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Rotbach im Mai.

Aus Kerlchens Tagebuch.

»Mist ist die Seele des Landwirts«.

Soweit bin ich gekommen, seit ich verheiratet bin.

Mein Fritz hat mir dieses neue, liebe Buch geschenkt, nachdem er über mein altes Tagebuch halb närrisch geworden ist, gelacht und geweint hat er beim Lesen.

Und dann brachte er mir dieses wundervoll eingebundene Exemplar mit, auf dem mit Goldlettern: »Felicitas von Rumohr-Rotbach« steht, ich sollte mich auf ein passendes Motto besinnen und dann fortfahren, so »wunderlieb« zu schreiben, wie Fritz sagte.

Das Motto zu finden, wäre das Schwerste, dachte ich zunächst, aber als ich erst ein paar Wochen verheiratet und tagtäglich mit meinem Fritz und unserm alten Inspektor zusammen war, da hatte ich mein Motto mit einemmal.

Vorher riet mir Fritz, ein Preisausschreiben zu machen, wie es viele Zeitschriften tun, und stiftete mir dazu eine schöne, fette Gans.

Bümi fand die Gans anzüglich, schickte aber doch ein Motto, ein recht dummes:

»Alles läßt sich ertragen,
nur nicht eine Reihe von guten Tagen!«

Goethe hat's gesagt, und der ist nie »Stütze, Anstandsdame, Erzieher oder Sektbrecher« gewesen.

Dann schickte Munke einen rechten Gemeinplatz: »Aller Anfang ist schwer,« und Luttewete riet zu unserm Schlieden-Wahlspruch: »Nunquam retrorsum«.

Onkel Rumohr schlug vor: »Geld ist Mist, und Mist ist Dung, und Geld ist der Dung ehelichen Glückes.«

Aber da rümpfte ich meine Stumpfnase, nicht des Mistes, sondern des Geldes wegen, und Fritz sagte, ich sähe ganz unglücklich aus. Als ich am Abend mein Tagebuch aufschlug, hatte mein Fritz mit Bleistift ganz fein als Motto hingeschrieben: »Liebe ist der Inbegriff, auf das andre pfeif' ich.«

Da erteilte ich ihm den Preis zu, und er bekam die Gans noch am selben Mittag gebraten. Als dann aber die Frühjahrsbestellung der Felder kam, fiel mir mein Motto wie eine Offenbarung zu: »Mist ist die Seele des Landwirts«, und Fritz gab mir den Preis.

Fritz sagt, ein Minister dürfe nicht zimperlich sein, vollends ein Landwirtschaftsminister nicht, und der bin ich jetzt.

Ich durfte mir als Preis etwas wünschen, und da wünschte ich mir, für jedes meiner Lieben ein Kistchen »mit Liebe« packen zu dürfen, und das erlaubte Fritz mit Wonne. Bümi und Luttewete bekamen alles Mögliche aus Hof und Haus, eine Gans, Hühnchen, Tauben, einen Schinken und Selbstgebackenes.

Für Munke plünderte ich das Gewächshaus, sie liebt so sehr frische Blumen, Erich bekam ein Wurstkistchen, und den Kindern vom Pfarrer Richter schickte ich eine ganze Fracht schöner Spielwaren.

Ach, wie ist Geben doch seliger als Nehmen! Aber das Nehmen ist auch herrlich, und ich nehme so gern alles von meinem Fritz.

Wie ist er gut zu mir!

Wenn er mich ansieht mit seinen schönen, dunkeln, sprühenden Augen, dann bringe ich gewöhnlich kein gescheites Wörtchen heraus, erst wenn mein Kopf an seiner Schulter liegt, dann erzähle ich ihm lange Geschichten, oder vielmehr seinem Halskragen und habe Mut für zwei.

Aber es ist doch gut, daß ich außerdem mein Tagebuch habe und alles schriftlich niederlegen kann, denn wenn ich tot bin, müssen meine zukünftigen vierundzwanzig Kinder doch nachlesen können, wie glücklich ich war, und das sage ich euch, meine geliebten Vierundzwanzig:

»Euer Vater ist ein einziger Mensch und der beste weit und breit, landauf und landab.«

Ich bin jetzt schon fünf Monate verheiratet.

Wie die Zeit vergeht!

Der Mensch wird alt und klapprig!

Was hab' ich in diesen fünf Monaten alles erlebt!

Da glaubte ich, Wunder wie gescheit auf Großmutter Tönningsens Hofe droben in der Marsch geworden zu sein und – o – auf Schritt und Tritt ertappe ich mich auf der größten Unwissenheit.

Freilich, mein Fritz ist so ritterlich, das nicht gelten zu lassen, und wenn ich mich anklage, dann sagt er: »Du und dumm? Ein dreimal gescheites Prachtkerlchen bist du!«

Aber der alte Oberknecht, der schon auf dem Gute geboren ist, und dessen Liebling ich bin, der widerspricht mir nie, sondern streichelt meine Hand, wenn ich über mich selbst jammere, und sagt ernst, aber liebevoll:

»Gnä' Frau haben ganz recht, gnä' Frau sind saudumm

Nun habe ich mir eine Menge landwirtschaftlicher Bücher angeschafft und studiere mächtig drauf los, manchmal schlafe ich auch drüber ein, o weh, und dann schilt mein Fritz, – tüchtig schilt er.

Nicht über das Schlafen. Gott bewahre!

»Mir sollen die lieben Augen noch ein ganzes, langes Leben leuchten,« sagt er, »und sie sollen nicht überanstrengt werden, weg mit den Büchern!«

Und dann küßt er meine Augen, so zärtlich, erst das rechte und dann das linke, immer abwechselnd, und tut so, als ob wirkliche Heilkraft in seinem schwarzen Bart steckte. –

Na, sie steckt auch drin, ich kann dann immer gleich noch einmal so gut sehen.

Aber unsere Nachbarin, die Frau von Marliß, imponiert mir doch sehr, die redet nur so von »Graswirtschaft, Waldbrand-Hackwirtschaft, Moorbrandwirtschaft und Dreifelderwirtschaft«, und wenn ich dann atemlos lausche und zwischendurch innerlich meinen armen Fritz bedaure, daß er dieses kluge Weib nicht errungen hat, dann lacht er so heimlich und plinkt mir zu und hinterher sagt er:

»Kerlelein, Gott soll mich bewahren, das ist Renommierlandwirtschaft, sie quasselt.«

Aber sie muß doch eine Menge davon verstehn, denn sie redet den Herren tüchtig in alles mit hinein, und ich sitze dabei wie Trumpf sechs, denn das Kleinviehzeug, Hühner, Enten, Tauben interessiert die Mannsleute wieder nicht, und Frau von Marliß macht auch ein verächtliches Gesicht, wenn dieses Thema aufs Tapet kommt, und sagt »phhh!«

»Phhh« ist ja nun eigentlich mein Leibwort, man kann eine ganze Skala von Empfindungen damit ausdrücken, aber winzige Kücken, die wie gelbe Kügelchen im Hofe umher rollen sind doch wahrhaftig nicht »phhh!«

Und nun muß ich erst mal rasch aufstehen und ganze drei Mark in die Strafkasse tun, denn ich habe eben drei Fremdwörter gebraucht und mein Fritz ist rasend streng, er will diese Unsitte durch die höchsten Strafgelder ausrotten. Ohm Waldemar nahm nur fünf Pfennige.

Neulich hab ich sieben Kücken ausgebrütet, aber zwei sind nur am Leben geblieben, und die wollte die Glucke nicht als die ihren anerkennen.

Das muß eine miserable Mutter gewesen sein. Erst läuft sie von den Eiern weg, und als ich sie mühsam in der Ofenröhre so weit kriege, daß sie platzen, und die süßen Viehzeugelchen herauskommen, da tritt sie mit dem Fuße nach ihnen.

Na, die hab ich aber schön angefahren.

Und nun behielt ich die Kücken bei mir, und als Fritz kam, lag ich auf der Erde mit dem Gesicht nach unten, vor mir lauter klein gehackte hartgekochte Eier, und ich machte es den Kücken vor, wie man frißt.

Unermüdlich stupfte ich mit meinem Mund auf den Boden, wie es die Glucken machen, aber nur drei Kücken begriffen und blieben leben.

Als Fritz zum Frühstück ins Eßzimmer kam, blieb er erschrocken stehen, und nach seinem Gesicht zu urteilen, war er wohl der Meinung, das Glück hätte mich um mein bißchen Verstand gebracht, aber dann, als ich ihm alles erklärte, war er so gerührt, so – na, ich kann's doch nicht ordentlich schildern, wie er in solchen Augenblicken zärtlich ist und mich halbtot küßt, jedenfalls rief und sprach und flüsterte er nichts anderes, als: »Kerlchen, du bist ein Engel.«

Und gerade bei dieser anfechtbaren Behauptung verträgt er keinen Widerspruch.

Frau von Marliß lachte mich tüchtig aus, als Fritz mich als »Glucke« vorstellte.

»Sie sind ein Schwärmerchen,« sagte sie, »aber eine rationelle Landwirtin werden Sie nie!«

»Rationell« ist ihr Stichwort und Fritz kann sie nicht in Strafe nehmen.

»Ich will auch ›rationell‹ werden,« sagte ich kriegerisch.

»Na, dann werd's nur,« lachte Fritz.

»Ja, ich weiß aber nicht, was es ist,« bekannte ich beschämt.

Fritz lachte mich aus, nannte mich ein Erzgeneraldümmerchen, küßte mich stürmisch und ließ mich dann eine Mark fürs Fremdwort berappen.

So ist er.

Von Frau von Marliß behauptet er, sie könnte keinen – – nein, ich will's doch lieber für mich behalten, was sie nicht unterscheiden kann, Landwirtschaft ist manchmal komisch.

Vom Fahren und Reiten versteht sie jedenfalls nichts, das hab ich gestern zu meinem Schrecken und Ärger erfahren müssen.

Ich hatte erst vor kurzem ein paar neue Pferde eingefahren, und Fritz und mir parieren sie wie die Lämmer, sobald aber ein anderer die Zügel führt: alle ist's – sie spüren's. Wir hatten Tischgäste gehabt und nach dem Kaffee, der gleich nach dem Essen gereicht wurde, fuhren wir ein bißchen aus.

Frau von Marliß und ich voraus mit den neuen Pferden vor dem leichten Gig, ich fahre zu gern damit – Muttchen mit der alten Frau von Marliß, der »Schwiegermutter«, wie sie allgemein heißt, hinterher, und dann kamen zu Pferde mein Fritz auf seinem Kismet, begleitet von unserm großen, schönen Bernhardiner Ajax, dann unser Volontär Herr Albrecht und Herr von Marliß.

Wir fuhren nur ein Stündchen weit bis Rosenfeld, wo uns der biedere Förster Bauer einen wundervollen Imbiß, bestehend aus Buttermilch, Schinken und Eiern zurechtgestellt hatte, seine sechs Kinder liefen mit leuchtenden Augen zwischen uns herum, und nicht lange dauerte es, so saßen Dorettchen, Emma und Lise im Wagen, und Karl, Johannes und Andreas auf den Pferden.

Frau von Marliß kann Kinder nicht ausstehen. Sie wehrte immer mit beiden Armen die kleinen Hände von ihrem Kleide ab und konnte es nicht begreifen, daß ich es litt, daß sich der kleine Andreas im Verlaufe der Sache auf meinen Schoß setzte und sein Köpfchen einmuschelte.

Für mich sind Kinder das Liebste und Schönste, was es nur geben kann.

Ganz schwer wurde mir das Scheiden – und dann ging's heimwärts.

»Geben Sie mir jetzt die Zügel,« forderte Frau von Marliß ziemlich herrisch.

»Noch nicht,« sagte ich bittend. »Ich kenne meine Pappenheimer. Vor dem Wegweiser nach Steinbrücken scheuen sie regelmäßig, die L.... Luder,« wollte ich sagen, und hätte es auch noch vor fünf Monaten gesagt, aber Fritz mag keine Kraftausdrücke im Frauenmunde leiden, und deshalb bezwang ich mich und sagte rasch: »die lllieben Tierchen.«

Fritz als Erzieher. – –

Er merkte es auch gleich, und binnen zwei Vierminuten war er am Kutschenschlag, beugte sich herunter und flüsterte: »Bist selber ein süßes Luderchen!«

Es klang wonnig.

Und ihr seht, meine teuren Vierundzwanzig, wenn zwei dasselbe tun, so ist es eben nicht immer dasselbe. Nur immer auf euern Vater hören.

Frau von Marliß ließ die Unterlippe ein wenig hängen, es ist ihr sicher immer etwas unangenehm, wenn ich an ihrer Fahrkunst zweifle, aber ich dachte, »besser verwahrt, als beklagt,« nickte ihr freundlich zu und fuhr erst mal am Wegweiser vorüber.

Richtig, die Gäule wollten 'naufklettern, aber ich zoppte scharf das Handpferd, und dann ging's »haste nich gesehn« im Galopp vorwärts. Wie der letzte Berg anstieg, wurden die Übermütigen zahm, und nun nahm mir die ungeduldige Frau von Marliß einfach Zügel und Peitsche aus der Hand

»Geben Sie her, Baby,« sagte sie, »ich kann's nicht vertragen, wenn ich untätig sitze.«

Ach, hätte sie sich doch beherrscht!

Scharf ging's wieder bergab, ich sah schon unser liebes »Tannenruh«, wie wir Rotbach so gern nennen, uns entgegenleuchten. – –

»Vorsicht bei der Kurve,« rief ich noch, da schwebten wir auch schon in der Luft und ich landete unsanft neben Frau von Marliß auf einem mächtigen Düngerhaufen, der dampfend am Wege lag.

Die Pferde blieben schnaubend und zitternd stehen, sie hatten über die Stränge geschlagen und ließen sich willig abschirren. Neben dem umgestürzten Wagen lag ein Rad.

Fritz war natürlich sofort neben mir und überzeugte sich, daß wir uns nichts, aber auch gar nichts getan hatten, nur warm eingewühlt hatten wir uns, und Herr von Marliß lachte sich so blau, daß ihn beinahe der Schlag rührte.

»Macht nur, daß ihr fortkommt,« rief ich ärgerlich, denn ich mochte nicht aufstehen und mich von der Rückseite präsentieren, die geradezu furchtbar aussah, wie sich später erwies. Muttchen war einen andern, weniger gefährlichen Weg gefahren und ahnte nichts.

»Die Damen sitzen auf unserer Seele,« höhnte Herr von Marliß noch, und der junge Volontär wollte den Hohn wieder gut machen und meinte treuherzig:

»Vielleicht wachsen sie nun noch.«

Als ein paar Jammergestalten gingen Frau von Marliß und ich heim. Die Herren hatten die Pferde mitgenommen, der Wagen blieb einstweilen liegen. Die Arme hielten wir weit vom Körper ab, ohne ersichtlichen Grund, denn sie waren ebenso eingesielt wie das übrige.

Ins Herrenhaus schlichen wir auf den Zehen, damit uns ja niemand hörte, wohl aber hörten wir Herrn von Marliß singen und fanden es sehr taktlos, daß er gerade das Lied für seinen Quetschtenor gewählt hatte:

»Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht.«

Aber recht hatte er, wir rochen furchtbar.

Meine alte, gute Dorette, die längst und hoffentlich nun für immer aus Schwarzhausen zu uns übergesiedelt ist, saß in dem gemütlichen Stübchen neben meinem Zimmer und stopfte Strümpfe.

»Alle guten Geister loben Gott den Herrn,« rief sie, als wir beiden Eau de mille fleurs-Fläschchen hineinstolperten.

»Rasch ein Bad, liebe Dorette,« flehte ich, und sie betrachtete uns von oben bis unten und brummte: »Dich schickt der gnädige Herr doch noch mal weg, ich seh's schon, und die Frau von Marliß sollten das Kerlchen auch nicht in allen Dummheiten unterstützen.«

Damit trippelte sie hinaus.

»Na, nu wird's Tag!« rief Frau von Marliß und wollte sich aufs Sofa werfen, wurde aber noch rechtzeitig von mir dran verhindert, denn es lag nicht in meiner Absicht, die ganze Wohnung »einzuklarren«. »Sie tut ja grad, als wären wir aus reinem Pläsiervergnügen im Dung spazieren gegangen.«

Ich schwieg und verhielt mich streng abwartend, das beste was ich tun konnte, denn die Situation wurde nachgerade greulich, und das Stübchen roch dermaßen streng nach uns, daß ich Dorettens Wiederkehr ebenso ersehnte, wie fürchtete.

Meine gute, alte Dorette!

Sie tut so, als sei die Zeit, die sie bei uns in Schwarzhausen diente und mein einziges Väterchen noch bei uns war, jetzt wiedergekommen, denn sie respektiert meinen Fritz genau so, wie früher meinen Vater, aber sie tut auch so, als seien die dazwischenliegenden Jahre eitel Traum, und ich noch das kleine, unnütze und fürwitzige Kerlchen.

Sitzt Fritz einmal mit etwas sorgenvollem Gesicht beim Frühstück, weil auf dem Gute nicht alles im Lot ist, so legt Dorette ihm die Hand auf die Schulter und fragt:

»Na, was hat's denn wieder angestellt?«

»'s« bin ich.

Soll ich darüber böse sein? Ach Gott, nein! An Dorettens Schulter ruht sich's gar weich, und ihre runzelige, alte Hand streichelt sanft, wenn ich einmal etwas zu klagen habe, womit ich mein zartes Muttchen nicht behelligen will.

Gute, liebe Dorette!

So ein ganz klein bißchen Respekt hat sie doch auch vor mir und sie zeigt es besonders den übrigen Dienstboten gegenüber, nur geht dieser Respekt nicht so weit, daß sie mich ›Sie‹ nennt, eher würde sie unsern Dienst verlassen.

Und nun zu unserm Bad.

Das war in unglaublich kurzer Zeit fertig, und Frau von Marliß und ich wurden nacheinander von Dorette »abgeschrubbt«.

Nun rochen schon zwei Zimmer »strenge«, und als wir reines Zeug anhatten, sahen wir Unglückswürmer uns kopfschüttelnd an.

»Ich meine, daß da kein Unterschied von vorhin ist,« sagte Dorette, indem sie an uns herumschnüffelte, »die Brühe ist gewiß bis auf die Knochen gegangen. Herunter zu die Herrens können die Damens nicht, das wäre schenierlich für beide Teile.«

Ich opferte eine Flasche Eau de Cologne, nachdem wir uns noch mit einer aufdringlich riechenden Seife gewaschen hatten, die ich sonst immer mied.

Als »Mischung« konnten wir jetzt versuchen, herunterzugehen.

Herr von Marliß sang noch immer, war aber zu Curschmann übergegangen und begrüßte uns mit anzüglichen Strophen:

»Was streift vorbei im Dämmerlicht,
war's nicht mein liebes Kind?
Und wehten aus dem Körbchen
nicht die Rosendüfte lind?«

»Die Rosendüfte sind wir selbst,« rief Frau von Marliß und schüttelte den Herren die Hand, aber ihr Mann hielt sie auf Armeslänge von sich ab, und dann brachen Herr von Marliß und Fritz in ein tosendes Gelächter aus, während Herr Albrecht einen heißen, krebsroten Kopf bekam und zum Zimmer hinausstürzte.

Frau von Marliß sah ihren Mann bestürzt an.

»Ja, riechen wir denn immer noch?« fragte sie ungläubig, und Fritz entgegnete:

»Es geht für ein Schaltjahr.«

So was konnte man sich doch nicht gefallen lassen, und ich tat es auch nicht.

Mit einem Satz war ich zur Tür hinaus und in weiteren wenigen Sätzen befand ich mich in meinem Zimmer.

Hier zog ich blitzgeschwind mein Reitkleid an, Dorette stellte die dazu gehörenden Stiefel hin, und da ich nicht weiter sprach, sondern mit hastigen Fingern die Knöpfe an der Taille schloß, fragte sie besorgt:

»Kerlchen, Kerlchen, der Gnädige ist doch nicht böse? Er hat doch nicht die Geduld verloren?«

»Nein, aber ich,« rief ich ärgerlich, riß die Reitpeitsche vom Nagel, setzte das Hütchen auf, und hinaus war ich.

Nach knapp zehn Minuten sprengte ich schon zum Tor hinaus und die Allee hinunter, um – ja um mich auszulüften, aber gründlich.

Marlissens kamen ja beinahe jeden Tag bei uns vor, da brauchte ich mich nicht zu genieren, und ich ertrug es einfach nicht, so als Räucherkerzchen umherzulaufen. Vor einer Stunde sollten sie mich nicht wiedersehen.

»Banidex«, mein Brauner, griff tüchtig aus. Dazu hatte sich ein lustiger Wind erhoben, und ich konnte mich der Hoffnung hingeben, bald wieder normal zu sein.

Vorsichtshalber kehrte ich nach einer halben Stunde drunten im Dorf im Lehrerhaus ein.

Die Frau Lehrer ist solch ein feines, liebes Wesen, zu dem ich mich seit meinem Einzuge in Haus Rumohr Kerlchen lebt aber in Rotbach! gar herzlich hingezogen fühle.

Frau Marie war aber nicht da, sondern arbeitete im Garten, wie mir der fünfjährige Bubi sagte.

Ich folgte ihm ins Haus, nachdem ich mein Pferd dem kleinen Knecht übergeben hatte, der auch die Frau Lehrer heranrufen wollte.

Bubi und ich waren bald in vollem Erzählen, aber mir fiel es doch auf, daß seine Augen mich heute kritischer als sonst betrachteten, und daß er nicht ein einziges Mal mehr seit der Begrüßung seine Ärmchen um meinen Hals schlang.

Bubi und ich sind dicke Freunde.

Endlich kam Frau Marie.

Sie hatte eine zierliche weiße Schürze umgebunden und sah allerliebst wie immer aus, beide Hände streckte sie mir entgegen.

Dann aber fingen ihre Nasenflügel etwas an zu beben, sie blickte im Stübchen umher und sog nachdenklich die Luft ein.

Dann schaute sie streng auf Bubi.

»Nein, Mutti,« rief das Bürschchen, »is bind dewiß nis, die Baronin is es.«

Das genügte mir, und binnen fünf Minuten trug mich mein Rößlein schon weiter. Der erschrockenen Frau Lehrer hatte ich das Dümmste zugerufen, was ich ungefähr tun konnte, nämlich:

»Bubi hat recht.«

Und nun ging's nach Hause.

Ich war ärgerlich auf mich und alle Welt.

Fritz war nicht in seinem Zimmer, als ich kam, die Marlissens waren fortgefahren, und sämtliche Zimmer im Schlosse standen sperrangelweit offen, es war ein Zug zum Auffliegen.

»Du möchtest zur Frau Mama raufkommen,« belehrte mich Dorette kurz.

»Was ist denn nur geschehen, Kerlchen,« fragte Muusch ängstlich. »Ich habe die alte Frau von Marliß in Steinbrücken abgesetzt und mich hier gleich zurückgezogen, nun wollt' ich mit Euch gemütlich zusammensitzen, nachdem der Besuch fort ist, aber da sehe ich, daß unten alle Fenster geöffnet sind, und der Fritz läuft jetzt noch überall umher, als wäre das Gut in Gefahr.«

»Ach Muusch!!!«

Ich erzählte nun meinem Muttchen die ganze »anrüchige« Geschichte, und sie lächelte ihr feines, liebes Lächeln.

