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Eine weibliche Schildwache.

Die russische Hauptstadt hat sich seit mehr als zwei Wochen in ihren dichten glänzenden Schneepelz gehüllt. Die Zarin Katharina II. residiert im Winterpalast und erteilt Audienz. Der große im Geschmack der Renaissance dekorierte und möblierte Vorsaal ist mit Bittstellern aller Nationen des weitläufigen Reiches, aller Stände, aller Lebensalter gefüllt. Unter dem herrlichen italienischen Gemälde der Mittelwand, das Semiramis, ihr blondes Haar kämmend, darstellt in dem Augenblicke, wo sie die Meldung von dem Aufstande ihrer Feldherren erhält, sitzen zwei alte Diplomaten mit schneeweißen Puderperücken und großen Stöcken mit Elfenbeinknopf. Semiramis trägt einen mit Hermelin gefütterten offenen Schlafrock und hat einen schönen geistreichen und strengen Kopf, der lebhaft an Katharina II. erinnert. Seitwärts an dem großen holländischen Kamine, in welchem riesige Pflöcke von den Flammen verzehrt werden, flüstert ein langer dürrer, gelber Jesuit mit einem kirschroten, kugelrunden Kapuziner; neben ihnen kauern drei Kirgisen auf dem kostbaren persischen Teppiche, die Kniee nach muselmännischer Sitte untergeschlagen, und verzehren andächtig ihre Zwiebeln. Die Uhr auf dem Sims spielt eine Menuette. In der Fenstertiefe zwischen einem einarmigen Artillerieoffizier und einem französischen Tanzmeister lehnt ein polnischer Jude, welcher, ununterbrochen näselnd, zu beten scheint.

Und mitten unter den seltsamen Gruppen steht ein junges, schönes Mädchen von höchstens 18 Jahren; ihre feinen, edelgebildeten Züge, die schlanke, elastische Gestalt, nicht minder als der Reifrock, die schwere Seidenrobe und der damals von den Modedamen getragene Männerpaletot von dunklem Samt, der kleine Amazonenhut mit wallender weißer Feder verraten die vornehme Abkunft. Sie scheint die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, die zwei alten Herren unter dem Bilde der Semiramis mindestens unterhalten sich sehr lebhaft von ihr.

»Was mag sie suchen,« sprach der eine gedehnt, »ein Dekret für ihren Liebhaber. Heutzutage kann man es bei uns durch nichts so weit bringen als durch die Protektion einer Frau, und welche Vorzüge dazu gehören, dieselbe zu erringen, darüber brauche ich Euere Excellenz wohl nicht aufzuklären. Genie und Verstand gelten nichts mehr, ein Paar schöne Augen, eine athletische Gestalt und ein schwarzer Schnurrbart alles.«

»Ja, wir haben das vollkommene Reich der Frauen,« erwiderte die Excellenz seufzend, »zur Strafe für die Sünden unserer Väter und der unseren. Eine Frau sitzt auf dem Throne und führt die Zügel der Regierung mit einer Hand, die, so klein und weiß sie ist, doch aus Eisen zu sein scheint; eine andere Frau (die Fürstin Kathinka Daschkoff) ist Präsident der Akademie der Wissenschaften, Frauen sitzen über uns zu Gericht und kommandieren unsere Regimenter, und nächstens werden sie Messe lesen; ich erstaune über nichts mehr.«

In dem Augenblicke winkte der dienstthuende Adjutant der jungen Dame einzutreten, welche in der nächsten Sekunde vor der allmächtigen Alleinherrscherin aller Reußen stand.

So mutig das junge Mädchen war, so klopfte ihr doch das Herz recht heftig, als sie sich das erste Mal der großen Kaiserin gegenüber sah und ihr Auge auf sich ruhen fühlte; aber die Erscheinung der Monarchin war auch imposant genug, und erst dieses große helle Auge, das einen vollkommen zu durchdringen schien. Katharina II. war nicht groß, aber ihr Körperbau war von so herrlicher, so vollendeter Symmetrie und Form und ihre Haltung eine so ungezwungen stolze, daß sie zugleich hoch gewachsen und vollkommen schön erschien. Die strengen Züge ihres Gesichtes, die hohe Stirn, die kühn geschwungene Adlernase, das volle harte Kinn wurden durch den vollen weichen Mund, das reiche, sanft fließende Haar, das gütige Lächeln, das um ihre Augen spielte, gemildert. Sie trug eine reichfaltige Robe von blauem Atlas mit silbergestickten Blumen, deren viereckiger Ausschnitt ihre herrliche Büste unverhüllt zeigte, und ein rotes Ordensband.

Die Kaiserin nahm zuerst das Wort.

»Ihr Name?« fragte sie kurz und schneidend.

»Jadwiga Alexandrowna Niewelinski,« stotterte das Mädchen und wurde purpurrot.

Die Kaiserin lächelte, sie schien sich des Eindrucks ihrer Persönlichkeit zu freuen.

»Weshalb fürchten Sie mich?« sprach sie mit dem Ausdruck seltener Güte, aber es war die Güte der Löwin gegen das arme Mäuschen, das in ihre Höhle geraten ist. »Sie zittern ja am ganzen Leibe, fassen Sie doch Mut,« und zugleich nahm sie das bebende Mädchen bei der Hand. »Sprechen Sie offen zu mir, sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben, Sie sind so schön, so unschuldig, ich könnte Ihnen sehr gewogen sein, ja, ich bin es bereits: Ihre Bitte ist im vorhinein gewährt, sprechen Sie sie nur aus.«

»Majestät« – das Mädchen bebte und stotterte wieder.

»Nun – rasch!«

»Ich – ich will Soldat werden,« rief das schöne zum Tode erschrockene Mädchen und warf sich zugleich schluchzend der Monarchin zu Füßen.

»Soldat? Sie?« entgegnete die Kaiserin, »und das sagen Sie mir unter Thränen, ich finde – ich finde es eher zum Lachen –« und die schöne Despotin brach in ein schallendes Gelächter aus, »und was treibt Sie zu diesem Entschlusse?« fuhr sie fort.

»Unglückliche Liebe,« rief das Mädchen.

»Armes Kind – und deshalb wollen Sie –« Katharina II. lachte von neuem, daß ihr die Thränen in die Augen traten, »aber stehen Sie doch auf!«

Sie hob das Mädchen zu sich empor und küßte es auf die Stirn.

»Vertrauen Sie mir, Jadwiga,« sprach die Monarchin mit entzückender Liebenswürdigkeit. »Ich bin zu Ihrem Glück zu gleicher Zeit Frau, um Sie verstehen, und Kaiserin, um Ihnen helfen zu können, aber ich muß alles wissen, alles – setzen Sie sich zu mir und beichten Sie.«

Katharina führte die noch immer zitternde Jadwiga zu einem Samtdivan und zog sie an ihre Seite nieder.

»Nun also –«

»Ich liebe,« begann Jadwiga Niewelinski.

»Welches junge Mädchen in Ihrem Alter bildet sich das nicht ein!«

»Aber ich liebe aufrichtig, herzlich tief und treu, Majestät!« erwiderte Jadwiga.

»Das ist sehr viel auf einmal,« bemerkte die Kaiserin ein wenig spöttisch, »und wer ist so glücklich?«

»Ich liebe einen jungen Offizier.«

»Wie nennt er sich?

»Lieutenant Nikolaus Samarin.«

»In welchem Regimente?«

»Im Regimente Tobolsk.«

»Ist er hübsch?«

»O! schön! und er hat auch Geist und Herz und einen herrlichen Charakter.«

»Kurz, er ist ein Ideal,« erwiderte Katharina lächelnd, »Sie machen mich in der That neugierig. Und liebt er Sie wieder?«

»O gewiß, ich könnte nicht leben ohne seine Liebe!« rief das schöne Mädchen begeistert.

»Was steht also Ihrem Glücke, Ihrer Verbindung entgegen?« fragte Katharina.

