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Hÿalis, der kleine Faun mit den blauen Augen

Aus dem Liebesbündnis eines Ziegenpans und einer Sterblichen wurde in den sturmgepeitschten Wäldern Mÿcalesiens ein kleiner Faun geboren. Nur leichte Eigentümlichkeiten verrieten das Doppelwesen, das er in sich barg. Nicht die ungestüme und heftige Kraft der Waldgötter war ihm eigen, seine harten Glieder ließen wenig vom Tier merken; so waren seine Schenkel nicht so rauh und dicht behaart, und seine spitzen Ohren und seine Nüstern bebten bei jeder Regung. Seine Bewegungen waren anmutig. Wenn er lächelte, zeigten seine Wangen kleine Grübchen, und der unschuldige Ausdruck seines Gesichtes war bezaubernd. Überrascht war man bei dem Anblick seiner großen blauen Augen, die blau wie der Himmel und das Meer waren und langsame, erstaunte, sanfte, traumverlorene Blicke um sich warfen, gleich den Strahlen des ersten Sterns, der im Osten leuchtet, wenn die Sonne im Untergehen ist.

Von den Nymphen der heiligen Wälder erzogen, die ihm den wohlklingenden Namen Hÿalis gegeben hatten, mischte er sich nicht unter die jungen Faune seines Alters. Ihre lärmenden Belustigungen mißfielen ihm, und er zog es vor, allein zu sein. Er erfand dann Vergnügungen, die besser zu seiner Natur paßten, und seine rastlose Neugierde trieb ihn dazu, zwischen den Pflanzen und den Tieren umherzuwandern. Schon erwachten dunkle Ahnungen in ihm und sah er jene feierlichen Gesichter der Welt – die Einsamkeit oder das Schweigen – so wurde er von einer unklaren Erregung ergriffen, und sein zaghaftes Seelchen spiegelte sich in seinen schimmernden blauen Augen.

Unaufhörlich wechselte er mit seinen Spielen: bald lag er auf dem Bauch in dem Grase der Lichtungen, es machte ihm Spaß, zuzusehen, wie die kleinen Insekten aus der Erde kamen, schnell dahinliefen, an den zarten Gräsern hinauf und hinunter kletterten, sich bis in den Kelch einer Blume hineinwagten, um dann an einem unsichtbaren Faden zu schweben. Ein andermal wieder neigte er sich über einen Fluß und beobachtete in dessen klaren Wellen das lästige oder wilde Treiben der so leicht aufgescheuchten Fische. Oder er fing einen schönen Schmetterling, setzte ihn sich auf den Handrücken und betrachtete entzückend, wie die großen, harten Flügel langsam in der Sonne zitterten. Er suchte zuweilen auch eine hohle gewundene Muschel, hielt sie ans Ohr, und stundenlang mit verträumtem Lächeln lauschte er, wie in der Tiefe des verzauberten Perlmutters das ewige Rauschen des Meeres erklang.

Es gab auch Zeiten, wo ein stürmisches Verlangen nach Bewegung ihn packte, und dann machte er sich auf, um den ganzen Tag durch die Wälder und Täler zu tollen.

Seine größte Freude war es, dem Centauren Capanede zu begegnen, denn diesem gefiel das sanfte Wesen von Hÿalis, und er schlug ihm immer vor, ihn mitzunehmen. Jäh hob er ihn von der Erde empor und nahm ihn mit einen Satze auf seinen breiten Rücken. Da legte der kleine Faun seine Ärmchen um die gewaltigen Schultern des Gottes und ließ sich davontragen. Es waren lange, stürmische Ritte durch die Ebenen und das Gebirge. Ein rauher Wind peitschte sein Gesicht. Die Bäume der Landschaft schienen mit ihm dahinzustürmen, das vierfache Geräusch der Hufen hallte von der tönenden Erde wider. Hÿalis Herz wurde von einem leichten Schrecken erfaßt, und wenn plötzlich das Laufen aufhörte, schlug er in die Hände und lachte schallend mit leuchtenden Zügen und glänzenden Wangen. Er war von der unendlichen Weite und der Schnelligkeit wie berauscht ...

Aber geheimnisvoll zog es ihn am häufigsten zu den Ufern des Meeres. Kam er aus den düsteren Wäldern oder den tiefen Tälern, so erfüllte ihn der plötzlich auftauchende gewaltige Horizont mit einer unerklärlichen Fröhlichkeit. Wenn seine Augen diese Unermeßlichkeit umfaßten, schwoll ihm das Herz. Gierig sog er die von Salz durchschwängerte Luft ein, und wie ein junger Hengst, der mit den Hufen stampft, trat er bebend in die Wogen.

Eines Abends, als er am Gestade länger als sonst verweilte, sah er Sirenen. Es war in einer lauen und dämmrigen Sommernacht. In der Ferne erhob sich ein seltsamer, herzbezwingender und schwermütiger Gesang. Die Luft war erstickend und schwül, als ob es Rosen in der Dunkelheit regnete. Die Wogen glitten schweigend bis auf den Sand, ein großes Erschauern zog vorbei, und das ganze Meer schien zu sterben! ...

