Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Aufzug

Die Garküche der Poeten

Der Laden Ragueneaus, an der Ecke der Rue Saint-Honoré und der Rue de l'Arbre-Sec; das breite Glasfenster der Eingangstür gewährt den Ausblick auf diese noch in die Dämmerung des frühen Morgens gehüllten Straßen. Links vorn das Kontor, überragt von einem schmiedeeisernen Baldachin, an welchem Gänse, Enten und weiße Pfauen aufgehängt sind. In großen Fayencevasen hohe Sträuße von Feldblumen (hauptsächlich gelbe Sonnenblumen). Auf derselben Seite, etwas weiter hinten, riesiger Kamin, vor welchem, zwischen mächtigen Feuerböcken, deren jeder einen kleinen Kochtopf trägt, die Braten in den Pfannen schmoren.

Rechts vorn eine Tür. Dahinter eine Treppe, zu einem Hängeboden führend, dessen Innenraum durch offenstehende Türflügel sichtbar ist; dort steht ein gedeckter Tisch, und brennt ein kleiner flämischer Kronleuchter. Eine hölzerne Galerie schließt sich, nach hinten zu, an die Treppe an und scheint zu anderen ähnlichen Separatzimmerchen zu führen.

In der Mitte der Bühne, an der Decke, ein großer eiserner Ring, der mit einem Strick heruntergelassen werden kann, und an dem große Stücke Wildbret befestigt sind. Die Backöfen unter der Treppe glühen durch das Halbdunkel; die Kupfergeschirre funkeln; Bratspieße drehen sich herum. Große Aufsätze türmen sich empor. Schinken hängen allenthalben.

Eilfertige Bedienstete wimmeln umher, stattliche Köche und winzige Küchenjungen; die Mützen von vielen sind geschmückt mit Hühnerfedern oder Perlhuhnflügeln. Auf Blechplatten und in Weidenkörben werden gewaltige Vorräte von Backwerk aller Art herbeigetragen. Mehrere Tische, bedeckt mit Schüsseln und Kuchen; andere, von Stühlen umgeben, sind für die Gäste bestimmt. Ein kleiner Tisch, in einem Winkel, ist mit Papieren überhäuft. Dort sitzt Ragueneau beim Aufgehen des Vorhangs und schreibt.

Erster Auftritt

Ragueneau. Köche. Dann Lise. Ragueneau schreibt an
dem kleinen Tisch, voll Inspiration die Verse an den
Fingern abzählend.

Erster Koch
(mit einem Aufsatz).
Fruchtaufsatz!

Zweiter Koch
(mit einer Platte).
Krapfen!

Dritter Koch
(mit einem blumengeschmückten Braten).
Pfau!

Vierter Koch
(mit einem Kuchenblech).
Biskuit!

Fünfter Koch
(mit einer Terrine).
Pasteten!

Ragueneau
(von seinem Manuskript aufsehend).
Aurora schwebt empor. Nun, Ragueneau,
Erstick in dir den schwärmenden Poeten!
Leg fort die Leier; denn dich ruft   der Ofen!
(Aufstehend, zu einem Koch.)
An dieser Soße fehlen ein paar Strophen.

Der Koch.
Wie?

Ragueneau.
Dichte sie hinzu!
(Er geht zum Kamin.)
Die Muse floh,
Damit nicht, von dem Küchenrauch bedroht,
Ihr zartes Götterauge Schaden litte.
(Zu einem Bäcker, auf ein Brot deutend.)
Falsch angebracht ist dieser Spalt im Brot;
Denn die Zäsur gehört stets in die Mitte.
(Zu einem andern, ihm eine unvollendete Pastete zeigend.)
Vergiß nicht, auf dies Haus ein Dach zu tun.
(Zu einem Lehrjungen, welcher, auf der Erde sitzend, Geflügel anspießt.)
Und du, mein Söhnchen, laß an dieser Stange
Abwechseln mit dem schlicht bescheidnen Huhn
Den stolzen Truthahn, wie Malherbe in freier
Abwechslung kurze Verse schrieb und lange,
Und dreh sie fleißig um, bis sie sich reimen.

Ein anderer Lehrjunge
(sich ihm mit einer Platte nähernd, die mit einer Serviette zugedeckt ist).
Dies, Meister, hab ich Ihnen im geheimen
Gemacht, als Überraschung!
(Er hebt die Serviette auf, man sieht eine große Leier aus Backwerk.)

Ragueneau.
Eine Leier!

Lehrjunge.
Aus Butterteig.

Ragueneau
(gerührt). Und rings kandierte Früchte!

Lehrjunge.
Die Saiten sind aus Zucker.

Ragueneau
(ihm Geld gebend). Nimm zum Lohn ...
(Er sieht Lise eintreten.)
Still! Meine Frau! Verbirg das Geld und flüchte!
(Zu Lise, mit etwas verlegenem Gesicht ihr die Leier zeigend.)
Hübsch, nicht wahr?

Lise.
Abgeschmackt!
(Sie legt auf das Kontor einen Stoß von Papiertüten.)

Ragueneau.
Was bringst du? Düten?
(Er betrachtet sie.)
Gott! Meiner Freunde Bücher! Welch ein Hohn:
Zerfetzt, zerrissen ihres Geistes Blüten,
Zum schnöden Umschlag für Konfekt vernichtet!
Du treibst es, wie mit Orpheus die Mänaden.

Lise
(trocken).
Was gehn mich deine Kleckser an? Sei froh,
Wenn ich derart das einzige verwerte,
Womit das Pack die Zeche dir entrichtet.

Ragueneau.
Ameise, schmähe nicht die göttlichen Zikaden!

Lise.
Ich war dir, eh' dies Volk bei uns verkehrte,
Ameise nicht, und nicht Mänade!

Ragueneau.
So
Mit Versen umzugehn!

Lise.
Um Geld zu sparen.

Ragueneau.
Wie denkst du dann mit Prosa zu verfahren?!

Zweiter Auftritt

Vorige. Zwei Kinder, durch die Eingangstür.

Ragueneau.
Was wünscht ihr, Kinder?

Erstes Kind.
Drei Pastetchen.

Ragueneau
(sie bedienend). Hier.
Recht braun und heiß.

Zweites Kind.
Einwickeln, bitte!

Ragueneau
(erschreckt, für sich). Weh!
Der Mord beginnt!
(Zu den Kindern.)
Einwickeln? In Papier?
(Er nimmt eine Tüte; im Begriff, die Pastetchen hineinzutun, liest er.)
»Als Held Ulysses nun verließ Penelope ...«
Nicht dies!
(Er legt die Tüte beiseite, nimmt eine andere, dasselbe Spiel wie oben.)
»Gott Phöbus stieg ...« Auch dieses nicht.

Lise
(ungeduldig).
Nun? Wird's bald?

Ragueneau.
Gleich; sogleich! Ich will nur wissen ...
(Er nimmt eine dritte; resigniert.)
Das Lied an Phillis!   Schwer ist der Verzicht.

Lise
(achselzuckend).
Ein Glück, daß er sich endlich losgerissen!
(Sie steigt auf einen Stuhl und ordnet die Schüsseln auf einer Kredenz.)

