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Achtes Kapitel.

Am folgenden Morgen fuhr Lars Bergh schon frühzeitig nach Stockholm. Als er am Standbild Gustaf III. das Dampfboot verließ, beauftragte er einen Dienstmann, dessen Physiognomie ihm im Hinblick auf das, was er vorhatte, Vertrauen einflößte, sich in dem Hause Karduansmakaregatan 8 zu erkundigen, ob ein Leutnant Jonsson dort wohnte und im Falle einer verneinenden Antwort zu erforschen, wer die Aftermieter dort seien. Natürlich sollte dies ganz unauffällig geschehen, auch durfte der Mann sich mit seinen Fragen nicht an den Hauswirt wenden.

Nach Ablauf einer halben Stunde kam der Dienstmann in das Café am Skeppsbron, wo Lars Bergh ihn erwartete, und berichtete, daß es in dem genannten Hause einen Leutnant Jonsson nicht gäbe. Dagegen hätte eine Witwe Niels ein Zimmer an einen Paukenschläger, der zum Orchester des Södra-Theaters gehörte, ein zweites an einen Kellner aus dem »Franziskaner« und ein drittes an einen Herrn aus New York, Byström mit Namen, vermietet. Die drei wären die einzigen Aftermieter in dem ganzen Hause.

Lars zweifelte keinen Augenblick daran, daß hinter der Person dieses angeblichen Amerikaners Fräulein Lindströms Neffe steckte.

Lars lohnte den Dienstmann ab und begab sich zunächst in eine Papierhandlung, deren Besitzer sich mit der Anfertigung von Visitenkarten beschäftigte. Hier ließ er sich rasch Karten mit der Aufschrift: »Byström, New York, 14. Avenue 7«, anfertigen. Nach kaum fünfzehn Minuten war er im Besitze derselben. Nunmehr ging er nach der Karduansmakaregatan und erkundigte sich in Nummer 8, ob hier eine Frau Niels wohnte. Man wies ihn nach dem Hintergebäude, wo er in der ersten Etage auf einem Porzellanschilde den Namen Alfhild Niels las. Auf sein Klingeln öffnete ihm eine etwa vierzigjährige dicke, und etwas schlampig aussehende Frau in einem roten Unterrock und einer schmutzigen Nachtjacke, der allem Anschein nach vorn einige Knöpfe fehlten, da ihre Besitzerin das wenig elegante Kleidungsstück krampfhaft über ihrem umfangreichen Busen zusammenhielt.

»Ihr Mieter, Herr Byström, schickt mich, damit ich ihm aus seinem Zimmer ein Notizbuch und noch ein Paar andere Kleinigkeiten bringen soll,« sagte Lars. »Er hat sich nämlich den Fuß vertreten und kann nicht selbst herkommen – er ist augenblicklich in Norrköping,« fügte er gleichmütig hinzu, da die Frau ihn argwöhnisch betrachtete.

»Ja, wie soll ich die Sachen denn da gleich herausfinden, ich habe doch auch keine Zeit dazu,« meinte sie unfreundlich.

»Die Sachen werde ich schon selbst heraussuchen,« entgegnete er höflich. »Wenn Sie, geehrte Frau, nur die Freundlichkeit haben wollten, mich in Herrn Byströms Zimmer zu führen. Damit Sie sicher sein können, daß ich nicht stehlen will, können Sie ja dabei bleiben und mich beobachten. Im übrigen hat Herr Byström mir zur Legitimation seine Visitenkarte mitgegeben. Hier –« damit präsentierte er der Frau eine der Karten, die er sich eben hatte drucken lassen.