»Echt Kerlchen,« sagte sie, aber diesmal war ich doch unschuldig.

Beim Abendbrot war ich ziemlich isoliert, Fritz »versuchte« zärtlich mit mir zu sein, zupfte aber immer wieder zurück, bis ich ganz ärgerlich aufstand und mich in meine Kemenate begab.

» Süßes Kerlchen, einziges« – rief mir Fritz nach, »könntest du dich vielleicht noch einmal in die Badewanne stecken – – mit grüner Seife – –«

Aber da war's vorbei mit meiner inneren Ruhe. – – Ich will's gestehen, zum erstenmal seit meiner fünfmonatigen Ehe habe ich wieder die Zunge hinausgestreckt, lang, lang – und es galt ihm, der mein Herr sein soll, meinem Fritz, meinem Herzensmann. Hinterher könnte ich mich noch totschämen über mich selber, aber – ich war zu wütend.

O, geliebte Vierundzwanzig, steckt doch nie die Zunge raus, ich muß euch sonst gottsjämmerlich verhauen.

Und den ganzen gestrigen Abend war ich bockig obendrein.

Fritz bezwang sich und wollte noch ein bißchen mit mir plaudern, aber ich hatte mir ein dickes Buch über Land- und Forstwirtschaft geholt und darin las und studierte ich krampfhaft, und wenn Fritz etwas fragte, oder behauptete, dann bekam er eine land-forstwirtschaftliche Antwort.

Ich kann ja unser interessantes Zwiegespräch hierhersetzen:

Fritz: »Na, Kerlelein, liebes, – ausgeschmollt? Was besehen wir denn da so eifrig?«

Ich: »Die Leistungsfähigkeit der deutschen Viehzucht,«

Fritz: »Kerlelein, du sollst doch die Bücher wegtun, schade um die schönen Äuglein.«

Ich: »Bau von Arbeiterwohnungen mit Darlehen der Landesversicherungsanstalten.«

Fritz: »Dir hat wohl Frau von Marliß einen Floh ins Ohr gesetzt?«

Ich: »Der wirtschaftliche Zusammenschluß der mitteleuropäischen Staaten und die Reform der bisherigen Meistbegünstigungsverträge.«

Fritz: »Soll das 'n Witz sein, Kerlelein? Ich finde ihn nicht besonders geistreich. Du machst sonst bessere.«

Ich: »Die Vererbungsweise des bäuerlichen Besitzes, die Fideikommißgesetzgebung in den deutschen Bundesstaaten.«

Fritz: »Willst du mich ärgerlich machen, Felicitas? Es gelingt dir nicht.«

Ich: »Verbot des Verkaufs von Vieh-, Milch-, Mast-, Kraft- und Freßpulvern durch Hausierer, Kaufleute und Krämer.«

Fritz: »Gut, Kerlelein! Ich gehe jetzt ins Bett. Studiere du weiter die Landwirtschaft, die richtige Atmosphäre besitzest du ja heute

Wehe, mit diesem Trumpf verließ er mich.

*

Einige Tage später.

So, nun bin ich wieder normal.

Frau von Marliß schrieb mir ein Zettelchen und schickte es durch ihren Reitknecht:

»Sitze noch in Isolierbaracke, Sie auch?«

Ich sagte dem Reitknecht, er möchte der gnädigen Frau bestellen, ich sei wieder munter und wünsche auch ihr baldige Besserung ihrer »Migräne«.

Am schwersten lag es mir auf der Seele, daß ich eklig zu Fritz gewesen war, zu Fritz, dem immer Gütigen, Vornehmen, zu Fritz, der mich auf Händen trägt, kurz und gut zu meinem Fritz.

Was da am besten zu tun war, wußte ich allein, ich lief in seine Stube, die noch ebenso einfach eingerichtet ist, als da er junger Beamter in Berlin war, sie harmoniert darin mit meiner lieben Bude, die das Ideal eines Frauengemaches ist.

Fritz saß vor seinem Riesenschreibtisch und studierte die Teile einer neuen landwirtschaftlichen Maschine.

Ich: »Lieber Fritz, bist du noch bös?«

Fritz: »Drillmaschine von F. Zimmermann und Comp., Halle.«

Ich: »O das ist interessant, Fritz! Ist sie für unsern Schulmeister? Ist's 'ne neue Erfindung nach Art des Nürnberger Trichters?«

Fritz: »So – – hier ist die Vorrichtung. Ich muß bei unserm hügeligen Terrain den Saatkasten horizontal stellen können, sonst wird die Geschichte nicht gleichmäßig.«

Ich: »Fritz, das hat doch gar nichts mit dem Bösesein zu tun – –«

Fritz: »Da ist die Kurbel mit dem Zahnrad, und hier greift's in die Zahnstange ein.«

Ich: »Sonst geht dir's aber gut, ja? Fritz?«

Fritz: »Aha, – die Saatleitungsröhren münden in die Schare – –«

Ich: »Fritz, lieber, lieber Fritz! Sieh, dein Kerlelein ist hier und möchte dich um Verzeihung bitten. Sag mir, ob du noch bös bist. Gelt ja? Ich hab's verdient, – abscheulich war ich gestern, – Fritz – lieber –«

Der Schreibtischstuhl flog zurück und purzelte gleich um vor der Gewalt, mit welcher Fritz aufsprang.

So ist er, – ein richtiger Sturmwind. Man kann dann gar nichts tun, als stillhalten, – ich hab mal versucht auszureißen – es nützt absolut nichts.

Laut auf jubelte Fritz.

»Hab' ich's nicht immer gesagt, daß du ein Engel bist Kerlchen? Ach du liebe Zeit – Engel! Das liebste, wonnigste, allerbeste, reichste, süßeste Menschenkind bist du, mit einem goldigen Herzen, – du, du, du!«

Ich wollte etwas sagen, bekam aber keine Luft, und gab es auf.

»Herzenslieb« redete Fritz weiter, »was bin ich für ein abscheulicher Kerl! Nachdem ich dich gestern wütend geärgert, nehme ich dir deine kleine Rache übel, werfe dir noch einen elenden letzten Trumpf an den Kopf und krache die Türe zu. Und du kommst heute zu mir, und anstatt dich sofort jubelnd an mein Herz zu nehmen, lasse ich die elendeste Retourkutsche anfahren, die auf Lager ist, und trotzdem bist du lieb und gut geblieben zu mir, – Kerlelein – ach du Kerlelein!«

So etwas hört sich doch wonnig an.

»Du sagst ja gar nichts, Kerlein! Hast du mir verziehen?«

»Doll lieb hab' ich dich, Fritz von Rumohr!«

In wichtigen Augenblicken nenne ich Fritz immer mit seinem vollen Namen. Und dies war ein wichtiger Augenblick.

Ich bin das so von früher gewohnt, Muusch sagte auch in wichtigen Anlässen immer: »Schlieden« zu Väterchen, nur wenn sie gemütlich wurde, redete sie ihn »Ernst« an, dann zog er auch sofort das Portemonaie und fragte: »Wieviel brauchst du?«

Ich hab' nur eine einzige, leise Furcht im Herzen, – – daß es zuviel Glück ist.

 

Mein ganzes Tagebuch hab' ich aufs neue durchblättert – viel Sonne ist nicht darin.

Und nun mit einem Male scheint sie so warm, so leuchtend, so nie aufhörend – – ach – lieber lieber Gott ich danke dir aus tiefstem Herzensgrund!

Segne meinen Fritz! Behüt' ihn immer, immer! Segne mich auch, lieber Gott, laß mich gut werden, recht gut, damit ich ihm alles vergelten kann!

*

Brief von Bümi an Kerlchen.

»Geliebte Baronin!

Schreibfaules Wesen!

Wenn uns Schwager Russee, der ja bei Euch einige köstliche Tage erlebt haben muß, nicht erzählt hätte, daß Du lebst, wahrlich, ich dächte, Du tummeltest Dich bereits im Rumohrschen Erbbegräbnis herum.

Warum schreibst Du nicht?

Warum isolierst Du Dich so vollständig?

Ich kann mir ja denken, daß Du wahnsinnig glücklich bist in Deinem Rotbach, und daß Fritz von Rumohr ein Ideal von Ehemann ist, aber daß Du uns so miserabel schneidest, hätte ich nie für möglich gehalten. Eigentlich nur aus diesem Grunde sandten wir Schwager Russee aus, er sollte auskundschaften, wie Ihr zwei miteinander lebtet und ob Du gesund wärst, samt Deinem Mutting, oder – – kurz, das Besehen der neuen landwirtschaftlichen Maschine war gänzlich vorgeschobene Nebensache.

Und nun kam Russee zurück.

Er ist ja von Natur eine zugeknöpfte, hohe Weste, aber gestern stieg er als völliger Trappist aus dem Wagen. Munke und Luttewete waren bei uns, Helsa gleichfalls.

»Na?« fragten wir alle wie aus einem Munde.

Aber Russee blieb still, ging ins Haus, setzte sich hin und gab keinen Ton von sich.

Da reichte ihm Franz eine gute Zigarre, ich hatte schon heimlich »Pillen« vorgeschlagen und als die Zigarre im Zuge war, legte er los.

Erst verabreichte er noch seiner Munke einen Kuß, gleichsam als wollte er sie um Verzeihung bitten für die Hymne, welche er im Begriff war auf ein anderes weibliches Wesen anzustimmen.

Ja, eine Hymne, Kerlchen! Auf Dich Lüttes!

Also, so etwas wie Dich will er überhaupt in seinem Leben noch nicht gesehen haben.

Das ist viel, wenn Russee es sagt, denn erstens ist er unvernünftig in seine Munke vernarrt und sah bisher niemand für voll an, der nicht genau so sprach und dachte und handelte wie Munke, und zweitens ist er ein großer Schweiger, der nur beredt wird, wenn es sich um »Dünger« handelt oder was da drum und dran hängt. Aber wie gesagt, nach der Zigarre legte er los:

»So was von 'ner Landwirtin! An allen Orten zugleich! As 'n lütten Katteiker rennt se rüm! Und alles gehorcht ihr – mit Ausnahme von Dorette, von Rumohr angefangen bis herunter zum jüngsten Hirtenbub. Und dabei gehorcht das Kerlchen wieder mit rührender Pietät den älteren Personen, Rumohr natürlich immer voran.

Na überhaupt so 'ne Ehe! Kinner und Lüd, ik segg man – –«

Bei diesen Worten lehnten wir uns jede zärtlich an unsern Mann, um den Beweis anzutreten, daß unsere Ehen auch nicht von Pappe wären, aber Russee winkte ab. »Nee, nee,« sagte er, »das ist es ja gerade! »Zärtlich« sieht man das Kerlchen nie, das liegt nicht in seiner Art, aber wie es mit Rumohr spricht, wie es ihn ansieht, wie es streng befolgt, was er ihm aufträgt, was er wünscht, wie es sich in die Wirtschaft des Riesengutes eingelebt hat, – daran sieht man, daß es den Rumohr liebt, ihn verehrt, sieht die hohe Achtung, die tiefe Dankbarkeit, die es ......

Entschuldige Kerlchen, hier gab ich ihm ein Glas Wasser. Er trank es in seiner Begeisterung für Selters, ich hatte ihm aber 'n kleines niederschlagendes Pulver mit hineingemischt.

Aber es muß 'n altes, nicht mehr wirksames Pulver gewesen sein, denn Russee blieb in dem Begeisterungston.

Was er noch ferner alles über Dich redete, will ich für mich behalten, das Hohelied Salomonis ist ein Backfisch-Ballgespräch daneben.

Wir atmeten ordentlich von Deiner Vollkommenheit auf, als uns Russee zum Schlusse erzählte, daß Du in die Mistsotte gefallen seist und Dich drin rum gesielt hättest, »as en lütt Farken«.

Siehst Du, das ist mir doch eine rechte Beruhigung, daß Du Deine Kerlchengewohnheiten nicht ganz und gar aufgegeben hast. Wenn ich doch nur mal zu Dir könnte! Ich hoffe, mein Franz erlaubt es doch, ich habe Dir so rasend viel zu erzählen, daß ich dem Teufel ein Bein abschwatzen könnte.

Was sagst Du zu unserm Professor?

Ja natürlich, Du dumme Deern weißt ja noch gar nichts, und ich kann Dir mit einer herzerfreuenden Neuigkeit ins Gesicht springen.

Helsa hat den Professortitel bekommen. Unser Dorfschulmeisterlein!

Es ist etwas Unerhörtes. Hier steht Alt und Jung Kopf, was die beste Turnübung ist. Manchen rührt vor Ärger der Schlag dabei, und gerade um den ist's dann nicht schade.

Helsa hat ein neues Oratorium geschaffen, ein Musikwerk von so ungeheurer Klangschönheit und Fülle, daß man schier erbebt, wenn man es hört.

Er hat Luttewete und mir immer einzelnes daraus vorgesungen und gespielt, und wir saßen dann mucksmäuschenstill und schwelgten.

Am 25. Juni ist die Erstaufführung in der hiesigen Domkirche, und die ersten Musikgrößen, sowie sonstige hohe Herrschaften werden dazu erwartet. Luttewete strahlt, man kann es ihr nicht verdenken, Helsa ist ein ganz prächtiger Mensch, Gatte und Vater, auch Rösileini und der Stammhalter Justus gedeihen prächtig.

Ich kann manchmal kaum die Tränen zurückhalten, wenn ich dieses blühende Glück sehe und daran denke, daß mein sehnsüchtig erwartetes Kindchen mich gleich wieder verließ.

Ach Kerlchen!

Ich schließe diesen Brief mit einem tiefen Seufzer. Aber wenn ich schwermütig zu werden drohe, denn reiße ich hier aus und tauche plötzlich in Rumohr Rotbach! auf. Es grüßt Dich herzlich und küßt Deinen schönen Fritz innig

Deine unveränderte Bümi.«

 

Brief vom Schlachter Krone an Kerlchen.

»Hochgeborene und edelverheiratete Frau von Rumohr!

Es stößt mir sozusagen sauer auf, daß ich in all den fünf geschlagenen Monaten, wo Sie neingemacht sind in das Heiligste, nichts nich von Dero Befinden, ja überhaupt von Leben und Daseinsbedingung gehört habe.

Nur daß ich das Vieh auf den Edelhof liefern tu und es darf aus alter Freundschaft für Sie, das trieb mir die Tränen in das Auge, wo ich immer noch von meiner Alten her einen Trauerflor drum habe. Aber dieses Vieh geht eigentlich doch nur uns Mannsleute an und Sie stehen abseits als Lilie auf dem Felde.

Gnädige Frau Kerlchen! Seit ich Ihnen das letzte Mal in meine innerlichen Zustände zu blicken geruhte, fand ich hochwohlgeborene Teilnahme bei Sie, wie es nicht anders zu erwarten stand bei einem Wesen, das die Tochter seines Vaters ist, des Herrn Obersten selig, kurz, bei meinem Kerlchen. Und nun hoffe ich zu Gott, daß Sie sich ebenso wenig verändert haben, wie die Zustände in meinem Innern, die eigentlich nur noch teilnahmsvoller und verletzender geworden sind.

Es ist sehr schwer in der Blüte der Jahre, die jetzt bei mich so Ende der Fünfziger eingetreten ist, seine Frau zu verlieren. Nicht allein von wegen des nagenden Gefühls nach einen geordneten Hausstand mit liebevollen Schlafrock und gewärmten Pan- und gepellten Kartoffeln, sonderns insgemein wegen des Krieges, den die unerhört gebliebene reifere weibliche Jugend um so einen Witmann anstellt.

Da ist die Jungfrau Helmine Binger am Marktplatz, vom August Binger selig vorn am Tore seiner Frau die Halbcousine, sie läuft so in die Vierzigen herum und kann im Dunkeln, wenn sie 'n großen Mantel um hat, gut für was Junges gehalten werden, wird ihre runden Dreißigtausend haben und hat sich auf mir kapriziert.

Da ist die Witwe Bekmeyer, 'ne überaus muntere Sechzigerin, deren vierter Mann ich partu werden soll, aber nich mag, weil unsere Erbbegräbnisse zusammenstoßen und ihr Seliger könnte ungemütlich werden, wenn ich mich einstens neben ihn hinbrezele, denn er war immer 'ne eifersüchtige Natur.

Da ist die – – nein, was soll ich Ihnen inkommod machen, kann nur sagen, es ist zum Auswachsen. Und meine Unpäßlichkeit über dies Getue liegt sicher auch dadran, daß ich in wirkliche vornehme Kreise gerochen habe wie bei Sie und Fräulein von Hartwig, o wenn ich doch noch einmal mit die letztere reden könnt', nicht von die Liebe, sondern bloß von Freundschaft, wo sich nichts mit einmischt, was zu 'ner Heirat führen könnte. Denn – hochgeehrte und treugeliebte Frau Kerlchenbaronin – ich muß es Ihnen heute klar machen for ewige Zeiten, – ich verkennen niemalen nich meinen früheren Stand als einfachen Volksschüler, Schlachterlehrling, Geselle und späteren Meister.

Und daß ich nun Renntier bin mit'n ordentlichen Batzen, das verführt mich nich, daß ich Größenblödsinn kriege und die Tür wirklich aufklinke und ins Zimmer nein mache, wo ich nur bescheiden vor die Pforte gehöre.

Aber der Herr Oberst selig hat sich oft die Ehre genommen und mit mir geredet, und hat gesagt: »Lieber Meister, der Rock tut es nicht, der Mensch, lieber Meister, der Mensch

Und ebenso spricht die Frau Oberst und der Herr Leutnant Erich und das Kerlchen und Fräulein von Hartwig, was 'ne Perle ist.

Aus all diesen Gesprächen hab' ich 'n Haufen gelernt und mich philosophisch weiter gebildet und weiß, daß Irren menschlich ist auf dieser Erde und daß mancher zu unserm Herrgott eingehen wird ins himmlische Reich, dem sie hier unten nur das »Allgemeine Ehrenzeichen« angehängt haben und der liebe Gott sieht ihm ins Herz und da entdeckt Er den »Schwarzen Adlerorden« und den hängt Er ihm um und ist eine Freude bei den himmlischen Heerscharen.

Deshalb bin ich auch demütig mit all meine Ordens und das eiserne Kreuz, weil ich nicht weiß, ob der liebe Herrgott nich da oben zu mir sagt: »Narr! Du tatst nur Deine Pflicht!« und mir 'n Tritt gibt irgendwohin. In gleicher Weise empfehle ich mich Ihnen herzlich als Ihr überaus wohlgeneigter Freund

Krone.«

 

Brief von Kerlchen an Schlachter Krone.

»Lieber, guter Meister!

Ganz furchtbar doll habe ich mich über Ihren lieben Brief gefreut.

Bitte seien Sie mir ja nicht böse, daß ich gar nicht schrieb, es ist sehr schwer, plötzlich Minister zu sein, wenn man früher ganz etwas anderes war, da können Sie jeden fragen, der so 'ne Karriere einschlägt.

Und ich bin jetzt Landwirtschaftsminister, und mein lieber König heißt Fritz von Rumohr, und seine Länder heißen Thüringen und Holstein.

Mein Tag könnte gut und gern 48 Stunden haben, denn trotzdem ich um 4 Uhr aufstehe, manchmal auch um 3, so denke ich beim Abendgebet doch immer: »Lieber Gott, sieh auf den Willen, das Vollbringen ist immer noch schwach.«

Und ich denk, wenn ich mir all mein Lebtag rechte, rechte Mühe gebe, dann bekomme ich vielleicht mal oben das Allgemeine Ehrenzeichen – die Stelle in Ihrem schönen Briefe hat mir besonders gut gefallen.

Aber nun zur Sache.

Der Viehtransport hat sich glatt abgewickelt. Alles ist gesund angekommen.

Wir haben nun gar keine Engländer mehr auf dem Gut, sondern nur guten deutschen Binnenlandschlag.

Mittlere Größe, feiner Knochenbau, schmaler Kopf, große Hörner nach außen gebogen, rot-braune Farbe und am Kopf weiß.

Ich hab' die Blessen so gern.

Wir streben beides an bei unserm Vieh, Milchergiebigkeit und Mastfähigkeit, denn die große Stadt ist ja in der Nähe, die uns die Milch abnimmt, und dann haben wir es sehr vorteilhaft gefunden, abgemolkene Kühe in angemästetem Zustande an den Schlachter zu verkaufen.

Ihr Rat, lieber Meister, Zugochsen zu kaufen, sie im Sommer arbeiten zu lassen und dann im Spätherbst auf die Mast zu stellen, ist brillant, wir wollen ihn auch dieses Jahr befolgen, da mein Mann die besten Erfahrungen damit gemacht hat; die Ochsen sollen sich überaus rasch mästen und ein feines, schmackhaftes Fleisch liefern.

Auch junge Kälbchen hab' ich jetzt unter meiner Pflege, das ist was Entzückendes.

Weniger entzückend kam mir das Ungeziefer bei ihnen vor, aber das hielt nicht lange an, da kannten die infamen Dinger das Kerlchen schlecht. Den elendesten Rauchtabak, den ich kriegen konnte, hab' ich mit Petersiliensamen in Wasser gekocht und die Kälblein damit gewaschen. Und Buchenholzasche hab' ich eingerieben und später Leinöl.

Weg sind die Einwohner.

Mein Mann ist sehr zufrieden mit mir, wenn er auch noch Tränen lacht über meinen Eifer. Der kurze Sinn dieser meiner langen Rede ist aber: »Lieber alter Freund und Meister, bitte kommen Sie doch mal persönlich zu uns und schauen Sie sich unser liebes Gut und den Landwirtschaftsminister an.

Klinken Sie getrost die Tür zum Herrenhaufe auf, wir denken genau so, wie unser herrlicher Vater: »Nicht der Rock gilt, sondern der Mensch

Auf frohes Wiedersehn hofft
Ihre alte Freundin Felicitas von Rumohr.«

 

Brief von Fräulein von Hartwig an Kerlchen.

»Mein Herzenskind!

Deine spärlichen Plauderbriefe sind beinahe die einzigen Sonnenstrahlen in unserm alten Mölln, dessen Mauern zwei Deiner treuesten Freunde einschließen, Ohm Rumohr und die alte Hartwig.

Aber Du schreibst tatsächlich spärlich, und ich schelte nur deshalb nicht, weil ich weiß, daß Du mit ganzer, voller Kraft bei der Sache bist, und diese Sache heißt: »Rittergut Rotbach«.

Ich wandere regelmäßig mit meinem Schatz, (Gott Lob und Dank, daß es kein lebendiger ist, sondern nur Dein Brief) hinauf zur Waldeshöhe, und – die tiefinnere Freude mit anzusehen, mit der mich der alte Rumohr immer empfängt, das gönnte ich Dir aus Herzensgrund.

Dann sitzen wir beiden Alten und vollführen nach der ersten stillen Einkehr in Deinen Brief einen Heidenradau.

Ohm Rumohr schlägt mit der Faust auf den Tisch und hält laute Begeisterungsreden auf Dich, es freut sein altes Landwirtsherz, daß Du so einschlägst.