»Meine Eltern,« erwiderte Jadwiga. »Unsere Familie ist stolz auf ihren alten Namen und Reichtum, und Samarin ist arm und man behauptet, er stamme von Leibeigenen ab.«

»Lächerlich!« rief Katharina, die Achseln zuckend, »als ob der Mann, unfrei oder frei geboren, zu etwas Anderem da wäre, als unser Sklave zu sein. Ich sehe aber noch immer nicht ein, wozu Sie Soldat werden wollen, mein armes, schönes Kind?«

»Majestät,« antwortete Jadwiga, »Sie werden mich augenblicklich verstehen. Nicht genug, daß meine Eltern uns ihren Segen verweigern, unsere Verbindung nicht gestatten, haben sie noch überdies, seitdem unsere Liebe durch Samarins Werbung offenkundig geworden ist, ihm verboten, ihr Haus zu betreten, und bewachen mich so streng, daß wir uns seit Wochen nur aus der Ferne sehen konnten. Da – als ich heute im Dome betete – kam es wie eine Erleuchtung über mich. Die große, geniale Frau, die auf Rußlands Throne sitzt und die Krone so kaiserlich zu tragen versteht, hat auch mein Geschlecht gelehrt, die Feder und den Degen zu führen, die Gräfin Satikow, Fürstin Mentschikoff und viel andere Amazonen glänzen in den Reihen unseres Heeres durch ihre Schönheit und ihren Mut; ich will ihrem Beispiel folgen, meinen Arm, mein Leben der Kaiserin weihen, vielleicht gelingt es mir, mich auszuzeichnen, die Aufmerksamkeit der Monarchin auf mich zu lenken und so mir den Geliebten, gleichsam den Degen in der Faust, zu erobern, und schnell entschlossen ging ich geradeaus in den Palast und zur Audienz, um Eure Majestät um Ihren Schutz und die Einreihung in die Armee und zwar in das Regiment Tobolsk, in welchem mein geliebter Nikolaus dient, unterthänigst zu bitten.«

»Sehr gut,« rief die Kaiserin überlustig, »sehr gut, vortrefflich ausgedacht, eines Weibes würdig. Nun, Ihre Bitte sei gewährt, Jadwiga, kehren Sie ruhig zu Ihren Eltern zurück und erwarten Sie meine Anordnungen; ich werde Sie fortan nicht mehr aus dem Auge verlieren, denn ich bin Ihnen gewogen, Jadwiga Niewelinski, sehr gewogen. Gehen Sie mit Gott!«


Eine Woche war beinahe dahingegangen, ohne daß eine Order von Seiten der Zarin gekommen wäre; Jadwiga ließ bereits das schöne Köpfchen, das schon so kühne und reizende Hoffnungen genährt, ein wenig hängen; sie saß jetzt von früh bis abends an dem Stickrahmen in der Fensternische, bis der Klang von Sporen den Geliebten ankündigte, dann nickte sie ihm zu und winkte ihm noch lange mit dem weißen Tuche, bis er um die Ecke bog.

Auch heute harrte sie auf ihn, aber vergebens, er kam nicht, und die Wachtparade war doch längst vorbei. Jadwigas Herz pochte immer unruhiger, und als die Glocke sie an den Mittagstisch rief, glühte sie vor Aufregung und nahm ihren Platz an der Tafel ein, ohne eine Silbe zu sprechen oder etwas zu sich zu nehmen.

»Was ist Dir?« fragte die Mutter besorgt.

»Nichts, nichts,« erwiderte das Mädchen, »vielleicht werde ich krank.«

»Einbildungen!« polterte der Vater, »ich werde Dich an einen vornehmen und reichen Mann verheiraten, der wird Dich rasch von Deiner Krankheit heilen.«

Dem armen Mädchen schossen die Thränen in die Augen, da – in dem Augenblicke der höchsten Beängstigung – meldete der Kammerdiener einen kaiserlichen Adjutanten.

»Was kann das sein?« stotterte der Vater, »aber führe ihn doch herein!« Zugleich erhob sich der alte Niewelinski und ging dem jungen Offizier entgegen welcher ihm schweigend eine Order der Zarin übergab. Herr Niewelinski erbrach sie, las und las sie wieder und sagte endlich: »Bin ich toll, vergeben Sie, Herr Adjutant, oder kann ich nicht lesen. Ich bitte, lesen Sie gefälligst selbst.«

Der Adjutant nahm die Order und las: »Befehl der Kaiserin an Alexander Iwanowitsch Niewelinski! Derselbe hat sofort nach Empfang Dieses seine Tochter Jadwiga für den kaiserlichen Kriegsdienst auszurüsten.«

»Also doch,« fiel der Alte ein, »aber wie ist das möglich – meine Tochter – für den Kriegsdienst –«

»Wenn Ihre Majestät die Kaiserin es befiehlt,« sprach der Adjutant, »ist alles möglich.« Dann las er mit lauter Stimme weiter: »Ich habe in meiner Gnade für Jadwiga Alexandrowna verfügt, daß dieselbe in das Regiment Tobolsk eingereiht wird, und hat sich das Fräulein binnen 24 Stunden bei dem Oberstkommandant dieses Fußregiments zu melden und den Dienst zu beginnen. Ihr Vater wird zu gleicher Zeit verhalten, dieselbe in kürzester Zeit auf seine Kosten auszurüsten, und zwar mit vier Uniformen, zwei für die Parade und zwei für den Dienst, welche sämtlich aus dem besten Samt anzufertigen sind. Ferner hat er dem Gemeinen Jadwiga Alexandrowna Niewelinski im Regimente Tobolsk 50 Rubel monatlich Zulage zu geben.«

»Mein Gott,« stammelte der Alte, »das kann ja nur Scherz sein.«

»Es ist voller Ernst,« belehrte ihn der Adjutant.

»Da muß ich gleich selbst zur Kaiserin,« rief die Mutter.

»Sie wird Sie nicht empfangen,« sagte der Adjutant.

»Also ist diese Order unwiderruflich?« rief der Vater.

»Unwiderruflich«, antwortete der Adjutant.

»Meine Tochter ein Soldat, ein Gemeiner!« jammerte die Mutter.

»Sei ruhig, Mutter,« sprach Jadwiga, »der Kaiserin muß man ohne Widerrede gehorchen; das wollen wir auch thun, und ich will der großen genialen Frau gern, ja, mit Enthusiasmus dienen.«

»Erlauben Sie, daß ich mich setze,« seufzte Herr Niewelinski. »Und diese Kosten! Muß es wirklich Samt sein, thäte es nicht Tuch?«

»Wenn in der kaiserlichen Order Samt steht,« entgegnete der Adjutant lächelnd, »so thut es nichts als Samt, und die Damen, welche in der Armee dienen, tragen alle diesen Stoff.«

»Und diese Zulage,« seufzte wieder der Alte »aber da hilft nichts, Sibirien ist auch nicht geheizt, da heißt es, lieber den Samt zahlen und die fünfzig Rubel.«

»Gewiß, Herr Niewelinski,« sprach der Adjutant, »und ich werde mich beeilen, Ihrer Majestät Ihre Bereitwilligkeit, sowie Ihren begeisterten Dank zu melden.«

Damit ging er und ließ die Familie Niewelinski mit ihren sehr gemischten Empfindungen allein, den Vater fluchend, die Mutter schluchzend, die Tochter im vollsten Jubel.

Jadwiga ließ indes ihren Eltern nicht merken wie viel Anlaß sie zu dieser seltsamen kaiserlichen Entschließung gegeben und wie selig sie über dieselbe war, sie machte ein möglichst schwermütiges Gesicht beeilte sich, aber Toilette zu machen und stieg dann in eine Sänfte, welche sie rasch zu dem Obersten des Regimentes Tobolsk brachte.

»Ich bin durch die Kaiserin in alles eingeweiht,« begann dieser. »Auf mich können Sie unbedingt zählen.«

Dann klingelte er und beschied durch eine Ordonnanz den Lieutenant Samarin zu sich. Er erschien in wenigen Minuten, salutierte und blickte in militärischer Haltung an der Thür stehend, mit Erstaunen und einiger Verlegenheit auf Jadwiga.