Die Sirenen näherten sich, sie kamen bis zum Ufer heran, und Hÿalis konnte ihre Gesichter ganz nahe sehen. Sie waren übernatürlich schön und bleich und lächelten, das Gesicht von ihrem Haar verhüllt. Bei ihrem Anblick empfand er ein solches Glücksgefühl, wie er es noch nie gekannt hatte ... Langsam mit der Nacht zogen sie sich zurück. Ihr Gesang starb dahin, er schwebte noch lange in dem Wind, erlosch, und Hÿalis gingen die Sirenen nie mehr aus dem Sinn. Er wuchs heran, und die geheimen Mächte des Jünglingsalters trieben ihn zu den Nÿmphen, die in den umliegenden Wäldern wohnten. Das uralte Verlangen wurde gewaltig in ihm, die roten Felle, die hinter den Bäumen schimmerten, beunruhigten ihn, und er verfolgte die Drÿaden, die in den Sträuchern lachten, spähte noch den dicken Najaden, die sich in der weichen Erde um die Teiche wälzten und dann plötzlich in dem langen, rauschenden Schilf verschwanden ...

Seinem Ursprung getreu gab er sich diesen Spielen zuerst mit leidenschaftlichem Ungestüm hin, er lernte flüchtige Umarmungen kennen, glühendes Aneinanderpressen der Körper, bis das Fleisch den zerdrückten Herbsttrauben glich; aber bei einem solchen Rausch war nur das Blut, das er von seinem Vater in sich hatte, befriedigt, und seine Seele schleppte sich bei diesen schnell vorübergehenden Freuden unruhig und unbefriedigt dahin.

Und doch kamen ihm diese Nÿmphen sehr entgegen, so manche strich abends um ihn herum. Mÿlitta war es, die er bevorzugte. Er liebte ihr silbernes Lachen, das wie das Plätschern der Brunnen klang, und ihre leichte Grazie, die an ein junges Reh erinnerte. Oft brachte er ihr Muscheln, seltene Vogelfedern, ganz hoch in den Bergen gepflückte Blumen, goldenen Honig, und in dem duftenden, warmen Grase der Nachmittage genoß er gierig die Freuden ihres Körpers. Aber Mÿlitta unterschied sich zu wenig von ihren Schwestern. Lachend und inbrünstig gab sie sich allen hin. Hÿalis wollte ihr Vorwürfe darüber machen, aber bald fühlte er, daß sie ihn nicht verstand, und er hörte auf, Freude an ihr zu haben.

Zu gleicher Zeit empfand er einen geheimen Ekel vor seinen Genüssen. Ihre Eintönigkeit bedrückte sein Herz, und von einer unerklärlichen Unruhe gepackt, sehnte er sich nach ungekannten Zärtlichkeiten. Zuweilen geschah es, daß er unterwegs plötzlich eine schwere Rose an sich zog, eine sich sträubende Lilie und sie leidenschaftlich mit seinem Munde zerdrückte. Oder er ging an das Meer, und aus der Ferne spürte er im Nachtwind die Sirenen ...

So litt er im geheimen, denn seine Lippen waren einsam.

Oft suchte er den weisen Glaucos auf, den alten Schweinehirten des Bauern Lÿcophron, um mit ihm zu plaudern; diese ernsten Unterhaltungen zog er der lärmenden Lustigkeit der Satyre vor. Glaucos, der einst große Reichtümer in der prächtigen Stadt Sidon besessen hatte, war auf einer seiner langen Fahrten von Seeräubern gefangengenommen worden, und nichts war ihm von seinen ehemaligen Gütern geblieben.

Durch diese Schicksalsschläge hatte er sich besser kennengelernt. Betagt hatte er Weisheit gesammelt, und wie salbungsvolles Öl flossen die abgeklärten Worte von seinen ehrwürdigen Lippen. Häufig sagte er zu Hÿalis:

»Oh, mein Sohn, ich habe viel erlebt, und ich habe erfahren, daß das erste Gesetz der Welt darin besteht, daß man sich mit seinem Schicksal abfindet. Oft denke ich an dich. Die Seele, die aus deinen Augen blickt, ist nicht die eines Fauns, und ich fürchte, daß du unglücklich werden wirst.«

»Und bist du denn glücklich?« fragte Hÿalis.

»Ich bin es.«

»Und doch warst du nicht dazu geboren, um der Schweinehirt des groben Lÿcophrons zu werden?«

»Oh, Hÿalis, das verstehst du noch nicht. Gewiß, einst war ich reich und mächtig, aber vor allen Dingen war ich dazu geboren, in meinen Gedanken und in meinem Herzen frei zu sein, und das bin ich noch nie so gewesen, wie in dieser bescheidenen Stellung, wo ich von Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang mir ganz angehöre.«

Glaucos wußte auch vorzüglich von den Göttern und den Helden zu erzählen, und der kleine Faun wurde nicht müde zuzuhören. Unaufhörlich bat er ihn immer wieder um dieselben Geschichten.

Der Greis schilderte die Geburt Apollos in dem Steinhaufen von Delos; die scherzhaften Räubereien des Sohnes von Maja; der Abstieg des Aristias zu den Ozeaniden in die wunderbaren Korallen- und Smaragdgrotten, die Fahrten von Io durch Asien; die mit Veilchen bekränzte, auf goldenem Schaum getragene Cÿpria und die großen Dioskuren, denen weiße Lämmer oben auf dem Schanzdeck geopfert wurden. Von Kastor dem Rossebändiger erzählte er, und vom untadelhaften Pollux, und ihrer Schwester, der göttlichen Helena.