»Und das sage ich Ihnen, Base Hartwig«, schrie er neulich, »wenn der Kerl, der Fritz verrückt genug gewesen wäre, sich anderswo zu verplämpern, dann hätt' ich das Kerlelein selber geheiratet, denn keinem andern hätte ich es gegönnt.«

Und als ich entgegnete:

Ob aber das junge Kerlchen so'n alten Krabauter genommen hätt?

Da fuhr er mich bös an:

»Das junge Kerlchen hat Grütz im Kopf und kann einen Mann von einem Besenstiel unterscheiden.«

Also war ich still und Du kannst auch ruhig sein, – »Frau von Rumohr« wärst Du demnach auf alle Fälle geworden. Da wir gerade von Heiraten sprechen – –

Liebstes Kerlchen, – Dein Schlachterfreund, oder vielmehr Herr Rentier Krone ist das wunderlichste Huhn, was mir je vorgekommen ist. – –

Meinst Du, er läßt mich in Ruhe?

Mit einer Regelmäßigkeit macht er seine wunderlichen Stilübungen, daß es mich rühren würde, wenn ich's nicht nachgerade mit der Angst bekäme.

Ich meine doch, ich hätte deutlich genug abgewinkt, aber er hat ein Fell, wie alle bisher von ihm abgezogenen Häute zusammengenommen. Ist's nicht wunderbar?

Als ich noch jung und schön war, waren sie mir alle gleichgültig, als ich verständig wurde, kam die erste heiße Liebe über mich, – zu Deinem unvergeßlichen Vater, Kerlchen, und nun ich eine Matrone bin, die sich bereits rechtschaffen nach ewigem Ausruhen sehnt, da kommt dieser Krone und versucht's auf alle mögliche Art, mich meinen Prinzipien untreu zu machen.

Der arme, alte Mann!

Wenn er nur wüßte, wie peinvoll mir seine Briefe sind! Himmel, die nötige Grenze muß doch bleiben, hoch und niedrig passen nun einmal nicht zusammen, und ich bin wahrhaftig die letzte, die dem schnöden Mammon das Recht einräumte, diesen Abgrund auszugleichen. Doppelt peinlich sind mir die Bemühungen des redlichen Schlachters, weil Euer Ohm Rumohr in seinen derben Neckereien keine Grenzen zu finden weiß.

Wer kann ruhig bleiben, wenn er fragt, »wie's Ladengeschäft geht?« oder, »was macht Ihr zukünftiger »Newö« Bähr, liebe Hartwig?« oder »wie viel Siedewürstchen ich schon aus Liebesgram vertilgt hätte?«

Diese Siedewürstchen sind noch mein Tod.

Da hab' ich ganz beiläufig in Nürnberg im vorigen Jahr erwähnt, daß ich sie gern esse, und nun schickt sie Krone muldenweise her, wie er überhaupt für meine Speisekammer sorgt, als sei ich ihm von unserm Bürgermeister als verdienstvolle Stadtarme bezeichnet worden.

Neulich hab' ich schon eine Mulde warme Würstchen in die Zehnuhrpause der Schule geschickt, – aber auch diese Freude wurde mir verdorben, denn der alte Rumohr hörte davon und fragte anderen Tags, ob ich mich schon im »Fleischhandel« übte.

Die Welt ist schlecht, Kerlchen!

Und nun komme ich zur Hauptsache.

Schlachter Krone deutet im letzten Briefe an, daß er auf Reisen gehen will, redet viel von Heirat usw., usw.; man wird ja aus seinen Berichten nie recht klug.

Ich fürchte aber sehr, der gute Meister eilt in gänzlicher Verkennung der Tatsachen hierher, um mich, seine »junge Erkorene« noch mal so dämlich zu fragen, wie schon früher, und ich kann mich doch unmöglich in den Wald flüchten vor ihm und mich von Beeren und Wurzelwerk nähren.

Deshalb mein Herzenskind, erwarte mich in allernächster Zeit in Deinem lieben Herrenhause Rotbach und laß mich in Deinen Blauaugen lesen, daß ich Dir willkommen bin.

Dann kann Meister Krone hier an verschlossener Türe Sturm läuten.

Ich bin recht ärgerlich auf ihn.

Deine treue Tante Laura von Hartwig.«

 

Brief vom Hofbesitzer Klaus Detleffsen an Kerlchen.

»Sehr geehrte Frau von Rumohr!

Sie werden mir gewiß verzeihen, daß unter all den Glückwünschen zu Ihrer Hochzeit der meine nicht dabei war. Aber, – ich konnt' das damals noch nicht so von Herzen tun, und die Frau von Rumohr weiß ja auch, wie es in mir aussah.

Jedoch habe ich die guten Worte, die Sie mir sagten, nicht vergessen und auch – die Bitte nicht. Und heute kann ich Ihnen frisch und fröhlich melden, daß ich mich mit »Lieschen« versprochen habe, ich bin ihr sehr gut, und sie wird mir eine brave Frau werden.

Ich schreibe hauptsächlich darum, weil Sie doch wissen sollen, daß hier oben im Norden zwei Menschen in heißer Dankbarkeit an Sie denken und für Ihr Glück beten.

Und bleibe Ihr ergebener Klaus Detleffsen.«

 

Brief vom Schlachter Krone an Kerlchen.

»Gnädige und junge, auch liebe Frau von Rumohr!

Ich habe es mit der Angst gekriegt und die ist nicht mehr aus meinem Leibe auszurotten.

Sie wissen gewiß, (denn so was bleibt niemalen verborgen), daß ich mal vor Monaten ein menschliches Rühren für Ihre Fräulein Tante empfand, die ich auch jetzt noch als Perle der weiblichen Unvollkommenheit hochachte.

Aber diese ehrfürchtige Hochachtung hatte eigentlich nie etwas mit 'n bräutlichen Zustand zu tun, in welchem sich zum Beispiel Herr von Rumohr befand als er in Ihnen verliebt war.

Derartige idealistische Fieberzustände hat man nur, wenn man jung ist, und ich besinne mir noch gut auf den Schüttelfrost, der mir befiel, als ich meine Alte zum ersten Male sah.

Sie schippte gerade Schnee, denn ihr Vater war sehr reinlich und Hausbesitzer.

Ich will aber nicht von meiner verflossenen Seligen reden, sondern nur davon, daß ich den zweiten Heiratsantrag nicht gemacht habe, um Fräulein von Hartwig zu besitzen, wenn ich ihr auch unmenschlich gern habe, sondern um Ihnen Frau Kerlchen nicht auf der Straße herumliegen zu sehen, sondern in einer aufgeräumten Stube.

Und als Fräulein von Hartwig das nicht wollte, und Ihr Herr Bräutigam Ihnen zu sich nahm, fiel mir ein großer Stein von der Leber frei weg.

Denn ich habe so 'ne große Ehrfurcht vor Fräulein Tante, daß ich sie nie hätte als meine gewöhnliche Gattin achten können, sie scheint das aber auf einmal sich einzubilden und mir haben zu wollen.

Denn es gibt Zustände wo die Einsamkeit sich zu dick herab aufs Gemüt senkt und in solche Stunden bekommt der vernünftigste Mensch Heiratsgedanken. Gott soll mich aber wirklich bewahren.

Hätte es auch Fräulein von Hartwig nicht zugetraut, habe aber positive Anzeichen aus ihren Briefen.

Und ganze Ladungen von Schlenkerwürstchen hab' ich ihr nach Mölln geschickt, denn Liebe und Hunger sind Geschwisterkinder oder in gutem, alten Deutsch »Kusängs«.

Aber sie beruhigt sich nicht und kriegt wohl von den Siedewürstchen die Siedehitze und schreibt unverständliches Zeigs.

Nu will sie auch noch reisen und ich hab' 'ne Totenangst, sie kommt nach Schwarzhausen um sich meinen Geschäftszustand anzusehen. Deshalb rufe ich mit meinem Geschäftsfreund Wilse, der mir gegenüber wohnt und 'n sehr witziger Mann ist: »Sauf gi bö«, sauve qui peut (rette sich wer kann) weiß zwar nicht, was es heißt, aber er wendet es immer bei Schrecknissen an. Und mache ich dieserhalb von der Einladung, mit welcher Sie mir beehrten, gütigsten Gebrauch.

Aber ich bitte ja nicht andere Umstände zu machen mit mir, als in denen sich Ihr wertes Haus sonst befindet.

Mir geht es gut, danke der gütigen Nachfrage.

Kann mich immer noch nicht ganz vom Ladengeschäft freiherrlich machen und ist auch 'n wohltuendes Gefühl, wenn man so morgens seine gemütlichen Fragen an die Nachbarsleute tut:

»Na, Fräulein, was hab'n Sie denn auf'n Herzen?«

»'n halbes Pfund Nierenfett.«

Und weiß denn Bescheid.

Auf frohmütiges, liebevolles Wiedersehn!

Ihr Sie überraschender
Krone.«

*

Auf der kleinen Station Rotbach hielt der Zug. Der Bahnvorstand, der Schaffner und ein Gepäckträger standen vor dem einzigen Abteil erster Klasse, aus dem eine ältere Dame stieg. Und jetzt eilte auch ein hochgewachsener Mann, gefolgt von einem Diener in dunkler, einfacher Livree auf die Dame zu.

»Grüß Gott, Tante Hartwig!«

»Guten Tag, Rumohr! Wo ist Kerlchen.«

»Natürlich bei den Pferden. Wir können die jungen Gäule nicht allein lassen, und mir vertraut mein Weib sie nicht an.«

Fritz von Rumohr reichte Fräulein von Hartwig seinen Arm, während der Diener sich des Gepäckes versicherte.

»Mein Gott, Rumohr, wie sehen Sie strahlend aus. Und jung und blühend, man kennt Sie ja nicht wieder!«

Ein helles, warmes Licht leuchtete in Fritzens Augen auf.

»Ich habe mein Kerlelein,« sagte er schlicht.

Fräulein von Hartwig drückte ihm fest die Hand.

»Tante Laura, Tante Laura!« rief Kerlchen laut und jubelnd schon von weitem und schickte einen hellen Jodler hinterher, und die Rotbacher Jugend und die Rotbacher Alten, die herumstanden, freuten sich über ihre »herzige, niederträchtige, gemeine, kleine« Gutsfrau.

Die jungen Pferde spitzten verdächtig die Ohren und fingen ein bißchen an zu steigen, aber die kleinen Hände, die die Zügel führten, waren wie von Stahl.

»Grüß' Gott, grüß' Gott! Setzt Euch! Eine Hand bekommst du nachher, Tantchen. Die Racker sind heut des Teufels.«

»Mit den Geschöpfchen fahr ich nicht, Kerlchen.«

»I, Tantchen, du wirst doch keine Bangbux sein? Wie die Lämmer sind sie, sobald wir im Gange sind.«

Aber die »Lämmer« nahmen die Behauptung sehr übel, noch ein Bäumen des Handpferdes, ein scharfes Ausgreifen, und ehe noch Tante Lauras zaghafte Beinchen das Trittbrett des Wagens berührt hatten, sauste das Gefährt davon in rasendem Galopp.

Kerlchens Hut flog vom Kopfe und gerade zu Fritz hin, der ihn geschickt auffing.

»Guten Tag, mein süßes Kerlelein,« sagte er und streichelte liebreich den hellgrauen Filz.

»Ihr seid mir Leute!« bemerkte Tante Laura kopfschüttelnd. »Und was wird nun?«

Der Bahnhofswirt war herausgetreten und zog die Mütze.

»Wenn der Herr Baron meinen Break benutzen möchten, er steht noch angespannt,« sagte er freundlich. »Und für den kleinen Jagdwagen hat das Fräulein Besuch, glaub' ich, auch zu viel Gepäck.«

Fritz von Rumohr sah auf die Schachteln, Koffer und Körbe und Taschen, – gute Tante Laura, sie war so ganz die Alte geblieben.

»Ich nehme mit Dank an, lassen Sie den Break vorfahren.«

So, das war ein gemütlicherer Trott mit den behaglichen Wirtsgäulen, es ließ sich auch ein Wörtchen dabei reden. »Ich frage nicht erst, ob Ihr glücklich seid,« begann Tante Laura und sah ihr Gegenüber fest und fröhlich an.

Fritz lachte.

So ein frisches, glückliches, freies Lachen, wie man es gar nicht an ihm kannte.

»Ja, ja, das Kerlchen!« nickte Tante Laura.

» Mein Kerlchen!« bestätigte Fritz.

»Und ist es gesund?«

»Wie ein Fisch im Wasser! Wie ein Schmerlchen, mein Perlchen, mein Kerlchen!«

»Das genügt, Rumohr. Sie brauchen nicht mit Gewalt unter die Klassiker zu gehen.«

»Ach, Tante Laura! Kennen Sie das Gefühl, wenn man die ganze Welt umarmen möchte?«

»Nein. Wo sollt' ich das wohl kennen gelernt haben? Aber, bitte, fangen Sie nicht bei mir an, auch diese Pferde könnten scheu werden. Und wie steht's mit dem Gut?«

»Na – –«

Fritz zog die Stirn etwas kraus.

»Ich will mich nicht auf den notleidenden Agrarier herausspielen, aber Seide kann man wirklich nicht spinnen. Gäbe mir Ohm Rumohr nicht so reichliche Mittel – –! Und dann wissen Sie, Tante, – die neuen Maschinen! Sie kosten einem die Haare vom Kopfe, und dann funktionieren sie nicht immer dementsprechend. Die Leute sind auch nicht mehr so, wie sie früher gewesen sein sollen, obgleich ich gerade nicht klagen kann, sie lieben alle mein Kerlchen, das versteht's, mit ihnen umzuspringen.«

»Also immer noch dasselbe Sonnenscheinchen?«

»Gottlob, ja! Und sehen Sie? Dort leuchtet es auf, der ganze Umkreis ist hell.«

Rittergut Rotbach lag vor ihnen, das altertümliche Herrenhaus, weißleuchtend aus dunkelgrünen Tannen, – – »Tannenruh.«

Davor eine helle Gestalt, Kerlchen im weißen Kleide, einen Veilchenstrauß im Gürtel.

Fröhlich schwang die junge Frau ihren weißen Strohhut und rief den Ankommenden ein hellklingendes »Hurra« zu, das jubelnd beantwortet wurde.

Fritz von Rumohr sprang mit einem Satz zur Erde und umfaßte sein Kerlchen mit beiden Armen.

»Du Ausreißerchen! Ist das eine Art?« schalt er zärtlich und zupfte an dem kleinen, rosigen Ohr.

»Ach, du Friedel, – ich war selbst erschrocken,« verteidigte sich Kerlchen, glückselig zu dem stattlichen Manne aufschauend.

»Daß du nur gesund da bist!«

Fritz atmete tief. »Du hast natürlich keine Angst gehabt, du Tapferes?«

»Nein, Friedel, ich hatte keine Zeit dazu, die Halunken fegten ja wie das Donnerwetter, – aber wie ging's bei euch? O Himmel, wo ist denn Tante Laura.«

»Schon drinnen bei der Frau Oberst,« meldete der Diener, und Kerlchen wurde ein klein wenig rot, warf den Kopf zurück und ging ins Haus hinein.

In der großen Halle standen Kerlchens Mutter und Tante Laura.

»Seid Ihr fertig?« fragte letztere trocken. »Denk dir, Paula, es sah mich gar nicht, dein Kerlchen. Sah seinen teuren Besuch nicht, sah nur den schwarzen Ziropel, ihren uralten Mann, den sie seit fünf Monaten doch täglich bis zum Überdruß sieht.«

»Still, still Tantchen, ich schäme mich ja so,« bat Kerlchen. »Ich las es ja dem Diener am Gesicht ab, daß nicht alles in Ordnung war. Ich hab' dich wohl gesehen, aber der Fritz –«

»Kinner un Lüd, ik segg man, dat's olen Drähnsnack. Du brauchst dich nicht zu verteidigen mien lüttje Deern, ik heww mi dat just so dacht, un gorni anners. Un jetzt mach' ich erst mal 'ne Generalreinigung vom Reisestaub, und wenn wir wieder beisammen sind, erzählst du mir, wie dich die beiden Beester hergebracht haben.«

Kerlchen schenkte den Kaffee ein.

Der selbstgebackene Kuchen dazu imponierte Tante Laura sehr.

»Du bist 'ne fixe Deern, de Düwel hal!« lobte sie.

»Ach, Tantchen, das denkst du bloß,« rief Kerlchen eifrig dagegen. »Das ist ja alles bloß Quackelkram. Unsere Mamsell ist viel zu tüchtig und arbeitswütig, als daß ich hier was lernen könnte.«

»Na, und da willst du dich wohl – nach 'ner andern Stelle für dich umtun,« neckte Fritz, aber Kerlchen lehnte den Kopf an seine Schulter und sagte ganz ernst:

»Heimat!«

Tante Laura schüttelte den Kopf.

»Närrische Leut'!«

»Aber ich sollte ja erzählen,« rief Kerlchen, »wie ich hergekommen bin; das war 'ne närrische Sache.«

»Wie jede Sache, wo du dabei bist, mein Kerlelein!«

Kerlchen drohte Fritz, aber nur ein klein wenig.

»Also, wie ich mich von euch verabschiedet hatte –«

»Das nennt sie sich verabschieden,« rief Tanta Laura in höchsten Tönen.

– – »da jagten die Pferde mit mir los,
als ob sie Flügel hätten.«

»Hattest du vielleicht aus Versehen deinen Pegasus eingespannt?? – – –«

»Angst hatte ich, wie schon gesagt, nicht die Bohne, ich hatte eben keine Zeit dazu, sondern dachte nur daran, die liebenswürdigen Tierchen auf den Sandweg zu lenken, dessen tiefe Furchen sie immer bald zahm und manierlich zu machen pflegen. Aber Essig. Sie flogen über den Sandweg weg und schlugen den Weg nach Steinbrücken ein, der bekanntlich die schönste Chaussee besitzt, die es gibt. Und so fuhr ich im schlanken Galopp die Auffahrt herauf am Schlosse vorbei und gleich wieder zum Parktor hinaus.

»Der Deixel,« schrie Frau von Marliß mir zu, »Rumohren, wo rumohren Sie denn hin?«

»Ich will nur Tante Hartwig vom Bahnhof abholen,« war meine rätselhafte Antwort, und ich bin sicher, Frau von Marliß näht jetzt an einer Zwangsjacke für mich. Ich wollte nun zum Bahnhof fahren, aber ›Donner und Doria‹ liefen beinahe direkt in den Stall; ich hätte mir elend meinen Schädel gerammelt, wenn ich sie nicht noch in letzter Minute zum Stehen gebracht hätte.«

»Du Wildes!« sagte Fritz zärtlich und doch ernst und besorgt, »du wirst die Beiden nicht wieder fahren, Liebes, gelt?«

»Wenn du's nicht willst, – gewiß nicht!«

Er küßte Kerlchens Hände.

»Was ist das?« fragte er plötzlich erschrocken.

»Ein paar Schrammen,« wehrte Kerlchen ab und wurde glühend rot.

Aber Fritz von Rumohr beruhigte sich nicht.

» Das nennst du Schrammen?«

Tief hatte das Leder der Zügel in Kerlchens kleine Hände geschnitten.

«,Donner und Doria' sind etwas hartmäulig,« gestand Kerlchen zaghaft.

»Ihr habt recht anmutige Namen für eure Gäule,« bemerkte Tante Laura.

»Nicht wahr?« fragte Kerlchen glücklich. »Ich habe sie ihnen selbst gegeben, sie paßten so schön zu ihrem Temperament.«

»Das weiß Gott.«

Fritz von Rumohr war inzwischen an ein Apothekenschränkchen getreten und hatte ihm Leinwand, Karbol, Watte und Salbe entnommen.

»Wie das aussieht! Wie sich mein Liebling zugerichtet hat!«

Er schlang mit sicherer Hand die Binde um die Hände, nachdem er die Wunden sorgfältig gereinigt.

»Aber Friedel!« lachte Kerlchen, obgleich ihr der Schmerz das Wasser in die Augen trieb. »Sowas hatte ich früher öfters, weißt du – als ich bei fremden Leuten war, und da kümmerte sich niemand groß drum, ob ich verbrannt oder erfroren war.«

Fritz von Rumohr seufzte tief auf

»Könnt ich die Jahre auslöschen!« sagte er und zog mit heftiger Bewegung sein junges Weib an sich.

»Wünschen Sie sich doch nicht so was Dummes, Rumohr,« rief Tante Laura ärgerlich. »Diese ernsten Lehrjahre haben das Kerlchen erst zu dem gemacht, was es ist.«

»Wir waren auch vorher mit ihm zufrieden,« entgegnete Fritz, »gelt, Muttchen?«

Die zarte, blasse Frau Oberst Schlieden nickte zärtlich-glücklich.

»Der liebe Gott hat alles so gnädig gefügt,« sagte sie leise.

Kerlchen holte sich ein niedriges Stühlchen, ein altes Möbel war's aus seligen Schwarzhausener Kindertagen und setzte sich zu Füßen der »Muusch«. Die beiden wunden Hände legte es auf die Knie der Mutter.

»Muusch, sing mir doch mal die alten Liederchen, weißt du noch, wenn ich mir früher als ganz kleines Kerlchen weh getan hatte und du mich in den Schlaf oder wenigstens über den Schmerz hinweg singen und bringen wolltest? Sie waren so süß die Liedchen, und so urdumm.«

Und Frau Oberst Schlieden nahm sacht und sanft die Hände ihres kleinen, großen Kerlchens in die ihren, pustete liebkosend über die wunden Stellen und sang mit unendlich feiner, leiser Stimme, während Kerlchen andachtsvoll lauschte:

»Es regnet auf der Brücken
Und es ward naß.
Es hat mich was verdrossen,
Ich weiß nicht, was.
Binne wie ich bleibe,
Bleibe wie ich bin,
Ade mein schönes Kind.«

Ja, es war urdumm, aber es lachte niemand.

Fritz hatte sich auch eine niedrige Sitzgelegenheit geholt, um recht nah bei seinem Kerlchen zu sein, und war in großer Not, seine langen Beine gut unterzubringen, hörte aber trotzdem andächtig zu.

Tante Laura verlor sich in Gedanken. – –

Wie wunderlieb saß die Mutter da bei ihren Kindern, wie wunderlieb klang das alte Liedchen. War ihr eigenes, einsames Leben nicht doch recht arm gewesen – –?

» Mehr, Muusch, mehr,« bat Kerlchen leise und die zarte Frau sang weiter:

»Mein Schiffchen kam von Ninive
Mein Schiffchen war beladen,
Vorne mit Muskaten,
Hinten mit Dukaten,
Das Schiffchen fuhr vor der Frau Nachbarn ihr Haus,
Die alte Frau Nachbarn schaut selber heraus
Und fragte, ob »hirsen, mirsen, tinten, mirsen, grips, graps, grein« gut Latein wär.«

Fritz seufzte, und nun lachte Kerlchen hell auf.

»Ist's nicht goldig?« fragte es.

»Es is 'n bißchen aufregend,« behauptete Fritz, aber dann nahm er Frau Oberst Schliedens Hand und küßte diese.

