Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am frühen Morgen des 28. Jänner 1835 genoß die Bevölkerung der ostgalizischen Kreisstadt Tarnopol, soweit dieselbe erwacht war und mit wirrem Haar oder unter Nachthauben verborgenen Papilloten durch die mit schimmernden Spitzen des Frostes belegten Scheiben hinausblickte oder, kräftig in die roten Hände blasend, an die Arbeit ging, das in jenen Friedenstagen seltene Schauspiel, einen kaiserlichen Offizier in der Hitze des Gefechtes bewundern zu dürfen. Das Schlachtfeld bildete allerdings der harmlose Ring, der Feind bestand aus Schuljungen, und die Geschosse, die hin- und herflogen, waren Schneeballen, aber bei einiger Phantasie konnte man sich schon eine erträgliche Vorstellung von der Völkerschlacht bei Leipzig oder der Beschießung von Gibraltar machen, und das liegt in dem Charakter eines halbwilden und poetischen Naturlandes, wie es Galizien heute noch ist und damals in erhöhtem Maße war, daß in demselben sogar jene Leute eine rege Phantasie besitzen, welche, wie Beamte, Hausknechte und Schacherjuden, sonst von dieser Gottesgabe verschont bleiben.

Der Held der alle beweglichen Zungen der Kreisstadt – und die Tarnopoler Zungen waren sehr beweglich – in fiebernde Unruhe versetzenden Affäre, Lieutenant Dyonis Bulgarin vom Infanterieregimente Mazuchelli, hatte die Nacht in dem Lokale des Gans Nelkenduft Kapzeles in luftiger Gesellschaft junger Gutsbesitzer und Offiziere beim Onze et demie zugebracht. Dieses Lokal war eine Art Konversationslexikon aller Tarnopoler Lustbarkeiten, es war eine Konditorei, ein Likörladen und ein Kaffeehaus. Nachts zeigte es sich von hübschen Mädchen bevölkert, welche den Stoff, den ihre langen Schleppen in Anspruch nahmen, um die Büste herum zu ersparen suchten, und wetteiferte mit Hamburg oder Monaco. Es war auch ein Konzertsaal, in dem Tag für Tag jüdische Musikanten ihre Geigen heiser schreien und ihre Cymbale jämmerlich weinen ließen, manchmal aber auch Zigeuner spielten, die aus der Moldau herüberkamen, oder irgendein Hofpianist eines deutschen Monarchen mit einer Armee von 150 Mann seine Mähne à la Liszt schüttelte, und ebensosehr war es ein Ballsaal, in welchem die Tarnopoler Elite Mazurka tanzte, und ein Theater, auf dem sich polnische, russische und deutsche Truppen auf ihrer Ahasverwanderung in den haarsträubenden Tragödien sehen ließen.

Lieutenant Bulgarin hatte bedeutend gewonnen – er gewann immer –, die Säcke des langen schwarzen Kampagnerockes, den die österreichischen Offiziere damals trugen, mit Dukaten gefüllt (in jenen paradiesischen Zeiten spielte man nur um Dukaten), war er mit glühender Stirne und der Empfindung, daß irgendeine hübsche Putzmacherin seinen armen Kopf zu ihrem Nadelpolster gemacht habe, auf den weiten, stillen Ring hinausgetreten, hatte im Morgengrauen um sich geblickt, zuerst gegen Osten, wo der Himmel sanft zu erröten begann, und dann gegen Westen, wo ein großer Stern langsam erblaßte, indem er seine Strahlen mehr und mehr an sich zu ziehen schien, und war dann von jenem Schauer geschüttelt worden, der, wenn man vor Sonnenaufgang an die Luft tritt, wie ein Wasserguß nach dem Dampfbade wirkt.

Der junge Offizier war indes an alle diese Dinge gewöhnt; er schritt, ohne lange zu überlegen, zu dem Brunnen, der mitten auf dem Platze stand, und da eben ein Judenmädchen, dessen sommersprossiges Gesicht an den gestirnten Himmel mahnte, von dichtem, rotem Haar wie von Feuer umzüngelt, mit einer Holzkanne gelaufen kam, bat er die neue Rebekka in seiner bezaubernden Weise, die Pumpe in Bewegung zu setzen, und hielt seinen Kopf unter den Rachen des steinernen Löwen, der sofort eine Flut eisigen Wassers über ihn spie und ihm die durchwachte Nacht von Stirne und Wange hinwegspülte. Er trocknete sich ab, setzte seine Mütze auf und warf Rebekka einen Dukaten vorne in das offene Hemd hinein. Seine Säcke waren gefüllt mit goldenen Bildern des Kaisers, er konnte es also tun.

Er hatte sich aber noch nicht hundert Schritte von dem Lokale des Gans Nelkenduft Kapzeles entfernt, so traf er ein halbes Dutzend jüdischer Knaben, welche auf einer gefrorenen Straßenrinne, die von der gesamten Tarnopoler Jugend zum Schleifen benützt wurde, mit kleinen runden Steinen jenes bekannte Spiel trieben, das der Lazzaroni mit dem kalifornischen Goldgräber und der Tiroler Gemsenjäger mit dem Pariser Gassenjungen gemein hat und das wahrscheinlich schon die Knaben Spartas und die Pagen der Semiramis gespielt haben. Obwohl er soeben ein paar reichen Schlachtschitzen die Taschen geleert hatte, zögerte er doch keinen Augenblick, im Froste des Morgens auf offener Straße fortzusetzen, was er die Nacht über an dem grünen Tisch, den Tschibuk im Munde, den Arm einer üppigen Moldauerin um den Hals geschlungen, bei Gans Nelkenduft getrieben hatte, nur mit geringerem Glücke. Er trat ernsthaft in die Partie ein, setzte statt eines Kiesels ein Goldstück, warf, warf zu kurz, wurde überholt und verlor.

Was die kleinen, zottigen Bengel für Augen machten, als sie das goldene Kaiserbild einstreichen durften. Nur die Aussicht auf weitere hielt sie ab, sich sofort um dasselbe die Haare auszuraufen. Der übermütige junge Offizier setzte wieder und verlor von neuem und gewann ein drittes Mal, um wieder zu verlieren. Schon hatte jeder der kleinen Salomone seinen Dukaten erobert, als unerwartet ein kräftig geschleuderter Schneeballen die kühle Unterhaltung unterbrach. Polnische Knaben, welche zur Schule gingen, hatten hinter dem Brunnen haltgemacht und begannen die Ghettokinder mit ganz artigen weißen Kanonenkugeln, dem Kaliber nach Sechspfünder, zu bewerfen.

Ein Naturland wie Galizien beschenkt jedoch seine Kinder nicht allein mit Phantasie, sondern auch mit Tapferkeit, es macht Kreiskommissäre und Gerichtsadjunkten praktisch und Juden mutig. So mögen die Helden des Alten Testamentes vor Jericho oder im Tale von Gilead ihr Schlachtgeschrei erhoben haben wie jetzt die kleinen Tarnopoler Jüngelchen mit den schwarzen Mützchen und den Löckchen an den Schläfen, die sich wie Korkenzieher winden. Sie ballten eifrig Schnee zusammen und unterhielten ein heftiges Feuer gegen den Feind, welcher sich langsam zurückzog und endlich in wilder, amalekitischer Flucht auseinanderstob, als der junge Offizier Israel zu Hilfe kam und den Angreifern in die Flanke fiel.

In dem Augenblicke, wo der glorreichste Sieg entschieden war, kam eine Equipage mit zwei Laternen, welche ängstlich gegen das herabströmende Tageslicht zu kämpfen schienen, über den Platz herangefahren. Ein heftiges Klopfen aus dem Innern derselben weckte den halb schlummernden Kutscher, welcher seine Pferde anhielt, ein Wagenfenster wurde geöffnet, eine kleine Hand in weißem Handschuh winkte aus dunklen Hüllen dem jungen Offizier, und eine helle Stimme rief seinen Namen.

»Du, Bona?« murmelte er. »Du kommst wohl jetzt vom Balle zurück?«

»Ja, wie du siehst«, lachte sie, zog ihren kostbaren Pelz um sich zusammen und ließ Bulgarin einsteigen, »aber du kannst dich damit beruhigen, daß deine kleine Frau sich ausgezeichnet unterhalten hat.«

»Hat man dir den Hof gemacht?« fragte Dyonis, indem er ihren bloßen Arm küßte, einen Arm wie den eines zwölfjährigen Mädchens.

»Wie kann man so unartig fragen? Das versteht sich ja von selbst.« Während der Wagen weiterrollte, zog der junge Offizier seine Frau auf das Knie und küßte sie ab. Sie versuchte zwar einige Grimassen zu machen, aber seine starken Arme hielten sie fest, und so nahm sie sich mit ihren konvulsivischen Bewegungen wie ein ungezogenes Äffchen aus, das sich auf dem Seile schaukelte, bereit, seine Kapriolen zu schlagen.

Lieutenant Bulgarin war ein junger, hoher und schlanker Mann von blühender Schönheit, an ihm war der Byronismus jener Tage spurlos vorübergegangen, er hatte frische, leuchtende Augen, eine rosige Haut, rote Wangen, hielt sich aufrecht, fast stolz, und ging lebhaft, elastisch, mit einer gewissen Koketterie. Er war durch und durch elegant, aber seine Eleganz lag nicht in seinen Kleidern, sondern in seinen Manieren, er wäre im Paradiese ohne Schneider und Friseur der erste Gentleman gewesen, er war elegant, auch wenn er sich gähnend ausstreckte, und wäre es auch dann geblieben, wenn er sich selbst die Stiefel geflickt hätte. Und in diesen geflickten Stiefeln hätte ihm auch jedes Auge den Edelmann und Offizier angesehen.

Seine Frau war die Tochter seines Obersten. Er hatte ihr zuerst mehr aus Pflichtgefühl und Subordination den Hof gemacht, da sie aber an ihm Gefallen fand, wurde es der durchtriebenen kleinen Kokotte leicht, ihm eine glühende Leidenschaft für sie einzuflößen. Ihre Mutter gab die Kaution, und so wurden sie ein Paar, ehe sie noch das mindeste von dem Wagestück ahnten, das sie unternahmen.

Bona Bulgarin war die geborene Lebefrau; weder schön noch geistreich, noch vermögend, verstand sie es durch jene Lebhaftigkeit, welche so angenehm den Geist ersetzt, und durch jenen Luxus der Toilette, welche weder den edeln Schnitt des Gesichtes noch die Fülle der Formen vermissen läßt, alle Welt zu bezaubern. Sie wohnte, lebte und kleidete sich verschwenderisch; als die Frau eines Lieutenants machte sie die Dépensen einer Generalsfrau und hatte trotzdem keine Schulden. Man staunte darüber, forschte ihr nach, und doch verhielt sich alles so einfach und so natürlich wie nur möglich. Ihr Mann spielte und spielte gewerbsmäßig, um den Luxus seiner Frau bestreiten zu können.

Als das elegante Ehepaar seine angenehm durchwärmten Zimmer betreten und Dyonis die kleine Frau ihrer kostbaren Hüllen entledigt hatte, war es das erste, daß er seine Säcke umstürzte und in ihren Schoß ausleerte.

»Das alles hast du heute nacht gewonnen?« staunte Bona. »Du hast offenbar noch fleißiger gespielt, als ich getanzt habe.«

Dyonis zuckte die Achseln. »Du unterhältst dich, und ich – ich arbeite für dich mit den Karten.«

»Soll das ein Vorwurf sein?«

»Nicht im mindesten.«

»Ich belohne dich aber auch, mein Geliebter, nicht? Bist du etwa nicht glücklich, die eleganteste Frau dein zu nennen? Bin ich sparsam mit Liebkosungen?« Sie hob sich auf die Fußspitzen, so daß ihre weißen Atlasschuhe krachten, und küßte ihren Mann auf den Mund, aber es war dies kein Kuß wie ein feuriger Trunk, sondern etwa so, wie eine wohlerzogene Dame aus einem Trinkglase nippt. »So, nun habe ich dich beseligt, was? Nun darf ich wohl zu Bette gehen? Ich bin sehr schläfrig.«

»Wie es dein Herz verlangt«, erwiderte Dyonis, indem er sich in einen Schaukelstuhl setzte und sich in demselben zu wiegen begann, »aber sage mir vorher nur das eine, wozu ich eigentlich eine Frau habe?«

»Um sie von früh bis abends zu sekkieren«, gab Bona zur Antwort und trippelte in ihr Zimmer, wo sie sich mit Hilfe ihres eben erwachten, verschlafenen Stubenmädchens zu entkleiden begann. Im Begriffe, in ihre seidenen Polster zu sinken, wurde sie durch ein lautes Gelächter gestört, hörte eine Weile ärgerlich zu, zog dann den einen Fuß, der bereits unter der Decke lag, zurück, schlüpfte von neuem in den abgeworfenen Samtpantoffel und flog über die weichen Teppiche in das Nebenzimmer, das ihr als Garderobe und Toilette diente und in welchem sich ihr jetzt ein recht sonderbares Schauspiel darbot.

Ihr Mann hatte mit ihren Roben, die auf den Stühlen umherlagen, und mit ihrem Pelz, den er aus dem Kasten gerissen hatte, den Kleiderstock bekleidet, dann den Haubenstock geschmückt und mit ihrem falschen Haar und ihrem Federhut aufgeputzt auf denselben gestellt, endlich ein Paar seidene Strümpfe ausgestopft, in ihre Schuhe gezwängt und als Füße daruntergestellt, so daß das Ganze einer Modedame jener Tage täuschend ähnlich sah. Vor dieser Puppe lag er auf den Knien, überhäufte sie mit den zärtlichsten Ausrufungen und preßte von Zeit zu Zeit seine Lippen auf ihre Schuhe. Hinter ihm stand sein Diener, wieherte vor Lachen und rief von Zeit zu Zeit: »Der Herr ist närrisch, Frau! Der Herr ist närrisch!«

Als Bona jetzt in der Türe erschien, war sie in der Tat ein Wesen von kaum kräftigerer Leiblichkeit als der magere Stock, den Bulgarin so prächtig bekleidet hatte. Ohne ihre Roben und ihre wattierten Reize nahm sich die kleine Frau nicht anders aus als wie ein abgezogener Hase, ihr großer Mund, der sonst mit den herrlichsten Zähnen förmlich überfüllt war, zeigte zu beiden Seiten dunkle Lücken, die ihrem Gesichte etwas Boshaftes verliehen, statt der üppigen Locken, die sonst bis auf ihren Nacken herabfielen, krochen unter dem Nachthäubchen vorne ein paar Rattenschwänzlein hervor, und hinten hing ein schwarzer Büschel grober Haare, wie geschaffen, einem Pascha als Roßschweif zu dienen.

»Ich glaube wirklich, du bist verrückt«, sagte sie.

»Verrückt, weil ich meine Frau anbete!« rief Dyonis, sprang auf und begann es noch toller zu treiben; er verneigte sich vor einem geblümten Überrock Bonas, der an der Türe hing, führte den Ärmel ihres Pelzes respektvoll an die Lippen und sank begeistert an die Schnürbrust, die sie auf das Kanapee geworfen hatte.

»Der Herr ist närrisch!« rief sein Diener und begann von neuem zu lachen.

In diesem Augenblick erwischte ihn aber Bulgarin beim Kragen und gab ihm rückwärts einen Tritt, daß er wie ein Federmesser zusammenknickte. »Lach nicht, Dummkopf!« schrie er. »Suche zu begreifen, um was es sich handelt; siehst du hier diese Schminke, diese weichen Locken, diesen Federhut, diese Röcke, Roben, Überröcke, Musselinespenzer und Pelerinen, diese Spitzenmantillen, diesen Kaschmirschal und dieses schwarze Taftmäntelchen, diesen Zobelpelz, diese Schärpen, Bänder, Kapotten, Schleier, Gürtel, Schleifen, durchbrochenen Handschuhe, Halsbänder, Häubchen, Ringe, Armbänder, Ohrgehänge, dieses Korsett, den Muff, den chinesischen Fächer, die Halbstiefelchen und dieses Elfenbeinstöckchen, dies alles zusammen heißt Bona und ist meine Frau. Verstehst du, Dummkopf?«

»Ich verstehe …«

»Aber was soll das, Dyonis?«

Ein zweiter Fußtritt beförderte den Diener zur Türe hinaus, dann wendete sich der junge Offizier zu seiner Frau.

»Was das soll, meine Teure? Das soll heißen, daß ich der Narr bin, meine Frau zu lieben, und daß diese geliebte Frau für alle Welt da ist, nur nicht für mich, und soll noch ferner heißen, daß sie zu meinem Troste gezwungen ist, mir jederzeit einen Teil von sich zurückzulassen, und oft sogar den kostbarsten.«

Er breitete neuerdings seine Arme gegen die Puppe aus und rief: »Angebetete Bona, süßestes der Weiber, komm an meine Brust, beglücke mich!«

Dann preßte er sie an sich und begann den Haubenstock zu küssen. Bona lachte.

»Aber wenn ich jetzt in den Kleidern und dem Pelze stecken würde und mich so ruhig von dir abküssen ließe, das wäre dir doch noch lieber?«

»Du!« spottete Dyonis. »Oh! Das bißchen, das dann dazukommt, ist ohnehin nicht der Rede wert, meine Bona ruht hier in meinen Armen.«

»Sage mir, Mensch«, rief seine Frau, erzürnt vor ihn hintretend, »wenn du so genau weißt, daß nichts an mir ist, weshalb bist du denn so verliebt in mich? Und du bist ja rasend in mich verliebt, ich muß lachen, ein verheirateter Mann in seine eigene Frau, das ist zu dumm. Hörst du? Sage mir, weshalb bist du so verliebt in mich?«

»Das weiß ich selbst nicht«, versetzte ihr Mann, warf die Lippe trotzig empor und blickte von der Seite auf sie hin.

»Und wie kam es, daß du dich so in mich vernarrt hast?« fragte sie, ihr nervöses braungeflecktes Gesicht an seine Brust schmiegend und ihn von unten ansehend, mit den kalten grauen Augen, die wie Eis schimmerten.

»Wie es kam?« Er schien sich zu besinnen. »Wie nachts ein feuriger Stein vom Himmel fällt.«

»Also, was soll ich etwa mit dir anfangen?« Sie setzte ihn in einen Lehnstuhl und dann sich auf seine Knie. Das rötliche Licht des rasch wachsenden Tages legte sich grell auf ihre schlaffen, stumpfen Züge.

»Du sollst bei mir sein«, erwiderte Dyonis, »aber da gibt es Tag für Tag nichts als Matineen, Konzerte, Promenaden, Diners, Schlittagen, Soireen, Bälle, Theater, und wenn du daheim bist, schläfst du, und wenn du nicht schläfst, gähnst du, oder du fährst mir ganz fort … nach Lemberg …«

»Zu meinen Eltern.«

»Die Leute wollen wissen …«

»Was, mein Teurer?«

»Man sagt …«, er stockte wieder.

»Nun, was sagt man? Daß der Prinz mir den Hof macht?«

»Wenn nur nicht noch mehr wahr ist.«

Bona sah ihm rasch ins Gesicht mit der naiven Neugier eines Kindes, dann warf sie sich rasch herum und hing jetzt in seinem Arm, in einer Stellung, wie man sie oft bei Kunstreiterinnen sieht, den Kopf nach abwärts, und schüttelte sich vor Lachen. »Ah! – Ah! – Du bist eifersüchtig!«

»Ich bin es auch.«

»Auf den Prinzen?«

»Auf alle Welt.«

»Das ist köstlich! Mensch, du verstößt ja gegen alle Gesetze der Mode. Nun, mir machst du aber immerhin Spaß. Dafür sollst du mich jetzt zu Bette bringen.«

Dyonis hob sie auf seine Arme.

»Ach! Du bist beneidenswert«, seufzte sie.

»Weil ich die eleganteste Frau besitze?« Dieses Vergnügen bezahle ich teuer genug!«

»Nein, weil du mich so liebst.«

 

Als sie erwachten, war es heller Tag. Der eisige Überzug der Fenster erglänzte in der Mittagssonne gleich feurigen Juwelen und ließ hie und da einen Strahl durch, der sich als goldener Stab über den dunklen Teppich legte. Sie erwachten über den gellenden Ton der Glocke, welche der Briefträger in Bewegung gesetzt hatte. Madame klingelte, und ihr Stubenmädchen brachte einen Brief, den sie erbrach, überflog und dann mit einem Lächeln unter ihr Kopfkissen steckte. Während ihr Mann sich ankleidete, drehte sie ihm eine Nase – und gewiß nicht ohne Grund, denn der Brief war von dem Prinzen –, dehnte sich einige Zeit in ihren weichen Daunen und streckte endlich den kleinen Fuß unter der seidenen Decke hervor.

»Komm, zieh mir den Pantoffel an«, sprach sie träge, fast bittend. Wozu sollte sie auch befehlen? Er gehorchte ihr ja, ohne daß sie je einen Befehl aussprach – auf ein Zucken ihrer Wimpern hin gehorchte er.

 

Es war das, was man einen unglücklichen Zufall nennt, trotzdem aber nur eine Verkettung sehr einfacher Umstände.

Bona benötigte wieder einmal eine große Summe Geldes; das war gewiß etwas ganz Gewöhnliches – ihr Mann ging also gegen Abend zu Gans Nelkenduft Kapzeles und spielte dort die ganze Nacht. Auch darin lag nichts Außerordentliches.

Überraschend war nur, daß sich ein sonst harmloser Gutsbesitzer, Baron Bendella, plötzlich mit einer verdächtigen Röte im Gesicht erhob und mit einer martialischen Stimme, die an ihm ganz neu war, so neu, daß sie allen Anwesenden den Eindruck machte, er habe sie ausgeliehen, ausrief: »Karten liegen lassen! Es wird falsch gespielt!«

Einen Atemzug lang blieben alle wie erfroren auf ihren Stühlen sitzen, dann wich ein jeder wie entsetzt von seinen Karten zurück, nur einer machte erbleichend eine verdächtige Bewegung: es war Dyonis Bulgarin. Sofort ergriffen ihn mehrere Arme, und Bendella bückte sich, um ein Treff-As aufzuheben, das zu den Füßen des Offiziers lag. Ein zweites wurde unter seinen Karten gefunden.

Ohne Zweifel ein sehr unglücklicher Zufall!

»Das war also sein fabelhaftes Glück!« rief Bendella.

»Das Geld zurück«, schrien andere und begannen Bulgarins Taschen umzukehren. Mit einem Male erwachte aber in diesem sein ganzer Mut, er schüttelte seine Gegner ab und ergriff den Degen, der in der Ecke stand.

»Ein ehrloser Spielkniff«, rief er, »wer mich beschuldigt, ist ein Schuft! Beweist mir, daß ich falsch gespielt habe, dann will ich mich zufriedengeben, so aber verlange ich Satisfaktion.«

»Satisfaktion!« spottete es von allen Seiten.

»Ich fordere euch alle«, sagte Bulgarin ruhig und schnallte zugleich seinen Degen um; »wer eine Ausrede braucht –«

»Aber Mensch, wer kann sich mit dir schlagen?« erwiderte Bendella, indem er mit vernichtender Geringschätzung die Achseln zuckte.

»Du willst also nicht?« hauchte der junge Offizier, vor Wut halb erstickt, indem er ganz nahe zu dem Baron hintrat. Dieser wich zurück und schlug ihm mit dem Handschuh ins Gesicht; es war ein Schlag, so leicht wie ein Mückenstich, aber er genügte, um die Ehre eines Menschen zu töten.

Bulgarin versuchte den Degen zu ziehen, aber man hinderte ihn, und Bendella entkam.

Als sie ihn endlich losließen, wußte er, daß alles verloren war, aber er hoffte noch immer, seinen Gegner niederstoßen zu können, er durchsuchte mit dem Degen in der Faust das ganze Haus, er durcheilte die Straßen, jeden, der ihm in den Weg kam, mit der flachen Klinge bearbeitend – so erreichte er endlich den Schranken und erfuhr hier, daß der Baron in rasender Eile davongefahren sei.

So war denn alles vorbei.

Als Dyonis nach Hause kam und sich an das Bett seiner Frau setzte, schien in seinen Kleidern kein menschlicher Körper, sondern nur Stroh und Häckerling zu stecken, aus seinem schönen Antlitz war alles Blut gewichen, es glich mit den schmerzlich geschlossenen Augen einer Totenmaske aus weißem Wachs.

Bona wurde wach und erschrak nicht wenig, ihren Mann so zu sehen. »Was ist geschehen, Dyonis?« rief sie. »Du siehst aus, als hättest du jemand ermordet.«

»Ich bin der Gemordete«, entgegnete er dumpf, »meine Ehre ist verloren, ich muß zufrieden sein, wenn sie mich nicht anspeien auf der Straße.«

»Was hast du denn getan?«

»Ich habe falsch gespielt.«

»Nun, das hast du wohl nicht zum ersten Male getan?«

»Aber sie haben mich dabei erwischt.«

»Oh! Wie kann man so ungeschickt sein!« Bona begann zu lachen.

»Du kannst lachen?« rief Dyonis, die Augen unheimlich rollend.

»Soll ich weinen?« lachte Bona, indem sie sich im Bette aufsetzte. »Das erste ist, in solchen Dingen sich zu fassen; dieses Spiel ist verloren, wir wollen ein neues versuchen.«

Und Bona hielt Wort, sie begann auf der Stelle ein neues Spiel und zeigte sich bei demselben in keiner Weise ungeschickt, so daß sie glänzend gewann. Sie verschwand aus Tarnopol, ohne daß irgend jemand davon eine Ahnung hatte, nicht einmal ihr eigener Mann, der auf der Stelle seinen Degen abgegeben hatte und beim Profossen sein Schicksal erwartete. Das erste Symptom ihrer Tätigkeit war, daß man ihm gestattete, seine Charge zu quittieren. So günstig und ehrenvoll aber diese Lösung für ihn war, so war er doch durchaus nicht in der Lage, aus derselben Nutzen zu ziehen. In keinem Lande der Welt werden leichtsinnige Streiche so leicht verziehen und ehrlose Handlungen so strenge bestraft wie in dem unsern. Ein Lieutenant Dyonis Bulgarin hatte für die Gesellschaft gelebt, nun war er mehr als tot. Niemand kannte ihn, Bekannte, Freunde gingen an ihm vorüber mit einer Gleichgültigkeit, genau so, wie wenn er seinen Körper und seine Farbe verloren hätte; er erstaunte förmlich, daß sie nicht durch ihn durchgingen wie durch eine Luftgestalt, durch welche die Sonne scheint, und nicht weniger überrascht war er, zu entdecken, daß er noch immer einen Schatten werfe.

Es kam ein Auftrag seiner Frau, alles zu verkaufen. So verkaufte er denn alles. Es gab eine hübsche Lizitation. Talare von allen Farben drängten sich zusammen wie die Steine in einem Kaleidoskop, die Luft roch furchtbar nach Knoblauch, die Melodie der Synagoge ertönte zu einem sehr weltlichen Text – zehn, fünfzehn, siebzehn, zwanzig –, der Hammer fiel wuchtig nieder. Abends war alles abgetan. Die Dienstleute wurden entlassen. Dyonis, gekleidet wie ein eleganter Beamter, stieg in eine Butka, die er gemietet hatte, und fuhr nach Lemberg.

Seine Frau wohnte auf dem Wall, unweit des Guberniums. Als er ankam, dachte er ernstlich daran, bei ihr abzusteigen, aber eine unverschämte Lakaienvisage erklärte, die Gnädige sei nicht zu Hause, und als Bulgarin sich als Ehemann zu erkennen gab, versicherte ihm dieselbe Visage, jetzt ungemein erheitert, für ihn sei hier kein Platz, nicht das kleinste Winkelchen, und erteilte ihm den Rat, einen Gasthof zu beehren.

So beehrte denn der ehemalige Lieutenant das Hotel d'Angleterre, nachdem er es jedoch nicht unterlassen hatte, vorher den Lakaien seiner Frau furchtbar durchzuprügeln. Dies brachte den besten Eindruck hervor. Es währte keine halbe Stunde, so erschien derselbe Lakai, äußerst devot und verbindlich lächelnd, und kündigte den Besuch Bonas an. Und wieder eine halbe Stunde später klopfte es sehr rasch und energisch an Bulgarins Türe, und schon flog auch diese auf, und Bona rauschte herein, elegant, reizend, liebenswürdig und lächelnd wie immer. Sie ließ sich von ihrem Manne zuerst die Hand küssen und dann den Mund, setzte sich auf das Kanapee, legte Muff und Boa ab und zog ihn dann zu sich, um ihm schönzutun und dabei wie ein Dosenmännchen auf- und abzuschütteln.

»Du bist doch nicht böse, daß du nicht bei mir wohnen kannst, mein Teurer, das liegt eben in unseren Verhältnissen; weshalb warst du so ungeschickt, damals – mit dem Treff-As – ich habe dich zwar gerettet – aber das ist nicht genug – ich muß mehr tun – mich erhalten, und auch dich, und ich kann nicht entbehren, ich bin zu sehr verwöhnt, du weißt es ja.«

»Was soll dies alles heißen?«

»Ach! Du bist doch recht schwerfällig«, murmelte Bona, mit der umgekehrten Hand ihr Näschen reibend, »muß man denn alles gleich so grob aussprechen auf deutsche Manier? Genügt es dir nicht, wenn ich dir sage, daß du mich trotz allem nicht verlieren sollst, aber du mußt recht folgsam sein, mich niemals besuchen, hübsch warten, bis ich zu dir komme.«

»Ich bin wirklich ein Dummkopf«, erwiderte Dyonis, »ich verstehe dich nicht.«

»Aber das verstehst du«, lachte sie, »daß wir jetzt zusammen dinieren wollen und daß ich bis zum Abend dir gehöre? Was? Begreifst du nun?«

»So viel, daß … daß du noch um vieles bezaubernder bist als früher in Tarnopol«, rief Dyonis, »und daß du es verstehst, aus deinem Mann, sooft du nur willst, den feurigsten Liebhaber zu machen.«

»Versteh' ich das? Nun, so komm, hilf mir ablegen, wir wollen sehen.« Sie sprang auf und begann damit, ihren Federhut herabzunehmen.

Sie kam nun fast jeden Tag zu ihm, nicht wie zu einem Mann, sondern wie zu einem Liebhaber, und sie benahm sich auch gegen ihn wie gegen einen Liebhaber; sie brachte ihm Zuckerwerk, Pasteten, Champagner, sie zog sich mit der feinsten Koketterie an, ließ ihre kleinen Füße sehen, lüftete plötzlich ihre Mantille oder schlang die dunkle Boa effektvoll um Hals und Arme und küßte ihn, und er betete sie an, und er zitterte, wenn er nur das Rauschen ihres Kleides hörte.

Und doch kam ein Tag, wo er sie vergebens erwartete, und ein zweiter, wo die Pastete ohne sie kam, und endlich blieb auch die Pastete aus, und statt ihrer kam ein parfümiertes Briefchen. »Wir dürfen uns nicht mehr sehen – es ist auch zu deinem Besten.« Dem Briefchen lag eine Tausendguldennote bei.

Jetzt begann Dyonis zu verstehen, und wo er noch nicht vollkommen klarsah, sollte ihm bald eine unerwartete Belehrung zu Hilfe kommen.

Er besuchte aus Langeweile das Theater. Im Zwischenakte musterte er das Publikum und erblickte Bona mit Diamanten und Hermelin bedeckt in einer Loge. Ein schmerzhaftes Zucken ging durch seinen ganzen Körper, wie wenn er sich verbrannt hätte; er wendete sich ab. Da schlug ihr Name an sein Ohr. Zwei elegante Herren unterhielten sich ziemlich ungeniert von ihr.

»Die Frau eines Offiziers?« sagte der eine. »Sie muß also sehr reich sein.«

»Oder einen sehr reichen Anbeter haben«, entgegnete der andere ironisch.

»Weißt du mehr von ihren Verhältnissen?«

»So viel, daß sie die Geliebte des Prinzen ist.«

»Ah! Der Prinz hat einen guten Geschmack. Und der Mann?«

»Wer fragt nach dem!«

Also nach ihm fragt niemand mehr, nicht einmal seine Frau, die er liebte, die er anbetete, für die er alles hingeopfert hatte, sogar seine Ehre! Das packte ihn wie die Faust eines Teufels, das rüttelte alle seine Empfindungen durcheinander, das goß Feuer in seine Adern. Er verließ seinen Sitz und verließ das Theater; als sie aber, noch vor Schluß der Oper, um dem Gedränge zu entgehen, in ihren Wagen stieg, öffnete er rasch den andern Schlag und saß plötzlich an ihrer Seite, während der Kutscher die Pferde antrieb.

Sie verlor keinen Augenblick ihre Fassung.

»Du hast bizarre Einfälle«, rief sie; »wenn du mich kompromittieren willst, konntest du es nicht besser anfangen.«

»Kann sich eine Frau mit ihrem Mann kompromittieren?«

»Ohne Zweifel, wenn sie einem andern Rechte eingeräumt hat.«

»Du gestehst also?«

»Ich habe dir nie gesagt, daß ich dir treu bin«, unterbrach ihn Bona mit dem Stolze der Ehrlichkeit; »nun sage ich dir aber, daß der Prinz mich verehrt und daß ich dich durchaus nicht brauchen kann. Wenn du Geld nötig hast …«

»Weib! Ich bin imstande und erwürge dich«, schrie Dyonis.

Bona richtete sich blitzschnell auf und klopfte an das Fenster. Ihr Mann hielt sie zurück, aber schon hielt der Kutscher die Pferde an.

»Sage ihm, daß er nach der Vorstadt hinausfahren soll«, befahl Bona. »Ich will mit dir sprechen, wo uns niemand hört. Du stellst mich ja bloß.« Dionys gehorchte, und der Wagen verließ mehr und mehr die belebten Straßen der Stadt.

»Nun, also …«

»Warte, bis wir draußen sind«, sagte Bona, die im Hermelinpelz, in ihrer Ecke zusammengerollt wie ein großer Schneeball dalag. Endlich verschwanden die Straßenlaternen fast vollständig; sie waren in der Vorstadt angelangt, einer breiten Fahrstraße mit Häusern zu beiden Seiten. Bona näherte ihr geschminktes Gesicht jenem ihres Mannes und begann mit einer Stimme, die so zischte wie kaltes Wasser, das auf einen heißen Herd fällt: »Du willst mich erwürgen – nun, so erwürge mich.«

Dyonis blieb unbeweglich.