Der Oberst indes zog zwei Dokumente aus der Tasche und begann: »Order der Kaiserin an den Lieutenant Samarin. Mein lieber Samarin! Ich finde es, Sie zum Kapitän in Ihrem Regimente zu ernennen. Katharina II.«

»Zum Kapitän!« rief der überraschte Samarin, »wie wäre das möglich!«

»Es ist doch so,« erwiderte der Oberst, »hören Sie nun weiter.« »Order der Kaiserin an den Oberstkommandanten des Regiments Tobolsk. Das Fräulein Jadwiga Alexandrowna Niewelinski ist mit heutigem Tage als Gemeiner in das Regiment Tobolsk zu assentieren und sofort einzureihen. Sie ist in die Kompagnie des Kapitän Samarin zu rangieren, und es hat der genannte Kapitän auf die Abrichtung dieses Rekruten seine ganz besondere persönliche Sorgfalt zu verwenden.« – »Hören Sie, Herr Kapitän, – seine ganz besondere persönliche Sorgfalt –.«

»Werde nicht ermangeln. –«

»Das setze ich von Ihrem Eifer für den Dienst Ihrer Majestät voraus. Dem Soldaten Jadwiga Niewelinski ist in der Kaserne des Regiments ein abgesondertes Zimmer mit aller einer Dame gebührenden Bequemlichkeit einzurichten und ein Mann zu seiner persönlichen Bedienung beizugeben, er ist auch in allem wie ein Offizier zu halten. So, mein lieber Kapitän, jetzt kennen Sie die Befehle Ihrer Majestät, und ich kann nur noch wünschen, daß Sie streng darnach handeln. Adieu!«

Nicht lange nach dem Obersten verließ auch Jadwiga den Obersten und kehrte zu ihren Eltern zurück, um die letzte Nacht unter dem Dache derselben zu schlafen.


Den nächsten Morgen stand ein jugendlicher schlanker Musketier im Familiensaale des Hauses Niewelinski; die zierlichen Füße in hohen schwarzen Knappenstiefeln, über dem weißen Beinkleide den knappen, grünen Leibrock mit scharlachroten Aufschlägen, über dem Leibrock, gleich allen den weiblichen Soldaten Katharinas, den grünsamtenen, mit Gold reich verschnürten Ueberrock, den kurzen Säbel an dem schwarzlackierten Wehrgehänge, das üppige blonde Haar ungepudert unter dem schwarzen dreieckigen Hute in einen großen Knoten geschlungen.

So nahm Jadwiga Alexandrowna Niewelinski Abschied von ihren trostlosen Eltern, welche sie segneten und ihr ebenso weitläufige als unnütze Ermahnungen auf den Weg gaben.

Dann stieg der verführerische Musketier in eine Sänfte und ließ sich von zweien seiner Sklaven in die Kaserne des Regiments Tobolsk tragen, wo er sich bei dem Kapitän Samarin zum Dienste meldete. Soweit ging alles echt militärisch, da in der Stube des Kapitäns zwei jüngere Offiziere und einige weißbärtige Unteroffiziere zum Rapporte anwesend waren, als aber der Kapitän und der Rekrut allein waren, stürzte der erstere seinem Soldaten zu Füßen, und der letztere schlang seine Arme um den Hals des Vorgesetzten und bedeckte dessen Antlitz mit Küssen. Nun übersprudelten gegenseitig die Fragen die Antworten, bis sich die Liebenden über ihre ebenso reizende als seltsame Situation verständigt hatten.

Sie saßen noch lange auf dem etwas defekten Sofa des armen Kommandanten, bis der Trommelwirbel im Kasernenhofe das Signal zur Musterung gab.

Es war ein köstlicher Anblick, als der junge hübsche Kapitän jetzt seinen noch jüngeren und schöneren Soldaten galant an seinem Arme herabführte, ihm selbst die Muskete übergab und ihn in seine Kompagnie einreihte.

Endlich war die gesamte Mannschaft in einem großen Viereck angetreten, und der Oberst erschien in voller Uniform mit Feldbinde, von seinen Offizieren begleitet und hielt Revue; als dieselbe zu Ende war, verkündete er mit lauter Stimme, daß Ihre Majestät in besonderer Gewogenheit für das Regiment das Hochgeborne Fräulein Jadwiga Alexandrowna Niewelinski in dasselbe eingereiht habe, es werde hiermit allen Offizieren und Soldaten befohlen, dasselbe mit der einem Kameraden gebührenden Freundschaft und der einer Dame zustehenden Achtung und Galanterie zu behandeln. Schließlich stellte der Oberst die Frage wer die Bedienung des Fräuleins übernehmen wolle.

Im Nu traten mehr als hundert Soldaten und Offiziere aus dem Gliede, unter den letzteren Kapitän Samarin, welcher, als er sich von so vielen Rivalen bedroht sah, zierlich ein Knie vor dem Fräulein beugte und um diesen Dienst als ein Zeichen höchster Gunst bat.

Lächelnd wurde ihm diese Bitte als eine besondere »Gnade« gewährt, und so wurde der Kapitän der Diener seines jüngsten Soldaten. Er begann damit, daß er, nachdem die Revue beendet war, den schönen Musketier in das Zimmer führte, welches auf Befehl der Kaiserin mit verschwenderischem Luxus für denselben in der Kaserne eingerichtet worden war. Jadwiga stieß einen Ruf der holdesten Ueberraschung aus, als sie den reizenden kleinen Raum sah. Die Mitte der Hauptwand nahm ein schneeweißes Himmelbett ein, dessen Falten ein scheinbar in der Luft schwebender Amor zusammenhielt, gegenüber hing das Bild Katharinas im Kaisermantel, die kleine Krone auf dem Haupte, unter demselben lud eine Samtottomane zum Ruhen und Plaudern ein, eine mit allen zu den Bedürfnissen der damaligen Modedamen gehörigen Bagatellen beladene Toilette, ein Trumeauspiegel und eine riesige Garderobe mit schönem Schnitzwerk vollendeten die Einrichtung, persische Teppiche bedeckten den Boden und dämpften den Schritt, im Fenster versendeten Rosen und Levkojen ihren feinen Duft.

Jadwiga war entzückt, gerührt, außer sich vor Dankbarkeit für die gütige Fee, welche ihr Leben gleich einem goldenen Märchen arrangieren zu wollen schien.

Sie blieb in der Kaserne in allem die vornehme Dame, nur daß sie den Dienst thun mußte, wie jeder andere Soldat, darin gab es keine Ausnahme.

Am Morgen nach der Reveille kam der liebeskranke Kapitän, um die Stiefeln, die Uniform und die Waffen seiner jungen Göttin zu putzen und in Stand zu setzen, dann brachte er ihr auf silberner Tasse die Schokolade und nach dem Frühstück harrte er vor der verschlossenen Thüre, bis der Musketier die Gnade hatte, seine Toilette zu beenden.

Dann begann die Abrichtung im Kasernenhofe.

»Brust heraus!« Erst wurde die Haltung eingeschärft, dann der Schritt eingeübt, dann kamen die Handgriffe mit der Muskete, und da der weibliche Soldat um hundert Prozent rascher begriff und besser behielt, als die Rekruten, die man vom Pfluge weg genommen hatte, so kam man rasch zum Exercieren im Gliede und in der ganzen Kompagnie.

Nach den Uebungsstunden durfte Jadwiga ruhen, dann servierte der Kapitän das Diner, Nachmittag wurde wieder exerciert, dann nach dem Zapfenstreich Thee genommen und geplaudert, geistreich und kindlich, albern und ernsthaft, wie eben zwei liebenswürdige unschuldige Liebende plaudern.

Der Abschied bestand gewöhnlich darin, daß der Kapitän einige Exercitien repetierte.

»Habt Acht – Präsentiert das Gewehr – Schultert – Bei Fuß!« Dann ohne Flinte: »Habt Acht – Marsch – Halt!«

Jetzt stand der Rekrut unmittelbar vor seinem Exerziermeister.