»Du hast eine Stimme wie das reinste, zarteste Glöckchen, Muttchen,« sagte er, »nun weiß ich erst, von wem mein Kerlchen seine liebe Stimme hat.«

»Papa behauptete immer, von ihm,« meinte Kerlchen.

»Die Augen und die Stimme hat es von mir, pflegte Väterchen zu sagen, nur der Schmelz fehlt.«

Tante Lauras Augen leuchteten.

»Das klingt so echt wie der Ernst Schlieden.«

Frau Oberst nickte.

»Solche Neckereien hatte er auch unzählige auf Lager,« erzählte sie, »und niemand nahm sie übel, weil sein goldenes Herz überall hervorsah. Ich wußte auch, daß er meine Stimme lieb hatte, so lieb – wenn er auch zu deiner guten Erzieherin sagte, als ich gerade eine Arie übte: ›Mißchen, meine liebe Frau schreit schon wieder gen Himmel, ich gehe derweile noch ein bißchen zu Freunds‹, das war das Stammlokal in Schwarzhausen.«

Tante Laura hörte still zu.

Wie er in seiner Familie weiter lebte, der Ernst Schlieden! So als wäre er nur ein Weilchen aus der Tür gegangen, als hätte er nie jene große, unerforschliche Reise angetreten, von der niemand wiederkehrt.

»Ach, und seine Sprache, Friedel, seine Sprache, die er selbst erfunden, – die war so köstlich!«

Fritz von Rumohr blickte sein Kerlchen an. Sobald vom »Väterchen« die Rede war, war es ein anderes, war es noch tausendmal süßer, als im Normalzustande. So dünkte es wenigstens ihm, Kerlchen selbst fühlte nur, daß schon beim Namen seines herrlichen Vaters ein helles Licht im Herzen aufflammte, – daß dieses Licht aus den Augen des Kindes dann herausleuchtete, das wußte es nicht.

»Und wie hieß diese Sprache?« erkundigte sich Fritz ernsthaft.

Er sah zu gern, wenn sein junges Weib erzählte, wenn es vom Vater sprach, und so lauschte er auch heute aufmerksam, ob er auch schon hundertmal diese närrische Geschichte gehört hatte.

»I du, eine richtige Sprache war es nicht,« meinte Kerlchen, »nur Hauptwörter: Schwefelholz, das hieß ›Schwarsubau‹ und die Lampe hieß ›Lusius lampus‹, der Lampenschirm dagegen ›Lusius rufus‹, und so noch eine Menge, ich weiß nur noch ›Pängelditroa‹, aber nicht, was es bedeutet. Und dann, – Mutterli, – was hieß eigentlich: »Malchen, komm raus!?«

»Ach, du Dümmsert, das weiß ich selbst nicht mehr.«

Frau Oberst Schlieden errötete ganz lieblich wie ein junges Mädchen. »Und ist die Hand nun wieder heil, oder muß ich noch singen:

»Heile, heile Segen
Drei Tage Regen,
Ein Küßli aufs Mundeli
Ist Kerlchen wieder sundeli.«

»Ach, du Süßes, wie das klingt!«

Kerlchen umfaßte stürmisch-zärtlich die Mutter.

»Väterchen war nicht so weich, das sang:

»Ich dacht, es fiel 'ne Katz von der Bank,
Mein Kerlchen war's nur, Gott sei Dank!«

»Ja, so sang er,« nickte die Mutter. »Ach, könnte er dich jetzt sehen, – dich und den Fritz!«

»Er sieht uns ja,« sagte Kerlchen leise.

In die träumerische Stimmung des Dämmerabends fegte Frau von Marliß herein.

Sie »fegte« buchstäblich, denn sie hatte die lange Schleppe ihres Reitkleides nicht aufgenommen.

»Dacht ich mir's doch,« rief sie mit ihrer hellen, durchdringenden Stimme, »sie sitzen wieder im Flitterwochendämmerungszustand. Sagen Sie bloß, wie lange dauert der Honigmond bei Ihnen?«

»Bis in alle Ewigkeit, meine gnädigste Frau, wenn's auf mich ankommt,« rief Rumohr, klingelte nach Licht und bot dem Gaste einen Stuhl an.

»Nicht doch,« wehrte Frau von Marliß. »Ich will mir Ihre kleine Frau holen. Meine Schwester hat mich überfallen mit ein paar Cousinen, Baron Biestorp und der kleine Kersten sind da, kommt Ihr Frauchen noch, so ist die lustige Sieben Lustige Sieben, engl. Merry Seven, frz. Jeu du Sept ist ein historisches Würfelspiel.(siehe wikipedia) fertig.«

»Und Ihr Gatte und ich?«

»Pfui, wer wird sich selbst einladen! Meinen Mann hab' ich fortgeschickt, der trinkt im grünen Löwen zu Rotbach eine Bowle mit 'n paar Jagdkumpanen, und Sie werden auch nicht gewunschen, aber Frau Kerlchen soll uns ein bißchen vorspielen und mit Biestorp Duette singen, er hat einen phänomenalen Tenor im Leibe, es läuft einem immer kalt den Rücken herunter.«

»Vor diesem schrecklichen Zustande möcht' ich Felicitas doch bewahren, außerdem hat mein Frauchen die hübsche Angewohnheit, nie ohne ihren angetrauten Ehemann auszugehen.«

Rumohr sprach leicht scherzend, aber fest. Seine Rede ließ keinen Widerspruch zu.

»Na, wenn Sie schon ›Felicitas‹ sagen, Sie Bär, dann ist nichts zu machen. – Armes, gefangenes Vögelchen!«

Frau von Marliß strich Kerlchen über den Lockenkopf, als sei es ein Kind, dem man einen heißen Wunsch abgeschlagen.

»Lassen Sie Ihren Othello nicht zu mächtig werden. Biestorp wird außer sich sein, wenn ich Sie nicht mitbringe.«

Kerlchen richtete erstaunt und fragend den Blick auf die geschwätzige Frau.

»Sie machen doch nur Scherz?« fragte es. »Ohne Fritz gehe ich nicht fort.«

Frau von Marliß errötete unter den Kinderaugen.

»Wen haben wir denn da?« fragte sie, um der leichten Verlegenheit Herr zu werden.

In diesem Augenblick kam der Diener mit der großen Stehlampe, und ihr Licht beleuchtete scharf Tante Lauras energisches Gesicht.

»Eine alte Tante haben Sie da,« sagte Tante Laura trocken. »Noch einen Wächter für das liebe Unschuldswurm Kerlchen, daß es sich nicht zu Dummheiten verleiten läßt.«

»Huh!«

Frau von Marliß hielt sich drollig-erschrocken die Hände an die Ohren, als sollten die ihr abgerissen werden.

»Ich gehe schon,« lachte sie, »aber ich wollte dem Lämmchen nichts tun, und es wehrt sich auch schon selber. Kommen Sie, Baron, Sie haben noch gar nicht mein neues Reitpferd bewundert.«

»Ich gehe mit,« rief Kerlchen fröhlich und hing sich an den Arm ihres Mannes.

»Na, das wußt' ich doch,« meinte Frau von Marliß, verneigte sich leicht vor den beiden älteren Damen und fegte wieder hinaus.

Vor der Freitreppe hielt der Reitknecht einen hübschen, ostpreußischen Braunen.

Kerlchen musterte ihn mit Kennerblicken, Frau von Marliß und Fritz blieben auf der Treppe stehen und amüsierten sich, wie interessiert die junge Frau das Pferd betrachtete und befühlte, während der Reitknecht vor Erstaunen den Mund offen hielt.

»Guter Kauf,« rief Kerlchen den beiden zu, »aber einiges ist doch mies. Der Widerrist müßte besser aufsteigen und sich allmählicher im Rücken verlieren, und sehen Sie die Rippen, Frau von Marliß, – flach – viel zu flach, – flachgerippte Pferde sind nicht ausdauernd.«

»Na, das braucht es ja bei mir nicht zu sein,« lachte Frau von Marliß, »Himmel, ich bin froh, wenn ich nicht allzulang auf einem Pferderücken zu sitzen brauche.«

»Das Paradies der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde,« rief Kerlchen feurig und dann half es Frau von Marliß beim Aufsteigen und sah sie langsam und nicht sehr graziös nach Steinbrücken zurückreiten.

Nein, für die Nachbarin lag das Paradies wohl wo anders.

»Komm, Kerlelein,« sagte Fritz. »Du bist heute so ein klein wenig Patientin mit deinen armen Vorderflößchen, du darfst nicht lange in der Abendluft bleiben. Aber sahst du das ehrfurchtsvolle Gesicht des Reitknechts über deinen Pferdeverstand? Du bist auch ein Hauptkerlchen.«

»Das Paradies der Erde – – –«

»Ganz recht, Kerlelein. Aber weißt du, wo es noch liegt? In der Gesundheit des Leibes und am Herzen des Weibes.«

Fritz legte den Arm um Kerlchen. So schritten sie langsam die Freitreppe hinauf.

Leuchtend lag das Haus vor ihnen, die Lichter im Schlosse waren angezündet, ringsherum friedliche, gesättigte Sommerstille, und in nächster Nähe der dunkle, schweigende Wald.

» Unser Tannenruh, Kerlchen!«

Sie gingen ins Haus hinein.

Am andern Morgen lachte der Himmel strahlend blau über Rotbach, und Fräulein von Hartwig, welche mit munterem Ruck die Vorhänge auseinanderzog, sah hinaus auf die beleuchtete Landschaft und sagte zu sich: »Ein wonniges Fleckchen Erde und ein Glück darauf – nicht zu sagen. Gott erhalt's, Gott erhalt's!«

Im Herrenhause war es ganz still, wie Tante Laura mit Befriedigung wahrnahm.

Also alles noch in den Federn, außer ihr, Tante Laura von Hartwig, die sich fest vorgenommen hatte, jeden Tag dem Gotte Morpheus etwas von dem schuldigen Tribute abzuziehen und in aller Herrgottsfrühe über die Felder zu wandern, den Ställen einen Besuch abzustatten, den Milchkellern – kurz, zu revidieren und dem Ohm Rumohr gewissenhaften Bericht zu erstatten.

Tante Laura zog sich noch einen fußfreien Lodenrock an, band sich einen Schutzhut um, verließ ihre Stube und schritt über den teppichbelegten Flur die Treppen hinunter, – leise, leise an den Zimmern der Frau Oberst und des jungen Paares vorbei, um nicht zu stören.

Wie köstlich war die frische Morgenluft!

Wie stark dufteten die Tannen, die das weiße Haus umgaben.

Aus dem Pferdestall (den Pferde salons, wie Frau von Marliß behauptete) tönte lautes Sprechen, Tante Laura schritt hinein.

Erst sah sie sich neugierig in dem hohen, hellen Raume um.

Das war ja wahrhaftig ein »Salon«.

Viel Pferde standen augenblicklich nicht darin, sie waren wohl alle bei der Arbeit, aber dort bei den Kutschpferden, über deren Stand der einladende Spruch: »Donner und Doria« zu lesen war, schien sich irgend eine Tragödie abzuspielen.

Tante Laura hörte heftiges Stampfen und Aufschlagen, unartikulierte Laute – – – –

»Daß auch der Herr Baron grad heut' weggerufen werden mußte vor Tau und Tag«, sagte die Stimme eines Knechtes, der im Stand der Arbeitspferde frische Streu aufschichtete.

»Die Steinbrückener denken au, unser Herr Baron hat nischt weiter zu tun, als fremden Leuten beizuspringen. Als ob bei uns nich au sowas passieren könnt'. Na nu haben mer die Menkenke.«

»Ach dessertwegen – – die junge Frau Baronin versteht genau soviel wie der Viehdoktor.«

»Genau soviel? Mehr versteht sie. Seit drei Uhr sitzt, steht und liegt sie bei dem kranken Pferd, genau so lange, wie der Herr Baron nach Steinbrücken gerufen ist. Der hat ja noch keine Ahnung von dem Unglück hier.«

»Der Doktor is auch schon wieder weggemacht, dem Gehlberger seine Stute is dämpfig geworden – – und bis der Apteker uns die Arzenei schickt, ist Doria entweder tot, oder unsere kleine Gnädige hat ihr mit die Umschläge wieder gesund gemacht.«

»Was ist denn los?« fragte Fräulein von Hartwig. Die Knechte griffen nach ihren Mützen.

»Die ›Doria‹ hat die Nacht die Fallsucht gekriegt,« berichtete der eine. »Das kommt sonst nur selten vor bei die Viecher, und die Doria war 'n schönes Pferd, hab's selbst mit ausgesucht. N' bißchen scheu – aber die kleine Gnädige verstand's mit ihr. Und zum Dank kriegt das Luder die Pepilepse.«

»Ach was, – der Albin hat's gestern auch versäumt, wie ›Donner und Doria‹ so heiß neinpreschten in 'n Stall. Das is 'n leichtsinniger Hund, der paßt zum Pferdewärter, wie der – – –«

Tante Laura wartete den Vergleich nicht erst ab, von dem sie vermutete, daß er nicht für Damenohren bestimmt war, sondern schritt näher an den andern Stand heran, und da sah sie Kerlchen, – Kerlchen, das vor einem wie leblos daliegenden Pferde kniete und immer wieder dessen Hals streichelte.

»Es ist so plötzlich gekommen, Tantchen« sagte Kerlchen traurig und ohne erst weiter zu fragen, wie Tante Laura so früh in den Stall komme.

»Und Fritz ist nicht da, der ist nach Steinbrücken geritten. – Und ich kann nichts weiter tun, sagt der Kreistierarzt. Die Anfälle wiederholen sich so rasch, – das arme, schöne, wertvolle Tier!«

»Wie ist's denn nur gekommen? So von heiler Haut?« erkundigte sich Tante Laura.

Kerlchen zuckte die Achseln.

»Na sagen's die Frau Baronin nur laut«, rief eine hämische Stimme aus der Box des kranken Pferdes heraus. »Wenn die hohen Herrschaften die Pferde schweißig rackern, daß die Viecher schon mit'n Schaden heimkommen, dann heißt's am andern Tag, der Knecht ist schuld, der Knecht hat was versäumt. Das is jedesmal so.«

»Schweigen Sie«, rief Kerlchen zornrot und stellte sich dicht vor den schimpfenden Reitknecht hin. »Sie sind auch schuld. Die Tiere sind gestern mit mir durchgegangen, ich war verwundet und mußte meine Kleider wechseln, Ihnen trug ich auf, die Pferde noch ein Weilchen draußen herumzuführen, sie nicht gleich abzuschirren, sie vor allen Dingen nicht saufen zu lassen, sondern ihnen nur etwas Heu zu geben. Das alles haben Sie nicht befolgt, weil Sie Eile hatten, zu Ihrem Vergnügen zu kommen.«

»Unsereins hat auch viel Vergnügen«, brummte der Knecht.

»Sie haben auch gestern das Reitpferd nicht ordentlich versorgt, wie es Ihnen der Herr befahl«, fuhr Kerlchen kriegerisch fort. »Ich kam fünf Minuten nach dem ›Kismet‹ in den Stall, da stand es noch aufgezäumt, war nicht angehalftert, der Sattelgurt war nicht gelüftet, der Schweif nicht aus dem Riemen genommen, – das arme Tier, schämen Sie sich.«

»Denn kann ich ja gehen!«

»Jawohl, sofort können Sie gehn, Sie verstehen garnichts

»Ich brauch' aber nich zu gehen, der Herr hat mich angenommen, nich die Madam.«

»Halt' dein ungewasch'nes Maul«, rief in diesem Augenblick ein schon ergrauter Knecht, der seit langen Jahren auf Rotbach war und hielt dem jungen Reitknecht die Faust unter die Nase.

»Frau von Rumohr, 's is'n Kreuz mit den jungen Leuten. Vormund bin ich von dem Birschchen und hab' ihn selbst an diese gute Stelle gebracht. Gift und Gall hab' ich schon all' die Tag' in mich neing'fressen, wenn ich sah, daß der Lümmel nichts verstand und frech war obendrein.«

Tante Laura und Kerlchen verließen den Stall und hörten noch einige Koseworte, mit denen der erbitterte Vormund sein Mündel traktierte:

»Ä Quatschendolmes biste, ä richtiger L...gliemes, mer möcht lieber von ä Hornaffen Vormund sein.«

»Die Landwirtschaft hat ihre Schattenseiten, wie ich sehe«, bemerkte Tante Laura und sah Kerlchen mitleidig an.

»Ach Tante Laura, – ich bin recht verzagt. Auf ›Donner und Doria‹ hat Fritz soviel gehalten, es war solch ein passendes Gespann und er hat viel Geld dafür gegeben. Wie bring ich's ihm nur bei! Da ist er schon!«

Der letzte Ruf klang trotz aller Sorge und Angst sehr glücklich.

»Geh Tantchen, ich will's ihm sagen und ihn ein bißchen aufhalten, er darf dann nämlich nicht gleich zu dem Pferd, das ist ja jetzt gut versorgt, und Friedel ist so heftig. Wenn er den Knecht findet – – ich muß meinen Friedel erst ein bißchen froh machen.«

Da lief es hin und Fräulein von Hartwig sah ihm ein Augenblickchen nach.

»Du goldenes Herz!«

Tante Laura schritt nach dem Milchkeller und der Butterkammer. Diese war praktisch und schön angelegt auf der nördlichen Seite des Ökonomiegebäudes, Licht und Luft hatten leichten Zutritt. Die Kammer lag halb über und halb unter der Erde, – auf sauberen Gestellen standen die Milchsatten, die, gleich nach dem Melken in fließendem Wasser abgekühlt, jetzt beschaulich der Rahmabsonderung harrten.

In der Butterkammer trat Tante Laura eine frisch und appetitlich aussehende Mamsell entgegen, die freundlich grüßte.

»Das ist recht, daß uns der Schloßbesuch auch die Ehre gibt«, sagte sie. »Die Frau Baronin war auch schon hier, das ist ein Frühaufchen und die Fleißigste von allen«.

»Das weiß Gott«, stimmte Tante Laura aus vollem Halse bei. »Ich traf Ihre Gnädige schon bei einem kranken Gaul«.

»Oh, das tut mir leid, – Frau von Rumohr hatte hier schon Ärger gehabt, aber bei den Pferden nimmt sie's doppelt mit, das sind ja ihre Lieblinge.«

Fräulein von Hartwig schritt an den Tischen entlang und schaute den Mägden zu, die eine Butterknetmaschine handhabten.

Andere hatten Rahm abgefüllt und butterten.

»Heute morgen wollte es nicht werden«, gestand die Mamsell, – »es sind immer ein paar Fludderköppe unter den Mädeln, die die Temperatur nicht messen und sich nicht ums Thermometer kümmern. Auch » überbuttert« haben ein paar, und da ist auf den Herrschaftstisch weiche, blasse, fadschmeckende Butter gekommen, das wurmt die kleine Gnädige, sie ist selbst so gewissenhaft und täte am liebsten alles allein.«

»Was für einen guten Leumund das Kerlchen bei seinen Leuten hat«, dachte Fräulein von Hartwig, und sie freute sich schon auf den Augenblick, da sie dem alten Einsiedler Rumohr das Tannenruhnest schildern konnte.

Als Tante Laura die Milchkammer verließ, ging Fritz von Rumohr gerade in den Stall. Er grüßte nur hastig, und Tante Laura begab sich deshalb sofort ins Herrenhaus, wo Kerlchen sie bereits im urgemütlichen, dunkel getäfelten Speisezimmer erwartete, in dem der Kaffeetisch einladend gedeckt war.

Kerlchen hatte eine tiefe Falte zwischen seinen dunklen Brauen und sah verweint aus.

»Er hat doch nicht gescholten, der Barbar?« fragte Tante Laura erschrocken und ärgerlich. »Ach, du kennst Friedel nicht, wenn du so was denken kannst«, entgegnete Kerlchen warm. »Fritz – und schelten – auf mich schelten! Gerade deshalb, – weil er so rührend gut ist, schmerzt es mich doppelt, daß ich schuld bin an der Krankheit des Pferdes.«

»Aber du bist doch nicht schuld, Kerlchen. Du kannst doch unmöglich deinen eigenen Reitknecht spielen, und vollends gestern hättest du nicht einen Augenblick länger zögern dürfen, deine verwundeten Hände zu waschen.«

»Ach, – das ist's nicht. – Garnicht hätte ich mit ›Donner und Doria‹ fahren dürfen, Fritz hatte mir die Bitte zuerst abgeschlagen. Wir haben noch ›Lise und Hanne‹, ein paar urfriedliche Großmütter, mit denen solltest du eingeholt werden, weil Fritz deine Angst vor Pferden kennt. Und siehst du – mir – mir war das nicht schneidig genug, und da nahm ich ›Donner und Doria‹. Sie hatten lange im Stall gestanden, waren gut gefüttert und doppelt wild, – so kam's.«

»Allerdings, das war ungehorsam von dir.«

»Freilich, doll! Und sahst du Fritz gestern? Nicht 'ne Silbe schalt er, – bloß geküßt hat er mich, – ›daß du nur gesund bist‹, war sein erstes Wort!«

Fräulein von Hartwig streichelte Kerlchens Haar. »Er hat dich eben sehr lieb, – du wirst es schon verdienen.«

Das Gespräch brach ab, Frau Oberst Schlieden war hereingekommen und begrüßte die Anwesenden.

»So früh schon, Muusch?« erkundigte sich Kerlchen, schenkte rasch den duftenden Mokka ein, strich ein Semmelchen mit der appetitlichen Butter, in welcher ein Eisstückchen steckte, und klopfte ein weiches Ei auf.

»Offengestanden, es war mir heute ein bißchen zu lebendig im Hause. Ist etwas passiert, daß die Leute so rennen und lauter als sonst reden? Und fuhr nicht ein Gefährt vom Hofe? Doch nicht der Doktor?«

»Nur der Tierarzt,« beruhigte Kerlchen, aber es ließ sich nun doch nicht länger verschweigen, und Frau Oberst Schlieden brachte der Sache volles Verständnis entgegen.

»Das ist wie beim Kavalleristen, – oder auch beim Artilleristen. Mein Vater kam immer mit der ersten Frage nach Hause: ›Was machen die Pferde?‹ Die zweite erst war an die Mutter gerichtet: ›Und wie geht's dir und den Kindern?‹« –

Kerlchen hatte sich ganz still ans Fenster gesetzt. Appetit hatte es doch nicht und vom Fenster aus konnte es Hof und Stall übersehen.

Wenn Fritz doch endlich herauskäme!

Es war so unruhig auf dem Hof. Die Leute standen um die Stallgebäude und sahen zu dem niederen Fenster herein, sie alle ließen ihre Arbeit in Stich.

Und dann zerriß ein kurzer, scharfer Knall die Luft, Kerlchen wurde blaß, – schneeweiß, und schaute mit großen, angstvollen Augen nach der Tür. Die öffnete sich bald, und an den sich rasch zerstreuenden Leuten vorüber schritt Fritz von Rumohr seinem Hause zu.

Hinter ihm sammelte sich das gaffende Volk wieder und lief in den Pferdestall.

Kerlchen war aufgesprungen und ihm entgegengelaufen, liebevoll umschlang er es, aber es wich zurück vor der kleinen blitzenden Waffe in seiner Hand.