Auch von der großmütigen Erde, der Spenderin holder Gaben, sprach er, von dem Ozean, dem Vater der Erde, der Wiederkehr der Jahreszeiten, von den früchtetragenden Bäumen, den Feldern, der Ernte, den Herden, den Werken aus Eisen und Holz und den schönen Städten, die von dem Gemurmel der Menschen erfüllt waren.

Hÿalis, der die Worte des Greises nur unklar verstand, saß zu seinen Füßen auf der Erde und stellte ihm schüchterne Fragen. Freundlich beantwortete sie ihm Glaucos, eine Erzählung reihte sich an die andere, und oft zeichnete schon der Mond seine unbeweglichen Schatten auf dem Grase der schweigenden Wiesen.

Tausend wirre Gedanken erwachten so in dem Geist des Fauns, und ein schwaches Begreifen erstand in seiner Seele, wie der erste blasse Strahl der Morgendämmerung, der auf dem silbernen Kamm der Wogen dahinläuft.

Je älter er wurde, desto gebieterischer trieb ihn sein Instinkt zu den Behausungen der Menschen. Sowie die Morgenröte angebrochen war, verließ er die dichten Wälder und ging nach den Feldern, wo von Bauernhof zu Bauernhof ein schallender Hahnenschrei dem anderen antwortete. Langsam strich er über die Äcker, welche die Erde mit gleichmäßigen Farben schmückten, ging an den Maisfeldern vorbei, an den Roggen- und Haferfeldern, und aus der Ferne sah er zu, wie die Menschen arbeiteten.

Zuweilen wagte er sich bis an die Grenzen der Dörfer, er näherte sich der Wohnung des Schmiedes, in der immer das Geräusch der Hammer auf dem Amboß erklang. Besonders gern sah er, wie die Pferde beschlagen wurden; den hocherhobenen Huf bearbeitete der Schmied mit den nackten Armen zuerst, ehe er das in der Glut geformte Eisen mit Zangen auflegte. Ein beißender Dunst verbrannten Horns verbreitete sich in der Luft, und das Pferd wandte unruhig den Kopf.

Oder ein andermal blieb Hÿalis von weitem vor der Werkstatt eines Töpfers stehen, und er konnte seine Blicke nicht von dem sich schnell drehenden Rade abwenden, durch das der Handwerker, ganz wie er wollte, aus der ungeformten und schmiegsamen Tonerde schöne Vasen schuf.

Aber am stärksten war seine Erregung, wenn er in die Tempel eindrang. Besonders machten die Stätten auf ihn Eindruck, die den Olympiern, Apollo, Diana und Neptun, geweiht waren. Alles: das Gewaltige der Masse, das Edle der Steine, die heilige Stätte des Ortes, erfüllte ihn mit Bewunderung, und wenn er bis zu dem einsamen Altar vordrang, wo nach dem Opfern noch der Geruch des Weihrauchs den Raum durchzog, bemerkte er im Halbdunkel das hohe Bildnis des Unsterblichen mit seinem Gesicht aus Marmor und seinen Augen aus Edelsteinen. Da stand Hÿalis vor Staunen unbeweglich mit fliegendem Atem, und in einer namenlosen Verwunderung fühlte er die erhabene Seele der großen Götter in seine Seele hinabsteigen.

An solchen Tagen, zu der Stunde, in welcher der Schatten der Bäume länger wird und die untergehende Sonne die Landleute ermahnt, die Ochsen auszuspannen, blieb er lange auf einem Stein sitzen, um zu beobachten, wie die Lichter im Tale aufflammten, und mit einer unbeschreiblichen Schwermut kehrte er wieder in die von Dunkelheit erfüllten Wälder zurück. Nachts vermied er die Lichtungen, in denen sich die Rudel der Faune und Satyre ergötzten, und schnell eilte er an den düsteren Grotten vorbei, aus denen unzüchtiges Gelächter klang. So manche Drÿade, die durch die wunderbare Seltsamkeit seiner himmelblauen Augen erregt wurde, packte ihn beim Vorübergehen am Arm und zog ihn zu sich heran. Einen Augenblick hielt ihn der Atem der Nacht, der scharfe Duft der schweren Haare, die ihn einhüllten und auch die wirren Ratschläge des Blutes fest. Dann stieß er die Drÿade plötzlich zurück, und wie von Scham ergriffen, eilte er an den nächsten Brunnen, um den noch heißen Druck ihrer Finger von seinem Arm abzuwaschen. Dann verließ er die unreinen Sümpfe und die lauen Niederungen, eilte auf den Berg und ging bis zur äußersten Spitze der Anhöhe, die die Fluten überragte.

Hier legte er sich in das von Tau kühle Gras und warf den Kopf zurück ...

Feierlich hüllte die Nacht die Höhen ein. Über ihm wölbte sich der dunkle Dom des Firmaments. Unten auf dem sandigen Strande wälzte mit gewaltigem, eintönigem Murmeln das Meer seine Wogen hin und zurück. Über seinem Kopfe funkelten unzählige Sterne, hingen dort und schienen in seine Augen fallen zu wollen. Die Seele der mütterlichen Erde und der göttliche Himmel verschmolz in ihm. Ein jubelndes Glück schwellte seine Brust, und so verlebte er unbeschreibliche Stunden still, unbeweglich und berauscht.

