr Sohn Joseph II. stets ängstlich beobachtete, und welcher am österreichischen Hof nicht abgekommen ist. Maria Theresia bewilligte außerdem denen, welche in ihren Dienst treten wollten, ohne Schwierigkeit Privataudienzen und nie ist der Zugang zu einer Fürstin leichter zu erlangen gewesen.

Der Porpora hatte endlich die musikalische Audienz ausgewirkt, bei welcher die Kaiserin Gelegenheit haben sollte, Consuelo's ehrliches Gesicht in der Nähe zu sehen, und ihr, wenn es glückte, persönlich gewogen zu werden. Die letztere Hoffnung hegte wenigstens der Maestro. Da er wußte, wie strenge Ihre Majestät auf gute Sitten und ein gesetztes Aeußere hielt, so dachte er, sie würde sich gewiß angenehm berührt finden von der Unschuld und Bescheidenheit die aus dem ganzen Wesen seiner Schülerin sprachen.

Beide wurden in einen der kleinen Säle des Palastes geführt, man hatte ein Klavier hineingestellt und nach einer halben Stunde erschien die Kaiserin. Sie hatte eben hochgestellte Personen empfangen und war noch in dem Repräsentationsornate, in welchem man sie auf den mit ihrem Bilde gezierten Goldstücken sieht, in einem brokatnen Rocke, im Kaisermantel, die Krone auf dem Kopf und einen kleinen ungarischen Säbel an der Seite. So war sie wirklich schön, nicht imposant und ein Ideal von Adel der Erscheinung, wie ihre Höflinge sie zu schildern pflegten, aber frisch, lebendig, von offenem, zufriedenem Gesicht, von zuversichtlicher unternehmender Miene.

Es war recht der König Maria Theresia, wie die ungarischen Magnaten mit dem Säbel in der Faust an jenem begeisterten Tage sie begrüßt hatten, aber auf den ersten Blick eher ein guter als ein großer König. Sie verrieth keine Koketterie und die Natürlichkeit und Offenheit ihres Benehmens verkündigte eine ruhige und von Frauenlist freie Seele. Wenn man sie aber länger betrachtete, besonders dann wann sie mit Beharrlichkeit Fragen vorlegte, bemerkte man etwas Feines, etwas Schlaues, kalt Berechnendes in diesem so heiteren, freundlichen Gesichte; jedoch den männlich schlauen, wenn man will, königlich schlauen Zug, nicht den der Galanterie ...

– Ihr wollt mich Euere Schülerin hören lassen, redete sie den Porpora an, ich weiß schon, daß sie sehr gut unterrichtet ist und eine prächtige Stimme hat, auch habe ich nicht vergessen, welches Vergnügen sie mir in dem Oratorium Betulia liberata gemacht. Aber ich will vorerst vertraulich mit ihr plaudern. Ich habe ihr verschiedene Fragen vorzulegen, und indem ich mich zu ihr einer unbedingten Freimüthigkeit versehe, hoffe ich, daß ich ihr die Protection, welche sie wünscht, werde gewähren können.

Der Porpora beeilte sich, den Saal zu verlassen, da er in den Augen Ihrer Majestät las, daß sie mit Consuelo allein zu sein wünschte. Er zog sich in eine anstoßende Gallerie zurück, wo er sehr fror: denn die Hofhaltung war durch die vielen Kriegskosten zu Grunde gerichtet, und die sparsamste Einrichtung sagte eben so sehr dem Sinne der Kaiserin zu, als sie von den Umständen geboten war.

Consuelo stand der Tochter und Mutter von Kaisern, der Heldin Deutschlands, der größten Frau die es in Europa damals gab, unbefangen und furchtlos gegenüber. Sei es daß der Gleichmuth ihrer Künstlerseele sie unempfänglich machte für die gewappnete Pracht welche rings um Maria Theresia blitzte und selbst noch an der Kleidung der Kaiserin, sei es daß sie in ihrem stolzen freien Herzen sich auf gleicher Höhe mit jeder geistigen Größe fühlte, genug sie erwartete mit heiterem Geiste und in ruhiger Haltung, was es Ihrer Majestät belieben würde sie zu fragen.

Die Kaiserin setzte sich auf ein Kanapee, zupfte ein wenig an ihrem mit Edelsteinen bedeckten Bandelier, welches ihr die weiße, runde Schulter belästigte und drückte, und hob dann an:

– Ich wiederhole dir, mein Kind, ich halte viel von deinem Talent, und zweifle nicht daß du gut studirt hast und gute Intelligenz in deinem métier besitzest, aber man muß dich avertirt haben, daß in meinen Augen das Talent nichts ist ohne die gute Conduite und daß ich noch mehr halten thu an einen reinen, frommen Sinn als auf ein groß Genie.

Consuelo hörte vor der Kaiserin stehend diesen Eingang ehrfurchtsvoll an, aber es schien ihr darin keine Aufforderung zu liegen, ihr eigenes Lob anzustimmen, und da sie allezeit einen tödtlichen Widerwillen dagegen hatte, sich der Tugenden zu rühmen, welche sie in Einfalt ausübte, so erwartete sie schweigend die bestimmteren Fragen der Kaiserin in Betreff ihrer Grundsätze und Absichten.

Es war indessen der rechte Augenblick, die Herrin mit einem wohlgesetzten Loblied zu bedienen über Dero himmlische Frömmigkeit, über Dero erhabene Tugenden, über die Unmöglichkeit sich mit Dero Beispiel vor Augen schlecht aufzuführen.

Der armen Consuelo fiel es auch nicht von fern ein, sich diese Gelegenheit zu Nutze zu machen. Zartfühlende Seelen müßten ja fürchten einen großen Charakter durch gemeine Lobpreisungen zu beleidigen.

Allein Souveraine, wenn sie sich auch nicht bethören lassen von dem grob gestreuten Weihrauch, sind doch so daran gewöhnt ihn einzuathmen, daß sie ihn als bloßes Opfer der Unterthänigkeit und der Etikette fodern!

Maria Theresia war erstaunt über das Schweigen des jungen Mädchens. Sie nahm einen weniger sanften Ton und eine weniger aufmunternde Miene an, und fuhr fort:

– Nun, ich weiß, meine liebe Kleine, daß Ihre Aufführung ein wenig legère gewesen ist und daß Sie, ohne verheiratet zu sein, in einer eigenen Intimität mit einem jungen Mann von Ihrer Profession lebt, auf dessen Namen ich mich nicht gleich besinne.

– Ich kann Ew. Majestät nur ein einziges Wort erwidern, sagte nun endlich Consuelo, durch die Ungerechtigkeit dieser unerwarteten Beschuldigung aufgeregt, nämlich: ich habe niemals einen einzigen Fehltritt begangen, dessen Bewußtsein mich verhindern könnte, den Blick Ew. Majestät mit süßem Stolz und dankbarer Freude zu ertragen.

Maria Theresia war überrascht von dem edeln und festen Ausdruck, welchen Consuelo's Gesicht in diesem Augenblick annahm. Fünf oder sechs Jahre früher würde sie ihn ohne Zweifel mit Vergnügen und Theilnahme bemerkt haben; aber Maria Theresia war jetzt schon Königin bis auf den Grund der Seele, und in der Ausübung ihrer Gewalt hatte sie sich in jenen Zustand eines gewissen nüchternen Rausches versetzt, der nichts vor sich duldet was nicht biegen oder brechen will. Maria Theresia wollte der einzige starke Charakter in allen ihren Staaten sein, nicht nur als Herrscherin, nein, auch als Weib. Daher verletzte sie das stolze Lächeln und der freie Blick dieses Mädchens, das doch vor ihr nur ein Würmlein war, und mit dem sie gemeint hatte sich einen Augenblick Kurzweil zu machen, wie mit einem Sklaven den man Neugier halber einmal plaudern läßt.

– Ich habe Sie gefragt, Mademoiselle, wie der junge Mensch heißt, welcher mit Ihr bei dem Maestro Porpora wohnt, sagte sie mit eisiger Kälte, und ich habe keine Antwort erhalten.

– Er heißt Joseph Haydn, antwortete Consuelo ohne sich zu regen.

Eh bien! er ist aus Inclination für Sie in Meister Porpora's Dienst als Valet de chambre getreten und Meister Porpora kennt die wahren Motive der Conduite dieses jungen Menschen nicht, während Sie dieselben, die Ihr wohl bewußt sind, encouragirt.

– Man hat mich bei Ew. Majestät verleumdet: dieser junge Mann hat nie eine Inclination für mich gehabt (Consuelo glaubte hierin die Wahrheit zu sprechen), und ich weiß sogar, daß er ein anderweitiges Engagement hat. Wenn eine kleine Täuschung meines ehrwürdigen Lehrers in dieser Sache stattfindet, so sind die Motive derselben durchaus unschuldig, und vielleicht ehrenwerth. Die Liebe zur Kunst hat den jungen Haydn vermocht, in den Dienst des Porpora zu treten, und da Ew. Majestät geruht, die Conduite Ihrer geringsten Unterthanen in Erwägung zu ziehen, wie ich es denn für unmöglich halte, daß Dero Scharfsicht und Billigkeit irgend etwas entgehe, so bin ich überzeugt, daß Ew. Majestät meiner Aufrichtigkeit werde Gerechtigkeit widerfahren lassen, sobald Dieselbe geruht meine Sache gründlich zu untersuchen.

Maria Theresia war in der That zu scharfblickend um nicht den Stempel der Wahrheit in Consuelo's Miene zu erkennen. Noch hatte sie nicht ganz den Heldensinn ihrer Jugend verloren, obgleich sie im besten Zuge war den abschüssigen Weg, zu dem die unbedingte Macht führt, niederzusteigen, auf welchem allgemach auch in dem edelsten Herzen der Glaube an die Menschheit mehr und mehr erlischt.

– Junges Madel, sagte sie, ich halte Sie für wahrhaft und ich finde an Ihr eine decente Miene, aber zugleich einen großen Stolz und ein Mißtrauen in meine mütterliche Güte, so daß ich fürchte, nichts für Sie thun zu können.

– Wenn ich mich an Maria Theresia's mütterliche Güte zu wenden habe, sagte Consuelo, gerührt von diesem Ausdruck, dessen, ach, so weite Bedeutung die Aermste nicht kannte, so will ich mich Ihr zu Füßen werfend, diese anrufen; aber wenn ...

– Weiter, mein Kind! sagte Maria Theresia, die ohne daß sie es sich selbst gestand, gern diese seltsame Person zu ihren Füßen gesehen hätte.

– Wenn ich mich an die kaiserliche Gerechtigkeit Ew. Majestät zu wenden habe, dann fühle ich mich, wie ein reiner Athem auch die Luft welche die Götter athmen, nicht besudelt, in dem ganzen Stolze, welcher nothwendig ist, um Ihrer Protection würdig zu sein.

– Porporina, sagte die Kaiserin, Sie hat Verstand und Ihre Originalität, die einem Andern mißfallen würde, schadet Ihr bei mir nicht. Ich hab schon gesagt, daß ich Sie für offenherzig halte, und doch weiß ich, daß Sie mir etwas zu bekennen hat. Warum bedenkt Sie sich, es zu thun? Sie liebt den Joseph Haydn, Ihre Liaison ist schuldlos, das will ich nicht bezweifeln. Aber Sie liebt ihn, denn blos um des Plaisirs willen ihn öfter zu sehen, oder gesetzt auch um ihm in der Musik durch den Unterricht des Porpora fortzuhelfen, exponirt Sie unerschrocken Ihre Reputation, welche das heiligste und wichtigste im Leben einer Frau ist. Aber sie fürchtet vielleicht, daß Ihr Lehrer, Ihr Adoptivvater nicht in Ihre Verbindung mit einem pauvren und obscuren Artisten willigen wird. Möglich auch, denn ich will allen Ihren Assertionen glauben, daß der junge Mensch anderweitig liebt, und Sie, aus Stolz, denn ich seh wohl, daß Sie stolz ist, cachirt Ihre Inclination, und sacrificirt großmüthig Ihre gute Renommée, ohne von diesem Opfer irgend einen persönlichen Vortheil zu haben. Eh bien, meine liebe Kleine! an Ihrer Stelle würde ich, wenn ich die Occasion hätte, die sich Ihr in diesem Moment darbietet und vielleicht nicht wieder darbieten wird, meinem Souverain mein Herz decouvriren, und würde sagen: »Du, die du Gutes thun kannst, ich vertrau dir mein Schicksal, räume alle Hindernisse hinweg! Du kannst mit einem einzigen Worte die Disposition meines Vormunds, meines Geliebten ändern, mir die öffentliche Aestimation wieder verschaffen und mich in eine so ehrenvolle Position setzen, daß ich in den Dienst des Hofes treten kann.« Solches Vertrauen sollte Sie billig in meine mütterliche Theilnahme setzen, und es thut mir leid, daß Sie das nicht begriffen hat.

Consuelo dachte bei sich: Ich begreife sehr wohl, daß du aus einer wunderlichen Kaprice, aus einem Eigensinn, wie ihn verzogene Kinder haben, große Königin, begehrst, die Zingarella solle dein Knie umfassen, weil es dir scheint, daß dieses Knie steif ist vor dir, und weil dir das eine ungewohnte Erscheinung ist. Nein, dieses Ergötzen soll dir nicht werden, wenigstens nicht eher, als bis du mir gezeigt hast, daß du meine Huldigung verdienst.

Diese Betrachtungen hatte sie in einem Nu angestellt und noch andere, während Maria Theresia ihr vorpredigte. Sie hatte sich gesagt, daß Porpora's, Glück hier auf einen Wurf gesetzt war, auf eine kaiserliche Laune, und daß die Zukunft ihres Lehrers wohl einer kleinen Demüthigung von ihrer Seite werth wäre. Aber umsonst wollte sie sich nicht demüthigen. Sie wollte nicht Komödie spielen mit einem gekrönten Haupte, das sich gewiß eben so gut wie sie selbst darauf verstand. Sie wartete, daß sich Maria Theresia wahrhaft groß vor ihr zeigen sollte, damit sie selbst in ihrem Fußfall sich aufrichtig zeigen könnte.

Als die Kaiserin ihren Sermon geendet hatte, erwiderte Consuelo:

– Ich werde auf alles antworten, was Ew. Majestät zu sagen geruht hat, wenn Ew. Majestät es mir befiehlt.

– Ja wohl, ja wohl! sagte die Kaiserin voll Verdruß über die unveränderte Haltung des Mädchens.

– Ich muß Ew. Majestät zuvörderst bemerklich machen, daß ich aus Dero kaiserlichem Munde zum erstenmale in meinem Leben erfahre, daß meine Reputation durch Joseph Haydns Anwesenheit im Hause meines Lehrers compromittirt sei. Ich habe mich zu gering gehalten, um ein Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit zu sein, und wenn man mir gesagt hätte, als ich mich in den kaiserlichen Pallast begab, daß die Kaiserin selbst meine Lage prüfte und tadelte, so würde ich zu träumen geglaubt haben.

Maria Theresia fiel ihr in die Rede, sie glaubte Ironie in dieser Bemerkung Consuelo's finden zu müssen.

– Sie darf sich nicht wundern, sagte sie mit etwas emphatischem Tone, daß ich mich beschäftigen thu mit den geringfügigsten Details im Leben derjenigen, für welche ich vor Gott responsabel bin.

– Man wundert sich bisweilen über das was man bewundert, antwortete Consuelo geschickt; wenn auch das Größeste wirklich stets das einfachste ist, so ist es wenigstens so selten anzutreffen, daß es uns im ersten Augenblick überrascht.

– Außerdem interessire ich mich ganz besonders für die Artisten mit denen ich gern meinen Hof ziere, fuhr die Kaiserin fort. Das Theater ist sonst überall eine Schule des Skandals, ein abîme von Schändlichkeit. Ich habe die Prätention, die wenn nicht zu realisiren, doch wenigstens löblich ist, die Klasse der Komödianten, die bei mehreren Nationen ein Gegenstand blinder Verachtung und selbst religiöser Verdammung ist, vor den Menschen zu Ehr zu bringen und zu reinigen vor Gott. Während in Frankreich die Kirche ihnen ihre Thür verschließt, will ich in meinen Landen, daß ihnen die Kirche ihren Schoß öffnen soll. Ich hab niemals andre admittirt, weder bei meiner italienischen Oper, noch bei meiner französischen Comédie, noch bei meinem Nationaltheater, als bloß Personen von erprobter Moralität, oder zum wenigsten die ernst resolvirt waren, ihre Conduite zu reformiren. Sie muß wissen, mein Kind, daß ich meine Komödianten verheirate, daß ich deren Kinder in Person über die Tauf halte, denn ich will durch alle erdenklichen faveurs dazu encouragiren, daß die Kinder legitim geboren werden und die Ehegatten einander die Treu observiren.

Wenn wir das gewußt hätten, dachte Consuelo, so würden wir Ihre Majestät gebeten haben, an meiner Statt bei Angelika Gevatter zu stehen.

– Ew. Majestät wird ernten was sie säet, sagte sie laut, und wenn ich einen Fehltritt auf dem Gewissen hätte, so würd' ich mich sehr glücklich schätzen, in Ew. Majestät einen Beichtiger so erbarmungsvoll als Gott selbst zu finden. Allein ...

– Weiter! was hat Sie sagen wollen? fragte Maria Theresia, sie von oben herab ansehend.

– Ich wollte sagen, antwortete Consuelo, daß ich, unbekannt mit dem Vorwurf welchen man mir daraus machte, den Aufenthalt des jungen Haydn in unserem Hause zugelassen zu haben, ihm eben nicht ein großes Opfer damit gebracht habe, daß ich mich diesem Vorwurf aussetzte.

– Ich versteh, sagte die Kaiserin, Sie stellt alles in Abred.

– Wie könnte ich etwas eingestehn, das nicht wahr ist? entgegnete Consuelo. Ich habe weder eine Inclination für den Zögling meines Lehrers, noch den Wunsch ihn zu heiraten.

Und wenn es auch anders wäre, dachte sie bei sich, so würde ich doch sein Herz, auf Allerhöchsten Befehl mir überliefert, nicht mögen.

– Sie will demnach Jungfrau bleiben? sagte die Kaiserin, indem sie aufstand. Eh bien, ich erkläre, daß dieses eine Position ist, die mir im Punkte der Ehre nicht die Garantien giebt, die ich zu meiner Sicherheit wünsch. Es ist im Uebrigen inconvenient, daß eine junge Person in gewissen Rollen erscheint und gewisse Passionen repräsentirt, wenn sie nicht die Sanction der Mariage und den Schutz eines Ehemannes auf ihrer Seite hat. Es ist nur an Ihr gelegen, es bei mir über Madame Corilla die mit Ihr concurrirt, davonzutragen, denn ich hab über Madame Corilla zwar viel Gutes gehört, aber sie spricht das Italienisch nicht so rein aus als wie Sie. Allein Madame Corilla ist verheiratet, und Mutter, wodurch ihre Position in meinen Augen recommandabler ist als diejenige, in der Sie, mein Kind, durchaus verbleiben will.

– Verheiratet! konnte sich die arme Consuelo nicht enthalten halblaut auszurufen, als sie mit unsäglichem Erstaunen sah, welche tugendhafte Person die sehr tugendhafte und sehr scharfblickende Kaiserin ihr vorzog.