»Es mußte sein, Liebling,« sagte er ernst. »Das arme Tier! Es hatte sich beim Aufschlagen den Fuß gebrochen.«

Zuerst verlief das Kaffeestündchen recht still, Kerlchen tropften noch immer die Tränen über das blasse Gesichtchen, Frau Schlieden und Fräulein von Hartwig sahen ernst vor sich hin, und Fritz zerkrümelte sein Brötchen zwischen den Fingern und kaute an seinem Schnurrbart. Mit einem Male aber ruckte er sich zusammen, strich sich ein paarmal über das Gesicht und schenkte seinem Kerlchen ein.

»So, und nun ist's vorbei,« sagte er rasch. »Und nun wird mein Kerlchen trinken und tüchtig essen, und dann werden wir einen wundervollen Spaziergang über das Feld und die Wiesen und durch den Wald machen, und Kerlchen wird hinter den Champignons her sein, die jetzt massenhaft dastehen.«

Kerlchen sah Fritz dankbar an. So war er immer.

Immer bemüht, sein junges Weib fröhlich zu sehen, immer gut, fürsorglich und liebevoll, auch wenn Kerlchen es gar nicht verdiente, wie eben heute.

»Vergib!« bat Kerlchen leise, und eine kleine, immer noch verbundene Hand streckte sich ihm zaghaft hin.

»Ich dir vergeben? Mein ganz Tapferes bist du! Was hab' ich heute Liebes und Gutes über dich gehört! Wie ein Held hast du dich im Stall benommen, sagt der alte Anton. Und seit drei Uhr bist du auf? Kerlelein, Kerlelein, das geht nicht, es ist am besten, ich steck' dich nochmals ins Bett.«

»Ohhhhh! Bitte, bitte nicht!« protestierte Kerlchen. »Bei der Sonne! Bei dem köstlichen Wetter! Wenn du nur nicht traurig bist, Friedel, und nicht bös auf mich, dann ist schon alles gut, dann bin ich ganz frisch und gar nicht müde.«

Wie es so vor ihm stand, mit dem dunkelblonden Lockenkopf, dem rosigen Gesichtchen und den leuchtenden Augen, den schlanken Körper von einem schlichten, hellgrauen Leinenkleid umschlossen, das ganz einfach mit weißen Blenden besteppt war, den großen Schäferhut mit der wallenden weißen Feder auf dem Kopf und unter dem rosigen Kinn mit einer vollen, weißen Schleife zusammengehalten – man konnte es Fritz nicht verdenken, daß er immer wieder auf sein Glück hinschaute, ganz und gar selbstvergessen.

»Mien lewe Kinners,« sagte Tante Laura, »wenn Ji bet morgen so stahn wüllt, fängt dat am Enn an to regen.«

So schritten sie fröhlich zusammen vorwärts, überall herzlich gegrüßt von den Arbeitern und Bauersleuten.

Blond- und schwarzköpfige, glattgekämmte Mädels und strohköpfige Jungens wanderten zur Schule, rissen die Mütze vom Kopf, oder begnügten sich mit einem langgezogenen, lauten: »'n Daaag!«

Dabei grienten sie über das ganze Gesicht, – eingedenk der knusperigen Kuchenplätzchen, welche die »kleine Gnädige« so gern verteilte.

Kerlchen hatte auch für jedes ein freundliches Wort bei der Hand, und einige Kinder plauderten ganz zutraulich mit ihm, während sie nur einen sehr ehrfurchtsvollen Knicks vor »den Herrn« hinsetzten.

Der Weizen stand gut.

Er hatte vorzüglichen Lehmboden, war auf reiner Brache gesät, und der starke Winterschnee hatte ihm nicht geschadet, da rechtzeitig während der trockenen Witterung durchgeeggt worden war. Dann kam der Roggen.

»Schöner Roggen!« lobte Tante Laura. »Dat's mien Fall, ik bün norddeutsch, ik bün für ›Korn‹.«

»Dies ist auch 'n Landsmann von Ihnen, Tante,« wandte der Gutsherr ein. »Propsteier Roggen.«

»Giwwt denn dat mehr, als eine Ort?«

»Nein,« rief Kerlchen, »aber viele Spielarten. Da ist Probsteier, Lampiner, Lorrensroggen, Zeeländer, Schlanstedter, Pirnaer, spanischer Doppelroggen, hessische Staudenroggen, Bestehorns Riesenroggen, Pettkuser, böhmischer Gebirgsstaudenroggen, Kolossal-Hybridroggen und Champagnerstaudenroggen.«

»Deern, dat letzt is woll dien Fall? Äwer du büst mi veel to klook, klooke Kinner starwen tidig.«

Kerlchen lachte fröhlich, und Fritz desgleichen.

»Ich hab' gar nicht gewußt, daß ich mir da so'n kleinen Administrator anheirate,« neckte er.

Bis zur Gerste und dem Hafer hatte man weiter zu gehen.

»Sie darf nicht zu nahe an Gebäuden, Bäumen und Hecken angebaut werden, weil sie sehr vom Vogelfraß zu leiden hat,« erklärte Kerlchen und machte ein so liebes, ernsthaftes Gesichtchen dazu, daß Tante Laura auch nur ernst und verständnisvoll nickte, während Fritz sich hastig umdrehte und sich umständlich die Nase schnaubte.

»Un wo hebbt ji den Bookweiten?« fragte Tante Laura und ließ ihre Blicke weit, weit umherschweifen, nahm auch noch ihre langgestielte Lorgnette zur Hilfe.

»Den haben wir hier nicht,« bekannte Fritz von Rumohr, »und ich muß sagen, ich liebe auch diese dreieckige Frucht nicht sehr.«

» Se hebben keen Bookweiten?«

Tante Laura pflanzte sich kriegerisch vor dem Gutsherrn auf.

»Kinner un Lüd! Un Ji eet woll ok keen Bookweitengrütt un keen Bookweitenklümp? Un sowat nennt sik nu mien ›Neffe‹. Na, ik dank, mit em bin ik jo gründli ansmert wor'n.«

Fritz von Rumohr faßte die alte Dame um und schwenkte sie gemütlich rund.

»Tantchen Hartwig, ich sehe meine Sünden ein und nächstes Jahr säe ich Buchweizen. Hab' da ein Stückchen brach liegen, ist sandiger Boden, – Sie sollen Ihren Buchweizen haben und sich Ihrer Verwandtschaft nicht zu schämen brauchen.«

Lachend schritten sie weiter, – es war ein schönes, prächtiges Gut, und ein praktischer, kluger, offener Kopf hatte die Leitung darüber, das sah Tante Laura auf Schritt und Tritt.

»Von ›Rumohr‹ hab' ich nicht so gute Nachrichten,« sagte Fritz jetzt ernst, – »der Pächter bittet um Stundung seiner Zahlungspflicht. Es muß da nicht die richtige Wirtschaft sein, die Leute wechseln auch alle Nasen lang, das tut nicht gut bei solch großem Betrieb.«

»Sehen Sie doch bloß zu, daß Sie dem Waldner die Pacht kündigen können. Ihr Ohm Rumohr schaut ja in den Kerl wie in 'n goldenen Kelch, und ich kann nun mal kein Vertrauen zu ihm gewinnen.«

Tante Laura fuchtelte erregt mit dem Sonnenschirm in der Luft herum.

»Ich hab' ihn ja kennen gelernt, ihn und seine Olsch, sie kamen nach Mölln und stiegen ins Waldnest hinauf und gingen dem Waldbären mit Honig ums Maul herum. Solch' Pack kann ich nicht ausstehen. Und sie hatte 'ne Fahne auf'n Leib, als wär sie nicht Pächtersfrau, sondern Besitzerin, und als brächte sie 'n Sack voll Gold zu dem Herrn herauf, in Wirklichkeit baten sie um Vorschuß.«

»Steht die Sache so?« murmelte Fritz.

»Ja freilich steht sie so.« Tante Laura wurde immer ärgerlicher. »Mißwirtschaft von A bis Z. Hungerlöhne für die fleißigen Arbeiter, schlechtes Essen für die Leute, für die Herrschaftsküche ›Hummer, Lachs und frischen Bärenschinken‹. –Nicht mal in Kiel lassen die Waldners arbeiten, nein, das muß alles aus den ersten Hamburger Geschäften sein. Aber all diese unanfechtbaren Tatsachen nennt der alte Rumohr ›Altweibergewäsch‹.«

Fritz drückte Fräulein von Hartwig die Hand.

Kerlchen war vorausgelaufen und pflückte Wiesenblumen.

»Ich danke Ihnen herzlich, liebe Tante Laura.«

Die Stimme des Gutsherrn klang ernst. »Glauben Sie mir, ich habe nicht mit Juchhei und Trara die beiden Güter übernommen. Gewiß, es ist eine ganz andere Stellung, als ich sie vorläufig als junger Reichsbeamter gehabt hätte, aber die Zeiten sind für den Landwirt miserabel, Onkel Rumohrs Gelder stecken in Kupfer- und Goldminen, und seine Tochter und sein Schwiegersohn brauchen auch einen gehörigen Batzen auf ihrer Farm.«

Tante Laura nickte verständnisvoll.

»Um mich ist's nicht, Tante Laura,« fuhr Fritz von Rumohr fort, »bei Gott nicht, ich bin mit Leib und Seele Landwirt, und das Hausen auf der Stätte, da meine Urahnen gelebt und gesorgt haben, hat etwas unsäglich Beglückendes für mich. Aber daß es so bleibt, wie es ist, darum bitte ich täglich unsern Herrgott, – – denn jetzt hab' ich das Kerlchen bei mir, mein Kerlchen, mein Kleinod –«

Er stockte vor innerer Bewegung.

»An dem auch unser Herrgott seine helle Freude hat,« fiel Tante Laura rasch ein, »und deshalb wird der da oben es auch alleweil beim alten lassen.«

»Na, Kerlelein, mein Sonnenschein, was pflückst du da für Blümelein?« fragte Fritz mit aufgehelltem Gesicht und beugte sich zu seinem Frauchen hinunter, das am Wiesenrand kniete.

»Es sind nur wilde Blumen, lieber Dichter,« zitierte Kerlchen und hielt ihm einen dichten Strauß von Mohn, Maßliebchen und zartem Vergißmeinnicht entgegen. Dann sprang es leichtfüßig auf. »Nun noch nach der Weide, ja? Bitte, bitte! Wir müssen Tante Laura doch unsere jüngsten Kinder zeigen, ein wonniges Fohlen und ein täppisches Kälbchen, – – o Tante Laura!«

Kerlchen war schon wieder ein gut Stück voraus. Alles an ihm war Leben und Bewegung, Kraft und Jugendlust.

»Diese Art Landwirtschaft gefällt mir am besten,« meinte Tante Laura und zeigte auf den blühenden Strauß in Rumohrs Hand. »Da ist doch noch Poesie drin. Aber auch die Prosa in Milch, Butter und Käse mutet mich freundlich an. In der Viehzucht dagegen hab' ich heute ein Haar gefunden, Sie haben sich wohl mit dem Revolver einen ekligen Batzen Geld aus dem Portemonnaie geschossen, – was, Rumohr?«

Fritz nickte ernst. »Damit muß man rechnen, – aber angenehm ist's nicht.«

»Hören Sie mal, Rumohr, – ich weiß, daß Sie in manchen Sachen genau so 'n Dickschädel sind, wie Ihr verehrter Onkel, – bitte, fahren Sie nicht auf, – es ist so. Nun kann ich aber die heutigen Morgenstunden gar nicht vergessen, als das liebste Menschenkind da neben dem kranken Pferde kniete, so ohne Scheu, voll tiefen Mitleids, nur von dem Gedanken beseelt, helfen zu wollen. Und hat ihm doch all nix genutzt. – Rumohr, ich wollte Ihnen eigentlich Ihr Kerlchen entführen, wollte wieder ein bißchen reisen mit ihm – na, erschrecken Sie nicht, ich habe ja sofort eingesehen, daß man Sie beide nicht trennen kann, daß Sie sich Ihre Lebenskraft voneinander holen, aber ich hatte mir doch die Reise nun mal ausgedacht, und so 'ne alte Jungfer ist der richtige Prinzipienreiter. Da, Rumohr, der braune Lappen drückt mich seit heut morgen. Ich bitte Sie inständigst, befreien Sie mich von dem Ding und stellen Sie an ›Dorias‹ Stelle ein anderes hübsches Pferdchen, damit Kerlchens Augen nicht traurig zu blicken brauchen, wenn es ›Pflegemutter im Pferdestall‹ spielt. Aber daß mir die Viecher nachher andere Namen bekommen! ›Donner und Doria‹! Auf so 'nem Fluch kann doch unmöglich nachher 'n Segen ruhn.«

»Tante Laura, Sie sind ein Engel! Und die neuen Pferde sollen Laura heißen und – –«

»Petrarca! Jawohl! Rumohr, Sie sind des Deubels. Aber Ihre Annahme macht mir 'ne Riesenfreude. Und nun reinen Mund gehalten, baldowern Sie 'n hübsches Tierchen aus und dann bescheren wir es dem Kerlchen. – – Mein Gott, Rumohr, was ist denn auf der Weide da los?« unterbrach sich Tante Laura erschrocken, »sehen Sie bloß das Kerlchen und die Kuh.«

Der Gutsherr war schon wie der Wind davon gestoben und Tante Laura raffte geschickt ihre vielen Röcke und stolperte über unebenes Wiesen- und Ackerland querfeldein hinter ihm her.

Von der anderen Seite des Weideplatzes kam der Hirt gelaufen und stand schon eine Weile neben der jungen Gutsherrin, ehe Fritz und Tante Laura eintrafen.

Laut schrie Tante Laura jetzt auf.

Kerlchen hatte dem Hirt blitzgeschwind die Peitsche entrissen und hatte den runden Stiel der tobenden Kuh in den Rachen geführt, bis zum Magen hinunter.

»Bravo, Kerlchen, bravo,« rief Fritz und machte seinen Arm sanft, aber energisch von den ihn umklammernden Händen der Tante Laura los.

»Vorläufig ist das Tier gerettet, – du hast's gerettet, Tapferes, wo hattest du bloß die Geistesgegenwart und den Mut her?«

Kerlchen schmiegte sich an Fritz. »Ich war doch schuld heute morgen – weißt du – – o und nun bin ich so froh – nun hab' ich's doch ein wenig wett gemacht, gelt?«

Tante Laura saß beinahe weinend am Wiesenrand.

»Da is nischt zu flennen,« beruhigte sie der Schäfer, »das Viech hat die Trommelsucht gekriegt, kommt vor, wenn sich eins überfrißt, – aber unser Madamchen – das is eine, – ich hab's immer gesecht, das is ›ä Luderchen uff der Klarinette‹.«

»Kerlchen,« sagte Tante Laura ganz schachmatt, während Fritz von Rumohr und der Schäfer sich mit dem ermatteten Tier beschäftigten, – »ich gehe nach Hause und leg' mich ins Bett. So angreifend hätte ich mir den Besuch eures Gutes nicht im Traume vorgestellt. Menschenskind, wie konntest du dem armen Vieh mit dem Peitschenstiel ins Innere fuhrwerken.«

»Sollte ich 's sterben lassen, Tante Laura? Das hing nur an einem Faden, – und ich hatte nichts, – keine Schlundröhre, kein Messer, keinen Trokar, – nur das Strohseil – –«

»Das du der Kuh ganz musterhaft eingelegt hast,« fiel Fritz ein. »Den Knoten hatte sie im Maul, die Enden waren hinter den Hörnern zusammengebunden, so daß sie drauf kauen mußte, ob sie wollte oder nicht.«

»Ach, und massiert hab' ich sie,« klagte Kerlchen, »aber sie wollt's nicht leiden, mein Schienbein weiß ein Lied davon zu singen.«

Tante Laura stützte sich auf Herrn von Rumohr, der dem Hirten noch Anweisungen für eine Nachkur der kranken Kuh gab.

»Führen Sie mich nach Hause, Rumohr, ich bin vollständig ›fertig‹. Wenn ich vierzehn Tage auf Ihrem Gute bin, erhebe ich Anspruch auf einen Platz im Rumohrschen Erbbegräbnis.«

»Den sollen Sie haben, Tante Hartwig, gratis und franko.«

»Wofür ich zwei Mark Strafporto erhebe,« rief Kerlchen.

»Und ich eine Mark hinwiederum für das Wort ›Porto‹,« lachte Rumohr.

»Na, ihr könnt schon wieder lachen,« brummte Tante Laura. »Und noch dazu über die heiligsten Sachen – allons, marsch – heim.«

Frau Oberst Schlieden empfing die Ankommenden mit einem sehr guten Mittagessen und einem merkwürdig in die Länge gezogenen Gesicht.

»Was ist denn los, Muusch,« raunte Kerlchen ihr zu, und als in diesem Augenblicke Tante Laura mit wahrer Leidensmiene kund tat, daß sie sich niederlegen müsse, ohne imstande zu sein, auch nur das Geringste zu essen, entfuhr Frau Oberst Schlieden ein so erleichtertes »Gott sei Dank«, daß Tante Laura sie fragend und vorwurfsvoll ansah.

» Gott sei Dank, daß Sie es uns beizeiten gesagt haben, meine ich, so kann ich doch Befehl geben, daß Ihnen das Essen oben serviert wird.«

Mama Schlieden wurde ganz heiß und rot, in Notlügen war sie nicht bewandert.

»Natürlich, Tantchen, leg dich nur,« redete Kerlchen zu, und Tante Laura sagte bekümmert:

»Schickt mir nur Brausepulver, ich sehe überall sterbende Pferde und dicke, tobende Kühe.«

Herzliches Lachen scholl hinter ihr drein.

»Ich habe einen Wolfshunger,« bekannte der Gutsherr.

»Und ich – – aber erst muß ich wissen, was los ist, Muusch, beichte!«

»Schlachter Krone ist vorhin angekommen!«

Frau Oberst Schlieden sah sehr niedergeschlagen aus.

»Ich hab' ihn einstweilen im Kuhstall verstaut, denn ich mußte euch alle und vor allem Tante Laura doch vorbereiten; gottlob, daß sie streikt, so können wir Meister Krone doch aus seiner Gefangenschaft erlösen und er kann mit uns Mittagbrot essen.«

»Meister Krone hier!«

»Ach, – Kinder – und was das Tollste ist,« hier dämpfte Frau Oberst ihre Sprache zum leisesten Flüstern, – »der Meister macht verworrene Andeutungen, als sei er – vor Tante Laura auf der Flucht, könnt' ihr euch so was Sonderbares vorstellen?«

Hier brach Kerlchen in ein anhaltendes Gelächter aus.

»Ach, verzeiht,« sagte es endlich atemlos. »Ihr wißt ja von nichts. – Siehst du, Friedel, das kommt davon, wenn du nie Zeit hast, die Briefe zu lesen, die von dem guten Freund Krone einlaufen, nun hab' ich vergessen, den Fall eingehender mit dir zu besprechen.«

»Himmel, ist denn an diesem Unsinn was Wahres dran?«

»Freilich! Krone hat mal Tante Laura heiraten wollen, d. h. eigentlich mich, nein, i wo doch, nicht mich, – nur um meinetwillen und Tante Laura wollte nicht um deinetwillen und darüber war Meister Krone froh, denn er wollte sie ja gar nicht. Aber Tante Laura glaubt, er wollte sie, und Meister Krone glaubt, sie wollte ihn, und da hat er ihr Würstchen geschickt – –«

»Muttchen, wenn du mir jetzt nicht sofort einen gediegenen Teller Suppe vorsetzt, werde ich verrückt,« rief Fritz und fuhr sich durch seine dichte Mähne, daß sie sich hoch aufsträubte. –

»O Fritz, ich bin ja mit meiner Erklärung noch nicht fertig – –«

»Das nennst du Erklärung? Er will sie, sie will ihn, er will sie nicht, sie will ihn nicht, meinetwegen, deinetwegen, seinetwegen, unseretwegen – – Muttchen, ich will Suppe!«

So wanderten sie zu Tische, lachend und doch voll Spannung, wie die Sache sich klären würde.

Nach fünf Minuten erschien » Herr Rentier Krone«, so stand nämlich auf seiner Visitenkarte, die er vorher durch den Diener hereinschickte. Die Karten waren vom Buchbinder Balian in Schwarzhausen gemacht und zeigten außer dem Namen »Herr Rentier Krone« auch noch in der rechten, oberen Ecke ein feurig blaues Vergißmeinnicht.

Frau Oberst begrüßte den alten Herrn freundlich-ruhig, Fritz reichte ihm sehr herzlich die Hand, und Kerlchen sprang ihm jubelnd entgegen.

»Das ist herrlich, Meister, daß Sie hier sind!«

»Nennen Sie mir nich mehr Meister, Fräulein, ich bin leider nur 'n ganz kommuner Renntihr, der seine Groschens verzehrt und nischt tut. O, Pardon, Frau Baronin, sagte ich ›Freilein‹? Das kommt dadervon, daß Sie so wie 'n wunziges, zartes Mächen aussehen, – Ihnen ist ja das Heiraten kolossal bekommen.«

»Wollen Sie nicht einen Teller Suppe mit uns essen,« wandte hier Frau Oberst ein. »Lassen Sie sie ja nicht kalt werden.«

»Ich werde Ihnen die Freude machen,« verneigte sich Herr Krone, »das heißt, ich meine natürlich, ich gebe Ihnen die Ehre. Vorher darf ich wohl meine Visitenkarte wieder einstecken, – ich hab' nämlich nur noch'n paar, – da liegt sie ja. Sie gefiel allen Mitreisenden so ausgezeichnet, da hab' ich sie allenthalben verschenkt und sitze nun blank da. Es ist der neueste Geschmack, sagt Buchbinder Balian, nämlich sein eigener. Wenn der Herr Baron mal Bedarf haben, das Hundert kostet 'ne Mark, und zehn ›Hauchbilder‹ kriegt man zu. Herr von Rumohr müßten sich natürlich noch ›Hochgeboren‹ oder ›Wohlgeboren‹ drunter drucken lassen und zwanzig Pfennige draufschmeißen – – 'ne schöne Suppe ist das, Frau Oberst, 'ne sehr kräftige Suppe, da hat die alte Kuh nicht nur 'n Schwanz 'neingehalten, damit sie schmackhaft wurde, wie's im Sprichwort heißt.«

Kerlchen und Fritz schienen sich den Mund an der Suppe verbrannt zu haben und versteckten ihre Gesichter hinter den Servietten, Frau Oberst Schlieden hatte sich aber musterhaft in der Gewalt.

»Es freut mich, wenn es Ihnen schmeckt.«

»Und nun will ich mir auch noch sehr bedanken für die gütige Einladung, Herr Baron.«

Meister Krone reichte seine rote, derbe Hand über den Tisch herüber und drückte die Rechte des Hausherrn fest und bieder.

»Ich hab' aufgeatmet, wie ich von Schwarzhausen fort war, ein Witmann is bös dran, sagt's Sprichwort. Und nich nur 'n Witmann mit unmündige Würmers, ne viel döller einer, der Groschens hat, und Fett ansetzen kann, und der außerdem mit 'n höflichen, liebevollen Herzen begabt is.«

»Und warum heiraten Sie nicht wieder, lieber Herr Krone?« fragte Fritz von Rumohr.