In jenen Tagen, in der glücklichen Jahreszeit, in der die Erde schwer von Blättern und Blumen ist, streifte Hÿalis eines Abends durch ein Gehölz von Sÿkomoren, das den Tempel Latones umgab, und erblickte hinter der blühenden Hecke eines lachenden Gartens die weiße Nÿza, die zärtlich geliebte Tochter von Xÿlaos, dem hochehrwürdigen Priester Apollos.

Sie stand neben einem Marmorbecken und warf ihren Tauben Brot zu. Die zahmen Vögel flatterten um sie herum, suchten die Krumen ganz nahe vor ihren Füßen, flogen ihr auf die Hand, auf die Schulter, und Nÿza schritt mit einem leisen Lächeln auf den Lippen unter leichtem Erzittern der weißen Flügel dahin. Von dem Wunder einer Schönheit ergriffen, wie er sie noch nie geahnt hatte, war Hÿalis jäh stehengeblieben. Nÿza trug eine lange, hellgelbe Tunika, die über ihrem zarten Busen ein wenig gerafft war und in geraden Falten bis zu ihren blauen Sandalen herabfiel. Ihr Haar, das die Farbe reifen Hafers hatte, wurde von einem silbernen Reif gehalten, der ihre Stirn umschloß. Es fiel in gleichmäßigen Wellen über ihre schmalen Wangen und war hinten zu einem Knoten geschlungen. Alles an ihr war graziös und harmonisch. Ihr Köpfchen ruhte auf einem schlanken Hals. Über ihren Bewegungen lag eine leichte und holde Grazie wie ein Duft verbreitet. In ihrer Art, die Blicke langsam zu senken, war eine fromme Keuschheit, und ihr Lächeln war zart wie eine Rose.

Nachdem sie noch einige Zeit im Garten umhergewandert war und ihre verschmachtenden Blumen mit frischem Wasser erquickt hatte, ging sie langsam ins Haus zurück.

Als sie verschwunden war, hatte Hÿalis die Empfindung, daß der Tag plötzlich all seinen Glanz verloren hatte; lange verharrte er auf demselben Platz, und eine süße Bangigkeit erfüllte sein Herz mit Traurigkeit.

Am nächsten Tage und an den darauffolgenden kehrte er an den Garten von Xÿlaos zurück, und in einem nahen Gebüsch verborgen, spähte er nach Nÿza.

Fast täglich gelang es ihm, sie zu sehen. Bald saß sie neben einem Korb, der mit bunter Mileter Wolle gefüllt war und stickte herrliche Muster, bald knetete sie die heiligen Kuchen, die sie mit dem roten Saft der Mÿrtenbeeren parfümierte, oder sie breitete auf dem feinen Gras das strahlend weiße Linnen aus, welches die Dienerinnen am Fluß gewaschen hatten. Ein andermal wieder – und besonders dieser Anblick entzückte Hÿalis – neigte sie sich zu der kleinen Callidice herab, der Tochter des Agathocles, des reichen benachbarten Pächters, und lehrte sie die Hÿmnen und die heiligen Tänze. Sie faßte das Kind bei den Händen, ließ es die Arme im Takte heben und senken und zeigte ihr die rhÿthmischen Schritte. Die noch ungeschickte Callidice ahmte ihr nach. Zusammen drehten sie sich, zuerst langsam, dann schneller; der Wind erhob ihre leichten Tuniken und zeigte ihre ineinanderverschlungenen Füße. Oft kam Callidice aus dem Takt, blieb zu spät stehen oder machte einen falschen Schritt; dann hallte ein zwiefaches Gelächter im Garten wider. Hÿalis konnte sich an diesen reizenden Bildern nicht satt sehen, und oft verwünschte er die Vorübergehenden, deren plötzliches Nahen ihn zwang, zu fliehen.

Zuerst wollte er das Geheimnis seiner Empfindungen für sich behalten. Aber bald verriet er sich durch unbewußte Geständnisse. Sein plötzliches Erröten, sein verträumter Blick, seine übertriebene Scheu, sein ungewöhnliches Benehmen, enthüllten nur zu deutlich die Verwirrung seiner Seele, und wie ein Kind, das eine zu volle Vase trägt, floß sein Herz über.

Übrigens trieb ihn eine geheime Macht dazu, zu sprechen und er mußte dem weisen Glaucos seine Verstörtheit anvertrauen.

»O mein Sohn«, sagte der Greis, »auch ich kannte das Fieber, das dich erregt, und die Frauen von Sidon haben reiche Geschenke von mir empfangen. Nichts entgeht auf Erden der Macht Eros', und seine grausamsten Pfeile sendet er in die edelsten Herzen. Ich sehe dich auf einem gefahrvollen Wege. Ach! daß du dich nicht mehr unter den Nÿmphen wohlfühlen kannst! Einst erzähltest du mir von Mÿlitta, jetzt erwähnst du ihren Namen nicht mehr.«

Und da Hÿalis nicht antwortete und zu Boden starrte, meinte Glaucos kopfschüttelnd:

»Ach, ich sehe es, du verachtest sie jetzt. Undankbares Kind, welche Sterbliche wird dir mehr Freude geben und sich deinen Wünschen willfähriger zeigen? Aber dein Schicksal muß sich erfüllen; du hast die Tochter von Xÿlaos gesehen, und diese Liebe wird dir Schmerz bringen.«

Die Stimme des Greises zitterte feierlich bei den letzten Worten. Er nahm Hÿalis' Gesicht in die Hände, betrachtete ihn mit langem, durchdringendem Blick und drückte ihm ernst die Lippen auf die Stirn.