»Du liebst mich bis zur Raserei«, fuhr Bona fort und legte dabei ihre kleine Hand in dem feinen Handschuh auf seine Knie. »Das ist allerliebst, aber die Liebe ist keine Nahrung, und man kann sich auch nicht in dieselbe kleiden. Ich liebe dich auch; sage mir, daß du eine Rente von 6 000 Gulden hast, und ich folge dir auf der Stelle, wohin du nur willst, aber so geht es nicht. Sollen wir zusammen darben, wenn jedes für sich allein glänzend leben kann? Ich kann einmal nicht ohne Luxus sein, und du bist auch nicht der Mann, der gern friert und hungert. Ich habe mir eine große Stellung gemacht, ich habe Einfluß – willst du mir dies alles zerstören für nichts und wieder nichts? Ich bin nur liebenswürdig, wenn mich Reichtum und Bequemlichkeit umgeben, in kleinen Verhältnissen oder gar durch Armut gedrückt würde ich dich in kurzer Zeit zur Verzweiflung bringen. Also laß dir raten, verhalte dich ruhig, es soll dir nicht an Geld fehlen, und sobald es mir möglich ist, werde ich dich plazieren bei einem Amte oder sonstwo. Gib dich nur ganz in meine Hände. Du wirst es nicht bereuen.«

In dieser Weise sprach Bona fort, und endlich lag Dyonis, statt sie zu erwürgen, vor ihr auf den Knien und küßte ihre kleinen Füße und ihre Hände und küßte die Schminke von ihrem Gesichte weg.

Für diesmal war die Gefahr abgewendet, aber Bona war sich vollkommen klar darüber, daß ihr Mann so schnell als möglich entfernt werden mußte, wenn sie nicht täglich um ihre Existenz zittern sollte. Liebe kann unter Umständen noch furchtbarer werden als der Haß.

Nur wenige Tage vergingen, und Dyonis Bulgarin wurde zu dem Prinzen beschieden. Der hohe Herr war sehr gnädig, stellte verschiedene Fragen an ihn, machte sich höchst eigenhändig Notizen und entließ ihn mit der Versicherung, daß sein Schicksal sich in den besten Händen befinde.

Dyonis hatte bei dieser Unterredung nur einen Gedanken: »Diese ausgestopfte Vogelscheuche mit den schlotternden Knien, dieses verzerrte Affengesicht zieht sie mir vor – nun, wenigstens brauche ich nicht eifersüchtig zu sein.«

Es vergingen einige Wochen, ohne daß er von seiner Frau oder irgendeiner andern Seite nur das geringste Zeichen erhielt, daß man ihn nicht ganz vergessen hatte. Aus Langeweile begann er einer polnischen Schauspielerin mit sehr viel Sommersprossen, aber ebensoviel Geist den Hof zu machen.

Eines Abends, auf dem Wall, begegnete er dem Präsidenten, der einflußreichsten Person im ganzen Königreiche; der mächtige Mann, welcher, groß und hager, in seinem langen braunen Kaputrock und der hohen weißen Krawatte nicht wenig an den Fürsten Metternich erinnerte, sah ihn scharf an, blieb stehen und sagte halblaut, aber mit jener Stimme, die jedem, der sie das erste Mal hörte, durch alle Nerven zuckte: »Herr Bulgarin, wenn ich nicht irre?«

»Zu dienen, Exzellenz«, erwiderte Dyonis, indem er den Hut abnahm und so vor dem Präsidenten stehenblieb.

»Setzen Sie auf«, sagte dieser, »und« – er blickte auf die Uhr – »haben Sie eine Viertelstunde Zeit?«

»Ich bitte, über mich zu befehlen, Exzellenz.«

»Nun, so wollen wir ein wenig promenieren«, erwiderte der mächtige Mann.

Einige Zeit gingen die beiden stumm nebeneinanderher, dann blieb der Präsident stehen und begann: »Der Prinz hat mit mir von Ihnen gesprochen, aber es ist sehr schwer, Sie anzustellen. Sie haben gar keine Studien gemacht, und Sie als Schreiber in ein Amt stecken, das geht nicht, schon Ihrer Frau wegen geht das nicht – eine charmante Person, Ihre Frau, eine Frau von Geist.«

Dyonis schwieg, und der Präsident setzte seinen Spaziergang fort. Als er wieder innehielt, nahm er seinen Begleiter bei einem Knopfe seines Rockes und murmelte: »Ich hätte eine Position für Sie, eine glänzende und lohnende, aber es ist dies eine Sache des größten Vertrauens. Übrigens gefallen Sie mir. Sie haben etwas Offenes und Chevalereskes, das sich gut dazu eignet, aber Sie sind ein Pole, nicht?«

»Zu dienen, Exzellenz.«

»Auch das paßt zu meinen Absichten, aber wie sind Sie gesinnt? Sind Sie ein Patriot?«

»Ich war Offizier, Exzellenz.«

»Das weiß ich, aber unsere Offiziere sind nicht selten die wütendsten Patrioten.«

»Nun, Exzellenz, was ist denn heutzutage Polen? Der polnische Adel. Ich habe aber wahrlich keine Ursache, diesen Adel, der mich wie einen Verbrecher ausgestoßen hat, zu lieben, im Gegenteil, ich könnte die Hand küssen, welche mir Gelegenheit gäbe, mich an dieser Gesellschaft zu rächen.«

Der Präsident sah ihn durchdringend an, nickte mit dem Kopfe, ging einige Schritte, blieb neuerdings stehen und sagte endlich: »Ich glaube Ihnen, Herr Bulgarin – man hat Sie übel genug behandelt. Nun, Sie sollen Gelegenheit finden, sich an Ihren Landsleuten zu rächen, das eine nur, es wäre Ihr Verderben, wenn Sie aus Privathaß die Regierung irreführen würden. Ich habe Sie für den Dienst unserer geheimen Polizei ausersehen.«

Bulgarin machte eine tiefe Verbeugung.

»Sie werden zunächst als Agent nach Paris gehen, um dort die Pläne der Emigranten kennenzulernen«, fuhr der mächtige Mann fort. »Man wird Sie mit allem Nötigen versehen. Fortan kennen Sie mich nicht mehr auf der Straße – wenn ich Sie brauche, werde ich Sie zu finden wissen.« Der Präsident nickte mit dem Kopfe und entfernte sich, die Hände mit dem Rohrstock auf dem Rücken. Dyonis blickte ihm nach, dann begann er wie ein ausgelassener Knabe umherzuspringen, und endlich kniete er im Schnee nieder und hob die rechte Hand wie beschwörend zum Monde, der eben über einem Rauchfange wie der goldene Knopf auf einer Turmspitze sichtbar wurde; er schwor der Gesellschaft, die ihn ausgestoßen hatte, Rache.

Als er sich erhob, erblickte er eine Dame, in der er sofort seine Frau erkannte, obwohl er nur ihren Rücken sah oder eigentlich einen Pelz, in dem es wie ein Perpendikel hin und herging. Nur Bona konnte so gehen. Er eilte ihr nach, rief sie beim Namen, und als sie stehenblieb, dankte er ihr in den tollsten Ausdrücken, während er ihre Hände mit den feurigsten Küssen bedeckte.

»Ja, was habe ich denn so Großes für dich getan?« fragte Bona fast naiv.

»Du hast mich glücklich gemacht«, rief Dyonis, »und wirst mich zugleich auf die beste Art von der Welt los.«

»Nun, wenn ich dich nur los werde«, lachte Bona, »dann bin ich schon zufrieden.«

 

Einige Tage nach der Unterredung auf dem Walle wurde Dyonis abends von einem vertrauten Diener des Präsidenten abgeholt und heimlich in dessen Wohnung geführt. Der mächtige Mann stand, vollkommen schwarz gekleidet, mit seiner weißen Halsbinde, die Hände auf dem Rücken, mitten in dem kleinen, mit Büchern tapezierten Zimmer, in das jetzt Dyonis eingeführt wurde, und erwiderte dessen ehrfurchtsvollen Gruß nur mit einem gnädigen Lächeln.

»Die Sache ist abgemacht«, begann er leise, aber einschneidend. »Sie werden morgen nach Krakau abgehen und von dort über Wien nach Paris reisen. Hier haben Sie einen Empfehlungsbrief für Krakau, er ist von dem Grafen Rey, welcher Ihrer Frau den Hof macht, an den Grafen Wodzicki in Krakau. Ein Empfehlungsbrief ist sehr wenig, kann aber in geschickten Händen zu allem möglichen werden; wenn Sie klug sind, werden Sie aus demselben einen Schlüssel machen, der Ihnen die Kreise der Emigration in Paris aufschließt. In Wien werden Sie sich dem Chef der Polizeihofstelle, dem Grafen Sedlnitzky, vorstellen. Dort werden Sie weitere Instruktionen erhalten. Diese hier sind von mir. Sie enthalten alles, was nötig ist. Diese Brieftasche versorgt Sie mit den erforderlichen Mitteln, um überall elegant leben und als Kavalier auftreten zu können. Wenden Sie in Paris Ihr Augenmerk vor allem der Emigration zu und den Verbindungen, welche dieselbe mit den polnischen Ländern unterhält. Wenn Sie uns in die Lage setzen, der russischen oder preußischen Regierung Winke in dieser Richtung zu erteilen, erweisen Sie uns einen besonderen Dienst, denn dadurch steigt das Ansehen unserer Polizei und unseres Staates. Ihre Berichte an mich adressieren Sie an Frau Kleszowska, Armeniergasse 347, erster Stock.«

Nach diesen Worten übergab der Präsident Dyonis alles, was auf seine Reise Bezug hatte, und entließ ihn mit einem kurzen »Adieu«.

Am nächsten Tage, zeitlich früh, stieg Dyonis in den Postwagen und schlug den Weg nach Krakau ein. Es war Frühjahr geworden, ein galizisches Frühjahr mit bleigrauem Himmel, lustig krächzenden Raben und einem undurchdringlichen Kote. Man kam nur langsam vorwärts. Erst an dem fünften Tage fuhr Bulgarin über die Brücke von Podgorze in die alte Jagiellonenstadt ein.

Sein erster Gang war zu dem Grafen Wodzicki. Bei diesem alten Kavalier, welcher nicht allein die Erinnerungen, sondern auch die Sitten Polens wie Reliquien bewahrte, fand er eine sehr liebenswürdige und gastliche Aufnahme, aber dies war auch für den Anfang alles. Er wurde täglich zu Tisch gezogen und hatte den Eindruck, daß der Graf ihn erst aufmerksam studieren wolle, ehe er ihm sein Vertrauen erschloß. So ließ sich denn Dyonis von dem braven Manne studieren und suchte sich zu gleicher Zeit durch ein bescheidenes, aber sicheres Auftreten bei demselben einzuschmeicheln.

Eines Tages nahm Wodzicki Dyonis nach dem Diner in sein Kabinett und begann: »Was kann ich für Sie tun, Herr Bulgarin?«

»Alles, Herr Graf.«

»Graf Rey hat Sie mir sehr empfohlen, und Sie selbst gefallen mir. Sie wünschen in den Dienst unseres Freistaates zu treten?«

»Ich glaube, Herr Graf, daß ich meinem unglücklichen Vaterlande an einem andern Orte bessere Dienste leisten könnte.«

»Und das wäre?«

»In Paris.«

Wodzicki stutzte und schwieg einige Zeit. »Fehlt es Ihnen vielleicht an dem nötigen Reisegeld?« fragte er endlich.

»Oh! Ich danke ergebenst, ich bin damit versorgt.«

»Was wünschen Sie also?«

»Ich wage es zu hoffen, daß Sie mich an jene Personen empfehlen werden, Herr Graf, welche mir den meinen Fähigkeiten und meinem Eifer entsprechenden Posten anzuweisen in der Lage sind.«

»Sie waren österreichischer Offizier?« versetzte der alte Herr, seine großen Augen auf ihn heftend.

»Zu dienen.«

»Weshalb haben Sie Ihre Charge quittiert?«

»Ich und einige Kameraden unterhielten Verbindungen mit der Emigration. Man entdeckte dieselben, und ich opferte mich, um meine Freunde zu retten, denn sie waren alle auf ihre Gage angewiesen, während ich etwas Vermögen besitze.«

»Sie haben edel gehandelt«, erwiderte Wodzicki. »Ich werde Ihnen also einen Brief geben, aber nicht an eine Person, welche der Emigration angehört, das könnte Sie in fatale Geschichten verwickeln, denn man wird Sie bei dem Austritt aus dem Gebiete des Freistaates sehr genau visitieren. Ich werde Ihnen einen Brief geben an eine Dame in Paris. Diese Dame ist eine Französin. Dies wird keinen Verdacht erregen, und die Dame wird schon wissen, was sie zu tun hat.«

Dyonis Bulgarin erhielt diesen Brief am nächsten Tage, schrieb noch vorher seinen ersten Bericht, den er an Madame Kleszowska in Lemberg adressierte, und reiste dann im Postwagen nach Wien ab.

Es währte geraume Zeit, ehe er seine ersten Nachrichten aus Paris an den Präsidenten sendete.

Mit seinen Berichten, welche fortan in ziemlich regelmäßigen Intervallen eintrafen, war man durchaus nicht zufrieden. Der Ton, in dem dieselben abgefaßt waren, hatte etwas Kaltes und Sachliches an sich, das befremdend wirkte; niemals erging sich Bulgarin in Mutmaßungen oder versteckten Anspielungen – wenn er etwas bestimmt wußte, teilte er es mit, wenn er nichts wußte, schwieg er einfach. Er ging von Paris nach Brüssel, von Brüssel nach London und wieder zurück nach Paris. Die österreichische Regierung begann ihm zu mißtrauen. Sedlnitzky wechselte Noten mit dem Präsidenten in Lemberg und Metternich mit dem österreichischen Gesandten in Paris und Toulon über ihn. Man versuchte es, ihm kein Geld zu senden, aber das schien ihn nicht im mindesten zu berühren, im Gegenteil, er verlangte nicht nur keines, sondern wurde mit einem Male ganz still.

So vergingen zwei Jahre.

Da promenierte Bulgarin eines Tages auf dem Wall in Lemberg, nach der neuesten Pariser Mode gekleidet, ein kleines Elfenbeinstöckchen in der Hand, hörte der Regimentsmusik zu, welche die seidenen Talare, von denen die Allee wimmelte, mit ihren Klängen erfreute, und saß zuletzt vor dem Kaffeehause und nahm Eis. In der Dämmerung erschien er in der Wohnung des Präsidenten, welcher sich eben zu einem Gartenfeste beim Prinzen ankleidete, und wurde von demselben sofort in seinem Bibliothekzimmer empfangen.

»Man ist sehr unzufrieden mit Ihnen«, begann der mächtige Mann, die Stirn ein wenig runzelnd, im übrigen aber kalt und gemessen wie immer. »Seit einem halben Jahr geben Sie uns keine Nachricht, und nun sind Sie gar zurück, und, wie es den Anschein hat, unverrichtetersache.«

»Exzellenz«, gab Bulgarin mit einem feinen Lächeln zur Antwort, »ich hoffe, daß es mir gelingen wird, Sie zu überzeugen, daß ich ebenso klug als redlich gehandelt habe. Man war mit meinen Berichten unzufrieden, weil ich nur Tatsachen meldete.«

»Tatsachen ohne Belang.«

»Zugegeben, Exzellenz!« fuhr Bulgarin fort. »Meine eigentlich wichtigen Entdeckungen durfte ich nicht mitteilen, denn jede von ihnen war nur ein Schritt zu einer weiteren, und mit jedem Schritt kam ich dem Geheimnis, das zu enthüllen meine Aufgabe war, näher. Hätte ich mein Spiel vor Ihnen gleichsam mit offenen Karten gespielt, so hätten Sie mindestens in dasselbe eingegriffen, und da Sie von Lemberg aus die Dinge in Paris und London nicht richtig beurteilen können« – der Präsident runzelte die Stirne noch finsterer –, »so wäre ich niemals zu dem Ziele gelangt, das ich zu erreichen hatte. Aber es hätte noch schlimmer kommen können. Sie hätten der Regierung in Wien und diese hätte ihren Agenten im Auslande von einzelnen Fakten Mitteilung gemacht, man wäre, wo es noch zu beobachten und noch zu forschen galt, mit übereilten Maßregeln gekommen, die Emigration wäre gewarnt worden, hätte Verdacht gegen mich geschöpft, und ich wäre angesichts des Hafens gescheitert, wenn mich nicht etwa der Dolch eines Carbonari ereilt hätte.«

»Sie scheinen von unserer Diplomatie keine sehr günstige Meinung zu haben?«

»Ich hatte am besten Gelegenheit, mich von der Unfähigkeit derselben zu überzeugen, als sie den Auftrag erhielt, mich zu beobachten, und denselben als die Mission auffaßte, mich zu kompromittieren. Aber nicht einmal dies haben diese Herren zustande gebracht, und ich muß ihnen das Zeugnis geben, daß sie sich alle erdenkliche Mühe gaben.«

»Und Sie wollen also wirklich in die Geheimnisse der polnischen Emigration eingeweiht sein?« sagte der Präsident nach einer kleinen Pause.

»Nicht allein in jene der polnischen, sondern der europäischen Revolutionspropaganda, Exzellenz«, entgegnete Bulgarin; »ihr Gewebe liegt vor mir wie meine Hand da, und ich kann die Fäden verfolgen wie die Linien dieser Hand.«

»Sie versprechen sehr viel.«

»Ich werde noch mehr halten.«

Der Präsident machte eine auffordernde Handbewegung.

»Sofort nach dem Scheitern der Revolution von 1837«, begann Bulgarin, »hat sich die polnische Emigration im Auslande, entsprechend der früheren Gruppierung im eigenen Vaterlande, in zwei Parteien organisiert, die aristokratische und die demokratische. Die erstere, welche den Fürsten Czartoryski als ihr Haupt und den künftigen König von Polen betrachtet und ausschließlich in Paris zu finden ist, nennt sich selbst die diplomatische Partei, weil sie sich gegen jede Anwendung von Gewalt erklärt und ihre Hoffnungen ausschließlich auf das Einschreiten fremder Mächte, auf Frankreich und England, setzt. Die demokratische Partei, der die Mehrzahl der Militärs und Literaten angehört, welche somit über ungleich mehr Kräfte verfügt und auch auf die ausländischen Zeitungen einen nicht geringen Einfluß übt, erwartet dagegen die Herstellung Polens nur von einer sozialen Revolution. Die Partei verzichtet vollkommen auf die Hilfe des Auslandes und rechnet ausschließlich auf das eigene Volk. Ihre Prinzipien sind jene der gesamten europäischen Demokratie, sie verlangt und verheißt die vollkommenste Freiheit und Gleichheit, Volkssouveränität, Glaubensfreiheit, Freiheit der Rede und der Schrift, die Aufhebung des Adels, die Befreiung des Landvolkes von allen Lasten. Es ist begreiflich, daß sich der polnische Adel derselben bis jetzt ziemlich fern hält, aber ihre Ziele sind auch keine eigentlich polnischen, es gilt eine europäische Umwälzung, zu deren Zweck sich die polnische Propaganda mit der französischen, italienischen, ungarischen und deutschen seit 1833 innig verbunden hat. Sogar ein gekröntes Haupt gehört dieser Konspiration an.«

»Und dieses wäre?« sagte der Präsident so ruhig, als ob es sich um einen Winkelschreiber in einem galizischen Dorfe handelt, dem das Kreisamt auf die Spur gekommen ist.

»Karl Albert, König von Sardinien.«

Der Präsident zuckte zusammen. »Bedenken Sie, wen Sie anklagen!«

»Einen Verwandten unseres Kaisers, Exzellenz, ich weiß es, aber die Folge wird mich rechtfertigen.«

»Fahren Sie fort!«

»Der Organisation der polnischen Revolutionspartei liegt, wie jener der ganzen europäischen Demokratie, das System der Carbonari zugrunde. Der demokratische Polenbund zählt in Paris allein etwa 3 000 Mitglieder. Aus diesem Vereine ist 1832 die polnische Revolutionsregierung unter dem Titel ›Zentralisation‹ hervorgegangen.«

»Haben Sie Beweise?«

»Allerdings«, erwiderte Bulgarin, indem er ein mit einem roten Seidenband zusammengeknüpftes Päckchen hervorzog. »Hier, Exzellenz, ist vor allem die gedruckte ›Innere Organisation der polnischen demokratischen Gesellschaft‹ publiziert am 5. Juli 1835.«

Der Präsident nahm das wichtige Dokument, näherte sich dem großen silbernen Armleuchter, der seitwärts auf einem Tische stand, und begann zu blättern.

»Exzellenz werden aus derselben entnehmen, daß die Gesetzgebung der Gesamtheit der Mitglieder vorbehalten ist, während die ›Zentralisation‹ mit der Exekution betraut ist und in dieser Richtung unbeschränkte Vollmacht hat. Die neun Mitglieder der Revolutionsregierung werden jährlich von der Gesamtheit gewählt. Diese hebt im Auslande sowohl als in den polnischen Ländern die Nationalsteuer ein, gibt Flugschriften heraus, welche die Prinzipien der Partei verbreiten und auf den beabsichtigten Revolutionskampf vorbereiten, sowie die Zeitung ›Der polnische Demokrat‹, welche in ihrem amtlichen Teile die Erlasse der ›Zentralisation‹ enthält.«

»Ist es Ihnen nicht gelungen, eine oder die andere dieser Schriften an sich zu bringen?«

»Sie sind alle in meinem Besitze, Exzellenz«, gab Bulgarin zur Antwort, er schien von Minute zu Minute zu wachsen, und sein schönes Gesicht nahm mehr und mehr den Ausdruck eines vollständigen Triumphes an. »Hier, ›Der demokratische Katechismus‹, hier ›Der Partisanenkrieg‹, ferner ›Die Lebenswahrheiten des polnischen Volkes‹ und zahlreiche Nummern des ›Polnischen Demokraten‹!« Er legte alle diese Dokumente vor dem Präsidenten auf den Tisch.

»Und was halten Sie für die nächsten Ziele dieser Partei?« fragte der Präsident, der mehr und mehr aus seiner Jupiterrolle fiel.

»Das erste Ziel dieser Partei ist, den Adel für ihre Ideen und Pläne zu gewinnen, das nächste dann die militärische Organisation der Revolution, das letzte der Nationalkrieg selbst«, sagte Bulgarin. »Über die Art und Weise, wie dieser geführt werden soll, wird die Flugschrift ›Der Partisanenkrieg‹ Exzellenz am besten Auskunft geben. Sie werden sehen, wie die Brunnen vergiftet, die Beamten und Offiziere durch Meuchelmord aus dem Wege geräumt und die Kreisstädte überfallen werden sollen.«

»Und diese Partei sollte einen Anhang im Königreiche Galizien haben?« fiel der Präsident erregt ein, seine Stimme klang hohl und gepreßt.

»Schon im Jahre 1834, Exzellenz«, versetzte Bulgarin, »hat der Emigrant Staritzki den Carbonaribund nach Galizien verpflanzt. Vor kurzem hat derselbe in Lemberg den Titel ›Das junge Sarmatien‹ angenommen und steht in lebhaftem Verkehr mit der Emigration.«

»Unmöglich«, rief der Präsident aus. »Unsere Polizei ist wachsam, und es geht kein Brief nach Frankreich, Belgien oder England, welcher nicht das schwarze Kabinett passieren würde.«

»Und dennoch bestehen diese geheimen Verbindungen«, erklärte Bulgarin, »vorzüglich durch Emissäre, welche in Verkleidungen, unter falschen Namen und mit falschen Pässen in das Land kommen, die einzelnen Sektionen aufsuchen und ermuntern, neue Mitglieder gewinnen …«

»Ich aber sage Ihnen, daß dies nicht möglich ist.«

»Es ist doch möglich, Exzellenz.«

»Nun, so zeigen Sie mir so einen Emissär.«

»Er steht vor Ihnen.«

»Wie? – Sie, Herr Bulgarin?«

»Um mein Werk zu vollenden und die große Verschwörung hier im Lande selbst aufzudecken«, fuhr Bulgarin fort, »habe ich von der Pariser ›Zentralisation‹ die Mission übernommen, mich mit einer Reihe von Sektionen in Verbindung zu setzen, über die Tätigkeit derselben Bericht zu erstatten und Aufträge der ›Zentralisation‹ an sie zu vermitteln. Hier mein Kreditiv, Exzellenz.«

Der Präsident ging einige Male im Zimmer auf und ab, blieb dann vor Bulgarin stehen und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Ich staune – wir haben Ihnen großes Unrecht getan –, Sie haben viel geleistet, sehr viel, viel mehr, als ich erwartet habe. Ich bedauere, daß wir Sie in Ihrer Stellung nicht in anderer Weise auszeichnen können, Sie würden es verdienen, aber legen Sie uns sofort Rechnung und bestimmen Sie selbst die Summe, welche Sie vorläufig als Belohnung beanspruchen.«

Bulgarin verneigte sich. »Ich bitte vor allem, Exzellenz, wenn mein ganzes Wirken nicht lahmgelegt werden soll, mir Ihr Vertrauen zu schenken und nur dort einzugreifen, wo ich es am Platze und an der Zeit finde.«

»Sie besitzen fortan mein volles Vertrauen, Herr Bulgarin«, gab der mächtige Mann mit einem liebenswürdigen Lächeln zur Antwort, »und ich gebe Ihnen mein Wort, daß nichts geschehen soll, was Ihre Berechnungen durchkreuzt.«

Am folgenden Tage hatte der Präsident seine Jupiterhaltung insofern wiedergewonnen, als er in Gestalt eines goldenen Regens über den unbezahlbaren Agenten niederging.

Bulgarin mietete eine sehr elegante Wohnung und richtete sie mit vielem Luxus und dem feinsten Geschmacke ein, so daß dieselbe viel mehr das Daheim einer koketten jungen Frau als eines Polizeiagenten schien. Kaum war er mit dem Arrangement fertig, wurde er zu dem Prinzen beschieden; nicht amtlich oder nur im mindesten öffentlich – die Audienz hatte einen vollkommen geheimen Charakter, ließ dafür aber auch an Vertraulichkeit nichts zu wünschen übrig. Seine Hoheit begnügte sich nicht damit, Herrn Bulgarin in liebenswürdiger Weise einen Knopf abzureißen, in der beliebten Manier des Kaisers Franz, sondern ging so weit, ihm eine Prise Spaniol aus der kleinen goldenen Tabatiere anzubieten, deren Deckel ein kleiner Amor nach Raffael zierte.

Das Glück gleicht den deutschen Frauen, es versagt die kleinste Gunst, oder es gibt mehr, als man verlangt, womöglich gleich alles auf einmal. Als Bulgarin, von Stolz und befriedigter Eitelkeit strahlend, mit der Miene eines Mädchens, das eben den ersten Liebesbrief erhalten hat, den Palast des Prinzen verließ, legte sich plötzlich ein weicher Arm in den seinen, und als er überrascht den Kopf zur Seite wandte, lächelte ihn Bona mit ihrem gefährlichsten Lächeln an.

»Mein Gott … du … du selbst … und wie schön du geworden bist!« stammelte Dyonis.

Diesmal spielte ihm der gewisse Nebel, welcher so gern das männliche Urteil verhüllt, in der Tat keinen Streich. Bona hatte während der letzten zwei Jahre an Fülle gewonnen, und junge Frauen werden nur dann häßlicher und altern früh, wenn sie plötzlich mager werden.

Dyonis sah mit heiterem Erstaunen, daß seine Frau ganz hübsche Formen bekommen hatte, und auch ihr verschrumpftes Gesichtchen, das so lebhaft an das kleine Greisenantlitz eines Wiegenkindes gemahnt hatte, erschien wie frisch geglättet, alle Falten waren verschwunden, und die stark gespannte Haut hatte ihr garstiges Braun verloren und war auch ohne Schminke von blendender Weiße. Ihr hüpfender Bachstelzengang hatte sich in ein halb majestätisches, halb träges Wiegen in den Hüften verwandelt, welche auch nicht mehr wie ein Perpendikel hin- und hergingen, sondern höchstens wie ein Pfirsich, der sich leise am Zweige schaukelte.

»Nun, sieh mich nur an«, scherzte Bona, »recht lange und recht genau, und dann – verliebe dich wieder in mich, sosehr es dir möglich ist. Meine Verhältnisse sind jetzt so gesichert, daß ich es schon wagen kann, mir ein wenig den Hof machen zu lassen, besonders von meinem eigenen Manne.«

»Ich darf dich also besuchen«, sprach Bulgarin, der seine Frau wie entzückt betrachtete.

»Ja, mein Kind«, belehrte sie ihn, »aber nur dann, wenn ich es dir ausdrücklich erlaube. Ich werde dafür recht oft zu dir kommen.«

»Oh! Bona! Hast du denn einen Begriff davon, wie du mich während dieser zwei Jahre gequält hast?« rief Dyonis, während sie an seinem Arme weiterschritt. Sie konnte es wagen. Es war Abend, und zu dieser Zeit betete der Prinz mit seinen Jesuiten.

»Womit habe ich dich denn gequält?« fragte Bona mit der ganzen Naivität einer kleinrussischen Pfarrerstochter.

»Womit? Du hast mich verfolgt, Tag und Nacht hast du mich verfolgt, bei hellem Sonnenschein meinte ich dich zu sehen auf dem Boulevard, du liebliches Gespenst, und nachts hörte ich dich plötzlich lachen, zu Häupten meines Bettes, wie eine Turteltaube, die ihr Männchen lockt. Ach! Ich bin ja so wahnsinnig verliebt in dich!«

»Köstlicher Mann!«

»Und du, liebst du mich noch?«

»Nein, mein Kind«, erwiderte Bona und fuhr ernsthaft fort: »Das ist aber auch gar nicht nötig. Wenn nur du recht vernarrt in mich bist, das macht mir soviel Spaß – amüsiere mich, versuch es, vielleicht bin ich dann gnädig gegen dich.« Sie gab ihm einen leichten Backenstreich, der ihn vollends um seinen Verstand brachte. Es war auf den Skarpen, die grünen Hecken bildeten ein verschwiegenes stilles Gemach, durch das dichte Laub der Kastanien schimmerte eine Laterne und flatterte ängstlich, einer irrenden Seele gleich. Hier schlang Dyonis plötzlich mit aller Wildheit wahrer Liebe die Arme um sein treuloses Weib, hob sie auf wie ein Korybant seine Bacchantin, sah sie an wie ein Kind sein Spielzeug und begann sie dann zu küssen.

»Genug!« befahl sie, »laß mich los.« Und als ihre Füße wieder die Erde berührten, fuhr sie fort, in ihren Ärger hineinlachend – und sie konnte reizend lachen: »Mit dir kann man sich ja gar nicht auf der Straße sehen lassen, du gebärdest dich wie toll, du wärest imstande, mich aufzuessen. Dafür lasse ich dich jetzt stehen und gehe allein nach Hause.«

»Bona …«

»Bitte mich nicht, was ich gebe, gebe ich freiwillig. Wenn man mich bittet, reizt mich das, nein zu sagen. Du gehst jetzt nicht mit mir, dafür will ich dir morgen ein Rendezvous geben.«

Dyonis küßte ihr die Hand. »Wo also, meine Teure, und zu welcher Zeit?«

»Um 7 Uhr abends im Jesuitengarten.«

»An welcher Stelle?«

»In der Nähe des Hügels. Adieu! Folge mir ja nicht. Ich werde sonst böse.«

Er folgte ihr wirklich nicht, aber gegen Morgen fand ihn ein Polizeimann auf einer Bank auf dem Walle sitzen. Hier hatte er die Nacht zugebracht, Stunde auf Stunde schlagen gehört und zu dem Fenster seiner Frau emporgeblickt.

»Was macht denn der Herr etwa hier?« fragte der erstaunte Wächter der Ordnung.

»Ich denke nach.«

»Worüber denkt der Herr etwa nach?«

»Über Weibertreue.«

»Nun, das verlohnt sich aber auch«, sagte der Polizeisoldat, indem er die Achseln zuckte.

»Bist du verheiratet?«

»Ob ich es bin.«

»Und dein Weib ist dir treu?«

»Ich denke, ja.«

»Wie fängst du das an?«

»Wie ich das anfange?« gab der Polizeisoldat pfiffig zur Antwort. »Wenn ich fort muß, sperre ich erst ihren Zopf in den Kasten und dann sie selbst in das Zimmer ein.«

»Ihren Zopf, wie?«

»Nun, man ist ja kein Barbar. Also ich stelle ihr hübsch einen Stuhl zu dem Kasten hin und spreche: ›Nimm Platz, meine Liebe‹, und hat sie Platz genommen, so lege ich ihren Zopf in den Kasten, schließe denselben und ziehe den Schlüssel ab, und damit sie keine bösen Gedanken hat, gebe ich ihr jederzeit ein lehrreiches Buch zu lesen.«

»Mensch, du bist ein Genie.«

»Mein Herr, ich habe bei der Artillerie gedient und mir ebendeshalb eine gebildete Frau angeschafft. Die Meine kann nicht bloß lesen und schreiben, sondern sogar addieren, subtrahieren und dividieren. Nur mit der Multiplikation will es nicht recht gehen.«

 

Bei ihrem Lever erhielt Bona eine Karte ihres Mannes mit den Worten: »Wie geht es dir?« und ein Bukett.

Das Bukett hätte sie zum Fenster hinausgeworfen, wenn es ihr der Prinz oder der Präsident oder sonst einer ihrer vornehmen Anbeter gesendet hätte, so aber preßte sie es an die Lippen und stellte es auf den Nachttisch zu ihrem Bette hin, dem Bedienten ihres Mannes aber, der es gebracht hatte, gab sie eine Banknote von fünf Gulden als Trinkgeld.

Abends zur bestimmten Stunde erschien sie in einem Kleide, so zart wie weißer Blütenduft, üppig, einer weißen Rose gleich, die eben ihre Hüllen gesprengt hat, in dem Jesuitengarten, Dyonis von weitem schon zulächelnd, und nun saßen sie in der Abenddunkelheit auf dem kleinen Hügel im Grase, nicht anders als wie ein Gymnasiast mit seinem Mädchen, und sie fütterte ihn mit Backwerk und kandiertem Obst, und als sie nichts mehr hatte, steckte sie ihm scherzend ihre kleinen Finger in den Mund, die noch süßer waren als alles Zuckerwerk.

Mit einem Male stand sie auf und sagte schalkhaft:

»Wir wollen fort.«

»Schon fort?«

»Gewiß, denn – ich will mir deine Wohnung ansehen.«

»Oh! Du entzückendes Weibchen!« rief Dyonis und küßte sie auf den vollen Arm, der aus dem durchsichtigen Stoffe so verlockend hervorschimmerte.