– Allerdings verheiratet! sagte die Kaiserin im Tone der Bestimmtheit und schon zornig, daß in Betreff ihres Schützlings die Aeußerung eines Zweifels gewagt wurde. Sie hat kürzlich einem Kinde das Leben gegeben, welches sie den Händen eines respectabeln und fleißigen Geistlichen, des Canonikus N. übergeben hat, damit das Kind eine christliche Couration erhalte und ohne Zweifel würde dieser würdige Priester sich mit einer solchen Affaire nicht beladen haben, wenn er nicht Ursach hätt', die Mutter zu ästimiren.

– Ich zweifle nicht daran, entgegnete Consuelo, der es mitten in ihrem Unwillen zum Troste gereichte, zu erfahren, daß der Schritt, welchen sie dem Canonikus abgenöthigt hatte, diesem nicht nur keine Rüge, sondern Lob eintrug.

– So wird Geschichte geschrieben, so werden Könige unterrichtet, sagte sie zu sich, nachdem die Kaiserin mit stolzem Gange und ihr statt Grußes ein leichtes Kopfnicken zuwerfend, das Gemach verlassen hatte. Wohlan! Bleibt doch in einer bösen Sache immer noch etwas Gutes auf dem Grunde zurück, und manchmal führt es zum Besten, wenn die Menschen im Irrthum befangen sind. Man wird dem Canonikus seine liebe Priorei nicht nehmen, man wird der Angiolina ihren guten Canonikus nicht nehmen. Die Corilla wird sich bekehren, wenn die Kaiserin ihre Hand ins Spiel bringt, und ich, ich habe mein Knie nicht gebeugt vor einem Weibe das nicht mehr werth ist als ich.

– Nun? nun? wisperte der Porpora, der sie in der Gallerie zähneklappend und die Hände vor Unruh und Ungeduld windend, erwartet hatte; ich hoffe, wir haben gewonnen!

– Im Gegentheil, wir haben verloren, lieber Meister!

– Mit welcher Ruhe du das sagst! Hol dich der Teufel!

– Dergleichen müssen Sie hier nicht sagen, Meister! der Teufel ist bei Hofe sehr schlecht angesehen. Lassen Sie uns nur die letzte Thür des Palastes hinter uns haben, so erzähle ich Ihnen alles.

– Nun, was hat es gegeben? rief der Porpora ungeduldig, als sie außen waren.

– Erinnern Sie sich, Meister, antwortete Consuelo, wie wir den großen Kaunitz nannten, als wir von der Markgräfin nach Hause gingen?

– Eine alte Klatschschwester! Nun ja! hat er uns hinter dem Rücken schlimm gedient?

– Ohne Zweifel! Und ich sage Ihnen jetzt: Ihre Majestät die Kaiserin Königin ist ebenfalls eine Klatschschwester.

7.

Consuelo erzählte dem Porpora was er wissen durfte: das Uebrige würde ihn nur betrübt, beunruhigt und vielleicht gegen Haydn aufgebracht haben, ohne irgend etwas zu nützen. Auch ihrem jungen Freunde wollte Consuelo das nicht erzählen was sie dem Porpora verschwieg. Die haltlosen Beschuldigungen, welche einige feindlich gesinnte Personen bei der Kaiserin wider sie angebracht hatten, verachtete sie mit Recht: in das Publikum waren dieselben nicht eingedrungen.

Der Botschafter Corner, dem sie sich vollständig anzuvertrauen für gut hielt, bestätigte ihr dies, und um zu verhüten, daß die Bosheit sich dieses Keimes von Verleumdung bemächtige, traf er klug und großmüthig Vorkehrungen. Er bewog den Porpora, mit Consuelo in sein Hotel zu ziehen; Haydn trat in seinen Dienst und wurde an den Tisch der Privatsecretaire gezogen. Durch diese Veranstaltung war vielen Uebelständen zugleich abgeholfen: der alte Maestro war vor Noth geborgen, Joseph fuhr fort, denselben persönlich zu bedienen und hatte dadurch Gelegenheit viel um ihn zu sein und seinen Unterricht zu genießen, und Consuelo war vor boshaften Deutungen ihrer Lage gesicher.

Ungeachtet dieser Vorsichtsmaßregeln wurde die Corilla und nicht Consuelo beim kaiserlichen Theater engagirt. Consuelo hatte der Kaiserin nicht zu gefallen gewußt. Diese große Fürstin belustigte sich an den Coulissengeschichten, die ihr Kaunitz und Metastasio halb und halb und immer anmuthig gewürzt erzählten; sie wollte auch die Rolle der fleischgewordenen und gekrönten Vorsehung spielen unter diesem Gesindel, das vor ihr die Rolle reuiger Sünder und wiedergeborener Seelen spielte.

Man kann wohl denken, daß in der Zahl der Heuchler, die für ihre vorgebliche Frömmigkeit kleine Pensionen und kleine Geschenke empfingen, weder Caffariello war, noch Farinelli, noch die Tesi, noch Madame Hasse, noch irgend eines jener glänzenden Talente die Wien eine Zeitlang besaß, und denen um ihrer Größe und Berühmtheit willen der Sünden Menge vergeben wurde.

Aber die untergeordneten Stellen wurden von Leuten erbeutet die es über sich gewinnen konnten, der frommen und moralisirenden Marotte Ihrer Majestät zu schmeicheln, und Ihre Majestät, die alles und jedes im Geiste der politischen Intrigue betrieb, machte diplomatischen Mischmasch, um einen ihrer Comödianten zu verheiraten oder zu bekehren.

Wer Favarts Memoiren gelesen hat, diesen interessanten wahrhaften Roman, dessen Inhalt sich vollständig zwischen den Coulissen zugetragen hatte, wird wissen, welche Mühe dieser Mann sich gab, passende Subjecte, nämlich Schauspielerinnen und Sängerinnen für das Wiener Hoftheater aufzufinden, denn ihm war die Liefrung dieses Artikels übertragen. Man begehrte sie zu wohlfeilem Preise und dabei vor allen Dingen keusch wie Vestalinnen. Wenn ich nicht irre, hat der geistreiche Hoflieferant der Kaiserin Paris in allen Winkeln durchsucht und zuletzt bekennen müssen, daß er keine einzige nach Wunsch gefunden; was der Freimüthigkeit unserer filles d'Opera (wie man sie damals nannte) mehr Ehre macht als ihrer Sittsamkeit.

Also Maria Theresia trachtete, dem Vergnügen welches sie an dieser ganzen Wirthschaft fand, einen erbaulichen und ihres mildherzigen und königlichen Characters würdigen Vorwand zu verschaffen. Monarchen machen stets Parade, oder Positur wie der Porpora sagte, und große Monarchen vielleicht mehr als andere: der Porpora wiederholte das unaufhörlich und er hatte Recht.

Die große Kaiserin, die eifrige Katholikin, die exemplarische Mutter hatte keine Abneigung sich mit einer Prostituirten weitläufig einzulassen, eine solche zu katechisiren, deren wunderliche Beichte vertraulich anzuhören, um den Ruhm zu erwerben, eine büßende Magdalene zu den Füßen des Herrn geführt zu haben. Der Privatschatz Ihrer Majestät, Schuld und Reue vermittelnd, machte die Gnaden wunderzahlreich in der kaiserlichen Hand.

Die Corilla, die schluchzende, zerknirschte, wenn auch nicht in Person (denn schwerlich gab sich ihr unbeugsamer Sinn zu einer Comödie dieser Art her) aber doch durch Prokura des Herrn von Kaunitz, der für ihre junge Tugend Bürgschaft leistete, mußte daher unfehlbar über ein so entschlossenes, stolzes, starkes Mädchen wie die tadellose Consuelo war, den Sieg davon tragen.

Maria Theresia liebte in ihren Protégées vom Theater nur diejenigen Tugenden die sie ihr Werk nennen konnte. Die Tugenden welche sich selbst erzeugt oder gehütet hatten, gewannen ihr wenig Theilnahme ab: sie glaubte nicht an solche Tugend, obwohl sie selbst tugendhaft war. Genug, Consuelo's Haltung hatte sie verdrossen: Consuelo war ihr trotzig und rechthaberisch erschienen. Es war zu unverschämt, zu übermüthig von solch einem kleinen Zigeunergeschöpf, sittsam und achtungswerth sein zu wollen, ohne daß die Kaiserin dazu geholfen hatte.

Als Herr von Kaunitz, der immer den vollkommen Unpartheiischen spielte, wenn er noch so sehr die Eine auf Kosten der Andern vorschob, an Ihre Majestät die Frage richtete, ob sie das Gesuch dieser Kleinen gewährt habe, antwortete Maria Theresia:

– Ich bin mit ihren Prinzipien nicht contente gewesen. Es ist nicht weiter die Rede von ihr.

Hiermit war alles gesagt. Stimme, Gesicht, selbst der Name der Porporina, alles war in Vergessenheit begraben.

Ein einziges Wort hatte hingereicht, um dem Porpora die Ursache der kaiserlichen Ungnade und seines Mißgeschickes vollkommen und genügend zu erklären. Consuelo konnte nicht anders als ihm sagen, ihr lediger Stand hätte sie in den Augen der Kaiserin unzuläßlich gemacht.

– Und die Corilla? rief der Porpora, als er deren Zulassung erfuhr. Hat Ihre Majestät sie etwa unter die Haube gebracht?

– So viel ich aus den Worten Ihrer Majestät verstehen oder vielmehr errathen konnte, gilt die Corilla hier für eine Witwe.

– Hoho! dreimal Witwe, zehnmal, hundertmal Witwe, wahrhaftig! sagte Porpora mit einer bitteren Lache. Wie aber, wenn nun herauskommt wie es mit ihr steht und wenn sie sich hier abermals und noch unzählige Male verwitwet? He, und das Kind, wovon ich hab' erzählen hören, das sie in der Nähe von Wien einem Kanonikus auf dem Halse gelassen hat, das Kind, das sie dem Grafen Zustiniani hat für seines aufbinden wollen und das der Graf Zustiniani ihr rieth der väterlichen Zärtlichkeit Anzoleto's anzuempfehlen?

– Sie wird sich über alles das mit ihren guten Freunden lustig machen; sie wird es ihrer Gewohnheit nach in den schamlosesten Ausdrücken erzählen und die Kaiserin wegen des Streiches, den diese sich von ihr hat spielen lassen, in der Stille ihres Alkovens auslachen.

– Und wenn die Kaiserin die Wahrheit erfährt, wie dann?

– Die Kaiserin erfährt die Wahrheit nicht. Monarchen sind, denke ich mir, mit Ohren umgeben, die den ihrigen als Vorhalle dienen. Vieles bleibt ganz außen, und nichts gelangt in das Allerheiligste des kaiserlichen Ohres als was die Wächter hindurchlassen wollen.

– Nun ja! und die Zuflucht bleibt der Corilla immer noch, sagte Porpora, daß sie beichten gehe, und Herr von Kaunitz wird recht gern die Mühe auf sich nehmen, ihr Beichte zu sitzen.

So ließ der arme Maestro in bitteren Spöttereien seine Galle aus; aber sein Verdruß war gränzenlos. Er hatte keine Hoffnung mehr, die Oper welche er fertig hatte, zur Darstellung zu bringen, um so weniger als das libretto welches er componirt hatte, nicht von Metastasio war, und Metastasio hatte für die Hofpoesie das Monopol. Er hatte einige Ahnung davon, daß Consuelo nicht sehr geschickt verfahren war, die Gunst der Kaiserin zu gewinnen und konnte sich nicht enthalten, sie seinen Verdruß darüber fühlen zu lassen.

Und um das Maß des Unglücks übervoll zu machen, hatte der Botschafter von Venedig die Unvorsichtigkeit, dem Porpora, den er eines Tages voll Stolz und Freude fand über die schnelle Entwicklung, welche Joseph Haydn's musikalische Anlage unter seinen Händen nahm, die ganze Wahrheit in Betreff dieses jungen Künstlers zu sagen und ihm dessen hübsche Versuche in der Instrumentalcomposition zu zeigen, welche bereits bei den Liebhabern sich zu verbreiten und bemerkt zu werden anfingen.

Der Maestro schrie, er wäre betrogen und gerieth in eine schreckliche Wuth. Zum Glück vermuthete er nicht, daß Consuelo um diese List gewußt habe und Herr Corner beeilte sich, sobald er sah, welchen Sturm er heraufbeschworen hatte, durch eine wohlerfundene Lüge jeden Argwohn des Maestro in Betreff seiner Schülerin zu verhüten. Er konnte indessen nicht verhindern, daß der Maestro Joseph mehre Tage aus seinem Zimmer verbannte, und Corner's ganzer Einfluß auf Porpora, den er vermöge seiner Protection und der Dienste die er diesem leistete, besaß, war nöthig, um dem Schüler die Gunst des Lehrers wieder zu verschaffen.

Der Porpora trug jedoch seinen Groll dem armen Haydn noch lange nach und man will sogar wissen, daß er Gefallen daran fand, ihn seine Musikstunden durch Demüthigungen theuer erkaufen zu lassen, indem er ihn zu lästigeren Handdiensten zwang und längere Zeit als nöthig war, denn er hatte die Dienerschaft des Botschafters zu seiner Verfügung.

Haydn ließ sich dadurch nicht abschrecken und durch seine Sanftmuth und Ergebenheit, wobei ihn die gute Consuelo stets tröstete und ermuthigte, durch seinen angestrengten Fleiß und seine Aufmerksamkeit in den Stunden, entwaffnete er zuletzt den rauhen Lehrer und erlangte alles, was er sich von ihm aneignen konnte und wollte.

Haydns Genie strebte jedoch danach, sich einen anderen Weg in der Kunst, als die bisher betretenen, zu bahnen, und ehe er noch die Werke schuf, in denen er der Schöpfer der neueren Symphonie geworden, theilte er schon oft seiner Freundin Gedanken über die Wirkungen mit, welche er von der Anwendung der Instrumentalcomposition in großartigen Verhältnissen sich versprach.

Diese großartigen Verhältnisse, welche uns freilich heut zu Tage so einfach und bescheiden scheinen, konnten vor hundert Jahren ebensogut für Hirngespinnste eines Narren als für die Offenbarung einer dem Genie sich öffnenden neuen Aera gelten. Joseph zweifelte noch an sich selbst und nicht ohne Furcht entdeckte er der Porporina heimlich und leise die Ahnungen in denen sein Geist rang.

Auch Consuelo erschrak Anfangs vor der Kühnheit seiner Träume. Die Instrumentalmusik hatte bis dahin nur eine untergeordnete, dienende Stelle eingenommen, und, wenn sie sich dann und wann von der menschlichen Stimme trennte, immer nur mit wenigen beschränkten Mitteln gewirkt. Indessen erkannte Consuelo in ihres jungen Kunstgenossen Geist eine solche Ruhe und Klarheit, eine solche Ausdauer und Anspruchlosigkeit, in seinem Wesen und Benehmen eine so wahre Bescheidenheit und so einen gewissenhaften und besonnenen Ernst des Suchens nach dem Rechten, daß sie ihn unmöglich für einen vorwitzigen Thoren halten konnte, daß sie ihn daher für einen voraussichtigen, schöpferischen Geist hielt und ihn aufmunterte, seine Pläne zu verfolgen.

Um diese Zeit componirte Haydn eine Serenade für drei Instrumente, und spielte diese Musik zweien seiner Freunde Abends unter den Fenstern der Dilettanti, deren Aufmerksamkeit er auf seine Werke zu lenken wünschte. Bei dem Porpora machte er den Anfang, der, ohne zu wissen von wem das Stück sei, sich an das Fenster stellte, mit Vergnügen zuhörte, und am Schlusse in die Hände klatschte. Diesesmal war der Botschafter, welcher in das Vertrauen gezogen war und mit zuhörte, auf seiner Hut und verrieth den jungen Componisten nicht. Denn der Porpora liebte es nicht, wenn Jemand der seinen Unterricht im Singen genoß, sich durch andere Gedanken zerstreute.

In derselben Zeit erhielt der Porpora einen Brief von dem trefflichen Contraalt Hubert, seinem Schüler der im Dienste Friedrichs II. stand und il Porporino genannt wurde. Dieser ausgezeichnete Künstler war nicht, gleich den übrigen Schülern des alten Meisters so von sich eingenommen, daß er vergessen hätte was er seinem Lehrer schuldig war. Der Porporino war den Grundsätzen des Gesanges die er überkommen hatte, stets unbedingt treu geblieben und hatte damit stets Wirkung gemacht: er hatte einen breiten, reinen Vortrag, enthielt sich der Verzierungen und wich nie von der gediegenen Behandlungsweise, zu welcher ihm sein Lehrer die Anleitung gegeben hatte. Besonders zeigte er im Adagio seine Meisterschaft.

Auch hatte Porpora eine Vorliebe für diesen Zögling, welche er nur mit Mühe vor den fanatischen Bewunderern Farinelli's und Caffariello's verbarg. Er räumte ein, daß diese großen Virtuosen mit ihrer Kehlfertigkeit, mit der Biegsamkeit ihrer Stimmen, mit der Mannigfaltigkeit ihrer brillanten Verzierungen mehr Effekt machen und ein nach erstaunlichen Schwierigkeiten lüsternes Publikum leichter in ein plötzliches Entzücken versetzen konnten; aber im Vertrauen sagte er, daß sein Porporino nie dem schlechten Geschmack Opfer brächte, und daß man niemals müde würde, ihn zu hören, trotz seines eisernen Festhaltens an der nämlichen Manier. Es schien, daß man in Preußen seiner in der That nicht müde wurde, denn er glänzte dort während seiner ganzen musikalischen Laufbahn, und er starb sehr alt, nachdem er länger als vierzig Jahre im Lande gewesen.

Huberts Brief that dem Porpora zu wissen, daß dessen Musik in Berlin sehr goutirt werde und daß sich Hubert anheischig machen könne, wofern der Maestro nach Berlin kommen wollte, dessen neuen Compositionen die Zulassung zu verschaffen. Er drang sehr in ihn, Wien zu verlassen, woselbst die Künstler beständig mit Kabalen zu kämpfen hätten und für den preußischen Hof eine distinguirte Sängerin »anzuwerben«, die mit dem Porporino des Meisters Opern singen könnte. Er zollte dem richtigen Geschmack seines Königs die größten Lobeserhebungen und ebenso der ehrenvollen Behandlung, welche derselbe den Musikern angedeihen ließe.

»Wenn dieses Projekt Euch zusagt,« schloß er seinen Brief, »so lasset mich eilends wissen, welche Ansprüche Ihr machet, und ich stehe Euch dafür, binnen drei Monaten von jetzt ab, Euch Bedingungen anbieten zu können, welche Euch endlich eine friedliche Existenz verschaffen werden. Den Ruhm anlangend, mein theurer Meister, wird nichts nöthig sein, als daß Ihr für uns schreibet, und daß wir Euere Sachen so singen, daß man Euch schätzen lerne, und ich hoffe, daß die Fama davon bis nach Dresden erschallen soll.«

Der letztere Ausdruck trieb dem Porpora die Ohren auf wie einem alten Schlachtroß. Dieser Ausdruck enthielt eine Anspielung auf die Triumphe Hassens und seiner Sänger am sächsischen Hofe. Der Gedanke, dem Ruhme seines Nebenbuhlers in Norddeutschland die Wage zu halten, reizte den Maestro dergestalt, und er hatte in diesem Augenblick eine solche Abneigung gegen Wien, die Wiener und den Wiener Hof, daß er ohne Aufschub und Bedenken dem Porporino Antwort schrieb und ihm Vollmacht gab, Schritte für ihn in Berlin zu thun. Er gab ihm seine niedrigste Foderung auf, und stellte die Ansprüche so bescheiden als nur irgend möglich, um nicht abermals eine Hoffnung vereitelt zu sehen. Er sprach von der Porporina mit dem größten Lobe, sagte dem Porporino, diese sei dessen Schwester, der Bildung, dem Genie und dem Herzen wie dem Namen nach, und bat ihn, derselben ein so günstiges Engagement als nur möglich auszuwirken; alles, ohne Consuelo zu befragen, die von diesem neuen Entschlusse erst erfuhr, nachdem der Brief abgesendet war.