Die Witwe Niels warf einen kurzen Blick darauf. »Hm – das stimmt,« sagte sie, jetzt bedeutend freundlicher, »auch das mit New York. Denn daher, aus Amerika, ist er, der Herr Byström. Und da er ein guter Mieter ist, der einem keine Scherereien macht, schon darum, weil er nicht viel zu Hause ist, und da es ihn wahrscheinlich ärgern möchte, wenn Sie ohne das Notizbuch und das andere Zeug, das er braucht, nach Norrköping zurückkehren würden, so will ich Sie schon in sein Zimmer führen. Kommen Sie denn nur.«

Sie ging Lars voran durch einen, wie es ihm deuchte, endlosen Korridor und öffnete dann eine Türe vor ihm, ihn eintreten lassend. Das Zimmer war mittelgroß und verhältnismäßig gut möbliert, aus Tischen und Stühlen lagen und standen allerhand Schachteln und sonstiger Krimskrams, dessen Zweck sich auf den ersten Blick nicht erkennen ließ.

»Nun suchen Sie man, was Sie brauchen,« meinte die Frau.

Lars begann sofort in dem Wirrwarr von Gegenständen herumzukramen. Frau Niels stand dabei, und da sie sich langweilte, so eröffnete sie ein kleines Gespräch. »Was macht er denn da in Norrköping, der Herr Byström?« erkundigte sie sich.

»Je nun, er wollte eigentlich auf einige Tage nach Arkösund fahren, um zu baden, leider aber glitt er im Hotel, auf der Treppe aus und vertrat sich den Fuß. Nun liegt er schon seit einer Woche im Hotel und es kann leicht sein, daß er noch acht bis zehn Tage liegen muß, denn der Fuß ist tüchtig angeschwollen.«

»So, so. Aber wiederkommen tut er doch gewiß? Was?«

»Aber natürlich!«

»Na ja, ich frag' man bloß, weil in drei Tagen der Erste ist und ich's Logis sonst anderweitig vermieten möchte. Schuldig ist er mir nichts, denn in den beiden Monaten, die er bei mir wohnt, hat er beide Male pränumerando bezahlt. Überhaupt 'n nobler Herr, wie ich schon sagte, und ein guter Mieter. Man kann sich keinen bessern wünschen. In den zwei Monaten ist er noch nicht zehnmal die Nacht über hiergeblieben. Gar keine Arbeit hat man mit ihm. Ein sehr solider, ruhiger und nobler Herr!«

Nachdem Frau Alfhild Niels so ihre Ansichten über die bei Mietern wünschenswerten Eigenschaften ausgesprochen und dabei den seltsamen Grundsatz vertreten hatte, daß junge Herren, die in acht Wochen noch nicht zehn Nächte daheim schlafen, die solidesten seien, wurde sie ungeduldig.

»Wenn Sie die Sachen aber nicht bald finden,« meinte sie verdrießlich, »dann muß ich gehen. Ich hab' mir noch gar nicht mal das Haar gemacht und das Fleisch zum Mittag muß ich auch aufs Feuer setzen, weil es sonst nicht weich wird. Wissen Sie was, suchen Sie man hier ruhig – Sie sind ja ein honetter Herr, und wenn der Herr Byström selbst Sie geschickt hat, so kann ich Sie ja auch hier allein lassen – ich gehe derweil und mache mir das Haar und besorge meinen Haushalt.«

Das war es gerade, was Lars Bergh wünschte. Er hatte bereits verschiedenes gesehen, was seine kühnsten Erwartungen bestätigte, und brannte vor Begierde, ungestört weiter zu forschen.

Nachdem die verwitwete Niels hinaus war, nahm er einen Pappkarton, den er auf einem Stuhl gefunden und der beträchtlich schwer war, zur Hand und öffnete ihn. Genau, was er vermutet, kam zum Vorschein – nämlich ein photographischer Apparat in sauber poliertem Holzkästchen.

»Ach – richtig!« murmelte der Detektiv aus Passion. »Dacht' ich's doch! Aber nun flott weiter gesucht.«

Eine Anzahl Zeitschriften und paar Bücher lagen umher, sie handelten sämtlich vom Photographieren. In einem, »Photographische Spielereien« betitelt, waren verschiedene Techniken beschrieben, um aus mehreren Bildern eins zu machen oder in Porträts andere Gegenstände einzufügen, die ursprünglich nicht zusammen damit aufgenommen waren. Auch einige mit Bleistift gezeichnete Skizzen von menschlichen Körperteilen waren in dem Gewirr von allerhand Dingen eingewühlt.