In seiner Wohnung nahm sie sich nicht einmal Zeit, Hut und Handschuhe abzulegen, sondern trippelte aus einem Zimmer in das andere, alles neugierig besehend. »Sieh! Was für hübsche Sachen!« frohlockte sie. »Du mußt mir etwas davon schenken, Dyonis.«

»Alles, Bona«, erwiderte dieser in seiner Glückseligkeit, »alles ist dein.«

»Ich werde mir nur eine Kleinigkeit wählen, ja?« sprach sie, nahm bald dies, bald jenes in die Hand und entschied sich zuletzt für eine niedliche Vase aus Alabaster.

»Aber ich will jeden Tag ein ganz kleines Bukett von dir haben«, rief sie, »das werde ich hineinstellen.«

Dyonis deckte nun selbst den Tisch vor dem Kanapee und stellte allerhand Delikatessen auf denselben. Bona gab ihm ihren Hut und ihre Handschuhe, warf ihre Mantille ab, setzte sich und begann zu kosten. Sie fand alles vortrefflich, nötigte ihn, sich zu ihr zu setzen, und fütterte ihn mit ihrer Gabel. Dann rückte sie zurück an die Lehne, sah ihn an und rief: »Aber du kniest nicht mehr vor mir, ich will dich zu meinen Füßen sehen.«

Schon lag er vor ihr und preßte seine Lippen auf ihren durchbrochenen Strumpf, sie indes küßte ihn auf die Stirne, die Augen, nahm dann seinen Kopf empor und küßte ihn auf den vollen schönen Mund, dann warf sie sich zurück in die Polster und winkte ihm mit den halbgeschlossenen Augen.

Ehe sie fortging, versprach sie, am nächsten Abend wiederzukommen. »Wenn ich noch lebe«, fügte sie lachend hinzu, wurde plötzlich ernsthaft, zog langsam den einen Handschuh an, dann den andern, und sprach endlich leise mit niedergeschlagenen Augen: »Ich muß dir etwas sagen … ich … ich habe dich lieb … Mann!« Als er sie aber entzückt an sich ziehen wollte, entschlüpfte sie ihm und flog über die Treppe hinab, so leicht wie ein weißer Schmetterling.

Am folgenden Abend kam sie nicht.

Dyonis erwartete sie vergebens in namenloser Sehnsucht, und er hoffte, noch ihren leichten, raschen Schritt zu hören, als es schon Mitternacht vorbei war.

Er wartete geduldig auch den nächsten Tag und verließ seine Wohnung keinen Augenblick, von dem holden Gedanken festgehalten, sie werde, sie müsse kommen.

Sie kam aber nicht.

Am dritten Tage nachmittags nahm er plötzlich seinen Hut und ging in das Kaffeehaus, das er regelmäßig besuchte.

Der Marqueur, welcher ihm den Kaffee brachte, blieb vor ihm stehen, blickte einige Zeit auf seine Stiefel und sagte endlich:

»Es ist trotz allem ein entsetzliches Unglück und – sie war doch eine bezaubernde Frau.«

Bulgarin sah ihn groß an. »Von wem sprichst du denn?«

»Von Frau Bulgarin.«

»Von meiner Frau?«

»Mit Ihrer Erlaubnis, gnädiger Herr.«

»Und von welchem Unglück sprichst du?«

»Sie – Sie wissen also – etwa in keiner Weise?«

»In keiner Weise.«

»Heilige Mutter Gottes! Aber erschrecken Sie nicht zu sehr, die gnädige Frau stürzte vorgestern, etwa um diese Zeit, aus dem Wagen, die Pferde, die Bestien, wurden über die große Trommel scheu bei der Platzmusik, und sie stürzte so unglücklich, die arme Frau, daß sie auf der Stelle tot blieb.«

»Tot!«

Dyonis wurde weiß im Gesichte, so weiß wie das frische Hemd des Menschen, der vor ihm stand; er erhob sich mühsam und wankte hinaus.

»Wo wollen Sie hin?« rief der Marqueur; »man hat sie eben hinausgeführt auf den Litschakower Friedhof.«

Bulgarin stürzte hinaus, ohne Hut, mit wirrem Haar, warf sich in den ersten Wagen, den er traf, und hieß dem Fiaker seine Pferde zu Tode jagen, nach dem Litschakow. Als er ankam, wurde ihr Sarg eben in die Erde gesenkt; er stieß die Menschen auseinander, gelangte bis zu dem offenen Grabe und warf sich in dasselbe.

»Begrabt mich mit ihr!« schrie er. »Die Schatten über uns, sie ist mein, mein, mein!«

Als man ihn fortbrachte, war er ohne Bewußtsein, während sein Diener ihn zu Hause entkleidete, öffnete er die Augen, blickte starr zur Decke empor und sank dann wie tot in die Polster.

Der Prinz sendete ihm seinen Leibarzt. Der Präsident kam unter dem Schutze der Dunkelheit an sein Bett und sprach ihm Trost zu in seiner trockenen, aber imposanten Weise.

Als er am folgenden Tage zu sich kam, warf er sich aus dem Bette auf den Boden nieder und schrie und weinte, während sein Diener in seiner Seelenangst laut zu beten begann.

Dann schlief er eine Nacht, und am nächsten Morgen stand er bleich, aber ruhig auf, kleidete sich mit der größten Sorgfalt an und schrieb an den Präsidenten. Es waren nur wenige Worte, die er auf das Papier warf:

»Exzellenz! Es ist vorüber. Auch dies ist vorüber. Nun gehöre ich ganz Ihnen. Befehlen Sie über Ihren untertänigen Diener.

Bulgarin.«

Jener Dyonis Bulgarin, welcher am nächsten Tage vor dem Präsidenten erschien, um dessen Aufträge entgegenzunehmen, und fortan einen wahren Feuereifer im Dienste der Polizei entwickelte, dessen Name bald, gleich einem Zauberspruch, genügen sollte, jedes Geheimnis zu erschließen, war ein ganz anderer als der lustige Offizier von Mazuchelli, der wilde Spieler im Hause Gans Nelkendufts, der stürmische Anbeter jener Frau – dieser war unter den Schollen begraben worden, die auf Bonas Sarg fielen.

Bulgarin, der Polizeiagent, war ein feiner, eleganter Mann von aalglattem Wesen, aber dabei kalt und spröde wie Eis, verschlossen, unzugänglich; er hatte kein Herz, keine Sinne und keine Nerven. Es gab nichts in der Welt, was imstande gewesen wäre, ihn zu rühren, zu verführen oder zu bestechen.

Der Präsident war Menschenkenner genug, um diese Veränderung sofort zu bemerken, er baute nicht geringe Hoffnungen auf sie, aber verstand dieselben vollständig zu verbergen.

Es währte mehr als ein Jahr, in welchem er Bulgarin unablässig mit seinem scharfen Auge, das durch Mauern und Rippen zu dringen schien, verfolgte und beobachtete. Endlich hatte er die Überzeugung gewonnen, daß sich in dieser Veränderung nicht etwa eine vorübergehende Stimmung, sondern eine wirkliche Lebenskrisis ausgeprägt hatte, und er zögerte nicht länger, diesen reichbegabten Menschen, der genau so leidenschaftslos und frei von allen gefährlichen Beziehungen war, wie er ihn nötig hatte, sein Vertrauen in einem Maße zuzuwenden wie keinem zweiten.

»Mein lieber Bulgarin«, sagte er ihm eines Abends, »Sie haben uns seit drei Jahren so bedeutende Dienste geleistet, ja meine Erwartungen zum Teil so weit übertroffen, daß ich keinen Anstand nehme, Sie heute noch in die eigentlichen Mysterien unserer Polizei einzuweihen. Sie selbst kennen jetzt unsere Karten genügend, um zu wissen, daß es ein in mehr als einer Beziehung sehr gewagtes Hasardspiel ist, das wir spielen, ein Spiel, bei dem eine unsichtbare Macht, die man den Zufall oder auch zuweilen das Glück nennt, ungleich entscheidender eingreift als unsere Einsicht oder unsere Berechnung.

Die Macht der Polizei besteht nur in der Einbildung der blinden Menge und in der Furcht der Demagogen, welche beide dieselbe hoch überschätzen. Diese scheinbar so große, allumfassende und geheimnisvolle Macht, welche etwas von der Allmacht Gottes geborgt zu haben scheint, ist eigentlich eine sehr geringe und verächtliche. Nicht durch sich selbst ist die Polizei imstande, ihre oft überraschenden Entdeckungen zu machen, sich an die Fersen des Verbrechers zu heften, wie eine Erinnye die Verschwörer in ihren verborgensten Asylen gleichsam unsichtbar zu umschweben; sie wird zu dieser mysteriösen, rätselhaften Gewalt, als die man sie in Europa achtet und fürchtet, durch die Demoralisation der Bevölkerung selbst. Die niedrigsten Leidenschaften, Rache, Neid, Haß, Eigennutz, Wollust, Verrat, Furcht und Habgier, wirken zusammen, um ihr unerhörte Triumphe zu bereiten. Da Sie selbst eine Ausnahme bilden, kann ich es, ohne Sie zu beleidigen, aussprechen, daß die geheimen, besoldeten Agenten der Polizei in der Regel die schlechtesten Dienste leisten. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich zu diesem von den Aposteln der Freiheit und den Feinden der Ordnung gleichmäßig gebrandmarkten, von der Menge verachteten und gehaßten Berufe meist nur solche Individuen hergeben, welche in der öffentlichen Meinung gesunken, von der Gesellschaft ausgestoßen, ja ihrer Ehre verlustig sind.«

Bulgarin zuckte doch ein wenig zusammen, aber der Präsident schien es nicht zu bemerken und fuhr mit seiner ehernen, niemals wechselnden Jupiterstimme ruhig fort:

»Diese Menschen greifen zu dem Amte eines Polizeiagenten nicht aus Liebe zur Sache, nicht in dem Gefühle, der Gesellschaft und dem Staate wichtige Dienste zu leisten, sondern aus Verzweiflung an sich selbst und aus Haß gegen die übrige Menschheit. Es ist gewöhnlich der einzige Weg, der ihnen noch übrigbleibt, den sie ergreifen. Wie sollen diese Individuen, welche gleichsam ein unsichtbares und doch für jeden wahrnehmbares Brandmal auf der Stirne tragen, die jeder kennt, denen jeder ausweicht, der Sicherheit und Ordnung Dienste leisten, besonders wo es sich um politische Umtriebe handelt? Denn die Demagogen sind in der Regel nur Verbrecher dem Staate gegenüber, in der bürgerlichen Gesellschaft aber sehr anständige und geachtete Leute. Gute Dienste leistet uns da meist nur die Bevölkerung selbst, der beste Polizeiagent bleibt aber jederzeit der Zufall, ihm danken wir, sobald wir nur das Talent besitzen zu kombinieren, aus kleinen, oft verächtlichen Anzeichen auf die zugrunde liegenden wichtigen Tatsachen zu schließen, unsere überraschendsten Triumphe. Als der gegenwärtige Polizeidirektor die Leitung der galizischen Polizei übernahm, war das Amt selbst in einem desolaten Zustande, die Leistungen desselben äußerst bescheiden. In der Hauptstadt selbst nahmen die einfachen Diebstähle, die Einbruchsdiebstähle unglaublich überhand, auf offener Straße fanden Raubüberfälle statt, wurde geplündert und gemordet. Er begann damit, das Amt selbst von allen unfähigen und bestechlichen Elementen zu reinigen, neue Kräfte an sich zu ziehen, eine brauchbare Polizeiwache zu organisieren. Dann ließ er eine genaue Statistik der gefährlichen Individuen anlegen. Dieselbe konnte natürlich nur allmählich entstehen. Sobald ein Mensch infolge irgendeines Vergehens arretiert wird oder nur mit der Polizei in Berührung kommt, wird ein sogenannter Auskunftsbogen auf Grund seiner eigenen und anderer über ihn vorliegenden Aussagen ausgefüllt. Diese Bogen werden nach der Gattung der strafbaren Handlungen und innerhalb dieser Rubrik nach dem Alphabet geordnet. Sooft er wieder vor der Polizei erscheint, werden neue Daten hinzugefügt, und auf diese Weise ist es jetzt schon gelungen, alle jene, welche aus dem Verbrechen eine Art Profession machen, genau zu kennen. Als bei der Ankunft des Prinzen ein großes Volksfest und andere öffentliche Belustigungen stattfanden, sprach Se. Hoheit bei der Tafel dem Polizeidirektor dafür ihr Lob aus, daß, wie man ihm gemeldet hatte, trotz der Ansammlung so vieler Menschen nicht ein einziger Diebstahl vorgekommen sei.

›Es ist sehr leicht zu verhüten, daß gestohlen wird‹, sagte spöttisch der kommandierende General, ›wenn man die Diebe alle einsperrt.‹

›Ist das wirklich geschehen?‹ fragte der Prinz.

Der Polizeidirektor bejahte in einiger Verlegenheit.

›Die Diebe einsperren, wenn man sie kennt, ist allerdings leicht‹, wendete sich der Prinz hierauf lächelnd zu dem General, ›aber das Schwierige, Exzellenz, ist, sie alle zu kennen, und das ist das größte Verdienst unseres Herrn Polizeidirektors.‹

Diese genaue Kenntnis der gefährlichen Klassen der Bevölkerung in Verbindung mit dem Eifer einiger aus der Mitte derselben rekrutierten Agenten und der geschickten Benutzung des Zufalls hat unsere Hauptstadt in kurzer Zeit zu einer der sichersten des Kontinents gemacht. Wir haben hier einen trefflichen Beamten, der sogar die Toilette eines jeden Gauners genau kennt. Er begegnet allenfalls einem bekannten Individuum dieser Sorte auf der Straße und bemerkt sofort an demselben eine neue Weste. ›Ei, mein Freund‹, beginnt er, ›was du da für eine hübsche Weste hast, wo hast du denn dieselbe etwa gestohlen?‹ Der Gauner wird verlegen, gebraucht Ausreden. Es hilft ihm nichts, er muß mit auf die Polizei, und eine Stunde später hat er bereits gestanden, daß die Weste von einem Einbruchsdiebstahl herrührt, den er bei dem Pfarrer in Tschischki verübt hat. Oder unser Beamter steht mitten in der Redoute und sieht vier maskierten Frauen zu, welche Mazur tanzen.

›Wären Sie imstande‹, sagte der Adjutant des Prinzen zu ihm, ›diese vier weiblichen Masken zu erkennen? Wenn Sie wirklich so viel Personenkenntnis und einen solchen Scharfblick besitzen, wie man Ihnen nachrühmt, müßte Ihnen dies keine Schwierigkeiten bieten.‹

›Oh! Gewiß nicht‹, lächelt der Polizeibeamte, ›sobald diese Damen meinem Ressort angehören.‹ Er beruft sie hierauf in das Inspektionszimmer, nennt einer jeden ihren Namen und heißt sie dann sich demaskieren, und – er hatte sich bei keiner geirrt.

Noch ein interessanter Fall. Bei einer reichen jüdischen Familie wird ein kostbarer alter Familienschmuck gestohlen. Alle Nachforschungen der Polizei sind vergeblich. Das einzige, was sich vorfindet, bei der Besichtigung der Wohnung nämlich, ist ein Stückchen Zeug, das an einem Nagel der Türe hängt. Ein jüdischer Revisor, der uns schon wichtige Dienste geleistet hat, nimmt das Stückchen an sich, die anderen lachen ihn aus, er aber meint: Wer weiß, wozu es gut ist.

Einige Monate später wird in einem liederlichen Hause eine Durchsuchung gehalten, in dem Koffer einer Dirne findet sich ein Kleid, das unserem Revisor auffällt, er besieht es genau, findet ein Loch in demselben, zieht das aufbewahrte Stückchen Zeug hervor, und, es ist kein Zweifel, es zeigt sich, daß dasselbe genau in das Kleid paßt. Der Revisor verhaftet das Mädchen, hält ihr die Umstände vor, und sie, durch das Zusammentreffen derselben überwiesen und verwirrt, gesteht, jenen Schmuck gestohlen zu haben.

Ähnliche Beispiele könnte ich Ihnen zu Hunderten geben; sie beweisen, daß die Polizei mit einigem Eifer und Geschick für die öffentliche Sicherheit geradezu Überraschendes leisten kann.

Ganz anders ist es aber auf dem politischen Gebiete. Hier ist von dem Polizeiagenten viel mehr Verderbliches als Gutes zu erwarten. Daß es ihm gelingt, intim in jenen Kreisen zu verkehren, in denen die großen Bewegungen vorbereitet werden, ist für gewöhnlich nicht anzunehmen, seine Tätigkeit beschränkt sich also darauf, in Kaffeehäusern, Wirtsstuben und an anderen öffentlichen Orten mehr oder minder freie und verfängliche Äußerungen aufzufangen. Diese Äußerungen können nun allerdings dazu dienen, die Stimmung der Bevölkerung zu charakterisieren, sobald man sie aber zu Angelpunkten des polizeilichen Vorgehens gegen die betreffenden einzelnen Individuen macht, was leider meist geschieht, so stiftet das mehr Schaden als Nutzen, denn zunächst sind Menschen, die ihre Unzufriedenheit öffentlich laut werden lassen, niemals gefährliche Menschen, am wenigsten aber Demagogen oder Verschwörer – diese wissen im Gegenteil jede nur mögliche Vorsicht zu gebrauchen –, dann kommt man aber zu dem gefährlichen System der Verdächtigungen und Polizeiüberwachungen, das wohl geeignet ist, die besseren Klassen der Bevölkerung in Unruhe und Unzufriedenheit zu versetzen und die Kräfte der Polizei in Anspruch zu nehmen, ja für größere Zwecke förmlich lahmzulegen, aber noch niemals den Erfolg gehabt hat, eine Verschwörung zu vereiteln oder eine Revolution zu verhüten.

Wie schwer ist es nur, einen einzigen Menschen zu überwachen, seinen Schritten zu folgen, und nun haben wir infolge dieses unglücklichen Systems an jedem Orte Hunderte politisch Verdächtiger, die unter Polizeiaufsicht stehen. Wie soll man dieselben überwachen? Alles bleibt auf dem Papier und dient nur dazu, den Unzufriedenen neue Elemente zuzuführen.

Ebenso ist es mit dem Paßwesen. Dasselbe soll die Mittel dazu liefern, flüchtige Verbrecher, Glücksritter, Abenteurer und vor allem Emissäre der revolutionären Propaganda schnell zu entdecken. Nun sind aber Gauner und noch viel mehr Revolutionsagenten stets mit den besten Dokumenten versehen, und es bleibt von der ganzen Maßregel nichts übrig als die Hemmungen des Verkehrs und Belästigung der anständigen und friedlichen Bürger.

Alle diese Erwägungen, mein lieber Bulgarin, haben mich bestimmt, für das politische Gebiet ganz neue Bahnen einzuschlagen. Ich habe mir dabei die Franzosen zum Muster genommen. Meine Bemühungen gingen dahin, neben der von der Regierung bestellten und besoldeten Polizei eine zweite, von dieser vollkommen unabhängige und der Bevölkerung daher unbekannte Polizei zu begründen, wobei ich einen zweifachen Weg einschlug. Vorerst gewann ich eine kleine Anzahl von Agenten, welche nur mit mir verkehren, daher in keiner Weise kompromittiert und nicht so bald abgenützt werden können, und welche eine Stellung in einem oder dem andern Kreise der Gesellschaft einnehmen und deshalb in die Lage kommen, wirklich ersprießliche Dienste zu leisten. Zu diesen eigentlichen Organen treten bald andere hinzu, welche ich die Volontärs der Polizei nennen möchte, Personen, welche nach Umständen, regelmäßig, von Zeit zu Zeit oder in einem bestimmten Falle Mitteilungen an mich gelangen lassen, Personen, welche die höchste Achtung genießen, Einfluß besitzen, sich in den angenehmsten Lebensverhältnissen bewegen, aber durch Haß, Neid, Rache, Eigennutz, ja oft nur durch Langeweile oder die Absicht, eine Rolle zu spielen, verführt werden, sich zu Werkzeugen der Polizei zu machen. Diese müssen vor allem geschont, niemals ihren Opfern als Zeugen gegenübergestellt oder mit denselben zu irgendeinem Zwecke in Berührung gebracht werden, weil ein einziger Fall, in welchem man die Diskretion verletzt, leicht tausend andere Personen abschreckt, die uns sonst als freiwillige Spione ausgezeichnete Dienste geleistet hätten. Ich werde Sie jetzt mit einigen meiner besoldeten Agenten in Verbindung bringen, mein lieber Bulgarin, damit Sie sich bei wichtigen Aufgaben mit denselben ins Einvernehmen setzen und vereint wirken können. Acht Augen sehen jederzeit mehr als zwei. Sie werden vor allem Frau Kleszowska kennenlernen.«

»Dieselbe, an die ich meine Berichte sandte?« wagte Bulgarin den Präsidenten zu unterbrechen.

»Dieselbe«, lächelte dieser, »aber panzern Sie Ihr Herz – es ist eine höchst gefährliche Frau von wahrhaft bestrickendem Reiz.«

Bulgarin schüttelte den Kopf und lächelte wehmütig. »Auf meinem Herzen liegt eine Scholle Erde, Exzellenz«, sprach er, »und sie liegt auf demselben wie ein Sarkophag über einem Toten. Ich habe nichts mehr zu fürchten.«

»Um so besser«, versetzte der Präsident, »nun hören Sie aber. Sie sollen heute das ganze Arsenal meiner Waffen kennenlernen. Diese Agenten, welche mir die Schlingen weiblicher Schönheit und Koketterie, die vertrautesten Beziehungen des Familienlebens, ja sogar den Beichtstuhl zur Verfügung stellen, sind noch lange nicht die wichtigsten Maschen des Netzes, das ich um die Bevölkerung der Hauptstadt und des Königreichs gelegt habe. Das Beste verdanke ich dem sogenannten schwarzen Kabinett, das ich nach dem Muster der Pariser eingerichtet habe und dem jenes der Polizeihofstelle in Wien weit nachsteht.«

»Es ist also richtig, Exzellenz«, fragte Bulgarin überrascht, »was man hie und da behaupten hört, daß alle Briefe, ehe sie abgehen, geöffnet und gelesen werden?«

»Nicht alle«, erwiderte der Präsident, »das wäre ebenso unmöglich, als alle Menschen unter Polizeiaufsicht zu stellen, aber alle Briefe von oder an Personen, die in irgendeiner Beziehung wichtig oder interessant sind, vor allem aber alle Korrespondenzen politisch verdächtiger Individuen werden in der Tat gelesen.«

»Ein Verfahren, das ich für zweckentsprechend halte«, versetzte Bulgarin, »das aber doch gewisse Fesseln auferlegt.«

»Ganz richtig«, sagte der Präsident, »die Briefe müssen als unsere vertrautesten Agenten respektiert werden, nie und niemals darf ein im schwarzen Kabinett geöffneter und gelesener Brief, sei es in seinem vollen Inhalte noch als Dokument, sei es nur in bezug auf einzelne in demselben berührte Faktoren als Beweismittel benutzt werden, aber schon der Einblick, den uns diese Briefe in die öffentliche Meinung der Bevölkerung sowie in die Seele, die Gesinnungen, Absichten und Handlungen bestimmter Personen gewähren, ist unschätzbar. Das ist indes nicht der einzige Vorteil. Der Inhalt der im schwarzen Kabinett gelesenen Briefe gibt der Polizei die kostbarsten Fingerzeige, wohin sie ihre Aufmerksamkeit zu lenken hat, er bezeichnet ihr die Tatsache, welche sie zu erforschen, die Personen, deren Spur sie unermüdlich zu folgen hat. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Nehmen wir an, eine Dame auf dem Lande schreibt an ihre Freundin in Lemberg einen Brief, der von Anklagen gegen die Regierung und von patriotischen Ergüssen wimmelt, so wäre es ein unverzeihlicher Fehler, gegen diese beiden Damen vorzugehen. Man begnügt sich, ihre Namen zu notieren und der polizeilichen Statistik am geeigneten Orte einzuverleiben. Eines Tages trifft nun vielleicht die Meldung ein, daß in jener Gegend, in der die erstere Dame auf ihrem Gute lebt, sich ein Sendling der Emigration hat blicken lassen. Nun wird man keinen Fehlgriff machen, wenn man bei der Patriotin eine Haussuchung vornimmt, und wenn es gelingt, sie mit dieser zu überraschen, und man des Emissärs wirklich in ihrem Edelhofe habhaft wird, so hat man dies jenem Brief zu verdanken. Verstehen Sie?«

»Vollkommen.«

»Ich werde Sie jetzt gleich in unserm schwarzen Kabinett einführen«, fuhr der Präsident fort, »ich habe dasselbe, um es vor Entdeckung besser zu schützen, nicht in die Polizeidirektion und noch weniger im Gubernium, sondern in einem Privathause, das an das Postgebäude rückwärts anstößt, eingerichtet, in der Wohnung einer jungen Dame, welche als meine Mätresse gilt, in der Tat aber nur von mir erzogen und mit Wohltaten überhäuft wurde, mir daher blind ergeben ist.«

»Fräulein Makowska?«

Der Präsident nickte. »Ich habe die Absicht, lieber Bulgarin, Sie von nun an auch im schwarzen Kabinett zu beschäftigen, Sie haben dies als einen besonderen Beweis meines Vertrauens und meiner Gunst anzusehen.«

Der Polizeiagent verneigte sich wie ein Muselman vor seinem Großherrn.

»Können Sie Chiffren leicht enträtseln?«

»Ich habe in dieser Richtung einiges in Paris gelernt, aber bis jetzt fehlte es mir an Übung.«

»Sie werden fortan Gelegenheit dazu haben«, fuhr der Präsident fort, »ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß bei uns keine Depeschen fremder Gesandten im schwarzen Kabinett zur Behandlung kommen, wie dies in Wien der Fall ist, aber dennoch sind chiffrierte Briefe nicht so selten und konnten bis jetzt nur wenig benutzt werden, da uns allen die Routine abgeht und die Zeit bis zum Abgang der Post oft sehr kurz bemessen ist. Diese Briefe rühren zum Teil von Agenten her, welche die russische, preußische und französische Regierung hier unterhalten. Manche mögen auch von Emissären abgeschickt werden, die diese Form wählen, um der Pariser Revolutionsregierung Bericht zu erstatten. Nun, Sie werden sich ja bald hineinfinden. Also, gehen wir.«

Der Präsident nahm seinen Hut und Stock und ging voran. Bulgarin folgte ihm in einer Entfernung von mehreren Schritten. So gingen sie durch mehrere Straßen. Vor einem kleinen, verwahrlosten Hause blieb der Präsident stehen, überzeugte sich, daß niemand in der Nähe war, klopfte leise, aber energisch an ein erleuchtetes Fenster zu ebener Erde, und als die Türe, wie von Geisterhand erschlossen, aufsprang, winkte er seinem Vertrauten, ihm zu folgen, und trat ein. Die Türe fiel hinter ihnen in das Schloß, während aus einer anderen, von einem grellen Lichtstrahl übergossen, ein junges, schönes Mädchen von etwa siebzehn Jahren, weiß gekleidet, mit offenen Locken hervortrat, dem Präsidenten die Hand küßte, eine kleine Lampe ergriff, welche im Vorhause in einer Nische stand, und, in keuscher Demut voranschwebend, die Treppe emporleuchtete.

Der Präsident verabschiedete sich, im ersten Stockwerk angelangt, mit einem väterlichen Kopfnicken, das so freundlich war, als es diesem ehernen, unbeweglichen Antlitz nur gelingen wollte, und führte seinen Vertrauten durch einen kleinen Korridor in ein großes Zimmer, das in keiner Weise dem düstern Namen entsprach, den es trug. Die hell tapezierten Wände desselben nahmen große Kästen von lichtem Holze ein, von denen ein jeder in eine Anzahl kleiner Fächer abgeteilt war. In der Mitte standen vier massive Tische, auf jedem derselben ein Armleuchter mit vier brennenden Kerzen, welche den ganzen Raum freundlich, ja glänzend erleuchteten. An dreien dieser Tische waren Bulgarin vollkommen unbekannte Menschen damit beschäftigt, Stöße von Briefen durchzusuchen. Alle grüßten den Präsidenten stumm und respektvoll, ohne sich aber weiter in ihrer Arbeit zu unterbrechen.

Bulgarins Blick schweifte neugierig umher, er sah, daß die Fenster durch hölzerne Läden fest verschlossen waren, er bemerkte, daß dicke Teppiche den Schritt dämpften, er sah auf den Tischen fremdartige Instrumente.

Einer der im schwarzen Kabinett Beschäftigten legte auf den vierten Tisch eine Reihe von Briefen, die er herausgesucht hatte, und der Präsident nahm an demselben Platz, um sie durchzusehen. Er ließ vor Bulgarins Augen einen Brief nach dem anderen öffnen. »Hier ist ein Schreiben des römisch-katholischen Erzbischofs an den Papst«, begann er, ihm die Briefe reichend, »hier ein zweites von der Fürstin Sanguschko an die Fürstin Czartoryska in Paris, hier eines von unserem Polizeidirektor.«

»Gehört auch dieser zu den verdächtigen Menschen?« bemerkte Bulgarin mit feiner Ironie.

»So wenig wie Sie selbst«, erwiderte der Präsident mit einem seltsamen Lächeln, »aber es schadet nicht, wenn man auch seine Freunde ein wenig kontrolliert. Auch Ihre Briefe, mein lieber Bulgarin, haben das schwarze Kabinett passiert, und ich würde Ihnen nicht so schnell mein ganzes Vertrauen geschenkt haben, wenn ich nicht seit drei Jahren Ihre Korrespondenz mit Ihrer Mutter verfolgt hätte. Und deshalb weiß ich auch, daß Ihr Herz noch nicht so ganz tot ist, wie Sie glauben.«

Bulgarin errötete und schwieg. Der Präsident zeigte ihm ein großes Kuvert. »Kennen Sie diese Schrift?«

»Dieser Brief ist vom Prinzen.«

Der Präsident nickte.

»Wird auch dieser eröffnet?«

»Gewiß. Auch Seine Hoheit muß es sich gefallen lassen, daß ich sie kontrolliere, und dies um so mehr, als Seine Hoheit nicht zu den ganz ungefährlichen Menschen gehört. Ein Teil der polnischen Aristokratie, insbesondere eine gewisse hohe und schöne Dame, hat es so gut verstanden, das fromme Gemüt des Prinzen zu umstricken, daß hier Vorsicht sehr am Platze ist.«

»Ich bewundere Sie, Exzellenz.«

»Ist auch ganz in Ordnung.«

Der Jupiterkopf vertiefte sich in die Briefschaften, welche vor ihm lagen, und Bulgarin bemächtigte sich rasch einiger Briefe und machte, seine ersten schülerhaften Versuche an dem Liebesbriefe einer polnischen Schauspielerin und dem Mahnschreiben eines jüdischen Kaufmanns an einen Offizier in Rzeszow.

Als er mit dem Präsidenten das kleine Haus verließ, flog noch einmal das hübsche Mädchen herbei, mit ihren weiten weißen Ärmeln wie mit Engelsflügeln flatternd, und diesmal schlich leise ein Lächeln über das eherne Antlitz des Präsidenten, und seine welken Lippen berührten ihre reine Stirn, da fiel die Türe hinter den beiden in das Schloß.

Also doch seine Mätresse, dachte Bulgarin, und als ob der Mann mit dem alles durchdringenden Blicke den Gedanken auf seiner Stirne gelesen hätte, wandte er sich rasch zu ihm und sprach, ihm gleichsam Antwort gebend:

»Nein, meine Tochter.«

 

Gewohnt, den Anforderungen des Präsidenten mit einer Schnelligkeit, die nicht selten dessen Erstaunen erregte, Folge zu leisten, machte Bulgarin bereits am nächsten Morgen Frau Kleszowska seinen Besuch und lernte noch an demselben Morgen den Jesuitenpater Mudrzyna und den Juden Ascher Kornfeld kennen, welche gleichfalls im Dienste des mächtigen Mannes standen.

Zu der reizenden Frau, welche der Präsident, der klassische Anspielungen liebte, seine Circe nannte, kam Bulgarin zu einer Stunde, zu der sonst Damen die Besuche von Herren nicht zu empfangen pflegen, wurde aber trotzdem nicht allein vorgelassen, sondern mit einer ungeheuchelten, freudigen Zuvorkommenheit empfangen. Er fand in Frau Kleszowska, welche ihm die schöne, volle Hand reichte und ihn, während er dieselbe küßte, zu sich auf einen türkischen Diwan zog, eine kleine Frau von höchstens fünfundzwanzig Jahren und einer wollustatmenden Fülle, welche die zarten Hüllen von Musselin zu sprengen drohte. Sie hatte das hübscheste und frischeste runde Gesicht, das er je gesehen hatte, mit aufgeworfenen köstlichen Lippen, jenem kecken Näschen, das die Franzosen nach der russischen Favorite Sultan Solimans nez à la Roxelane benannt haben, große, schmachtende dunkle Augen und reiches Haar von gleicher Farbe. Sie sprach lebhaft und zeigte sogar Geist.

Von ihrem Manne, einem Gutsbesitzer im Wadaritzer Kreise, seit mehreren Jahren getrennt, hatte es Frau Kleszowska verstanden, sich die vorteilhafteste Position, welche die geschiedene Frau in der polnischen Gesellschaft einnimmt, auf das beste zu Nutzen zu machen. Sie genoß ihre Freiheit mit genau so viel Maß und Klugheit, als nötig war, um ihre Stellung in der Gesellschaft zu behaupten. Sie besaß Vermögen, war mit dem ganzen polnischen Adel auf irgendeine Weise, wenn auch nur von Noahs oder gar von Adams Zeiten her, verwandt, verkehrte in den Salons der Lemberger Magnaten und war Protektorin des Besserungsvereins für gefallene Mädchen.

»Und was hat Sie bestimmen können, gnädige Frau«, sagte Bulgarin, nachdem er ihr fast eine Stunde den Hof gemacht hatte, »mit der Polizei in Beziehung zu treten? Sie haben es doch in keiner Weise nötig?«

»Oh! Über die klugen Männer!« spottete die reizende Circe. »Ihr seid alle Philosophen oder Poeten und dabei doch Toren. Wann hat ein Weib sich durch das bestimmen lassen, was nötig ist? Ich könnte sagen, ich diene der Polizei, weil es mir Vergnügen macht, aber nein, das wäre nicht die volle Wahrheit. Weshalb geht Ihr Männer auf die Jagd? Weshalb klopft Euer Herz vor Lust, wenn Ihr mit Euren Windhunden einen Hasen hetzt, und es bleibt doch immer nur ein armes, furchtsames Tier, das Ihr gefangennehmt. Nun, ich befriedige meine Jagdlust als Agentin der Polizei und vielleicht mehr als irgendein Jäger, denn mein Wild sind Menschen. Ich freue mich darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Herr Bulgarin, wir werden manchen kecken Coup ausführen, denke ich, aber wir müssen uns vorher näher kennenlernen – was Sie für ein hübscher Mann sind! Kommen Sie also heute nach dem Theater zu mir zum Tee. Ja?«

Bulgarin küßte dankbar Circes Hand und verließ sie mit dem frohen Bewußtsein, zu gleicher Zeit das hübscheste Weib für sich und das unbezahlbarste Werkzeug für seine Pläne gefunden zu haben.