Das arme Kind erschrak sehr bei dem Namen Preußen und des großen Friedrich Name machte sie zittern und beben. Seit dem Abentheuer mit dem Deserteur stellte sie sich diesen berühmten Monarchen immer nur wie einen Vampyr oder Wärwolf vor. Der Porpora zürnte, daß die Aussicht auf ein neues Engagement ihr so wenig Freude zu machen schien, und da sie ihm von Karls Geschichte und den Verheißungen des Herrn Meyer nichts erzählen konnte, senkte sie den Kopf und ließ sich schelten.

Als sie jedoch reiflicher nachdachte, fand sie in diesem Projekt etwas für ihre Lage tröstliches: es war ein neuer Aufschub, der Versuch konnte fehlschlagen und jedenfalls hatte der Porporino drei Monate verlangt, um die Sache zu Stande zu bringen. Bis dahin konnte sie über die Liebe des Grafen Albert sinnen und vielleicht in sich Neigung genug entdecken, um ihr zu entsprechen. Mochte sie nun die Möglichkeit erkennen, sich mit ihm zu verbinden, oder mochte sie zu der Gewißheit gelangen, daß sie sich nie dazu entschließen würde, jedenfalls konnte sie mit Ehren und in Freiheit der Verpflichtung nachkommen, welche sie übernommen hatte, sich ohne Zerstreuung und zwanglos zu bedenken.

Sie nahm sich vor, die Antwort des Grafen Christian auf ihren ersten Brief abzuwarten, ehe sie ihre Neuigkeit den Bewohnern Riesenburgs meldete; diese Antwort kam jedoch nicht und schon fing Consuelo an zu glauben, der alte Christian hätte auf die Mesalliance doch wieder verzichtet und wollte daran arbeiten, Albert zu gleichem Verzichte zu bewegen, als ihr Keller ein Briefchen zusteckte, welches lautete wie folgt:

»Sie haben mir versprochen, mir zu schreiben; Sie haben es indirekt gethan, indem Sie meinem Vater die Verlegenheiten Ihrer gegenwärtigen Lage vertrauten. Ich sehe, daß Sie ein Joch zu tragen haben, dem Sie entziehen zu wollen ich mir zum Verbrechen machen würde; ich sehe, daß mein guter Vater von Ihrer Ergebenheit für Meister Porpora schlimme Folgen für mich fürchtet. Was mich betrifft, Consuelo, ich fürchte nichts bis jetzt, weil Sie meinem Vater Ihr Bedauern, Ihre Scheu vor der Lage die man Ihnen aufnöthigt, ausgesprochen haben: dies ist mir ein sicherer Beweis, daß Sie ernstlich wünschen, das Urtheil meiner ewigen Verzweiflung nicht leichtsinnig auszusprechen. Nein! Sie werden Ihrem Worte nicht ungetreu sein, Sie werden mich zu lieben suchen. Was geht es mich an, wo Sie sind, was Sie beschäftigt, welche Stelle der Ruhm oder das Vorurtheil Ihnen unter den Menschen zutheilt, welche Hindernisse und wie lange diese Sie von mir trennen werden; was geht es mich an, wenn ich hoffe und wenn Sie mir ein Recht zu hoffen geben? Ich leide sehr, das ist kein Zweifel, aber ich kann noch mehr leiden, ohne zu erliegen, so lange Sie in mir das Fünkchen der Hoffnung nicht auslöschen.

Ich warte. Ich habe warten gelernt. Fürchten Sie nicht, mir wehe zu thun, wenn Sie sich Zeit lassen, um mir zu antworten; schreiben Sie mir nicht unter den Eindrücken irgend einer Besorgniß oder eines Mitleids, denen ich nichts verdanken will. Wägen Sie mein Schicksal in Ihrem Herzen, und meine Seele in der Ihrigen, und wann der Augenblick gekommen sein wird, wann Sie Ihrer gewiß sein werden, mögen Sie dann in einer Klosterzelle leben oder die Bühne eines Theaters erwählt haben, sagen Sie mir nur, ich solle Ihnen nie mehr beschwerlich fallen, oder ich solle zu Ihnen eilen ... ich werde zu Ihren Füßen sein oder stumm auf ewig, ganz nach Ihrem Willen.«

– O edler Albert! rief Consuelo, indem sie das Papier an ihre Lippen drückte; ich fühle es, daß ich dich liebe. Es wäre unmöglich dich nicht zu lieben und ich will nicht zögern, es dir zu sagen. Durch mein Gelöbniß will ich die Beständigkeit und Hingebung deiner Liebe belohnen.

Sie setzte sich sogleich zum Schreiben. Aber Porpora's Stimme ließ sich vernehmen und eilig steckte sie Albert's Brief und die angefangene Antwort in ihren Busen. Den ganzen Tag über fand sie keinen Augenblick sicherer Muße. Es war, als ob der alte Tückebold ihren Wunsch allein zu sein errathen hätte und sich geflißentlich widersetzte.

Als es Abend geworden war, fühlte sich Consuelo ruhiger und sie sah ein, daß ein so wichtiger Entschluß eine längere Prüfung ihrer eigenen Empfindungen erforderte. Sie durfte Albert nicht den schlimmen Folgen einer Sinnesänderung, die ihr bevorstehen konnte, aussetzen. Sie las den Brief des jungen Grafen wohl hundertmal wieder durch, und sah, daß er gleichfalls den Schmerz einer abschläglichen Antwort ebensosehr als eine Uebereilung ihrer Zusage fürchtete. Sie nahm sich vor, ihre Antwort mehre Tage zu überlegen. Albert schien es ja selbst zu fordern.

Consuelo führte damals ein sehr stilles, regelmäßiges Leben im Hause des Botschafters. Corner, der jeden Anlaß zu boshafter Nachrede vermeiden wollte, hatte die Delicatesse, sie niemals in ihrem Zimmer zu besuchen, oder sie, selbst in Porpora's Gesellschaft in das seinige kommen zu lassen. Er sah sie nur bei Madame Wilhelmine, wo er sich mit ihr unterhalten konnte, ohne Anstoß zu geben, und wo sie in kleinem Zirkel mit der größten Willfährigkeit sang. Auch Joseph hatte dort Zutritt, um zu musiciren; oft fand sich Caffariello ein, bisweilen Graf Hoditz, Metastasio selten. Allen Dreien that dies Leid, daß Consuelo's Bewerbung gescheitert war, aber keiner von ihnen hatte den Muth oder Ausdauer genug gehabt, um für sie zu kämpfen.

Der Porpora war ergrimmt hierüber und hatte viel Mühe, es zu verbergen. Consuelo that was sie konnte, ihn zu besänftigen und wiederholte ihm stets, daß man doch die Menschen mit ihren Eigenheiten und Schwächen nehmen müsse, wie sie nun einmal sind. Sie trieb ihn an zu arbeiten und in Folge ihrer Bemühungen dämmerte dann und wann ein Schimmer von Hoffnung und Begeisterung wieder in ihm auf. Nur in der Abneigung, welche er jetzt empfand sie abermals in die Welt zu führen und ihre Stimme hören zu lassen, bestärkte sie ihn.

Sie fühlte sich glücklich, von den Großen vergessen zu sein, denen sie nur mit Scheu und Widerwillen genaht war; sie gab sich ernsten Studien hin, hing süßen Träumen nach, unterhielt die Freundschaft mit dem jungen Haydn, welche zu einem so sanften ruhigen Verhältniß geworden war, und sagte sich alle Tage, wann sie ihren alten Lehrer pflegte, daß sie, wenn auch nicht für ein unerregtes und unbewegtes Leben doch noch weniger für die Regungen der Eitelkeit und für die Bestrebungen des Ehrgeizes geschaffen wäre.

Wohl hatte sie sich stets gesehnt und sehnte sich wider Willen noch nach einem belebteren Dasein, nach einer reicheren Befriedigung des Herzens, nach umfassenderen Genüssen des Geistes; da die Kunstwelt aber, welche sie sich in ihrem Innern so rein, so herzbezaubernd und so edel ausgebildet hatte, sich ihr draußen so widerwärtig, ränkevoll und abscheulich darstellte, gab sie einem unbemerkten, zurückgezogenen Leben, stillen Neigungen und einsamem Fleiße den Vorzug.

Ueber den Antrag der Rudolstadt hatte Consuelo neue Betrachtungen nicht anzustellen., Sie konnte an deren Edelmuth, an der unwandelbaren, keuschen Liebe des Sohnes, an der nachgiebigen Zärtlichkeit des Vaters nicht zweifeln. Nicht mehr ihre Vernunft und ihr Gewissen hatten Aufschluß zu geben. Beide sprachen laut für Albert. Ueber Anzoleto's Andenken hatte sie nunmehr ohne Anstrengung gesiegt. Ein solcher erster Sieg giebt Muth zu allen folgenden. Sie fürchtete den Verführer nicht mehr, sie fühlte sich sicher vor Bezaubrung und Verblendung ...

Aber was noch immer ihrem Herzen fehlte, war das deutliche, sichere Gefühl, daß sie Albert liebe. Es handelte sich noch immer darum, dieses Herz zu befragen, in dessen Tiefe der Gedanke an wirkliche Liebe keinen Wiederhall, sondern stets eine unerklärliche Stille vorfand. Oft saß das gute, einfache Kind an seinem Fenster und sah die jungen Leute der Stadt vorübergehen. Lustige Studenten, adlige Herren, tiefsinnige Künstler, kecke Kavaliere, alle unterwarf sie mit naiver Ernsthaftigkeit und ohne Lüsternheit der Prüfung.

– Laß doch sehen, dachte sie, ob mein Herz launisch oder leicht bestechlich ist. Bin ich wohl fähig, eine plötzliche Leidenschaft zu fassen, mich auf den ersten Blick thöricht und unheilbar zu verlieben, wie manche meiner Mitschülerinnen in der Scuola es sich in meiner Gegenwart prahlend erzählten oder einander bekannten? Ist die Liebe ein zauberischer Blitz, der in unser Inneres schlägt und uns gewaltsam dann beschworener Zuneigung oder friedlicher Unschuld abwendig machen kann? Ist in diesen Augen, welche sich manchmal zu meinem Fenster erheben, ein Blick, der mich verwirrt, der mich bezaubert? Dieser, mit seinem hohen Wuchs und seinem stolzen Gang, scheint er mir edler, schöner als Albert? Jener mit seinem schönen Gesicht und seiner geschmackvollen Kleidung, verdrängt er aus meinem Sinne das Bild meines Verlobten? Oder möchte ich wohl die geputzte Dame sein, die da in ihrer Kutsche vorüberfährt mit dem prächtigen Herrn, der ihren Fächer hält und ihr die Handschuhe reicht? Macht irgend etwas von dem allen mich lüstern, roth, verlegen, nachdenklich?

Nein! ... Wahrhaftig, nein! Sprich, mein Herz, laß dich vernehmen, ich frage dich ja, ich lasse dir ja Freiheit. Ach, ich kenne dich kaum, ich habe so wenig Zeit gehabt, seitdem ich bin, mich mit dir zu beschäftigen. Ich habe dich nicht daran gewöhnt, daß dir widerstanden werde. Ich ließ dir die Herrschaft, ohne zu untersuchen, ob das was du mich hießest, klug war. Du bist zerbrochen worden, armes Herz, und jetzt, seit das Gewissen dich gebändigt hat, wagst du nicht mehr zu leben, wagst nicht mehr zu antworten.

O sprich, wach auf und wähle! Nun! Du bleibst ruhig, und von allem, was vor meinen Augen ist, begehrst du nichts? ... Nein? ... Du begehrst nicht mehr nach Anzoleto? Auch nein? Nun, ist es Albert, nach dem du rufst? Es scheint mir, scheint mir, du sagst Ja.

Und jeden Tag verließ Consuelo ihr Fenster mit einem frohen Lächeln auf den Lippen, und einem hellen, sanften Strahl in ihren Augen.

Ein Monat ging so hin. Da schrieb sie an Albert mit aufgestütztem Kopf, und fast sich an den Puls fühlend bei jedem Worte, welches ihre Feder malte:

»Ich liebe nichts anderes als Sie, und fast bin ich gewiß, daß ich Sie liebe. Lassen Sie mich jetzt über die Möglichkeit unserer Verbindung nachdenken. Denken Sie selbst darüber nach. Lassen Sie uns mit einander Mittel finden, daß wir weder Ihrem Vater noch meinem Lehrer Trübsal zu bereiten brauchen, und daß wir uns nicht zu Egoisten machen, indem wir glücklich werden.«

Diesem Billet fügte sie einen kurzen Brief an den Grafen Christian bei, worin sie ihm sagte, welch ein ruhiges Leben sie führe und wie viel Frist ihr Porporas neue Projekte ließen. Sie forderte auch ihn auf, Mittel zu suchen und anzugeben, wie man den Porpora mit dem gemeinschaftlichen Vorhaben aussöhnen könne, und ihr binnen vier Wochen darüber zu schreiben. Es blieb ihr dann, um den Maestro vorzubereiten, noch ein Monat bis zum Eingang der Entscheidung über die Berliner Angelegenheit.

Consuelo legte den doppelten Brief, nachdem sie ihn versiegelt hatte, auf den Tisch und schlief ein. Eine selige Ruhe erfüllte ihr Wesen und seit langer Zeit hatte sie nicht so sanft und fest geschlafen. Sie erwachte spät und stand eilig auf, um zu sehen, ob Keller da wäre, der versprochen hatte, den Brief um acht Uhr abzuholen. Es war neun Uhr, und während sie sich in großer Hast ankleidete, sah sie zu ihrem Schrecken, daß der Brief nicht mehr an dem Orte war, wohin sie ihn gelegt hatte. Sie suchte überall und fand ihn nicht. Sie ging hinaus, um zu sehen, ob vielleicht Keller im Vorzimmer warte. Sie fand weder Keller noch Joseph, und als sie wieder zurückging, um noch einmal zu suchen, kam ihr Porpora aus dem Zimmer entgegen und sah sie streng an.

– Was suchst du? sagte er.

– Ein Notenblatt.

– Du lügst, du suchst einen Brief.

– Meister, ...

– Schweig, Consuelo; du hast noch nicht lügen gelernt, lerne es nie!

– Meister, was hast du mit dem Briefe gemacht?

– Ich habe ihn Keller gegeben.

– Und weshalb ... hast du ihn ihm gegeben?

– Weil er kam, um ihn abzuholen. Du hattest den Mann gestern herbestellt. Du kannst nichts verheimlichen, Consuelo, oder ich habe noch feinere Ohren als du denkst.

– Genug, sagte Consuelo entschlossen, was hast du mit meinem Briefe gemacht?

– Ich habe es dir schon gesagt, warum fragst du mich zum zweiten Male? Ich habe es sehr unschicklich gefunden, daß ein junges anständiges Mädchen, wie du bist, und, denke ich, bleiben willst, ihrem Friseur heimlich Briefe zusteckt. Damit die Leute keine schlechte Meinung von dir bekommen, habe ich ihm selbst mit ruhiger Miene den Brief gegeben, und ihm in deinem Namen aufgetragen, denselben zu besorgen. So wird er wenigstens nicht glauben, daß du strafbare Heimlichkeiten hast, die dein Adoptivvater nicht wissen soll.

– Meister, du hast Recht, du hast wohl gethan, ... verzeihe mir!

– Ich verzeihe dir, die Sache ist abgemacht.

– Und nicht wahr, du hast meinen Brief gelesen? setzte Consuelo furchtsam und schmeichelnd hinzu.

– Was denkst du von mir? antwortete Porpora mit furchtbarer Miene.

– Verzeih mir das alles, sagte Consuelo und kniete zu ihm hin, indem sie seine Hand zu ergreifen suchte; ich will dir mein Herz öffnen ...

– Ich will nichts wissen! versetzte er und stieß sie zurück.

Er ging in sein Zimmer und warf die Thür mit Geräusch hinter sich zu.

Consuelo hoffte, ihn, wenn der erste Sturm vorüber wäre, beruhigen und eine entscheidende Erklärung herbeiführen zu können. Sie fühlte sich stark genug, ihm alles zu sagen was sie dachte, und schmeichelte sich, den Erfolg ihres Planes auf diese Weise noch zu beschleunigen; allein er entzog sich jeder Erklärung und war hierin von unerschütterlicher Festigkeit und Strenge. Uebrigens erwies er sich ihr so freundschaftlich wie immer und sogar schien sein Geist von diesem Tage an heiterer und sein Muth frischer. Consuelo nahm dies für gutes Zeichen und erwartete vertrauensvoll dies Antwort von Riesenburg.

Der Porpora hatte nicht gelogen: er hatte Consuelo's Briefe nicht gelesen; aber er hatte sie verbrannt. Nur den Umschlag hatte er zurückbehalten und einen Brief an den Grafen Christian, den er in seinem eigenen Namen schrieb, hineingesteckt. Durch diesen entschlossenen Schritt glaubte er seine Schülerin gerettet und dem alten Rudolstadt ein Opfer, welches über dessen Kräfte ging, erspart zu haben. Er hatte gegen ihn die Pflicht eines treuen Freundes erfüllt und gegen Consuelo die eines willenskräftigen und klugen Vaters. Daß er dem Grafen Albert den Todesstoß versetzen könnte, sah er nicht voraus. Er kannte diesen kaum, und hielt Consuelo's Schilderungen für übertrieben; er glaubte, daß der junge Mann weder so verliebt noch so gemüthskrank sein würde, als sie es sich einbildete; kurz, er glaubte, wie alle Greise, daß die Liebe ihre Grenzen habe und daß der Kummer niemanden tödte.

8.

In Erwartung einer Antwort, die sie nicht erhalten sollte, da der Porpora ihren Brief verbrannt hatte, fuhr Consuelo in ihrer stillen, arbeitsamen Lebensweise fort.

Durch ihre Anwesenheit angelockt, besuchten einige sehr ausgezeichnete Personen, die sie auch gern sah, häufig das Haus der Wilhelmine, unter diesen besonders der Baron von der Trenck, zu dem sie eine wahre Zuneigung hatte. Seine Delicatesse hatte ihn verhindert, als er das erstemal mit ihr zusammentraf, sie als eine alte Bekannte zu begrüßen; vielmehr hatte er sich ihr, nachdem sie gesungen, als ein von dem was er gehört tief ergriffener Bewunderer vorstellen lassen.

Als Consuelo den schönen edeln Jüngling wiedersah, der sie so tapfer aus den Händen Meyers und seiner Bande gerettet hatte, ließ sie sich von ihrem Herzen verleiten, ihm die Hand zu reichen. Der Baron, der nicht wollte, daß sie aus Dankbarkeit gegen ihn, eine Unvorsichtigkeit beginge, beeilte sich, ihre Hand ehrfurchtsvoll zu ergreifen, wie um die Sängerin zu ihrem Stuhle zurückzuführen, und dankte ihr durch einen leisen Druck.