»Zur Generaldecharge – Fertig – Schlagt an – Feuer –!« und vier jugendliche, frische Lippen brannten im feurigsten Kusse auf einander.


Jadwiga war etwa zwei Wochen Soldat und hatte wiederholt an den Exercitien des Regiments teil genommen, sowie den Dienst in der Kaserne versehen, auch zu einer Parade war sie ausgerückt gewesen und hatte einen huldreichen Blick der Kaiserin empfangen, welche im Amazonenkleide, den Hut mit Tannenreisern bekränzt, auf ihrem berühmten Schimmel die Front der Truppen abritt und sie sodann defilieren ließ. Es war an dem Mittwoch der dritten Woche ihres Kriegsdienstes, als Samarins Kompagnie die Wache im Winterpalaste traf.

Der junge Kapitän führte Schlag zwölf Uhr Mittag seine Truppe mit klingendem Spiel und fliegender Fahne, die Geliebte als Flügelmann im dritten Gliede des ersten Zuges, vor der Hauptwache auf, löste die einzelnen Posten und schließlich die wachehabende Kompagnie der Preobraschenskischen Garden ab und zog sich dann in das Inspektionszimmer zurück, während Jadwiga, die Arme auf der Brust gekreuzt vor den Gewehren auf und ab stolzierte, die Vorübergehenden musterte und von denselben noch neugieriger gemustert wurde.

Auf einmal entstand lebhafte Unruhe unter dem Volke auf dem Palastplatze, alles drängte in einem Knäuel zusammen, der sich ebenso rasch in ein langes Spalier löste, durch welches mit Blitzesschnelle ein phantastischer Schlittenzug auf den Winterpalast zuschoß.

Die Wache rief in das Gewehr, und kaum hatten die Leute Zeit, anzutreten, so waren die Vorreiter in ihren grellroten Kosakenanzügen schon vorbeigejagt und es folgte ein großer, vollkommen schwarzer Schlitten, dessen Kopf ein schwarzer Schwan bildete, und in dem Schlitten ganz in schwarzen, glänzenden Bärenfellen saß die Kaiserin Katharina vom Kopf bis zum Fuße in schneeweißen Hermelin gekleidet, eine hohe Kosakenmütze von Hermelin auf dem Kopfe. Den Platz neben ihr nahm ein großer, schöner Mann mit ebensoviel Roheit als Hochmut des Gesichtsausdruckes ein; es war ihr Günstling, der Generallieutenant Graf Orloff.

Die Wache präsentierte, die Fahne wurde gesenkt, die Trommel gerührt; die Kaiserin überflog die Truppe mit einem raschen Blick und erkannte Jadwiga, welcher sie mit dem weißen Handschuh lebhaft zuwinkte.

Graf Orloff zog die Brauen zusammen und blickte zurück, er fürchtete einen Nebenbuhler gefunden zu haben, als aber sein Auge Jadwiga traf, lächelte er freudig überrascht und grüßte gleichfalls, indem er seinen Hut artig lüftete.

Es folgten noch fünf minder prunkvolle Schlitten, im ersten die reizende, geistreiche Fürstin Daschkoff, die intime Freundin der Kaiserin, vom Volke die »kleine Katharina« genannt, mit dem Oberhofmeister Grafen Panin, ihrem Anbeter, in den übrigen die Hofdamen der Monarchin mit ihren Kavalieren.

Nicht lange nachdem der Zug prächtiger Schlitten vorübergeflogen war, schlug die Stunde der ersten Ablösung, und auf besonderen Befehl der Kaiserin wurde Jadwiga als Schildwache vor der Thür postiert, welche unmittelbar zu den innersten Gemächern ihrer allmächtigen Freundin führte.


Lange Zeit geschah nichts Außerordentliches, ja nicht einmal etwas Gewöhnliches. Jadwiga ging, der Instruktion gemäß, welche ihr ihr geliebter Kapitän sehr eingehend erteilt hatte, die Muskete im Arme vor der großen, weißen, reichvergoldeten Thüre auf und ab und gähnte wohl auch ab oder zu.

Endlich ging der eine Flügel in den Angeln und wurde, ehe Jadwiga Zeit hatte, sich in Positur zu stellen, kräftig zugeschlagen. Es war der Graf Orloff, welcher jetzt mit einem eigentümlichen Lächeln vor der reizenden Schildwache stand.

»Ich küsse Ihnen die Hände, mein Fräulein,« begann er mit einer galanten Verbeugung.

Die weibliche Schildwache stand der empfangenen Instruktion gemäß regungslos und gab keine Antwort ja, zuckte mit keiner Wimper.

»Sie finden es gewiß unbescheiden, ja, vielleicht sehr unartig,« fuhr der einflußreiche Günstling fort, »daß ich es wage, das Wort an Sie zu richten, schönste der Amazonen, ohne Ihnen gebührender Maßen vorgestellt zu sein. Was? Nun, so nehme ich mir denn die Freiheit, mich Ihnen selbst vorzuführen. Sie sehen in mir den armen Sterblichen, Graf Orloff genannt, Generallieutenant und Adjutanten Ihrer kaiserlichen Majestät, arm, weil er so spät erst das Glück genießt, in Ihr himmlisches Angesicht blicken zu dürfen.«

Die schöne Schildwache rührte sich nicht.

»Aber habe ich Sie denn wirklich beleidigt, mein hochgeborenes Fräulein,« rief Orloff, »daß Sie Ihrem ergebensten Knecht keiner Antwort würdigen – oder –« – er brach in lautes Lachen aus – »nehmen Sie den Dienst so ernst –« – er lachte wieder – »so ernst, daß Sie mir nicht einmal zwei Silben gönnen? Aber ich will mit einer einzigen zufrieden sein, mein schöner Rekrut –«

Der mächtige Mann blickte furchtsam um sich.

»Sie scheinen mir auch in der Liebe noch ein Rekrut, schöne Jadwiga, erlauben Sie mir, im Kriegshandwerke Amors Ihr Exerciermeister zu sein, ich will meiner reizenden Aufgabe mit allem Ernste, allem Fleiße obliegen. Sagen Sie mir nur, daß ich Ihnen als Lehrmeister nicht ganz unangenehm bin, daß Sie mir erlauben, Sie anzubeten, Sie vorläufig auf meinen Knieen zu verehren, wie die heilige Mutter Gottes von Kasan. Sprechen Sie nur diese eine Silbe, sagen Sie Ja!«

Keine Antwort.

»Aber, angebetete Kriegerin, Sie nehmen Ihre Aufgabe wirklich viel zu ernst,« sagte der Graf, nachdem er einige Minuten damit zugebracht hatte, in Jadwigas tiefe blaue Augen zu blicken, »muß ich Ihnen als Ihr Vorgesetzter, als General der Armee, in deren Reihen Sie als einfacher Soldat dienen, befehlen, mir Antwort zu geben? Gut. Ich befehle Ihnen also, Soldat Fräulein Jadwiga Alexandrowna Niewelinski, beantworten Sie ungesäumt meine Frage. Erlauben Sie mir gnädigst, Sie anzubeten?«

Keine Antwort.

Die weibliche Schildwache steht regungslos, ohne nur mit einer Wimper zu zucken.

»Antworten Sie, Mademoiselle,« rief Orloff ärgerlich, »wissen Sie nicht, was Subordination ist? Oder leben Sie vielleicht gar nicht und muß ich Ihnen erst, wie jener glückliche Bildhauer seiner schönen Statue, von der allmächtigen Venus Leben erflehen oder selbst im Kusse einhauchen?«

Mit diesen Worten wollte der kühne Eroberer schöner Frauen seine kräftigen Arme um Jadwiga schlingen, aber die weibliche Schildwache verstand keinen Spaß und hielt sich buchstäblich an ihre Instruktion. Sie wich zwei Schritte zurück und fällte das Bajonett.