Eine ganz andere Menschenart fand Bulgarin in dem Juden Ascher Kornfeld, den er in einem steilen Hause der Judenstadt, in einem engen, finstern Gelaß, mit einem von Sommersprossen förmlich tätowierten rothaarigen Weibe, sechs kleinen Kindern und ebensoviel Hühnern, in einer von Staub und Flocken erfüllten Luft, damit beschäftigt traf, einen alten Diwan neu zu überziehen.

»Womit kann ich dem Herrn Wohltäter dienen?« fragte der Jude mit einem durchdringenden Blick seiner schwarzen Augen und rückte ganz wenig seine Jarmurka.

Bulgarin sprach kein Wort, sondern übergab ihm eine Karte des Präsidenten. Nachdem der Jude die eng beschriebene Rückseite gelesen und wieder gelesen hatte, nickte er mit dem Kopfe, wühlte in seinem langen geteilten Mosesbarte herum, blickte von der Seite auf seine Kinder und gab dann schweigend die Karte zurück. Ohne eine Bemerkung zu machen, zog er seinen grünen Merinokaftan an, setzte seinen schwarzen Castorhut mit der breiten Krempe auf und sagte dann erst zu seiner Frau: »Ich habe ein Geschäft mit dem Herrn.« Die Kinder hingen sich an ihn und küßten ihm die Hände. Er lächelte zufrieden, und mit diesem Lächeln stieg er die Treppe hinab und ging schweigend mit Bulgarin durch die schmutzigen Straßen dem Sandberg zu. Erst hier, wo er sicher war, von niemandem gehört zu werden, wendete er sich zu Bulgarin und sprach: »Mein Weib und meine Kinder dürfen nichts wissen von dem, was ich tue; deshalb habe ich Sie müssen bemühen so weit. Jetzt stehe ich zu Diensten.«

»Ich habe heute nur den einen Zweck, Sie kennenzulernen, Ascher Kornfeld«, erwiderte Bulgarin.

Der Jude sah ihn überrascht, fast ärgerlich an. »Hätten Sie das gesagt früher, hätten wir nicht gebraucht zu gehen so weit. Jetzt kennen Sie mich also.«

»Sie verstehen mich nicht«, versetzte Bulgarin, »es genügt mir nicht, zu wissen, ob Sie einen schwarzen oder roten Bart haben, ob Sie in der Woche einen grünen oder grauen Kaftan von Merino und am Schabbes einen Seidentalar tragen, ich will Ihnen selbst besser vertraut werden.«

»Wie kann ein Herr, ein Christ vertraut werden mit einem Juden?«

»Kein Wortgefecht nach der Art des Talmud, mein Freund, sondern steht mir ehrlich Rede.«

»Fragen Sie, ich werde antworten.«

»Wie kam es, Ascher Kornfeld, daß Sie Polizeiagent geworden sind?«

»Müssen Sie das wissen?«

»Ich würde sonst nicht fragen.«

Ascher Kornfeld seufzte tief auf, setzte sich auf den Rasen, riß einige Grashalme ab, die er zwischen seinen starken Zähnen zermalmte, und seufzte wieder.

»Eine spaßige Geschichte«, näselte er vor sich hin, »spaßiger als ein Theater. Ich war auch einmal ein ehrlicher Mensch. Es liegt mir nichts daran, daß Sie es glauben. Ich war ehrlich, ich weiß es. Mein Vater war Tapezierer. Als der Tate starb, führte ich fort das Geschäft, nahm ein Weib und bekam Kinder. Nun – wir hatten zu leben. Fuhr der Neid in mich. Für was sollst du nicht speisen mit silbernem Löffel wie der reiche Rappaport, und soll deine Frau nicht tragen eine Stirnbinde von echte Perl wie die Frau Axamit? Hab' ich gemeint zu vergrößern mein Geschäft, hab' ich Wechsel unterschrieben, bin ich geworden bankerott. Nu, so war ich halt bankerott. Hätt' ich wieder fleißig gearbeitet, was weiter? Aber sie wollten den Ascher Kornfeld nicht lassen aufkommen.« Er pfiff einige Zeit vor sich hin.

»So bin ich geworden ein Dieb.« Der Jude schien plötzlich seine Stimme verloren zu haben, als er das sagte.

»Damals ist kein Einbruch gewesen in Lemberg«, fuhr er leise fort, »wo ich nicht war dabei. So keck ist keiner gewesen wie der Ascher Kornfeld und auch keiner so pfiffig wie der Ascher Kornfeld, aber so ein Tropf läßt sich erwischen, gesteht, und man ist drin in der Schlamaschl. Also ist der Ascher Kornfeld einmal gesessen eppes a Jahr, ist er herausgekommen, hat er wieder gestohlen und ist gesessen a halbes Jahr, ist er a zweites Mal herausgekommen, hat er, versteht sich, weiter gestohlen – was hätt' er eppes tun sollen als stehlen? Haben sie ihn gesetzt ein drittes Mal, das war drei ganze Jahr.«

Der arme Jude ließ den Kopf hängen und faltete seine Hände in stiller Ergebung zwischen den Knien. »Drei Jahr hab' ich nicht können sehen meine Kinder und auch nicht mein Weib. Bin ich nach Hause gekommen, war krank mein Weib und ist Ihnen gelegen auf verfaultem Stroh, und die Kinder haben geschrien: ›Der Tate ist da, der Tate bringt Brot!‹ Ist der Tate gegangen, hat er gestohlen a silberne Uhr und hat er gebracht a Brot. Und sie haben mich gleich wieder gehabt beim Kragen. Und wie ich komm' zum Verhör, da kommt der Herr Kommissär von der Polizei, mir zu sagen: ›Ascher Kornfeld‹, sagte er, ›wirst du dich niemals bessern? Was soll ich tun eppes mit dir?‹ Und ich, ich habe darauf gesagt: Herr Kommissär, Gnaden, hab' ich gesagt, wie soll ich, ein Mensch, der keinen Groschen hat und der vor aller Welt ist gescheut wie eine Pest, wie soll ich finden einen ehrlichen Verdienst? Geben Sie mir ein Verdienst, was nährt einen bescheidenen Mann mit Weib und Kindern, und Gott soll mich strafen, wenn ich noch rühr' an etwas, was nicht mein ist.

Der Herr Kommissär sagte kein Wort, aber stand Ihnen plötzlich da ein großer Mann mit einem Gesichte, wie gemacht aus grauem, schönen Marmorstein, und einer weißen Halsbinde wie Schnee und einem großen Stern an seinem schönen schwarzen Frack und sagt mit einer Stimme, nicht etwa laut, aber so, daß mir das Herz erzittert in der Brust: ›Ist es Ihnen Ernst mit Ihrer Besserung?‹

›Sie‹ hat er gesagt, der große Herr zu dem kleinen Juden.

Mir ist es Ernst, habe ich gesagt.

Gut. Also hat man mich geführt zurück in den Arrest, und wie ich frage den Profoß, wer ist eppes gewesen der große Herr, sagt er: ›Der Präsident ist es gewesen.‹ Und wie es finster war, hat man mich geführt in ein großes Haus, und durch viele Zimmer hat man mich geführt, und auf einmal, in einen Palast voll Glanz, ist Ihnen dagestanden Seine Exzellenz und tut winken mit der Hand. Da waren wir ganz allein, Seine Exzellenz und ich. Und da kommt der gute Herr gegangen auf mich zu und legt mir seine Hand auf die Schulter, seine eigene Hand, Gott soll ihm langes Leben schenken und Gesundheit, und sagt: ›Ascher Kornfeld‹, sagt er, ›Sie sind kein schlechter Mensch.‹ Und wie er so sagt, fang' ich an zu weinen.

›Wieviel brauchen Sie‹, fragt er dann, der Exzellenz, ›um zu leben anständig mit Ihrer Familie?‹

Ich fange an zu rechnen und rechne und sage endlich: ›Monatlich dreißig Gulden, Exzellenz, damit kann ich schon leben mit meine Leut'!‹

›Sie sollen haben vierzig‹, sagt der Herr Präsident, ›und sollen dienen ehrlich dem Staat und sollen helfen der Polizei, zu fangen die Dieb' und die Hehler von die Dieb.‹

Die Red' von dem guten Herrn ist mir gefallen auf das Herz wie ein Stein, und ich konnte lange sprechen kein Wort. Soll ich verraten meine Kameraden, dachte ich bei mir, soll ich sein so ein Schuft, und bin ich eppes ein ehrlicher Mensch, wenn ich bin ein Dieb und sie fangen mich und sperren mich ein und meine Kinder und mein Weib haben nicht, wo zu legen ihr Haupt, und haben nicht, ihren Hunger zu stillen. Und der gute Herr wartet geduldig, was ich werd' sagen. So sag ich denn: Herr, gnädigster, ich will Ihnen dienen, wie Sie befehlen, aber ich will nicht zur Polizei gehen, sondern zu Ihnen, und kein Mensch soll wissen, was ich werd' tun, als Sie selbst, und soll ich auf der Stelle tot sein und sollen sterben meine Kinder, wenn ich Ihnen nicht werd' dienen als ein treuer Mensch.

›Die erste Bedingung, Ascher Kornfeld‹, sagt der Präsident, ›ist, daß Sie selbst sich nicht mehr tun beteiligen an keinem Einbruchsdiebstahl oder ähnlichem Unternehmen und am wenigsten eppes in der Absicht, die, was waren Ihre Kameraden bisher, zu verleiten zu einer solchen Tat.‹

Gott soll es Ihnen lohnen, sag ich.

Und der Herr gibt mir auf der Stelle fünfzig Gulden als Geschenk. Bin ich Ihnen gelaufen nach Haus, als wenn mich getragen hätten zwei Engel mit große Flügel, und hab' ich gebracht zu essen den armen Kindern und meiner Frau, so krank war, und hab' gekauft eine Lampe und hab' angezündet die Lampe – denn es war Sabbatabend, Herr.« Der Jude bedeckte sein bleiches, verhärmtes Gesicht mit beiden Händen und begann zu weinen.

»Also«, sagte er nach einiger Zeit, nachdem er seine Augen mit dem weiten Ärmel seines Merinotalars getrocknet hatte, »da wissen Sie es also jetzt, wie der Ascher Kornfeld ist geworden ein Geheimer von der Polizei.«

»Der Präsident sagte mir, daß Sie sich große Verdienste um die Sicherheit der Hauptstadt erworben haben«, bemerkte Bulgarin.

»Sagt das der Herr Präsident?« entgegnete Ascher Kornfeld. »So wird es wohl wahr sein. Hab' ich getan, was ich war im Stande zu tun. Die Diebstähle sind weniger geworden.«

»Sie leisten auch viel als politischer Agent.«

»Sagt das auch der Herr Präsident? Ich habe jetzt wieder ein Geschäft, wenn ich soll sprechen die Wahrheit, und die Juden kommen wieder zu Ascher Kornfeld wie vor Zeiten. Da hört man so manches. Der ist Faktor in diesem Hause von Adel und der in jenem. Und ich komme zu tapezieren bei großen Leuten und bei kleinen Leuten und auch bei mittleren Leuten. Da hört man so manches. Sie werden haben vom Ascher Kornfeld, was Sie gebrauchen, nur bitte ich, gnädiger Herr, zu schonen meinen Namen vor meine Leut'!«

»Gewiß, aber wie kommt es, daß Sie Ihr Amt so ängstlich vor Ihrer Familie verbergen?«

»Amt? Ist das ein Amt? Aber wenn Sie es wünschen, soll es sein ein Amt. Weiß ich selbst nicht, warum es mich drückt, hab' ich mich doch nicht geschämt, zu sein ein Dieb, aber ich will nicht, daß meine Kinder wissen, daß ihr Tate ist ein Geheimer von der Polizei.«

Bulgarin verließ den armen Kornfeld ziemlich nachdenklich und gewann seine volle Laune erst dann wieder, als er über weiche Teppiche in die Zelle des Knechtes Gottes, des Jesuitenpaters Mudrzyna, trat, in der jedes Stück zu sagen, nein, laut auszurufen schien: Achtung! Hier wohnt ein Liebling der Frauen.

Da gab es einen prachtvollen Betstuhl, gespendet von der Fürstin Sapiche, ein Sofa mit drei reizenden Polstern, gestickt von den Fürstinnen Lichtenstein und Jablonowski und der Komtesse Dzieduszikzka, ein Betteppich, den die marmorweißen Hände der schönen Gräfin Rey verfertigt hatten, einen heiligen Ignatius von Loyola, in schwerem Goldrahmen, gemalt von Frau Bronikawska, ein Kruzifix aus Elfenbein, verehrt von der Heldin der polnischen Bühne, Fräulein Aschbecher – hundert andere kostbare und anmutige Gaben nicht zu erwähnen.

Pater Mudrzyna selbst war ein schlanker Mann in mittleren Jahren mit einem interessanten Gesicht, Augen, die jedes Ausdruckes fähig schienen, einem feinen Benehmen und der vornehmsten Haltung von der Welt. Er empfing Bulgarin mit einem heiligen Aloisiusgesicht, las die Karte des Präsidenten mit der Miene eines Mäzens, dem ein hungriger Künstler empfohlen wird, und bot, nachdem er dieselbe gelesen, mit der Ungeniertheit eines eleganten Lebemannes seinem Besuche einen Sitz auf dem Kanapee, eine türkische Pfeife, Zuckerwerk und vier verschiedene Liköre an.

Nach dem Theater erwartete Bulgarin Frau Kleszowska vor ihrer Haustüre und begann damit, als sie den Wagen verließ, seine Lippen weihevoll auf ihren vollen Arm zu pressen. Sie lernten sich in der Tat näher kennen und unterhielten sich dabei sehr gut. Warum auch nicht? Der Tee war gut, der Kaviar war gut, und die schöne Frau war auch – gut.

So wurde Bulgarin in der angenehmsten Weise in die Mysterien der Polizei eingeführt. Je mehr er jedoch in dieselben eindrang, um so mehr staunte er über die Verwilderung dieser Gesellschaft, die so viel von Tugend und Ehre sprach und die ihm bisher vielleicht nur deshalb so achtbar erschienen war, weil sie ihn so unbarmherzig ausgestoßen hatte.

Ascher Kornfeld wurde in seinen Augen mehr und mehr zu einem seltenen Ehrenmanne.

Da gab es kein Amt, keine Schule, kein Kloster, kein Regiment, keinen Lebenskreis, in dem nicht ein Spion mit dem süßesten Antlitz auf arme Worte lauerte, unermüdlich, wie Knaben am Feldrain auf zirpende Grillen passen. Da alle Welt Polizei war, fragte er sich bald: Wer es nicht sei? Wer sich noch rein, wer sich gesund erhalten habe in dieser von Gift und Schmutz und Ekel erfüllten Atmosphäre?

Jeder Tag rollte neue widerwärtige Bilder vor ihm auf.

Heute kam ein Schüler des Gymnasiums, der die Taschen seiner Kollegen eifrig geplündert hatte und infolgedessen aus der Klasse ausgestoßen worden war, und gab seinen Professor und seine Mitschüler an. Er beschuldigte sie allerdings himmelschreiender Verbrechen: der Professor hatte einigen eifrigen Studenten Lelewels polnische Geschichte zu lesen gegeben, während andere in der Pause zwischen zwei Lehrstunden »Noch ist Polen nicht verloren« gesungen hatten, wodurch unstreitig die Existenz des österreichischen Kaisertums sehr gefährdet war. Es folgte eine langwierige Untersuchung, welche damit endigte, daß der Professor pensioniert und fünf Studenten für immer aus der Schule ausgestoßen wurden.

Morgen denunzierte ein Lemberger Bürger seinen besten Freund, daß er Geld für die Emigranten sammele, und denunzierte ihn aus keinem anderen Grunde, als um sich bei der Polizei und womöglich noch höher hinauf einzuschmeicheln, spielte aber dabei nach wie vor in polnischen Kreisen den opferwilligen Patrioten und schrieb seinem Opfer, welches mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft schmachtete, um dann, da es an Beweisen mangelte, freigelassen zu werden, während dieser Zeit die rührendsten Briefe.

Eine Frau hatte Schulden gemacht, um in ihrer Toilette mit den Damen der Aristokratie und den reichen Jüdinnen der Stadt rivalisieren zu können, und ihr Mann war so pflichtvergessen, diese Schulden nicht zu bezahlen; was lag näher, als ihn anzuzeigen, daß er einen Emissär aufgenommen habe. Der Polizei gelang es zwar nicht, diesen zu verhaften, aber sie fand dafür Broschüren und Manifeste der »Zentralisation«, und das genügte, um dem Manne drei Jahre Kerker in schweren Ketten auf dem Spielberg und seiner Frau die Summe, die sie brauchte, zu verschaffen. Sie vergoß Tränen, als sie ihn fortführen sah, ließ sich aber in seiner Abwesenheit von einem Husaren-Rittmeister den Hof machen, und der unglückliche Mann ahnte nicht, daß dieselbe Hand, die ihn mit Ketten beladen, ihn jetzt mit dem heiteren Schmuck der Ehemänner krönte, und sooft ein verirrter Strahl der Sonne in seine Kasematte fiel, dachte er an das goldene Nymphenhaar seines jungen Weibes und seufzte.

Es gab aber auch schöne Fälle von Römertugend. So erschien ein deutscher Beamter mit grauem Haar, der nach fast vierzigjähriger Dienstzeit endlich die Aussicht hatte, Rat zu werden, bei dem Präsidenten, um das Vaterland zu retten und seine beiden Söhne der Gerechtigkeit zu überliefern. Diese Elenden hatten mit anderen polnischen Studenten ein schändliches Komplott gestiftet, einen Verein, wo sie viereckige Mützen trugen, Bier tranken, verbotene Bücher lasen und bei ihren Versammlungen einen Totenkopf und zwei gekreuzte Dolche auf dem Tische liegen hatten. Die jungen Leute erhielten Rutenstreiche und wurden in den Soldatenrock gesteckt, in jenen Tagen eine beliebte Strafe, der neue Brutus aber wurde wirklich Rat und erhielt bei seiner Pensionierung sogar einen Orden.

Diese Demoralisation war die einfache und natürliche Folge eines Systems, das den Menschen nur die Kontraste des Pietismus und des rohesten Sinnengenusses ließ, dagegen alles unerbittlich verfolgte, was nur die leiseste Spur von Geist, Wahrheit oder Schönheit zeigte. Auf der Literatur, den Zeitungen, dem Theater lag die Zensur wie Aktenstaub oder Moder. Die traurige Verstümmelung, die empörende Lüge ging so weit, daß sie Lachen erregte, aber das Lachen eines Erfrierenden oder zu Tode Gekitzelten.

In einer Geographie, welche für die Schulen bestimmt war und im Manuskript der Zensurbehörde vorgelegt wurde, fand sich die scheinbar unschuldige Stelle: Die Kosaken sind ein kriegerisches Volk im südlichen Rußland und reiten auf kleinen Pferden. Der Zensor aber hielt es mit der Würde des Zaren für unverträglich, daß die Pferde der Kosaken klein sein sollen, strich das hochverräterische Wort, und im Druck lautete der Satz: Die Kosaken sind ein kriegerisches Volk in südlichen Rußland und reiten auf Pferden.

Ein anderer Zensor gab nicht zu, daß Wien durch den Polenkönig Sobieski entsetzt worden sei.

Es gab kein gutes Buch, kein Buch von wirklichem wissenschaftlichem Wert, das nicht verboten gewesen wäre. Gelehrte und einzelne Begünstigte durften wohl diese Bücher mit besonderer polizeilicher Bewilligung beziehen, der Masse des Volkes blieben der Katechismus und die Legende der Heiligen.

Damals ging mit Bulgarin, dem Polizeiagenten, eine neue, und zwar die wichtigste Veränderung vor, welche jedoch, merkwürdigerweise, dem durchdringenden Blicke seines Gönners, des Präsidenten, vollkommen entging.

Bulgarin sah, wie alle Welt um ihn her aus ihren Beziehungen zur Polizei Nutzen zog, wie die einen denunzierten, um ihren Eigennutz zu befriedigen, andere, um ihren Rachedurst zu löschen, wieder andere nur aus Lust, zu schaden und ihre Überlegenheit zu beweisen.

War es gar so wunderbar, daß endlich auch er zum Bewußtsein seiner Macht kam.

Wenn aber Macht nur zu oft den Charakter verdirbt, wie sollte ihren zersetzenden Einflüssen ein Mensch widerstehen, welcher von derselben Gesellschaft ausgestoßen, verachtet und gemieden war, welche ihm zu gleicher Zeit die mörderischsten Waffen in die Hand gab? Und in dieser Lage noch eine Lektüre wie Lord Byron, Puschkin und Heinrich Heine! Sollten da nicht alle Dämonen der Menschenlust erwachen?

Solange Bulgarin die Menschen nur haßte, blieb er der Herr seiner Leidenschaften, von dem Augenblick an, wo er die Menschen verachtete, machten die Leidenschaften ihn zu ihrem Sklaven.

Eine neronische Genußsucht erwachte in ihm, und er war der Mann, sie zu befriedigen, aber die harte Schule, die er durchgemacht hatte, lehrte ihn als Maske festhalten, was bis jetzt seine Natur gewesen war; mit einem unruhigen Geiste, einem kochenden Herzen und fiebernden Sinnen blieb er der kalte, aalglatte, elegante Mann, von dessen süßem Antlitz das Lächeln niemals zu weichen schien.

Noch war kein Jahr vergangen, seitdem der Präsident seinen Vertrauten in das schwarze Kabinett eingeführt hatte, und dieser war aus dem Knecht der Herr geworden. Nicht er diente dem Staate, sondern der Staat und seine Polizei dienten ihm, seinen Privatzwecken, seinen Leidenschaften, seinen Weiberlaunen und seinen Cäsarengelüsten. Er lebte das Leben Don Juans, Sardanapals und Onegins. Er liebte kein Weib, er liebte das Weib. Jedes Mädchen, das ihm gefiel, jede Frau, die ihn reizte, mußte ihm gehören, und gehörte sie ihm nicht, war sie verloren, früher oder später, sein Fuß zertrat die Rose, die seine Hand nicht pflücken konnte. Wehe dem Manne, der seine Bahn kreuzte, sei es als Gegner, sei es als Nebenbuhler. Verloren war ein jeder, der seinen Zorn erregte, verloren jeder, der seinen Neid weckte, verloren, wer ihm mißfiel.

Was Bulgarin gefährlich machte, war, daß niemand seine auf das schrankenlose Vertrauen des Präsidenten gegründete Macht nur im mindesten ahnte. Man sah in ihm einen ehemaligen Offizier von nicht ganz makelloser Ehre, und das war alles. Und hätte man ihn als geheimen Agenten der Polizei gekannt, so wäre er noch entschiedener verachtet und noch etwas mehr gemieden worden, aber kein Mensch, der sich rein wußte, hätte ihn sonderlich gefürchtet, während er doch, wie kein anderer, durch Jahre hindurch auf das Schicksal des Königsreiches und seiner Bewohner Einfluß nahm. Es ist ewig dieselbe Geschichte: man huldigt den Großen, statt ihrem Kammerdiener, Koch oder Kutscher zu schmeicheln, und so fürchtete man in jenen Tagen in Galizien den Prinzen, den Präsidenten, den Polizeidirektor und noch viele andere Personen, aber ihn, der mit neronischer Lust auf allen herumtrat, fürchtete niemand.

Wie sollte man es auch?

Dieser schöne Mann mit den süßen Lippen, glänzend, aber auch glatt und kalt wie Eis, elegant, vornehm, zurückhaltend, in der Regel nach der neuesten Mode, aber auch hie und da ein wenig phantastisch gekleidet, konnte für einen Byronschen Helden, einen Don Juan, einen Abenteurer gelten, aber gewiß nicht für einen Polizeiagenten.

Bulgarin war eben kein Typus, er war in allem und jedem ein Mensch für sich.

Vielleicht erschrak einmal ein junges, unschuldiges Mädchen über den Hohn, der seine vollen Lippen umspielte, über den Menschenhaß, der gleich einem verborgenen Feuer für einen Moment in seinem Auge erglühte, aber das war auch alles, und gewiß wußte es nicht zu sagen, worüber es eigentlich so namenlos erschrocken war.

Eine in dem bewegten Leben Bulgarins an und für sich sehr unbedeutende Episode diente dazu, den Präsidenten vollends zu bestricken.

 

Es geschah nun öfters, daß Bulgarin allein in das von Fräulein Makowska bewohnte kleine Haus kam, um sich in dem schwarzen Kabinett Informationen zu holen, aber er konnte zu keiner Tageszeit kommen, ohne dem reizenden jungen Mädchen, sei es auf dem Flur, sei es auf der Treppe oder aber im Korridor zu begegnen, und wenn er ihr begegnete, niemals mit einem ehrerbietigen Gruße an ihr vorübergehen. Sie fand stets einen Anlaß, das Wort an ihn zu richten, und wenn keinen besseren, so das Wetter.

Kam er abends, so liebte sie es sogar, ihn in längere Gespräche zu verwickeln; dann erzählte sie ihm, wie gut der Präsident gegen sie sei, nicht anders als ein Vater, wie er für sie sorge, sie erziehen und unterrichten lasse, sogar Französisch lerne sie und Piano und Zeichnen, und da sie eine gute Stimme habe, lasse er sie für die Oper ausbilden.

Einmal fragte sie Bulgarin, während ihre kleine Hand die Balustrade der Treppe zu umspannen suchte und ihre weiße Stirne so tief geneigt war, daß die seidenen Locken gleich einem Schleier über das holde Antlitz fielen, ob auch er den Präsidenten liebe? »Er ist so gut«, fügte sie hinzu, »die Menschen kennen ihn nicht, sie beurteilen ihn so lieblos, weil er ein Deutscher und noch dazu ein Beamter des Kaisers ist.« Bulgarin erwiderte einige leere Phrasen, aber das gute Kind schien vollkommen beseligt von demselben, sie drückte seine Hand und schwärmte ihn mit ihren seelenvollen Augen so hingebend an.

Einige Zeit ließ der Don Juan ihre unschuldigen Aufmerksamkeiten über sich ergehen, wie man etwa im Frühling unter einem Baum steht und die Blüten auf sich herabregnen läßt; er labte sich an ihrer Demut, ihrer Reinheit und gefiel sich darin, heimlich mit seinem Unglück zu kokettieren, das diese holde Gestalt so nahe vor seine Augen stellte und doch so unerreichbar weit wie ein leuchtendes Sternbild; sobald er aber bemerkte, daß ihre Wangen sich färbten, ihre Augen mehr und mehr von innen erstrahlten, ihre Brust sich unruhig hob, wenn sie ihn anblickte, daß ihre Hand in der seinen zitterte und daß sie aufseufzte, wenn er sie verließ, da war er sofort wieder Herr seiner selbst und erstickte die Flamme in seiner Brust.

Einmal – sie reichte ihm eben die Hand – sagte er im Tone aufrichtiger Besorgnis: »Sie werden sich erkälten, mein Fräulein; ich bitte Sie, sich nicht in dieser Weise der Zugluft auszusetzen. Ich wage es nicht, Sie hier aufzuhalten.« Sie sah ihn erstaunt an und ließ ihn gehen. Das nächste Mal aber war sie in eine Kazabaika geschlüpft und versicherte, daß sie jetzt nicht im geringsten friere.

Alle Zurückhaltung, alle vorgeschützte Eile und Beschäftigung half nichts; hier mußte ein offenes Wort gesprochen werden, und Bulgarin besaß den Mut, der dazu gehörte.

»Mein teures Fräulein«, begann er eines Abends, ihre kleinen Hände zwischen den seinen haltend, »Sie müßten mich verachten, wenn ich Ihnen nicht endlich ein Bekenntnis ablegen würde, das mein Herz zu zerreißen droht, das aber doch von meinen Lippen muß um Ihretwillen.« Das arme Kind wurde weiß wie eine Lilie und bebte am ganzen Leibe. »Sie beehren mich mit Ihrer Ansprache, mein Fräulein«, fuhr Bulgarin fort, »ich muß gestehen, daß ich dieser Güte nicht wert bin.«

»Sie – mein Gott! – Sie sind doch kein böser Mensch!« – stammelte das schöne, geängstigte Geschöpf.

Bulgarin schüttelte den Kopf. »Ich bin ein sehr unglücklicher Mensch«, sagte er leise, »ein Gemiedener, ein Ausgestoßener, und dies alles durch meine Schuld, die ich zu büßen haben werden, solange ich lebe. Ich verdiene Ihr Mitleid nicht. Meine Geschichte liegt in diesen wenigen Worten: Ich war Offizier und bin jetzt … Polizeiagent.«

»Heilige Mutter Gottes!« Das arme Mädchen preßte die gerungenen Hände vor den Mund.

»Ich verdiene Ihr Mitleid nicht«, wiederholte Bulgarin, »meine Lippen würden sogar den Saum Ihres Kleides noch beflecken.«

Fräulein Makowska schüttelte traurig den Kopf, kehrte ihm den Rücken, und so, ohne ihn anzusehen, gab sie ihm noch einmal die Hand, die er, sich auf seine Knie niederwerfend, küßte. Dann verschwand sie langsam, fast zögernd in der Türe ihrer Wohnung.

Einige Tage später sagte der Präsident zu Bulgarin: »Ich bin Ihnen Dank schuldig, viel Dank! Sie sind nicht allein ein reich begabter, sondern auch ein treuer und ehrlicher Mensch. Das Mädchen hat mir alles gesagt.«

»Exzellenz überschätzen mein Verdienst«, erwiderte der Polizeiagent, auf seine Brust schlagend; »hier ist alles öde, tot, das macht die Entsagung leicht.«

»Täuschen Sie sich nicht, Bulgarin«, fiel der Mann mit dem durchdringenden Blick ein, »es ist nicht tote Asche, was da so ruhig scheint, sondern Lava, unter der es fort und fort, wenn auch verborgen, glüht und kocht, und eines Tages werden die Flammen mit um so furchtbarerer Gewalt emporschlagen. Je weniger Sie mit Ihren Empfindungen spielen, je mehr Sie Ihr Herz bezwingen, um so vulkanischer wird die Leidenschaft sein, welche Sie eines Tages ergreifen und unterjochen wird wie einen Sklaven. Dann werden Sie sich meiner erinnern.«

Als Bulgarin den Präsidenten verließ, lächelte er vornehm vor sich hin. »Er kennt alle Menschen, alle, nur mich durchblickt er nicht.«

Und in der Tat dachte Bulgarin an alles in der Welt, nur nicht an Liebe. So eine Torheit zu begehen, war er nicht mehr imstande, gewiß nicht. Wozu lieben? Er besaß ja doch jedes Weib, das ihm gefiel, und genoß dessen Reize so ruhig, wie man Austern verzehrt und eine Flasche Sauternes dazu trinkt. Und wie wenig Mühe ihn das alles kostete! Da waren ihm seine Juden und Buchhändler, bei denen er Geld erpreßte, und viel Geld, seine Opfer, die er in das Netz der Polizei trieb, ungleich interessanter. Das brauchte doch Geschick, Berechnung, kaltes Blut und vor allem Zeit; aber die Weiber!

Von der Regierung glänzend bezahlt, hatte er doch nie genug Geld und verstand es, alle Welt zu brandschatzen und so zu brandschatzen, daß ihm die Leute noch dankbar dafür waren. Da hatte er seine wohldressierten Kreaturen, dressiert wie gute Jagdhunde, denen er ruhig das Brot auf die Nase legen konnte und die gewiß erst beim F danach schnappten. Da kam so eine schmächtige Judenseele in einem durchsichtigen Hut, einem durchsichtigen Talar und einem durchsichtigen Körper, sich vor Frost schüttelnd wie eine Weidenrute, zu Herrn Teitel Rubinstein, den man auf eine halbe Million schätzte oder etwas mehr, und verlangte mit dem großen Mann zu reden unter vier Augen.

»Was soll ich mit Ihm reden!« schnaubte Teitel Rubinstein.

»Wenn Sie nicht wollen reden«, sprach der Durchsichtige gekränkt, »so reden Sie nicht; werden Sie dafür sitzen.«

»Wo werd' ich sitzen?«

»Bei der Polizei in ein' schönen Arrest werden Sie sitzen!«

Teitel Rubinstein wird ein wenig blaß, winkt dem Durchsichtigen, ihm zu folgen, und schließt sich mit ihm in ein kleines, ganz kleines Kabinett ein, in dem es dumpf und ängstlich ist wie in einem Sarge. »Was haben Sie also zu reden?«

»Haben Sie schon einmal gelesen das Wucherpatent, Herr Rubinstein?«

Der große Mann schweigt.

»Es ist ein Herr, ein Herr vom Gericht da, der will vertuschen Ihre Geschäfte, sollen Sie Ruhe haben vor der Polizei, solange Sie leben, Herr Rubinstein; aber es kostet Geld.«

»Was? Bin ich ein Dieb? Ein Räuber? Ein Mörder? Ein Rebell?«

»Nein, das sind Sie nicht, aber Sie sind, was man so nennt, ein Wucherer.«

»Wer kann es mir beweisen?«

»Ich empfehle mich, Herr Rubinstein.«

»So bleiben Sie doch!«

»Ich habe Eile. Also wählen Sie: wollen Sie werden eingesperrt, oder wollen Sie werden nicht eingesperrt?«

Der arme reiche Mann wühlt in seinem Bart und schwankt.

»Empfehle mich.«

»Bleiben Sie doch. Also ich soll Ruh' haben vor der Polizei?«

»Solange Sie leben.«

»Was soll das kosten?«

»Monatlich hundert Gulden für den Herrn und zehn Gulden ein für allemal für mich.«

»Das kann ich nicht zahlen«, schreit Teitel Rubinstein, »da lasse ich mich lieber einsperren!«

»So lassen Sie sich einsperren. Ich empfehle mich.«

»Bleiben Sie doch. Hat der Mensch was keine Geduld!«

»Ich habe Eile. Wieviel wollen Sie geben?«

»Tausend Gulden ein für allemal.«

»Ich empfehle mich.«

Rubinstein erwischt ihn bei seinem durchsichtigen Ärmel.