Ragueneau
(hält, sobald sie ihm den Rücken dreht, die Kinder an der Türe auf).
Pst!   Gebt das »Lied an Phillis« mir zurück
Und nehmt dafür zwei Hände voll Konfekt!
(Die Kinder geben ihm die Tüte wieder, greifen eifrig nach dem Konfekt und gehen hinaus. Ragueneau entfaltet und glättet das Papier; liest.)
»Phillis ...« Der holde Name fettbefleckt!

Dritter Auftritt

Ragueneau. Lise. Cyrano. Dann ein Musketier.

Cyrano
(eilig eintretend).
Was ist die Uhr?

Ragueneau
(ihn diensteifrig begrüßend).
Schlag sechs.

Cyrano
(erregt). Noch eine Stunde.
(Er geht auf und ab.)

Ragueneau
(ihm folgend).
Bravo! Ich sah ...

Cyrano.
Was denn?

Ragueneau.
Ihr Heldenstück!  

Cyrano.
Welches?

Ragueneau.
Den Zweikampf!

Cyrano
(geringschätzig). Das Duellchen? Ei!

Ragueneau
(bewundernd).
Ja, das Duell in Versen.

Lise.
Stets im Munde
Führt er Ihr Lob.

Cyrano.
Ach, das war Spielerei.

Ragueneau
(mit einem Bratspieß, den er ergriffen hat, ausfallend).
»Denn beim letzten Verse stech ich.«  
»Beim letzten Verse stech ich.«   Wunderbar!
(Mit wachsendem Enthusiasmus.)
»Beim letzten ...«

Cyrano.
Wieviel Uhr ist?

Ragueneau
(in der Ausfallstellung nach der Uhr sehend).
Fünf Minuten
Nach sechs. (Sich aufrichtend.)
Oh   »Milz« und »Pilz«, welch Reimepaar!

Lise
(zu Cyrano, der, an ihrem Kontor vorübergehend, ihr zerstreut die Hand gegeben hat).
Was haben Sie an Ihrer Hand? Sie bluten?

Cyrano.
Ach, nur geritzt!

Ragueneau.
Ein Abenteuer!

Cyrano.
Nein!

Lise
(ihm mit dem Finger drohend).
Mir scheint, Sie lügen.

Cyrano.
Zuckt mein Nasenloch?
Dann müßt' es eine Riesenlüge sein!
(In anderem Ton.)
Falls jemand kommt, den ich erwarte, bitt ich,
Daß man allein uns läßt.

Ragueneau.
Gern; bald jedoch
Sind meine Dichter hier ...

Lise.
Zur Fütterung.

Cyrano.
Gleichviel!  
Wie spät nun?

Ragueneau.
Sechs Uhr zehn.

Cyrano
(setzt sich nervös an Ragueneaus kleinen Tisch und nimmt einen Bogen Papier).
Schnell einen Kiel
Zum Schreiben!

Ragueneau
(ihm die Feder anbietend, die er hinterm Ohr stecken hat).
Hier! Von einem Schwanenfittich.

Ein Musketier
(mit einem stolzen Schnurrbart tritt ein und sagt mit Stentorstimme).
Grüß Gott!
(Lise geht lebhaft auf ihn zu.)

Cyrano
(sich umdrehend).
Wer ist denn das?

Ragueneau.
Ein Eisenfresser.
Freund meiner Frau.

Cyrano
(ergreift wieder die Feder und winkt
Ragueneau, sich zu entfernen)
.
Still!   (Für sich.) Schriftlich   das geht besser ...
Den Brief ihr geben und dann fliehn ...
(Die Feder hinwerfend.) Wie feige!
Doch eher sterb ich, als ...
(Zu Ragueneau.) Wie spät?

Ragueneau.
Ein Viertel sieben.

Cyrano
(für sich).
Als daß ich redend ihr mein Innres zeige.
Doch schreibend   ja!
(Er greift wieder zur Feder.)
Drum werd er jetzt geschrieben,
Der Liebesbrief, den ich mit jedem Hauche
Der Seele hundertfältig aufgesetzt
Und der so fertig ist, daß ich ihn jetzt
Auf diesem Blatt nur zu kopieren brauche.
(Er schreibt.   Hinter dem Glasfenster der Tür sieht man magere Silhouetten sich bewegen.)

Vierter Auftritt

Vorige. Die Poeten, schwarz gekleidet, mit schlottrigen,
von Straßenschmutz bespritzten Strümpfen.

Lise
(zu Ragueneau).
Da kommt die schmierige Bande!

Erster Poet
(eintretend, zu Ragueneau).
Freund!

Zweiter Poet
(ebenso, ihm die Hände schüttelnd).
Kollege!

Dritter Poet.
Krone der Bäcker!
(Er schnuppert.)
Hier riecht's wundervoll!

Vierter Poet.
Phöbus am Herd!

Fünfter Poet.
Kochkundiger Apoll!

Ragueneau
(umringt, umarmt, bei den Händen geschüttelt).
Man merkt doch gleich die feine Geistespflege!

Erster Poet.
Der Volkschwarm, der die Porte de Nesle umstellt,
Ließ uns nicht durch ...

Zweiter Poet.
Dort auf dem Pflaster lagen
Acht Strolche, blutend und erschlagen.

Cyrano
(einen Augenblick den Kopf hebend).
Acht?   Sieben zählt' ich nur. (Er schreibt weiter.)

Ragueneau
(zu Cyrano). Wer war der Held?
Sie wissen's wohl?

Cyrano
(gleichgültig).
Ich?   Nein.

Lise
(zum Musketier). Und Sie?

Musketier
(seinen Schnurrbart drehend). Vielleicht.

Cyrano
(murmelt von Zeit zu Zeit beim Schreiben ein Wort vor sich hin).
»Ich liebe dich ...«

Erster Poet.
Man sagt: ein einz'ger Mann
Verjagte hundert!

Zweiter Poet.
Einem Schlachtfeld gleicht
Der Boden: Stöcke, Waffen ...

Cyrano
(schreibend). »Hör mich an ...«

Dritter Poet.
Und herrenlose Hüte weit verstreut.

Erster Poet.
Das muß ein toller Bursch sein ...

Cyrano.
»Deine Wangen ...«

Erster Poet.
Ein Kerl, der nicht einmal den Satan scheut!

Cyrano.
»Dein Blick erfüllt mich so mit Furcht und Bangen ...«

Zweiter Poet
(einen Kuchen eskamotierend, zu Ragueneau).
Schriebst du was Neues?

Cyrano.
Namenszug ...
(Im Begriff, zu unterzeichnen, hält er inne, steht auf und steckt den Brief in sein Wams.)
Doch nein;
Ich selber werde ja den Brief ihr geben.

Ragueneau
(zum zweiten Poeten).
In Verse bracht' ich ein Rezept soeben.

Dritter Poet
(sich neben einer Platte voll
Rahmtörtchen installierend)
.
Lies vor!

Vierter Poet
(einen Zwieback, den er sich genommen hat, betrachtend).
Der Zwieback scheint nicht viel zu taugen.
(Er beißt hinein.)

Erster Poet.
Dies Zuckerbrot gab mir ein Stelldichein
Und lacht mich an mit süßen Mandelaugen.
(Er nimmt es.)

Zweiter Poet.
Wir hören.

Dritter Poet
(hat ein Törtchen ergriffen).
Täglich backt er feinre Sorten.

Erster Poet
(zum vierten, ihn mit dem Ellbogen anstoßend).
Schmeckt's gut?

Vierter Poet
(zum ersten).
Und dir?