Jeden Tag fühlte Hÿalis jetzt unerklärliche Gefühle in sich erwachen; er wurde sich seiner selbst bewußt, und anstatt sich völlig den beweglichen und wechselnden Eindrücken hinzugeben, wob er zwischen sich und der Welt die vielen Fäden seiner immer mit Nÿza beschäftigten Gedanken und spann sich darin ein wie der Seidenwurm in seinen goldenen Kokon.

Wenn er heimlich an Nÿza dachte, überfiel ihn ein Sehnen, das ihn bis ins Innerste durchdrang. Seine Seele war glücklich, und oft trennten sich plötzlich seine Lippen in einem Lächeln, wie eine Blume, die sich öffnet.

Der glatte Spiegel der Wasserlachen zog ihn an. Unaufhörlich fühlte er das Bedürfnis, ihr Gesicht sich darin widerspiegeln zu sehen. Aber sein eigenes Bild, das ihm gleichzeitig treu entgegenstarrte, verursachte ihm ein unerklärliches Unbehagen. Jäh wich er zurück und peitschte mit einem Zweig das geheimnisvolle Wasser bis zum Grund.

Auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, suchte er immer mehr Gelegenheiten, Nÿzas Garten wiederzusehen. Selbst in ihrer Abwesenheit erfüllte ihn der Anblick der Stätten, an denen sie lebte, mit Glück.

Als er sich so eines Abends vorwagte, war er ganz erstaunt, sie dort noch zu sehen. Sie stand zwischen den Säulen der Halle und betrachtete den rosigen Mond, wie er sich hinter den Wiesen erhob. Ihr ehrwürdiger Vater saß neben ihr auf der alten Marmorbank, und die Wange auf die Hand gestützt, atmete er die Frische der Abenddämmerung ein.

Beide schwiegen, und man hörte nur das Plätschern des Springbrunnens und ab und zu den Schrei eines Vogels ...

Lange verharrten sie so. Die Dunkelheit hatte sich über den Garten gesenkt, und die Dinge um die beiden herum nahmen die Feierlichkeit der Nacht an.

Als der Mond ein Drittel seiner Bahn zurückgelegt und den ganzen Horizont in sein sanftes Licht getaucht hatte, begann Nÿza, leise, mühelos wie eine Barke, die fortgleitet, zu singen. Zuerst zitterte ihre Stimme, unsicher und zart klang sie, dann schwoll sie nach und nach an, um schließlich vibrierend und rein in dem erstaunten Schweigen der Nacht voll zu tönen.

Gebannt betrachtete Hÿalis die Jungfrau. Ein blauer Strahl fiel auf sie und zeichnete leuchtend ihr Profil. Ihre Arme und ihr Hals schienen wie aus Marmor. In ihrem unbewegten Gesicht zitterten nur ihre Lippen, und ihre zum Himmel erhobenen Augen schimmerten silbern vor Seligkeit. Sie stieg die Stufen der Schwelle herunter und ging einige Schritte in den Garten hinein.

Hÿalis hörte das kaum merkliche Geräusch der kleinen Kieselsteine, die ihre Tunika auf dem Wege mitschleifte und jedes Klirren der Armbänder, die an ihren Handgelenken spielten, hallte in seinem Herzen wider.

Von Glück wie benommen, dachte er an nichts mehr. Plötzlich bemerkte Nÿza, die bis an den Hintergrund der Umzäunung gelangt war, wie sich von dem Erdboden scharf gezeichnet der Schatten seiner Hörner abhob; gleichzeitig sah sie zwei Augen in der Dunkelheit leuchten, und von Entsetzen gepackt, stieß sie einen erschreckten Schrei aus und floh dem Hause zu ...

Verzweifelt erwachte Hÿalis aus seinem Rausch.

Jetzt begriff er, daß ein Abgrund ihn von der Tochter des Xÿlaos trennte. Die ganze Nacht irrte er durch das Dickicht. Es war ihm, als ob unsichtbare Hände ihm in der Dunkelheit das Herz zerrissen. Klar verstand er jetzt die Worte von Glaucos, die ihm in die Erinnerung zurückkehrten.

Er suchte den Gedanken, der ihn verfolgte, aus seiner Seele zu reißen, aber er konnte sich nicht ihrer erwehren, immer wieder bemächtigte sich seiner der Gram.

Nun vertiefte er sich ganz in seinen Kummer und suchte am liebsten die einsamsten Plätze auf. Stundenlang rief er in flehendem Ton: »Nÿza! Nÿza!« Seine Stimme, die in der Einsamkeit noch stärker widerhallte, schien seine Verzweiflung zu steigern, und er schwelgte gleichsam in seinem Gram. Ein verirrtes Lamm, das er gefunden hatte und das er zärtlich liebte, begleitete ihn immer auf seinen Wegen. Das lebhafte sorglose Wesen des Tierchens – unaufhörlich lief es fort, um gleich darauf eilig zu ihm zurückzukehren – die Zutraulichkeit, mit der es nach seiner Hand haschte, seine zierlichen, mutwilligen Sprünge, lenkten Hÿalis einen Augenblick von seiner Traurigkeit ab. Zuweilen, wenn sein Herz vor Kummer zu zerspringen drohte, nahm er das Lamm in die Arme, preßte es an seine Brust, drückte den kleinen krausen Kopf mit den sanften Augen an seinen Mund und fühlte sich einen Augenblick getröstet.