Aber dies schreckte einen Orloff nicht zurück. Zuerst brach er in Lachen aus, dann ergriff er den Lauf der Muskete, welche ihn bedrohte, mit seinen eisernen Händen und drückte ihn bei Seite.

»Zurück oder ich schieße,« rief die bedrohte Schildwache, aber schon hatte Orloff den einen Arm um sie geschlungen.

»Ich schieße –«

Der übermütige Günstling lachte und war nahe daran, der weiblichen Schildwache einen Kuß zu rauben, da, in dem entscheidenden Augenblicke fuhr ein Fächer dazwischen und zu gleicher Zeit gab eine kleine weißbehandschuhte Frauenhand dem mächtigen Orloff eine schallende Ohrfeige.

Vor dem entsetzten, auf frischer That ertappten Manne und dem gleichfalls erschreckt errötenden Mädchen stand hochaufgerichtet, gebieterisch, mit vor Zorn funkelnden Augen die große Katharina.


»Was geschieht hier?« rief die Kaiserin heftig. »Was wagen Sie, und hier im Vorsaale meiner Gemächer und gleichsam unter meinen Augen?«

»Majestät,« stotterte Orloff in unbeschreiblich komischer Verlegenheit, »ich – sie – diese Schildwache – das gnädige Fräulein wollte ich sagen –«

»Ich habe alles gehört,« fiel Katharina scharf ein, »das arme Mädchen hat sich energisch genug gegen Ihre ebenso albernen als unverschämten Galanterien verteidigt, Sie allein sind der Schuldige und Sie sollen auch exemplarisch bestraft werden.«

»Aber, Majestät –«

»Schweigen Sie, Elender, ja, Sie sind ein Elender« – und noch eine kaiserliche Maulschelle als Bekräftigung.

»Kommen Sie, Jadwiga,« fuhr Katharina fort, »wir wollen uns darüber beraten, wie wir ihn strafen, kommen Sie!«

Jadwiga rührte sich nicht, sondern blieb, das Gewehr im Arme, den Blick fest auf die Kaiserin gerichtet, stehen.

»Nun, hören Sie nicht?«

Die weibliche Schildwache gab, wie es sich gehört, keine Antwort.

»Ja, was haben Sie denn?« rief die Monarchin ungeduldig.

»Vergeben, Majestät,« nahm Graf Orloff dienstbeflissen das Wort, »aber die Schildwache darf auf dem Posten nicht reden.«

»Wie genau Sie das jetzt auf einmal wissen,« sprach die Kaiserin höhnisch. »Ich befehle Ihnen zu reden, Soldat!«

Keine Antwort.

»Ich befehle Ihnen, mir zu folgen!« rief die Kaiserin.

»Majestät,« begann wieder Graf Orloff, »die Schildwache darf den Posten nicht verlassen, ehe sie nicht abgelöst wird.«

»Abgelöst? Nun gut, wir wollen sie ablösen,« sprach Katharina, »aber wie gleich? Ja, Orloff, Sie werden zur Strafe für Jadwiga Wache stehen –«

»Ich?« rief Orloff betroffen.

»Ja, Sie, und dies soll noch lange nicht Ihre ganze und größte Strafe sein,« entgegnete die Monarchin boshaft.

»Aber, Majestät, ich, ein Großer des Reiches, ein General, kann doch nicht Wache stehen,« wendete Orloff immer betretener ein.

»Warum nicht,« rief Katharina, »sobald ich es will? Ist nicht mein Wille das oberste, ja, das alleinige Gesetz dieses Reiches, habe ich nicht aus Dir Gregor Orloff, einen Grafen, einen General gemacht, und bist Du deshalb etwas mehr als ein lebendiges Spielzeug meiner Laune? Kann ich aus Dir nicht jeden Augenblick den letzten meiner Diener, meinen Stallknecht, einen armen, elenden Leibeigenen machen? Gehorche also und nimm die Muskete!«

»Majestät, ich beschwöre Sie,« bat Orloff, »mich vor der Welt nicht so preis zu geben, meine und Ihre Würde eines Scherzes wegen nicht so preis zu geben!«

»Wer sagt Dir, daß es Scherz ist?« entgegnete Katharina, welcher die beispiellose Beschämung, die komische Verzweiflung ihres Günstlings immer mehr Vergnügen machte und welche sich mit wahrhaft grausamer Freude an seiner Angst, seiner Armensündermiene weidete.

»Es kann nicht Ihr Ernst sein,« stammelte Orloff.

»Es ist aber doch mein Ernst,« rief die Kaiserin. »Abgelöst! Die Muskete zur Hand!«

»Es ist unmöglich,« sprach Orloff mit einigem Trotz, »ein General kann nicht Schildwache stehen.«

»Ich denke, ein General hat wie ein Soldat vor allem zu gehorchen,« antwortete die Despotin mit dem Tone voller Strenge.

»Ich gehorche nur dem Reglement, das Eure Majestät selbst gegeben haben,« rief Orloff mutiger.

»Und dieses Reglement sagt?«

»Daß ein General nie und niemals Wache stehen kann.«

In diesem Augenblicke leuchtete etwas seltsam Teuflisches in dem Gesicht Katharinas auf, sie lächelte, aber es war ein Lächeln, bei dem es demjenigen, dem es galt, wie Todesangst überkam, das Lächeln des Inquisitors, der den Ketzer auf die Folter zu spannen befahl, des Türken, welcher seinen Christen-Sklaven an den Pfahl binden und peitschen hieß.

»Also nie und niemals,« wiederholte die Kaiserin »nun das gefällt mir, Gregor Orloff, daß Du so pünktlich und so eifrig dem Reglement gehorchst, das ich, wie Du sagst, selbst gegeben habe und daher vor allem selbst respektieren muß, aber was nun thun, da ich, wie Du wohl wissen wirst, nicht gewohnt bin, meinen Willen je aufzugeben?«

Orloff zuckte die Achseln.

Die Kaiserin gab sich die Miene, einen Moment nachzudenken, dann rief sie plötzlich vergnügt: »Ich habe es. Da ein General nie und niemals Wache stehen kann, so degradiere ich Dich zum Stabsoffizier, Gregor Orloff.« –

»Majestät!« –

»Nun?« sprach Katharina, malitiös lächelnd, »ist jetzt Dein reglementtreues Gewissen beruhigt?«

»Noch nicht ganz, Majestät,« sprach der hochmütige Günstling herausfordernd, »denn nach dem Reglement kann auch ein Stabsoffizier nicht Schildwache stehen.«

Die Kaiserin zuckte verächtlich die Achseln. »Nun, so degradiere ich Dich hiermit zum einfachen Offizier. Kannst Du jetzt Wache stehen?«

Orloff entfärbte sich auffallend und sprach in seiner Verwirrung, die schöne Despotin immer mehr reizend: »Auch jetzt nicht, Majestät, denn nach dem Reglement kann nur ein gemeiner Soldat –«

Es war heraus das unselige Wort; in dem Moment, wo er es ausgesprochen, erschrack Orloff selbst vor demselben, aber es war zu spät.

»Nun so erfahre denn, was es heißt, meinem Willen entgegenzutreten, und lerne gehorchen, Du Nichts,« rief die Kaiserin zornig, »ich entkleide Dich hiermit aller Deiner Titel, Aemter, Würden und Orden, Gregor Orloff, und degradiere Dich zum gemeinen Soldaten.« Damit riß ihm Katharina die Epauletten und das Ordensband herab.

»Und jetzt,« fuhr sie mit kalter Grausamkeit, den Blick höhnisch auf ihn geheftet, fort, »jetzt wirst Du wohl nach dem Reglement Wache stehen können, und ich rate Dir zugleich, keinen Augenblick zu vergessen, daß Du fortan dem Korporalstocke unterstehst und bei dem geringsten Ungehorsam oder Fehltritt denselben zu kosten bekommen wirst.«

Orloff war totenbleich geworden und bebte vor Wut am ganzen Leibe, aber er wagte nicht mehr zu widersprechen, nicht einmal mit einem Blick, er kannte Katharina II. und hielt sie für fähig, ihn, ihren Günstling, den mächtigsten Mann an ihrem Hofe, in einer grausamen Laune der öffentlichen Züchtigung, dem Spotte seiner zahlreichen Feinde, dem Gelächter des Pöbels preis zu geben.