Sie erfuhr nachher durch Joseph, bei dem er Musikunterricht nahm, daß er nie unterließ, nach ihr zu fragen und mit Bewunderung von ihr zu sprechen, aber daß er, aus einem Gefühle der zartesten Schonung, es stets vermieden habe, die kleinste Frage an ihn zu richten über die Ursachen jener Verkleidung und jener abentheuerlichen Reise, oder über die Natur seines damaligen und jetzigen Verhältnisses zu ihr.

– Ich weiß nicht, was er davon denkt, sagte Joseph; aber das versichr' ich dir, daß es keine Frau giebt, von der er mit größerer Achtung und Ehrerbietung spräch' als von dir.

– Wenn das ist, Freund, antwortete Consuelo, so gebe ich dir Vollmacht, ihm unsere ganze Geschichte zu erzählen, auch die meinige, wenn du willst, nur daß du die Rudolstadt nicht kenntlich machst. Es ist mir ein Bedürfniß, der Achtung dieses Mannes, der uns das Leben gerettet und sich gegen mich in jeder Hinsicht so edel betragen hat, ohne Vorbehalt zu genießen.

Einige Wochen später wurde Herr von Trenck, als er seinen Auftrag in Wien kaum erledigt hatte, plötzlich von dort abberufen und kam eines Morgens auf die Gesandtschaft, um in Eil Herrn Corner Lebewohl zu sagen. Consuelo, welche eben herunterkam um auszugehen, begegnete ihm auf dem Flure. Da sie allein waren, trat er zu ihr und ergriff ihre Hand, die er zärtlich küßte.

– Erlauben Sie mir, sagte er, daß ich Ihnen zum ersten und vielleicht zum letzten Male die Gefühle ausdrücke, die ich für Sie im Herzen trage. Ich brauchte nicht erst Ihre Geschichte von Beppo zu hören, um von Verehrung für Sie durchdrungen zu sein. Es giebt Gesichter, welche nicht trügen, und es war für mich nur ein Blick nöthig, um in dem Ihrigen Ihren hohen Geist und Ihr edles Herz abgedrückt zu sehen. Hätte ich in Passau gewußt, daß Joseph so wenig auf seiner Hut war, so würde ich Sie gegen die Leichtfertigkeiten des Grafen Hoditz in Schutz genommen haben, die ich nur zu wohl voraussah, obgleich ich mein Möglichstes gethan hatte, um ihm begreiflich zu machen, daß er sich sehr an die Unrechte wendete und daß er sich nur lächerlich machen würde. Uebrigens hat mir der gute Hoditz selbst erzählt, wie Sie ihn angeführt haben, und er ist Ihnen sehr dankbar für die Bewahrung seines Geheimnisses. Ich aber, ich werde das romantische Abentheuer nie vergessen, welches mir das Glück verschafft hat, Sie kennen zu lernen,und wenn ich es auch mit meinem Vermögen und mit meiner Zukunft bezahlen müßte, so würde ich doch jenen Tag stets zu den schönsten meines Lebens zählen.

– Glauben Sie denn, Herr Baron, sagte Consuelo, daß solche Folgen eintreten könnten?

– Ich hoffe nicht, und doch ist am preußischen Hofe alles möglich.

– Sie machen mir sehr bange vor Preußen: wissen Sie aber, Herr Baron, daß es nicht unmöglich wäre, daß ich Sie in kurzem dort zu sehen das Vergnügen hätte? Es ist von einem Engagement in Berlin die Rede.

– In Wahrheit? rief Trenck, in dessen Zügen ein Freudenstrahl blitzte. Nun wohl! gebe Gott, daß dieser Plan zur Ausführung komme! Ich kann Ihnen in Berlin nützlich sein, und Sie können auf mich zählen wie auf einen Bruder; Ja, ich liebe Sie wie ein Bruder, Consuelo!  ... und wenn ich noch frei gewesen wäre, vielleicht hätte ich mich dann eines noch lebhafteren Gefühles nicht erwehren können ... aber Sie sind es ebensowenig als ich, und diese heiligen, unverletzlichen Bande  ... erlauben mir nicht, den Glücklichen zu beneiden, der um Ihre Hand wirbt. Wer er auch sei, Madame, rechnen Sie darauf, daß er in mir, wenn er es wünscht, einen Freund finde, und, wenn er ja meiner bedürfen sollte, seinen Kämpen gegen die Vorurtheile der Welt ...

– Ach! auch ich, Consuelo, habe vor, mir eine furchtbare Schranke, welche sich zwischen dem Gegenstand, meiner Liebe und mir erhebt. Aber der, welcher Sie liebt, ist ein Mann und kann die Schranke brechen, während die Frau, die ich liebe und die von einem höheren Range ist als ich, weder die Macht hat, noch das Recht, noch die Kraft, noch die Freiheit mir zu verstatten, daß ich jene Schranke breche!

– Ich also werde nichts für Sie noch für jene thun können? sagte Consuelo. Zum ersten Male beklage ich es, daß ich so gering, so ohnmächtig bin.

– Wer weiß! rief der Baron mit Feuer. Sie vermögen vielleicht mehr als Sie glauben; wenn auch nicht unsere Vereinigung zu bewirken, aber doch wenigstens das Elend unserer Trennung zu lindern. Würden Sie wohl den Muth haben, einiger Gefahr unseretwegen Trotz zu bieten?

– Mit ebenso großer Freude, als Sie Ihr Leben daran setzten, mich zu retten.

– Nun wohl! ich zähle darauf. Gedenken Sie dieses Versprechens, Consuelo! Vielleicht werde ich Sie unversehens einmal daran erinnern ...

– In welcher Stunde meines Lebens dies geschehe, ich werde es nicht vergessen haben, antwortete sie, die Hand ihm reichend.

– Wohlan! sagte er, geben Sie mir ein Erkennungszeichen, ein Unterpfand von geringem Werth, welches ich Ihnen, wenn die Gelegenheit kommt, vor Augen bringen kann; denn ich habe die Ahnung, daß mir große Kämpfe bevorstehen und es können Fälle eintreten, wo meine Unterschrift, selbst mein Petschaft jene und Sie in Gefahr bringen könnten.

– Wollen Sie das Notenbuch, welches ich im Auftrage meines Lehrers irgendwohin zu tragen hatte? Ich kann mir ein anderes Exemplar verschaffen und ich werde dieses zeichnen, um es im Nothfalle wieder zu kennen.

– Warum nicht? Ein Notenbuch ist in der That ein Gegenstand, den man am leichtesten absenden kann, ohne Verdacht zu erregen. Aber damit es mir wiederholt dienen könne, werde ich die Blätter trennen. Zeichnen Sie jedes derselben!

Consuelo schrieb, das Treppengeländer zum Stützpunkt nehmend, auf jedes Blatt den Namen Bertoni. Der Baron rollte das Heft zusammen und nahm es mit, nachdem er unserer Heldin ewige Freundschaft gelobt hatte.

 

Um diese Zeit erkrankte Madame Tesi, und man fürchtete, die Vorstellungen des kaiserlichen Operntheaters ganz einstellen zu müssen, da jene die wichtigsten Rollen hatte.

Die Corilla hätte, streng genommen, sie ersetzen können. Sie fand in der Stadt und bei Hofe großen Beifall. Durch ihre Schönheit und ihre herausfodernde Koketterie verrückte sie allen den guten deutschen Herren dort den Kopf, und man dachte nicht daran, es mit ihrer etwas wankenden Stimme und ihrem etwas epileptischen Spiele genau zu nehmen. Alles war schön an einer so schönen Person: ihre schneeweißen Schultern gaben bewundernswürdige Töne von sich, ihre runden, üppigen Arme sangen immer rein, und ihre prachtvollen Stellungen eroberten die kühnsten Volaten im Sturme. Ungeachtet des musikalischen Purismus, worauf man sich in Wien etwas zu Gute that, erlag man dort so gut wie in Venedig dem Zauber des schmachtenden Blickes, und einige handfeste Lärmmacher wußte Madame Corilla in ihrem Boudoir zuzustutzen, um den Enthusiasmus in Train zu bringen.

Sie erbot sich also keck, Madame Tesi's Rollen einstweilen zu übernehmen. Nun aber entstand die Verlegenheit, sie selbst in denen zu ersetzen, welche sie bisher gesungen hatte. Das Flötenstimmchen der Madame Holzbauer ließ daran nicht denken. Es blieb also nichts übrig als entweder auf Consuelo zurückzukommen oder ganz zu pausiren.

Der Porpora raste wie ein Teufel; Metastasio, der an der lombardischen Aussprache der Corilla großes Aergerniß nahm und über das Geräusch entrüstet war, welches sie im Spielen machte, um die anderen Rollen in Schatten zu stellen (ganz gegen den Geist des Gedichtes und auf Kosten der Situation), verhehlte seine Abneigung gegen sie und seine Vorliebe für die gewissenhafte und kunstverständige Consuelo keinesweges; Caffariello machte damals der Madame Tesi den Hof, welche die Corilla bereits aus Herzens Grunde verabscheute, weil diese ihr ihre »Effecte« und den Kranz der Schönheit streitig zu machen wagte: Caffariello also deklamirte kühn für die Anwerbung Consuelo's.

Holzbauer, auf die Behauptung seines Ruhmes als Director eifersüchtig, aber voll Angst, daß der Porpora wieder ganz oben auf gelangen würde, wenn derselbe nur erst einen Fuß auf das Theater setzte, hätte mit dem Kopfe gegen die Wände rennen mögen. Consuelo hatte sich durch ihre gute Aufführung bereits so viele Freunde erworben, daß es nicht mehr leicht war, die Kaiserin in Betreff ihrer zu hintergehen. Das alles wirkte zusammen, genug, Consuelo erhielt Anerbietungen. Holzbauer bot ihr in der That so wenig, daß er hoffte, sie werde es nicht annehmen, aber der Porpora griff mit beiden Händen zu, wie gewöhnlich, ohne sie zu, Rathe zu ziehen.

Eines guten Morgens fand sich Consuelo für sechs Vorstellungen engagirt, ohne es wieder rückgängig machen zu können, während es ihr unbegreiflich war, warum sie nach sechswöchentlichem Warten noch immer keine Antwort von Riesenburg erhielt. Der Porpora schleppte sie in die Probe des Antigono von Metastasio, componirt von Hasse.

Consuelo hatte ihre Rolle schon mit ihrem Lehrer studirt. Ohne Zweifel war es für diesen Letzteren ein großes Leiden, ihr die Musik seines Nebenbuhlers einzuüben, des undankbarsten seiner Schüler, des Feindes, welchen er am bittersten haßte; aber abgesehen davon, daß er sich hierdurch den Weg bahnen wollte, um seinen eigenen Sachen Eingang zu verschaffen, war er ein zu gewissenhafter Lehrer, ein zu wahrer Künstler, um nicht an dieses Studium alle Sorgfalt und allen Eifer zu setzen.

Consuelo kam ihm hierin so freudig entgegen, daß es zu gleicher Zeit ihn entzückte und traurig machte. Das arme Kind konnte nicht umhin, Hasse's Compositionen herrlich zu finden: in den zärtlichen, leidenschaftlichen Arien des Sassone vermochte sie mehr ihr Inneres zu entfalten als in den großartigen, manchmal etwas trockenen und kalten Sätzen ihres Lehrers. Während sie gewohnt war, sich, wenn sie mit ihm andere große Meister studirte, ihrem Feuer frei zu überlassen, mußte sie diesesmal an sich halten, weil sie seine Betrübniß auf seiner Stirn las und an der Niedergeschlagenheit erkannte, die ihn nach den Uebungen befiel.

Als sie auf die Bühne trat, um mit Caffariello und der Corilla zu probiren, fühlte sie sich, wiewohl sie ihre Partie vollkommen inne hatte, in so großer Gemüthsbewegung, daß sie kaum die Scene der Ismene und Berenice beginnen konnte, welche mit den Worten anhebt:

No; tutto, o Berenice,
Tu non apri il tuo cuor etc.
»Nein! du öffnest, Berenice,
Mir nicht ganz dein Herz u. s. w.

worauf die Corilla zu erwidern hatte:

 ... E ti par poco,
Quel che sai de' miei casi?
» ... Und wenig scheint mir,
Was du von meinen Geschichten weißt.«
( Caso bedeutet nämlich »Schicksal« aber auch »Liebesabentheuer«.)

Bei dieser Stelle wurde die Corilla durch ein lautes Gelächter unterbrochen, welches Caffariello aufschlug; und sich mit zornfunkelnden Augen umwendend, fragte sie ihn:

– Was finden Sie an.meinem Gesang so komisch?

– O, du hast herrlich gesungen, liebe dicke Berenice, antwortete Caffariello mit noch schallenderem Gelächter; aber es war nicht möglich, etwas Treffenderes zu sagen.

– Die Worte also belachen Sie? sagte Holzbauer, der sich eine Lust daraus gemacht hätte, dem Metastasio wiedererzählen zu können, daß der Soprano sich über seine Verse lustig mache.

– Die Worte sind schön, antwortete Caffariello kurz, denn er kannte sein Terrain; aber ihre Anwendung unter den gegenwärtigen Umständen ist so spaßhaft, daß ich mich des Lachens nicht erwehren konnte.

Er hielt sich wieder die Seiten und wiederholte dann, mit kleiner Abänderung zu Porpora gewendet die Worte:

 ... E ti par poco,
Quel che sai di tanti casi?
» ... Und wenig scheint mir,
Was du von so zahlreichen Abentheuern weißt.«

Die Corilla verstand die giftige Anspielung auf ihre Sitten, und zitternd vor Wuth, Haß und Furcht, war sie schon im Begriff, sich auf Consuelo zu stürzen, um diese zu zerkratzen; aber Consuelo's Haltung war so ruhig und ihr Blick so sanft, daß die Corilla es nicht wagte.

Es hielt sie außerdem noch etwas anderes zurück. Als sie bei dem schwachen Tageslichte, welches auf die Bühne drang, das Gesicht ihrer Nebenbuhlerin plötzlich anblickte, wurde sie von einer dunkeln Erinnerung und von einer unbestimmten Angst befallen. Sie hatte Consuelo in Venedig, nie bei Tage und nie in der Nähe gesehen. Unter den Schmerzen ihrer Niederkunft hatte sie, ohne recht klares Bewußtsein, den kleinen Zingaro Bertoni beeifert gesehen, ihr Beistand zu leisten und hatte nicht begreifen können, was ihn dazu bewog.

Jetzt suchte sie ihre Erinnerungen zu sammeln, und da es ihr nicht gelingen wollte, blieb sie während der ganzen Probe in einem Zustande von Unruhe und peinigendem Mißbehagen. Die Ueberlegenheit, mit welcher die Porporina ihre Rolle sang, trug nicht wenig dazu bei, ihre böse Laune zu steigern, und die Gegenwart des Porpora, ihres ehemaligen Lehrers, der, wie ein strenger Richter, schweigend und mit fast verächtlichen Mienen ihr zuhörte, wurde ihr nach und nach zu einer wahren Marter.

Nicht weniger gekränkt fand sich Herr Holzbauer, als der Maestro ihm erklärte, daß er die Tempi falsch nähme: und glauben mußte man dem Porpora schon, denn er hatte in Dresden, als die Oper zum ersten Male in Scene ging, den Proben beigewohnt die Hasse selber leitete. Die Nothwendigkeit, einem guten Rathe Gehör zu geben, ließ den bösen Willen nicht aufkommen und brachte den Verdruß zum Schweigen.

Der Porpora führte die ganze Probe, gab Jedem Anweisung und tadelte einige Male selbst den Caffariello, welcher sich stellte, als ob er die Belehrungen des alten Maestro mit der größten Ehrerbietung entgegennähme, um denselben desto mehr Gewicht den Anderen gegenüber zu geben. Caffariello hatte an diesem Morgen nichts im Auge, als die freche Rivalin der Madame Tesi zu ärgern und zu kränken, und es war ihm kein Opfer zu groß, um sich diese Lust zu bereiten, selbst nicht eine Handlung der Unterwürfigkeit und Bescheidenheit.

So haben bei den Künstlern wie bei den Diplomaten, auf dem Theater wie im fürstlichen Kabinette die schönsten und die häßlichsten Handlungen ihre geheimen Ursachen, die unendlich klein und nichtig sind.

Als Consuelo aus der Probe nach Hause kam, fand sie dort Joseph, der sehr vergnügt war und sehr geheimnißvoll that. Er theilte ihr mit, sobald sie sich allein sprechen konnten, daß der gute Kanonikus in Wien angekommen sei, der nichts eiligeres zu thun gehabt habe, als seinen lieben Beppo rufen zu lassen und ihm ein herrliches Frühstück aufzutischen, wobei er tausend zärtliche Fragen über seinen lieben Bertoni an ihn gethan.

Sie hatten schon Abrede mit einander genommen, wie sich der Kanonikus bei dem alten Maestro einführen solle, damit man sich ehrlicher Weise und ohne Geheimnißkrämerei im Hause sehen könnte. Am andern Tage stellte sich der Kanonikus als Gönner des jungen Haydns und großer Bewunderer des Maestro vor; zur Rechtfertigung seines Besuches gab er vor, dem Porpora für die Mühe, die derselbe sich mit seinem jungen Schützling gebe, danken zu wollen.

Consuelo that, als sähe sie ihn zum ersten Male und an diesem Abend nahmen der Maestro und seine beiden Zöglinge bei dem Kanonikus ein freundschaftliches Mahl ein. Es wäre ein Stoicismus gewesen, den sich die Musiker jener Zeit, auch die berühmtesten unter ihnen, nicht zu einer Ehrensache machten, wenn Porpora sich gesträubt hätte, mit dem braven Kanonikus, der eine so gute Tafel führte und die Werke des Maestro so hoch schätzte, auf der Stelle Freundschaft zu schließen. Nach dem Essen wurde musicirt und man sah sich nachher fast täglich.

Auch hierin fand Consuelo einige Linderung der Unruhe, in welche Albert's Stillschweigen sie versetzte. Der Kanonikus war ein heiterer Gesellschafter, gesittet ohne falsche Aengstlichkeit, in mancher Hinsicht umfassend gebildet, in vielem Anderen wenigstens kein Fremdling und in seinem Urtheil billig und verständig. Kurz, er war ein unschätzbarer Freund und ein vollkommen liebenswürdiger Mensch. Der Umgang mit ihm erheiterte und ermuthigte den Maestro: seine Stimmung wurde leutseliger und Consuelo's Häuslichkeit daher angenehmer.

An einem Tage, an welchem keine Probe des Antigono angesagt war (die Aufführung sollte übermorgen stattfinden) war der Porpora mit einem Mitbruder auf das Land gegangen und der Kanonikus brachte seinen jungen Freunden den Vorschlag, mit ihm einen Abstecher nach der Priorei zu machen, um daselbst diejenigen seiner Leute, die er zurückgelassen hatte, zu überraschen und, indem er wie eine Bombe ins Haus fiele, mit eigenen Augen zu sehen, ob die Gärtnerin Angelika und der Gärtner die Volkameria gut besorgten.

Der Vorschlag wurde angenommen. Der Wagen des Kanonikus wurde mit Pastetchen und Flaschen vollgestopft (denn wie konnte man eine Spazierfahrt von vier Stunden ausführen, ohne einigen Hunger und Durst zu verspüren?) und nachdem die Reisenden einen kleinen Umweg gemacht und den Wagen in einiger Entfernung von der Priorei zurückgelassen hatten, begaben sie sich zu Fuße dorthin, damit die Ueberraschung desto wirksamer wäre.