»Aus dem Grunde, weil in den Mittelständen mir keine so imponiert hat, wie meine Selige, und weil die oberen Zehntausend, die Damens, mich schenieren. Ich würde so 'ner hochwohlgeborenen Frau niemalen befehlen können, und wenn sie zehnmal so alt und häßlich wäre, wie Ihre Fräulein Tante – –«

»Hm, hm! Nun unsere Tante kommt ja auch wohl hier nicht in Betracht.«

»Nein, Herr Baron. Warraftig nich! Von mir aus nich. Im vorigten Jahre – hm – ja – da warsch was anners, da hätte sich 's ereignigten können, du lieber Gott, jeder Mensch hat seine Brausejahre –«

Kerlchens Hand stahl sich sacht in die derbe Rechte des guten Meisters Krone.

»Ich weiß, ich weiß Meister, – da wollten Sie mir eine Heimat geben, – guter, lieber Herr Krone!«

»Is gern geschehen, Kerlichen – wollt sagen, gnedige Frau! Aber es is hart, in seinen alten Tagen auf der Flucht zu sein, können Sie mir vielleicht gütigst mitteilen, wo sich augenblicklich Fräulein von Hartwig befindet?«

»Im Bett!« sagte Kerlchen. »Sie hatte sich etwas angestrengt heute morgen und wollte sich jetzt gründlich ausruhen, auch von den Strapazen der gestrigen, langen Reise.«

Meister Krone saß »entgeistert« da.

»Sie is hier?« fragte er endlich tonlos.

»Aber ja, Herr Krone! Was ist dabei Schlimmes? Sie wird sich freuen, Sie zu sehen.«

»Das glaub ich,« stöhnte Meister Krone.

»Nun also! Sie waren ja auf unserer Reise die besten Freunde.«

»Vergangene Zeiten.«

»Und über die Wurstsendungen hat sich Tante so gefreut. Eine ganze Schule hat sie damit traktiert.«

»Das is recht, das is recht,« rief Meister Krone mit ganz verändertem Gesicht und Tonfall, denn sein gutes Herz gewann die Oberhand, »so is das Fräulein von Hartwig, immer gut, immer nach dem Rezept: ›Geben ist seliger als Nehmen‹. Aber dessertwegen bleibt sie doch hier,« setzte er wieder kläglich hinzu, »und meine ganze Reise ist für die Katz.«

»Aber wenn ich Ihnen sage –«

»Sagen Sie nichts, geehrtes Fräulein Kerlchen, verehelichte von Rumohr, erzählen Sie mir lieber von das Gut, von Ihrem Glücke und sowas. Ich find mich schon mit dem Unkraut zurecht, was nun mal in meinem Weizen drinne steckt. – O propo, is meine Schardinäre damals ganz angekommen zu Ihrer gnedigen Hochzeit? Der Gauner wollt nur von vierzig Mark an die Garantie übernehmen, sonst hätte ich 'ne ganz hübsche, streng solide zu achtundzwanzig Mark kriegen können.«

»Alles heil und ganz,« lachte Kerlchen und schenkte dem braven Meister noch einen guten Tropfen ein, damit er rascher über seine Enttäuschung hinwegkäme.

Er leerte sein Glas auf einen Zug.

»Nischt mehr von der Fräulein Tante und sonstigen Kalamitäten«, rief er fröhlich, »bleiben wir bei Sie selbst. Was macht's Vieh, Herr Baron?«

Und nun wurde erzählt, – über alles und jedes. Meister Krone erhielt vom Gutsherrn das höchste Lob für die vorzüglichen Viehkäufe ausgestellt, so daß er über das ganze ehrliche Gesicht schmunzelte.

»Das Hallische Vieh ist famos, Meister«, rief Kerlchen, »aber das nächste Mal woll'n wir's mit Glankühen versuchen, 3000 Liter Milch im Jahr, und die Ochsen vorzüglich im Zuge und zur Mast.«

Herr Krone ließ das Stückchen Käse fallen, das er gerade auf sein Nachtischbrötchen legen wollte. »Ich hab Ihnen immer für ausbündig klug gehalten, Frau Baronin, aber so'n Rindviehverstand bei 'ner blutjungen, schönen Frau bringt einen beinah aus der Contenanxe.«

»Ja, das sagen Sie wohl«, lachte der Gutsherr und dann erzählte er dem Aufhorchenden, was sein Kerlchen alles leistete, und wie es auch heute der kranken Kuh das Leben gerettet habe.

»Ein T – –« (Teufelsmädel, wollte Herr Krone ausrufen), verbesserte sich aber noch rechtzeitig und rief: »Teufelsbaronin! Das hat sie von mir, Unerschrockenheit in allen Dingen.«

Dann wollte er sich noch über kranke Kühe im allgemeinen und die Trommelsucht im einzelnen auslassen, aber Frau Oberst Schlieden hob die Tafel auf und schnitt das Gespräch glatt ab.

Der Kaffee wurde auf der breiten Terrasse serviert; kühl und schattig war es da, denn die dichten Tannen wehrten die Sonne ab.

Aber wie sich die Geisterchen des guten Weines allgemach verflüchteten, kam auch die Sorge wieder in das Herz des ehrlichen Krone. Ganze Monologe hielt er bei der trefflichen Zigarre, die ihm der Gutsherr gereicht hatte.

»Nee, nee die Frauenzimmer, die sind unsereinem doch iber. Was das Fräulein nur rausgetiftelt hat, daß ich nach Rotbach mache? Na Krone, da biste aber neingesegelt, nunne heißt's, morjen abreisen, uff'n Vesuv, wenn's nich annersch is.« Die gute Zigarre verfehlte aber doch nicht, eine beruhigende Wirkung auszuüben, – und das Bündelchen Glück, das ihm gegenüber saß und »Kerlchen und Fritz« hieß, war doch ein gar zu lieber Anblick, nicht minder das durchgeistigte, vornehme Gesicht der Frau Oberst, dessen feines Profil sich scharf von dem grünen Hintergrunde abhob.

Die Augen der zarten Frau waren träumerisch ins Weite gerichtet, und ihre Gedanken weilten ganz wo anders – – gewiß bei dem, den sie so sehnlichst herbeiwünschte, damit er das Glück der Kinder mit seinen leiblichen Augen sehe. –

So hielten die vier verschiedenen Menschenkinder ihre Siesta: Meister Krone erst grübelnd, dann beschaulich, Frau Oberst sinnend, Fritz und Kerlchen – miteinander flüsternd.

Und als nach einer halben Stunde vom Park her die hohe, behaglich-gewichtige Gestalt des Fräuleins von Hartwig herankam und die Treppe zur Terrasse emporschritt und endlich vor ihnen stand, da war nur die arme Tante Laura zur Salzsäule erstarrt, denn Meister Krone hatte sich längst siegreich gefaßt, streckte ihr beide Hände entgegen und fragte laut und sehr höflich: »Gnädiges Fräulein Laura, haben Sie sich endlich von der Trommelsucht erholt?«

Kerlchen stand am anderen Morgen mit einem Brief vor Fritz in dessen Arbeitsstube.

»Ist es dir auch wirklich recht, Friedel, wenn Bümi kommt? Du bist immer so gut und liebenswürdig, sagst immer ja, und auf die Art ist dein Haus immer voll.«

»Hotel Rumohr,« lachte Fritz. »Aber Kerlelein, laß sie nur kommen, alle, alle! Sieh, die haben dir doch alle mal Gutes getan und sind mir schon deshalb lieb und wert, auch wenn sie noch zehnmal wunderlicher wären, als dein Schlachterfreund Krone.«

» Herr Rentier Krone, Fritz.«

»Ach ja, das vergesse ich immer wieder.«

»Ist dir sein Besuch sehr lästig, Friedel?«

»Es geht für'n Schaltjahr. Nein, nein, Liebes, ich scherze nur. Er ist ein ganzer Mann. Hab' gestern wieder mit ihm übers Vieh beraten, er hat mir vorteilhafte Quellen angegeben, und sein Geschäft nimmt auch immer größeren Aufschwung, weil der »Newö« Bähr sich mit aller Kraft ins Zeug legt – –«

»Der sollte auch mal mein Mann werden, Friedel.«

»Du Armes! So verlassen kamst du ihnen vor? Aber sie haben's alle auf ihre Art gut gemeint, und ich durfte unverdient den süßesten Lohn einheimsen.«

»Du bist auch der Beste, der Allerbeste!«

»Nun, wenn's mein Kerlchen sagt, das mich mit Zärtlichkeit gerade nicht verwöhnt – –«

»Friedel!«

»Jawohl, du Scheues!«

Aber zum Zeichen, wie unrecht er hätte, legte Kerlchen freiwillig beide Arme um seinen Hals, und es trat eine kleine, liebe Kunstpause in ihren wirtschaftlichen Besprechungen ein.

»So Fritz, nun ist's genug!«

»Schade!«

»Wir müssen weiter beraten. Reist Freund Krone wirklich heute ab?«

»Er denkt nicht dran, Kerlelein. Mit Tante Laura ist es ja noch gar nicht richtig zum Tournier gekommen, sie haben wohl Waffenstillstand, und jedes fürchtet sich, den Leu zu wecken. Übrigens ist Krone heute kaltgestellt, Herr von Marliß hat ihn ausgeborgt, dem soll er ausmustern helfen und neues Vieh besorgen, Biestorp ist auch mitgefahren in die Kreisstadt.«

»Baron Biestorp gehört wohl auch mit zum Marlißschen Viehbestand?«

»Kerlelein! Das hab' ich ja gar nicht gewußt, daß du so spitz, so – –«

»Sag' nur ruhig › garstig‹ bist, Friedel. Aber ich kann mir nicht helfen. Alles dreht sich herum in mir, hör' ich nur den Namen. Der meint es gar nicht gut mit dir, Fritz, sogar gelacht hat er über dich – neulich – –«

»Das ist allerdings furchtbar! Aber er hat das so an sich, und du weißt ja, wen man an zu vielem Lachen erkennt. Kerlelein, Kerlelein, ich fürchte, du überschätzest die Gefahr, die mir von diesem schwindsüchtigen Bengelchen droht.«

Kerlchen sah Fritz an, und er zog es stürmisch an sein Herz.

»Tränen in meinen Blauaugen? Und ein angstvolles, scheues Gesichtchen? O du! Wie mich deine liebe Sorge beglückt! Und ich verspreche dir feierlich, auf der Hut zu sein. Bist du beruhigt, Herzlieb?«

»Ich will's versuchen, Friedel. Und nun weiter. Also meine Bümi darf kommen?«

»Selbstverständlich, und das schönste Fremdenzimmer bekommt sie.«

»Und du bekommst jetzt einen Kuß, Fritz, denn du bist zu gut.«

»Halt! Das muß erst notiert werden. Heute am 11. Juni gab mir Kerlchen von Rumohr, geborene Schlieden, ›von alleine‹ einen Kuß.«

»Nein Fritz – nun bekommst du keinen. Was du in der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück. Und dann, – meinen Kuß unter ›Rüböl und Leinsamen‹ zu notieren –«

»Kerlchen, liebes, so hör doch – –«

Aber Kerlchen war schon fort.

Und Bümi zog ein.

Sie war wieder ganz die alte, gesunde, hohe, stattliche Walküre. Von der schweren, mühsam überstandenen Krankheit des vergangenen Jahres sah man ihr nichts mehr an, nur ein ernster Zug war in ihr lebensfrohes, übermütiges Gesicht gekommen, der sie außerordentlich gut kleidete.

Nebenbei kleidete sie auch ein knappes, graues Tuchkleid gut, das ihre ebenmäßige Gestalt umschloß, und unter dem grauen Reisehut hinter dem blauen Reiseschleier blitzten ein paar wundervolle braune Augen.

»Nicht wahr, das ist ein Staat, Kerlchen,« lachte Bümi übermütig, als die beiden den Koffer auspackten und noch verschiedene »pikfeine« Sachen herausbeförderten. »Sieh, das verdanke ich alles einer verletzten Russin.«

»Was soll nun das wieder heißen?«

»Also eine bomben-steinreiche Russin reist nach Norwegen durch, verletzt sich beim Aussteigen leider Gott sei Dank den Fuß, wird zu Franz gefahren, dieser Gemütsmensch nimmt sie in Pflege, nach drei Tagen ist sie reisefähig und entledigt sich möhrörerer Rubel, die mein Franz natürlich nicht besser, als in einigen Kostümen anlegen konnte, die ich aus Kiel bezog. Nichts hebt das Selbstbewußtsein so, wie ein paar schöne, wirklich gediegene Kleider, besonders wenn man zwischen der freiherrlichen Verwandtschaft hin und her torkelt, – ich komme nämlich eben von Russee's.«

»Wenn du nur spotten kannst, Bümi!«

»Na, du konntest es doch früher auch, Kerlchen. Bist höllisch zahm geworden. Zunge rausstrecken is wohl nich mehr, he?«

»Nein, Bümi. – Aber ich kann dir sagen, es wird mir sauer. Oft ist es nicht zum Aushalten, und nicht etwa im Hause, im Stall, oder bei den Dienstleuten, – nein, in Gesellschaft.«

»Kunststück, – da geht es doch auch am dümmsten zu, und man wird richtig herausgefordert, ab und an jemandem zuzurufen: »Menschenskind, bist du so dumm, oder tust du nur so?«

»Ach das mag noch angehen Bümi, – Dummheit ist 'ne Gottesgabe, man muß sie nur nicht mißbrauchen, – aber die sogenannte Klugheit, die Überkultur – die ist viel schlimmer. Diese Ansichten! Alles hat sich verschoben –«

»Kerlchen, du redest wie'n Buch. So 'ne Sprache ist man an dir gar nicht gewohnt. Aber nur weiter, das ist ganz interessant, wie du dich auswächst.«

»Ach Bümi, mir ist nicht zum Lachen. – Am liebsten ginge ich gar nicht aus, sondern bliebe immer im Nestchen. Sieh, mein Fritz hat doch wahrhaftig genug durchgemacht und hätte seine Ideale einbüßen können – –«

»Na und du wohl nicht, tapferes Kerlchen?«

»Ach – ich meine, man hält sie dann doppelt fest, sie heben sich doch noch leuchtender von all dem Häßlichen in der Welt ab. Und Fritz hat sie auch alle behalten, und ich auch, und wir haben an den langen Winterabenden Schiller und Lessing, Reuter und Rosegger gelesen – ach und ich hab' ihnen für das Schöne viel tausendmal gedankt still für mich und den einzigen, noch lebenden in mein Gebet eingeschlossen.«

»Du glühst ja ordentlich, Kerlchen.«

»Ja, wer soll da nicht begeistert sein! Ach Bümi, wie oft sehne ich unsere Geselligkeit in Buchenwalde damals in alter, lieber Zeit herbei! Weißt du, wie wir da so viel Schönes lasen und dann wieder solch riesenstaudenhaften Unsinn machten? Und wie oft sind wir da ›schreckliche Mädchen‹ von naserümpfenden Basen genannt worden. Aber jetzt, – in den Gesellschaften, – da erzählt man sich so leise Geschichten, und wenn man nicht zuhört, dann ist man ›prüde‹, und das Schlimmste ist noch, daß man sie als Frau ›versteht‹, – als junges Mädel kann man ja viel mehr anhören. Und nicht wehren kann man sich, – ohne ausgelacht zu werden, eiskalt werde ich nur immer und strecke die Finger auseinander – –«

»Jawohl Kerlchen, diese sonderbare Dummheit von dir kenne ich.«

»Und all die greulichen Bücher, die in der letzten Zeit geschrieben worden sind, die werden so recht mit Wonne besprochen, all das grauenhaft Häßliche hervorgezerrt, und wenn man sagt, daß man nichts gelesen hat und nichts lesen will, da gucken sie einen mitleidig an und sagen: ›Doch, das muß man gelesen haben, der Wissenschaft wegen‹. Ich meine, das muß man nicht gelesen haben! Wie viel Millionen Bücher gibt es noch in der Welt, die schön, geistvoll und wirklich wissenschaftlich sind – die möchte ich erst alle einmal lesen, und ich glaub' – dann bleibt mir gar keine Zeit mehr zu etwas Häßlichem.

Aber weißt du, Bümi, wiederum versteh' ich die Welt von der anderen Seite nicht. Kommt nämlich mal so'n Witz vor, wie ihn kleine Kinder, solche enfants terribles machen, – so, – so – weißt du – –«

»Ja ja, ich versteh' schon, wo so'n bißchen die Verdauung mitspielt – –«

»Ja, na und die spielt doch beim Landwirt 'ne große Rolle, – dann gucken mich alle entsetzt an und finden es ›shocking‹, daß ich hell auflache, und halten sich ihre Taschentücher an die Nasen, die sie sich noch mit einem teuren Stinkstoff einkalfatert haben. Das Donnerwetter sollte dreinschlagen.«

»Kerlchen, so gefällst du mir, du bist doch ganz das Alte. Und deine übrige Philosophie ist gar nicht so dumm, wie sie aussieht. Hat sie dir Fritz aufoktroyiert?«

»Nein, die hab' ich aus mir selber, dumme Bümi. Aber laß Fritz nicht hören, wie du in Fremdwörtern herumwütest, sonst knöpft er dir noch das übrige Honorar von der verletzten Russin ab.«

»Ist er so, Kerlchen? Aber sonst? Bist du glücklich?«

»Ja Bümi, stolz und glücklich!«

»Wie deine Augen leuchten! Wie ich mich drüber freue! Ich fürchtete schon, – deine Klagelieder Jeremiä die Geselligkeit betreffend – – –«

»Ach du liebe Bümi, – in der Gesellschaft gibt's auch Prachtexemplare, Frauen, zu denen ich recht in die Höhe schaue und denke: So möchtest du sein! Das ist Frau von Landkirchen, Frau von Dinckwerder, auf Konte – o die mußt du kennen lernen, und dann Frau von Kernbach, – sie hat mich schon lange nach Zierenheim eingeladen.«

»Behüte! Was soll ich bürgerliches Wurm da?«

»Bümi! Und ich, was bin ich

»Du bist Freifrau von Rumohr-Rotbach auf Rotbach! Donnerhagel, wie das tönt. Ich würde das ›Schlieden‹ einfach verleugnen, anstatt es immer auf der Visitenkarte hinzubrezeln, ›as sühst mi woll‹.«

»Das glaubst du ja selbst nicht, du vernagelte Bümi.«

»Einerlei! Mich machen deine vielen Freundinnen ›von, auf und zu‹ koppscheu.«

»Oho, noch lange nicht, da ist die Portion gesunde Frechheit zu groß, die dir der liebe Gott in die Wiege gelegt hat.«

»Höflich bist du nicht, Baronin Aufundzu. Macht nichts. Meine Sachen hast du wenigstens hübsch eingeräumt, und nun wollen wir zum Essen hinuntergehen. – Weißt du übrigens, was ich zum Kreischen finde – –?«

»Bitte kreisch nicht, Muusch ist etwas nervös. Na und was?«

»Deinen Schlachterfreund an Eurer aristokratischen Tafel.«

»Nimmst du Anstoß daran?«

»Schaf!«

»Ich sehe, du bist immer noch deutlich. Aber nun komm!«

»Sag noch rasch, – ißt er mit dem Messer?«

»Wer?«

»Nun der Schlachter.«

»Hm – – ja!«

»Das mußt du ihm abgewöhnen.«

»Das wollt' ich auch. Ich hatte neulich den kleinen Verwaltersjungen mit bei Tisch; der fuhrwerkte natürlich mit dem Messer herum, und als ich's ihm verbot und felsenfest glaubte, auf diese zarte Art gleich meinen alten Freund mit zu erziehen, sagte er: »Gucke Anton, das mußte dir ein fer alle Male merken, nie mit'n Messer 'neinfahren, schneid'st dir ja 's Maul auf, – das dürfen nur Große tun

Nun kreischte Bümi doch, und Kerlchen zog sie heftig die Treppe hinunter ins Speisezimmer.

»Einfach feudal«, bemerkte Bümi und sah sich hochbefriedigt in dem hohen, dunkelgetäfelten Raume um. Dein Mann ist wohl ein großer Jäger?«

Kerlchen betrachtete voll Stolz die herrlichen Geweihe.

»Ja, er ist ein echter Weidmann und ein großer Tierfreund. Er haßt Wilddiebe und Dohnenstiege Eine Dohne ist eine Fangschlinge unterschiedlicher Bauart. Oft wurden Dohnen in großer Zahl einen Waldpfad entlang an den Bäumen befestigt. Dies bezeichnet man als Dohnensteig oder Dohnenstieg, gottlob, ich glaub', auf unserm ganzen großen Gut ist kein Tierquäler!«

»Wenn von deinem Manne die Rede ist, Kerlchen, dann schlägst du einen ganz besonderen Ton an, – der klingt so warm – – so – so – na – ich meine aber, das ist auch Tierquälerei von ihm, uns so lange auf's Essen warten zu lassen. Mein Magen muß aussehen wie so'n Kinderluftballon für zehn Pfennige, und zwar, nachdem man acht Tage damit im Zimmer gespielt hat.«

»O! – deine Phantasie, Bümi –«

»Befindet sich gottlob immer noch im blühenden Zustande, doch da kommt Fritze Stieglitze von Rumohr-Rotbach. Lupus in fabula. Fremde Zitate aus dem Hebräischen sind doch erlaubt, Herr Baron.«

»Gewiß, meine gnädigste Frau! Na, was habt ihr denn heute schon für Dummheiten ausgeheckt, ihr zwei, besonders du, Base Bümi!«

»Der Nachsatz verdient Verachtung. – Aber ich bin starr. In solchen Ausdrücken bewegt sich dein Tip-Top-Baron? Kerlchen – –«

»Ja, ich bin ganz anders geworden, – gelt Bäschen? So übermütig, – bin so unmenschlich glücklich!«

Bümi reichte ihm beide Hände hin.

»Wie mich das freut, nein wie mich das freut. Ihr beiden lieben Menschen!«

Ihre Augen schimmerten feucht.

»Nun es ist ja auch kein Wunder. Sieh doch, Bümi, mein Kerlchen, hast du jemals so was gesehen?«

»Ich glaube nicht, aber wenn ich jetzt kein Fleisch bekomme, knabbre ich euch beide an, appetitlich genug seid ihr.«

»Ich danke verbindlichst für das Kompliment.«

»Fritz dankt gleich in meinem Namen mit, und nun kommt die Suppe, und da sind auch Muusch und Tante Hartwig.«

Bümi fiel wie ein ausgehungerter Wolf über alles her.

»Genier dich nicht, liebes Kind,« redete Frau Oberst Schlieden ihr lächelnd zu, »wir essen hier alle wie die Scheunendrescher.«

»Ach – so'n bißchen scheu ist man doch, wenn man den ersten Tag zu Besuch ist,« sagte Bümi und nahm sich das vierte Stück Braten.

Die andern lachten.

»Also dürfen wir morgen hoffen, daß dein Gleichgewicht wieder hergestellt ist?« erkundigte sich Fritz.