»Zerreißen Sie mir den Talar«, sagt jener ruhig, »kostet gleich zehn Gulden mehr.«

»Also was will Er?«

»Monatlich hundert Gulden.«

»Gott über die Welt.« Rubinstein nimmt sich beim Kopf. »Soll ich auf der Stelle tot sehen vor mir alle meine Kinder, wenn ich gebe mehr als zwanzig Gulden.«

»Empfehle mich!«

»Dreißig …«

»Empfehle mich!«

»Vierzig also.«

Der Durchsichtige schlüpft zur Tür hinaus, wie ein Zwirnsfaden durch ein Nadelöhr schlüpft.

»Gewalt geschrien, wollen Sie mich machen kaputt?«

Rubinstein erwischt ihn wieder beim Ärmel, und diesmal bleibt ihm dieser in der Tat in der Hand. Der Durchsichtige kehrt zurück.

»Haben Sie mir wirklich zerrissen den Talar, macht zehn Gulden mehr.«

»Sollen Sie haben die zwanzig Gulden und sollen haben einen schönen, feinen, seidenen Talar von mir, den ich hab' einmal angehabt, nicht mehr, wenn Sie wollen reden für mich bei dem Herrn, daß er nimmt vierzig im Monat und ist zufrieden.«

»Fünfzig.«

»Vierzig. Keinen Groschen mehr.«

»Empfehle mich!«

»Also fünfzig.«

»Hätten Sie gleich gesagt fünfzig«, versetzte der Durchsichtige lächelnd, »hätten Sie erspart die zehn Gulden und den seidenen Talar.«

In ähnlicher Weise machte sich Bulgarin, der Polizeiagent, die Kaufleute tributpflichtig, welche mit geschwärzter Ware handelten, die Buchhändler, welche verbotene Bücher am Lager hatten, die Damen, welche zur Zeit der Dämmerung gleich Fledermäusen umherflatterten.

Nicht selten erschien er bei einer oder der anderen jener falschen Baroninnen oder Gräfinnen, welche man in Warschau oder Lemberg ebensogut findet wie in Paris und die ihm alle, wie die Sklavinnen des Serails dem Sultan, zu Füßen lagen, um sie gnädig anzulächeln und dann in einem vollkommen finstern Nebenzimmer auf einem Ruhebett ausgestreckt die köstlichen Szenen zu belauschen, die sich daneben im hellerleuchteten Boudoir abspielten. Die Männer sind nie so plauderhaft, als wenn sie an der üppigen Brust eines schönen Weibes ruhen. Sie plauderten alle, und manches Geheimnis fiel Bulgarin als reife Frucht in den Schoß.

Er ließ nichts unbenutzt, kein noch so geringfügiges und kein noch so schlechtes Mittel, und so kam es, daß die Polizei durch ihn den Menschen förmlich in die Eingeweide sah.

Es geschah, daß der Präsident auf dem Wall einen Magnaten traf, der eben vom Diner kam, und denselben in seiner Manier à la Kaiser Franz fragte, was er denn heute gespeist habe, und als dieser in Verlegenheit kam, das Menü anzugeben, ihm selbst alle Gänge desselben aufzählte. So weit ging die Allwissenheit der Polizei. Hätte dieses Institut einem großen oder glücklichen Zweck gedient, man müßte es bewundern. So diente es aber den kleinsten, niedrigsten Interessen, und diente dem verachteten Polizeiagenten ungleich besser als dem absoluten Oberhaupte des Staates.

Graf Agenor Mascheraki war so unglücklich, den Neid Bulgarins zu erregen. Er war reich, besaß in Lemberg ein glänzend eingerichtetes Palais, die edelsten Pferde, eine schöne, liebenswürdige und tugendhafte Frau; dies genügte, um ihn auf die Liste der Verdächtigen zu bringen, was in Österreich nicht weniger war, als in dem Frankreich Robespierres und Marats auf der Liste der Proskribierten zu stehen.

Pater Mudrzyna, der Jesuit, der Beichtvater der Gräfin Mascheraki, übernahm es, das dem Verderben geweihte Paar auszuspionieren. Lange Zeit entdeckte er nichts, was eine Handhabe bot. Eines Tages, als er im Speisesaal die Zeitungen durchsah, bemerkte er, daß ein Kupferstich schief an der Wand hing, und machte den anwesenden Bedienten aufmerksam. Dieser zuckte die Achseln und meinte, den Bildern täte es ohnehin not, wieder einmal abgestäubt zu werden, aber der Herr Graf habe ausdrücklich verboten, eines anzurühren. Der Bediente verließ den Speisesaal; als er zurückkehrte, blickte er instinktmäßig auf den bezeichneten Kupferstich und bemerkte, daß derselbe jetzt gerade hing.

Einige Tage darauf drang die Polizei nachts in das Haus des Grafen und nahm eine strenge Durchsuchung vor, die nichts ergab. Ganz zuletzt befahl der Polizeikommissär, auch die Bilder von den Wänden herabzunehmen und zu zerlegen. Der Graf wurde sichtlich verlegen, blickte auf seine ahnungslose Frau und seufzte auf. Wirklich fanden sich zwischen den Kupferstichen und den Rückwänden der schwarzen Holzrahmen Nummern des »Polnischen Demokraten«. Dies genügte. Der Graf wurde festgenommen und, obwohl seine Frau bis nach Wien eilte, um für ihn Gnade zu erflehen, zu mehrjährigem Kerker verurteilt.

Eines Abends sah Bulgarin in der Dominikanerkirche ein junges Mädchen, das sowohl durch seine Schönheit als die Andacht, mit der es im Halbdunkel vor einem halb verborgenen Altar auf den Knien lag und betete, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er folgte der Unbekannten und erfuhr am nächsten Morgen durch einen seiner Spione ihren Namen und ihre Verhältnisse. Sie war die Tochter eines polnischen Gutspächters und seit kurzem mit einem Juristen verlobt, welcher eben seine Praxis bei einem Advokaten in Lemberg machte. Bulgarin wurde ihr durch Frau Kleszowska in einer Soiree, welche die letztere gab, vorgestellt. Es ist wahr, das schöne Mädchen behandelte ihn sehr schlecht, wie überhaupt die Frauen nie geneigter zur Strenge sind, als wenn sie im Begriffe stehen, sich zu verheiraten; sie hatte vielleicht von der Tarnopoler Spielgeschichte flüstern gehört oder auch nicht, genug, der glänzende Held aller Boudoirs bebte vor Scham und Zorn und beschloß, das spröde Mädchen um jeden Preis zu erobern oder für seinen kindischen Stolz grausam zu strafen.

Bulgarins erste Schritte galten dem Verlobten der jungen Dame. Dieser erhielt anonym Briefe, in denen der Charakter, ja die Tugend derselben auf das peinlichste verdächtigt wurden; als er trotzdem fortfuhr, sie zu besuchen, kamen Warnungen und endlich offene Drohungen an ihn. Er wendete sich an die Polizei, und nun war er verloren. Frau Kleszowska spann das Netz, in dem ihn Bulgarin fing.

Welcher Mann, der kein heiliger Antonius ist, könnte der Versuchung widerstehen, wenn ihm dieselbe neben seiner keuschen Braut in Gestalt einer reizenden und galanten Frau entgegentritt? Es ist so natürlich, daß er, je mehr er das Mädchen liebt, dem koketten Weibe um so rascher erliegen wird, als ein Mensch, der Durst erleidet und dem man zwei Flaschen Wein hinstellt, von denen die bessere versiegelt, die andere aber offen ist, sich nicht besinnen wird, aus der letzteren zu trinken.

So wurde denn der junge Jurist der Anbeter der gefährlichen Freundin Bulgarins und zu gleicher Zeit ihr Opfer, das sie kalten Blutes, an Händen und Füßen gebunden, dem Messer überlieferte. Er wurde plötzlich zur Polizei vorgeladen, und während man mit ihm ein Verhör vornahm, das Zimmer, das er bewohnte, eröffnet und durchstöbert. Man fand nichts Auffallendes als einen Stoß französischer Gebetbücher; aber bei näherer Prüfung ergab es sich, daß zwischen den Litaneien und den verschiedenen Gebeten die Blätter einer Instruktion der »Zentralisation« für den bevorstehenden Revolutionskampf geschickt eingeheftet waren. Es wurde ferner erwiesen, daß der unglückliche junge Mann diese Gebetbücher von einem französischen Franziskaner erhalten und unter seinen Freunden verbreitet hatte.

Mehr bedurfte es nicht.

Bulgarin schritt lächelnd über ihn weg auf sein Ziel zu, aber das schöne Mädchen zeigte sich nur noch schroffer und abweisender, und als er sie wieder einmal abends in der Kirche erwartete, um ihr von seiner Liebe zu sprechen, zog sie die Augenbrauen wie erstaunt empor und sagte: »Ich bitte Sie, mich nicht mehr zu kennen.«

Bulgarin biß sich in die Lippen, zog seinen Hut bis zu den Augen herab und entfernte sich.

Ein halbes Jahr verging, er schien das Mädchen vergessen zu haben; aber es schien nur so. Die Unglückliche besuchte einen Hausball und hatte den verderblichen Einfall, ihr weißes Kleid mit roten Bändern aufzuputzen und noch überdies eine rote Schärpe um ihre Schultern zu schlingen. Am folgenden Tage wurde sie, noch trunken von Schlaf und ihren kindischen Triumphen, abgeholt, um sich darüber zu verantworten, daß sie die polnischen Farben getragen hatte. Sie leugnete jede Absicht, aber es half ihr wenig, man ließ sich durch ihre Schwüre ebensowenig überzeugen als durch ihre Tränen rühren. Sie wurde zu zwanzig Rutenstreichen verurteilt; die Profossin, eine große, robuste Frau mit stumpfen Zügen, erschien, zwei im Arrest befindliche Mädchen halfen ihr, die sich zur Wehr Setzende überwältigen, und die traurige Arbeit begann. Dann wurde der vollkommen Vernichteten das Haar abgeschnitten, und so, einer aus dem Arbeitshause Entlassenen gleich, schickte man sie ihrem Vater zurück.

In dieser Weise wurde die deutsche Kultur vor 1848 nach Osten getragen.

 

Endlich winkte Bulgarin auch die lang und heiß ersehnte Gelegenheit, an jenen Menschen, die ihn aus der Gesellschaft ausgestoßen, die ihm jeden Rückweg zum Heiligtum der Ehre abgeschnitten hatten, Rache zu nehmen.

Wie jauchzte der Polizeiagent auf, als ihm eines Abends im schwarzen Kabinett ein in Chiffren abgefaßter Brief des Barons Bendella an einen Polen in Straßburg in die Hände fiel; aber nur in seinem Herzen jauchzte er auf, an seinem Äußeren oder seinem Betragen hätte auch der scharfsinnigste Beobachter nichts Auffallendes erblicken können außer ein leises Erzittern des Briefes in seiner Hand, und auch dies nur einen Augenblick lang.

Ein Zufall wollte, daß sich zu gleicher Zeit ein zweiter Brief Bendellas an seine Schwester in Lemberg fand und Bulgarin beide dem Präsidenten vorlegen konnte. Dieser verglich die Schrift und stimmte bei, daß der chiffrierte Brief von der Hand Bendellas geschrieben sei. Bulgarin begann nun, denselben in seinem Auftrage zu dechiffrieren. Der Brief war eigentlich um nichts bedenklicher, als es jener eines Soldaten an seine Köchin sein kann; ein mit dem Baron entfernt verwandter Emigrant in Straßburg hatte denselben, und zwar offenbar nicht das erste Mal, um eine Unterstützung gebeten, und der erstere sendete ihm einen Wechsel auf ein dortiges Haus, hielt es aber für vorsichtiger, die ganze Angelegenheit, welche möglicherweise Verlegenheit bereiten konnte, in Chiffren zu behandeln, welche zwischen beiden verabredet waren.

Diese Vorsicht war sein Verderben.

Bulgarin lieferte die Kopie, so wie sie seinem Racheplane entsprach, er ließ Bendella in seinem Briefe unerhörte Anklagen gegen die Regierung aussprechen und die bevorstehende Wiederherstellung Polens mit Begeisterung begrüßen. Die nächste Folge dieser kühnen Fälschung war, daß Baron Bendella auf die Liste der Verdächtigen gesetzt wurde, die zweite, daß Bulgarin den Auftrag erhielt, sich nach Tarnopol zu begeben und den Baron zu beobachten.

Er handelte in diesem Falle ebenso vorsichtig, klug und energisch, wie er es überhaupt gewohnt war.

Er ging nicht nach Tarnopol.

Frau Kleszowska aber packte am folgenden Morgen ihre glänzenden Toiletten, ihre berückenden Negligés ein und fuhr mit Extrapost hin.

Durch eine Freundin im Casino eingeführt, machte sie die Bekanntschaft Bendellas, zwei Wochen später verließ sie Tarnopol, um scheinbar nach Lemberg zurückzukehren, in der Tat aber, um auf der dritten Station den Postwagen zu verlassen und in einem Schlitten, den der Baron selbst kutschierte, nach dessen Gute Worwolinze zu fahren, wo sie beim Heulen des Sturmes in den Schornsteinen und dem Flockengewirbel des Schnees honigsüße Tage verbrachten und Frau Kleszowska ihrem feurigen Anbeter unter anderen Geständnissen auch jenes entlockte, daß ihm sein Verwandter, der Straßburger Emigrant, aus Erkenntlichkeit für die ihm gewährte Unterstützung den »Partisanenkrieg«, die »Lebenswahrheiten des polnischen Volkes« sowie »Die Instruktion der Zentralisation für den revolutionären Kreisoffizier« gesendet habe. Natürlich brannte Frau Kleszowska, eine leidenschaftliche Patriotin, sofort vor Begier, diese Druckschriften zu sehen, und als der Baron sie aus einem Versteck hervorholte, machte sie sich zur selben Stunde daran, sie zu lesen, und als sie zu Ende war, feierlich zu erklären: Niemand anders als Bendella dürfe bei dem bevorstehenden Aufstande den Tarnopoler Kreis kommandieren, und wenn er nicht den Mut habe, so werde sie selbst eine Sektion des demokratischen Bundes in Tarnopol gründen.

In ihrem Benehmen lag nichts Auffallendes; waren doch bei allen polnischen Bewegungen die Frauen die eigentlichen Agitatoren, und mehr als eine Amazone bestieg sogar zur Stunde der Entscheidung den feurigen Renner, um sich auf die feindlichen Bajonette zu stürzen.

Bendella fuhr also mit der angebeteten Frau nach Tarnopol, und beide begannen in ihrer Weise für die polnische Sache zu wirken.

Da der Baron jene peinliche Szene, die ihm Bulgarin zum Feinde gemacht, längst so gut wie vergessen hatte, so entging es ihm vollkommen, daß unter den von Frau Kleszowska gewonnenen Patrioten sich sämtliche Mitglieder jener Spielgesellschaft befanden. Schon nach vierzehn Tagen konnte Bendella im Edelhofe zu Worwolinze die Tarnopoler Sektion versammeln und konstituieren. Nachdem Frau Kleszowska auf einen Dolch, dessen Griff ein Totenkopf und zwei gekreuzte Totenbeine bildeten, den von der »Zentralisation« vorgeschriebenen Eid abgenommen hatte, wurde Bendella mit stürmischem Zuruf zum Chef gewählt. Am folgenden Tage setzte er durch einen chiffrierten Brief seinen Verwandten in Straßburg von dem Vorgefallenen in Kenntnis und ersuchte ihn, die Verbindung der Tarnopoler Sektion mit der Pariser Revolutionsregierung herzustellen.

Eine Woche später rief eines Morgens Frau Kleszowska, welche eben am Fenster stand: »Ich glaube, man kommt zu uns, eine Haussuchung halten. Schnell, alles verbrannt!«

Der Baron stürzte auf diesen Ruf hin eiligst in sein Kabinett, brachte die verfänglichen Druckschriften und den Dolch, und Frau Kleszowska, welche sie ihm entriß, übergab die »Lebenswahrheiten« und den »Partisanenkrieg« den Flammen. In dem Augenblick, wo sie die »Instruktion« in den Ofen stecken wollte, wurde die Türe geöffnet; sie hatte nur noch Zeit, den Dolch in ihrer Brust zu verbergen und sich auf die »Instruktion« zu setzen. Schon erschien ein Kreiskommissär mit zwei Landdragonern und begann, während andere die Zugänge besetzt hielten, den Edelhof zu durchsuchen.

Er fand nichts, entschuldigte sich und trat verdrossen den Rückweg an. Bendella atmete auf, küßte die Hände der reizenden Frau und schwor, daß er ihr sein Leben dankte. Er ahnte nicht, daß alles abgekartet, daß diese Haussuchung nur eine wohlüberdachte Komödie war, um Frau Kleszowska durch die folgende Katastrophe vor der polnischen Partei nicht zu kompromittieren.

»Gott sei Dank!« rief Bendella. »Diesmal ist alles gut abgelaufen. Nun will ich aber diese verdammte ›Instruktion‹ gleichfalls verbrennen und den Dolch in den Brunnen werfen.«

»Was fällt dir ein!« wallte die schöne Patriotin auf. »Das heilige Zeichen deiner Würde! Und dieses Aktenstück, ohne das wir gar nicht imstande sind, die Pläne der ›Zentralisation‹ gehörig auszuführen.«

»Aber bedenke die Gefahr –«

»Laß mich nur machen.« Frau Kleszowska ließ sich auf einen Sessel nieder, zog einen Fuß über den anderen herauf, so daß ihre durchbrochenen Strümpfe sichtbar wurden, aus denen es rosig hervorschimmerte, und gab sich die Miene ernster Erwägung. Plötzlich sprang sie auf und klatschte in die Hände. »Den Dolch, mein Lieber«, sagte sie triumphierend, »trage ich fortan in einem Gürtel unter dem Kleide, da wird ihn niemand zu suchen wagen, und aus der ›Instruktion‹ mache ich mir Papilloten. Wenn wir sie benötigen, stellen wir die Stücke einfach zusammen.«

»Vortrefflich.«

Es vergingen mehrere Wochen, so daß die Bewohner von Worwolinze sowohl als die anderen Mitglieder der Sektion Zeit hatten, sich wieder vollkommen zu beruhigen.

Dann, in einer Nacht, wo sich der Schnee wie eine frisch mit Kalk beworfene Wand zwischen die Erde und die funkelnden Sterne stellte und in dem Edelhofe zu Worwolinze kein Licht zu sehen war als die wandernden Augen des wachehaltenden Wolfshundes, erscholl mit einem Male wütendes Gebell, hörte man schwere Tritte im Korridor und stand ganz unerwartet ein Polizeikommissär, begleitet von einem Beamten des Kreisamtes und mehreren Landdragonern, im Schlafzimmer des Gutsherrn, während um das Haus die Säbel der Husaren und die Kienspäne der entbotenen Landleute rot flackerten.

Frau Kleszowska hatte kaum Zeit, in ihre Kazabaika zu schlüpfen.

Wieder wurde das ganze Haus durchsucht, wieder vergebens. Da, ganz zuletzt, warf der Polizeibeamte einen Blick auf die eingedrehten Locken der schönen Agentin.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau«, lispelte er, »aber ich muß schön bitten …« Er löste eine ihrer Papilloten und trat zur Laterne hin.

Bendella erbleichte. Auch Frau Kleszowska gab sich alle Mühe, ein wenig blaß zu werden, aber es gelang ihr nicht.

»Da wird eine nähere Visitation nötig sein«, sagte der Polizeibeamte und begann mit sichtlichem Behagen, die Reize der verdächtigen Schönen einem gründlichen Studium zu unterziehen. Er fand den Dolch, den sie am Gürtel trug, eine Liste der Mitglieder der Tarnopoler Sektion und stellte aus den Papilloten, welche er ihr abnahm, die vollständige Instruktion der Nationalregierung zusammen. Dann erklärte er sowohl Bendella als Frau Kleszowska für verhaftet.

Am frühen Morgen bemächtigte sich die Behörde sämtlicher in der aufgefundenen Liste verzeichneten Personen.

Eine ausgebreitete Untersuchung begann und nahm den beliebten Schneckengang. Frau Kleszowska wurde nach einigen Tagen auf freien Fuß gesetzt. Die kurze Haft hatte genügt, sie in den Augen der Polen zur Märtyrerin zu machen. Sie konnte daher in Zukunft ihr elendes Gewerbe noch frecher und rücksichtsloser treiben, um so mehr, als Artikel in französischen und belgischen Blättern, welche ihre Vaterlandsliebe feierten, die Emigration erst eigentlich auf sie aufmerksam machten. Es war natürlich, daß keiner der Verhafteten gegen sie aussagte, und so nahm ihre Freilassung niemanden wunder.

Die übrigen Beteiligten wanderten nach einiger Zeit in Ketten auf den Spielberg. Bulgarins dämonischer Haß war gesättigt. Aber auch ihn, den Unverwundbaren, sollte endlich der Giftpfeil des Geschickes ereilen.

An einem jener Frühlingstage, wo die Luft von einem aufregenden Dufte erfüllt ist, der an jungen Wein gemahnt, wo das Licht über der Erde zittert und allenthalben ein geheimnisvolles Weben zu spüren ist, wo die Menschenseele ihre Flügel regt gleich der Schwalbe, die sich anschickt, über das weite blaue Meer zu fliegen, schritt Bulgarin langsam durch die Vorstadt Litschakow, in der Absicht, das Grab seiner Frau zu besuchen. Er blieb von Zeit zu Zeit stehen, atmete die aufregende Würze, welche dem feuchten Boden entstieg, und lauschte dem Zwitschern eines Vogels, der auf den noch kahlen Zweigen auf- und abhüpfte.

Da fiel ein Pfeil, kein symbolischer Pfeil Amors, nein, ein wirklicher gefiederter und geschärfter Pfeil, wie es schien, vom Himmel herab, und verwundete ihn.

Zuerst stand er einen Moment wie einer jener Grenadiere Suworows, welche man, wie es heißt, noch umwerfen mußte, nachdem man sie getötet; dann zog er sein feines Batisttuch hervor und suchte das Blut zu stillen, das aus seiner Brust in den groben Schotter der Straße rann. »Verdammte Mode«, murmelte er dabei, »ohne Zweifel eine Dame, welche die Engländerin spielt und sich im Bogenschießen übt, in waldgrüner Toilette, genau nach dem Journal für die elegante Welt.«

Und wie er so sprach, kam auch schon das Modejournal eilig auf ihn zugelaufen, eine junge schlanke Frau in einem Kleide von waldgrünem Gros de Naples, eine Toque von waldgrünem Poux de Soie mit Gold eingefaßt und mit einer kurzen schwarzen Straußenfeder geschmückt auf dem edlen Kopfe, waldgrüne Stiefelchen von amerikanischen Gros an den Füßen, einen mit Pfeilen gefüllten Köcher an einem roten Gürtel um die Mitte und einen großen Bogen in der Hand tragend, die fertige skythische Amazone. Sie suchte offenbar den abgeschossenen Pfeil.

Bulgarin hob ihn auf, um ihr denselben zu reichen. Da erst bemerkte sie, daß er verwundet war.

»Heilige Mutter Gottes!« schrie sie auf. »Sie bluten … ich habe Sie getroffen …«

»So ist es«, erwiderte Bulgarin, in ihren Anblick verloren.

»Lassen Sie mich sehen«, sagte sie rasch, »oder noch besser, kommen Sie herein zu mir, ich will Sie verbinden.« Dabei bot sie ihm mit unwiderstehlicher Anmut ihren Arm als Stütze. Er dankte lächelnd, aber er folgte ihr.

»Ich zielte auf eine Taube«, sagte die waldgrüne Amazone, »aber der Pfeil verfehlte sein Ziel und flog über das Dach.« Sie führte Bulgarin durch ein großes Gittertor in einen hübschen Garten, lud ihn ein, in einer Laube Platz zu nehmen, flog dann in das anstoßende Haus und kehrte rasch mit einer Flasche Arnika und allerhand Linnen zurück.

»Wo sind Sie also verwundet?« fragte sie.

»Im Herzen«, erwiderte Bulgarin scherzend. Sie nahm es aber ernst, und ohne recht zu wissen, was sie tat, legte sie ihre schmale aristokratische Hand auf sein Herz, und obwohl diese Hand kalt wie Marmor war, brannte sie ihn doch mehr als die Wunde. »Nein, hier ist es nicht«, sagte sie ruhig. Sie selbst fand bald die Stelle, wo ihr Pfeil eingedrungen war, und in wenigen Minuten war das Blut gestillt und die Wunde verbunden.

Bulgarin ließ alles mit sich geschehen, ohne ein Wort zu sprechen; als aber ein leerer Wagen im Schritte vorbeikam, sprang er auf, pfiff dem Fiaker, drückte seine heißen Lippen zweimal auf die Marmorhand der Amazone und eilte fort.

Sie blickte ihm erstaunt nach.

Auf dem Wall, unweit von seiner Wohnung, stieg er aus und setzte sich auf eine Bank. Ihm war zumute wie einem, der in frischem Heu eingeschlafen ist und ein Frühlingsmärchen geträumt hat von den Mainymphen, die auf grünen Wiesen tanzen, oder dem Wasserweib, das sich, in seine Haare wie in einen Goldmantel gehüllt, auf den Zweigen der Weide schaukelt und sich jetzt, wo er aufgewacht ist, todmüde fühlte, wie nach einem Besenritt nach Kiew, und abscheuliches Kopfweh hat.

 

Es währte einige Tage, ehe Bulgarin aus jenem unseligen Zustande erwachte, in welchem das geistige Uhrwerk stillezustehen scheint, in dem man nur noch fühlt, und zwar nicht mit dem Herzen allein, sondern mit allen Nerven; wo jede Fingerspitze und jedes Härchen beseelt scheint und für sich lebt und leidet.

Sein erster Gedanke war dann: Er hat doch recht gehabt mit seiner verdammten Lava! Natürlich meinte er den Präsidenten.

Er hatte erfahren, daß die waldgrüne Schöne sich Antonia nannte, die Frau eines Herrn Lewartowski, Hauptmann der Grenadiere, war und mit ihrem Mann ausgezeichnet lebte. Diese verläßlichen Nachrichten – sie kamen von Ascher Kornfeld – stimmten seine Hoffnungen herab, stachelten dagegen seine Leidenschaft auf.

Es ist seltsam, daß Frauen mit einem reinen Rufe und noch viel mehr jene mit einem kalten Temperamente sinnliche Männer ungleich mehr anziehen und reizen als wollüstige Frauen. Bulgarin, der genußsüchtige, herzlose, zehnfach gepanzerte Byronische Held nach der Mode, wurde zum romantischen Toren, zum verliebten Knaben. Er beging wahre Pagenstreiche. Er erstieg die hohe Gartenmauer und verlor seinen Hut, nur um Antonias Kleid hinter einem Spalier von Rosen durchschimmern zu sehen; er stand die halbe Nacht unter ihrem Fenster, nur um einen Schatten vorüberschweben zu sehen, der vielleicht der ihres Stubenmädchens war. Sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein erschrockener Vogel in seinem Käfige, wenn er aus dem Theater trat und sie in den Wagen steigen sah, nein, nicht sie, nur die Spitzen ihrer Boa, welche sie über den Rücken geworfen hatte, und auch diese nur ganz im Profil.

Sein Antlitz zeigte sich von bengalischem Feuer beleuchtet, totenhaft weiß und zugleich überirdisch erhellt, als er Antonia, von ihrem Manne gefolgt, in den Salon der Frau Kleszowska treten sah.

Er hatte dieses Zusammentreffen vorbereitet, aber jetzt, wo er sich dem Weibe gegenübersah, das er liebte, nach dem er lechzte, das er anbetete, hätte er alles darum gegeben, wenn sich, wie auf dem Theater in den Zauberpossen Raimunds, eine Versenkung geöffnet hätte und er durch dieselbe verschwunden wäre.

Antonia dagegen zeigte sich angenehm überrascht, ging auf ihn zu, bot ihm die Hand und sprach ihre Freude darüber aus, ihn wiederzusehen. Frau Kleszowska stellte sie gegenseitig vor.

»Das ist der Herr, den ich zu verwunden das Unglück hatte«, wendete sich Antonia zu ihrem Manne. »Du weißt ja.«

Der Hauptmann rümpfte bei dem Namen Bulgarin ein wenig die Nase. Der ehemalige Offizier bemerkte es und ging sofort der Gefahr entgegen, kühn wie unsere Bauern, wenn sie jauchzend durch das Weihnachtsfeuer springen.

»Es scheint Ihrem Gemahl bedenklich zu sein, mit einem politisch Gravierten zusammenzutreffen«, sagte er mit edler Haltung zu Antonia, »ich will Sie daher nicht länger in Verlegenheit setzen.«

»Wieso?« beeilte sich Lewartowski zu sagen.

»Nun, Sie wissen wohl, Herr Hauptmann, daß ich meine Charge verlor, weil man mich verdächtigte, mit der Emigration gewisse Beziehungen zu unterhalten!«

»So? Das ist mir lieb, daß Sie mir das sagen«, erwiderte Lewartowski und nahm Bulgarin den Hut, den dieser bereits ergriffen hatte, wieder aus der Hand; »obwohl ich den kaiserlichen Rock trage, bin ich doch Pole und verleugne meine Gesinnung nicht.«

Man nahm Platz. Antonia zeigte sich zerstreut, während Bulgarin, stumm wie ein Kartäuser, sich selig fühlte, sie nun immer ansehen zu dürfen. Frau Kleszowska bemerkte sein ungewöhnliches Betragen und begann ihn in ihrer Weise zu studieren.

Er ist so unerlaubt langweilig, sagte sie sich, daß er offenbar rasend verliebt ist, und zwar in diese Heilige. Wie komisch doch diese Männer sind!

Bulgarin wurde von Lewartowski und noch ganz besonders von dessen Frau eingeladen, sie zu besuchen. Er kam an einem Tage, wo ihm bekannt war, daß der Kapitän die Hauptwache im Rathause bezogen hatte, bedauerte sehr, ihn nicht zu treffen, und nahm neben Antonia auf dem Sofa Platz, während er sie mit seinen Augen verschlang.

Antonia war eine jener Schönheiten, wie man sie in den Taschenbüchern jener Zeit häufig abgebildet fand, ideal, an das Schwärmerische streifend, mehr groß als klein, schlank gebaut, anmutig, weich, fast hinschmelzend in ihren Bewegungen. Ihr Gesicht war vom edelsten Oval, Stirne, Nase und Mund zeigten eine an das Peinliche streifende Proportion, der zarte, transparente Teint war von köstlichen, blauschimmernden Äderchen durchschossen und von einer sanften Röte überglüht. Das dunkelblonde Haar floß, leicht gescheitelt, in sanften Wellen um die Schläfen nieder und bildete rückwärts, zierlich geflochten, einen starken Knoten, der künstlich emporgesteckt war. Ihr blaues Auge leuchtete wie ein Kristall, hell und kalt, ohne Feuer. Es schien unmöglich, in dieser herrlichen Brust, die man niemals wogen, ja kaum atmen sah, die wie aus Schnee geformt war, eine Leidenschaft zu wecken, und wie tief und schön und dabei wie ruhig erklang die Stimme, die aus dieser Brust kam.

»Hat sich heute noch niemand Ihretwegen erschossen, gnädige Frau?« fragte plötzlich Bulgarin.

»Welch ein Scherz!«

»Ich glaube, es muß sich täglich jemand um Ihretwegen erschießen.«

»Ich bin doch wahrlich nicht die Frau …«

»Sie, gerade Sie, wer sonst?«

Es folgte eine kleine Pause.

»Glauben Sie nicht, daß wir ein Gewitter bekommen?« sprach dann Antonia.

»Der Himmel ist so klar, so rein …«

»Seltsam, mir scheint es so schwül, genauso wie vor einem Gewitter.« Sie begann sich Luft zuzufächeln.

»Haben Sie vielleicht Lust, mit Ihrem Bogen zu schießen?« versetzte Bulgarin.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Nehmen Sie mich zum Ziele Ihrer Pfeile.«

»Wie? Weshalb gerade Sie?«

»Mein Blut würde fließen, und mir würde wieder wohl.«

Antonia schüttelte den Kopf und gab mit anmutigem Takt dem Gespräche eine andere Wendung.

 

Bulgarin kam nun öfter zu Lewartowski, und je mehr er Antonia sah und sprach, um so heftiger wurde sein Verlangen nach ihrem Besitze und steigerte sich endlich bis zu einer Art Wahnsinn, aber zugleich wurde er auch wieder Herr seines Kopfes und seiner Energie, und statt zu seufzen und stumm zu leiden, entwarf er seinen Plan und ging mit jener unerbittlichen Konsequenz, welche alle seine Unternehmungen mit dem glänzendsten Erfolge krönte, an die Ausführung desselben.

Er brachte eines Abends einen Herrn Kasparowitsch zu Lewartowski, den er als einen Gutsbesitzer aus Wolhynien vorstellte. Das Gespräch kam bald auf die Revolution von 1831, die Emigration, die Hoffnungen der Polen. Lewartowski zeigte sich als warmer Patriot – welcher Pole war dies in jenen Tagen nicht, er mochte den weißen Rock, das Priesterhabit oder die Tschemerka tragen! Während aber ihr Mann nun Wünschen und Erwartungen Worte lieh, kam Antonia als echte Polin mehr und mehr in das Feuer, sprach mit Begeisterung von jenen, welche in der Verbannung unermüdlich für die Herstellung Polens wirkten, und verlangte, endlich Taten zu sehen.

Herr Kasparowitsch sprang auf, küßte entzückt Antonias Hand, nannte sie die beste Patriotin Galiziens und verhieß ihr in kürzester Zeit Ereignisse, welche die Welt in Staunen setzen sollten. Lewartowski blickte auf Bulgarin, der Fremde begann ihm unheimlich zu werden; als aber der Polizeiagent, der sonst so wortkarg war, warm und beredt einstimmte, wurde auch er von der allgemeinen Aufregung fortgerissen und erklärte endlich, er würde im Falle einer neuen Revolution keinen Augenblick zögern, seinen Degen dem Vaterlande zu weihen.

»Ich nehme Sie beim Wort, Herr Hauptmann«, sagte der Fremde feierlich.

»Sie … Herr Kasparowitsch … mit welchem Rechte?« stammelte der kaiserliche Offizier.

»Für heute möge es Ihnen genügen, daß ich alle Ursache habe, so zu sprechen«, erwiderte dieser.