Plötzlich faßte Lars Bergh sich an den Kopf. »Esel, ich!« brummte er. »Daß mir das auch nicht früher eingefallen ist! Natürlich, er besaß ja immer eine unleugbare Begabung fürs Zeichnen, und wir haben öfters gesagt, es wäre schade, daß er statt Maler Offizier geworden war. Wie oft hat er nicht uns, seine Kameraden, abkonterfeit! Das war das einzige, wozu die Kanaille Talent hatte. Eigentlich hätte mir das längst ins Gedächtnis zurückkommen können. Wenn ich doch nur einige fertige Bilder finden möchte!« Er suchte überall, aber nichts dergleichen ließ sich entdecken. Er zog die Schublade des breiten Tisches auf, der quer vors Fenster gerückt war, doch war sie auch leer. Als er bei dieser Gelegenheit hinaussah, bemerkte er, daß das Fenster auf die Straße hinausging statt auf den Hof, an dem das Hintergebäude lag. Nun erinnerte er sich des langen Korridors, den er hatte passieren müssen, um zum Zimmer des Pseudo-Byström zu gelangen. Vermutlich verband dieser Korridor Vorder- und Hintergebäude und das Zimmer, in dem er sich eben befand, lag bereits in dem erstern. Vielleicht gab es sogar einen Ausgang von hier aus nach der Straße; wenn dem so war, dann konnte der Besitzer des Zimmers ganz nach Belieben vom Hof wie von der Straße aus nach seiner Wohnung aus- und eingehen. Das wäre jedenfalls sehr bequem gewesen für einen Menschen, dem daran lag, nicht gar zu eingehend von der Nachbarschaft betrachtet zu werden.

Auf dem Fenstertisch standen einige Flaschen und Fläschchen. Lars öffnete sie alle und roch daran. Vermutlich waren es meist Flüssigkeiten, deren man zum Photographieren bedurfte. Auf einem stand »Chloralhydrat,« dies freilich hatte zweifellos eine andere Bestimmung gehabt. Jetzt war das Fläschchen allerdings leer. In einer andern, etwas größeren Flasche war etwas Dunkelrotes, eigentlich Rotbraunes; als Lars es gegen das Licht hielt, erkannte er jedoch, daß der Inhalt sich in geronnenem Zustande befand. Er öffnete es, steckte aber sofort den Kork wieder ein, da ein entsetzlicher fauliger Geruch ihm entgegenströmte. Was in aller Welt konnte das sein? Eingetrocknetes Blut? Nun, jedenfalls wollte er diese Flasche in die Tasche stecken, um den Inhalt untersuchen zu lassen.

Doch der Gedanke an die Bilder ließ ihm keine Ruhe. Da stand ein Kleiderschrank, der Schlüssel befand sich darin. Als Lars die Tür aufmachte, stieß er einen leisen Freudenschrei aus, denn siehe da, in dem sonst fast leeren Schrank lehnte eine Mappe!

Mit zitternden Händen löste er die Bänder. Wahrhaftig, da lag sie vor ihm, die Lionardosche Mona Lisa, die »Mutter Lise«, wie die Karin sie genannt hatte, und zwar nicht nur in einem, nein, in fast einem Dutzend Exemplaren. Es ließ sich darauf genau konstatieren, wie sie sich »verändert« hatte. Hier waren die Hände übereinandergelegt, wie der Maler sie dereinst gemalt, dann war die Rechts ein wenig erhoben, dann mehr, bis sie sich wie zum Fluch ausgestreckt hatte. Aber auch einzelne Hände in verschiedenster Bewegung waren da in photographischer Wiedergabe.