Die Kaiserin kommandierte hierauf, gleich einem alten Wachtoffizier, die Ablösung, ließ Orloff mit der Muskete im Arme vor der Thür ihrer Gemächer als Schildwache stehen und zog sich mit Jadwiga, beim Fortgehen noch einen vernichtenden Blick auf den degradierten Günstling werfend, in das Innere des Palastes zurück.


Als die Kaiserin in ihrem, mit dem Luxus einer orientalischen Despotin eingerichteten Schlafgemache angelangt war, brach sie in lautes Lachen aus und warf sich mit dem graziösen Mutwillen eines jungen lustigen Mädchens in die Polster einer Samtottomane. »Nein,« rief sie, »es ist wirklich zum Totlachen, wie ernsthaft er aussah, und sahst Du auch, Jadwiga, wie bleich er geworden ist, bis in die Lippen bleich, er hat jetzt eine böse Stunde, er glaubt sich in der That verloren. O! ich sterbe noch vor Lachen, aber er verdient die Strafe, er verdient sie, und er soll mich noch auf den Knieen um Gnade bitten. Ich wette, er ist überzeugt, daß es dabei bleibt, daß er als gemeiner Soldat eingereiht wird, und wer weiß, ob er sich nicht damit die Zeit vertreibt, sich lebhaft die Scene auszumalen, wie ich ihn auf offenem Markte Gassenlaufen lasse. O! es ist zum Totlachen.« Die nordische Semiramis kicherte und krümmte sich in den Polstern.

»Aber, Majestät, er sollte Sie doch kennen,« flüsterte Jadwiga ein wenig furchtsam.

»Er kennt mich,« erwiderte Katharina, »und eben deshalb zittert er vor mir, ja, er hat Angst vor mir, und ich würde es ihm auch nicht raten, sie nicht zu haben, er wäre dann in der That verloren, wenn, ich ahnen würde, daß er nur einen Augenblick zweifelt, ja, daß er nur zu hoffen wagt, ich wäre im stande –«

Die Kaiserin vollendete den Satz nicht, aber sie biß die Zähne zusammen, und in ihrem schönen Auge, das so zärtlich, so liebevoll zu blicken verstand, funkelte jetzt nichts als blutgierige Mordlust.

»O! Du bist großmütig und gütig!« rief Jadwiga, vor der Kaiserin niederstürzend und ihre Hände mit feurigen Küssen bedeckend.

Katharina zog das liebenswürdige Mädchen an ihre Brust.

»Ich bin nicht gut, und wenn ich es bin so ist es nur gegen jene, welche es verdienen, so wie Du.«

»Und verdient Orloff Ihre Güte nicht?« fragte Jadwiga.

Die Kaiserin lächelte und strich ihr sanft die losen Härchen aus der Stirne. »Nein,« sagte sie dann.

»Wie, Majestät!«

»Ich schätze seine großen Talente,« sprach die Kaiserin, »und ich bin ihm persönlich gewogen, aber er weiß es selbst am besten, daß er mir nicht unentbehrlich ist, ja, bei keinem wäre Güte oder Großmut weniger gut angewendet, als bei diesem wilden russischen Eisbären. Ich kann seine Roheit nur dadurch zähmen, nur dadurch Herr seiner unbändigen, widerspenstigen Natur werden, daß ich ihn von Zeit zu Zeit daran erinnere, daß er nur mein Sklave ist und ich ihn allen Ernstes züchtige.«

»Wie soll ich das verstehen, Majestät?« erwiderte das erstaunte Mädchen.

»Du wirst mich gleich verstehen,« sprach Katharina, »komm!«

Jadwiga folgte mit einigem Herzklopfen der Monarchin, welche ihr voran in den kleinen Saal schritt, der vor ihrem Schlafgemach lag und in welchem die Kaiserin nur ihre intimsten Besuche, ihre wenigen Freunde, die Fürstin Daschkoff, die Gräfin Saltikoff, Frau von Mellin, die beiden Orloff und den Grafen Panin zu empfangen pflegte. Aus diesem reizend dekorierten und möblierten duftigen Raume führten zwei neben einander liegende Thüren, die eine in das Schlafgemach der großen Katharina, die zweite in ein Zimmer, welches sie jetzt mit einem kleinen Schlüssel aufschloß. Dieses Zimmer, in welches hierauf die beiden Damen traten, machte einen eigentümlichen mysteriösen Eindruck.

Vier kahle Wände starrten den Eintretenden entgegen, das spärliche Licht fiel nur durch ein kleines Fenster ganz oben unter der Decke herein, und sogar dieses war mit dicken Eisenstäben stark und dicht vergittert.

An der Wand, welche der Thür gegenüber lag, hing an einem Nagel eine große Knute. Sonst war nichts in dem Zimmer.

Jadwiga blickte staunend umher.

Katharina schlug ein lautes mutwilliges Gelächter auf. »Verstehst Du jetzt?« fragte sie.

»Noch immer nicht, Majestät.«

»Nun, so will ich mich Dir genauer erklären,« sagte die Monarchin. »Kennst Du die Anekdote von dem russischen Leibeigenen, der seinen Herrn bat, sich einmal im Monate betrinken zu dürfen, damit er dann um so gewisser nüchtern bleiben und fleißig sein könne?«

»Nein, Majestät,« antwortete Jadwiga.

»Nun, der Herr erwiderte: Betrinke dich nur jeden ersten des Monats, dafür sollst du jeden zweiten des Monats fünfzig Knutenhiebe bekommen damit du wieder vollkommen nüchtern bist. O! du bist ein gütiges Väterchen, sprach der Leibeigene, betrank sich fortan jeden ersten, machte dann allen möglichen Spektakel, wälzte sich im Straßenkote, begehrte auf, versagte den Gehorsam, bekam dagegen ebenso pünktlich jeden zweiten seine Knute, küßte darnach dem gütigen Väterchen die Hand und arbeitete den Rest des Monats bei vollkommener Nüchternheit fleißiger, williger und besser als jeder andere. So, meine liebe Kleine, ist es mit meinem Sklaven Orloff. Er ist der treueste, der aufmerksamste, klügste und vor allem der gehorsamste aller meiner Diener, aber von Zeit zu Zeit bekommt er seinen Rausch von Ehrgeiz, Herrschsucht und Widerspenstigkeit und dann – dann muß er die Knute bekommen wie jener Leibeigene. Und da ich ihn nicht vor der Welt strafen kann – denn ich dürfte, ohne meiner Würde als Frau und Monarchin zu vergeben, ohne Zweifel an meiner unumschränkten Macht zu erwecken, eine öffentlich verhängte Strafe nicht wieder aufheben – bleibt mir nichts übrig, als ihn persönlich zu züchtigen; so komme ich weder in Gefahr von dem ehrgeizigen Manne unterjocht zu werden noch den treuen, geschickten Diener zu verlieren. Sobald ich also bei Orloff Symptome von Ungehorsam entdecke, befehle ich ihm plötzlich, da, wo er es am wenigsten erwartet, mitten in einem vertraulichen Beisammensein, mir in dieses Zimmer hier zu folgen. Er erbleicht bis in die Lippen, er zittert er hat Angst vor mir, weil er weiß, daß er auf kein Erbarmen rechnen kann, er verlegt sich wohl auch auf das Bitten, aber er folgt mir wie ein Lamm. Habe ich den Rebellen einmal hier, dann schließe ich die Thüre, hole rasch die Knute vom Nagel und peitsche ihn ohne Mitleid. Zuerst flucht er, dann fleht er um Gnade, ich habe aber kein Gehör für seine Beteuerungen. Zuletzt liegt er vor mir auf den Knieen und küßt die Hand, die ihn gezüchtigt hat, kurz, der Eisbär ist vollkommen gezähmt, freilich nur für einige Zeit.«

Jadwiga blickte mit einer aus Bewunderung und Grauen gemischten Empfindung auf die Kaiserin.