*

Eines Abends, als er in dem rotbraunen Heidekraut ausgestreckt lag und in die Ferne auf das dunkle in der Sonne funkelnde Meer blickte, berührte ihn Idragone die Zaubrerin an der Schulter. Idragone war eine berühmte Wahrsagerin; durch ihre Zaubertränke konnte sie den Lauf der Sterne ändern, die Seele aus den Metallen locken und mit ihrem Zaubermittel die Schatten beherrschen.

»Was machst du da?« fragte sie ihn.

»Weißt du es nicht, du, der nichts verborgen ist?«

»Natürlich weiß ich es, aber Nÿza, die Tochter von Xÿlaos ahnt nichts.«

»Ach! höre zu«, rief er, »und erkläre mir um der Barmherzigkeit willen, was ich empfinde; ich habe das Verlangen, nicht mehr zu fühlen, nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu denken, überhaupt nicht mehr ich selbst zu sein. Antworte, ist es nicht das, was die Menschen den Tod nennen? Ach, Idragone, könntest du mir nicht den Tod verschaffen?«

Und er erhob sein kummervolles Gesicht zu ihr empor, in dem seine tiefliegenden Augen wie zwei Kohlen glühten.

»Was du verlangst«, erwiderte sie, »ist fürwahr unmöglich, denn du weißt sehr wohl, daß das Blut Ägipans durch deine Adern fließt und daß es das unsterbliche Blut eines Gottes ist.«

»Du verfügst aber doch über so gewaltige Zaubertränke«, flüsterte der Faun flehentlich.

»Höre, dein Kummer rührt mich, und ich will gern meine Zaubereien an dir versuchen, aber jetzt mußt du mir erst versprechen, mir etwas, was du liebst, vorher zu bringen, sieh, dieses Lamm zum Beispiel.«

Hÿalis zitterte, das Tierchen leckte ihm sanft die Hände.

»Ich bringe es dir«, sagte er.

»Wisse auch, daß ich, um das Unsterbliche in dir zu zerstören, gezwungen sein werde, schreckliche Gifte anzuwenden. Ach, Hÿalis, du wirst entsetzlich leiden!«

»Das ist mir gleich! ich werde heute nacht zu dir kommen.«

*

Die Höhle der Zaubrerin lag im Herzen des Berges.

Ganz in der Tiefe eines Kessels von schaurig geformten Felsen, spiegelten giftige Bäume in einem trüben, flachen Wasser Schatten wider, die ewig zu sein schienen. Schlangen wanden sich in dem schwarzen Grase, ballten sich zu Knoten, und ekelhafte Tiere krochen langsam aus der Lache und plätscherten in dem Schlamm mit einem klirrenden Geräusch ihrer Schuppen und bewegten ihre unendlich vielen behaarten Tatzen. Ein verfaulter Geruch durchzog die Luft, und die Flamme der Fackel zuckte.

Hÿalis schritt durch die Nacht. Sein Antlitz war leichenblaß, aber seine entschlossen blickenden Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz.

Als er die Schwelle der Grotte überschritt, schüttelte ein großer, kahler Vogel mit menschlichem Gesicht und fettem, rosigem Bauch zwei schwere und bestaubte Flügel und rief ihn dreimal bei seinem Namen.

Hÿalis wurde leichenblaß, schaudernd blieb er stehen, aber Idragone erschien, und er wagte nicht mehr umzukehren.

»Du siehst«, sagte sie und zeigte auf eine Wanne, aus welcher dichter Rauch aufstieg, »ich bin dabei, deinen Zaubertrank zu brauen. Hast du an das gedacht, was ich von dir gefordert habe?«

Ohne zu antworten reichte ihr Hÿalis das Lamm hin.

Die Zaubrerin ergriff es, legte es auf einen Stein, der Kopf des Tieres hing über der Wanne, und dann nahm sie ein großes Messer. Das Lamm blökte leise, Hÿalis schloß die Augen.

Bald war die Grotte von einem seltsamen Dunst erfüllt, der rot leuchtete, in einem herrlichen und schrecklichen Blutrot.

»Da«, sagte Idragone, ging auf den Faun zu und reichte ihm eine Schale, in der eine schwärzliche Flüssigkeit rauchte. »Nun«, fügte sie hinzu, »höre mir gut zu und behalte meine Worte in deinem Gedächtnis. Wenn der Mond wiederum seinen Lauf beendet hat, wirst du am selben Tage, zur selben Stunde wie heute, sterben. Trinke!«

Und Hÿalis nahm die Schale und leerte sie.

Sofort fiel er hintenüber und stieß einen entsetzlichen Schrei aus.

Es schien ihm, als ob Feuer ihn verzehrte, ihm durch die Adern strömte, seine Sehnen zerriß, seine Knochen zerfraß. Seine Glieder zogen sich zusammen und krümmten sich wie trockenes Reis in der Flamme. Er rollte auf der Erde, riß sich mit den Nägeln Fetzen Fleisch vom Körper und Büschel Haare, und seine Leiden schienen so entsetzlich, daß Idragone selber erbleichte.