Lars legte die sämtlichen Blätter wieder an Ort und Stelle, band die Mappe zu und verwahrte sie im Schrank. Sollte er noch weiter suchen? Wonach? Nun eines gab es noch, wovon er möglicherweise hatte Spuren finden können. Der »große Unbekannte« hatte dem armen Larka einen Schlüssel zu einem Chubbschloß gegeben, der gar kein Chubb- sondern ein Brahmaschlüssel war.

»Ach was –« sagte sich Lars Bergh – »darauf kommt's am Ende nicht an – dafür weiß ich die Erklärung auch ohnedies.« Im übrigen mochte er auch nicht länger mehr hier verweilen, um nicht den Argwohn der Frau Niels zu erregen.

So verließ er denn das Zimmer des Mr. Byström alias Jonsson und machte ein wenig vernehmlich die Tür zu, damit die biedere Dame ihn hören sollte. Sie trat denn auch jetzt aus ihrer Küche heraus, puterrot vom Herdfeuer, aber lieblich anzuschauen mit einer Masse falschem Haar auf dem Kopfe und in einer reinen Nachtjacke, der diesmal nicht die Knöpfe fehlten.

»Nun, haben Sie gefunden, was Sie suchten?« erkundigte sie sich.

»Gewiß,« bestätigte er und zeigte ihr sein eigenes Notizbuch und die verschiedenen kleinen Gegenstände, die er für gewöhnlich in der Tasche zu tragen pflegte. »Vielen Dank, verehrte Frau – vor allem im Namen meines Freundes, Mr. Byström aus New-York.«

»Bitte, empfehlen Sie mich gleichfalls dem lieben Herrn – denn es ist wirklich ein lieber Herr –« gab Frau Niels zurück – »und bestellen Sie ihm nur, daß ich ihm sein Zimmer freihalte.«

Lars verbeugte sich. »Werde nicht verfehlen, es meinem Freunde zu bestellen, verehrte Frau. Apropos – hier ist doch wohl ein zweiter Ausgang, der direkt auf die Straße führt? Nicht wahr? Sehen Sie, das dachte ich mir gleich. Kann ich den wohl benutzen?«

Die Vermieterin öffnete eine Tür vor ihm. »Gehen Sie nur hier durch den Flur, dann kommen Sie gleich auf die Karduamnakaregatan hinaus. Herr Byström benutzte den Ausgang auch häufig. Vom Hof aus ging er 'rein und nach der Straße zu 'raus – oder manchmal auch umgekehrt. Die Mädels in der Nachbarschaft dürfen mich nicht so oft sehen, sonst verlieben sie sich in mich, pflegte er zu sagen. Er war nämlich immer so spaßig, der Herr Byström – hahaha!« Die verwitwete Niels war jetzt, da das Zusammenhalten ihrer schmutzigen Nachtjacke sie nicht beschäftigte und das Bewußtsein, schön frisiert zu sein, ihr Sicherheit lieh, ganz gesprächig geworden. Lars aber, den es gar nicht nach einem tête-á-tête mit der dicken Dame gelüstete, schwenkte seinen Hut und eilte davon.

Mein Freund Byström! dachte er und lachte. Hat sich was mit dem Freund sein! Erinnerte sich der Zeiten, als sie noch beide beim Regiment gewesen waren und ständig mit einander im Streit gelegen hatten. Was für ein hochnäsiger, unverschämter und boshafter Bengel der Olaf Jonsson immer gewesen war! Zwar aalglatt und von gefälligen Formen, aber verlogen, heimtückisch und egoistisch. Einmal wäre er beinahe mit Schimpf und Schande vom Regiment gejagt worden, weil er einem Kameraden durch anonyme Briefe an die Vorgesetzten Schaden zuzufügen gesucht hatte, aber am Ende war die Geschichte doch vertuscht worden. Heiliger Gott, was für dumme Streiche hatte der Mensch nicht gemacht! Nein, das waren schon nicht mehr dumme, sondern direkt schlechte Streiche. Daß ihm, Lars Bergh, das nicht schon früher eingefallen war! Aber man glaubt eben gar zu schwer Schlechtes von Menschen, die sich in einer höheren Lebensstellung befinden.


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