Ragueneau
(hat zur Vorbereitung sich geräuspert, seine Mütze zurechtgerückt und sich in Positur gesetzt).
Ein ganz bescheidnes Blatt ...

Zweiter Poet
(die große Leier aus Zuckerwerk anbeißend).
Zum erstenmal macht mich die Leier satt.

Ragueneau
(liest).
»Rezept für kleine Mandeltorten.«

Schlag das Eiweiß etwa dreier
Frischer Eier,
Bis sie sich in Schaum verwandeln;
Gieß Zitronensaft hinein;
Misch ihn fein
Mit der Milch von süßen Mandeln.

Blätterteig aus feiner Butter
Nimm zum Futter
Für des Kuchenbleches Hülle;
Sei bedacht, daß nun der Schaum
Diesen Raum
Tropfenweis allmählich fülle.

Laß den Teig vom Feuer packen,
Bis gebacken
Er verläßt des Ofens Pforten:
So bekommst du braun und gar
Eine Schar
Kleiner feiner Mandeltorten.

Die Poeten
(mit vollem Munde).
Schön!   Prachtvoll!

Ein Poet
(würgend). Hum!
(Sie gehen essend nach hinten. Cyrano, der sie beobachtet hat, tritt zu Ragueneau.)

Cyrano.
Entgeht dir, wie beim Hören
Der Schwärm sich vollstopft?

Ragueneau
(lächelnd, halblaut).
Nein; ich tu nur so,
Als merkt' ich gar nichts, um sie nicht zu stören,
Und werde meines Vortrags doppelt froh:
Indes mich selber meine Verse laben,
Gewähr ich denen Brot, die Hunger haben.

Cyrano
(ihm auf die Schulter klopfend).
Brav, alter Freund!
(Ragueneau geht nach hinten zu den Poeten. Cyrano folgt ihm mit den Augen, ruft dann plötzlich.)
He, Lise!
(Lise, in einem zarten Gespräch mit dem Musketier unterbrochen, erschrickt und kommt nach vorn.)
Dieser Krieger
Belagert Sie?

Lise
(gekränkt). Mein stolzer Blick erträgt
Den Angriff und bleibt jederzeit der Sieger!

Cyrano.
Ein Sieger, der sich selbst zu Boden schlägt?

Lise
(mit ersticktem Zorn).
Ach ...

Cyrano
(auf Ragueneau zeigend; so laut, daß der Musketier es hören kann).
Jener ist mein Freund; ich dulde nicht,
Daß irgendwer in seinem Garten grase.

Lise.
Jedoch ...

Cyrano
(noch lauter).
Man merk' es wohl!
(Er grüßt den Musketier und geht, nachdem er auf die Uhr gesehen hat, nach der Eingangstür, um dort erwartungsvoll aufzupassen.)

Lise
(zum Musketier, der Cyranos Gruß ruhig erwidert hat).
Sind Sie schon quitt?
Ein Wort ... auf seine Nase!

Musketier.
Seine ... Nase ...
(Er entfernt sich schnell; Lise folgt ihm.)

Cyrano
(gibt von der Eingangstür aus Ragueneau Zeichen, die Poeten zu entfernen).
Pst!

Ragueneau
(zu den Poeten, auf die Tür rechts deutend).
Kommt hinein!

Cyrano
(ungeduldig).
Pst! Pst!

Ragueneau
(sie drängend). Um ein Gedicht
Zu lesen ...

Erster Poet
(mit vollem Mund, verzweifelt).
Und die Kuchen!  

Zweiter Poet.
Nimm sie mit!
(Sie gehen alle in feierlichem Aufzug hinter Ragueneau drein, nachdem sie noch möglichst viel Backwerk zusammengerafft haben.)

Fünfter Auftritt

Cyrano. Roxane. Die Duenna.

Cyrano.
Entdeck ich den geringsten Hoffnungsstrahl,
Dann geb ich ihr den Brief!
(Roxane erscheint maskiert hinter dem Glasfenster, gefolgt von der Duenna. Er öffnet schnell die Tür.)
Herein! (Zur Duenna.) Zwei Worte!

Duenna.
Vier.

Cyrano.
Sind Sie naschhaft?

Duenna.
Ach, im höchsten Grad.

Cyrano
(nimmt schnell eine Anzahl Tüten).
Gut. Hier von Benserade ein Madrigal ...

Duenna
(enttäuscht). Oh!

Cyrano.
Angefüllt mit Aprikosentorte.

Duenna.
Ah!

Cyrano.
Schwärmen Sie für Strudel?

Duenna.
In der Tat.
Ich schätze sie; besonders mit viel Creme.

Cyrano.
Ich wickle sechs davon in die Balladen
Von Saint-Amant, und dies Poem
Von Chapelain füll ich mit Butterfladen.  
Sind Sie für Blätterteig?

Duenna.
Mein Lieblingsessen.

Cyrano
(sie mit gefüllten Tüten beladend).
Dann wollen Sie da draußen dies verzehren.

Duenna.
Ich ...

Cyrano
(sie hinausdrängend).
Und erst, wenn Sie fertig, wiederkehren.
(Er schließt hinter ihr die Tür, nähert sich Roxane und bleibt barhäuptig in respektvoller Entfernung stehen.)

Sechster Auftritt

Cyrano. Roxane. Später Duenna.

Cyrano.
O schönster Tag von vielen, vielen Tagen:
Ich glaubte schon, Sie hätten mich vergessen ...
Was führt Sie her? Was wollen Sie mir sagen?

Roxane
(hat sich demaskiert).
Vor allem dank ich Ihrem tapfren Degen,
Durch den ich diesem faden Tropf entrann:
Sein mächt'ger Freund ...

Cyrano.
Graf Guiche?

Roxane
(die Augen niederschlagend).
Hat ihn zum Mann
mir ausersehn ...

Cyrano.
Zum Strohmann?
(Mit einer Verbeugung.) Lohn genug,
Daß ich   statt meiner langen Nase wegen  
Mich wegen Ihrer schönen Augen schlug.

Roxane.
Sodann ... Doch   was ich jetzt bekennen werde,
Bekenn ich, weil Sie ... fast mein Bruder sind,
Mit dem ich oft gespielt im Park   als Kind.  

Cyrano.
Zur Sommerzeit, auf heimatlicher Erde!

Roxane.
Sie schnitten Schwerter aus der Röhrichtgruppe ...

Cyrano.
Aus Maiskorn Sie das Blondhaar Ihrer Puppe.

Roxane.
Wir jagten uns ...

Cyrano.
Und manchen Schmetterling ...

Roxane.
Sie mußten alles, was ich wollte, tun.

Cyrano.
Roxane hieß noch Madeleine und ging
In kurzen Kleidchen.

Roxane.
War ich hübsch?

Cyrano.
Je nun,
Nicht häßlich.

Roxane.
Manchmal, wenn Sie sich beim Klettern
Die Hand verletzten, spielt' ich die Mama
Und gab mir Mühe, zornerfüllt zu wettern:
(Sie nimmt seine Hand.)
»Wie kommen Sie zu dieser Schramme da?«
(Sie hält erstaunt inne.)
Oh! Wieder eine? (Cyrano will die Hand zurückziehen.)
Nein, da nützt kein Hehl!
Solch alter Schlingel!   Was begingst du? Sprich!

Cyrano.
Ich bin geklettert bei der Porte de Nesle.