Bulgarin gab ihm einen Wink, die Sache fallenzulassen. Der sogenannte Gutsbesitzer aus Wolhynien wendete sich nun an Frau Lewartowski, welche er in den nächsten Tagen wiederholt bei Frau Kleszowska traf, nach Hause begleitete und endlich an einem Abende, wo ihr Gemahl mit Bulgarin im Kaffeehause Billard spielte, sogar besuchte, und als er über ihre Gesinnungen nicht mehr im Zweifel war, gab er sich als einen Emissär der Pariser »Zentralisation«, Cornel Slonetzki, zu erkennen.

Bulgarin kannte ihn bereits von Paris her: da er noch immer mit der Emigration in Verbindung stand, wurde Slonetzki von der »Zentralisation« angewiesen, ihn in Lemberg aufzusuchen, und Bulgarin unterstützte seine Tätigkeit eifrig.

Es war ja ein Grundsatz der Polizei, die Verbrechen gegen den Staat nicht zu verhindern, sondern sie sich erst vollständig entwickeln zu lassen, ehe sie die Schuldigen ergreift.

Hier trat Bulgarin um so weniger hindernd ein, als der Emissär ihm dazu diente, Antonias Mann in sein Netz zu treiben. Die schöne Amazone spielte dabei unbewußt die Rolle der Circe, sie war mit dem Pariser Sendling bald einig und ließ nun das verführerische Lied vom verlorenen und noch immer nicht verlorenen Vaterlande ertönen; zwei weiße Arme schlangen sich liebend um Lewartowskis Nacken, ein Strom blonden Haares legte sich schmeichelnd um seinen Hals, um allmählich zur Schlinge zu werden, die ihn erwürgen sollte.

Die Märchen sind nicht ausgestorben, sie begeben sich täglich von neuem, nur in anderer Weise. Statt der grünen Wiese, auf der die Majki tanzen, erscheint wohl zuzeiten ein glänzender Ballsaal, ein üppiges Boudoir nimmt den Platz des feuchten Abgrundes ein, den Wasserrosen und Lilien trügerisch bedecken, der Did trägt wohl noch seinen langen Bart, aber zu demselben fette Stirnlöckchen und einen Merinotalar, und die wilde Göttin schmiegt ihre weißen Schultern kokett in das dunkle Pelzwerk einer Kazabaika.

Mit Slonetzki erschienen bald auch andere mehr oder minder verdächtige Personen im Hause Lewartowskis, unter ihnen der Patriot Pater Mudrzyna mit seinem rätselhaften Lächeln und den von Honig triefenden Reden.

Bulgarin war mit dem Erfolge dieser ersten Intrige zufrieden. Ein Zufall begünstigte ihn bei der zweiten, welche er jetzt in Angriff nahm. Er hatte, seitdem er Antonia liebte, ein scharfes Auge auf ihre Briefe. Es war sein höchster Genuß, dieselben im schwarzen Kabinett zu öffnen und zu lesen; der Charakter dieser Frau lag in seiner ganzen Makellosigkeit, Kraft und Güte vor ihm in diesen Briefen, er blickte in ihr reines Herz, wie man von einem Karpatenfelsen aus in die ebene, von der Sonne zauberhaft beglänzte Landschaft sieht. Es waren so unschuldige Briefe, welche in seine Hände kamen, Briefe an ihre Mutter, an Freundinnen, Verwandte, an ihre Amme – er konnte kein Fleckchen an ihr entdecken, nicht das kleinste.

Da kam einmal aus Wien ein Brief eines Offiziers an sie, der ihn befremdete. Er nahm Abschrift von demselben, und er brachte ihm vollkommene Klarheit.

Antonia war, ehe sie Lewartowski kennenlernte, von einem jungen Offizier geliebt worden, und auch ihr Herz gehörte ihm mit der vollen Innigkeit einer ersten Mädchenneigung. Der Leichtsinn ihres Verehrers hatte sie bestimmt, ihm zu entsagen. Sie waren in Groll und Schmerz geschieden; jetzt, wo sie überwunden hatte, wo sie vermählt, wo sie glücklich war, kam er, der Einsame, der Haltlose, und beschwor sie, ihn aufzurichten; er hatte sich aufgerafft, hatte ein neues, edleres Leben begonnen, aber ihm fehlte die Kraft auf diesem stillen, lichtlosen Wege, sie sollte ihm voranschweben, kein irdisches Weib mehr, ein Cherub mit Flügeln, so rein wie Schnee. Von ihr allein erwartete er sein Heil, seine Erlösung.

Konnte sie ihn abweisen?

Sie schrieb ihm, aber sie schrieb wie eine Mutter an ihr verlorenes Kind, wie eine Priesterin an einen Abtrünnigen; sie beging nur einen Fehler, sie schrieb ihm ohne Wissen ihres Mannes.

Das war der unscheinbare Faden, den sie, ohne es zu ahnen, Bulgarin in die Hand gab, und dieser war der Mann, ein Netz daraus zu weben, genauso verderblich und unzerreißbar wie jenes, das Klytämnestra dem badenden Agamemnon über den Kopf warf, ehe sie ihn durch ihren Buhler morden ließ.

Bald fand sich ein Brief Antonias, der für jenen, welcher die vorhergehenden nicht gelesen hatte, verdächtig genug aussah. Diesen behielt Bulgarin. Der junge Offizier in Wien wartete vergebens auf Antwort und schrieb endlich wieder, bebend vor Antonias Zorn, den er erregt zu haben fürchtete, und um eine Zeile von ihrer Hand, eine einzige Zeile kniefällig bittend, wie der zum Tode Verurteilte um sein Leben. Auch dieser Brief wurde unterschlagen und noch ein dritter, worin sich der Wahnsinnige zu töten drohte, wenn sie ihn nochmals verlasse.

Das Netz war fertig.

Bulgarin zeigte nun Antonia gegenüber ein Benehmen, das geeignet war, ihren Mann mindestens sehr zu befremden; während er sonst ihre Hand mit einer gewissen Inbrunst geküßt hatte, verneigte er sich kalt und stumm vor ihr, niemals richtete er ein Wort an sie, und sooft es ihr einfiel, eine Frage an ihn zu richten, mußte ihn erst jedesmal Lewartowski aufmerksam machen, daß seine Frau zu ihm gesprochen habe. Er kam jetzt nur in Gesellschaft Slonetzkis und bemühte sich immer, den Platz an Lewartowskis Seite zu erobern; blieb für ihn ein Stuhl neben Antonia frei, so setzte er sich gewiß jedesmal an das Piano, um zu phantasieren, oder stöberte unter den Büchern und Zeitungen umher. Was war natürlicher, als daß Antonia sich bei ihrem Manne beklagte und dieser zu Bulgarin kam, um ihn zur Rede zu stellen.

Der Don Juan stand eben in gelben Morgenstiefeln von weichem Saffian, türkischen Pantalons und einem Schlafrock von hellblauer Seide vor einem großen Ankleidespiegel, der seinen Platz ebensogut in der Garderobe jeder Lebefrau hätte einnehmen können, und drückte sich mit der ganzen Ernsthaftigkeit einer Kokotte die Mitesser auf der Stirne aus.

Der Kapitän verlangte Aufklärungen, artig, aber bestimmt, und Bulgarin verweigerte dieselben ebenso artig und ebenso bestimmt.

»Aber, mein Freund«, sagte schließlich Lewartowski, »du mußt doch Gründe haben?«

Bulgarin stopfte eine türkische Pfeife und bot sie ihm an.

»Ich danke – aber ich bitte dich – bedenke meine Lage als Mann.«

»Ebendiese bedenke ich«, sagte Bulgarin rasch, sich gleichsam vergessend, um dann rasch an das Fenster zu treten und an seinen Nägeln zu kauen. Er war ein vollendeter Komödiant.

»Bulgarin!« murmelte Lewartowski, auf ihn zutretend und ihn heftig zu sich herumdrehend. »Was weißt du, sprich, ich beschwöre dich.«

»Oh! Ich soll dich warnen, damit du deiner Frau einen Verdruß machst und ich den Skandal habe.«

»Mein Ehrenwort, daß ich dich nicht nenne.«

»Erlaß es mir, dich aufzuklären.«

»Ich sage dir aber, daß ich es wissen will.«

»Also, deine Frau betrügt dich.«

»Mit wem? Mit Slonetzki?«

»Warum nicht gar mit dem Jesuiten? Ach! Wie diese Ehemänner blind sind! Hat sie nicht vor dir einen anderen geliebt?«

»Ja!«

»Einen Lieutenant, der jetzt in Wien ist?«

»So ist es!«

»Nun, mit diesem korrespondiert sie, und in einer Weise –«

»Mensch! Wenn du wirklich mein Freund bist, liefere mir Beweise!«

»Das wird nicht so schwer sein. Antonia läßt ja ihre Liebesbriefe offen für alle Welt auf ihrem Tische liegen«, erwiderte Bulgarin. »Wenn du aber verrätst, daß ich dir Briefe von ihm oder an ihn gegeben habe, dann bin ich imstande, dich vor ihr über den Haufen zu schießen.«

Nach einigen Tagen kam der Kapitän wieder zu Bulgarin, und dieser ließ ihn die aufgefangenen Briefe lesen. »Der von ihr«, erklärte er, »ist offenbar nicht abgesendet worden, daher die Furcht, sie neuerdings zu verlieren, die er in seinem zweiten Briefe ausspricht. Verstehst du?«

»Ich verstehe«, sagte Lewartowski dumpf. Er las, las wieder, ging auf und ab und wollte dann die Briefe zu sich stecken.

»Die Briefe wirst du nicht behalten!« rief Bulgarin. »In einer schwachen Stunde begehst du eine Torheit, und alles ist verloren.«

»Was ist da noch zu gewinnen?« versetzte Lewartowski.

»Aber es ist ja so alles aus.«

Er gab Bulgarin die Briefe, der sie auf der Stelle verbrannte und noch zum Überfluß die Asche in seiner Hand zerdrückte.

Seit diesem Tage bemerkte Antonia an ihrem Manne eine auffallende Veränderung, welche sie sich nicht zu deuten wußte. Er sprach mit ihr genau so, als habe sie ihm beim Hofballe zu einer Quadrille befohlen, den Tschako unter dem Arm: sie sah ihn nie mehr lächeln, er küßte sie nicht einmal mehr abends, wenn sie ihm gute Nacht wünschte. Wenn er nicht Dienst hatte, blieb er im Kaffeehaus oder sonstwo, aber er kam meist nur nach Hause, um zu essen, und auch das nicht immer.

Ein einziges Mal sagte Antonia: »Du bist so sonderbar, Felix, ist dir etwas Unangenehmes begegnet?« Denn daß sie ihn beleidigt haben könnte, daran dachte sie nicht einmal. Er gab ihr keine Antwort, er begnügte sich, laut aufzulachen. Sie errötete und fragte ihn nicht wieder, sie war stolz, diese Frau, und schuldlos, sie konnte schweigend dulden.

Aber er? Weshalb schwieg er? Ein Wort von ihm, ein ehrliches Wort und ein herzliches, und das Netz, das beide umspann, wäre zerrissen. Aber er war ein Pole. Er war empfindlich, und er war ritterlich, sogar in seiner Verzweiflung. Er war zu empfindlich, um seine Frau um Aufklärung zu bitten, und er war zu ritterlich, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Er war ein Pole, und die polnische Sitte zwingt den Mann, verbindlich zu lachen, wenn ihn seine Frau hörnt.

Bulgarin kam nun fast täglich, und es geschah jedesmal, daß er Lewartowski nicht zu Hause fand und sich sofort wieder empfahl.

Einmal, als Antonia ihm wieder sagen mußte, daß ihr Mann schon am Morgen fortgegangen sei, überflog ein häßliches Lächeln seine schönen Züge. Die arme Frau sah dieses Lächeln, das sie sich nicht zu deuten wußte, und sie hatte dabei eine Empfindung, als ob ihr jemand Feuer in das Gesicht spritze.

»Ich weiß wirklich nicht«, stammelte sie, »wo er immer ist …«

»Ich dagegen muß zugestehen«, versetzte Bulgarin, Antonia mit den Augen durchdringend, »daß ich ihn nicht begreife. Er hat sich, scheint mir, sehr verändert …«

»Nicht er allein«, hauchte die schöne Frau, die Elfenbeinhand auf die schwarze Holzlehne eines Stuhles gestützt.

»Auch Sie!« sagte Bulgarin.

»Und Sie!«

»Ich?«

»Ja, Sie!«

»Sie haben also bemerkt?« entgegnete Bulgarin verwirrt; er errötete sogar ein wenig. »Aber ich versichere … gewisse Umstände … beurteilen Sie mich nicht nach dem Schein …«

»Ich hielt Sie für meinen Freund«, sagte Antonia mit ihrer erhabenen Ehrlichkeit, »und Sie haben mich verlassen, gerade da verlassen, wo ich Ihrer so sehr bedurfte.«

»Mein Gott!« rief Bulgarin, und zwar mit einer Leidenschaft, die vollkommen echt war. »Ich kann Sie nicht so sehen, und andererseits – das Vertrauen Ihres Mannes! Es drückt mich zu Boden, dieses Vertrauen.«

Aus Antonias Wangen war alles Blut gewichen.

»Was hat Ihnen Lewartowski anvertraut … er hat doch nicht … am Ende … die Kasse des Bataillons …«

»Nein, nein!«

»Was also? Reden Sie, ich befehle Ihnen zu reden!«

»Gut, dann hören Sie aber auch alles!« begann Bulgarin bebend, mit einem Ton, der so schmerzlich war wie der einer Aeolsharfe. »Ich kann es nicht ansehen, wie er – eine Frau wie Sie wegwirft, um einer Kleszowska willen.«

»Lewartowski?«

»Ist der erklärte Liebhaber dieser Dame.«

Antonia nickte traurig mit dem schönen Haupte vor sich hin, dann ließ sie es auf die Brust sinken, und große Tränen perlten an ihren Wangen hinab. So stand sie lange, und Bulgarin verzehrte sie mit seinen Blicken, er litt mit ihr, litt namenlos, und doch hätte er auflachen mögen vor Freude. Sie streckte ihm dann, noch immer das Auge zur Erde gesenkt, die Hand hin, über die er sich ehrerbietig neigte, um sie zärtlich zu küssen.

»Sie müssen wiederkommen, zu mir kommen, täglich kommen.«

Er preßte ihre Hand nochmals an die Lippen.

An demselben Abend kam er vor dem Theater zu Frau Kleszowska, welche eben ihre Augenbrauen malte.

»Mein Herz«, begann er, »du siehst heute reizend aus. Da fällt mir eben ein, ich werde heute Lewartowski in deine Loge bringen, erweise mir den kleinen Gefallen und mache ihn mir verrückt.«

»Und wenn er verrückt ist?«

»Das übrige wird dir dein gutes Herz sagen.«

»Hast du Absichten auf seine Frau?«

»Auf ihn, mein Herz, also tu mir den Gefallen. Lewartowski hat übrigens Geld und ist ein sehr nobler Courmacher.«

»Spitzbube!« Sie gab ihm mit der kleinen Hand einen Schlag auf den Mund.

 

Bulgarin kam nun täglich zu Antonia, und zwar zu einer Zeit, wo Lewartowski Frau Kleszowska in ihrer Loge besuchte oder bei ihr zum Tee war. Der Abend ist der Vertraulichkeit günstig. Antonia freute sich jedesmal von Herzen, Bulgarin zu sehen, und sie überließ sich dieser Freude auch in seiner Gegenwart um so rückhaltloser, als er sich musterhaft benahm. Er war der aufmerksamste Anbeter, voll zarter Rücksicht und ritterlichem Eifer, ihr zu dienen, blieb aber dabei stets der respektvolle, teilnehmende Freund, der Gentleman, dem die Zurückhaltung zur zweiten Natur geworden ist.

Antonia sah in diesem Verkehr keine Gefahr für sich; sie sah dieselbe nicht, weil sie mit geschlossenen Augen vorwärts ging wie eine Mondsüchtige, die einen schmalen Balkon betreten hat und sicher, wie von Flügeln getragen, über den Abgrund hinüberschwebt. Sie sah auch nicht, daß es für sie keine Umkehr mehr gab, nur einen entsetzlichen Sturz in die Tiefe, wenn eine warnende Menschenstimme sie zu früh aus dem Schlafe schreckte, oder ein Erwachen jenseits des verderblichen Pfades in den Armen dessen, der sie an sich zog in magischen Kreisen.

Und sie begann ihn zu lieben, ohne es zu wissen. Sie sah, daß er sie liebte, das sah sie so deutlich, so hell, wie man auf dem Grunde eines Karpatensees die bunten Steine liegen sieht und die Wasserlilien wachsen und die Fische spielen, und sie sah es so genau und war so versunken in den Anblick dieser Liebe, daß sie ihr eigenes Herz vergaß.

Eines Abends, als Bulgarin sich ihrem Wohnhause näherte, trug ihm der Herbstwind eine originelle Melodie entgegen; er erkannte bald die tiefe, weiche Stimme Antonias, und als er endlich unter dem offenen Fenster stehenblieb, vernahm er auch die Worte.

Sie sang ein russisches Lied:

»Warum folgt er mir nur
Dieser schreckliche Mann?
Warum lächelt er so?
Warum sieht er mich an?

Warum zuckt es so oft
In dem bleichen Gesicht?
Warum liebt er mich so?
Warum sagt er es nicht?«

Als er eintrat, blieb sie vor dem Piano sitzen, spielte die Melodie leise weiter und lächelte ihn an.

»Was befehlen Sie mir heute, gnädige Frau?« begann Bulgarin artig.

»Ich will, daß Sie mir vorlesen.«

»Was soll ich Ihnen vorlesen?«

»Was Sie wollen. Etwas Verliebtes. Ich höre Ihnen gerne zu, wenn Sie so ins Feuer kommen.«

Bulgarin schloß das Fenster, zog ein Buch hervor, setzte sich ihr gegenüber und begann zu lesen:

»Kalt, befiehlst du, soll ich stehen,
O du Reizende vor dir!
Willst Du mich gehorsam sehen,
Gib ein anderes Herze mir.

Gib ein Herz mir, das verstände,
Dich erkennend frei zu sein,
Gib mir eins, das Mut empfände,
Nicht zu leben dir allein.«

»Das Gedicht ist von Ihnen!« sagte Antonia und legte dabei ihre Hand auf das Buch.

»Nein, es ist …«

Sie klappte das Buch zu. »Es soll von wem immer sein, was liegt mir daran; aber was wollte ich nur sagen? Ja!« Sie stand rasch auf, mit einer Leidenschaftlichkeit, die an ihr ganz merkwürdig war. »Ich will, daß Sie mich zu ihr führen – ich werde ihr kein böses Wort sagen, ich denke nicht daran, aber ich will Gewißheit haben, Gewißheit, daß er treulos ist, es ist dies wichtig für mich, sehr wichtig.«

»Sie sollen Gewißheit haben, lassen Sie mir nur Zeit, es muß auf eine Weise geschehen, welche Sie nicht bloßstellt«, erwiderte Bulgarin und nahm ihr die Mantille ab, welche sie bereits umgeworfen hatte.

»Gut, ich will warten!« Sie setzte sich wieder an das Piano und sang leise vor sich hin:

»Warum zuckt es so oft
In dem bleichen Gesicht?
Warum liebt er mich so?
Warum sagt er es nicht?«

Am nächsten Morgen ließ der Präsident seinen Vertrauten rufen. »Was haben Sie denn seit einiger Zeit?« begann er verdrießlich. »Wo bringen Sie Ihre Abende zu? Sie werden nachlässig.«

Bulgarin versuchte, sich zu entschuldigen.

»Bah! Sie sind verliebt. Ein verliebter Polizeiagent ist genausoviel wert wie ein verheirateter Soldat. Zeigen Sie, daß Sie noch was können!«

So ging denn Bulgarin, von Wut und Scham erstickt, hin und zeigte, was er imstande war. Binnen drei Stunden hatte er die schönsten Verschwörungen entdeckt und sieben junge Leute, Freunde, Studenten, welche in Briefen voll Unschuld und Schwärmerei sich ziemlich patriotisch und auch ein wenig frei aussprachen, dem Arme der Gerechtigkeit überliefert. Der Polizeimoloch war wieder einmal gesättigt. Sieben kindische Träumer: drei Juristen und ein Philosoph in Lemberg, ein Seminarist in Przemysl, ein Gymnasiast in Stanislau und ein Mediziner in Wien wurden in schmutzige Arreste geworfen, mißhandelt, mit Stockprügeln traktiert und zuletzt als gemeine Soldaten zum Militär abgestellt.

Zum ersten Male fühlte Bulgarin etwas wie Scham. Er kam in der Dämmerung zu Antonia, um Abschied zu nehmen. Die arme Frau erschrak so sehr, daß sie lange Zeit sprachlos, von einem Fieberfrost geschüttelt, auf ihrem Sofa saß und ihn mit ihren großen, staunenden Augen anstarrte. Endlich sagte sie: »Sie verlassen mich – doch nicht für immer?«

»Ich muß meine Mutter besuchen«, entgegnete Bulgarin, »ich besuche sie jedes Jahr.«

Antonia kam zu sich. »Wie lange bleiben Sie aus? Einen Monat?«

»Nur wenige Tage.«

Die arme Frau lächelte. »Wie viele Tage?«

»Acht Tage.«

»Sagen Sie sechs – nein, fünf.«

»Also fünf.«

Sie gab ihm beide Hände, er küßte sie heftig und kniete vor ihr nieder. Ihre Lippen berührten seine Stirne – so trennten sie sich.

 

Es dämmerte bereits stark, als Bulgarin am folgenden Tage in Stryj in das Zimmer seiner Mutter trat.

»Wer ist da?« fragte die alte Dame, indem sie die Hand über die Augen legte.

»Ich bin es, Mama!« Er warf seinen Mantel ab, stürzte zu ihren Füßen nieder, und sie küßte ihn und bekreuzte seine Stirne.

»Barbara«, rief sie dann, »Barbara, unser Kind ist da, mach schnell einen Kaffee, es ist so kalt zu fahren, und richte ein gutes Nachtmahl.«

Barbara, die einst als Wärterin zu dem kleinen Dyonis in das Haus gekommen und dann als Köchin in dem letzteren geblieben war, kam fast verschämt herein, und nachdem sie einen stürmischen Kuß von dem Kinde empfangen, versäumte sie es nicht, sich sofort den Mund mit dem Hemdärmel abzuwischen. Während sie den Kaffee machte, fragte die Mutter ihn aus; es lag ihr so viel am Herzen, und eine Mutter wird nie satt, ihr Kind anzuhören.

Sie lebte, seitdem sie Witwe war, in der kleinen Kreisstadt, zuerst mit ihrem Sohn, dann allein, von allen Menschen geliebt und geachtet, obwohl sie kein Gut besaß und keine Equipage, ja nicht einmal einen Bedienten hatte, von dem sorgfältig geflochtenen und aufgesteckten Zopfe bis zu den kleinen Schuhen herab eine vollkommene Edelfrau; wohltätig, fromm, gastfreundlich, ihrem Vaterlande leidenschaftlich zugetan und höchst unzufrieden mit den Schwaben. Nachdem sie ihr kleines Vermögen ganz eingebüßt hatte – es war im vollsten Sinne des Wortes von ihren Freunden aufgezehrt worden –, begann sie sparsam zu werden, nämlich sie suchte mit dem auszukommen, was ihr Sohn ihr gab. Seit einiger Zeit sendete er ihr jedoch so viel, daß sie von Angst erfaßt wurde.

»Was hast du denn eigentlich für ein Geschäft, das dir so viel einbringt?« fragte sie, und, sich auf der Stelle verbessernd, sie fügte hinzu: »Aber was rede ich da, verstehe ich doch nichts davon, ich denke, du machst den Unterhändler bei Güterkäufen und dergleichen – nun, mein Kind, wenn das Geld nur auf ehrliche Weise verdient ist.«

»Sei ganz ruhig darüber.«

»Da du es mir sagst, bin ich es.«

Einen Augenblick hatte sich ein Schatten auf dem schönen Gesichte Bulgarins gelagert, aber nur einen Augenblick, dann saß er und trank Kaffee aus der schokoladenbraunen Tasse, die er seit undenklicher Zeit kannte, und konnte sich nicht satt sehen an den alten Möbeln und den Bildern und der Malerei der Wände, die seit zwanzig Jahren unverändert war; immer heller wurde sein Antlitz, er stand auf und begann in der ganzen Wohnung herumzustöbern, in allen Winkeln und Kisten, und richtig, da stand versteckt die Krippe mit den Hirten, dem Jesuskinde, der Stadt Bethlehem und dem goldenen Stern, vor dem er als Kind die Kolendi gesungen, und er fand auch die papiernen Soldaten, Russen, Türken, Preußen und Franzosen, mit denen er Krieg gespielt, und die kleinen Kanonen, die Erbsen unter sie geschossen hatten.

Er begann das alles auf dem großen Speisetisch aufzustellen. Er hatte alles vergessen, was zwischen ihm und jenen goldenen Tagen lag, alles, sogar Antonia, er konnte wieder lachen wie mit zehn Jahren, er war glücklich.

 

Als Bulgarin in die Hauptstadt zurückkehrte, war sein erster Gang zu Lewartowski; er fand aber weder ihn noch dessen Frau zu Hause. Ärgerlich drückte er den Hut in die Stirne und schlug fast unbewußt den Weg zu seiner Freundin Kleszowska ein.

Es war die Zeit des Zwielichts, wo allenthalben düstere Schatten lagern, die Gegenstände, die Menschen in das Riesige wachsen, ein grauer Nebel sich vor das Auge breitet und es auch in der Menschenseele ahnungsvoll zu dämmern beginnt.

Als Bulgarin sich den unbeleuchteten Fenstern der polnischen Circe näherte, stand unerwartet eine weibliche Gestalt vor ihm, welche sich groß und drohend von der Mauer abzulösen schien. Ein jäher Schreck flog durch seine Seele, jäh und freudig; er täuschte sich nicht, es war Antonia.

»Sie sind es?« sagte sie mit sanfter, umflorter Stimme.

»Welcher Zufall!« Er ergriff ihre Hände und küßte sie.

»Kein Zufall«, erwiderte sie, »aber Sie kommen ungelegen, mein Freund, wenn Sie Frau Kleszowska besuchen wollen – er ist bei ihr.«

»Wer?«

»Lewartowski.«

»Sie haben ihn eintreten sehen?«

»Ja.«

»Und Sie sind jetzt überzeugt, daß er Ihnen untreu ist?«

»Nicht genug«, sagte Antonia, beschämt die Augen niederschlagend, »ich versuchte durch die Fenster zu blicken, es ist aber nicht möglich, mehr als einen Schatten wahrzunehmen, eine Passage auf dem Piano oder ein lautes Lachen zu hören.«

»Verlangen Sie von mir Beweise?«

»Ja. Ich will, daß Sie mich davon überzeugen, daß mein Mann ein Lügner, ein Betrüger ist, daß er diese Person liebt, daß er treulos ist, daß … ach … ich weiß selbst nicht mehr, was ich will.« Die arme Frau begann zu weinen. »Hören Sie«, sagte sie dann plötzlich mit fester Stimme, »ich will Beweise, und zwar auf der Stelle.«

»Erwarten Sie mich hier«, gab Bulgarin rasch zur Antwort, »und verhalten Sie sich vollkommen ruhig, bis ich zurückkehre.«

Bulgarin verschwand in dem Hause, schnell und leise wie eine Schlange, die in ein altes Gemäuer schlüpft. Er blieb nur kurze Zeit aus, Antonia verging aber in diesen wenigen Minuten fast vor Unglück, sie fieberte, sie hüllte sich dichter in ihren Mantel, vor ihren glühenden Augen tanzten Funken. Dann erschien zuerst ein Schatten und hierauf er selbst.

»Versprechen Sie mir, sich nicht zu verraten, was Sie auch sehen und hören mögen?« begann er dringend.

»Ich schwöre es.«

»Und versprechen Sie mir, unter keinen Umständen Ihrem Manne einen Vorwurf zu machen.«

»Auch das schwöre ich.«

»Dann kommen Sie also.«

Bulgarin gab ihr seinen Arm und führte sie bis zu einem Korridor, in welchem sie das Stubenmädchen der Circe mit einem Lichte in der Hand erwartete. Antonia ließ heftig den Schleier fallen. Das Mädchen lächelte und zeigte, ohne ein Wort zu sprechen, auf eine Türe, welche offenstand. Sie traten auf den Fußspitzen in ein vollkommen dunkles Zimmer. Das Mädchen blies das Licht aus, lehnte die Türe an und war im nächsten Momente verschwunden, wie ein Schemen, das die Nacht erzeugt und verschlingt.

Bulgarin führte die bebende Antonia zu einem türkischen Diwan, auf dem sie sich niederließ, und blieb neben ihr stehen, indem er sie bei der Hand hielt. Es währte nicht lange, so wurde die Portiere, durch welche man in das anstoßende Zimmer trat, zurückgeschlagen, und Frau Kleszowska erschien auf der Schwelle, um ihr Zimmermädchen zu rufen. Das war eine abgekartete Sache, und ebensowenig war es Zufall, daß der Vorhang offen blieb, als sie zu dem Ruhebett zurückkehrte, auf dem Lewartowski saß.

Antonia konnte jetzt, ohne selbst bemerkt zu werden, alles sehen und hören, was im Nebenzimmer vorging, und zwar im vorteilhaftesten Lichte sehen, da Frau Kleszowska durch das herbeikommende Stubenmädchen einen Armleuchter mit fünf Kerzen unmittelbar vor sich auf den Tisch stellen ließ, und in deutlichster Weise hören, daß die Circe ihre Stimme erhob und dadurch auch Lewartowski zwang, laut zu sprechen.

Frau Kleszowska trug eine Art fließenden Schlafrock aus weißem Mull, dessen griechische Ärmel ihre bloßen Arme sehen ließen. Ihre Büste war ebensowenig verhüllt wie die einer griechischen Statue der Venus, und ein schwarzes Samtband, das sie um den Hals trug und an dem ein kleines Kreuz aus Brillanten blitzte, schien bestimmt, die blendende Weiße derselben noch zu heben.

Lewartowski saß ohne Rock, mit offener Weste da.

»Aber sag mir doch, Felix«, begann Frau Kleszowska, »was deine Frau macht, wenn du den ganzen Tag bei mir bist?«

»Ich hoffe, sie unterhält sich«, gab Lewartowski mit einem lauten Lachen zur Antwort.

»Womit? Mit einer Puppe?«

»Mit einem Liebhaber.«

»Du würdest wohl wünschen, daß sie einen Liebhaber hätte«, lachte Frau Kleszowska, »um ganz von ihr befreit zu sein? Nicht?«

»Ach was, ich kümmere mich so nicht um sie.«

»Sie ist aber doch schön.«

»Ein Bild«, erwiderte Lewartowski, »eine Statue! Du aber bist ein lebendiges Weib und was für ein Weib!«

Antonia erhob sich. »Ich habe genug gehört«, murmelte sie, »kommen Sie, führen Sie mich nach Hause.«

Bulgarin triumphierte. Er hätte laut auflachen mögen vor Freude, aber er beherrschte sich so sehr, daß Antonia, als sie vor dem Hause in sein Gesicht blickte, Trauer und Entrüstung in demselben wahrzunehmen glaubte.

»Betrüben Sie sich nicht um meinetwillen, mein Freund«, sprach sie sanft, indem sie ihren Arm in den seinen legte, »ich bin ruhig, jetzt bin ich ruhig. Sie waren ein grausamer Arzt, aber Sie haben das Messer zu meinem Wohle angelegt. Ich bin geheilt.«

Sie gingen schweigend nebeneinander. Vor ihrer Wohnung wollte sich Bulgarin verabschieden.

»Sie kommen zu mir«, sagte Antonia mit majestätischer Bestimmtheit; »ich will es. Verstehen Sie mich?«

Bulgarin verneigte sich vor ihr. Dann ging sie voran, zuerst die Treppe hinauf, dann durch die Reihe der Zimmer, bis in ihr Schlafzimmer. Als Bulgarin, der es noch niemals betreten, ja nicht einmal einen Blick hineingeworfen hatte, seinen Fuß in dasselbe setzte, wehte es ihn an wie der schwere, todbringende Duft des Giftbaumes.

Das Fenster des kleinen Gemachs war geschlossen, Blumen standen auf demselben, Blumen auf dem Tischchen unter dem großen Spiegel, Blumen zu beiden Seiten des Himmelbettes. Ein schwellender Teppich dämpfte den Schritt. Antonia zündete zwei Kerzen an, welche in silbernen Leuchtern auf ihrer Toilette standen, nahm ihren Hut ab, legte den Mantel, den sie abwarf, über einen Stuhl und erwartete, daß Bulgarin zu ihr sprechen würde, aber er schwieg, ja er regte sich nicht einmal, nur sein dunkles Auge folgte ihren schönen, weichen Bewegungen mit einem tiefen Entzücken.

Antonia setzte sich endlich auf das Ruhebett, vor dem ein ovaler Tisch stand, nahm ein Spiel Karten und begann eine Patience zu legen.

»Denken Sie sich etwas, Dyonis«, sagte sie – sie nannte Bulgarin zum ersten Male bei seinem Taufnamen. »Wir wollen sehen, ob es ausgeht.«

Bulgarin trat einen Schritt näher und blickte erregt auf die Hand, die mit seinem Lebensfaden spielte; der Spieler erwachte in ihm, er vertraute blind dem Orakel der Karten, dessen Spruch er atemlos erwartete.

»Es ist ausgegangen«, rief plötzlich Antonia. »Ihr Wunsch geht in Erfüllung. Was haben Sie gedacht?«

»Ich habe das Schicksal befragt, ob Sie mich lieben, Antonia.«

Sie sah ihn rasch an. »Ja, ich liebe Sie, Dyonis«, sagte sie.

Ihre Stimme klang dabei so voll, so wahr, so aufrichtig. »Und auch Sie dürfen mich jetzt lieben.« Sie erhob sich langsam, holte tief Atem und blickte erstaunt um sich, wie eine vom Tode Erweckte. Die Welt erschien ihr mit einem Male neu und schön und verlockend. »Eine Statue!« murmelte sie. Es gab aber Statuen, die lebendig wurden. Und sie stand jetzt vor Bulgarin, aufrecht, unbeweglich, marmorbleich wie eine Statue, aber eine Statue von – Schnee. Zwei warme Männerarme, die sie leidenschaftlich umschlingen – und sie liegt hinschmelzend an der Brust des Geliebten. Die Kerzen flackern, die Flammen scheinen sich zu küssen, und so berühren sich ihre Lippen. Sie ist sein. Niemand entreißt sie ihm. Sein Leben und das ihre schwinden dahin in süßer Ohnmacht, in seligem Streben, als ob der Giftbaum sie umströmte mit seinem schweren, todbringenden Duft.