Die Volkameria befand sich sehr wohl; sie stand warm und ihre Wurzeln waren feucht gehalten. Zu blühen hatte sie aufgehört, seit die kältere Jahreszeit eingetreten war, aber ihre hübschen Blätter fielen, ohne schlaff zu hangen, rings um den schlanken Stamm. Das Treibhaus war gut im Stande und die blauen Chrysanthemen boten dem Winter Trotz, und schienen hinter den Scheiben zu lachen.

Angelika fing am Busen ihrer Amme ebenfalls zu lachen an, als sie mit Tändeln dazu gereizt wurde, und der Kanonikus that den weisen Ausspruch, daß man mit selbiger heiterer Stimmung keinen Mißbrauch treiben solle, dieweil man durch zu häufige Erweckung eines gezwungenen Lachens bei den kleinen Geschöpfen das Nervensystem unzeitig irritire.

So weit war man eben gekommen, man plauderte heiter in dem freundlichen Häuschen des Gärtners, der Kanonikus, der seinen gesteppten Schlafrock angethan hatte, wärmte sich die Beine an einem großen Feuer von trockenem Wurzelwerk und Tannenzapfen, Joseph spielte mit den schönen Kindern der schönen Gärtnerin und Consuelo hielt in der Mitte des Zimmers sitzend, die kleine Angelika auf den Armen und betrachtete sie mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Wehmuth; es schien ihr, als ob dieses Kind mehr ihr als irgendeinem andern gehörte, als ob ein geheimnißvoller Schicksalsspruch das Loos des kleinen Wesens an ihr eigenes Loos kettete ...: da wurde die Thür aufgerissen und vor ihr, wie eine Erscheinung von ihrem schwermüthigen Gedankenspiel heraufbeschworen, stand die Corilla.

Zum erstenmale seit dem Tage ihrer Entbindung hatte die Corilla wenn nicht eine Regung der mütterlichen Liebe, doch einen Vorwurf des mütterlichen Gewissens gefühlt und sie war gekommen, um verstohlener Weise ihr Kind zu sehen. Die Ankunft des Kanonikus in Wien war ihr bekannt geworden. Eine halbe Stunde später als er war sie angelangt: nicht einmal eine Spur von seinem Wagen hatte sie in der Nähe der Priorei bemerken können, da er sich derselben auf einem Umwege genähert hatte; sie hatte sich durch die Gärten gestohlen und war, ohne Jemanden zu begegnen, in das Haus gelangt, in welchem, wie sie wußte, Angelika aufgezogen wurde, denn einige Erkundigung hierüber einzuziehen hatte sie nicht versäumt. Sie hatte viel gelacht über die Verlegenheit und die christliche Ergebung des Kanonikus, aber den Antheil, welchen Consuelo an dem Ausgange des Abentheuers hatte, kannte sie nicht.

Daher war sie nicht wenig überrascht, erschrocken, bestürzt, als sie ihre Nebenbuhlerin an diesem Orte fand; und da sie nicht wußte, nicht zu vermuthen wagte, was für ein Kind diese in ihre Arme schloß, war sie nahe daran, umzukehren und das Weite zu suchen. Aber diese Consuelo! Was preßte sie so mit unwillkürlicher Angst dieses Kind an ihren Busen, wie das Rebhuhn bei der Annäherung des Raubvogels seine Jungen unter seinen Flügeln birgt? Diese Consuelo! die bei dem Theater war und das Geheimniß, das die Corilla bisher nach ihrer Art erzählt hatte, morgen in ein neues Licht stellen konnte! Diese Consuelo endlich, welche die Corilla starr anblickte, halb erschrocken, halb zürnend!

Die Corilla blieb wie bezaubert, wie festgebannt mitten im Zimmer stehen. Die Corilla war jedoch eine zu fertige Comödiantin, um lange besinnungslos und sprachlos zu sein. Sie beschloß einer Demüthigung durch Schimpf zuvorzukommen, und um sich in Zug zu setzen, begann sie ihr Spiel mit folgender Anrede, welche sie im venetianischen Dialecte mit flinker Zunge und mit höhnischem Tone sprach:

– Eh, straf mich Gott! du arme Zingarella, sag', ist hier ein Findelhaus? Bist du hergekommen, um das deinige hier zu suchen oder abzugeben? Ich seh, wir sind in gleichen Umständen und haben gleiches Glück. Ohne Zweifel haben unsere beiden Kinder den nämlichen Vater, denn unsere Avantüren datiren von Venedig und aus der nämlichen Zeit, und ich habe mit Bedauern deinetwegen gesehen, daß der schöne Anzoleto nicht um dir nachzulaufen, wie wir anfänglich dachten, uns vorige Saison mitten im Engagement sitzen ließ.

– Madame, antwortete Consuelo erbleichend, aber ruhig, wenn ich das Unglück gehabt hätte, so intim mit Anzoleto zu sein, wie Sie es waren, und wenn ich in Folge dieses Unglücks das Glück gehabt hätte, Mutter zu werden (denn es ist stets ein Glück für die, welche Gefühl dafür hat), so würde mein Kind nicht hier sein

– Ah! ich verstehe, entgegnete die andere mit wilder Glut in den Augen, es würde auf der Villa Zustiniani aufgezogen werden. Du würdest den Witz gehabt haben, der mir fehlte, dem lieben Grafen weiß zu machen, daß seine Ehre dabei betheiligt sei es anzuerkennen. Aber du hast nicht das Unglück gehabt, wenn man dir glauben darf, Anzoleto's Maitresse zu sein, und Zustiniani hat das Glück gehabt, dir keine Proben seiner Liebe zurückzulassen. Es heißt, daß Joseph Haydn, der Liebling deines Lehrers, dich für all dein Leid entschädigt habe und sicherlich ist das Kind, das du auf den Armen wiegst  ...

– Das Kind der Corilla, Mademoiselle! rief Haydn, welcher den Dialect schon recht gut verstand und zwischen Consuelo und die Corilla trat, mit einer Miene, vor welcher die letztere einen Schritt zurückwich. Joseph Haydn bezeugt Ihnen das, und kann es bezeugen, denn er war zugegen, als Sie es zur Welt brachten.

Josephs Gesicht, welches die Corilla seit jenem unglückseligen Tage nicht wieder gesehen hatte, rief ihr augenblicklich alle Umstände wieder ins Gedächtniß, deren sie sich bisher nicht hatte deutlich erinnern können, und der Zingaro Bertoni stellte sich ihr endlich unter den wahren Zügen der Zingarella Consuelo dar. Ein Schrei der Ueberraschung entfuhr ihr und einen Augenblick kämpften Scham und Verdruß in ihrem Busen.

Bald aber kehrte die Gemeinheit wieder in ihr Herz und die Schmähung auf ihre Lippen zurück.

– Wahrhaftig, Kinderchen, rief sie mit einer rohen frechen Zutraulichkeit, ich hatte euch nicht mehr gekannt. Ihr seid beide allerliebst gewesen, als ich euch auf eurer abentheuerlichen Fahrt traf, und die Consuelo machte einen ganz netten Jungen in ihrer Verkleidung. Also in diesem heiligen Hause hat sie zwischen dem großen Kanonikus und dem kleinen Joseph das Jahr über, seit sie aus Venedig davon ging, ihre Zeit fromm verlebt? Gut! sei ohne Sorgen, Zingarella, mein Kind! Wir wissen Eine der Anderen Geheimniß, und die Kaiserin, die immer gern alles weiß, soll von beiden nichts erfahren.

– Gesetzt ich hätte ein Geheimniß, antwortete Consuelo kalt, so ist es erst seit heut in Ihren Händen, und ich war im Besitz des Ihrigen damals, als ich drei Tage vor dem Abschluß Ihres Engagements, eine Stunde lang mit der Kaiserin sprach, Corilla!

– Und du hast übel von mir geredet? rief die Corilla roth vor Zorn.

– Wenn ich ihr gesagt hätte, was ich von Ihnen wußte, so wären Sie nicht engagir. Da Sie es sind, so habe ich es vermuthlich verschmäht, mir die Gelegenheit zu Nutze zu machen.

– Und warum thatest du es nicht? Warum? Dumm bist du doch! rief die Corilla, indem sie ihren verderbten Sinn mit einer Ehrlichkeit zur Schau trug, dies zum Bewundern war.

Consuelo und Joseph sahen einander unwillkürlich lächelnd an: Josephs Lächeln war voll Verachtung gegen Corilla, Consuelo's Lächeln war das eines Engels und gen Himmel gerichtet.

– Ja Madame, sagte sie unwiderstehlich sanft, ich bin was Sie sagen, und ich stehe mich sehr gut dabei.

– Nicht gar zu gut, armes Kind, denn ich bin engagirt, und du nicht! entgegnete die Corilla irre gemacht und einigermaßen in Unruhe und in Sorgen. Ich habe schon in Venedig gehört, daß es dir an Verstand fehlt und daß du nichts auszurichten verstehst. Es ist das einzige wahre Wort, das mir Anzoleto über dich gesagt hat. Was soll man machen? Ich kann nicht dafür, daß du so bist ... Ich an deiner Stelle hätte alles gesagt, was ich von der Corilla wußte, ich hätte mich für eine reine Jungfrau, für eine Heilige ausgegeben. Die Kaiserin hätte es geglaubt; es ist nicht schwer, ihr etwas weiß zu machen, ... und ich hätte alle meine Nebenbuhlerinnen aus dem Sattel gehoben. Und du thatest es nicht. Wunderlich! Ich bedaure dich, daß du deine Barke so wenig zu führen verstehst.

Diesmal war die Verachtung stärker als der Unwille. Consuelo und Joseph lachten beide laut auf, und die Corilla, welche von der Macht dessen ergriffen was sie die Ohnmacht ihrer Nebenbuhlerin nannte, unvermerkt die Bitterkeit verlor, mit welcher sie sich Anfangs gewaffnet hatte, begann es sich bequem zu machen; sie zog einen Stuhl an den Kamin und nahm sich vor, die Unterhaltung ruhig fortzusetzen, um die Stärke und Schwäche ihrer Gegner noch weiter zu erspähen.

In diesem Augenblicke fand sie sich Aug' in Auge mit dem Kanonikus, dessen Anwesenheit sie noch nicht bemerkt hatte, weil derselbe, von seiner geistlichen Klugheit geleitet, der breiten Gärtnerin und deren beiden Kindern einen Wink gegeben hatte, sich vor ihn zu stellen, bis er wüßte, um was es sich handelte.

9.

Nach der giftigen Anmerkung welche die Corilla einige Minuten zuvor über Consuelo's Verhältniß zu dem dicken Kanonikus ausgespien, hatte dessen Anblick für sie etwas von der Wirkung des Medusenhauptes. Aber sie beruhigte sich sogleich, indem sie bedachte, daß sie venetianisch gesprochen hatte und wünschte ihm auf Deutsch guten Tag, mit jener Mischung von Verlegenheit und Frechheit in Blick und Miene, welche Frauen von schlechtem Wandel eigen ist.

Der Kanonikus, dieser sonst so höfliche Mann und liebenswürdige Wirth, erhob sich nicht und gab ihr kaum ihren Gruß zurück. Corilla hatte über ihn in Wien genaue Erkundigung eingezogen: sie hatte erfahren, daß er ein Mann von der feinsten Weltbildung, ein großer Musikfreund und kein Pedant wäre, der es über sich gewinnen könnte, einer Frau, zumal einer Sängerin den Text zu lesen. Sie hatte sich daher auch vorgenommen, ihn gelegentlich zu besuchen, zu bezaubern, und so zu verhindern, daß er zu ihrem Nachtheil etwas aussage.

Wenn sie in Geschichten dieser Art nun wohl diejenige Gewandtheit hatte, welche der Porporina fehlte, so hatte sie doch zugleich jenes nachlässige zerfahrne Wesen, welches eine Folge des unordentlichen Sinnes, der Faulheit und, obgleich das nicht hieher zu passen scheint, der Unsauberkeit ist. Alle diese Erbärmlichkeiten hangen in der Lebensart roherer Naturen an einander. Körperliche und geistige Verweichlichung brachen die Wirkung der Intrigue, und die Corilla, welche Geschick und Hang zu aller Falschheit und Vorführung hatte, besaß nur selten Kraft und Selbstherrschaft genug um ihre Pläne durchzusetzen. Daher hatte sie es auch von Tage zu Tage aufgeschoben, dem Kanonikus einen Besuch zu machen, und als sie ihn jetzt mit einer kalten, strengen Miene vor sich sitzen sah, fing sie sichtlich an, die Fassung zu verlieren.

Plötzlich, indem sie durch eine kühne Wendung sich wieder in Handlung zu bringen suchte, sagte sie zu Consuelo, welche noch immer Angelika in ihren Armen hielt:

– Aber du, warum läßest du mich nicht mein Kind küssen, und es dem Herrn Kanonikus zu Füßen legen, um ihm  ...

Madame Corilla, sagte der Kanonikus mit demselben trocknen, kalt verspottenden Tone, mit welchem er ehemals zu sagen pflegte »Madame Brigitte«: thun Sie mir den Gefallen, dieses Kind in Ruhe zu lassen.

Und in einem eleganten Italienisch, welches er mit Leichtigkeit, obwohl sehr langsam und stark accentuirt sprach, fuhr er, ohne seine Mütze vom Kopfe zu nehmen, folgendermaßen fort:

– Seit einer Viertelstunde habe ich Ihnen zugehört, und obwohl ich nicht sehr vertraut mit Ihrem Patois bin, habe ich doch genug verstanden, um mich berechtigt zu fühlen, Ihnen zu sagen, daß Sie das unverschämteste Weibsbild sind, das mir in meinem Leben vorgekommen ist.

Jedoch, ich glaube, Sie sind mehr dumm als schlecht, mehr niederträchtig als gefährlich. Von dem was schön und gut ist, haben Sie keine Ahnung und es hieße Zeit verlieren, wenn man versuchen wollte, es Ihnen begreiflich zu machen.

Ich habe Ihnen nur ein einziges Wort zu sagen: dieses junge Mädchen, diese reine Jungfrau, diese Heilige, wie Sie sie eben nannten, indem sie zu spotten meinten, entweihen Sie, wenn Sie mit ihr reden; also reden Sie nicht mit ihr! Dieses Kind, das Sie geboren haben, würden Sie verderben, wenn Sie es berührten; also berühren Sie es nicht! Ein Kind ist ein Heiligthum. Das hat Consuelo gesagt, und ich habe sie verstanden.

Der Dazwischenkunft, der eifrigen Fürsprache dieser Consuelo ist es zuzuschreiben, daß ich es gewagt habe, mich mit Ihrem Kinde zu beladen, ohne zu fürchten, daß die bösen Neigungen, welche dasselbe von Ihnen geerbt haben könnte, eines Tages hervorbrechen und mich nöthigen möchten, diese Handlung zu bereuen. Wir sagten uns, daß die göttliche Güte jedem menschlichen Wesen die Macht giebt, das Gute zu erkennen und zu üben und wir faßten den Vorsatz, diesem armen Geschöpfe das Gute zu lehren und es ihm angenehm und leicht zu machen.

Bei Ihnen wäre es umgekehrt ergangen. Haben Sie also die Gewogenheit, dieses Kind von heut an nicht mehr als das Ihrige zu betrachten. Sie haben es hülflos verlassen, haben es abgetreten, weggeschenkt: es gehört Ihnen nicht mehr. Sie haben eine Summe Geldes zurückgelassen, um uns seine Erziehung zu vergüten ...

Er winkte der Gärtnerin, und diese, die einige Augenblicke zuvor von ihm die Weisung erhalten hatte, holte aus dem Schrank einen zusammengebundenen und versiegelten Beutel, denselben, welchen die Corilla zugleich mit dem Kinde dem Kanonikus geschickt hatte, und welcher seitdem nicht berührt worden war. Er nahm ihn und warf ihn der Corilla vor die Füße, indem er hinzufügte:

– Wir wissen nichts mit diesem Gelde anzufangen und mögen es nicht haben. Nunmehr ersuche ich Sie, mein Haus zu verlassen und keinen Fuß wieder hineinzusetzen, unter welchem Vorwande es sei. Unter dieser und der ferneren Bedingung, daß Sie über die Umstände welche uns gezwungen haben mit Ihnen in Berührung zu treten, nie etwas verlauten lassen, versprechen wir Ihnen ein unverbrüchliches Stillschweigen über alles was Sie betrifft. Jedoch wenn Sie anders handeln, so thue ich Ihnen hiermit zu wissen, daß ich mehr Mittel besitze, als Sie vielleicht glauben, Ihre kaiserliche Majestät von der vollen Wahrheit in Kenntniß zu setzen, und daß es Ihnen alsdann leicht begegnen könnte, Ihre Theaterkränze und das Fußstampfen Ihrer Bewunderer mit einem mehrjährigen Aufenthalt in irgend einem Bußhause zu vertauschen.

Nachdem er diese Worte gesprochen, stand der Kanonikus auf, bedeutete durch einen Wink die Amme, das Kind zu nehmen und durch einen zweiten Wink Consuelo, sich mit Joseph in den Hintergrund des Zimmers zurückzuziehen; dann wies er mit dem Finger der Corilla die Thür. Todtenbleich und zitternd wankte sie hinaus, irrte betäubt umher, ohne zu wissen, wohin sie ging und was um sie her geschah.

Den Kanonikus hatte während dieser Art von Beschwörung der Unwille eines rechtschaffnen Mannes beseelt, und ihn von Wort zu Wort gewaltiger gemacht. Consuelo und Joseph hatten ihn nie so gesehen. Das Gefühl seines geistlichen Ansehens, welches keinem Priester je ganz fehlt und dem der es hat zur zweiten Natur wird, auch wol etwas von königlich gebieterischem Wesen das ihm einigermaßen im Blute lag und in diesem Augenblicke seine Abkunft von August dem II. verrieth, bekleidete den Kanonikus, vielleicht ohne daß er es selbst wußte, mit einer Art unwiderstehlicher Majestät.

Die Corilla, zu der noch Niemand so im erhaben ruhigen Tone der Wahrheit geredet hatte, war von mehr Angst und Entsetzen ergriffen als je bei dem Wüthen ihrer Liebhaber von Rache und Verachtung. Sie war Italienerin, war abergläubisch, sie hatte wirklich Furcht vor diesem Priester und seinem Anathema. Verstört durchrannte sie den Garten, indessen der Kanonikus, erschöpft von einer Anstrengung die seinen stillen und heiteren Lebensgewohnheiten so sehr widerstritt, blaß und fast ohnmächtig auf seinen Stuhl zurück sank.

Consuelo eilte zu seinem Beistande, verfolgte aber zugleich unwillkürlich mit dem Auge den fliegenden und wankenden Gang der Corilla. Sie sah sie am Ende der Allee schwanken und auf das Gras sinken, sei es daß sie in ihrer Verwirrung fehlgetreten hatte, sei es daß sie nicht Kraft genug besaß, sich aufrecht zu erhalten.

Consuelo, von ihrem guten Herzen hingerissen und die Strafe für weit strenger haltend als sie sich selbst stark gefühlt hätte, sie zu ertheilen, ließ den Kanonikus in Josephs Händen und eilte ihrer Nebenbuhlerin nach, welche einem heftigen Nervenanfall zur Beute sich auf dem Boden wand. Da sie sie nicht beruhigen konnte und nicht wagte sie in die Priorei zurückzuführen, verhinderte sie sie wenigstens sich auf der Erde zu wälzen und sich im Kiessand die Hände zu zerreißen.