Roxane
(setzt sich an einen Tisch und taucht ihr
Taschentuch in ein Glas Wasser)
.
Gib!

Cyrano
(sich zu ihr setzend).
So besorgt! So reizend mütterlich!

Roxane.
Nun beichten Sie! Derweil still ich das Blut.
Ein Kampf?

Cyrano.
Nur etwa hundert Straßendiebe!

Roxane.
Ich bin gespannt.

Cyrano.
Nein, ich! Was mir zu sagen
Vorhin Sie nicht gewagt ...

Roxane
(ohne seine Hand loszulassen).
Jetzt kann ich's wagen.
Der Hauch vergangner Zeiten gibt mir Mut.
Jawohl, ich wag es jetzt. Nun denn, ich liebe ...

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Jemand, der's nicht ahnt.

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Jetzt noch nicht!

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Doch er soll's in kurzer Zeit erfahren.

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Denn dem armen Jungen selbst gebricht
Der Mut, mir sein Gefühl zu offenbaren.

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Wirklich, Ihre Hand ist heiß von Fieber.  
Jedoch ich sah, wie das Geständnis brennt
In seinem Blick.

Cyrano.
Ah!

Roxane
(hat ihm mit ihrem Taschentuch nun einen kleinen Verband gemacht). Denken Sie, mein Lieber:
Er dient in Ihrem Regiment!

Cyrano.
Ah!

Roxane
(lächelnd).
Als Kadett in Ihrer Kompanie!

Cyrano.
Ah!

Roxane.
Geistvoll sieht er aus, stolz, adlig, herzhaft,
Ist jung und schön ...

Cyrano
(sich erhebend, ganz bleich).
Und schön!

Roxane.
Was haben Sie?

Cyrano.
Oh, nichts ... Es ist ...
(er zeigt lächelnd seine Hand.)
es ist ein wenig schmerzhaft.

Roxane.
Kurzum, ich lieb ihn. Doch ich muß gestehn:
Nur im Theater hab ich ihn gesehn.

Cyrano.
Sie sprachen sich noch nicht?

Roxane.
Durch Blicke nur.

Cyrano.
Und wissen dennoch ...

Roxane.
Mitteilsame Leute
Sind mir bekannt, von denen ich erfuhr,
Er sei ...

Cyrano.
Er sei ...?

Roxane.
Beim Gardecorps Kadett.

Cyrano.
Und heißt?

Roxane.
Baron Christian von Neuvillette.

Cyrano.
Dient nicht in unserm Corps!

Roxane.
O doch, seit heute:
Sein Hauptmann ist Castel-Jaloux.

Cyrano.
Indessen,
Wenn Ihr geschwindes Herz nun irregeht ...

Duenna
(die Eingangstür öffnend).
Mein Herr, die Kuchen hab ich aufgegessen.

Cyrano.
Jetzt lesen Sie, was auf den Düten steht!
(Die Duenna verschwindet.)
Sie sind ein Schöngeist, lieben feine Wendung
Der Rede. Wie, wenn er nun ein Barbar?

Roxane.
Wer solche Locken hat, besitzt Vollendung.

Cyrano.
Doch wenn sein Geist so kraus ist wie sein Haar?

Roxane.
Er ist gewiß ein Feind von allem Derben.

Cyrano.
Als solcher schon am zarten Schnurrbart kenntlich.
Doch wenn er dumm ist?

Roxane
(mit dem Fuß stampfend).
Dann ... dann werd ich sterben!

Cyrano.
Und um mir das zu sagen, kamen Sie?
Die Nutzanwendung ist mir nicht verständlich.

Roxane.
Ach, weil man mir zu meinem Todesschreck
Berichtet hat: in Ihrer Kompanie
Sind nur Gascogner ...

Cyrano.
Die der Zorn entflammt,
Wenn sich durch Gönnerschaft ein junger Geck
Eindrängt, der nicht aus der Gascogne stammt!

Roxane.
Ganz recht! Nun denken Sie, wie diese Kunde
Mich für ihn zittern läßt!

Cyrano
(zwischen den Zähnen).
Mit gutem Grunde!

Roxane.
Und als ich gestern Sie gleich einem Leuen
Unwiderstehlich habe kämpfen sehn,
Da sagt' ich mir: Wenn er, den alle scheuen ...

Cyrano.
Nun, Ihrem Abgott soll kein Leid geschehn.

Roxane.
Sie bürgen mir, daß nichts ihn wird gefährden?
Stets war ich Ihnen gut!

Cyrano.
Ja, ja.

Roxane.
Sie werden
Ein Freund ihm sein ...?

Cyrano.
Gewiß, gewiß.

Roxane.
Ein treuer!
Und nie wird er sich schlagen?

Cyrano.
Ehrenwort.

Roxane.
Ich habe Sie sehr lieb.   Nun muß ich fort.
(Sie setzt schnell wieder ihre Maske auf und bedeckt ihre Stirn mit einem Schleier; dann, zerstreut.)
Ach, wollten Sie mir nicht Ihr Abenteuer
Erzählen? Hundert Mann!   Er soll mir schreiben.
(Sie wirft ihm eine Kußhand zu.)
Ich liebe Sie!

Cyrano.
Ja, ja.

Roxane.
Jetzt muß ich gehn.
Sie werden mir ein andermal ... Wir bleiben
Doch Freunde?

Cyrano.
Ja, gewiß.

Roxane.
Auf Wiedersehn!  
Er soll mir schreiben!   Hundert Mann! Das nenn ich
Den größten Mut!

Cyrano
(mit Verbeugung).
Noch einen größern kenn ich.
(Sie geht hinaus. Cyrano bleibt unbeweglich stehen. Pause. Die Tür rechts öffnet sich; Ragueneau steckt den Kopf heraus.)

Siebenter Auftritt

Cyrano. Ragueneau. Die Poeten. Carbon von Castel-Jaloux. Die Kadetten. Le Bret. Volk. Später Graf Guiche.

Ragueneau.
Darf man hinein?

Cyrano
(ohne sich zu rühren).
Ja.
(Ragueneau gibt den Poeten ein Zeichen; sie kommen herein. Gleichzeitig erscheint in der Eingangstür Carbon von Castel-Jalouxy im Kostüm eines Hauptmanns der Garde, und macht heim Anblick Cyranos lebhafte Gesten.)

Carbon
(mit geräuschvoller Freude).
Hatt' ich recht? Hier steht er,
Der Held! Mein Schwarm Kadetten möchte dir
Glück wünschen ...

Cyrano
(zurückweichend). Aber ...

Carbon
(will ihn fortziehen). Komm! Sie zechen hier
Gleich gegenüber!

Cyrano.
Ich ...

Carbon.
Im »Schwarzen Peter«.

Cyrano.
Nein, ich ...

Carbon
(eilt zur Eingangstür zurück und ruft mit donnernder Stimme über die Straße).
Er will nicht kommen!

Stimme
(von draußen). Sapperlot!
(Lärm auf der Straße; Degengeklirr; Geräusch von sich nähernden Schritten.)

Carbon
(sich die Hände reibend).
Hast du gehört?   Richtig, da sind sie schon.

Die Kadetten
(hereinbrechend).
Mordius!   Potz Hagel!   Schwerebrett!

Ragueneau
(erschrocken zurückweichend). Ach Gott,
Lauter Gascogner?

Die Kadetten.
Ja!

Ein Kadett
(zu Cyrano). Hurra!