»Vielleicht. Munke betrachtet mich immer als Einquartierung.«

»Wieviel hatten Russees das letzte Mal?«

»Einen General, seinen Adjutanten und zwanzig Mann.«

»Alle Hagel, da giltst du ja viel.«

»Ja und ich habe auch in ihr Fremdenbuch geschrieben: ›Eine gesunde Seele kann nur in einem satten Körper wohnen.‹«

»Das war etwas frei – – –«

»Meinethalben. Und darunter schrieb ich: von Freßleben, Exzellenz, zugleich im Namen seines Adjutanten und der gesamten Mannschaft.«

Tante Laura sah mit frohen Augen auf die plaudernde und kauende Bümi.

»Sie sind eine Sonnennatur, liebe Frau Doktor Schirmer,« sagte sie herzlich, »ist Ihr Mann ebenso?«

»Mein Franz? – – Wir sind ganz verschieden, er ist mehr so wie Fritz Rumohr, aber gerade deshalb hat er mich genommen und nicht – – –«

»Den Fritz von Rumohr,« fiel Kerlchen ein, »nein, der nahm mich.«

Es hatte nicht so recht zugehört und glaubte etwas ganz Gescheites gesagt zu haben.

»Kerlchen, bei dir scheint ein gutes Essen etwas lähmend aufs Gehirn zu wirken,« bemerkte Bümi.

Sie waren beim Nachtisch angelangt, knackten noch ein paar Nüsse und schlenderten dann auf die Terrasse, wo stets der Kaffee getrunken wurde.

Frau Oberst Schlieden und Tante Hartwig zogen sich zurück, um ein Nickerchen zu machen. Fritz und Kerlchen setzten sich auf ein Extrabänkchen, das gerade nur für zwei und zwar nur für zwei, »die sich gut sind«, berechnet war.

»Kinder, tut das nicht,« flehte Bümi. »Rumohr, steck' dir lieber 'ne Zigarre an, dann kommst du nicht auf dumme Gedanken. Sobald ihr euch anhaltend küßt, reise ich ab, denn ich bin Gemütsmensch.«

»Redet doch nicht so dummes Zeug,« rief Kerlchen, und streckte sich recht behaglich, »man kann gar nicht denken. Wenn man satt ist, denkt es sich so schön. Ach, wie ist unser Rotbach schön«, rief es plötzlich jubelnd aus. »Wir sind lange nicht dankbar genug. O wie wonnig ist's bei uns, so gemütlich und so hübsch allein – –«

»Nun eine Hymne auf die Einsamkeit kannst du dir sparen, Kerlchen,« raunte Bümi. »Wenn mich nicht alles täuscht, kommt da eine Herde angegangen, – Gott soll mich bewahren, wollen die alle zu euch?«

Fritz und Kerlchen drehten ihre Köpfe nach der bezeichneten Richtung.

»Natürlich wollen sie zu uns,« seufzte Fritz. »Ade süßes Nachmittagsstündchen! Ade süßes, liebes, liebes Kerlelein! – Guten Tag, Herr von Marliß, guten Tag, meine gnädigste Frau.«

Er ging den Heranschreitenden langsam entgegen, Kerlchen und Bümi erwarteten die unvermuteten Gäste auf der Terrasse.

»Herr von Marliß und Frau Gemahlin, – unsere lieben Nachbarn in ›Steinbrücken‹, Herr Baron von Biestorp, Frau von Heyken,« stellte der Gutsherr vor, nachdem er seine eigenen Gäste genannt hatte. Frau von Heyken nahm ihre langgestielte Lorgnette zu Hilfe, um sich die stattliche Bümi, » nur Frau Dr. Schirmer?« gründlich zu besichtigen. Wie stolz die Figur der jungen Frau aufragte, da mußte etwas blaues Blut drin stecken.

»Wo haben Sie meinen Freund Krone gelassen?« wendete sich Kerlchen an Herrn von Marliß.

» Ihren Freund?« lächelte die ältliche Frau von Heyken. »O Gott, Herr Baron, Ihre liebe, junge Frau Gemahlin ist zu originell und scherzhaft. Und was sagen Sie zu dieser Freundschaft, Baron?«

»Ich freue mich, daß der brave Mann sie verdient. Er kennt meine Frau von ihrem ersten Lebensjahre an.«

»Ich weiß aber immer noch nicht, wo er steckt,« fiel Kerlchen etwas heftig ein, – »Herr von Marliß – –«

»Meine Gnädigste, – er ist gut aufgehoben. Der Pfarrer von Steinbrücken, unser guter Superintendent hat ihn mir entführt, um ihm einige Neueinrichtungen in Schule und Kirche zu zeigen, gegen Abend will er ihn selbst herfahren.

Übrigens habe ich ein brillantes Geschäft mit Herrn Krone gemacht, – lieber Baron, das ist eine Goldquelle für uns, – er versteht eine Masse, rät gut und vollkommen uneigennützig, und besitzt außerdem eine gute Portion Taktgefühl, – als er merkte, daß er überflüssig sei, empfahl er sich unauffällig, und wir sahen ihn nachher im Pfarrgarten und hörten, daß er noch in Steinbrücken bleiben wolle.«

Kerlchen sprang hastig auf, aber ein bittender und zugleich ernster Blick des Gutsherrn bannte es wieder auf seinen Platz. Zugleich traf ihn aber selbst ein so flehender Blick aus ihren Augen, daß er in schnellem Erfassen der Situation die Kaffeetafel aufhob und den Herrschaften vorschlug, noch ein wenig im Gut und Park herumzuwandern.

»Die haben ihn gewiß gekränkt,« flüsterte Kerlchen ihrer Bümi zu, während die Fremden die Treppe hinabschritten, »o ich kenne dieses hochmütige Nasenrümpfen und Lippenziehen.«

»Kerlchen, reize mich nicht noch,« rannte Bümi. »Mir wuchsen Krallen, kann ich dir sagen, als Frau von Heyken ihre Lorgnette auf mich richtete, habt ihr nicht einen See in der Nähe? Kann ich sie mal untertauchen?«

»Kommen Sie, kommen Sie, liebste Baronin.«

Frau von Heyken legte ihren Arm in Kerlchens Arm und zog es mit sich fort, Baron Biestorp und Bümi folgten. Die anderen waren schon voraus.

»Sagen Sie mir, einzige Beste,« – Frau von Heyken dämpfte mühsam ihre laute, etwas heisere Stimme – »geht es nicht ein klein bißchen arg bürgerlich bei Ihnen zu? Ach Gott, mißverstehen Sie mich nicht, Einzige.« – (Kerlchen hatte mit etwas heftigem Ruck seinen Arm aus dem ihren gezogen) – »so ein blutjunges Frauchen kann nicht vorsichtig genug in seinem Umgang sein.«

»Ich – ich – ich weiß schon, was ich tue,« sagte Kerlchens sehr blasser Mund, »ich verstehe Sie überhaupt gar nicht, Frau von Heyken.«

»O, o, o, nicht heftig werden! Sehen Sie – da ist die Affäre mit dem – hm – eh – hm Krone. Ein unmöglicher Mensch! Er wurde mir vorgestellt, – er schüttelte mir die Hand, ermir.«

»Nun, – wollten Sie sie ihm schütteln, Frau von Heyken?«

»O liebe Baronin, mir ist gar nicht scherzhaft zu Mute. Dieser Mensch war also den ganzen Vormittag mit uns zusammen, und als ich ihn frage, wo er denn eigentlich abgestiegen wäre, sagt er mir: ›In Schloß Rotbach‹. Ich dachte, mich rührte der Schlag. Und von Ihrem Herrn Vater sprach er wie von seinesgleichen, immer von ›Oberst Schlieden selig‹ schlichtweg.«

»Mein Väterchen war ja auch Oberst Schlieden schlichtweg.«

»Nun, ich meine doch, er war Freiherr von Schlieden-Wartenegg und heiratete die junge Baronesse von Kronshagen aus dem Hause Mühlenweg.«

»Nein, so ganz stimmt das nicht,« berichtigte Kerlchen, »nur mit Muusch ist das richtig, die ist arg blaublütig – –«

»Das sieht man ihr an, eine herrliche, echt vornehme Dame.«

»Da muß ich doch sehr bitten, – das heißt natürlich: Muusch ist das, und die Kronshagens und die Mühlenweger waren alle Prachtkerle – aber mein Väterchen, – haben Sie überhaupt mein Väterchen gekannt?«

»Ich hatte nicht das Vergnügen.«

»Nun ich weiß nicht, ob es für Sie ein Vergnügen gewesen wäre,« entgegnete Kerlchen in sehr unhöflichem Tonfall. »Väterchen redete gern deutsch. Und er war nicht adlig von Geburt, wir sind nur aus dem Stamme Wartenegg aber sonst eine verarmte, bürgerliche Seitenlinie.«

»O, – o, – das wußte ich nicht. Wie merkwürdig, daher Ihre Vorliebe für hm – bürgerliche Elemente,« hüstelte Frau von Heyken. »Sie wissen wohl auch, daß Frau von Kernbach-Zierenheim bürgerlich ist, Sie sind ja befreundet?«

»Jawohl, geborene Knudsen, Zigarren en gros, Bremen,« trumpfte Kerlchen mit trotziger Miene und einem Ton, als sei es selbst Handlungsgehilfe dieses großen Geschäftes.

»O – o – o – Sie entschuldigen mich wohl, ich möchte mal einige Worte mit Ihrem Herrn Gemahl plaudern.«

Kerlchen stand allein, aber nur eine Minute. Ein Schatten fiel über den Weg, und Baron Biestorp ging plötzlich neben ihm.

Er hatte ein leises, gleitendes Gehen an sich und konnte plötzlich wie aus der Erde gewachsen vor einem stehen. Frau von Marliß behauptete, er könne an zwei Orten zugleich sein.

Kerlchen überfiel wieder das sonderbare Frösteln, das sie immer in der Nähe dieses Menschen empfand, und worüber es sich selbst tüchtig ausschalt.

Ein ›nervöses Kerlchen‹?

Das waren doch zwei Worte, die gar nicht zusammen paßten.

»Wie man nur von ›Stammbaum‹ reden kann, wo soviel Schönheit und Eigenart das Szepter führen,« flüsterte Baron Biestorp.

»Sind Sie heiser?« fragte Kerlchen laut. Er zuckte nervös zusammen.

»Gnädigste Baronin sind von einer Schroffheit gegen mich, die mir unverständlich ist,« sagte er in demselben halblauten Ton. »Denn Sie haben mir doch gleich an dem ersten Abend, da wir in Rumohr zusammen kamen, wiederholt versichert, daß Sie mir nicht meinen damaligen faux pas, der mir selbst am schmerzlichsten ist, übelgenommen haben.«

»Gar nichts habe ich Ihnen versichert, Herr Baron von Biestorp,« rief Kerlchen heftig, »sondern hab' nur auf Ihr immerwährendes Quälen hin, doch ›wieder gut‹ zu sein, Sie angeschrieen: »Ja doch – ich bin ja gut!«

»Wirklich? Wie mich das beglückt!«

»Ach, so meine ich's natürlich gar nicht, – die Sache war mir einfach zu dumm; ich kann's nicht leiden, wenn jemand um eine längst abgetane Sache so jault.«

»Gnädigste drücken sich etwas – – hm – originell aus. ›Jaulen‹ sagt man sonst nur von – –«

Kerlchen schwieg.

»Aber bei Ihnen ist alles reizend, ursprünglich, frisch, keck, – – o sehen Sie mich nicht so finster an, oder meinetwegen auch, – es steht Ihnen ja alles, aber geradezu bezaubernd ist es, wenn Sie ein träumerisches Gesichtchen machen, wie neulich Abend bei Hoffkirchens.«

»Das war nicht träumerisch, ich hatte Hunger.«

»Aber doch gewiß nicht den ganzen Abend nach dem vorzüglichen Diner, und doch saßen Sie allein hinter den grünen Schlinggewächsen und blickten träumend in den Mond.«

Kerlchen dachte wohl daran, es hatte damals das Eis ziemlich rasch heruntergegessen und vorher recht verschiedene Saläter – – aber es schwieg. Kerlchen war ja so entsetzlich vernünftig geworden seit seiner Heirat und überlegte immer erst, ehe es etwas aussprach.

»Sehen Sie, ich hatte recht,« triumphierte Baron Biestorp, »wie sollte auch so ein liebliches Wesen – –«

Er schrie auf.

Kerlchen war mit einem unendlich kühnen Satz in den Kahn gesprungen, der im See schaukelte, und nun recht bedenklich kippte.

Mit fester Hand ergriff es die Ruder und gewann mit ein paar sicheren Schlägen die Mitte des Sees.

»Aber Frau Baronin – halten Sie an, – ich komme ja mit,« rief Biestorp erschrocken und ärgerlich.

»Das fehlte noch,« rief Kerlchen zurück und dann ruderte es rasch vorwärts, der Baron konnte durch sein scharfes Glas sehen, wie der geschmeidige, junge Körper sich dehnte und streckte bei der gesunden Arbeit.

An der nächsten Biegung lenkte es den Kahn ans Land, befestigte ihn an einem Pfahl und sprang leichtfüßig ans Ufer.

Mit einem leisen Fluch stampfte Biestorp den Boden und schritt dann rasch der Gesellschaft nach.

»Nun Baron, wieder mal abgeblitzt?« lachte ihm Frau von Marliß entgegen.

»Abgeblitzt? Verstehe nicht. Woran wollen Gnädigste das sehen?«

»An der Art, wie Sie Ihren Schnurrbart malträtieren.«

Der Baron schwieg.

»Und an Ihrer weißen Nase, die so seltsam von Ihrem zorngeröteten Gesicht absticht. ›Ich kenne ja jeden Zug in dem lieben Antlitz‹, wie es immer so schön in Romanen heißt.«

Frau von Marliß lachte ausgelassen.

»Sie sind ja heute in sehr angeregter Stimmung,« bemerkte Biestorp bissig.

»Bin ich auch. Sie wissen, – ich kann Sie gerade nicht übermäßig leiden, und daß unsere kleine, süße Rumohr denselben Geschmack besitzt, wie ich, macht mir außerordentlichen Spaß – schon lange.«

»So! Es gab aber doch eine Zeit, in der Sie mich – hm – ›übermäßig leiden‹ mochten.«

»Daß Sie mich daran erinnern, Baron, zeugt aufs neue von Ihrer außerordentlichen Ritterlichkeit. Ich habe noch keinen Ehrenmann gekannt, der die Dame, die er liebt, – oder geliebt hat, nannte

»Meine gnädigste Frau, Sie besitzen eine außerordentliche Phantasie, wer weiß, was Sie sich alles ausmalen. Brechen wir das Gespräch ab.«

»Das Beste für Sie,« entgegnete Frau von Marliß spöttisch. »Aber merken Sie sich, die junge Frau von Rumohr steht von jetzt ab unter meinem Schutz.«

»Ha, ha, ha.«

»Lachen Sie immerhin. Ich bin vielleicht ein etwas leichtsinniges Huhn – geb's zu, – aber vor ›Kerlchen‹ mache ich Halt und ich hab's beobachtet, selbst den geriebensten Burschen hält ›so was‹ im Zaum. Sie natürlich nicht, Sie sind aber auch 'ne ganz besondere Spezies homo sapiens«

»Welche Feindseligkeit, meine Gnädigste. Ist denn nichts aus früheren Tagen zurückgeblieben?«

» Nichts, Sie echter chevalier. – Als Sie damals – Gott wie lange ist das schon her – an dem Vormittage zu meiner verwitweten Mutter kommen wollten, um sich mit mir zu verloben, und aus Versehen ein paar Häuser weiter gingen und sich mit der reichen Kornhändlerstochter versprachen – da – –«

»Mein Gott, das Wasser stand mir bis an den Hals.«

»O bitte, bitte – Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich danke ja jetzt noch jeden Abend ganz kindlich dem lieben Gott, daß er mich vor Ihnen bewahrt hat.«

»Wie rührend.«

»Ja, und besonders rührend war s, daß ich so wundervoll gerächt worden bin. Die dicke Kornhändlersmaid, (o, Sie waren ein klassisches Brautpaar) ließ hinwiederum Sie sitzen.«

»Gnädigste sind merkwürdig bewandert in meinen Erlebnissen. Das zeugt doch von tiefem Interesse an meiner Person.«

»Ihre Eitelkeit täuscht Sie, Baron; ich liebe für mein Leben Skandalgeschichten. – Aber da kommt die ganze Gesellschaft schon zurück, das ›Kerlchen‹ ist wieder dabei. Leben Sie wohl, Baron und – merken Sie sich's.«

Sie warf ihm lachend einen Handschuh vor die Füße, und er hob ihn trotzig auf und steckte ihn ein.

»Meine Herrschaften,« rief Frau von Heyken ihnen entgegen, »der Herr Baron von Rumohr hat uns aufs herzlichste für heute abend eingeladen.«

Sie vergaß hinzuzusetzen, daß eigentlich sie sich selbst nebst Begleitung ›aufs herzlichste eingeladen‹ hatte.

Kerlchen sah erschrocken seinen Fritz an, er nickte ziemlich wehmütig lächelnd.

»Lieber Baron Rumohr, machen Sie nicht ein so strahlendes Gesicht,« lachte Frau von Marliß, der auch nicht das Kleinste entging, »wir glauben es Ihnen auch so, daß Sie uns viel lieber ›gehen, als kommen sehen‹.«

Fritz erhob verbindlich abwehrend beide Hände.

»Doch, doch! Ich bitte Sie, Sie stecken ja noch knietief in den Flitterwochen. Aber heute werden Sie uns tatsächlich noch nicht los. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß Ihr teurer Onkel, der holsteinische Waldbär, Ihren Keller hat neu einrichten lassen und zwar, wie das Vöglein sang: ›Veuve Cliquot‹.«

»Das Vöglein muß unmusikalisch gewesen sein, gnädige Frau, es muß 'ne Oktave tiefer gestimmt werden: ›Deutscher Schaumwein‹,« berichtigte Fritz.

»Ach, das sagen Sie so. Ich werde selbst nachsehen.«

»Melanie!« warnte ihr Gatte.

»Ach, seid nicht langweilig – ich will heute Sekt trinken, die Vergangenheit ist lebendig geworden, die muß wieder in Vergessenheit getaucht werden.«

»Ich wußte gar nicht, daß gnädige Frau eine – Vergangenheit hätten,« raunte Biestorp und stand wieder wie aus der Erde gewachsen neben Frau von Marliß.

Sie sah ihn an und nun verfärbte auch er sich doch ein wenig vor diesem Blick unverhohlenster Verachtung.

»Ach bitte, streiten Sie sich doch ja nicht mit meinem Mann, liebe Frau von Marliß,« rief Kerlchen seelenvergnügt, – » ich habe nämlich die Weinkellerschlüssel unter meiner Obhut.« –

»O Liebste, dann lassen Sie uns eilen – –«

»I wo doch. Ich gebe die Schlüssel ja gar nicht raus. Onkel Rumohrs Sekt muß mit Verstand getrunken werden.«

Sie lachten alle, daß der letztere ihnen so rundweg abgesprochen wurde, aber Kerlchen blieb seelenruhig bei dem erneuten Ansturm auf das Schlüsselbund.

»Den guten Mosel und 'ne Flasche Pontet Canet,« sagte es bestimmt. »So ist es neulich in den Statuten bestimmt worden. Sekt soll es nur bei freudigen Anlässen geben.«

Erneutes Gelächter.

»Ihre Frau Gemahlin wird immer höflicher,« spottete Herr von Marliß. »Und was halten Frau Baronin für ein ganz besonderes, festliches Ereignis?« fragte er Kerlchen schalkhaft.

»Wenn ich mit Fritz allein bin,« sagte es ganz ernst.

»Es ist doch ein herziges Geschöpf,« flüsterte Marliß seiner Frau zu, aber diese hörte nicht darauf, sie beobachtete Biestorp und erschrak vor dem Blick, den dieser auf Kerlchen heftete.

»Also – wir haben es jetzt selbst vernommen, wie herzlich uns das Ehepaar Rumohr eingeladen hat,« lachte sie gleich darauf. »Auf nach Valencia!«

Frau Oberst Schlieden machte ein etwas ängstliches Gesicht, als die ganze Gesellschaft wieder anrückte. Sie hatte sich beizeiten aus dem Parke in ihr stilles, grünumranktes Altenteil zurückgezogen und saß nun mit dem Pfarrer von Steinbrücken und dem Schlachter Krone in ihrem gemütlichen Wohnzimmer, dem das lebensgroße Ölbild des verstorbenen Gatten das Gepräge gab.

Herr Krone hatte sich sehr fein gemacht, einen langen, schwarzen Gehrock angezogen und eine weiße Binde umgelegt, so daß er mit seinem bartlosen, freundlichen Gesicht ebensogut für einen dörflichen Pfarrherrn gelten konnte.

Aber er trug seine »erste Garnitur« nicht mit derselben Unbefangenheit, wie der Herr Pfarrer, er sah scheu und gedrückt aus.

»Wir waren auch schon im Pfarrhause Rumohr Rotbach!, Frau Oberst,« meinte der Pfarrer. »Aber mein lieber, alter Amtsbruder ist doch schon recht schwach, ich fürchte, da steht Ihnen bald ein Verlust bevor. Umsomehr freute ich mich, ihm eine Aufmunterung in Gestalt des Herrn Krone bringen zu können.«

Meister Krone winkte matt abwehrend.

»Doch, doch,« rief der Pfarrer freundlich bestätigend, und Frau Oberst Schlieden reichte dem Meister die Hand und sagte herzlich:

»Sie sind ein guter Mensch.«

Er beugte sich unbeholfen und linkisch über die feine, weiße Hand, als wollte er sie küssen, unterließ es aber.

»Ich werde morgen zu Pfarrers hinübergehen und mich nach dem alten Herrn und Fräulein Gretchen umsehen,« sagte Frau Oberst Schlieden warm. »Ich weiß, die liebe Lehrersfamilie nimmt sich recht ihrer an, aber es tut ihr vielleicht auch gut, wenn ein kleiner Trost von uns kommt.«

»Gewiß, gewiß,« beeilte sich der Pfarrer zu sagen, »es ist nur schade, daß Fräulein Margarethe so wenig trostbedürftig ist, – sie ist mir eigentlich zu sehr self made woman für eine Pfarrerstochter.«

»Wieder einer, der gegen die neuen ›streitbaren Weiberchen‹ wettert,« lächelte Frau Schlieden.

Sie unterhielt sich gern mit Pfarrer Truling. Er besaß ein reiches Wissen, das nicht nur Bücherweisheit war, denn er war als Hauslehrer weit durch die Welt gekommen und hatte für alle Vorkommnisse ein offnes Auge.

Dabei hatte er sich eine große Zartheit im Wesen bewahrt, das die Männer oft haben, die nur von einer Mutter erzogen worden sind.

Pfarrer Truling hatte seine alte Mutter vor Jahresfrist begraben, jetzt führte ihm seine ältere Schwester den Hausstand.

Der etwa achtunddreißigjährige Mann war unverheiratet.

Die Tür öffnete sich sacht, Kerlchen schaute herein und lief auf ihre Mutter zu.