»Ich habe den Rebellen einmal schon mehr als zwei Wochen hier gefangen gehalten,« fuhr diese fort, während sie mit Jadwiga das Zimmer verließ; »es hieß, er sei in diplomatischer Mission abgereist, unterdes befand er sich hinter diesem Riegel.« Die Kaiserin zeigte dem erstaunten Mädchen einen großen schweren Riegel an der Thüre und schob ihn mit kräftige Hand zu. »Nun aber wollen wir unseren Verbrecher ablösen,« schloß Katharina, »er hat ohnehin Angst genug ausgestanden.«

Die beiden Damen kehrten hierauf in den Vorsaal zurück, wo Orloff mit einem wahrhaft desparaten Gesicht Schildwache stand.

»Abgelöst!« rief die Kaiserin.

Jadwiga nahm die Muskete und mit derselben im Arm ihren früheren Posten ein.

Orloff aber warf sich der Kaiserin zu Füßen.

»Was willst Du?« herrschte ihm diese kalt und finster zu.

»Gnade! Majestät, Gnade!« flehte er.

Katharina brach in lautes Lachen aus: »Nun, für diesmal will ich Gnade für Recht ergehen lassen. Hier hast Du Deine Epaulettes und Dein Ordensband.«

Orloff ergriff freudig die Hand der Kaiserin und bedeckte sie mit den glühendsten Küssen.

»Freue Dich nur nicht zu früh, wir, ich und Jadwiga, sind zu Gericht gesessen über Dich und haben Dich einstimmig zur Knute verurteilt.«

Orloff erbleichte und begann zu beben.

»Aber Majestät –«

Katharina zog die Brauen zusammen, das war genug, er ergab sich in sein Schicksal!

An der Thür wendete sie sich mit dem liebenswürdigsten Lächeln zu Jadwiga und nickte ihr zu, und dann, noch immer dieses Lächeln um die Lippen, hieß das schöne despotische Weib den vor ihr zitternden Günstling mit einer herrischen Kopfbewegung ihr folgen.


Bald nach der seltsamen Scene zwischen Katharina und Orloff wurde die weibliche Schildwache abgelöst.

Den Rest des Tages verbrachte Jadwiga in süßem Geplauder mit dem geliebten Kapitän. Als es dunkel wurde sprach Samarin zu ihr: »Geh' jetzt zur Ruhe, denn in der Nacht trifft Dich noch einmal die Wache.«

Jadwiga gehorchte und streckte sich auf den Divan aus, welcher im Offizierszimmer stand, während Samarin mit seinen Lieutenants in der Wachtstube Karten spielte. Vor Mitternacht weckte er die Geliebte.

Sie nahm ihre Rüstung und Muskete und folgte dem Unteroffizier, welcher sie wieder in demselben Vorsaal postierte, in welchem sie das erste Mal Wache gestanden hatte.

Diesmal aber kam in nicht langer Zeit ein sehr begreifliches Bangen über das arme Mädchen, und sie erschrak endlich vor ihren eigenen Schritten, welche im Takte durch die Nacht hallten.

Ringsum war tiefe Stille, alles schien zu schlafen. Zuerst sehnte sich Jadwiga nach irgend einem Ton, einem Geräusch, welches das unheimliche Schweigen unterbrechen würde, dann begann sie bei dem Gedanken zu zittern, daß ja eben die Geisterstunde begonnen habe und eine unruhige Seele sich das Vergnügen machen könne, ihr eine Visite abzustatten. Sie überzeugte sich noch einmal, daß ihre Muskete geladen war, und begann dann andächtig zu beten. So verstrich einige Zeit. Auf einmal näherten sich leise Schritte die Treppe herauf.

Sollte es ein Gespenst sein? Oder Orloff? Das war vielleicht noch schlimmer.

Zwei Männer, in dunkle Mäntel gehüllt, Samtlarven vor dem Gesicht, Blendlaternen in der Hand, traten in den Saal.

»Halt! wer da?« rief die weibliche Schildwache mit aller Kraft, welche ihr noch zu Gebote stand.

»Gut Freund!«

»Losung?«

»Pultawa!«

»Passiert!«

Die beiden geheimnisvollen Männer gingen an Jadwiga vorüber, dann blieben sie stehen und flüsterten. Sie schienen zu beratschlagen. Endlich kehrten sie zu Jadwiga zurück, und der eine leuchtete ihr mit der Blendlaterne ins Gesicht. »Ah! Sie sind es, Jadwiga Alexandrowna,« sprach eine dem Mädchen vollkommen unbekannte Stimme.

»Das Schicksal hat Sie zu einer großen That ausersehen,« sprach der zweite, »folgen Sie uns!«

»Was wollen Sie von mir?« rief die weibliche Schildwache, welche in ihrer Todesangst Reglement und Instruktionsstunde vergaß.

»Es gilt, die Tyrannin zu stürzen,« nahm der erste der beiden Vermummten das Wort, »welche durch den Mord ihres Gatten den Thron Rußlands usurpiert und mit Strömen Blutes besudelt hat, welche unsere Nation mit Füßen tritt, für die Menschenrechte schwärmt und uns als willenlose Marionetten behandelt.«

»Sie wollen die Kaiserin töten?« rief das entsetzte Mädchen.

»Nur gefangen nehmen,« sprach der zweite, »und wenn dies gelungen ist, das Signal geben, auf das sich die Garden erheben werden. Jedes edle Herz muß sich für unser Unternehmen begeistern. Wir rechnen auch auf Ihre Mitwirkung, Jadwiga. Sie sollen für dieselbe durch eine hohe Stellung, Reichtum und die Hand des Mannes, welchen Sie lieben, belohnt werden, folgen Sie uns also!«

»Gewiß ist der Zweck, den Sie verfolgen, meine Herren,« sprach das Mädchen »ein so reiner und patriotischer, daß ihn jeder wahre Russe billigen und unterstützen muß. Wenn Sie mir daher zusichern, daß Sie die Kaiserin nur gefangen nehmen wollen, so werde ich Sie selbst in ihr Schlafgemach führen und vor der Thüre desselben Wache halten, bis Sie das uns allen gleich verhaßte Weib geknebelt und gefesselt haben.«

»Vortrefflich,« sprach der erste der beiden Männer.

»Gehen Sie also voran, Jadwiga Alexandrowna,« fügte der andere hinzu.

Jadwiga legte den Finger an den Mund und ging voran, die Verschworenen folgten. Alle drei schlichen leise auf den Fußspitzen durch die anliegenden Zimmer, bis in den kleinen Saal, aus welchem die Thür unmittelbar in das Schlafgemach der Monarchin führte.

»Hier ist es,« sprach Jadwiga, »treten Sie vorsichtig ein, so können Sie die Zarin im Schlafe überraschen.«

»Gut,« entgegnete der eine der Verschworenen, »wir suchen sie möglichst unerwartet zu überfallen, und Sie halten indes Wache und geben Feuer auf jeden, der uns stören will.«

»Wie Sie es nötig finden,« sprach Jadwiga.

»Also in Gottes Namen und mit Hülfe des heiligen Nikolaus an das Werk,« sprachen die Verschworenen.

Jadwiga öffnete leise die Thüre, sie traten stille, ja, unhörbar ein und näherten sich der entgegengesetzten Wand, wo sie das Bett der Kaiserin vermuteten.

In diesem Augenblick schloß Jadwiga rasch die Thüre und schob mit aller Kraft den schweren, großen Riegel vor.

Die Verschworenen waren gefangen.

»Was giebt es?«

»Was ist das?«

»Verrat! Verrat!« schrieen sie durch einander.

Jadwiga hatte sie statt in das Schlafgemach Katharinas in das Zimmer geführt, in welchem dieselbe Orloff zu züchtigen pflegte, und durch eine einfache Mädchenlist in ihre Gewalt bekommen. Vergebens versuchten die beiden durch das Fenster zu entkommen die Thüre einzubrechen. Jadwiga stürzte indes an das Bett der sorglos schlummernden Monarchin und schrie sie aus dem Schlafe.