Eine Stunde verrinnt wie ein Augenblick. Antonia hat die Welt vergessen, sie bemerkt nichts von allem, was sie umgibt, sie schwebt auf einer Wolke zwischen den Sternen, Bulgarin aber, mit dem scharfen Ohr des Kosaken begabt, hört den Schritt des Feindes von weitem heranschleichen, auch in den weichen Armen des geliebten Weibes, er hört, aber er will nicht hören.

Plötzlich steht Lewartowski in dem Schlafgemache seiner Frau und sieht ihr schönes, bleiches Haupt an der Schulter Bulgarins ruhen.

Er beginnt zu lachen.

Antonia schrickt zusammen und flüchtet in eine Ecke, Bulgarin dagegen, ihm furchtlos in das Auge blickend, stellt sich zwischen ihn und seine Frau.

»Eine Szene wie auf dem Theater!« höhnt Lewartowski, indes sein Herz vor Eifersucht und Wut in der Brust hämmert.

»Seit wann sind Heilige so menschlich?«

»Du irrst dich«, erwidert Antonia, die sich gefaßt hat, »hier ist nur eine Statue, die lebendig geworden ist.«

»Eine Statue?« Lewartowski erbleicht, er begreift den Zusammenhang nicht ganz, aber es sind seine Worte, die ihm sein Weib ins Gesicht schleudert, und sie treffen ihn wie ein Peitschenhieb.

Er zuckt zusammen, er stammelt, er ringt nach Luft.

»Dies ist mein Zimmer«, spricht seine Frau, »ich befehle dir, es sofort zu verlassen.«

»Gut«, entgegnet Lewartowski, »sehr gut, aber dies ist mein Haus, und ich werde diesen Herrn vorher auf die Straße werfen.«

»Du? Du … mich?« sagt Bulgarin, immer nachlässig, kalt und höhnisch.

»Du hoffst, ich werde nach dem Degen greifen«, fuhr Lewartowski fort, »und dir Gelegenheit geben, meine Frau zur Witwe zu machen. Nein, Freundchen, das werde ich nicht. Es gibt Menschen, mit denen man sich nicht schlagen kann, die man durch seine Bedienten …«

»Genug«, unterbrach ihn Bulgarin, »ich gehe, nicht weil ich deine Beleidigungen fürchte, sondern weil ich deine Frau schonen will. Hier ist der einzige Ort, wo ich dir nicht Rede stehen werde, aber ich werde dich dort zu finden wissen, wo du deine Tapferkeit beweisen kannst, ohne eine wehrlose Frau zu kränken.«

»Sehr schön gesagt«, spottete Lewartowski. »Der reine Karl Moor! Ich kann mich leider nicht so gewählt ausdrücken, aber du wirst mich wohl verstehen, wenn ich dir hiermit verbiete, deinen Fuß noch einmal über meine Schwelle zu setzen. Meine Leute werden sonst in die unangenehme Lage kommen …«

Bulgarin nahm seinen Hut, verneigte sich vor Antonia und verließ rasch das Zimmer.

»Meine Hunde auf dich zu hetzen«, rief ihm Lewartowski nach.

Hätte er in diesem Augenblick in Bulgarins Gesicht blicken können, die Worte wären ihm auf den Lippen erstorben. Der Henker, der von dem ihm an Händen und Füßen gebunden überlieferten Delinquenten bedroht wird, kann nicht verächtlicher blicken, als jener es bei diesen Worten tat.

Als er fort war, wendete sich Antonia fast heftig zu ihrem Manne. »Verlaß mich«, rief sie, »oder ich verlasse dein Haus.«

»Die Frau weist ihrem Mann die Tür?« lachte Lewartowski. »Aus welchem französischen Lustspiel ist die Szene?«

»Aus demselben, in welchem der Mann zu seiner Geliebten sagt: ›Ich hoffe, meine Frau unterhält sich mit einem Liebhaber.‹«

Lewartowski blieb mehrere Sekunden starr, dann rieb er sich die Stirn mit der flachen Hand. »So«, sagte er, »dann allerdings – ich weiß nur nicht …«

Antonia setzte sich von neuem an den Tisch und begann die Karten zu mischen.

»Ich falle dir zu Füßen«, sagte Lewartowski und verließ langsam das Zimmer.

 

Es war im Foyer des Theaters, als Bulgarin und Lewartowski sich zwei Tage später wieder trafen. Man gab die »Zauberflöte«, und der unglückliche Kapitän kam eben aus der Loge der Frau Kleszowska. Er war in Zivil und trug ein kleines Spazierstöckchen, elastisch wie eine Reitgerte. Mit diesem Stöckchen focht er herum, als er seinen Nebenbuhler gewahr wurde, dieser aber gab ihm ohne weiteres einen leichten Schlag mit der Hand auf die Schulter und sagte leise: »Kommen Sie, ich habe mit Ihnen zu reden.«

Lewartowski versuchte seinem Gesichte den Ausdruck insolenter Geringschätzung zu geben.

»Der Kapitän Lewartowski«, sprach er, »hat mit einem Menschen, wie Sie es sind, nichts zu besprechen.«

»Ich habe auch nicht mit dem Kapitän, sondern mit dem Verschwörer Lewartowski zu reden«, entgegnete Bulgarin, seine Stimme erhebend.

Der Kapitän schrak zusammen, blickte um sich, ob jemand die Worte seines Feindes gehört haben könnte, winkte hierauf dem letzteren und ging rasch hinaus. Als Bulgarin auf der Straße sich ihm näherte, sagte er in einem Tone, der fast ängstlich klang: »Gehen wir auf den Wall, dort ist jetzt kein Mensch.«

»Wie du willst.«

An Ort und Stelle angelangt, blieb Lewartowski unter einer Straßenlaterne stehen. »Was gibt es? Willst du Rache nehmen? Mich verraten?«

»Ich will nur deine Frau besitzen«, erwiderte Bulgarin. »Alles andere ist mir gleichgültig. Um aber zu diesem Ziele zu gelangen, bin ich entschlossen, alles zu wagen und dich in keiner Weise zu schonen. Erwarte von mir keine Feigheit, keine Unentschlossenheit, vor allem aber kein Erbarmen. Deine Briefe an die ›Zentralisation‹ in Paris und an verschiedene Verschworene sind alle in meiner Hand.«

»Wie ist es möglich?«

»Genug, es ist so, überzeuge dich!« Er reichte ihm einen Brief, den der Kapitän, mehr und mehr erbleichend, rasch überflog.

»Also ein Verräter in unserer Mitte?« stammelte er.

»Du bist in meiner Hand.«

»Wir werden sehen!«

»Zweifle nicht! Du bist mir vollkommen preisgegeben«, sprach Bulgarin mit kalter Überlegenheit; »ich könnte dich dem Gerichte übergeben und deine Frau einfach in Besitz nehmen – es wäre das Einfachste, aber ich will dich verschonen, wenn du deinen Rechten auf Antonia entsagst.«

»Niemals«, rief der Kapitän empört, »so wahr ich Gott liebe, niemals! Eher renne ich dir meinen Degen durch den Leib.«

»Es scheint eine Phantasie von dir zu sein, um jeden Preis an dem Galgen zu enden«, spottete Bulgarin.

»Ich fürchte den Tod nicht.«

»Der echte Pole!« lachte Bulgarin. »Aber so gut soll es dir nicht ergehen! Dir winkt kein romantischer Tod für das Vaterland, nicht einmal der Strick des Henkers – du wirst in den Kasematten irgendeiner Festung bei lebendigem Leibe von den Ratten aufgezehrt werden, du wirst, in Eisen geschmiedet, die Straßen von Lemberg kehren oder degradiert und als gemeiner Soldat mit Stockprügeln traktiert werden, und deine Frau wird dennoch mir gehören, denn sie liebt mich.«

Lewartowski sank auf eine Bank nieder und preßte die Hände vor das Gesicht, stumm, hoffnungslos, vernichtet. Er war jener mutigen Aufwallung fähig, welche dazugehört, um im Duell mit Ehren zu bestehen, um in der Schlacht unerschrocken den feindlichen Kugeln entgegenzustürmen; er wäre ohne Zweifel mit Begeisterung für das Vaterland gestorben, aber er besaß nichts von jenem starken, zähen Charakter, der uns lehrt, schweigend zu dulden, Qual und Schmach zu ertragen, er war nicht zum Märtyrer geboren. Ein paar Worte seines Nebenbuhlers hatten genügt, um ihm die Geistesgegenwart zu rauben, und sein beschränkter Geist suchte vergebens einen Ausweg; so war er bereits ganz in Bulgarins Gewalt, der nichts weiter zu tun hatte, als ihm nach Kosakenart die Schlinge um den Hals zu werfen und ihn mit sich fortzuschleppen.

»Fasse dich«, sagte dieser im Tone eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist, »komm zu mir, hier sind wir nicht ganz sicher. Komm!«

Lewartowski gehorchte blind; er erhob sich und folgte ihm fast mechanisch.

In seiner Wohnung angelangt, schickte Bulgarin den Diener fort und zündete die Kerzen an. Lewartowski fiel ermattet auf einen Sessel, das Zimmer drehte sich wie ein Tanzsaal um ihn, er sah unzählige Lichter flackern und einen ganzen Kreis von Menschen, die alle das höhnische Gesicht seines Gegners hatten, vorüberschweben. Der Polizeiagent ging indes, die Hände auf dem Rücken, auf und ab.

»Ich will lieber die Straße kehren!« schrie plötzlich Lewartowski auf, »als dir mein Weib geben.«

»Du liebst sie ja nicht.«

»Was weißt du? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß ein anderer sie besitzt – das genügt! Die Eifersucht macht mich noch rasend!«

Er sprang empor und ging auf Bulgarin los, wie ein Betrunkener schwankend. »Ich bin keine solche Memme, als du glaubst, ich fürchte den Tod nicht, aber du zittere vor den Dolchen der Verschwörer!«

Bulgarin begnügte sich, verächtlich mit den Achseln zu zucken.

»Wenn du Antonia liebst«, fuhr der Kapitän fort, »dann schieße dich mit mir, Gott soll entscheiden.«

»Wozu noch etwas auf das Spiel setzen«, erwiderte Bulgarin, »wenn man seiner Sache so gewiß ist wie ich. Dein Leben ist in meiner Hand, also ergib dich und hüte dich, mich zu bedrohen. Ich bin kein Verräter an der Sache Polens, ich benutze nur die Mittel, die mir mein Glück in die Hand gab, um dich zum Schweigen zu bringen, verstehst du? Wage es, mich vor den Verschworenen anzuklagen, jetzt oder früher, und du wirst schmachvoll enden. Vergiß das nie. Noch bin ich gestimmt, dich zu schonen, im nächsten Augenblicke vielleicht nicht mehr.«

Lewartowski lehnte sich verzweifelt an den Fensterpfeiler. »Ich will mich ergeben, wie du es verlangst«, murmelte er, »aber begehre nicht Antonia von mir! Verlange nicht das Unmögliche!«

»Ich erwarte jetzt eine schöne Dame«, spottete Bulgarin, indem er nachlässig auf dem Diwan Platz nahm und ein Bein über das andere heraufzog, »eine reizende Frau, sag' ich dir, die soll entscheiden, willst du?«

»Du erwartest meine Frau?«

Bulgarin lachte auf.

»Ich will sie nicht sehen«, rief Lewartowski, »hier bei dir mit ihr zusammenzutreffen hieße sich freiwillig auf die Folter legen.« Er suchte seinen Hut.

»Du bleibst«, gebot Bulgarin in einer Weise, die keinen Widerspruch zuließ. »Sie soll zwischen uns entscheiden.«

In dem Augenblicke, wo er ihren Namen aussprach, erschien Frau Lewartowska, wie durch einen mächtigen Zauberspruch berufen, in der Türe. Bulgarin erhob sich.

»Nein, nein«, flehte der Kapitän, die Hände ringend, »erbarme dich, und erlaube mir zu gehen, ich bin zu allem bereit, nimm sie hin, ich trete sie dir ab.«

»Wie willst du das«, sprach Antonia, indem sie rasch vor ihren Mann hintrat, »da ich doch nicht mehr dir angehöre?«

Lewartowski war weiß wie eine Mauer, seine Knie gaben nach, sein Auge blickte wie irre um sich.

»Also du liebst mich nicht mehr«, seufzte er. »Du wendest dich von deinem Gatten herzlos ab?«

»Keine Komödie, bitte ich dich sehr, du verehrst ja doch nicht mich, sondern eine andere.«

»Welche Verleumdung!«

»Dann verleumden dich nur meine Augen, denn mit diesen meinen Augen sah ich dich bei Frau Kleszowska eintreten, sah dich vertraulich an ihrer Seite sitzen und hörte mit diesen meinen Ohren …«

»Genug, genug«, stöhnte der Kapitän, »ich wende nichts mehr ein.«

»Es würde dir auch nichts nützen«, erwiderte Antonia ruhig und nahm ihren Mantel ab, um ihn über die Lehne eines Stuhles zu legen.

»Du hörst«, sagte Bulgarin mit seinem süßen Lächeln. »Geh also jetzt, ich schenke dir die Freiheit, das Leben …«

Lewartowski wankte der Tür zu. »Und ich will Sie dafür belohnen, Dyonis«, sprach Antonia, »als seine Frau erfülle ich ja nur meine Pflicht.«

»Ich kann nicht fort, wenn du bei ihm bleibst«, seufzte Lewartowski, »ich kann nicht, es ist unmöglich, ich verliere noch den Verstand.«

Er blieb ratlos stehen, aber Bulgarin kam ihm zu Hilfe, ergriff ihn beim Arme und schob ihn zur Türe hinaus.

 

»Ein Jude ist draußen, der durchaus mit Sr. Exzellenz sprechen will«, meldete der Bediente des Präsidenten; »er hat einen Sack russischer Zobel zu verkaufen, sagt er, zu sehr billigem Preise.«

»Ich kaufe nicht von Juden.«

»Er sagt, daß Exzellenz ihn kenne und von ihm gekauft habe.«

»Wie nennt er sich?«

»Ascher Kornfeld.«

»So laß ihn in Gottes Namen ein!«

Der ärmlich gekleidete, bleiche Jude schlich unter vielen Bücklingen in das Kabinett des Präsidenten, schloß vorsichtig die Türe und blieb an derselben stehen.

»Was fällt Ihnen ein, Zobel zu fangen?« redete ihn der große Mann wohlwollend an.

»Exzellenz«, erwiderte Ascher Kornfeld, »der Zobel, was ich meine, ist erst zu fangen. Ich bin auf der Spur von einem Mann, was ausgesendet ist von die Polen aus Paris und sammelt Geld hier für die Revolution und tut werben für die Verschwörung.«

»Wo hält er sich auf?«

»Wo wird er sich aufhalten? Bald hier, bald dort und zu keiner Zeit in seinem Quartier.«

»Es ist Ihre Sache, Kornfeld, ihn zu finden, und wenn Ihnen das gelungen ist, nicht mehr von seiner Ferse zu weichen, bis er sich länger an einem Orte aufhält, wo wir ihn verhaften können. Dies soll jetzt Ihre einzige Aufgabe sein. Das andere werde ich selbst veranlassen.«

»Ascher Kornfeld wird nicht essen können, nicht trinken, nicht schlafen, bis der Mann ist gefangen. Wenn ich glaube, daß es ist an der Zeit, werde ich geben ein Zeichen, Exzellenz.«

Eine Stunde später hatte Bulgarin bei dem Präsidenten ein scharfes Verhör zu bestehen. Der letztere machte ihm zum Vorwurfe, daß er sich durch ein Ereignis dieser Art förmlich überraschen lasse. Bulgarin verstand es indes, den Kopf geschickt aus der Schlinge zu ziehen. »Ich kenne diesen Emissär«, sagte er, »und weiß mehr von ihm, als andere Agenten gemeldet haben können. Er nennt sich Slonetzki und führt hier einen falschen Namen.«

»Welchen?«

»Kasparowitsch«, erwiderte Bulgarin, »er hat sich hier und in der Umgebung mit verschiedenen Personen in Verbindung gesetzt, Mitglieder für die Verschwörung geworben, Geld gesammelt, Instruktionen ausgeteilt.«

»Und Sie lassen ihn dies in voller Ruhe tun, ja vielleicht noch mehr?«

»Exzellenz haben mir eingeräumt, daß ich ganz nur meinem Ermessen folgen darf …«

»Aber in diesem Falle –«

»In diesem Falle, Exzellenz, scheint mir die Sache gerade am wenigsten reif, um jetzt schon polizeilich einzuschreiten.«

»Ich nehme die Verantwortung auf mich.«

»Dann bitte ich um Ihre Befehle, Exzellenz.«

»Da Sie Slonetzki kennen, wird es Ihnen nicht schwer werden, seine Verhaftung möglich zu machen.«

»An mir wird es nicht fehlen«, erwiderte Bulgarin, »sobald nur nicht die Polizeiorgane, wie schon zu wiederholten Malen, schwerfällig und ungeschickt an ihre so einfache Aufgabe gehen.«

»Das ist meine Sache.«

 

Die Aufgabe, welche Bulgarin und Ascher Kornfeld zu lösen hatten, war nicht so einfach, als sie schien. Jeder von ihnen war bereits nach wenigen Stunden auf der Spur des Ereignisses. Bulgarin traf ihn im Laufe des Vormittags wiederholt, an verschiedenen Orten, aber ohne daß er sich irgendwo länger als einige Minuten aufgehalten hätte. Ein Reh im Walde kann nicht flüchtiger sein, als es der Sendbote der »Zentralisation« war; es schien ganz vergeblich, daß Ascher Kornfeld ihm als ein zweiter Schatten folgte, von seiner Wohnung zu Lewartowski, von dort in ein Kaffeehaus, dann in die Dominikanerkirche, auf den Wall, zu einer polnischen Schauspielerin, und so von Straße zu Straße. Er meldete am dritten Tage, der Emissär sei im Hotel de Russie, habe ein Zimmer genommen und sich zur Ruhe begeben. Als die Polizei kam, fand man das Nest leer.

Zwei Stunden später kam ein schändlicher, schmutziger Zettel von der Hand Kornfelds: »Der Emissär ist im Theater in der Loge der Gräfin Los!« Ein Polizeikommissär in Zivil betrat dasselbe und wurde sehr verlegen, als er statt des Emissärs den Prinzen an der Seite der Gräfin fand.

Zwei Tage später brachte ein berittener Jude die Nachricht, Ascher Kornfeld sei in Karaki bei dem Mandatar Tschapka, was soviel hieß, als der Revolutionsagent sei in Karaki. Sofort ging ein Polizeibeamter mit vier Polizeisoldaten und einem Zug Husaren ab, umstellte den Dominkalhof nachts, besetzte alle Ausgänge, drang ein, versetzte die Bewohner in beispiellose Verwirrung, so daß ihm der Mandatar mit der Haube seiner Frau auf dem Kopfe und diese mit einem Fenstervorhang als Mantille entgegenkam, fand aber weder den Emissär noch Ascher Kornfeld, der offenbar dem Fliehenden nachgesetzt hatte.

Bulgarin weidete sich einige Zeit an den unglücklichen Heereszügen der Polizei und dem Ärger des Präsidenten, dann erst griff er mit sicherer Hand ein. Er dinierte mit Frau Kleszowska, und noch in derselben Nacht umschlossen die weichen Arme der Circe den armen Slonetzki, der unter ihren schmeichelnden Worten, unter ihren Vampirküssen alle Vorsicht vergaß. In dem Schlafgemach der schönen Verräterin wurde der Emissär verhaftet, während man zu gleicher Zeit die Türe seiner Wohnung sprengte und die letztere durchsuchte. Slonetzki wurde auf die Polizei gebracht. Man zertrennte seine Kleider, seine Wäsche, löste den Schirm von seiner Mütze, die Sohlen von seinen Stiefeln und schnitt alles in Stücke, so daß er endlich wie Adam vor dem Sündenfalle dastand und der gutmütige Polizeidirektor ihn aus seiner eigenen Garderobe vom Kopf bis zum Fuß anziehen mußte, aber man fand ebensowenig bei ihm als in seinem Zimmer Papiere oder sonst etwas, was gegen ihn als Beweis dienen konnte.

Der Präsident berief Bulgarin.

»Hat man alles durchsucht, Exzellenz?«

»Alles.«

»Auch die Knöpfe an seinem Rock und Oberrock?«

»Diese nicht.«

»Gerade da sind aber seine Kreditive und seine Instruktionen, auf kleine Streifen Papiers geschrieben, zu finden.«

Man untersuchte also endlich auch die Knöpfe, und Bulgarins Triumph war ein vollständiger. Man fand das Kreditiv, die Instruktion und eine Liste von Namen. Die letztere sah man als eine Liste der Verschworenen an. Unter denselben fand sich auch der Hauptmann der Grenadiere, Felix Lewartowski.

Bulgarin beschwor den Präsidenten, nicht durch übereilte Verhaftungen das Netz, in dem er die Verschworenen hielt, zu zerreißen. Er erlangte endlich so viel, daß nur gegen Lewartowski, den die Machthaber als kaiserlichen Offizier durchaus nicht schonen wollten, und auch gegen diesen nicht offen vorgegangen wurde. Der Kommandant des Bataillons ließ ihn kommen, nahm ihm den Säbel ab und sendete ihn zum Profoß. Niemand wußte, weshalb, nur Lewartowski, der im entscheidenden Augenblick erblaßte und sich mit Mühe aufrecht hielt, ahnte den Zusammenhang, brach im Arrest in Tränen aus, schrieb an seine Frau einen erbärmlichen Brief und hielt sich für verloren.

Es war ein fast rätselhafter Eindruck, den seine von Tränen zur Hälfte verwischten Zeilen auf Antonia machten. Sie, die gejauchzt hatte, als sie ihn durch Bulgarin verhöhnt und gedemütigt sah, kam fast von Sinnen, als sie ihn, seine Freiheit, sein Leben in Gefahr wußte. Nur ein Gedanke beseelte sie noch, der Gedanke, ihn zu retten.

Sie warf sich vor ihrem Bette auf die Knie nieder und flehte den Gekreuzigten an, der über demselben hing, sie schluchzte, sie schlug ihre reine Stirne mit den geballten Fäusten, sie sprach laut und verzweifelt mit sich selbst. Dann kleidete sie sich an und suchte Bulgarin, sie suchte ihn so lange, bis sie ihn fand, und hing sich bebend, von Frost geschüttelt, an seinen Arm.

»Du hast mich betrogen«, begann sie mit schwacher Stimme, »mich und ihn. Ist dein Rachedurst noch nicht befriedigt? Mußtest du ihn dem Henker überliefern?«

»Nicht ich, Antonia«, erwiderte Bulgarin, »seine eigene Unvorsichtigkeit und die Verhaftung des Emissärs Slonetzki haben ihn an das Messer geliefert. Aber wie bist du außer dir! Um diesen Mann! Liebst du ihn denn immer noch?«

»Fast möchte ich es meinen«, sagte Antonia in ihrer ehrlichen, offenen Weise, »und ist es nicht Liebe, was mich treibt, ihn zu retten, so ist es vielleicht Reue und ganz gewiß tiefes Mitleid.«

»Reue?« Bulgarin biß die Zähne aufeinander. »Und mir – mir sagst du das?«

»Ich sage dir noch mehr. Du mußt ihn retten!«

»Ich? Wie wäre das möglich! Bedenke doch!« Er hielt ihre Hand in der seinen und streichelte sie.

»Du willst also nicht?« Sie sah ihn so seltsam an, daß sie ihm wie eine Fremde erschien, die er zum ersten Male sah.

»Ich kenne dich nicht mehr.«

»Ich verspreche dir, was du nur willst, aber rette ihn.«

»Ich kann nicht.«

»Nicht?« Sie ließ langsam seinen Arm los und sah ihn mit einem rätselhaften Blicke an. »Vielleicht kann ich es.«

 

Antonia stand vor dem großen Ankleidespiegel und prüfte nochmals ihre Frisur; dann begann sie ihre Toilette zu machen, mit dem künstlerischen Raffinement einer Kokotte und mit dem düsteren Ernste eines Hajdamaken, der, einem Bären gleich von allen Seiten umstellt, seine Flinte und seine Pistolen zum entscheidenden Kampfe ladet und seinen Topor schärft. Endlich war sie zufrieden, aber sie lächelte nicht, sie atmete nur tief auf.

Sie trug ihr Haar à la Normandin, vorne gescheitelt, an den Schläfen in emporgenadelten Lockenbüscheln, welche an Trauben von Blumendolden mahnten; auf dem Scheitel stand eine Art Schleife aus Haar empor, aus dem eine von Knospen und Blättern umgebene Rose emporzublühen schien. Ihre hohe, schwellende Gestalt umfloß ein Kleid aus weißer, mit farbigen Buketts gestickter Gaze, dessen lange Taille, stark ausgeschnitten, ihre wunderbare Büste sehen ließ, während die oben ballonförmigen Puffärmel den Unterarm knapp umschlossen. Unter dem kurzen Rock kamen die schönen Füße in durchbrochenen Strümpfen und schwarzen Schuhen zum Vorschein, die nur die Spitzen derselben und die Sohlen umkleideten und Sandalen gleich mit schwarzen Bändern über dem Knöchel gebunden waren. Um den Hals lag eine goldene Kette, welche vorn durch eine kleine Mosaikplatte geschlossen wurde.

Über diese Toilette zog sie einen roten Samtmantel, der mit Hermelin kaiserlich verbrämt und gefüttert war, einen in Ecken auslaufenden Hermelinkragen und weite Ärmel hatte, die sich an dem Ellenbogen öffneten und mit Hermelin besetzt sowie oben und unten mit großen roten Schleifen verziert waren. So, eine vollendete Modedame, stieg sie in den bereitstehenden Wagen und fuhr zu dem General, Fürsten Lichtenberg.

Die Dienerschaft in dem kleinen Palais sah sie erstaunt an, der Adjutant erschien, zeigte sich sehr artig und sehr verlegen, erklärte aber, er wage es nicht, sie dem General zu melden.

»Lassen Sie mich eintreten«, sagte Antonia mit einer Hoheit, die alle Bedenken vor sich in den Staub warf, »ich werde mich selbst melden und auch alle Verantwortung auf mich nehmen.«

Alle wichen ehrerbietig zurück, und sie schritt durch die Reihen der Zimmer bis in das Kabinett des Fürsten, sie betrat es, ohne anzuklopfen, sie eilte auf den Fürsten zu und fiel ihm zu Füßen. »Ich bin die Frau des Kapitäns Lewartowski«, rief sie, »und ich bitte um sein Leben.«

Der Fürst, von der Schönheit wie der Verzweiflung der Frau, die vor ihm auf dem Teppich lag, gleich mächtig ergriffen, hob sie auf und führte sie zu einem türkischen Diwan, der unter einer Trophäe von Helmen, Panzern, Lanzen und Schwertern auf einem Bärenfelle stand. »Es handelt sich, soviel ich weiß, nicht um das Leben Ihres Mannes, meine Gnädige«, begann er, rot und verwirrt wie ein Schulknabe, vor dem der grimmige Lehrer mit dem Lineal in der Hand steht.

»Also, um seine Freiheit, Durchlaucht«, fiel Antonia ein, »wer soll ihn retten, wenn nicht Sie? Sie haben die Macht, es zu tun, Sie allein.« Sie begann zu weinen.

»Bedenken Sie meine Lage«, erwiderte der Fürst; »wie gerne würde ich Lewartowski retten, schon seinetwegen, denn er ist ein braver, verdienter Offizier, und nun gar, da Sie für ihn bitten! Aber in welches Licht käme ich dadurch meinen Vorgesetzten, ja selbst dem Kaiser gegenüber?«

»Ach! der Kaiser Ferdinand ist ja so gut!«

»Sie verlangen das Unmögliche von mir«, stammelte der Fürst.

»Also, Sie wollen mir sein Leben, seine Freiheit nicht schenken?«

»Ich kann nicht, aber ich bedaure Sie von Herzen!«

Es entstand eine traurige Pause, während welcher der General die Hände der schönen Frau mit Küssen bedeckte.

Jetzt lächelte Antonia. Du kannst nicht, dachte sie, wenn ich zu deinen Füßen liege und flehe, aber du wirst alles können, was ich nur will, sobald du zu meinen Füßen liegst. Und wenn ich nur eine Viertelstunde Zeit habe, sollst du mich um Gnade bitten.

Sie trocknete ihre Tränen, schlüpfte mit zwei anmutigen Bewegungen aus den Ärmeln ihres Mantels und ließ den Hermelin von der weißen Schulter fallen.

Zwei Stunden später brachte der Adjutant des Fürsten dem Kapitän Lewartowski seinen Säbel.

 

Als Lewartowski sich bei seinem Kommandanten meldete, dankte er zugleich für seine Freilassung.

»Nicht mir haben Sie zu danken«, sagte der brave alte Offizier mit einer Miene, die nichts Gutes verkündete.

»Wem denn?«

»Ihrer Frau!«

»Unmöglich.«

»Oh! Der Fürst Lichtenberg ist sehr empfänglich für weibliche Reize.«

Lewartowski biß sich auf die Lippe und verneigte sich. Er wußte genug. Flammend vor Zorn und Eifersucht kam er nach Hause.

»Also dir danke ich meine Freiheit«, sagte er zu seiner Frau, »das ist ja wahrhaft rührend, ich sehe, daß du rapide Fortschritte in deinem Handwerk machst. Solange es Gold regnet, findet sich noch immer eine Danaë …«

»Kein Wort mehr!« rief Antonia und brach in Tränen aus.

»Doch, meine Liebe«, höhnte sie ihr Mann, »noch zehn Worte, und dann sind wir fertig. Ich will deiner Großmut nicht meine Freiheit danken. Ich nehme dieses Geschenk nur für mein Vaterland an, dem ich mein Leben fortan weihen werde, Polen ist noch nicht verloren. Ich ruhe nicht, ehe ich sie nicht alle ermordet sehe, sie, die mir mein Weib geraubt haben, oder den Strick um den Hals habe. Verstehst du mich? Und nun sind wir geschieden und für immer.«

Antonia machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Er ging. Nach einer Stunde kam sein Bursche, um seine Sachen zu holen.

»Wo wird der Herr wohnen?« fragte sie scheinbar gleichgültig.

»Bei Frau Kleszowska.«

Antonia lächelte bitter.

Gegen Abend kam Bulgarin. Er wollte wie sonst eintreten, ohne sich erst melden zu lassen, aber das Stubenmädchen hielt ihn zurück. »Die gnädige Frau«, sagte sie verlegen, »ist sehr leidend, es darf niemand zu ihr.«

»Auch ich nicht?«

»Auch Sie nicht.«

»Frage doch noch einmal, meine Teure.« Er gab ihr einen Silberzwanziger. Das Stubenmädchen ging hinein und kehrte mit einem spitzbübischen Lächeln um die vollen Lippen zurück. »Die Gnädige läßt sagen, sie sei nicht krank, habe aber Besuch.«

»Besuch? Was für einen Besuch?«

»Den General Fürst Lichtenberg.«

Jetzt wußte Bulgarin alles, mit einem Male fiel ein Licht, so grell, daß es seinen Augen weh tat, auf die Freilassung Lewartowskis. Er spielte den Gleichgültigen und zündete seine Zigarre an dem Lichte an, welches das Stubenmädchen in der Hand hielt, aber die Eifersucht schlug ihre mörderischen Krallen in seine Brust, wie der Luchs der Karpaten, der vom Baume herab auf sein Opfer springt. Sein Herzblut floß. Er blieb vor dem Hause stehen, hinter einem Vorsprung, der ihn den Blicken verbarg, und wartete.

Er wartete lange.

Eine Stunde verging, eine zweite, eine dritte. Endlich fuhr ein Wagen vor, auf dessen Bock, neben dem dicken Kutscher, ein Jäger mit wallendem weißem Federbusch saß. Noch einige Minuten unsäglicher Marter, dann kam der Fürst, in einen weißen Radmantel gehüllt, aus dem Hause, stieg ein und fuhr davon.

Bulgarin stürzte in das Haus, dessen Tor offen geblieben war, da das Stubenmädchen, das dem General geleuchtet hatte, in dem Flur mit einem anderen Dienstmädchen schwatzte, flog, von niemandem aufgehalten, die Treppe empor und stand plötzlich vor Antonia, die auf einem Ruhebett lag und nicht im mindesten erschrak, ja sogar unmerklich lächelte, und zwar ein wenig boshaft und auch ein wenig triumphierend.

»Du konntest Lewartowski nicht retten«, begann sie, ohne seine Vorwürfe abzuwarten, »ich dagegen, ein schwaches Weib, war es imstande.«

»Um welchen Preis, Antonia?«

»Ich habe ihn gern bezahlt.«

»Das sagst du mir?«

»Ich werde dir noch mehr sagen. Der Fürst Lichtenberg war sehr gnädig gegen meinen Mann, ich muß ihm dankbar sein. Du darfst mich also nur dann besuchen, wenn er nicht bei mir ist.«

»Antonia!« schrie Bulgarin auf. »Der Fürst ist also – ich kann es nicht aussprechen.«

»Mein erklärter Anbeter«, entgegnete Antonia, »ich habe ihm Rechte eingeräumt. Es ist nur deine Schuld, daß es so weit gekommen ist.«

»Meine?«

»Übrigens werde ich nicht mit dir streiten«, fiel Antonia ein, »du kannst gehen. Ich bin schläfrig.«

 

Bulgarin fügte sich dem Willen Antonias. Was wollte er auch tun? Er besuchte sie am Morgen, er speiste zuweilen mit ihr, am Abend durfte er nur kommen, wenn sie es ihm ausdrücklich erlaubte, wenn sie den Fürsten nicht erwartete. Er litt namenlose Qualen, aber er litt stumm und ergeben, sein Trost war die Rache, die ihm von ferne leuchtete wie ein verlorenes Feuer in der Steppe. Er hatte geschworen, Lewartowski zu verderben, und es wurde ihm leicht, seinen Schwur zu erfüllen.

Das Haus der schönen Circe verwandelte sich in einen Herd der Verschwörung, die Lewartowski zu leiten meinte, während Frau Kleszowska den Köder auswarf und Bulgarin die Angel in der Hand hielt.