Corilla war einige Augenblicke wie wahnsinnig; als sie aber diejenige erkannte, welche ihr beistand und sie zu trösten suchte, wurde sie ruhig und eine bläuliche Blässe überzog ihr Gesicht. Ihre schmerzlich zusammen gekniffenen Lippen öffneten sich zu keinem Worte und ihre erloschenen Augen schlug sie nicht von dem Boden auf. Sie ließ sich jedoch zu ihrem Wagen führen, welcher am Gitter wartete und stieg ein, unterstützt von ihrer Nebenbuhlerin, mit der sie nicht sprach.

– Es ist Ihnen sehr unwohl? sagte Consuelo, von der Entstellung ihrer Züge erschreckt. Lassen Sie mich ein Stückchen Weges mit Ihnen fahren, ich gehe dann zu Fuß zurück.

Statt aller Antwort stieß die Corilla sie heftig zurück,, und sah sie dann einen Augenblick mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Plötzlich brach sie in lautes Schluchzen aus, verbarg ihr Gesicht in einer ihrer Hände, während sie mit der andern ihrem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt gab und den Vorhang des Kutschenfensters zwischen sich und ihrer großmüthigen Feindin niederließ.

 

Am folgenden Tag bei der Generalprobe des Antigono, war Consuelo an ihrem Platze und erwartete die Corilla, um anzufangen. Diese ließ durch ihren Bedienten sagen, sie würde in einer halben Stunde kommen. Caffariello wünschte sie zu allen Teufeln, erklärte, daß er nicht Lust habe nach der Pfeife einer solchen Trine zu tanzen, daß er nicht warten wolle, und machte Miene fortzugehen.

Madame Tesi, die sehr blaß und leidend aussah, hatte der Probe beiwohnen wollen, um sich auf Kosten der Corilla ein Fest zu machen. Sie hatte sich ein Sopha auf das Theater tragen lassen, und darauf ausgestreckt hinter jener Vorkulisse die wie ein zurückgeschlagener faltiger Mantel gemalt ist und bei den Franzosen auch Harlekinsmantel ( manteau d'Arlequin) heißt, beschwichtigte sie ihren Freund und bestand darauf, die Corilla zu erwarten, die, meinte sie, gewiß nur deshalb später käme, um sich der Controlle der Tesi zu entziehen.

Endlich erschien die Corilla, noch viel bleicher und hinfälliger als Madame Tesi selbst, welche, als sie dieselbe in diesem Zustande sah, ihrerseits Farbe und Kräfte wiedergewann. Anstatt ihren Mantel und ihre Kopfbedeckung mit den großen Mouvements und dem air dégagé das sie sich gewöhnlich gab, von sich zu werfen, warf sich die Corilla auf einen Thron von vergoldetem Holze der zufällig auf der Bühne stehen geblieben war und sagte mit schwacher Stimme zu Herrn Holzbauer:

– Herr Director! ich erkläre Ihnen, daß ich erschrecklich krank bin, daß ich keine Spur von Stimme habe, daß ich eine abscheuliche Nacht gehabt habe ...

– Mit wem? fragte die Tesi gedehnt ihren Freund Caffariello.

– ... und daß ich aus allen diesen Gründen, fuhr die Corilla fort, heut nicht probiren und morgen nicht singen kann, es wäre denn daß ich die Ismene übernehme und Sie die Berenice einer Anderen geben.

– Was denken Sie sich, Madame? schrie Holzbauer, wie vom Donner gerührt. Wie können Sie am Tage vor der Aufführung und wenn der Hof die Stunde der Vorstellung festgesetzt hat, eine Ausflucht machen? Es ist rein unmöglich, ich kann es auf keine Weise zugeben.

– Sie werden es wohl zugeben müssen, antwortete sie, indem sie ihre natürliche Stimme annahm welche nicht eben von den sanftesten war. Ich bin für die zweiten Rollen engagirt, und nichts in meinem Contrakt zwingt mich, die ersten zu übernehmen. Ich habe mich aus Gefälligkeit dazu verstanden, in Ermanglung der Madame Tesi und um die Vergnügungen des Hofes nicht zu unterbrechen. Nun aber bin ich zu krank, um mein Versprechen zu erfüllen, und Sie werden mich nicht zum Singen bringen, wenn ich nicht will.

– Meine theuere Freundin,; man wird dich zum Singen bringen par ordre, antwortete Caffariello, und du wirst schlecht singen; nun! darauf waren wir gefaßt. Es ist ein gar kleines Malheur im Vergleich mit den übrigen, denen du in deinem Leben aus freiem Willen Trotz geboten hast. Jetzt kommt die Reue zu spät. Du hättest dich ein wenig eher bedenken sollen. Du hast deine Kräfte zu hoch angeschlagen. Du wirst fiasco machen, das ist eine sehr gleichgültige Sache für uns Andere. Ich werde so singen, daß kein Mensch daran denken soll, ob die Rolle der Berenice in der Welt ist. Sodann wird auch die Porporina in ihrer kleinen Ismenenpartie das Publikum entschädigen, und alle Welt wird zufrieden sein, dich ausgenommen. Es wird eine Lection sein, die du dir für ein anderes Mal merken wirst, oder auch nicht.

– Sie sind in bedeutendem Irrthume über die Beweggründe meiner Weigerung, antwortete die Corilla zuversichtlich. Wenn ich nicht krank wäre, so würde ich singen und würde die Rolle vielleicht ebenso gut singen wie eine Andere. Da ich sie nun aber nicht singen kann, so ist Eine hier, die sie besser singen wird, als man sie noch in Wien gehört hat, und, da es sein muß, auch schon morgen. So braucht die Aufführung nicht verschoben zu werden, und ich übernehme mit Vergnügen wieder meine Ismene, die mich nicht anstrengt.

– Sie denken daran, sagte Holzbauer mit Erstaunen, daß sich Madame Tesi morgen wieder wohl genug fühlen werde, um ihre Rolle zu übernehmen?

– Ich weiß sehr wohl, daß Madame Tesi noch in langer Zeit nicht wird singen können, sagte die Corilla so laut, daß ihre Worte von dem Throne auf welchen sie sich hingestreckt hatte, bis zu dem Sopha gelangen mußten auf welchem zehn Schritte von ihr entfernt Madame Tesi lag; sehen Sie doch nur, wie entstellt sie aussieht! ihr Gesicht ist zum Erschrecken. Aber ich sage Ihnen, daß Sie eine Berenice zur Hand haben, eine vollkommene, eine unvergleichliche Berenice, eine die uns allen mit einander überlegen ist. Und hier ist sie! setzte sie hinzu, indem sie aufstand und Consuelo bei der Hand nahm und mitten in die Gruppe zog, welche sich um sie besorgt und unmuthig zusammengedrängt hatte.

– Ich? rief Consuelo, die zu träumen glaubte.

– Du! antwortete die Corilla, indem sie Consuelo mit krampfhafter Heftigkeit auf den Thron stieß. Nun bist du die Königin, Porporina, du die erste: ich, ich erhebe dich dazu; ich war es dir schuldig. Vergiß es nicht!

Holzbauer, in seiner Noth, auf dem Punkte, seine Pflicht zu verfehlen, und wer weiß? vielleicht deswegen seine Entlassung einreichen zu müssen, konnte diese unerwartete Hülfe unmöglich zurückweisen. Er hatte an der Art wie Consuelo die Ismene machte, wohl gesehen, daß sie auch die Berenice ausgezeichnet hätte geben können. Trotz der Abneigung die er gegen sie und gegen den Porpora hatte, mußte in diesem Augenblicke jede andere Furcht der Einen weichen, daß sie sich weigern könnte, die Rolle zu übernehmen.

Sie wehrte sich in der That sehr ernstlich, und bat die Corilla leise, indem sie ihr mit Herzlichkeit die Hände drückte, ihr nicht ein Opfer zu bringen, nach dessen Gegenstand ihr Ehrgeiz sich so wenig dränge, während es in den Augen ihrer Nebenbuhlerin die härteste Buße wäre und das schwerste Opfer das sie bringen könnte. Die Corilla blieb jedoch unerschütterlich bei ihrem Entschlusse.

Madame Tesi, durch diese drohendere Concurrenz erschreckt, hätte große Lust gehabt, ihre Stimme zu versuchen und ihre Rolle zu übernehmen, wäre es auch ihr Tod gewesen, denn sie war wirklich krank; allein sie durfte nicht. Bei dem Hoftheater war es nicht erlaubt, Capricen zu haben, wie sie der weichmüthige Souverain unserer Tage, das gute Publikum geduldig sich gefallen läßt. Der Hof war darauf vorbereitet, bei dieser Aufführung in der Rolle der Berenice etwas Neues zu sehen: es war so angekündigt, die Kaiserin rechnete darauf.

– Wohlan, entscheide dich! sagte Caffariello zur Porporina. Es ist der erste kluge Streich, den die Corilla in ihrem Leben ausgelassen hat: das muß man sich zu Nutze machen. – Aber ich kann die Rolle nicht; ich habe sie nicht studirt. Wie soll ich sie bis morgen auswendig wissen?

– Du hast sie gehört, also kannst du sie und wirst sie morgen singen, sagte endlich der Porpora mit einer Donnerstimme. Vorwärts! Keine Grimassen! Es ist genug hin und her geredet. Eine volle Stunde haben wir mit Schwatzen verloren. Herr Director, lassen Sie die Violinen anfangen. Und du, Berenice, tritt auf! Keine Stimme in der Hand! weg die Stimme! Wenn man drei Proben mitgemacht hat, weiß man die ganze Oper auswendig. Ich sage dir, du kannst deine Rolle.

No tutto o Berenice ... sang die Corilla die wieder Ismene war, Tu non apri il tuo cuor. Und jetzt, dachte sie, da sie Consuelo's Ehrgeiz nach ihrem eigenen maß, jetzt wird » alles was sie von meinen Geschichten weiß, ihr wenig scheinen

Consuelo, deren wunderbares Gedächtniß und siegreiche Fassungskraft der Porpora wohl kannte, sang wirklich die Rolle Musik und Text, ohne den mindesten Anstoß. Madame Tesi gerieth so außer sich über ihr Spiel und ihren Gesang daß sie sich bedeutend kranker fühlte und sich nach dem ersten Akte nach Hause tragen ließ.

Am andern Tage mußte Consuelo bis um fünf Uhr Abends ihr Kostüm in Stand gesetzt, ihre Cadenzen sich eingerichtet und die ganze Rolle mit Aufmerksamkeit noch einmal durchstudirt haben. Sie hatte einen so vollständigen Erfolg, daß die Kaiserin im Hinausgehen sagte:

– Ein admirables junges Madel. Ich muß sie absolument verheirathen: ich will noch darauf denken.

Mit dem folgenden Tage begannen die Proben der Zenobia, von Metastasio, Musik von Predieri. Die Corilla bestand abermals darauf, Consuelo die erste Rolle zu überlassen. Diesesmal sang Madame Holzbauer die zweite, und da sie mehr Musik hatte als die Corilla, so wurde diese Oper weit besser einstudirt als die vorige. Metastasio sah mit Entzücken, daß seine Muse, die während der Kriegsjahre vernachläßigt und vergessen gewesen, bei Hofe wieder in Gunst gelangte und in Wien furore machte. Er dachte beinah gar nicht mehr an seine Kränklichkeit und angespornt durch das Wohlwollen der Kaiserin und durch die Pflicht seines Amtes, neue Operntexte zu liefern, setzte er sich durch die Lectüre der griechischen Tragiker und der klassischen römischen Autoren in Bereitschaft, eines jener Meisterstücke hervorzubringen, welche die Italiener von Wien und die Deutschen Italiens ohne Umstände über die Tragödien Corneille's, Racine's, Shakespeare's, Calderon's, kurz, um es ohne Umschweif und ohne falsche Scham zu sagen, über alles setzten.

Wir wollen mitten in dieser Geschichte, die schon so lang und mit Einzelheiten überladen ist, nicht noch die längst vielleicht erschöpfte Geduld des Lesers mißbrauchen, um ihm unsere Ansicht über Metastasio's Genie mitzutheilen. Es wird ihm wenig daran liegen. Wir wollen ihm nur vertrauen, was Consuelo ihrem Freunde Joseph darüber ins Ohr sagte.

– Du glaubst nicht, Beppo, was es mir für eine Pein ist, diese Rollen zu spielen, die sie so erhaben und so tragisch nennen. Es ist wahr, die Worte sind wohlgesetzt und gehen beim Singen leicht über die Zunge; aber wenn man an die Person denkt, welche sie sagt, so weiß man nicht, woher, ich will nicht einmal sagen, die Stimmung, nein nur den Ernst nehmen, um sie auszusprechen.

Was für ein lächerlicher Gebrauch ist es doch, das Alterthum nach unserer heutigen Mode zuzustutzen und Intriguen, Leidenschaften und moralische Grundsätze anzubringen, welche sich in den Memoiren der Markgräfin von Bayreuth, oder des Barons von der Trenck oder der Prinzessin von Culmbach vielleicht recht gut ausnehmen würden, die aber doch im Munde eines Rhadamist, einer Berenice oder Arsinoe gar zu abgeschmackt und widersinnig sind.

Als ich auf dem Schlosse Riesenburg in der Wiedergenesung war, las mir Graf Albert oft vor, um mich einzuschläfern; ich aber schlief nicht, ich hörte mit aller Begierde zu. Er las griechische Trauerspiele von Sophocles, Aeschylus oder Euripides; er las sie spanisch, langsam aber schön und ohne Stocken, obgleich es der griechische Text war, den er vor Augen hatte. Er besaß so große Fertigkeit in den alten und neueren Sprachen, daß man hätte glauben sollen, ihn aus einer schön geschriebenen Uebersetzung lesen zu hören. Er ließ es sich, wie er mir sagte, angelegen sein, in solcher Treue zu übersetzen, daß ich mit Hülfe der genauen Uebertragung den Geist der Griechen in seiner ganzen Einfachheit erfassen könnte.

Welche Größe! o mein Gott! Welche Sprache! welche Erfindung Und welches Maß! wie riesige Gestalten, wie reine starke Charaktere, wie kraftvolle Situationen! wie tiefe, wahre Schmerzen, wie herzzerreißende, furchtbare Gemälde führte er an meinem Auge vorüber! Da ich noch schwach und meine Phantasie noch angefüllt war mit den Bildern der Schrecken und Gefahren, welche meine Krankheit verursacht hatten, so war ich von dem was ich hörte so erschüttert, daß ich mir einbildete, abwechselnd Antigone, Clytemnestra, Medea, Electra zu sein und diese blutigen und jammervollen Dramen selbst durchzuspielen, nicht auf einem Theater bei Lichterschein, sondern in grauenvollen Einöden, am Rande gähnender Schlünde, oder unter den Säulen alterthümlicher Vorhallen, am düster stammenden Herde, wo man die Todten beweinte sich gegen die Lebenden verbündend.

Ich vernahm die klagenden Chöre der Trojanerinnen. Die Eumeniden schlangen um mich ihre Tänze, o in welchen wundersamen Rhythmen und mit welchen dämonischen Weisen! Ich kann daran nicht denken, ohne daß es mich noch in der Erinnerung von neuem mit Entzücken und mit Grauen durchschauert. Nie werde ich auf dem Theater, in der Verwirklichung meiner Träume dieselben Aufregungen, denselben Sturm in meinem Innern fühlen, der gewaltig damals in meinem Herzen brauste.

Da zum erstenmale fühlte ich mich als tragische Künstlerin und ich hatte Vorbilder in meiner Anschauung, von denen mir noch kein Künstler ein Muster geliefert hatte. Da begriff ich, was dramatische Kunst, was tragische Wirkung, was die Poesie des Theaters ist, und so wie Albert las, tönte in mir ein Gesang, mit dem ich ihn zu begleiten und alles was ich hörte selber auszusprechen glaubte. Bisweilen ertappte ich mich darauf, daß ich die Stellung, die Miene der Person annahm, welche er sprechen ließ und es geschah ihm wohl selbst, daß er erschrocken inne hielt, indem er die Erscheinung der Andromache oder Ariadne vor sich zu sehen glaubte.

Nein, geht mir! ich habe bei diesen Vorlesungen in einem Monate mehr gelernt und mehr geahnt als es mir in meinem ganzen Leben möglich wäre, wenn ich tagtäglich die Dramen des Herrn Metastasio läse. Und hätten nicht die Componisten in die Musik das Gefühl und die Wahrheit gelegt, welche der Handlung abgeht, so glaube ich, daß ich vor Ekel umkommen würde, wenn ich mich als Erzherzogin Zenobia mit der Landgräfin Eglea unterhalten oder einen Zank des Feldmarschall Rhadamist mit dem Pandurenofficier Zopirus anhören müßte.

O, alles das ist falsch, grundfalsch, Beppo, ebenso unächt wie die blonde Perücke des Caffariello-Tiridates, wie das Negligée à la Pompadour der armenischen Hirtin Madame Holzbauer, wie des Prinzen Demetrius Waden von rosenrothem Tricot, wie diese Decoration hier dicht neben uns, die Asien ebenso ähnlich sieht wie der Abt Metastasio dem alten Homer.

– Was du da sagst, antwortete Haydn, erklärt mir, warum ich, wenn ich auch die Nothwendigkeit einsehe, Opern für das Theater zu setzen (wofern ich es noch so weit bringen kann), mich doch begeisterter und reicher an Hoffnungen bei dem Gedanken fühle, Oratorien zu componiren. Da, wo die kindischen Spielereien der Scenerie nicht immerwährend der wahren Empfindung Eintrag thun, in einem solchen Tongemälde, worin alles Musik ist, worin die Seele zu der Seele durch das Ohr und nicht durch das Auge spricht, scheint mir der Componist sein ganzes inneres Leben entfalten und die Einbildungskraft seiner Zuhörer in wahrhaft erhabene Regionen versetzen zu können.

In dieses Gespräch vertieft gingen Joseph und Consuelo, wartend bis alles zur Probe versammelt sein würde, an einer großen Courtine Courtine wird in Oesterreich gewöhnlich genannt was man sonst Prospect oder Hintergardine zu nennen pflegt, die bemalte Leinwand welche dem Zuschauer den Hintergrund der Bühne verdeckt. – D. Uebers. entlang, welche an diesem Abend der Fluß Arares sein sollte und in dem Halblichte der Bühne nichts war als eine ungeheure Indigofläche, ausgebreitet zwischen großen okergelben Flecken, welche die Gipfel des Kaukasus vorstellten. Bekanntlich hängen die Prospekte, welche bei der Vorstellung dienen sollen, einer hinter dem anderen, so daß bei der Verwandlung der vordere nur ausgezogen zu werden braucht. In den Räumen zwischen ihnen gehen die Schauspieler während der Vorstellung umher, schlafen die Statisten oder geben einander Prisen, sitzend oder liegend im Staube unter Oeltropfen, welche langsam aus den schlecht verwahrten Lampen niederfallen; bei Tage gehen die Schauspieler in diesen engen dunkeln Gassen auf und nieder und wiederholen ihre Rollen oder besprechen ihre Angelegenheiten, oder belauschen jezuweilen kleine Vertraulichkeiten und erhaschen wohl die geheimen Complots, welche andere Spaziergänger ganz nahe bei ihnen, und doch ohne sie zu bemerken, hinter einem Meeresarm oder einem öffentlichen Platze mit einander schmieden.