Katharina war im Augenblick wach und hörte mit wachsender Aufregung den Bericht, welchen ihr das Mädchen im Fluge erstattete.

»Es gilt vor allem, die Empörer zu überraschen,« rief die Kaiserin, »auf Dich und Samarin kann ich zählen.«

»Bis in den Tod!« rief das Mädchen.

»Eile also hinab, lasse die Kompagnie, ohne Lärm zu machen, in das Gewehr treten und Samarin mit zehn verlässigen Leuten heraufkommen.«

Jadwiga flog die Treppe hinab. Wenige Minuten darnach stand Samarin mit zehn Soldaten im Salon der Kaiserin, und Jadwiga trat in das Schlafgemach.

Katharina hatte einen Mantel umgeworfen, sie lud eben ihre Pistolen und steckte sie zu sich. Dann nahm sie einen Degen, denselben, mit dem sie bei dem Beginn der Empörung gegen ihren Gemahl bei der roten Schenke erschienen war, und so gerüstet ging sie hinaus. Sie gab Samarin die Hand und näherte sich dann der Thüre, hinter welcher die beiden Verschworenen tobten.

»He! Man will mit Euch reden,« begann sie.

Darauf trat Stille ein.

»Kennt Ihr meine Stimme?«

»Ja.«

»Wer spricht also mit Euch?«

»Die Kaiserin.«

»Gut. Hört also, was sie zu Euch spricht,« fuhr Katharina fort, »Euch erwartet der Tod auf dem Rade und vor dem Tode die grausamste, entsetzlichste Qual, sobald Ihr nur den geringsten Widerstand leistet; sobald Ihr Euch aber gutwillig fesseln laßt und Eure Mitverschworenen nennt, schenke ich Euch das Leben und die Freiheit.«

»Schwöre, Katharina!«

»Mein Wort genügt. Ergebt Ihr Euch also?«

»Ja, wir ergeben uns.«

Der Riegel wurde zurückgeschoben. Samarin und seine Leute traten ein und legten die beiden Verschworenen in Ketten. Als man ihnen die Larven abnahm, erkannte man in ihnen zwei Offiziere der Garde. Die Kaiserin setzte sich hierauf selbst an den Tisch und ließ sich die Namen ihrer Mitverschworenen diktieren. Es war eine lange Liste.

Als sie zu Ende war, befahl die Kaiserin, die beiden in Gewahrsam zu bringen, dann ließ sie die Fürstin Daschkoff, Orloff und ihre anderen Getreuen wecken. Samarins Kompagnie wurde in ebensoviel Abteilungen geteilt, als es Häupter der Verschwörung gab, an die Spitze dieser kleinen Abteilungen traten die Getreuen Katharinas, ja, sogar die Fürstin Daschkoff mußte eine derselben führen.

Während durch ihre Getreuen in aller Stille die angesehensten Verschworenen in ihren Wohnungen aufgehoben und verhaftet wurden, ritt die Kaiserin selbst, nur von Jadwiga begleitet, in die Kaserne des Regiments Tobolsk.

Samarin hielt mit zweien seiner Leute Wache im Winterpalast. Eine Viertelstunde später umringte das Regiment Tobolsk die Kaserne der unzufriedenen Garden und bemächtigte sich durch rasches Eindringen in die Korridore der Waffen derselben. Die Kaiserin versammelte hierauf die bestürzten und entmutigten Soldaten im Hofe und sprach selbst mit der ihr eigentümlichen bestechenden Beredtsamkeit zu ihnen.

Um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, befahl sie, die verhafteten Offiziere vorzuführen, und riß ihnen eigenhändig die Epaulettes herab, dann ließ sie dieselben in die Bergwerke des Ural zu lebenslänglicher Zwangsarbeit abführen.

Jene zwei, welche die Namen ihrer Mitverschworenen der Kaiserin verraten hatten und denen sie Leben und Freiheit zugesichert, ließ sie gleichfalls öffentlich peitschen und verbannte sie hierauf in das Ausland.

Damit war die Rebellion zu Ende, ohne daß ein Schuß gefallen oder ein Tropfen Blutes vergossen worden war.

An dem nächsten Tage schlief die schöne Despotin etwas länger, um ihre angegriffenen Nerven zu erholen. Die erste Frage, als sie aufwachte, war nach Jadwiga.

Das schöne Mädchen erschien mit einer Bescheidenheit vor der Kaiserin, welche von der Unverschämtheit und Prahlerei all der Stellenjäger am Hofe Katharinas ebenso auffallend als vorteilhaft abstach.

»Komm an mein Herz, liebe Jadwiga!« rief die Monarchin, »ich danke Dir mein Leben, meine Krone. Diese Nacht hat uns zu guten Freunden gemacht für immer. Du sollst fortan unangemeldet bei mir Zutritt haben, und jeder Wunsch, den ich Dir erfüllen kann, sei Dir im vorhinein gewährt. Ich ernenne Dich hiermit zum Kapitän im Regimente Tobolsk und zu meiner Hofdame und verleihe Dir das St. Georgskreuz.«

Jadwiga sank vor der Kaiserin nieder und küßte ihre Hände.

»Im Nebenzimmer warten Deine Eltern,« fuhr die Kaiserin fort, »rufe sie herein!« Jadwiga gehorchte.

»Mein lieber Niewelinski,« sprach die Kaiserin zu dem in Thränen gebadeten Vater, »Ihre Tochter hat so außerordentliche Verdienste um mich, daß ich dieselben auch auf außerordentliche Weise belohnen muß. Ein gewisser Samarin hat sich in dieser selben Nacht als ein besonders mutiger, umsichtiger und treuer Offizier gezeigt, ich habe ihn zum Obersten der Garde ernannt und ihm den Georgsorden verliehen, und um beide auf ungewöhnliche Weise zu belohnen, habe ich beschlossen, sie mit einander zu vermählen, weil diese beiden edlen, treuen und mutigen Herzen einander wert sind und ein Geschlecht von Treuen und von Helden begründen werden. Ich hoffe, Ihre Tochter und Sie, mein lieber Niewelinski, haben nichts dagegen.«

Jadwiga brach vor Freude in Schluchzen aus.

Nachdem ihre Eltern sich mit der Verbindung einverstanden erklärt hatten, befahl Katharina, Samarin vorzurufen.

Der junge Oberst ließ sich sofort, nachdem er eingetreten war, auf ein Knie nieder, um der Kaiserin zu danken.

»Graf Samarin,« rief Katharina mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln, »stehen Sie auf und umarmen Sie Ihre Braut.«


Zwei Wochen darnach erwartete eine Volksmenge von vielen Tausend Köpfen vor der Kasan'schen Kirche das seltsamste Brautpaar, das je getraut worden ist, den Obersten Nikolaus Samarin und den Kapitän Jadwiga Alexandrowna Niewelinski.

Beide erschienen in der Uniform ihres Regimentes, aber Jadwiga trug den grünsamtenen goldverschnürten Rock diesmal über einer fließenden Atlasrobe mit langer Schleppe und auf dem dreieckigen Hute den Myrtenkranz.

Die Kaiserin beschenkte den Bräutigam am Hochzeitstage mit einem Gute im südlichen Rußland, die Braut mit den kostbarsten Diamanten. Jadwiga blieb seit jener denkwürdigen Nacht eine der wenigen Vertrauten Katharinas und übte bei mehr als einer Gelegenheit den wohlthätigsten Einfluß auf die mächtige Freundin, und wenn die Stirn derselben einmal besonders umwölkt war, da verstand sie es, die finsteren Linien rasch zu verscheuchen, indem sie die Kaiserin an Orloffs Armensündergesicht erinnerte und an die ebenso tugendhafte als getreue weibliche Schildwache.

Druck von A. Seydel & Cie., G. m. b. H., Berlin S.W.

 


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