Cyrano
(dankend). Baron!

Zweiter Kadett
(Cyrano die Hand schüttelnd).
Ein Meisterstück!

Cyrano.
Baron!

Dritter Kadett.
Laß dich umarmen!

Cyrano.
Baron!

Mehrere Kadetten.
Vivat!

Cyrano
(der sich nicht mehr zu helfen weiß).
Baron ... Baron ... Erbarmen!

Ragueneau.
Lauter Barone?

Die Kadetten.
Ja!

Erster Kadett.
Das wird ein Turm,
Wenn wir die Wappen aufeinanderlegen!

Le Bret
(eilig eintretend, zu Cyrano).
Freund, eine große Menge naht im Sturm,
Geführt von denen, die heut nacht zugegen ...

Cyrano
(erschrocken).
Du sagtest, wo ich bin?
Le Bret
(sich die Hände reibend).
Was könnt' es schaden?

Ein Bürger
(tritt ein, gefolgt von anderen).
Mein Herr, das ganze Viertel ist wie toll.
(Die Straße hat sich dicht mit Menschen gefüllt. Sänften und Wagen halten vor der Tür.)

Le Bret
(leise zu Cyrano, lächelnd).
Du sprachst sie?

Cyrano
(heftig). Schweig!

Die Menge
(ruft auf der Straße). Hoch! Hoch!
(Ein großer Menschenhaufe stürzt, hochrufend, in den Laden hinein.)

Ragueneau
(ist auf einen Tisch gestiegen).
Man stürmt den Laden,
Und alles wird zerbrochen! Wundervoll!

Viele
(Cyrano umringend).
Mein Freund ... mein Freund ...

Cyrano.
Woher denn plötzlich stammen
Die vielen Freunde?

Le Bret
(entzückt).
Der Erfolg.

Ein kleiner Marquis
(eilt mit ausgestreckten Händen auf Cyrano zu).
Du Held ...!

Cyrano.
Du? Du?   Was hüteten wir denn zusammen?

Ein zweiter Marquis.
Ich möchte Sie den Damen dort im Wagen
Vorstellen ...

Cyrano
(kalt).
Sind Sie selbst mir vorgestellt?

Le Bret
(verblüfft).
Was hast du?

Cyrano.
Schweig!

Ein Literat
(mit Schreibzeug).
Ich darf wohl ein paar Fragen ...

Cyrano.
Nein.

Le Bret
(ihn anstoßend).
Das war Renaudot! Der Mann, der neulich
Die Zeitung hat erfunden.

Cyrano
(gleichgültig). Sehr erfreulich.

Le Bret.
Die Blätter, weißt du, die das Neuste bringen.
Man sagt, daß die Idee viel Zukunft hat.

Ein Poet
(herzutretend).
Mein Herr ...

Cyrano.
Schon wieder einer!

Poet.
Sie besingen
Möcht' ich ...

Ein zweiter
(herzutretend).
Mein Herr ...

Cyrano.
Nun hab ich's aber satt!
(Bewegung. Man bildet Spalier. Graf Guiche erscheint mit einem Gefolge von Offizieren. Cuigy, Brissaille und die Offiziere vom Schluß des ersten Aktes. Cuigy tritt schnell zu Cyrano.)

Cuigy
(zu Cyrano).
Graf Guiche, von Marschall Gassion gesendet!

Guiche
(Cyrano begrüßend).
... der Ihnen zu dem neusten Heldenstreich
Durch mich den Ausdruck der Bewundrung spendet.

Die Menge.
Vivat!

Cyrano
(sich verneigend).
Des Marschalls Lob ehrt mich und ihn zugleich.

Guiche.
Er zweifelte, bis diese Herrn ihm laut
Beteuerten ...

Cuigy.
Daß wir's mitangeschaut.

Le Bret
(leise zu Cyrano).
Du ...

Cyrano.
Schweig!

Le Bret.
Du scheinst zu leiden.

Cyrano
(erschrocken, mit Selbstbeherrschung).
Was?! Vor diesen?
(Sein Schnurrbart sträubt sich; er wirft sich in die Brust.)
Niemals!

Guiche
(nachdem Cuigy ihm etwas zugeflüstert).
Sie haben oft schon Mut bewiesen.  
Sie dienen wohl in der verrückten Schar
Aus der Gascogne?

Ein Kadett
(mit kriegerischer Stimme).
Ja, bei uns!

Guiche
(die Gascogner, die sich hinter Cyrano aufgestellt haben, betrachtend). Fürwahr!
Das also sind die hitzigen Gesellen?

Carbon.
Cyrano!

Cyrano.
Hauptmann?

Carbon.
Meine Kompanie
Ist voll versammelt; sei so freundlich, sie
Dem Herren Grafen vorzustellen.

Cyrano
(um zwei Schritte sich dem Grafen nähernd).

Das sind die Gascogner Kadetten;
Ihr Hauptmann ist Castel-Jaloux.
Sie raufen und lügen und wetten;
Das sind die Gascogner Kadetten!
Sie halten zusammen wie Kletten
Und lieben und zürnen im Nu.
Das sind die Gascogner Kadetten;
Ihr Hauptmann ist Castel-Jaloux.

Sie fliehen vor weichlichen Betten
Und sammeln kein Geld in der Truh';
Sie pflegen ihr Haar nicht zu glätten;
Sie fliehen vor weichlichen Betten
Und stopfen in ihren Toiletten
Die Löcher und Risse nicht zu.
Sie fliehen vor weichlichen Betten
Und sammeln kein Geld in der Truh'.

Wenn Teufel zu Gegnern sie hätten,
Ihr Herz fällt nicht in die Schuh';
Sie würden dem Ruhm sich verketten,
Wenn Teufel zu Gegnern sie hätten!
Und gilt es zu kämpfen, zu retten,
Dann kommen sie gerne dazu ...
Wenn Teufel zu Gegnern sie hätten,
Ihr Herz fällt nicht in die Schuh'.

Das sind die Gascogner Kadetten;
Sie stören des Ehemanns Ruh'!
Ihr Blonden und auch ihr Brünetten,
Das sind die Gascogner Kadetten!
Euch hilft an verschwiegenen Stätten
Nicht lang euer sprödes Getu'!
Das sind die Gascogner Kadetten;
Sie stören des Ehemanns Ruh'.

Guiche
(nachlässig in einem Sessel sitzend, den Ragueneau ihm schnell gebracht hat).
In Mode sind die Dichter heut. Wenn Ihnen
Der Dienst bei mir behagt ...

Cyrano.
Ich will nicht dienen!

Guiche.
Mein Oheim Richelieu war sehr von Ihrem Wesen
Belustigt. Ich empfahl Sie seiner Huld.

Le Bret
(geblendet).
Oh!

Guiche.
Haben Sie kein Trauerspiel im Pult?

Le Bret
(Cyrano ins Ohr flüsternd).
Nun führt man »Agrippina« doch noch auf!

Guiche.
Bringen Sie's ihm!

Cyrano
(in Versuchung und sichtlich erfreut).
Wirklich?

Guiche.
Er wird es lesen,
Vielleicht verbessern; er versteht sich drauf.

Cyrano
(dessen Gesicht sich sofort wieder verfinstert hat).
Unmöglich; denn ich werde wie besessen,
Wenn man nur einen Strich dran ändern will.

Guiche.
Doch wenn ein Vers ihm Beifall abgerungen,
Lohnt er ihn hoch.