Metastasio stand zum Glücke nicht jenseit des Arares, als die noch unerfahrene Consuelo gegen Haydn ihren Künstlerunmuth ausschüttete. Die Probe begann. Es war die zweite der Zenobia, und sie ging so gut, daß die Musiker des Orchesters, wie es bräuchlich ist, mit dem Bogen auf den Boden ihrer Geigen applaudirten. Predieri's Composition war allerliebst, und der Porpora dirigirte mit mehr Liebe als es ihm bei der Hasseschen möglich gewesen. Der Tiridates war eine der Glanzrollen Caffariello's, und dieser dachte nicht daran, es unpassend zu finden, daß er, ausstaffirt als wilder parthischer Krieger, wie ein Seladon zu girren und wie ein Klitander zu schwatzen hatte.

Consuelo hatte, wenn auch eine Rolle, die ihr für eine Heldin des Alterthums geziert und falsch schien, doch wenigstens einen weiblichen Character darzustellen, welcher hübsch gezeichnet war. Ihre Rolle enthielt sogar einen Anklang an die Seelenstimmung, in welcher sie sich zwischen Albert und Anzoleto befunden hatte. Sie dachte nicht weiter an die locale Färbung (wie man es heutzutage nennen würde), sondern faßte nur die allgemeinen menschlichen Gefühle auf; und sie fühlte, daß sie erhaben war in jener Arie, deren Gedanke so oft ihr Herz bewegt hatte:

Voi leggete in ogni core,
Voi sapete, o giusti Dei,
Se non puri i voti miei
Se innocente è la pietà.
Die ihr schaut in alle Herzen,‹
O, ihr wißt, gerechte Götter,
Ob nicht rein sind meine Wünsche
Und mein Lieben makellos.

Sie wußte es selbst in diesem Augenblicke, daß sie mit wahrer Empfindung gesungen und ihren Triumph wohl verdient hatte. Sie brauchte, weil sie es selbst fühlte, nicht erst in den Augen Caffariello's, der diesesmal nicht durch Madame Tesi's Anwesenheit gehindert war und der sie aufrichtig bewunderte, die Gewißheit ausgedrückt zu lesen, daß sie mit diesem Capitalstück auf jedes Publicum der Welt und unter allen Umständen den unwiderstehlichsten Eindruck machen würde.

Und jetzt fand sie sich mit ihrer Rolle, mit dieser Oper, mit ihren Kameraden, mit sich und kurz mit dem Theater ausgesöhnt, und ungeachtet aller der Verwünschungen, welche sie eine Stunde zuvor gegen ihren Stand ausgestoßen hatte, konnte sie sich eines jener inneren Freudenschauer nicht erwehren, die so tief, so plötzlich und so mächtig die Seele ergreifen, daß, wer nicht irgendwie Künstler ist, unmöglich sich vorstellen kann, wie reichlich sie in einem einzigen Augenblick für lange Jahre der Arbeit, der Täuschung und des Leidens entschädigen.

10.

Als Zögling, halb noch Diener Porporas, konnte Haydn, der begierig war Musik zu hören und die Zusammensetzung, selbst den äußeren Mechanismus der Opernaufführung kennen zu lernen, sich, wenn Consuelo sang, zwischen die Coulissen schleichen. Seit zwei Tagen bemerkte er, daß der Porpora, der sich Anfangs sehr wenig bereitwillig gezeigt hatte, ihn im Innern des Theaters zuzulassen, ihm jetzt sehr gern und noch ehe Haydn darum bat, seine Einwilligung dazu ertheilte. Es war nämlich in des Professors Seele wieder etwas Neues vorgegangen.

Maria Theresia war in seinem Gespräche, welches sie mit dem venetianischen Botschafter über musikalische Angelegenheiten hatte, auf ihre fixe Idee, Heiraten beim Theater zu stiften, auf ihre Matrimoniomanie, wie es Consuelo nannte, zurückgekommen. Sie hatte ihm gesagt, daß sie es gern sehen würde, wenn diese große Sängerin sich in Wien fixirte und den jungen Musikus, der bei ihrem Lehrer Unterricht hätte, heiratete; sie hatte bei dem Botschafter selbst Erkundigungen über Haydn eingezogen und da der Botschafter ihr viel Gutes über ihn gesagt, ihr versichert hatte, daß der junge Mann Außerordentliches in der Musik zu leisten verspräche und sonderlich, daß er ein sehr guter Katholik sei, so hatte Ihre Majestät ihn aufgefordert, diese Mariage zu arrangiren, und hatte versprochen, den jungen Gatten ein convenables Sort zu machen.

Dieser Gedanke hatte den Herrn Corner angelächelt, denn er hielt auf Haydn große Stücke und gab dem jungen Manne schon eine Art Pension, damit derselbe seine Studien in größerer Freiheit fortsetzen könne. Der Botschafter hatte der Kaiserin Plan dem Porpora vorgetragen und warm dafür gesprochen, und dieser, der noch immer fürchtete, daß seine Consuelo darauf beharren möchte, das Theater zu verlassen und einen Edelmann zu heiraten, hatte nach vielem Besinnen und Weigern (es wäre ihm am liebsten gewesen, wenn seine Schülerin ohne Ehe und ohne Liebe gelebt hätte) sich endlich doch überreden lassen.

Um einen großen Schlag zu thun, hatte sich der Botschafter entschlossen, dem Porpora neue Compositionen von Haydn zu zeigen und ihm zu verrathen, daß die Serenade für drei Instrumente, die ihm so sehr gefallen, von Beppo war; der Porpora hatte gestanden, daß in dem jungen Manne der Keim eines großen Talentes läge, daß er demselben eine tüchtige Richtung geben und ihn anleiten könnte, gut für die Stimme zu setzen, endlich auch, daß die Verhältnisse einer Sängerin, die einen Componisten zum Manne habe, sich sehr vortheilhaft gestalten könnten. Das Pärchen würde durch seine große Jugend und seine beschränkten Mittel gezwungen sein, fleißig zu arbeiten, ohne an andere Ambitionen zu denken und Consuelo würde auf diese Weise an das Theater gefesselt sein.

Der Maestro gab sich gefangen. Er hatte ebensowenig als Consuelo Antwort von Riesenburg erhalten. Dieses Stillschweigen machte ihm bange vor irgend einem Widerstand gegen seine Absichten, vor irgend einem eigensinnigen Streich des jungen Grafen.

– Könnt' ich Consuelo an einen Andern, wenn nicht verheiraten, doch wenigstens verloben, dachte er, so würde ich von dieser Seite nichts mehr zu fürchten haben.

Die Schwierigkeit war, Consuelo zu dem gewünschten Entschlusse zu bewegen. Sie dazu ermahnen hätte nur geheißen, sie zum Widerstande aufregen. Feiner Neapolitaner, wie er war, sagte er sich, daß man es der Gewalt der Umstände überlassen müßte, eine unmerkliche Umwandlung in dem Geiste des jungen Mädchens hervorzubringen. Sie bewies Beppo Freundschaft, und Beppo, obwohl er die Liebe in seinem Herzen besiegt hatte, zeigte für sie so viel Eifer, Bewunderung und Hingebung, daß ihn der Porpora wohl für vollkommen verliebt in Consuelo halten konnte. Er dachte, wenn man ihm in seinem Umgange mit Consuelo kein Hinderniß in den Weg legte, so würde er schon dahin gelangen, seinen Wünschen Gehör zu verschaffen, und wenn man ihm gehöriger Zeit und gehörigen Orts die Absichten der Kaiserin eröffnete, so würde ihm dann der Muth, beredt zu sein und das Feuer der Ueberredung nicht fehlen.

Genug, der Maestro hörte plötzlich auf, Joseph schlecht zu behandeln und herabzudrücken, und ließ den immerwährenden Herzensergießungen der beiden jungen Leute freien Lauf, indem er sich schmeichelte, daß er so seinen Zweck schneller erreichen würde, als wenn er sich offenbar einmischte.

Der Porpora beging einen großen Fehler, weil er an einem günstigen Erfolge zu wenig zweifelte. Er gab Consuelo's Ruf der übeln Nachrede Preis, denn man brauchte nur zweimal nach einander Joseph zwischen den Kulissen an ihrer Seite zu sehen, so war es bei der ganzen Schauspielergesellschaft eine ausgemachte Sache, daß sie mit diesem jungen Mann eine Liebschaft unterhielte, und die arme Consuelo, ahnungslos und vertrauensvoll wie alle geraden, reinen Seelen, dachte nicht im mindesten daran, die Gefahr vorauszusehen und abzuwenden.

Wirklich waren seit jener Probe der Zenobia die Augen auf der Lauer und die Zungen in Bewegung. Hinter jeder Kulisse, hinter jedem Versetzstück gab es unter den Schauspielern, unter den Choristen, unter den Angestellten aller Art, die dort herumstreichen, bald eine boshafte, bald eine neckende Bemerkung, bald einen Tadel, bald einen Scherz über den Scandal dieser werdenden Intrigue oder über die Taubenunschuld dieses glücklichen Pärchens.

Consuelo, ganz mit ihrer Rolle beschäftigt, ganz in ihrem Künstlerfeuer, sah nichts, hörte nichts, ahnte nichts. Joseph, in Gedanken vertieft, mit seiner ganzen Seele bei der Oper, die gesungen wurde oder bei den Entwürfen zu dem was er selbst in solcher Art zu schaffen gedachte, hörte wohl dann und wann ein hingeworfenes Wort, verstand es aber nicht, so weit entfernt war er davon, sich mit eiteln Hoffnungen zu schmeicheln. Wenn er im Vorübergehen eine Anspielung, eine spitze Bemerkung auffing, richtete er den Kopf empor, sah sich um, suchte den Gegenstand dieses Gespöttes und versank, wenn er Niemand erblickte, da ihm Geschwätz dieser Art sehr gleichgültig war, sogleich wieder in sein Nachdenken.

Es war Gebrauch, bisweilen zwischen den einzelnen Acten der Oper ein komisches Intermezzo zu geben und man probirte an jenem Tage den Impressario delle Canarie, eine Reihe kleiner sehr heiterer und komischer Scenen von Metastasio. Die Corilla, welche darin die Rolle einer anspruchsvollen, launischen und herrischen Prima Donna machte, spielte mit unnachahmlicher Wahrheit, und der Beifall, welchen sie in diesem Scherze zu erwerben pflegte, tröstete sie einigermaßen für das Opfer ihrer großen Rolle.

Während der letzte Theil des Intermezzo probirt wurde, zog sich Consuelo, ein wenig erschöpft von der Aufregung, in welche ihre Rolle sie versetzte, hinter die vorderste Courtine zurück, und spazirte dort, in Erwartung des dritten Actes der Oper, auf und ab zwischen dem »schrecklichen Thal voller Gipfel und Schlünde«, welches die erste Dekoration war, und dem lieben Fluß Arares, dem »von lieblichen Höhen umkränzten«, welcher, damit das Auge des empfindsamen Zuschauers angenehm ausruhe, in der dritten Scene erscheinen sollte.

Während sie mit ziemlich schnellen Schritten hin und her ging, gesellte sich Joseph zu ihr und brachte ihr ihren Fächer, welchen sie auf dem Souffleurkasten hatte liegen lassen: erfreut griff sie danach und fächelte sich Kühlung zu. Joseph war durch den geheimen Zug seines Herzens und Porpora's geflissentliche Achtlosigkeit, ohne daß er selbst recht wußte wie, vermocht worden, seine Freundin aufzusuchen; die Gewohnheit des Umganges mit ihm und das Bedürfniß sich vertraulich auszusprechen, machten, daß Consuelo ihn immer gern kommen sah.

Aus dieser beiderseitigen Regung einer Sympathie, deren sich die Engel im Himmel nicht zu schämen brauchten, war es des Schicksals Wille, ein Wahrzeichen und die Ursach eines großen Unglücks zu machen! ...

Wir wissen sehr wohl, daß unsere Romanleserinnen, stets voll Ungeduld nach dem Ausgange, nichts als Schlag auf Schlag von uns begehren; wir bitten sie, sich ein klein wenig zu gedulden.

– Nun sieh, meine Freundin, sagte Joseph lächelnd und ihr die Hand reichend, du scheinst jetzt nicht mehr so unzufrieden mit dem Drama unseres Herrn Abbate, du scheinst in deiner Gebetscene ein offenes Fensterlein gefunden zu haben, durch welches der Dämon des Genies, der dich besitzt, einmal recht lustig hinausstürmen kann.

– Du findest, daß ich sie gut gesungen habe?

– Siehst du nicht, wie roth. meine Augen sind?

– Ach ja! du hast gemeint. Gut! Desto besser! Es freut mich, daß ich dich zum Weinen gebracht habe.

– Als ob es das erste mal wäre! Aber du wirst wieder Künstlerin, wie dich der Porpora haben will, meine gute Consuelo! Die Flamme des Gelingens ist in dir aufgelodert. Wenn du im Böhmerwalde auf dem Wege sangest, du hast gesehen, ich weinte auch und du weintest selbst, hingerissen von der Schönheit deines Gesanges. Jetzt ist es aber ein ganz anderes Ding. Du lachst vor Glückseligkeit, du zitterst vor Stolz, indem du die Thränen siehst, die du den Augen entlockt hast. Nur muthig so fort, meine Consuelo! Du bist jetzt Prima Donna in der vollen Kraft des Wortes.

– Sage das nicht, mein Freund! So werde ich nie sein wie Jene dort, antwortete sie und deutete mit dem Kopfe nach der Corilla hin, die auf der andern Seite der Leinwand sang.

– Nimm's nicht übel, versetzte Joseph, ich meine nur, daß dich der Gott der Begeisterung überwunden hat. Vergeblich hat deine kalte Vernunft, hat deine philosophische Strenge, hat das Andenken an Riesenburg gegen den Python gekämpft. Er rührt sich in deinem Innern, er hebt sich, bricht hervor. Gesteh, gesteh, daß du erstickst vor Wonne. Ich fühle, wie dein Arm in dem meinigen zittert. Dein Gesicht glüht; deinen Blick habe ich noch nie so gesehen wie jetzt. Nein, du warst nicht entflammter, nicht begeisterter als dir Graf Albert die griechischen Tragiker vorlas.

– Weh, wie thust du mir weh! tief Consuelo, plötzlich erbleichend und ihren Arm aus Josephs Arm zurückziehend. Was sprichst du hier diesen Namen aus? Das ist ein heiliger Name, der nicht hier in dem Tempel der Narrheit gehört werden soll. Ein furchtbarer Name, der wie ein Donnerschlag, alle Täuschungen und alle Geister goldener Träume in die Nacht zurückwirft!

– Weißt du, Consuelo, soll ich dir sagen? hob Haydn nach einem kurzen Stillschweigen an: du wirst dich nie entschließen können, diesen Mann zu heiraten.

– Schweig, schweig still. Ich habe es gelobt ...

– Wohl! wenn du dein Versprechen hältst, so wirst du mit ihm nie glücklich sein. Das Theater verlassen? Du? Aufhören, Künstlerin zu sein? Es ist eine Stunde zu spät. Du hast jetzt eben eine Lust geschmeckt, deren Erinnerung ewig die Qual deines Lebens sein würde.

– Du ängstigst mich, Beppo! Warum sagst du mir solche Dinge heut?

– Warum? Ich weiß nicht, ich sage sie dir unwillkürlich. Die Glut ist von dir in mich übergeströmt, und mir ist, als sollte ich, wenn wir heim kommen, etwas Großes, Göttliches schreiben. Es wird vielleicht eine Albernheit. Gleich viel! ich fühle mich für den Augenblick genial.

– Wie fröhlich du bist, wie ruhig! Ich, o statt jener Glut des Stolzes und der Wonne, wovon du redest, fühle ich einen herben, brennenden Schmerz, ich möchte lachen und weinen zugleich.

– Schmerz, o ich glaube es, ich weiß es. Schmerz ist es, muß es sein. In dem Augenblicke, wo du dich gewaltig, wo du dich groß fühlst, zieht ein finsterer Gedanke heraus, wandelt dich zu Eis  ...

– Ja, ja, so ist es. Doch was ist es nur?

– Dies ist es, daß du Künstlerin bist und dir die Pflicht auferlegst, die heillose, vor Gott und vor dir unverantwortliche, abscheuliche Pflicht, der Kunst zu entsagen.

– Gestern schien es mir nicht so, heut scheint es mir so. Warum? Meine Nerven sind angegriffen. Diese Aufregungen sind gräßlich, sind mir schädlich, ich sehe es. Ich habe immer ihre Macht auf das Gemüth, ihre hinreißende Gewalt geleugnet. Ich bin stets mit Ruhe, mit besonnener, gewissenhafter Aufmerksamkeit, mit Bescheidenheit auf die Bühne getreten. Heute ist meine Selbstbeherrschung hin, ich kenne mich nicht, und wenn ich in diesem Augenblick vor das Publikum treten müßte, ich glaube, ich würde erhabene Tollheiten oder jämmerliche Ausgelassenheiten treiben. Die Zügel meines Willens sind mir entronnen. Morgen, hoffe ich, wird es anders sein, denn diese Aufregung ist Wahnwitz und Pein zugleich.

– Arme Freundin! ich fürchte, es wird niemals anders sein, oder vielmehr ich hoffe es, denn du wirst nie wahrhaft gewaltig sein, als in dem Fieber dieser Aufregung; Von allen Musikern, von allen Schauspielern, mit denen ich darüber gesprochen, habe ich gehört, daß sie ohne diesen Wahnsinn, ohne diese Verwirrung ihres Geistes nichts vermöchten, und daß sie, statt mit den Jahren und durch die Gewohnheit mehr Ruhe zu erwerben, mit jeder Entfeßlung ihres Dämons nur immer reizbarer wurden.

– Das ist ein wunderbares Ding! sagte Consuelo seufzend. Es scheint mir nicht, als ob die Eitelkeit, die Eifersucht auf Andere, die elende Begierde zu glänzen sich meiner so plötzlich bemächtigen und so mein Wesen zwischen heut und morgen umstürzen könnten. Nein, ich betheuere dir, als ich das Gebet der Zenobia sang und das Duett mit dem Tiridates, bei welchem Caffariello's Leidenschaft und Kraft mich wie ein Wirbelwind fortriß, da dachte ich weder an das Publicum, noch an meine Nebenbuhlerinnen, noch an mich selbst. Ich war Zenobia, ich dachte an die unsterblichen Götter des Olymps mit einer ganz christlichen Inbrunst und ich brannte vor Liebe zu dem lieben Caffariello, den ich außer dem Duett nicht ohne zu lachen ansehen kann. Das Alles ist seltsam, und ich fange an zu glauben, weil die dramatische Kunst eine immerwährende Lüge ist, so straft uns Gott mit der Thorheit, daß wir selbst daran glauben müssen, und das ernsthaft nehmen, was nur dazu dienen soll, Andere zu täuschen. Nein! der Mensch kann nicht ungestraft mit allen Leidenschaften, allen Gefühlen des wirklichen Lebens ein Spiel treiben. Gott will, daß wir unsere Seele heilig und stark erhalten für wahre Gefühle, und für rechtschaffene, gute Handlungen, und wenn wir seinen Zweck verfehlen, so straft er uns und macht uns rasend.

– Gott! Gott! Willen Gottes! Da liegt das Geheimniß,Consuelo! Wer kann die Absichten die Gott mit uns hat durchschauen? Würde er uns von Kindheit an diese Triebe, dieses Kunstbedürfniß einpflanzen, das wir nicht ersticken können, wenn er den Gebrauch, den wir davon zu machen berufen sind, verwürfe? Warum habe ich von Jugend auf an den Spielen meiner Kameraden kein Gefallen gefunden? Warum habe ich, seit ich mir selbst überlassen bin, Musik studirt mit einer Lust, die nichts mir rauben konnte, mit einer Anstrengung, die jedes andere Kind in meinem Alter getödtet haben würde? Mich ermüdete die Ruhe, die Arbeit gab mir Kraft und Leben. So war es auch mit dir, Consuelo. Du hast es mir hundertmal gesagt, und wenn eines von uns dem anderen seine Geschichte erzählte, so war es, als ob jedes seine eigene hörte. Geh, Gottes Hand ist in allem, und jede Kraft, jede Neigung ist sein Werk, wenn wir auch nicht den Zweck davon begreifen. Du bist zur Künstlerin geboren. Daher mußt du Künstlerin sein und wer dich verhindern will es zu sein, der giebt dir den Tod oder ein Leben, das schlimmer ist als das Grab.