Plötzlich wurde er steif und blieb unbeweglich liegen. Da flößte die Zaubrerin ihm einige schnell wirkende Tropfen ein.

Er öffnete die Augen wieder, atmete tief und stand auf.

Wie ein Wald bei Sonnenaufgang, in dem die erwachten Vögel alle auf einmal tausend freudige Rufe erklingen lassen, so zitterte es in seiner Seele, die von wirren Gefühlen bewegt war.

Tastend machte er einige Schritte, seine Hände faßten nach dem Fell des Lamms, und hastig drückte er die warme, lockige Wolle an seine Lippen. Nun verspürte er im Innersten seines Wesens eine seltsame Empfindung. Es war, als ob eine nicht zurückzudrängende, von weitem sich heranwälzende Woge kam, um sich am Ufer zu brechen. Seiner Brust entrangen sich fortwährend abgerissene Seufzer, und plötzlich floß aus seinen brennenden Augen ein geheimnisvolles Wasser, fiel in großen Tropfen auf seinen Kummer wie ein erfrischender Regen auf das verwelkte Gras der Wiesen, und von einem köstlichen Erstaunen erfüllt, murmelte er:

»Die Götter kennen nicht das Süße der Tränen.«

Von diesem Tage an ging eine merkwürdige Veränderung in ihm vor. Der Gedanke, daß er seine Qualen nicht mehr lange tragen würde, verringerte merklich ihre Pein.

Wie ein Mann, der besser vom Ufer aus den majestätischen Lauf des Kusses bewundern kann als derjenige, der mitten in der Strömung schwimmt, so übersah Hÿalis, der nicht mehr so eng an das dunkle Leben der Gewässer und der Wälder gebunden war, mit freierem Blick die Ordnung und die Gesetze des großen Weltalls und gewann aus dieser Betrachtung tiefe Eindrücke.

Jetzt erfüllte ihn alles mit einem unerklärlichen Entzücken: der ewige Rhythmus der Welt, der schweigende Lauf der Sterne, das eintönige, unendliche Meer, das silberne Leuchten der Nacht, das auf den Glanz des Tages folgte, die Schönheit, die in jedem Wesen schlummerte, von dem Wiehern der sich bäumenden Hengste bis zu dem Flug der Schwalben.

Doch das Gift von Idragone begann seine Wirkung auszuüben und zerstörte allmählich seine Kräfte. Seine Seele, die durch diese Schwäche des Blutes litt, fühlte sich heimlich von den Lebensformen angezogen, bei denen sie ein Dahinschwinden merkte. Das langsame Sterben des Tages, die Mattigkeit einer Blume, die sich unter seinen Fingern neigte, ließen seine empfindsam gewordene Seele köstlich erbeben, und jeden Tag drang er tiefer in das ergreifende Mysterium des Lebens.

Eines Abends sah er aus der Ferne einen Leichenzug. Die Blässe der Frauen unter ihren langen Schleiern, der schmerzliche Glanz ihrer Augen, die düstere Feierlichkeit der Totengesänge ergriffen ihn plötzlich mit einem so seligen Weh, daß diese Empfindung der Wollust glich, und nachdenklich sagte er:

»Die Götter kennen die Schönheit des Todes nicht.«

Jedoch mehr denn je dachte er an die Tochter des Xÿlaos, aber seine Gefühle hatten sich auch in dieser Beziehung verändert. Der Gedanke, daß er ihretwillen das Sonnenlicht nicht mehr schauen sollte und sein Leben für sie hingab, durchdrang die Tiefen seiner Seele, wie mit einem Blitzstrahl, und deshalb erweckte das Bedauern, die Erde verlassen zu müssen und die Freude, für Nÿza zu leiden, in seinem Herzen halb traurige, halb leidenschaftliche Gefühle, die ihn mit unaussprechlicher Seligkeit erfüllten.

Der Neumond war im Begriff seinen Lauf zu vollenden, und der von der Zaubrerin bezeichnete Zeitpunkt war gekommen.

Wie jemand, der vor einer langen Reise steht, alles zusammensucht, was er mitnehmen will, so verbrachte Hÿalis den Tag, um sich der schönsten Stunden, die er erlebt hatte, noch einmal zu erinnern: Er gedachte seiner Jugendspiele, der Unterhaltungen mit Glaucos, der Drÿaden, der großen Wälder, des Meeres, und unbedeutende Einzelheiten kehrten ihm plötzlich ins Gedächtnis zurück und bewegten ihn mehr als alles andere. Zum letzten Male sah er die Abendschatten auf den Garten von Xÿlaos herabsinken, auf den Obstgarten, der von Pappeln mit silbernen Gipfeln umsäumt war, auf das abbröckelnde grünliche Springbrunnenbecken, wo die Tauben sich niederließen, um dann auf das Dach zu fliegen; er sah auf die mit feinem Sand beschütteten Alleen, wo sich Nÿzas leichte Schritte zart abgezeichnet hatten.

Nach und nach verwischten sich die Dinge, die letzten Geräusche des Tages verklangen immer mehr ... Die Nacht war gekommen.