Cyrano.
Sein Lohn kann sich nicht messen
Mit meiner Selbstbelohnung, wenn ich still
Mir eingestehen darf: es ist gelungen!

Guiche.
Sie sind sehr stolz.

Cyrano.
Wird Ihnen das nun klar?

Ein Kadett
(tritt ein; an seinem Degen ist eine Anzahl von durchlöcherten, unförmig gewordenen Federhüten aufgespießt).
Schau nur, Cyrano, was wir fingen heute:
Recht sonderbares Federwild   nicht wahr?
Die Hüte der Entwichnen!

Carbon.
Fette Beute!
(Alle lachen.)

Cuigy.
Ihr Auftraggeber rast nun sicherlich!

Brissaille.
Wer ist es wohl gewesen?

Guiche.
Wer? Nun   ich!
(Das Lachen hört auf.)
Denn einen trunknen Reimschmied frecher Lieder
Kann unsereins nicht eigenhändig strafen.
(Peinliches Schweigen.)

Der Kadett
(halblaut zu Cyrano, auf die Hüte deutend).
Was soll man damit machen? Ein Ragout?

Cyrano
(nimmt ihm den Degen ab und streift, mit einer Verbeugung, alle Hüte herab, dem Grafen Guiche vor die Füße).
Da, geben Sie das Ihren Freunden wieder!

Guiche
(steht auf).
Geschwind! Ruft meinen Sänftenträgern zu!
(Zu Cyrano, heftig.)
Mein Herr ...!

Eine Stimme
(auf der Straße, ruft).
Die Sänftenträger des Herrn Grafen!

Guiche
(sich beherrschend, mit einem Lächeln).
Haben Sie »Don Quijote« gelesen?

Cyrano.
Ja.
Wer mit ihm anband, konnt' ihn stets bereit sehn.

Guiche.
Dann denken Sie ...

Ein Träger
(an der Eingangstür erscheinend).
Die Sänfte steht schon da.

Guiche.
An jene Mühlen ...

Cyrano
(mit Verbeugung). Im Kapitel dreizehn.

Guiche.
Die, wenn wir nicht Respekt vor ihnen lernen ...

Cyrano.
Respekt, weil sie sich nach dem Winde drehn?

Guiche.
Mit ihren Flügeln, eh' wir's uns versehn,
In Staub uns schleudern.  

Cyrano.
Oder zu den Sternen!
(Graf Guiche geht ab. Man sieht ihn seine Sänfte besteigen. Seine Kavaliere entfernen sich, untereinander flüsternd. Die Menge folgt ihnen.)

Achter Auftritt

Cyrano. Le Bret. Die Kadetten, welche sich rechts und
links an die Tische gesetzt haben und frühstücken.

Cyrano
(spöttisch zu den Kavalieren, welche ihn beim Hinausgehen nicht zu grüßen wagen).
Empfehle mich den Herrn ...

Le Bret
(nach vorn kommend, schlägt verzweifelt die Hände überm Kopf zusammen).
Das ist zu bunt!

Cyrano.
Nun brummst du wieder!

Le Bret.
Wenn's dir endlich glückt,
Jagst du Fortuna fort wie einen Hund.
Das ist ja Wahnsinn.

Cyrano.
Gut, ich bin verrückt.

Le Bret.
Aha!

Cyrano.
Doch als Exempel und Prinzip
Erscheint mir dies Verrücktsein sehr vernünftig.

Le Bret.
Nur deine tolle Händelsucht vertrieb
Bisher den Ruhm ...

Cyrano.
Wie soll ich's halten künftig?
Mir einen mächtigen Patron entdecken
Und als gemeines Schlinggewächs dem Schaft,
An dem ich aufwärts will, die Rinde lecken?
Durch List empor mich ranken, nicht durch Kraft?
Nein, niemals! Oder soll ich, wie so viele,
Ein Loblied singen auf gefüllte Taschen,
Soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen,
Indem ich seinen Narren spiele?
Nein, niemals! Oder soll ich Kröten schlucken,
Auf allen vieren kriechen, gleich dem Vieh,
Durch Rutschen wund mir scheuern meine Knie,
Kreuzschmerzen leiden durch beständ'ges Ducken?
Nein, niemals! Soll ich einem Schäfchen gleichen,
Um selbst mir eins ins Trockene zu bringen?
Soll Honig streun, um Zucker einzustreichen?
Und unermüdlich Weihrauchfässer schwingen?
Niemals! Soll ich als lust'ger Zeitvertreiber
Nach großem Ruhm in kleinem Kreise spähn,
Damit sich von den Seufzern alter Weiber
Des Dichterschiffleins schlaffe Segel blähn?
Niemals! Für meine Verse dem Verleger,
Der sie mir druckt, bezahlen runde Summen?
Niemals! In der Verbrüderung der Dummen
Gefeiert werden als der Bannerträger?
Ein einziges Sonett wie ein Hausierer
Vorzeigen, statt noch andre zu verfassen?
Niemand talentvoll nennen als die Schmierer?
Vor jedem Literatenklatsch erblassen
Und eifrig forschen: Werd ich anerkannt?
Hat der und jener lobend mich genannt?
Niemals! Stets rechnen, stets Besorgnis zeigen,
Lieber Besuche machen als Gedichte,
Bittschriften schreiben, Hintertreppen steigen?
Nein, niemals, niemals, niemals!   Doch im Lichte
Der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen,
Mit fester Stimme, klarem Falkenblick,
Den Schlapphut übermütig im Genick,
Und je nach Laune reimen oder raufen!
Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt,
Nicht achtend Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge
Arbeiten an der Reise nach dem Mond
Und insgeheim sich sagen: Lieber Junge,
Freu dich an Blumen, Früchten, selbst an Blättern,
Die du von deinem eignen Beet gepflückt!
Wenn dann vielleicht bescheidner Sieg dir glückt,
Dann mußt du nicht ihn teilen mit den Vettern;
Dann darfst du König sein in deinem Reiche,
Statt zu schmarotzen, und dein Schicksal sei,
Wenn du der Buche nachstehst und der Eiche,
Nicht hoch zu wachsen, aber schlank und frei.

Le Bret.
Frei; doch warum nicht friedlich? Wüßt' ich nur,
Wodurch der Teufelstrieb ins Herz dir fuhr,
Alltäglich, stündlich Feinde dir zu machen!

Cyrano.
Weil ich mit ansah, was euch Freunde gelten
Und wie ihr sie verhöhnt mit einem Lachen,
Das falsch und fratzenhaft sich selbst verneint!
Man soll mich herzlich grüßen, aber selten;
Drum ruf ich froh: Gottlob, ein neuer Feind!

Le Bret.
Törichter Trotz!

Cyrano.
Ja, dies ist meine Schwäche.
Gehaßtsein ist mein Glück. Ich will mißfallen!
Mich freut's, wenn in ein Wespennest ich steche,
Wenn rings aus Feindesaugen Pfeile prallen!
Stolz merk ich an den Flecken meines Kleides
Der Feigheit Geifer und die Gischt des Neides!  
All eurer Freundschaft süßliches Gekos'
Gleicht jenen italien'schen Spitzenkragen,
Durch die der Hals verweichlicht. Sie zu tragen,
Ist zwar bequem, doch macht es würdelos;
Denn schlotternd ohne Zwang und Stütze fällt
Das Haupt nach vorn. Ich aber bin geborgen:
Der Haß, mein Duzfreund, stärkt mir jeden Morgen
Die Krause, die den Nacken steif erhält,
Und Feindschaft schnürt und zwängt ohn' Unterlaß,
Bis schwerer ich und   stolzer Atem hole:
Der spanischen Krause gleichend, ist der Haß
Ein Schraubenstock und eine Gloriole.