Der unglückliche Kapitän, leichtgläubig und verblendet, wie es nur ein Pole zu sein vermag, glaubte blind allen Versprechungen, welche ihm Frau Kleszowska namens der Emigration machte und die ihr Bulgarin soufflierte. Wer weiß, ob er nicht sogar in sich den künftigen König von Polen sah? Er vertraute der Circe so unbegrenzt, daß er sie sogar vor Bulgarin zu warnen wagte. »Ich habe Ursache, ihn jetzt noch zu schonen«, sagte er, »aber du darfst ihn nicht in unsere Pläne einweihen, er würde uns verraten.«

Er warb mit einer Unvorsichtigkeit, die ebenso echt polnisch war wie seine Leichtgläubigkeit, unter seinen Kameraden für die Sache seines unglücklichen Vaterlandes; ja sogar den Unteroffizieren und Soldaten öffnete er sein Herz. Duniewitsch, ein Student der Philosophie, den schon der Emissär Slonetzki für die von der Pariser »Zentralisation« sorgfältig vorbereitete Erhebung gewonnen hatte, trat durch Frau Kleszowska mit ihm in Verbindung, und sie bildeten in dem Hause der Circe aus den Mitgliedern, welche sie in Eid genommen hatten, eine große Sektion der demokratischen Gesellschaft, der allmählich auch andere von dem Emissär geworbene Personen beitraten, die seit der Verhaftung desselben die Fühlung mit ihren Gesinnungsgenossen verloren hatten. Dies alles war das Werk der schönen Patriotin mit den zwei Gesichtern, von denen das eine mit gutem Rechte den Schild des Perseus hätte zieren können. Es waren Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, die sich in ihrem Hause, unter dem Schutze der Nacht, trafen, um begeisterte Reden und Küsse zu tauschen und die Instruktionen anzuhören, welche von Paris an Lewartowski gelangten; man sah neben einem Gutsbesitzer mit grauem Haar einen jungen Kaufmann, der von seinem Fett furchtbar belästigt wurde, zwischen Offizieren des Regiments Mazuchelli Studenten der Rechte und des Gymnasiums und an der Seite des Pater Mudrzyna einen Feldwebel der Grenadiere und eine Marchande des modes, die unter ihrer Kazabaika einen Dolch trug.

Der Jesuit spielte seine Rolle meisterhaft, die Worte strömten ihm wie Feuer von den Lippen und entzündeten vor allem die jungen Herzen der Studenten. Es war keiner in dem Kreise, der nicht gerne sein Leben hingegeben hätte für Polen und für die Freiheit, und keiner, der nur eine leise Ahnung gehabt hätte, daß sie alle im Netze Bulgarins ihre großen Pläne schmiedeten, im Netze der Polizei, das sich langsam um sie zusammenzog, gleich den bestrickenden Armen des schönen Weibes mit dem goldenen Halsband in der Bibel, welche dem Betörten schmeichelt, um ihn zuletzt zu erwürgen.

 

In einer stürmischen Winternacht, während der Wind im Schornstein Melodien sang, die an jene des Ozeans mahnten, und der Schnee mit Fäusten an die Scheiben schlug, mit Fäusten, die in weißen Handschuhen stecken, wurde Lewartowski verhaftet und mit ihm Frau Kleszowska. Die Polizei fand Papiere, welche keinen Zweifel darüber ließen, daß man es diesmal mit einer gefährlichen und weit verzweigten Verschwörung zu tun habe. Der Jesuit Pater Mudrzyna wurde gleichfalls aus dem Bette geholt; die Polizei war ihm dies schuldig, sie durfte ihren Agenten nicht bloßstellen.

Wieder schlüpfte Antonia in ihren roten Samtmantel, wieder eilte sie zu dem Fürsten Lichtenberg und bat für ihren Gatten, aber diesmal vergebens.

»Es liegt wirklich nicht in meiner Macht«, erwiderte der General; »nicht nur meine Stellung, die ich Ihnen gerne opfern würde, meine Ehre wäre in Gefahr, wenn ich mich eines Hochverräters annehmen würde. Aber was interessieren Sie sich denn überhaupt noch für diesen Menschen? Ich würde viel eher begreifen, wenn Sie Ihre seltenen Reize dazu benützen würden, ihn an den Galgen zu bringen.«

»Also Sie können wirklich nichts für ihn tun?«

»Für Sie alles, schöne Frau, für Ihren Mann nichts.«

Der Fürst legte zärtlich seinen Arm um Antonia, sie aber machte sich sanft los und erhob sich. »Dann bitte ich Sie, sich zu erinnern«, sprach sie fest und mit einem Anflug von Bosheit, »daß ich Ihnen nur Gehör geschenkt habe, um meinen Mann zu retten, und Ihre weiteren Huldigungen nur aus Dankbarkeit geduldet habe.«

»Antonia«, flehte der Fürst, »Sie stürzen mich aus allen meinen Himmeln …«

»Sie glauben doch nicht, daß ich Sie liebe!« rief sie und lachte laut auf.

»Ich hoffte …«

Sie sah ihn an, brach von neuem in ein Lachen aus, das durchaus nicht spöttisch war, sondern so recht von Herzen kam, und lachend verließ sie ihn. Sie fuhr nun zu dem Präsidenten, er empfing sie jedoch nicht, und ebensowenig wurde sie bei dem Prinzen vorgelassen.

 

Während sie diese mutigen Schritte zugunsten ihres Gatten tat, war dieser von dem Auditeur zum ersten Male verhört worden. Er zeigte sich fest, leugnete seine Schuld, und als man ihn durch die in der Wohnung der Kleszowska gefundenen Dokumente der Teilnahme an der Konspiration überwies, verweigerte er es sehr entschieden, seine Mitschuldigen zu nennen. Man führte ihn in seinen Kerker zurück und ließ ihm Muße nachzudenken. Indes fand die Polizei, welche niemals um Mittel verlegen ist, ihr Ziel zu erreichen, Zeit, ihm eine Falle zu legen, welche plump genug, aber gut war.

Man sperrte auf altvenezianische Manier den Pater Mudrzyna zu ihm.

Der Jesuit umarmte und küßte Lewartowski, als sie allein waren, belobte seine Festigkeit im Verhör und begann dann aus seinem Brevier zu beten. Er war klug genug, abzuwarten, bis der unglückliche Kapitän selbst den Hals der Schlinge darbot, die er für ihn bereithielt.

»Was wird unser Los sein?« fragte endlich Lewartowski.

»Sie fragen?«

»Ewiger Kerker!«

»Nein, mein Geliebter, der Galgen!«

»Das kann der Staat nicht wagen!«

»Er wird es wagen.«

Einige Zeit schwiegen beide, dann nahm Lewartowski das Wort. »Ein solcher Tod ist entsetzlich.« Er befühlte seinen Hals.

»Der Tod für das Vaterland ist unter allen Umständen süß und glorreich«, entgegnete der Jesuit mit milder Stimme und dem Blick eines Märtyrers, »indes hoffe ich, daß es Ihrer Frau gelingen wird, Sie zu retten.«

»Meine Frau hat Schritte zu meinen Gunsten getan?«

»Ich hörte beim Verhör den Auditeur und einen Offizier davon sprechen.«

»Und Sie glauben …?«

»Daß man Sie schonen würde, wenn Sie ein offenes Geständnis ablegen würden.«

»Ich soll meine Freunde verraten?«

»Von Verrat ist nicht die Rede. Man hat Papiere in Händen, welche genügen, um uns alle an den Galgen zu bringen. Sie können den Richtern nichts sagen, was sie nicht schon wüßten, aber Sie können sich retten, wenn Sie nicht länger leugnen – uns alle können Sie retten.«

»Auf Kosten meiner Ehre.«

»So spricht ein Patriot«, rief der Jesuit, erhob sich und küßte Lewartowski auf die Wange. »Sie sind also entschlossen zu sterben? Das ist edel, daß ist groß von Ihnen. Ihr Beispiel wird die anderen begeistern, wir werden Arm in Arm mutig und heiter den Weg zum Galgen gehen.«

»Wenn nur der vermaledeite Strick nicht wäre!« Pater Mudrzyna zog sich wieder in eine Ecke zurück, um aus seinem Brevier zu beten.

»Sie glauben also, daß ein Geständnis uns alle erretten könnte?«

»Das steht außer Zweifel, aber ich will Sie nicht überreden, nicht zum Opfertode, nicht zu einem Geständnis – handeln Sie so, wie Ihr Herz es Ihnen vorschreibt.«

Lewartowski brachte eine unruhige Nacht zu, der Schlaf floh ihn, und schloß er ja für kurze Zeit die müden, brennenden Augen, so schrie er im Traume auf wie ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hat, und erwachte mit klopfendem Herzen, von Frost geschüttelt.

Am nächsten Morgen führte man ihn wieder zum Verhör. Der Auditeur verwickelte ihn in ein Spinnengewebe von Fragen, in welchem er wie eine gefangene Fliege zappelte, sein Geist war dieser Lage nicht gewachsen, der Angstschweiß perlte ihm an der Stirn, seine Knie brachen unter ihm. Das Bild des Jesuiten stand vor ihm, er hörte seine Stimme, seine Worte, unwillkürlich griff er nach seinem Halse, und – endlich gestand er.

Er nannte seine Mitschuldigen und legte alle Fäden der Verschwörung bloß.

Während er noch beim Verhör war, fanden in Lemberg zahlreiche Verhaftungen statt, und Stafetten gingen nach verschiedenen Richtungen ab, um in den Kreisstädten und auf dem flachen Lande noch weitere Opfer zu suchen. Die Verschwörung im Regimente Mazuchelli regte die Regierung am meisten auf. Eine Reihe von Offizieren und Unteroffizieren wurde in Haft genommen. Es gelang, alle Mitglieder der von Lewartowski geleiteten Sektion gefangenzunehmen, bis auf den Philosophen Duniewitsch, der nirgends zu entdecken war und gegen den die Polizei daher schließlich einen Steckbrief erließ.

Während sich auf diese Weise die Kerker füllten, wurden Pater Mudrzyna und Frau Kleszowska wieder in Freiheit gesetzt, aber die letztere fand es doch geraten, eine Lustreise nach Wien zu machen – sie fürchtete den Carbonaridolch.

Als Lewartowski in seinen Kerker zurückgebracht wurde, berührte es ihn wie ein plötzlicher Schreck, daß er den Jesuiten nicht mehr in demselben fand. Er fragte den Profoß.

»Der ist schon frei«, gab dieser lächelnd zur Antwort.

»Wie ist das möglich?«

»Das sind so Kunststücke, um die Gefangenen zum Sprechen zu bringen.«

Lewartowski schien es, daß der Profoß ihm bei diesen Worten ein schwarzes Tuch über den Kopf geworfen habe, dann sauste es ihm in den Ohren, als ob er in das Wasser gestürzt wäre. Er lehnte sich an die Wand, um nicht umzusinken.

Noch denselben Nachmittag stellte man ihm einen Mitverschworenen, den Lieutenant Rakowski vom Regiment Mazuchelli, gegenüber.

Lewartowski wagte es nicht, demselben in das Auge zu blicken, er beschäftigte sich fortwährend mit seiner Toilette, bald zog er seine Manschetten hervor, bald schob er seine Krawatte herunter oder zupfte an seinem Gilet. Als er seine Aussagen wiederholen sollte, nahm er das meiste wieder zurück, stammelte, verwickelte sich in Widersprüche.

»Sie lügen«, schrie ihn der Auditeur an.

Als man ihn fortführte, maß ihn Rakowski mit unsäglicher Verachtung und murmelte etwas. Lewartowski blieb stehen, wie wenn er erwarten würde, daß sein Kamerad zu ihm sprechen werde.

»Verräter!« wiederholte Rakowski.

Der unglückliche Kapitän senkte das Haupt und verließ das Zimmer.

In seinem Kerker angelangt, setzte er sich auf sein dürftiges Bett und weinte bitterlich. Er bereute seine Schwäche und machte sich Vorwürfe, laut nannte er sich den elendesten, erbärmlichsten Menschen, schlug sich mit den Fäusten vor die Stirn und spuckte mit der höchsten Verachtung über seine Handlungsweise aus. Er faßte den Vorsatz, lieber alles zu dulden, Mißhandlungen, Kerkerhaft, ja den Tod an dem Galgen, als seine Mitverschworenen, seine Kameraden zu verraten.

»Aber ich habe ja nicht die Kraft«, schrie er plötzlich auf, »ich bin ein Mensch, so schwach wie ein Halm, den der Wind bald hierhin, bald dorthin dreht – was, der Wind? Ein Lüftchen schon! Meine Gedanken sind so ehrlich, und mein Herz ist so gut, aber der Wille! Der versagt im entscheidenden Augenblick wie ein schlechtes Kapsel, und der Schuß bleibt im Laufe. Ich will meine Kameraden nicht verraten, ich will es nicht; aber ich werde sie verraten gegen meinen Willen. Mein Gott! Mein Gott! Gibt es denn keinen Ausweg? Keine Rettung? Verlasse mich nicht, mein Gott! Laß mich nicht so tief sinken, erbarme dich meiner!«

Er warf sich auf die Knie nieder und begann zu beten. Vor Mitternacht hörte ihn noch der Profoß in seinem Kerker auf und ab gehen.

Am frühen Morgen fand man ihn tot.

Er hatte sich erhängt.

Sein Tuch war um das Fensterkreuz geschlungen und dann um seinen Hals, er selbst mußte sich auf die Knie werfen, um den Tod zu finden.

Wenn er seinen Entschluß bereut hätte, er hätte nur aufzustehen brauchen, aber er war fest geblieben.

Derselbe Mensch, der sich zu schwach gefühlt hatte, das Verhör seiner Richter ehrenvoll zu bestehen, besaß die Kraft, zu sterben, und in einer Weise zu sterben, wo es fast bis zum letzten Augenblicke noch in seiner Macht lag, sein Leben zu retten.

Er besaß jenen Mut, der oft mehr vermag als alle Tapferkeit und Kühnheit, den Mut des Schwachen.

 

Ein paar Zeilen Bulgarins setzten Antonia von dieser traurigen Katastrophe in Kenntnis; er selbst wagte es nicht, zu ihr zu kommen. Sie fiel in Ohnmacht. Ein Arzt kam und leistete ihr Hilfe. Als sie zu sich kam, schien sie ruhig, sie weinte nicht, sie klagte nicht, sie sprach kein Wort, sie saß auf einem Stuhl in einer finsteren Ecke und starrte vor sich hin. Ihr Stubenmädchen richtete verschiedene Fragen an sie, erhielt aber keine Antwort. Es wurde Mittag, das Essen kam auf den Tisch und wurde unberührt wieder abgetragen.

Es begann zu dämmern, es wurde Abend. Antonia saß noch immer unbeweglich, tränenlos, den Blick stets auf dieselbe Stelle geheftet.

Es wurde Nacht. Das Stubenmädchen kleidete sie aus und brachte sie zu Bette. Vor Mitternacht wurde Antonia wach.

Sie richtete sich auf und hörte jetzt deutlich an das Fenster ihres Schlafzimmers klopfen. Angst und Entsetzen faßte sie; sie war nicht abergläubisch, aber sie dachte doch an ihren verstorbenen Mann.

Es klopfte wieder.

Nein, das war kein Geist. Der Geist eines Verstorbenen kann unmöglich so dringend und so kräftig Einlaß begehren.

Antonia stand auf, warf einen Morgenrock über, machte Licht, schlug die Gardinen zurück und öffnete das Fenster.

»Wer ist da?«

An dem offenen Fenster erschien der Kopf eines ihr vollkommen unbekannten jungen Menschen. Sie stieß einen Schrei aus.

»Ich bin kein Räuber«, rief der Fremde, »ich bin ein Freund Ihres Mannes, ein Verschworener, verhalten Sie sich also still.« Er fragte nicht weiter um Erlaubnis, sondern stieg eilig in das Zimmer, schloß das Fenster, zog die Gardinen zu, verlöschte das Licht, und dann erst atmete er auf. »Mein Name ist Duniewitsch«, sagte er nach einer Weile, »man verfolgt mich, die Polizei jagt mich seit mehreren Tagen wie ein Wild, Sie müssen mich verbergen, Frau Lewartowski.«

»Bei mir sind Sie am wenigsten sicher«, antwortete Antonia.

»Eben bei Ihnen wird mich niemand suchen.«

»Steht die Frau Lewartowskis nicht auf der Liste der Verdächtigen?«

»Vielleicht, aber die Polizei wird es unter keinen Umständen wagen, die Geliebte des Fürsten Lichtenberg zu belästigen.«

Es war ein Glück für Antonia, daß dieses Gespräch im Dunkeln geführt wurde, Duniewitsch hätte sonst gesehen, wie Purpurröte ihr strenges Antlitz überflog und Tränen ihre Augen füllten. So hörte er nur ihre Stimme, und diese klang fest und zuversichtlich, als sie ihm erwiderte:

»Ich bin nicht die Geliebte des Fürsten Lichtenberg, ich bin es nicht.«

»Dann vergeben Sie – es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Bedenken Sie, ein Mensch, der gehetzt ist, der kein Auge schließen kann, ohne den Schritt seiner Verfolger zu hören – da kann man die Worte nicht so mit dem Zirkel …«

»Ich bitte Sie, mich zu verlassen«, unterbrach Antonia den jungen Verschworenen.

»Es kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Gehen Sie, oder ich rufe um Hilfe.«

»Das werden Sie nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich Sie vorher töten werde.«

Antonia erschrak. Sie hörte seine leisen, aber energischen Schritte, die ihr auf dem Teppich nahten, sie fühlte sich mit einem Male von seinem Arm umschlungen und erhob instinktmäßig beide Hände.

»Wollen Sie mich morden – ein Weib?« schrie sie auf.

»Verhalten Sie sich also ruhig«, erwiderte Duniewitsch, indem er sie losließ.

»Ich blute«, murmelte sie dumpf. Sie hatte sich die Finger der linken Hand an seinem Dolch verletzt.

»Es ist Ihre Schuld.«

»Was wollen Sie also?«

»Daß Sie mich verbergen.«

»Es sei, kommen Sie.«

»Nein, nein, ich bleibe hier, meine Lage zwingt mich zur Vorsicht.«

Einige Zeit sprach keins von beiden ein Wort. Antonia hatte ihr Tuch um die verwundete Hand gewunden und sich auf das Fensterbrett gesetzt, während Duniewitsch sich auf den weichen Teppich, der den Boden bedeckte, niedergeworfen hatte. Er war vollständig erschöpft. Der Schlaf drohte ihn zu übermannen, aber er fürchtete das Weib, dessen Zimmer er teilte, nicht weniger als sie seinen Dolch.

Um sich wach zu erhalten, begann er von neuem mit ihr zu reden.

»Lewartowski ist ein Verräter«, sagte er, »er hat uns alle ins Unglück gebracht.«

»Er war schwach«, gab sie zur Antwort, »das war unser Verderben und das seine. Er hat seine Schwäche gebüßt. In der vergangenen Nacht hat er seinem Leben ein Ende gemacht.«

»Lewartowski? Mein Gott!«

»Oh! Könnte ich nur an jenen Rache nehmen, die ihn in den Tod trieben«, rief Antonia, »aber ich bin ein Weib, ich vermag so wenig.«

»Sie vermögen alles.«

»Ich?«

»Ja, Sie. Man sagt, daß Sie sehr schön sind. Was vermag ein schönes Weib nicht?«

»Glauben Sie?«

»Der Präsident ist es, der uns alle in sein Netz gelockt hat, Polen hat keinen größeren Feind, die Freiheit keinen schrecklicheren Schergen, als es dieser Mensch ist, dieser schwäbische Alba!« gab Duniewitsch zur Antwort.

»Ich will sein Blut sehen«, sagte Antonia dumpf, »er muß sterben.«

Es folgte eine Pause, in der beide, von demselben Gedanken ergriffen, einen schweren Kampf kämpften. Endlich rauschte das Gewand Antonias.

»Töten Sie ihn«, flüsterte sie – Scham und Erregung erstickten ihre Stimme –, »und ich will Ihnen gehören.«

Duniewitsch gab keine Antwort, sondern machte schweigend Licht und näherte sich mit der brennenden Kerze Antonia, vor der er geblendet stehenblieb. »Sie sind das schönste Weib, das ich gesehen habe«, murmelte er endlich, »ich stehe zu Diensten, befehlen Sie, und ich ermorde den Präsidenten.« Er schlang seine Arme um die herrliche Gestalt und küßte Antonia auf die kalten Lippen.

»Und den Fürsten! Auch er muß sterben«, sagte sie.

»Ich werde ihn ermorden«, entgegnete Duniewitsch, »ich schwöre es Ihnen. Betrachten Sie mich als Ihren Sklaven. Jedes Todesurteil, das Sie sprechen, ich werde es vollziehen, in Ihrem Namen und in dem Polens.«

Antonia lächelte traurig und verlöschte das Licht.

 

Ascher Kornfeld stürzte in das Kabinett des Präsidenten, bleich, entstellt, mit wirrem Haar. Diesmal hatte er keine Zobelfelle zu verkaufen und ließ sich auch nicht anmelden, er stieß den Kammerdiener mit übermenschlicher Kraft beiseite und stand unerwartet wie eine Erscheinung vor dem mächtigen Manne, der eben einen Bericht an den Kaiser schrieb.

»Herr, gehen Sie nicht auf die Straße«, begann der Jude mit stockender Stimme, die Angst verlegte ihm den Atem, »gehen Sie gar nicht aus dem Hause und lassen Sie keinen Menschen vor, die Polen trachten Ihnen nach dem Leben, Gott soll mich strafen, wenn es nicht so ist, wie ich sage.«

Der Präsident legte die Feder hin, nahm eine Prise aus seiner Tabatiere und blickte auf Ascher Kornfeld; seine Augen schienen ihn durchdringen zu wollen. »Was wissen Sie? Wer hat die Absicht, mich zu ermorden?«

»Die Polen, Exzellenz«, erwiderte der Jude ruhiger. »Heute in aller Frühe ist gekommen zu dem Mausel Fingerhut, was ist ein Messerschmied in der Krakevska, ein junger Mensch. Hat er gehabt einen Mantel, in den er war eingewickelt ganz, und hat er ihm gegeben zu schleifen einen Dolch. Sagt der Fingerhut, soll er kommen in einer Stunde, weil ihm war verdächtig der junge Mensch, aber der sagt, er soll schleifen den Dolch auf der Stelle, und wie der Fingerhut will machen Masematten, zieht der Polak hervor ein Pistol und schreit: ›Willst du schleifen den Dolch, oder ich schieße dir eine Kugel vor deinen Kopf.‹ Was soll tun der arme Jude, er tut schleifen den Dolch, und der junge Mensch geht fort mit dem Dolch und sagt: ›Heute lebt der Präsident, morgen um diese Zeit lebt er nicht mehr!‹ Und geht und gibt ihm nicht einmal einen Groschen dafür, daß er ihm hat geschliffen den Dolch.«

Der Präsident lächelte. »Merken Sie sich, Kornfeld, wer von einer Sache spricht, der tut sie nicht.«

»Das muß wahr sein«, erwiderte der Jude, »aber die Polen sprechen und tun doch tun, was sie haben gesprochen.«

»Beruhigen Sie sich, man wird mich nicht ermorden.«

»Es wird geschehen ein Unglück, Herr«, schrie der Jude auf, »hab ich doch so eine Angst in mir, und wenn mir zittert das Herz im Leibe, so weiß ich, daß was kommt über mich. Soll ich verlieren meinen Wohltäter? Lieber soll ich sterben auf der Stelle.«

»Beruhigen Sie sich!«

»Versprechen Sie mir, Herr, nicht zu gehen aus dem Haus, bis die Polizei gefunden den Menschen, was hat schleifen lassen den Dolch.«

»Das kann ich nicht, was würde man von mir denken? Wie sollen die anderen Diener des Staates ihre Pflicht tun, wenn ich ein solches Beispiel gebe? Ich fürchte die Polen und ihre Dolche nicht.«

»Herr, bleiben Sie zu Haus, nur diesen Tag«, rief Ascher Kornfeld und warf sich dem eisernen Manne zu Füßen.

»Nicht eine Stunde«, sagte der Präsident, »aber Sie sind ein treuer Mensch, Kornfeld, ich werde Ihnen das nie vergessen, jetzt aber gehen Sie!«

Der Jude rang verzweifelt die Hände.

»Gehen Sie!«

 

Der Präsident hielt Wort. Er ging zur gewöhnlichen Stunde in sein Büro. Er verließ es nur mittags, um zu Hause zu speisen, und als die Dunkelheit anbrach, um seinen gewöhnlichen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Er trug keine Waffe bei sich, nur seinen Stock, wie alle Tage. Er ging über den Wall und den damaligen Castrumplatz an dem Skorbekischen Theater vorüber in die Serwaniza.

Als die Juden ihn erkannten, eilten sie aus ihren Häusern, umringten ihn und erhoben ein jämmerliches Geschrei. »Vater!« riefen sie. »Unser Vater! Gehen Sie nicht einher in der Finsternis, es kann geschehen ein Unglück.«

Der Präsident versuchte sie zu beruhigen, aber als er weiterging, folgte ihm ein ganzer Schwarm, und er mußte seinen Stock erheben, um sie fortzujagen. So kam er mehr und mehr in das dunkle Labyrinth enger, winkeliger Gassen, in jenen rembrandtschen Teil der Lemberger Judenstadt, in welchem der Tag dem Abend gleicht und der Abend der tiefen Nacht. Nur hie und da brannte eine Straßenlaterne oder ein Licht in einem halberblindeten Fenster. Kein Mensch war zu sehen, nur von Zeit zu Zeit erblickte er etwas wie einen Schatten, der ihm unablässig folgte.

Er blieb stehen und blickte zurück.

Der Schatten kam eilig heran, er sah jetzt, daß es ein Mensch in einem dunklen Talar war.

In dem Augenblicke, wo er sich umwendete, um seinen Weg fortzusetzen, traf ihn der Stoß des Mörders.

Während er stehengeblieben war, um den Menschen im Talar herankommen zu lassen, hatte sich Duniewitsch hinter seinem Rücken an den Häusern herangeschlichen und traf ihn, als er sich zu ihm kehrte, in der Gegend des Herzens.

Der Präsident schwankte, aber fiel nicht.

Der Stoß hatte seine Uhr getroffen, die im starken Gehäuse von Gold stak, er selbst war unverletzt.

Der Mörder holte zum zweiten Male aus.

Da sprang der Mann im Talar dazwischen.

Ihn traf der Dolch und diesmal nur zu gut. Er stieß einen Schrei aus und stürzte auf das Straßenpflaster nieder. Menschen rannten herbei, Duniewitsch schoß noch seine Pistole auf den Präsidenten ab, verfehlte aber auch diesmal sein Ziel und entfloh. Die Juden stürzten wehklagend aus den Häusern. Ein kleines Mädchen mit zerzaustem Haare leuchtete dem Manne, der auf der Erde lag, in das fahle Antlitz.

Es war Ascher Kornfeld, der Polizeiagent.

Er lag da, mit Blut übergossen, beide Hände gegen die Wunde gepreßt, Blut entströmte seinen Lippen. Der Präsident kniete bei ihm. Keiner von beiden konnte sprechen.

»Hab' ich gewußt, daß es wird geben ein Unglück«, sagte endlich der Jude.

»Schnell einen Arzt«, rief der Präsident; es waren die ersten Worte, die er sprach.

Ascher Kornfeld schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie sich an meines Weibes und meiner Kinder«, stöhnte er, »ich bin kaputt.«

»Ihre Kinder werden fortan die meinen sein«, erwiderte der Präsident, zwei große Tränen glänzten in seinen Augen.

»Gott wird Ihnen lohnen!«

Einige Zeit sprach der Sterbende kein Wort, dann schöpfte er Atem, richtete sich langsam auf und murmelte, während sein Gesicht verklärt schien: »Es war am Sabbatabend, ich habe es nicht vergessen, Herr Präsident.«

Dann sank er zurück, winkte zweimal mit der Hand, als ob er jemand in weiter Ferne grüßen wollte, und war tot.

 

Es war tief in der Nacht, als die Glocke in Antonias Hause gezogen wurde. Sie kam selbst, den rotsamtenen Hermelinpelz um die Schultern geworfen, das reiche blonde Haar bacchantisch aufgelöst, das Tor zu öffnen, aber nicht Duniewitsch, den sie erwartet hatte, stand jetzt im Lichte der Kerze, die sie hielt, vor ihr, sondern Bulgarin.

»Du?« murmelte sie, unangenehm überrascht.

»Ja, ich.« Er trat ein und schloß das Tor.

»Was hast du?« sagte sie rasch und im Tone des Befehls.

»Ich erwarte jemand, ich habe keine Zeit für dich.«

»Du erwartest den Fürsten.«

»Nein.«

»Wen sonst?«

»Das ist meine Sache.«

»Antonia, willst du mich rasend machen?«

Sie überlegte, »Also komm!« sagte sie dann langsam und ging voran, die Kerze in der Hand. In ihrem Schlafzimmer ließ sie den Pelz von den Schultern gleiten und streckte sich auf dem Diwan aus. Sie sah Bulgarin mit ihren kalten blauen Augen fragend an, sie schien zu erwarten, daß er ihr etwas zu erzählen habe. Als er stumm blieb, begann sie endlich, mit der Quaste des Diwans spielend: »Was gibt es Neues?«

»Ein Attentat auf den Präsidenten.«

»Ist er tot?«

»Nein, der Dolch des Mörders traf einen armen Juden, der sein Leben opferte, um das seines Wohltäters zu retten.«

Antonia erbleichte und preßte die Hände vor das Gesicht.

»Was ist dir?«

»Dieses Blut kommt über mich.«

»Über dich? Bist du von Sinnen?«

»Oh! Ich bin nur zu sehr bei Vernunft«, erwiderte Antonia mit einem entsetzlichen Lächeln, »ich habe den Arm bewaffnet, der den Präsidenten ermorden sollte, das vergossene Blut kommt über mich.«

»Du«, schrie Bulgarin auf, »du hast den Präsidenten …« Er vollendete nicht.

»Ermorden lassen wollen«, fiel sie ruhig ein, »um den Tod meines Mannes zu rächen.«

»Deines Mannes? Den du gehaßt, den du verachtet hast?«

»Ich habe ihn geliebt, Dyonis.«

»Und du willst seinen Tod rächen?«

»Ja, das will ich.«

»Dann töte mich.«

»Dich?« Sie sprang auf und hob ihre Hände gegen Bulgarin, als ob sie statt der rosigen Nägel die Krallen einer Tigerin an den Fingern gehabt hätte und ihn zerfleischen wollte.

»Ja, mich, Antonia«, fuhr Bulgarin mit einer Art wilder Begeisterung fort, »denn ich, nur ich war es, der ihn in den Tod trieb. Ich habe dich geliebt vom ersten Augenblicke an, qualvoll, wahnsinnig, ohne Grenzen, wie ich dich jetzt noch liebe und bis zum letzten Augenblicke lieben werde. Ich habe ihn dir abwendig gemacht, ich habe ihm die Schlinge der Kleszowska um den Hals gelegt, ich habe ihn in das Netz gejagt, ich allein, Schritt für Schritt, ich war es, der ihn in den Kerker warf, der ihm das Geständnis seiner Schuld entlockte.«

»Und du hast ihn getötet?«

»Ja, ich.«

»Dyonis.« Sie begann zu weinen.

»Weine nicht«, bat Bulgarin, indem er sich ihr zu Füßen warf, »sondern räche dich, gib mir den Tod.« Er zog eine Pistole hervor, spannte den Hahn und reichte sie ihr.

Sie sah ihn an mit einem Blicke, der übermenschlich war; ein wollüstiger Schauer faßte sie bei dem Gedanken, daß dieser Mensch, um sie zu besitzen, ihren Mann getötet hatte – wenn sie ihn noch nicht geliebt hätte, in diesem Augenblicke hätte er ihr Herz erobert, und dennoch wollte sie ihn töten.

»Weißt du, daß du sterben mußt?« stammelte sie. »Und von meiner Hand?«

»Oh! Süßer Tod«, murmelte Bulgarin, indem er in zärtlicher Verzückung das schöne Haupt an ihre Knie lehnte, »nur flehe ich dich an …«

»Bitte mich nicht um Gnade.« Sie richtete die Mündung der Pistole auf seine Stirn.

»Nein, nur das eine, töte mich nicht gleich, töte mich erst mit dem zweiten Schuß. Es muß so schön sein, von deiner Hand zu sterben und dich noch sterbend anzubeten.«

Sie sah ihn überrascht an, setzte die Pistole ab und holte Atem; dann zog sie fröstelnd den Pelz herauf, strich sich das Haar zurück und legte ihm langsam die Mündung an die Brust.

»Nun? Warum schießt du nicht?«

Antonia begann zu schluchzen, die Pistole fiel zur Erde. Ihre weichen Arme umschlangen Bulgarin, und ihre Tränen strömten über ihn.

 

Als jener Blitz fiel, der 1848 die absolute Monarchie zu Boden warf, verzehrten die heiligen Flammen auch die Werkzeuge des Despotismus.

Die Polizei wurde aufgelöst.

Der Präsident, seines Dienstes enthoben, verließ Lemberg, aber nicht wie Metternich die Residenz unter dem Schutze der Nacht, sondern einem verbannten Gotte gleich, majestätisch bei hellem Tage, in offener Postkalesche mit vier Pferden und bei den fröhlichen Klängen des Posthorns. Er hatte von niemandem Abschied genommen, niemand als Bulgarin zu sich rufen lassen. Mit leise zitternder Hand hatte er ihm ein Schreiben an einen einflußreichen russischen Staatsmann übergeben und sich dann rasch von ihm abgewendet.

Bulgarin ging zunächst nach Warschau. Antonia begleitete ihn, und seine Mutter starb plötzlich, ebenso sanft und ruhig, wie sie gelebt hatte. Es gab also nichts, was ihm den Abschied von der Heimat schwer gemacht hätte.

Als am 2. Dezember der Stern Louis Napoleons aufging, eilte er nach Paris. Er trat in die Dienste Pietris und wurde eines seiner vorzüglichsten Werkzeuge.

An jenem denkwürdigen Abend, wo die Bomben Orsinis und seiner Genossen platzten und Unschuldige wie Schuldige zu Boden schmetterten, ereilte auch ihn der Tod.

Man fand ihn, mit Blut übergossen, auf dem Rücken liegen, in einer Hand einen Dolch, in der anderen einen Revolver, und hielt ihn für einen Verschworenen.

Seine Leiche wurde in aller Stille beigesetzt. Die Menschen vergaßen ihn bald. Nur eine schöne, bleiche Frau kam täglich, sein Grab zu besuchen, sie saß oft viele Stunden auf demselben und betete. Die Totengräber nannten sie die Polin.

Eines Tages blieb auch sie aus.

War ihr Herz gebrochen? Oder hatte sie ihn vergessen?

Das letztere ist das Wahrscheinlichere.

 


 << zurück