– Ach, Beppo! rief Consuelo schaudernd und fast irre redend, wenn du in Wahrheit mein Freund wärest, so weiß ich, was du thun würdest.

– Nun, was denn, liebe Consuelo? Gehört nicht mein Leben dir?

– Du würdest mich tödten morgen, wann der Vorhang fällt, wann ich wahre Künstlerin, wahrhaft begeistert zum ersten und zum letzten mal gewesen.

– O, sagte Joseph mit trüber Lustigkeit, ich wollte lieber deinen Grafen Albert tödten, oder mich.

In diesem Augenblick richtete Consuelo ihre Augen auf die Gasse, welche ihr gegenüber die Coulissen bildeten und ließ schwermüthig und zerstreut ihren Blick darüber hin irren. Das Innere eines großen Theaters erscheint bei Tage so ganz anders als die Bühne bei Licht vom Saale aus gesehen, daß es unmöglich ist, sich eine Vorstellung davon zu machen, wenn man es nicht gesehen hat. Nichts trübseliger, düsterer, schauerlicher als dieser in Dunkelheit, Oede und Stille begrabene Raum. Wenn sich eine menschliche Gestalt deutlich in den gleich Gräbern geschlossenen Logen zeigte, so würde sie wie ein Gespenst erscheinen und dem unerschrockensten Schauspieler ein Grauen einjagen.

Das trübe, spärliche Licht, welches durch verschiedene Oeffnungen in der Decke auf die Bühne fällt, bricht sich winklicht an Gerüsten, grauen Lappen, bestäubten Brettern. Auf der Bühne mißt das Auge, des Vortheils der Perspective beraubt, mit Erstaunen diese enge Kluft, in welcher so viele Personen, so viele Leidenschaften in Bewegung kommen und Geberden zeigen sollen, die dem Zuschauer majestätisch, Massen, die ihm imposant, Ausbrüche, die ihm unaufhaltsam scheinen, während sie studirt und bis auf den Zoll abgemessen sind, damit man sich nicht hindere, verwickele und gegen Decorationsstücke stoße.

Wenn sich aber die Bühne klein und unscheinbar darstellt, so scheint dagegen die Höhe des Schiffes, welche dazu bestimmt ist, so viele Leinwandflächen zu bergen und so vielen Maschinen steten Spielraum zu lassen, unermeßlich, sobald man sie ohne alle jene mit Wolken, Simsen, Laubwerk bemalten Leinwandstreifen sieht, welche dieselbe nach oben hin dem Auge des Zuschauers verdecken.

Diese Höhe hat in ihrer Unverhältnißmäßigkeit etwas Erhabenes und wenn man, die Bühne betrachtend, sich in einem Käficht dünkt, so glaubt man sich, zur Decke hinaufschauend, in einem gothischen Dome, nur etwa in einem unfertigen oder verfallenen Dome, denn da ist alles mißfarbig, unförmig, unzusammenhängend und verworren. Leitern sind da ohne Ebenmaß, je nach dem Bedürfniß des Machinisten aufgehängt, brechen, wie zufällig, auf einmal ab oder schließen sich ohne erkennbare Ursach an andere Leitern, die man in dem Gewirre dieser farblosen Massen nicht deutlich unterscheidet; Schichten wunderlich gekerbter und ausgeschnittener Bretter, Decorationen, deren Malerei, verkehrt sichtbar, keinen Sinn errathen läßt, verworrene Leinen und Schnüre, namenlose Bruchstücke, Kloben und Räder, die, zu unbekannten Martern bestimmt scheinen, alles dies gleicht jenen Traumbildern, die uns kurz vor dem Erwachen necken, indem wir unbegreifliche Dinge sehen und vergebliche Anstrengungen machen, zu erfahren wo wir sind.

Alles ist unbestimmt, alles schwimmt in einander, alles schwankt und scheint im Begriff, aus seiner Stelle zu weichen. Man sieht einen Mann, der auf einem Balken schwebend ruhig arbeitet und in einem Spinngewebe zu hangen scheint, man könnte ihn für einen Matrosen halten, der im Tauwerk eines Schiffes umherklettert oder für eine riesige Ratte, welche das wurmstichige Zimmerwerk benagt. Man hört Worte, ohne zu wissen, woher sie kommen. Sie sind vier und zwanzig Fuß über uns gesprochen worden und der wunderliche Ruf des Echos, das in allen Winkeln dieses grillenhaften Domes lauert, trägt sie in unser Ohr, vernehmlich oder verworren, jenachdem wir einen Schritt, welcher die akustische Wirkung verändert, nach dieser oder jener Seite thun.

Ein furchtbares Getöse erschüttert die Gerüste und ein langgezogenes Pfeifen folgt ihm nach. Fällt die Decke ein? Bricht einer jener schwindelnden Böden zusammen und stürzt mit unglücklichen Arbeitern nieder, die er unter seinen Trümmern begräbt? Nein! ein Theaterfeuerwerker hat geniest, oder eine Katze hat über die Latten des schwebenden Labyrinthes hin ihr Wildpret verfolgt.

Ehe man sich an alle diese Gegenstände, alle diese Laute gewöhnt hat, muß man sich fürchten; man weiß nicht, was es giebt, und gegen welche fremdartige Erscheinung man sich mit Kaltblütigkeit waffnen soll. Man begreift das Ganze nicht, und was man nicht mit den Augen oder den Gedanken überschauen und unterscheiden kann, das Ungewisse, Unfaßbare erregt immer ein Grauen. Das Vernünftigste was man sich vorstellen kann, wenn man zum ersten Male in ein solches Chaos eintritt, ist, daß man irgend einer wahnsinnigen Zauberwirthschaft in dem geheimnißvollen Laboratorium eines Alchymisten beiwohnen solle.

Diese Fußnote wird aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re Indessen für das Auge, welches zu sehen versteht, hat alles seine Bedeutung, und diese Hölle des Theaters ist für die Einbildungskraft von ergreifenderer Schönheit als alle die vorgebliche Täuschung, welche während der Vorstellung die erleuchtete und geordnete Bühne hervorbringen mag. Ich habe mich oft gefragt, worin diese Schönheit bestehe, und wie es mir möglich wäre, sie anschaulich zu machen, wenn ich der Seele eines Anderen das Geheimniß überliefern wollte. Wie können, wird man mir sagen, äußere Gegenstände, farblos, formlos, ohne Ordnung, ohne Deutlichkeit, einen Anblick gewähren, welcher zu den Augen, zu dem Geiste spricht? Nur ein Maler wird vielleicht antworten: Ja, ich begreife es. Er wird an Rembrandt's in Betrachtung vertieften Philosophen denken, an diesen tiefen, im Dunkel sich verlierenden Saal, diese endlosen Treppen, die sich winden, Niemand weiß wohin, und auf den verschiedenen Gründen des Gemäldes diese schwankenden Lichtscheine, welche aufblitzen und verschwinden, Niemand weiß warum; diese ganze Scene, undeutlich und klar zugleich, diese Farbenkraft an diesem oder jenem Gegenstande, der im Grunde nur aus Braun in Braun gemalt ist, dieser Zauber des Helldunkels, dieses Spiel des Lichtes über die geringfügigsten Gegenstände hin, über einen Stuhl, einen Krug, ein kupfernes Gefäß; und siehe, diese Gegenstände, welche nicht betrachtet, noch weniger gemalt zu werden verdienen, so interessant, so schön in ihrer Art, daß man den Blick nicht davon hinwegwenden kann! Sie haben Leben empfangen, sie sind da, sind würdig da zu sein, weil der Künstler sie mit seinem Zauberstabe angerührt hat, weil er einen Sonnenblick auf sie geleitet hat, weil er zwischen ihnen und diesem einen durchsichtigen, geheimnißvollen Schleier auszubreiten gewußt hat, die Luft, die wir sehen, die wir athmen, in die wir einzutreten glauben, indem wir uns mit unserer Phantasie in seine Leinwand vertiefen. Nun wohl! wenn wir in der Wirklichkeit ein Gemälde solcher Art finden, wäre es auch aus noch verächtlicheren Gegenständen zusammengesetzt, aus zerbrochenem Lattengerüst, verblichenen Lumpen, räucherigem Gemäuer, sobald ein mattes Licht sein Blendwerk darüber hinhaucht, sobald das Helldunkel jenes kunstgemäße Wesen schafft, welches in dem bloßen Wirken, Zusammentreffen und Zusammenstimmen der eben vorhandenen Gegenstände schon liegt, ohne daß es der Mensch hinein zu legen braucht, so kann der Mensch dies herausfinden, herausfühlen, bewundern und sich sein wie einer Eroberung freuen.

Es ist kaum möglich, mit Worten das Geheimniß darzulegen, das der Pinselstrich eines großen Meisters den Augen eines Jeden deutlich offenbart. Wenn man die Intérieurs eines Rembrandt, Teniers, Gerhard Dow betrachtet, so wird das gewöhnlichste Auge an die Wirklichkeit gemahnt, ohne daß es doch von dieser je poetisch berührt gewesen wäre. Um die Wirklichkeit poetisch zu sehen, und, aus ihr in Gedanken sich ein Rembrandt'sches Gemälde zu machen, muß man mit dem malerischen Sinne begabt sein, der in der That vielen Organisationen beiwohnt. Aber um dieses Gemälde zu beschreiben und mittelst des Wortes in den Geist eines Anderen übergehen zu lassen, müßte man eine solche Erfindungskraft besitzen, daß wenigstens ich, indem ich den Versuch mache, mir bewußt bin, einem Einfall nachzuhängen, ohne Aussicht auf Erfolg. Einem Dichter, der diese Erfindungskraft besitzt und der sich des Verses bediente (wo freilich der Versuch noch kühner) ist es nicht immer geglückt. Und doch zweifle ich, ob in unserer Zeit irgend ein anderer Schriftsteller das erreichen werde, was er erreicht hat. Man lese ein Gedicht, betitelt les Puits de l'Inde; man wird darin ein Meisterstück oder eine wilde Ausgeburt der Phantasie erkennen, jenachdem man einen dem Geiste des Dichters verwandten Geist hat oder nicht. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß es mich, während ich las, aufs Unangenehmste berührt hat. Ich konnte mich nicht einverstehen mit diesem Wirrwarr, dieser Ueberschwenglichkeit des Malens. Dann, als ich das Buch zugemacht, hatte ich nichts mehr im Kopfe als die Brunnen, die unterirdischen Grotten, die Treppen, die Schlünde, durch welche mich der Dichter geführt hatte. Ich sah sie im Traume, ich sah sie wach. Ich konnte nicht wieder heraus, ich war lebendig darin begraben. Ich war überwältigt, und ich mochte das Gedicht nicht noch einmal lesen, aus Furcht zu finden, daß ein so großer Maler wie Dichter, doch kein Schriftsteller ohne Fehler sei. Indessen habe ich lange Zeit die acht letzten Verse auswendig gewußt, welche ewig und immer, wie auch der herrschende Geschmack beschaffen sein möge, ein tiefes, erhabenes, tadelloses Gebild sein werden, möge man sie mit dem Herzen, mit dem Ohre oder mit dem Verstande auffassen.

Also Consuelo ließ zerstreut ihre Blicke über das wunderliche Gebäude hinirren, und zum ersten Male ging ihr die Poesie dieser Unordnung auf. An jedem Ende des Ganges zwischen den beiden Prospekten befanden sich je zwei Kulissen und zwischen diesen ihre schwarze, tiefe Gasse; an welcher dunkle Gestalten von Zeit zu Zeit wie Schatten vorüberglitten. Plötzlich sah sie, daß eine dieser Gestalten stehen blieb, als ob sie sie erwartete, ja es schien ihr, als ob diese Gestalt ihr winkte.

– Ist das der Porpora? fragte sie Joseph.

– Nein! sagte er. Aber es ist gewiß Jemand, der dir ansagen will, daß die Probe des dritten Aktes beginnt.

Consuelo verdoppelte ihren Schritt, indem sie auf den Menschen zuging, dessen Gesichtszüge sie nicht unterscheiden konnte, weil er sich bis an die Mauer zurückgezogen hatte. Aber als sie drei Schritte von ihm entfernt war, und ihn eben fragen wollte, schlüpfte er an den folgenden Kulissen hin, und verschwand hinter den Prospekten.

– Der sieht ja aus, als ob er uns ausspioniren wollte, sagte Joseph.

– Und als ob er entflöhe, setzte Consuelo hinzu, betroffen von der Eil, mit welcher er gesucht hatte sich ihren Blicken zu entziehen. Ich weiß nicht warum, aber ich ängstige mich.

Sie trat auf die Bühne hinaus und probirte ihren letzten Akt; gegen den Schluß hin fühlte sie sich wieder ebenso begeistert und hingerissen wie zuvor. Sie wollte jetzt ihren Mantel suchen, um hinwegzugehen, als eine plötzliche Helle sie blendete. Man hatte über ihrem Kopfe eine Luke geöffnet, und der schräge Strahl der untergehenden Sonne traf dicht vor ihr nieder. Der Contrast des plötzlich hereinbrechenden Lichtes mit der Dunkelheit der umgebenden Gegenstände verwirrte einen Augenblick ihr Gesicht, sie that einige Schritte auf's Geradewohl.

Da auf einmal stand sie neben demselben Manne im schwarzen Mantel, der sie zwischen den Kulissen beunruhigt hatte. Sie konnte ihn nur undeutlich sehen, und doch glaubte sie ihn zu erkennen. Sie stieß einen Schrei aus und eilte auf ihn zu; aber schon war er verschwunden und sie suchte umsonst mit den Augen umher.

– Was ist dir? sagte Joseph, indem er ihr den Mantel reichte, hast du dich an etwas gestoßen? Du hast dir doch nicht weh gethan?

– Nein! sagte sie, aber ich habe den Grafen Albert gesehen.

– Graf Albert hier? Bist du dessen gewiß? Ist es möglich?

– Es ist möglich, es ist gewiß, sagte Consuelo, indem sie ihn mit sich fortzog.

Sie lief durch alle Kulissen, alle Courtinen, suchte in jeder Ecke. Joseph half ihr suchen, obgleich er sich für überzeugt hielt, daß sie sich getäuscht habe. Der Porpora rief indeß ungeduldig nach ihr, weil er nach Hause wollte. Consuelo fand Niemanden, der auch nur einen Zug von Albert hatte. Als sie gezwungen war, mit ihrem Lehrer fortzugehen und alle Personen, die auf dem Theater gewesen waren, an sich vorüberziehen sah, bemerkte sie mehre Mäntel, welche demjenigen, der ihr aufgefallen war, glichen.

– Es thut nichts, sagte sie leise zu Joseph, welcher sie hierauf aufmerksam machte, ich habe ihn gesehen; er ist da.

– Es ist eine Sinnentäuschung, eine Vorspiegelung deiner Phantasie gewesen, entgegnete Joseph. Wenn wirklich Graf Albert hier wäre, so würde er dich ja angeredet haben, und du sagst, er sei zweimal entflohen, als du dich ihm nähertest.

– Ich will nicht gerade sagen, daß er es wirklich, leibhaft gewesen sei. Aber gesehen habe ich ihn, und, wie du sagst Joseph, ich glaube jetzt selbst, daß es eine Erscheinung war. Es muß ihm ein Unglück zugestoßen sein. O, ich habe Lust, auf der Stelle abzureisen, zu entfliehen, nach Böhmen. Ich weiß es gewiß, er ist in Gefahr, er ruft mich, er erwartet mich.

– Ich sehe, daß er dir unter andern schlechten Diensten auch den geleistet hat, daß er dich mit seiner Tollheit ansteckte, arme Consuelo! Die Aufregung vom Singen hat dich für solche Träumereien empfänglich gemacht. Komm zu dir, ich beschwöre dich, und glaube gewiß, wenn Graf Albert in Wien ist, so wirst du ihn alsbald zu dir eilen sehen, noch ehe der Tag zu Ende geht.

Diese Hoffnung ermuthigte Consuelo. Sie ging mit Beppo so schnellen Schrittes, daß der alte Porpora hinter ihnen zurückblieb, und der war diesesmal nicht ungehalten darüber, daß sie ihn im Eifer ihres Gespräches mit dem jungen Manne vergaß. Aber Consuelo dachte an Joseph eben so wenig als an den Maestro. Sie rannte; athemlos erreichte sie das Haus, lief hinauf in ihr Zimmer und fand Niemanden. Joseph erkundigte sich bei den Bedienten, ob Jemand während ihrer Abwesenheit nach ihr gefragt hätte. Niemand war da gewesen, und Niemand kam.

Consuelo wartete den ganzen Tag vergeblich. Den ganzen Abend und einen Theil der Nacht über blickte sie am Fenster nach allen verspäteten Personen, welche über die Straße gingen. Immer glaubte sie Jemanden auf das Haus zugehen, stehen bleiben zu sehen. Aber der Eine ging vorüber und sang, der Andere hustete wie ein alter Mann, und alle verloren sich im Dunkel. Consuelo sah endlich ein, daß sie eine Einbildung gehabt haben müßte und legte sich nieder.

Am andern Morgen war der Eindruck erloschen und sie gestand Joseph, daß sie in der That die Züge des Mannes im Mantel nicht hatte unterscheiden können. Nur das Ganze der Gestalt, der Wurf und Fall des Mantels, eine bleiche Farbe, etwas Schwarzes unten am Gesicht, welches ein Bart sein konnte, oder wohl auch der Schatten des Hutes durch die wunderliche Beleuchtung in jenem Augenblicke scharf abgesetzt, diese unbestimmten Aehnlichkeiten, von ihrer Phantasie rasch ergriffen, hatten ihr genügt um sich zu überreden, daß es Albert war, den sie sah.

– Wenn ein solcher Mann, wie du mir den Grafen oft geschildert hast, auf dem Theater gewesen wäre, sagte Joseph, so waren dort so viele Leute überall zerstreut, daß gewiß sein nachlässiges Aeußere, der lange Bart und die schwarzen Haare ihre Aufmerksamkeit erregt hätten. Ich habe nun aber nach allen Seiten hin gehorcht und Erkundigungen eingezogen, sogar bei den Thürstehern, die Niemanden einlassen, den sie nicht kennen, oder der nicht eine Erlaubnißkarte vorzeigt. Von Allen hatte Niemand einen auffallenden Fremden im Theater gesehen.

– Nun! es ist gewiß, daß es eine Täuschung war. Ich war aufgeregt, außer mir. Ich hatte an Albert gedacht, sein Bild war in meiner Seele. Da stand eine Gestalt vor mir, und ich machte Albert daraus. So schwach ist also mein Kopf geworden? Es ist gewiß, daß ich aus der Tiefe des Herzens schrie, und daß in mir etwas ganz Außerordentliches und Dummes vorging.

– Denke nicht weiter daran, sagte Joseph, quäle dich nicht mit Chimären ab. Gehe deine Rolle durch, und denk an heut Abend.

Ende des achten Theils.


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