Le Bret
(nach einer Pause, den Arm unter den Cyranos schiebend).
Ruf laut, welch bittrer Stolz dein Herz umgibt;
Doch leis gesteh mir, daß sie dich nicht liebt.

Cyrano
(heftig).
Schweig!
(Christian ist inzwischen eingetreten und hat sich unter die Kadetten gemischt. Diese ignorieren ihn vollständig. Er hat sich schließlich allein an einen kleinen Tisch gesetzt, wo Lise ihn bedient.)

Neunter Auftritt

Cyrano. Le Bret. Die Kadetten. Christian de Neuvillette.

Ein Kadett
(der im Hintergrund sitzt, das Glas in der Hand). He, Cyrano!
(Cyrano wendet sich um.)
Gib uns nun Bericht!

Cyrano.
Sogleich.
(Er geht Arm in Arm mit Le Bret nach hinten, leise mit ihm sprechend.)

Der Kadett
(sich erhebend und nach vorn kommend).
Das wird ein treffliches Lektiönchen
(er bleibt vor Christians Tisch stehen)
Für dieses Muttersöhnchen.

Christian
(aufblickend).
Muttersöhnchen?

Ein anderer Kadett.
Für den uns Aufgedrängten!

Christian.
Aufgedrängten?

Erster Kadett
(übermütig, zu Christian).
Vernehmen Sie, daß ein Objekt vorhanden,
Von welchem man bei uns so wenig spricht
Wie von dem Strick im Hause des Gehängten!

Christian.
Was ist das?

Ein anderer Kadett
(mit rauher Stimme).
Schauen Sie mich an!
(Er legt dreimal geheimnisvoll den Finger auf die Nase.)
Verstanden?

Christian.
Ach so, die ...

Ein anderer.
Still!   Dies Wort wird nie gesprochen!
(Auf Cyrano deutend.)
Sonst flammt er auf in fürchterlichem Grimme.

Ein anderer
(der, während Christian sich den Sprechern zugewandt, sich leise hinter seinem Rücken an den Tisch gesetzt hat).
Zwei Näsler hat er neulich erst durchstochen,
Nur wegen ihrer zu nasalen Stimme.

Ein anderer
(mit Grabeston, unter dem Tisch auftauchend, wo er sich auf allen vieren verkrochen hat).
Den allerkleinsten Sticheleiversuch
Zahlt man sofort mit seines Lebens Reste.

Ein anderer
(Christian die Hand auf die Schulter legend).
Ein Wort genügt. Was sag ich? Eine Geste!
Wer nur sein Schnupftuch zieht, der zieht sein Leichentuch.
(Pause. Alle Kadetten umringen ihn, mit gekreuzten Armen, und sehen ihn an. Er steht auf und geht zu Carbon, der, mit einem Offizier plaudernd, sich nichts wissend gemacht hat.)

Christian.
Herr Hauptmann!

Carbon
(dreht sich um). Ja?

Christian.
Was tut man, wenn zu dreist
Die Südfranzosen prahlen?

Carbon.
Man beweist,
Daß auch der Norden tapfre Söhne hat.
(Er wendet ihm den Rücken.)

Christian.
Dank!

Erster Kadett
(zu Cyrano).
Nun erzähl!

Alle.
Erzähle!

Cyrano
(nach vorn kommend). Meinetwegen.
(Alle rücken ihre Stühle heran und gruppieren sich gespannt um ihn. Christian hat sich rittlings auf einen Stuhl gesetzt.)
Ich ging allein voraus, dem Schwarm entgegen.
Der Mond glich einem großen Zifferblatt;
Doch ein besorgter Uhrenmacher hüllte
Ganz plötzlich in ein Wolkenfutteral
Die Silberuhr, so daß mit einemmal
Pechschwarze Finsternis die Nacht erfüllte.
Ich späht' umsonst nach eines Lichts Oase:
Mordius! Kaum sah man noch ...

Christian.
Die eigne Nase.
(Schweigen. Alle stehen langsam auf und blicken entsetzt auf Cyrano. Dieser hat sich verdutzt unterbrochen.)

Cyrano
(nach einer Pause).
Wer ist der Mensch?

Ein Kadett
(halblaut). Ward heut erst eingeschrieben.

Cyrano
(macht einen Schritt auf Christian zu).
Erst heut?

Carbon.
Er heißt Christian von Neuvill ...

Cyrano
(stehen bleibend, schnell). Ah!
Gut!   (Er wird bleich und rot, macht abermals Miene, sich auf Christian zu stürzen.) Ich ...
(Er bezwingt sich, dann mit dumpfer Stimme.)
Sehr gut!     Wo war ich stehngeblieben?
(Mit einem Wutausbruch.)
Mordius!   (Im Ton der Erzählung fortfahrend.)
Ich sagte, daß man nichts mehr sah.
(Allgemeine Verblüffung. Die Kadetten setzen sich wieder, Blicke wechselnd.)
Wohl wußt' ich: Wenn des armen Schelmen Sache
Ich gegen einen Mächtigen verfechte,
Dann blüht mir ...

Christian.
Eine Nase.
(Alle stehen wieder auf. Christian schaukelt sich auf seinem Stuhl.)

Cyrano
(mit erstickter Stimme).
... Seine Rache.
Drum sagt' ich mir im Gehn: Mit welchem Rechte
Steckst du ...

Christian.
Die Nase.

Cyrano.
Deine Hand dazwischen?
Der Mächtige wird dir aus Zorn darüber
Eins ...

Christian.
Auf die Nase ...

Cyrano
(sich den Schweiß von der Stirne wischend).
Auf die Finger geben.  
Schnell aber wußt' ich neu mich aufzufrischen:
Vorwärts, Gascogner! Pflicht allein ist Leben!
Da spürt' ich jählings ...

Christian.
Einen Nasenstüber.

Cyrano.
Die ganze Räuberbande ...

Christian.
Nas' an Nase ...

Cyrano
(wutschäumend auf ihn los).
Schockschwerenot!
(Alle Kadetten stürzen nach vorn, um zuzusehen; dicht bei Christian angelangt, beherrscht er sich und fährt fort.)
Die schon auf zwanzig Schuh'
Nach Zwiebeln stank; ich hielt ...

Christian.
Die Nase zu ...

Cyrano
(bleich und lächelnd).
Den Degen hoch ...

Christian.
Der Nase nach ...

Cyrano.
Und blase
Dreien das Licht aus. Einer fällt aufs Knie,
Schaut jammervoll mich an und ruft ...

Christian
(mit nachgeahmtem Niesen). Hatschie!

Cyrano
(ausbrechend).
Donner ...! Geht all' hinaus!
(Alle Kadetten eilen zu den Türen.)

Erster Kadett.
Des Leu'n Erwachen!

Cyrano.
Ich will allein sein mit dem Mann!

Zweiter Kadett.
Ich wette,
Jetzt wird er aus dem Jüngling Hackfleisch machen.

Ragueneau.
Hackfleisch?

Ein anderer Kadett.
Ja, für Pasteten!