Dort unten hob sich die bleiche Fassade des Hauses und seine Säulen, die durch Girlanden von Blättern miteinander verbunden waren, vom Himmel ab. Hÿalis drang durch die Hecke und ging in der Dunkelheit weiter. Der Duft der Blumen, die ein kürzlicher Regen wieder belebt hatte, verbreitete sich stärker um ihn, und zuweilen blieb Hÿalis stehen, um den Wohlgeruch einzuatmen. Als er so langsam dahinschritt, stieß er in der Dunkelheit mit dem Fuß gegen etwas, so daß er beinahe gestolpert wäre.

Er bückte sich und erkannte das Seil mit den Griffen aus Buchsbaumholz, das die kleine Callidice dort vergessen hatte, und plötzlich erinnerte er sich der Anmut dieses Kindes, wie es geschickt mit dem Springseil durch den Garten eilte, und seine stürmische Freude, wenn Nÿza einwilligte, mitzuspielen und sie die Arme um seine Taille legte und mit ihm tanzte. Diese Erinnerung an ferne Stunden erweckte wehmütige Rührung in ihm, und schweigend drückte er die Lippen auf die Buchsbaumgriffe, die von den reizenden Händen poliert worden waren.

Er war jetzt bis zur Vorhalle gelangt, wo die Diener schliefen. Nun blieb er stehen, stützte einen Arm auf eine Säule und streckte den Kopf in der Dunkelheit vor. Das Herz klopfte ihm zum Zerspringen, und Schweißtropfen rannen ihm langsam über Brust und Rücken.

Er lauschte: neben ihm fingen Turteltauben an zu girren, schwiegen alsdann; die Blätter des Gartens rauschten leise um ihn.

Da überwand er das Zagen, das seine Knie schlottern ließ, ging tastend auf ein schwaches Licht zu, das durch die nahen Portieren schimmerte.

Er schob die Vorhänge zur Seite und neigte den Kopf vor.

Es war das Zimmer von Nÿza. Eine Messinglampe in Form eines Vogels verbreitete darin ein gedämpftes Licht. In ihrem mit elfenbeinernen Streifen eingelegten Federnbett schlummerte die Jungfrau.

Hÿalis trat an das Bett heran und betrachtete sie. Beim Anblick dieser glatten Stirn, dieser von Schlaf geschlossenen Augen, wurde er von einer übernatürlichen Empfindung bewegt, und es war ihm, als ob das Zimmer sich mit etwas Göttlichem füllte, zitternd und blaß neigte er sich ganz nah über ihr Gesicht und blickte es prüfend an. Rosiges Blut schimmerte unter der durchsichtigen Haut. Auf den Schläfen zeichneten sich die bläulichen Adern wie ein Gewebe ab. Eine kleine Strähne Haar, die der geringste Hauch bewegte, streichelte ihre Wange. Ein merkliches Zittern ging über die reglosen Züge und erinnerte an eine glatte Wasserfläche, die ein Sonnenhauch leicht kräuselt. Ein flüchtiger Schatten flog zuweilen über ihre Lippen, ihre Augenbrauen und ließ ihre zarten Nasenflügel erbeben.

Aber was Hÿalis Herz am tiefsten bewegte, war der gefranste Schatten der langen Wimpern auf der Wange, und das wohlgeformte Ohr, von bernsteinfarbenem Haar umsäumt, dieses wie die Wälder duftende und geheimnisvolle Haar. Als sein Blick auf dem Mädchen ruhte, dem er sich bis jetzt nicht zu nähern gewagt hatte, fühlte er sich wie von einem Schwindel ergriffen, und unendliche Reihen von Gedanken tauchten vor ihm auf, folgten einander wie in den Augen des Adlers die Landschaften, über die er hinwegfliegt.

Tiefer neigte Hÿalis sich herab; ein schwacher, reiner Hauch wehte über sein Gesicht, und er erzitterte, es war der Atem der schlummernden Jungfrau.

In regelmäßigen Zwischenräumen hob und senkte sich ihr weißer Busen, und es schien Hÿalis, daß er sich jetzt mit ihr vereine, daß er einen Teil dieser göttlichen Seele in sich aufnähme, und daß der Rhythmus seines Lebens mit dem Rhythmus des von ihm so vergötterten Lebens verschmelze. Der entzückende Mund öffnete sich in der Dunkelheit wie eine Frucht. Da wurde er von einem unbezwinglichen Verlangen getrieben: er näherte seine Lippen den Lippen Nÿas, und so leicht wie er konnte, berührte er sie mit einer fast überirdischen Zartheit.

Dann verharrte er unbeweglich und schloß die Rügen.

Eine unendliche Seligkeit floß durch seine Glieder, und gleichzeitig hatte er das Gefühl, daß sein Herz sich dehnte, weit wurde, herrlich und blau wie das Firmament der Sommernächte und tausend Sterne, die nach allen Richtungen goldene Kurven zogen, erloschen daran.

Die Stunde war gekommen. Idragones Gift hatte die Quelle seines Lebens erreicht. Eine eisige Kälte hüllte ihn ein. Wie in eine in das Wasser getauchte Urne strömte die Dunkelheit in seine Seele, er stieß einen langen Seufzer aus, und sein Kopf, der noch über die Lippen der Jungfrau geneigt war, glitt sanft auf das Kopfkissen.

So starb Hÿalis von Mÿcalesien, der kleine Faun mit den blauen Augen, den Liebestod.


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