Ragueneau.
Ach, vor Zittern
Werd ich so blaß wie eine Serviette!

Carbon.
Kommt!

Ein anderer.
Alle Knochen wird er ihm zersplittern!

Ein anderer.
Was jetzt hier vorgehn wird, das ist kein Scherz!

Ein anderer
(die Türe rechts hinter sich schließend).
Etwas Entsetzliches!
(Alle sind   teils durch die Mitteltür, teils nach den Seiten, teils über die Treppe   abgegangen. Cyrano und Christian stehen sich gegenüber und schauen sich einen Augenblick schweigend an.)

Zehnter Auftritt

Cyrano. Christian.

Cyrano.
Komm an mein Herz!

Christian.
Herr ...

Cyrano.
Bravo!

Christian.
Doch ...

Cyrano.
Du zeigtest Mut, potz Wetter!

Christian.
Was heißt das?

Cyrano.
Komm! Ich bin ihr Bruder.

Christian.
Wie?

Cyrano.
Ihr Bruder.

Christian.
Was?  

Cyrano.
Roxanens Bruder!

Christian
(auf ihn zueilend). Sie?!
Sie sind ...

Cyrano.
Nun denn, ihr brüderlicher Vetter.

Christian.
Sie wissen ...?

Cyrano.
Alles!

Christian.
Liebt sie mich?

Cyrano.
Kann sein.

Christian
(seine Hände ergreifend).
Wahrlich, mein Herr, Sie sind mein guter Engel!

Cyrano.
Nun, dies Gefühl stellt sich recht plötzlich ein.

Christian.
Verzeihn Sie mir ...

Cyrano
(ihn betrachtend und ihm die Hand auf die Schulter legend).
Hübsch ist er schon, der Bengel!

Christian.
Ach, wüßten Sie, wie hoch ich Sie verehre!

Cyrano.
Und all die Nasen ...

Christian.
Nehm ich all' zurück.

Cyrano.
Du sollst ihr schreiben ...

Christian.
Wehe mir!

Cyrano.
Erkläre ...

Christian.
Schreiben! Dann ist's vorbei mit meinem Glück.

Cyrano.
Weshalb?

Christian.
Weil ich ein arger Dummkopf bin.

Cyrano.
Wärst du's, dann hieltest du dich nicht dafür.
Schlagfert'gen Geist bewiesest du vorhin.

Christian.
Ach, um den Feind zu treffen nach Gebühr,
Reicht's wohl noch aus. Doch als ein blöder Wicht
Verstumm ich vor den Frauen. Zwar, ich sehe
Viel Huld in ihrem Blick, wenn ich vorübergehe ...

Cyrano.
Und wenn du bleibst, in ihren Herzen nicht?

Christian.
Ich konnte nie   so sehr ich mich gequält  
Schön über Liebe sprechen.

Cyrano.
Traun!
Wär' ich von außen schöner anzuschaun,
Am Sprechen hätt' es nicht bei mir gefehlt.

Christian.
Ach, auf den zarten Ausdruck sich verstehn!

Cyrano.
Ach, siegen können im Vorübergehn.

Christian.
Sie zählt zu den Preziösen; sie wird bald
Von mir enttäuscht sein!

Cyrano
(ihn betrachtend). Könnt' ich meine Gaben
Einkleiden in so lockende Gestalt!

Christian
(verzweifelt).
O hätt' ich Redekunst!

Cyrano
(entschlossen). Du sollst sie haben!
Leih du mir deine Schönheit zum Entgelt!
Zu zweit sind wir ein ganzer Liebesheld.

Christian.
Wie?

Cyrano.
Nachzusprechen wird dir wohl gelingen,
Was ich dir vorgesagt?

Christian.
Ja, wenn ich ahne ...

Cyrano.
So vor Enttäuschung schützest du Roxane.
Willst du, daß wir gemeinsam sie erringen,
Indem, aus meinem Büffelwams gehaucht,
Mein Geist in deine Seidenjacke taucht?

Christian.
Cyrano ...!

Cyrano.
Christian?

Christian.
Mir ist bang zumut!

Cyrano.
Um rasch zu stürmen ihres Herzens Pforte,
Willst du mit deiner Lippen Glut
In eins verschmelzen meine glüh'nden Worte?

Christian.
Dein Auge glänzt!  

Cyrano.
Willst du?

Christian.
Das würde dir
Vergnügen machen?

Cyrano
(berauscht). Mir? (Sich beherrschend.)
Nun, uns Poeten
Verlockt zu manchem Spiel die Wißbegier.
Als Schatten will ich dir zur Seite treten:
So spenden wir einander Kraft und Halt;
Ich bin dein Geist, du meine Wohlgestalt.

Christian.
Doch eines Briefes ist sie nun gewärtig!
Nie werd ich fähig sein ...

Cyrano
(zieht aus seinem Wams den früher geschriebenen Brief). Hier ist er schon!

Christian.
Wie?

Cyrano.
Bis auf die Adresse fix und fertig.

Christian.
Ich ...

Cyrano.
Schick ihn ab; er hat den rechten Ton.

Christian.
Du hast ...

Cyrano.
Wir haben stets in unsern Taschen
Briefchen an eine Chloris ... unsres Traums,
An ein Gebilde wesenlosen Schaums,
Wonach wir wie nach einem Spielzeug haschen.
Nimm   und verleih dem Luftbild feste Züge;
Gib diesen Ausgeburten holder Lüge
Irdischen Wohnsitz und ein wahres Ziel.
Nimm! Du wirst zugestehn, wenn du gelesen,
Daß Redekunst mir eignet   auch im Spiel.  
So nimm doch!

Christian.
Da du blindlings ihn verfaßt,
Muß man nichts ändern? Wird er auf ihr Wesen
Auch völlig passen?

Cyrano.
Wie ein Handschuh paßt!

Christian.
Jedoch ...

Cyrano.
Leichtgläubig sind wir, wenn wir lieben:
Sie schwört darauf, er sei für sie geschrieben!

Christian.
Mein Freund!
(Er stürzt ihm in die Arme; sie halten sich umschlungen.)

Elfter Auftritt

Vorige. Die Kadetten. Carbon. Der Musketier. Lise.

Ein Kadett
(die Tür halb öffnend).
Es ist schon totenstill geworden ...
Kaum wag ich ...
(Er streckt den Kopf heraus.)
Was?!

Alle Kadetten
(kommen herein und sehen die beiden in ihrer Umarmung). Ah!   Oh!

Ein Kadett.
Die Hölle kracht!
(Allgemeinste Verblüffung.)

Der Musketier
(spöttisch).
Hoho!

Carbon.
Trat er in einen Büßerorden?
Wer ihn aufs eine Nasloch schlägt, dem reicht er
Das andre hin.

Musketier.
Er duldet's, wenn man spricht
Von seiner Nase?
(Lise herbeirufend, mit triumphierender Miene.)
Ha! nun gib mal acht!
(Er zieht demonstrativ Luft ein.)
Hm! ... Dieser Duft ... (Sich zu Cyrano wendend.)
Mein Herr, Sie haben's leichter.
Nach was denn riecht's hier?

Cyrano
(ihn ohrfeigend). Nach Vergißmeinnicht!
(Die Kadetten schlagen aus Freude darüber, daß sie ihren Cyrano wiedererkennen, Purzelbäume.)


 << zurück weiter >>