»O, wie gemütlich ist's bei dir, du Liebes! Guten Tag, Herr Pfarrer, guten Tag lieber Meister Krone. Ach, denk dir, Muusch, sie bleiben alle, alle bei uns, ich hab ganz vergeblich abgewunken.«

»Es lebe die Gastfreundschaft,« rief der Pfarrer humorvoll.

Kerlchen sah ihn erschrocken an.

»Nein, nein, liebe Frau von Rumohr, ich scherze nur. Schloß Rotbach ist mustergültig für Gastfreundschaft, aber Ihr Stoßseufzer kam eben so aus des Herzens Grunde.«

»Das kam er,« bestätigte Kerlchen.

»Und ich gehe nun auch sofort,« lachte der Pfarrer.

»Nein, nein, daraus wird nichts, ich bin zu froh, daß Sie hier sind, und ihr kommt nun allesamt mit hinüber, wo die andern bereits hungern.«

»Aber mich entschuldigst du wohl, Herzenskind, nicht wahr?«

»Ist dir nicht gut, mein Muusch?«

»Doch, doch, nur greift mich das Sprechen zu sehr an; Frau von Heyken und die kleine Marliß sind nicht gerade die leisesten.«

»Und ich geh auch nicht mit,« sagte Meister Krone etwas kläglich, »ich – ich möchte abreisen.«

» Was wollen Sie?«

»Abreisen.«

Kerlchen stellte sich dicht vor ihren alten Freund hin.

»Jetzt sagen Sie mir im Augenblick, was man Ihnen getan hat,« rief es leise, aber eindringlich, während die beiden andern ein neues Gesprächsthema aufnahmen.

»Nichts hat man mir getan – gar nichts. Nur – – ich bin wieder nötig in Schwarzhausen.«

»Da sagen Sie die Unwahrheit, Meister Krone, und das ist gar nicht hübsch von Ihnen.«

Kerlchen stand mit aufgehobenem Finger und sehr würdigem Gesichtchen vor dem alten Freunde.

»Wenn Sie meinen, liebes Baroninchen, dann will ich ja auch nicht lügen und kann ja dann auch noch dableiben.«

»Ja, besonders deshalb, weil vor morgen gar kein Zug geht. Und erfahre ich nicht – –?«

»Nein, mein liebes Frauchen, da wolln mer lieber nich driber reden, das wird bloß schlimmer, wenn mer's so ausmährt.«

»Gut, und kommen Sie nun mit hinüber?«

»Herr Rentier Krone wird bei mir speisen,« entschied Frau Oberst Schlieden in ihrer feinen, liebenswürdigen Art. »Ihr werdet doch die ›Muusch‹ nicht allein lassen?«

Kerlchen umarmte sie zärtlich.

»Du weißt immer das Beste,« sagte es bewundernd, schüttelte dem Freund Krone herzlich die Hand und verließ mit dem Pfarrer das trauliche Altenteil.

Drüben im Herrenhause saß die Gesellschaft sehr laut und lachend beisammen.

»Endlich!« schrie Frau von Marliß. »Wir glaubten schon, Sie wären mit Herrn Krone durchgegangen.«

»Nein, aber er wäre beinahe uns durchgegangen und abgereist.«

»Welch' ein Verlust für die Gesellschaft wäre das gewesen!« rief Frau von Heyken.

Und leiser wandte sie sich an Frau von Marliß: »Nun schleppt sie uns auch noch den Pfarrer heran, – die Rumohrs sind zu altmodisch, sogar beten tun sie noch bei Tische.«

Frau von Marliß lachte leise auf.

»Sie meinen wohl, wir hätten das Gebet nötiger, als die braven Rumohrs.«

Ärgerlich schüttelte Frau von Heyken den Kopf.

Mit der Marliß war heute nicht gut Kirschen essen.

»Wo ist Krone?« fragte Bümi Kerlchen. »Ich möchte ihn zum Tischnachbar haben.«

»Der Brave ist bei Mama.«

»Kann man sich nicht auch ins Altenteil retten?«

»Das fehlte noch, ich brauche deinen Schutz.«

»Na, denn man to. Wenn ich aber an unterdrückten Wutanfällen zugrunde gehe, dann mußt du dir's zuschreiben, jedenfalls halte eine Zwangsjacke bereit.«

Die Unterhaltung bei Tische war sehr lebhaft.

Tante Laura allein saß mit tiefgefurchter Stirne da und hing meistens ihren eigenen, nicht sehr erfreulichen Gedanken nach. Der Hausherr hatte sie zwar zu Tisch geführt, wurde aber gänzlich von seiner Nachbarin, Frau von Heyken, in Anspruch genommen.

Das war also die moderne Geselligkeit. Und da saß das unerfahrene Dümmerchen, das Kerlchen mitten darin! Tante Laura kam sich so altmodisch, so ganz an unrechter Stelle vor, und sie dachte an den Waldbären hoch im Möllner Forst, – wie der wohl auf den Tisch schlagen würde mit seiner großen Faust, wenn er eben die Unterhaltung zwischen Frau von Marliß und dem widerlichen Gecken Biestorp mit hätte anhören müssen. Und sie sah das feine Gesicht des Hausherrn von edler Zornröte überflammt und hörte Kerlchens klingendes, kindliches Lachen, das sich mit dem Pfarrer Truling seelenvergnügt unterhielt und nichts merkte von dem häßlichen Wortgeplänkel.

Herr von Marliß hatte sich auch schon einige Male stark geräuspert, jetzt nahm er über den Tisch hinweg seiner Frau die Brotkrume aus der Hand, mit welcher sie eben Baron Biestorp werfen wollte.

»Wie weit ist die Angelegenheit mit der neuen Schule, Herr Pfarrer?« fragte Marliß laut und brachte so das Gespräch in eine andere Richtung.

»Es macht sich,« entgegnete Pfarrer Truling freudig. »Seit heute kommt sie in Fluß. Ein paar reiche Bauern wollen mächtig mit zusteuern.«

»Das beste, was sie tun können,« rief Frau von Heyken mit schriller Stimme. Ihr Gut Grünewalde war in Steinbrücken eingepfarrt, und die Kinder ihrer Instleute gingen in Steinbrücken zur Schule.

»Ja, das sagen Sie so, Frau von Heyken,« nahm der Pfarrer ruhig das Wort, während eine feine Ironie auf seinem ausdrucksvollen Gesicht lag. »Unsere etwas starrköpfigen Bauern dagegen beharren auf ihrem Standpunkt, daß auch der Gutsherr tüchtig mit zum Schulbau herangezogen werden müsse.«

»Das ist ein sehr törichter Standpunkt, und wir hoffen, daß Sie, Herr Pfarrer, ihn ordentlich bekämpfen. Sie wissen, unsere Gerechtsame – –«

»Gewiß, Frau von Heyken, ich weiß. Aber wir leben ja nicht mehr im Mittelalter und glaubten, Sie würden freiwillig auf Ihre Gerechtsame verzichten – –«

»Wer sind die ›wir‹, die das glauben?«

»Nun, meine Bauern und ich.«

» Ihre Bauern? Erlauben Sie, Herr Pfarrer, daß ich lache.«

»Immerzu, Frau von Heyken, den Fröhlichen hat Gott lieb.«

»Hm – – ich meine, der Pfarrer gehört vermöge seiner Bildung auf die Seite der Gutsherrschaft, nicht auf die Seite der Bauern.«

»Da sind Sie im Irrtum. Der Gutsherr hat nicht nur die eigene Bildung, die ihm beisteht, sondern noch eine Menge Standesgenossen hinter sich, die ein festes Rückgrat bilden, der Bauer hat nur seinen Pfarrer und das Gericht in der Kreisstadt, nach dem wir ihn doch nicht gern wandern sehen, abgesehen davon, daß er auch mit ihm nichts ausrichten könnte den ›Gerechtsamen‹ in Ihrer Hand gegenüber.«

»Das fehlte auch noch.«

»Herr von Rumohr-Rotbach hat darauf verzichtet,« fuhr der Pfarrer mit etwas erhöhter Stimme fort, »er hat eine namhafte Summe für den Schulbau überwiesen.«

»Nicht der Rede wert,« rief Fritz von Rumohr, – »und meine ›Gerechtsame‹ stammt aus Olims Zeiten, die Urkunde zerfiel beinahe in meiner Hand, als ich sie durchlas, eine zarte Mahnung des Schicksals, daß diese alten Einrichtungen morsch sind.«

»Herr von Rumohr ist Philanthrop«, fiel Marliß ein, »er setzte seine Schulkinder am liebsten in hygienische Paläste und baute dem Dorfschulmeister 'ne Villa hin.«

»Ach nein, so weit geht weder mein, noch unseres braven Lehrers Ehrgeiz, aber ein luftiges, einstöckiges Haus mit Garten, das soll er haben, damit er sich behaglich von den Anstrengungen seines schweren Berufes erholen kann. Unser Schulhaus ist ein Stall, es wird die höchste Zeit, daß in Steinbrücken das große gebaut wird, wohin dann die Grünewalder, Steinbrückener und Rotbacher Kinder gemeinsam wandern.«

»Und ich bleibe dabei, daß sämtliche Lehrerwohnhäuser und die Schulen selbst ganz angemessen sind, und daß man die Leute nicht mit Gewalt verwöhnen soll,« rief Frau von Heyken. »Gerade heute wollte ich mit Ihnen darüber sprechen, Herr von Marliß, und auch mit Ihnen, Herr Pfarrer, mein seliger Mann hat alles so klar in seiner Hinterlassenschaft ausgesprochen, der war auch ein Feind aller Neuerungen. Aber die Anwesenheit des merkwürdigen Herrn Krone, der nicht von Ihrer Seite wich, hinderte mich an der Besprechung. Er war recht lästig, Ihr Freund Krone,« wandte sie sich bissig an Kerlchen.

»Ich muß den alten Herrn doch in Schutz nehmen,« fiel der Pfarrer ein, dem nun doch eine feine Zornröte ins Gesicht stieg. »Gerade heute zog ich seine Besprechung der Ihrigen vor, Frau von Heyken; Herr Rentier Krone hat nämlich heute dem Neubau der Schule von Steinbrücken zehntausend Mark überwiesen.«

Eine ziemlich peinliche Pause entstand.

»So ist er!« sagte Kerlchen endlich. »Das sieht ihm ähnlich!«

Und es schaute leuchtenden Blickes bald Fritz, bald den Pfarrer an.

Dann hob es sein Weinglas, und während der Pfarrer, Bümi und Fritz ihm zutranken, stand Tante Laura auf und verabschiedete sich mit leichter Verneigung von der Gesellschaft. Man war längst beim Nachtisch angekommen, und den Gästen waren auch die scharfen Augen der beobachtenden, alten Dame gar nicht so sehr angenehm gewesen, sie atmeten erleichtert auf, als sie davon befreit wurden.

Fräulein von Hartwig schritt in den dämmernden Park. Es war ihr nicht wohl zu Mute.

Ihr war's, als habe sie in dem altertümlichen Mölln unter einer Glasglocke gesessen, und als sei auch auf ihren verschiedenen Reisen diese schützende Glasglocke immer mitgewandert.

Und die Menschen, die sie besucht hatte, ihre alten Freunde, ihre wenigen Verwandten, alle waren sie »aus der alten Schule« gewesen, einem derben Witz gar nicht abgeneigt, und doch ganz fremd in dieser Atmosphäre, die sie eben geatmet.

Sie war gründlich altmodisch, sie, Laura von Hartwig, sie fand sich in der heutigen Welt nicht zurecht, es war wohl gut, wenn sie bald einpackte und in ihr altmodisches Mölln zurückkehrte.

Aber das Kerlchen! Das kam nun beinahe täglich mit diesen Leuten zusammen! Ob da nicht doch mal was hängen blieb? Es war so spinnwebfein, das häßliche Etwas, das in der Luft schwebte, man konnte es nicht packen und greifen und zerschmettern.

So kleinmütig Laura von Hartwig! Das war ja ganz unmöglich. Dazu hatte das Kerlchen denn doch eine zu gute Grundlage und – dann – sie war auch noch da, Laura von Hartwig und Fritz und Kerlchens Mutter und –

»Herr Krone!«

Tante Laura rief es erschrocken aus. Sie war bis an den kleinen Aussichtstempel gekommen, von dem man einen weiten Rundblick über das Gut und den Wald hatte. »Das chinösüsche Dömpölchön« nannte es die Wirtschaftsmamsell, die gern Sonntags ein feines Hochdeutsch sprach.

Und in diesem »Dömpölchön« saß Herr Rentier Krone und schaute sinnend ins Land.

Er war gleichfalls sehr erschrocken und fuhr rasch in die Höhe.

»Krone, das Schicksal ist stärker als du,« dachte er wehmütig, »nu muß das auch noch ausgefochten werden, was nun kömmt.«

»Guten Abend, Fräulein von Hartwig,« sagte er schmerzlich, »na, immer noch allerte auf die Beine so spät noch?«

»Sagen Sie mal, Herr Krone, warum haben wir uns eigentlich noch gar nicht richtig gesprochen?« fragte Tante Laura energisch und setzte sich neben ihn.

»Etze kommt's,« dachte Krone, »jetzt rückt sie mir auf'n Leib. – Ach, gnädiges Fräulein, wiet's so geht, mir hatten eben so jeder seine Bedürfnisse für sich und sin uns noch nich begegnet.«

»Ich habe Ihnen noch gar nicht danken können für Ihre reichen Zusendungen – –«

»Ach, die paar Werschtchen kommen mir wirklich schon zum Halse raus,« rief Krone sehr unwirsch, »so 'ne Menkenke wird drum gemacht. Ich hab' se, weiß Gott, gerne gemacht, aber nunne wird's einen verleid't.«

»Nun, nun, nicht gleich so unwirsch.«

»Ach, se ham ja außerdem ihren Zweck ganz und gar verfehlt.«

»Ihren Zweck? Mich zu erfreuen? Aber nein

»Ach, du grundgütige Neine! Die Freide war am Ende noch mein letzter Gedanke. 'ne Beruhigung sollt es sein.«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Krone. Wer sollte denn beruhigt werden? Etwa Ihr Gewissen?«

»Ich hab' kein Gewissen. Das heißt, natürlich, gewiß hab' ich eins, aber hierbei brauch' ich keins zu haben.«

»Was soll das nur heißen, bester Herr Krone.«

»Ich bin kein ›bester‹ Herr Krone, ich bin nur 'n schwacher Mensch, und Sie sind 'ne schwache Jungfrau, und dabei woll'n wir uns beide beruhigen. Versprechungen hab' ich Ihnen keine gemacht.«

»Hören Sie mal, Meister Krone, entweder Sie haben den Sonnenstich, oder ich bin verrückt.«

»Mir ist, Gott sei Dank, recht wohl, gnädiges Fräulein.«

»Jedenfalls bin ich keine ›schwache Jungfrau‹ und möchte mal ein deutsches Wort mit Ihnen reden.«

»Nützt Ihnen nischt, Fräulein von Hartwig, – Versprechungen habe ich Ihnen keine gemacht.«

»Zum Teufel mit Ihren dummen Versprechungen,« fuhr Tante Laura bitterböse auf. »Ich will hier ein verständiges Wort mit Ihnen reden, über das Kerlchen, über das Gut, über die ganzen landwirtschaftlichen Verhältnisse, und Sie faseln sich da was zusammen, was kein Mensch versteht. – Nun ja, ich will's gestehen, – ich bin Ihnen auch etwas ausgewichen, ich dachte, – ich meinte, – aus Ihren Briefen, – – na kurz, ich fürchtete, Sie wollten den alten, wenn auch gutgemeinten Unsinn wieder aufwärmen und – – –«

Mit dem alten Krone war eine strahlende Veränderung vorgegangen.

»Reden Sie nich aus, liebes, gnädiges Fräulein, – bringen Sie sich und mich nich in'n errötenden Zustand. Nein, aber noch mal, da ham mir ja genau dasselbe Zeigs gedacht, und ich habe immer simmeliert, daß Sie bloß so verrückt wär'n. Wie mich das freut, nee, wie mich das freut, daß mir'sch alle beide sind.«

Er drückte im überströmenden Gefühl Tante Laura die Hand.

»Ja, aber Meister – –«

»Nee, sagen Sie nischt. Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mir von diesen schrecklichen Aussichten befreit haben. Und nun dieses leichtsinnige Bewußtsein, ganz wie in alten Zeiten mit Sie reden zu können, denn ich hab' Ihnen allezeit über die Maßen gehochachtet, und nun schießen Sie los! Wo Sie nur immer was Bedrückendes sitzen haben, das geben Sie mir, ich bin Ihr Freund, aber auch nischt weiter, Ihr treuer Freund.«

In diesem Augenblicke hörte man lautes Lachen und Sprechen. Der Fußweg nach Steinbrücken ging an dem Aussichtstempel vorbei, und die Rumohrschen Gäste schienen den Heimweg anzutreten.

»Um Gotteswillen,« raunte Meister Krone. »Fliehen is nich mehr, aber wenn se uns beide hier zusammensehen, besonders die Frau Heyken, dann is unsere beiderseitige jungfräuliche Ehre dahin, und wir müssen uns heiraten auf die schwere Not. Seien Sie verständig, ergebenstes Fräulein, und lehnen Sie Ihren Kopp auf knapp zwei Minuten an meine Heldenbrust, damit man ihn nicht nausstarzen sieht. Nur solang, bis das Unwetter vorbeigezogen ist.«

Und so lag denn wirklich Tante Lauras Kopf sanft auf eine kleine Weile an dem schwarzen Gehrocke des braven Meisters, und die hellen Tränen liefen ihr über ihr altes Gesicht, denn sie war in ihrem langen Leben nie in einer solchen Situation gewesen.

Endlich verhallten die Schritte, die dicht vorbeigewandert waren.

»Gott sei gelobt,« seufzte Meister Krone und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das war so 'ne Art Fegfeuer. Aber weinen Sie doch nicht, mein liebes Fräulein von Hartwig, – Diskretion Ehrensache, da kennen Sie den Krone schlecht.«

Und er wischte ihr mit seinem eigenen roten Taschentuche, auf dem Kaiser Wilhelm und die sämtlichen Schlachten des deutsch-französischen Krieges abgebildet waren, die Tränen aus den Augen. »Ich kann Ihnen sagen, mir persönlich war's gar nicht so'n unangenehmer Augenblick. O kontrollör!«

Tante Laura streckte ihm mit matter Gebärde ihre rechte Hand entgegen.

»Sie meinen's gut, Herr Krone, und wir wollen nun nie wieder über diesen Fall reden.«

»Liegt mich auch partu nichts dran. Aber nun wir uns einmal soweit miteinander eingelassen haben, seh ich nich ein, warum Sie schon heime latschen wollen, jetzt kommt langsam der Mond, da wird's erst gemütlich.«

»Ach, lieber Meister, zum Gemütlichsein kam ich nicht her.«

»Na, wo schließt denn die Klappe nich, he?«

»Krone, sagen Sie mir aufrichtig, was halten Sie von dem Gut?«

»Sehen Sie, das wußt' ich doch, daß Sie das fragen würden, es ist merkwürdig, – wir sind zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag.«

»Das macht wohl nur der Mondschein, Meister. Und nun bitte, antworten Sie mir.«

»Fräulein von Hartwig, das Gut ist gut, und das beste am Gut sind die zwei Menschen, denen es gehört, – aber – –«

»Also doch ein ›Aber‹?«

»Ja und ein happiges! Haben Sie die Gera gesehen? ›Die wilde Gera‹ steht auf der Landkarte, aber ich hab' heute den ältesten Insten gesprochen, der draußen auf dem Vorwerk sitzt und der sagte: de wilde Gera? Das is ganz falsch, die is so zahm, daß se einem ins Haus nachgelaufen kömmt. Ich fragte weiter, und wie so die alten Mannsleute sind, die sind eben wie die alten Weibsleute und machen gern ihr Gärchen. Fräulein von Hartwig – – zum Erbarmen schauderhaft soll die Gera vor zehn, fuffzehn Jahren hier gehaust haben und auch schuld sein, das die Rumohre das Gut 'ne ganze Weile nicht haben halten können, bis der reiche Wolf Rumohr alles gekauft hat. Und der alte Instmann schüttelt seinen weißen Kopp und prophezeit nichts Gutes für dies Jahr.«

»Um Gotteswillen, das ist doch müßiges Geschwätz.«

»Sagen Sie das nicht, gnädiges Fräulein. So alte Leute haben ihre besonderen Anzeichen – –«

»Und Sie glauben, Krone?«

»Vorläufig is kein Grund, irgendwas zu glauben, aber die Bauernregeln sind immer noch wahrer gewesen, als die von den studierten Kalendermachern. ›Kräht der Hahn auf dem Mist, so ändert sich's Wetter, oder es bleibt, wie es ist‹.«

»Hat das Falb gesagt?«

»Nee, eben nich. Und ich wollt' Ihnen auch nur fragen, ist der alte Herr von Rumohr wirklich so sehr, sehr reich, wie die Leute sagen?«

»Ich vermute es, Krone.«

»Vermuten nützt hier nischt. Hier hilft kein Maulspitzen, hier muß gepfiffen werden. Reinbuttern muß der alte Herr, feste reinbuttern ins Gut, muß es aushalten können, wenn Mißernten, Hagelschlag, Viehsterben kommen – –«

»Sie sind ja heute die reine Unke, Krone.«

»Fräulein von Hartwig, ich sehe eben bloß 'n bißchen weiter, als andere Leute. Ja, – wär's dies Gut allein, aber da ist auch noch Rumohr in Holstein, woraus der Herr Fritz nicht 'n roten Schilling Pacht kriegt.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Ja, wenn Sie's wissen, gnädiges Freilein, dann wundert's mich doch, warum Sie Ihren Newö nich sagen: »Mach ämal hin nach Rumohr, allo – und karwatsch dem Pächter die Seele so aus'n Leibe, daß er'n Himmel für'n Dudelsack ansieht.«

»Er kann sich doch nicht am Pächter vergreifen?«

»Moral'sch, – ich mein's natürlich nur moral'sch. Aber da sitzt nun so'n Lausejonge als Pächter auf so'n Prachtsgut, un läßt's verlottern, warum, weil der Herr sich nich drum kimmert.«

»Bester Krone, die Leutchen sind hier erst so kurz verheiratet, sollen sie sich schon wieder trennen?«

»Das ist nun der größte Unsinn, den's je gegeben hat, und kann nur der aussprechen, der selber 'n bißchen 'ne verliebte Natur hat.«

»Herr Krone!!«

»Nee, nee, nur nicht beleidigt sein. – Aber ich wette hundert gegen eins, wenn man dem Kerlchen heute sagt: ›Dein Mann muß fort, sieh du einstweilen hier nach dem Rechten‹, – nicht mit 'ner Wimper zuckt's.«

»Ach, das Kerlchen! Das liebe, tapfere Kerlchen!«

»Freilich ist's ein tapferes. Und deshalb muß jemand von uns zweien morgen dem Goldkind diesen Schmerz machen, denn natürlich, – ein Schmerz ist's auf alle Fälle, wenn man ihr den jungen Mann fortnimmt. Aber jammern wird's nich.«

»Wollen Sie's ihm sagen, Krone?«

»Warum denn nich? Dem Herrn von Rumohr braucht's niemand zu sagen, dem sieht man's an den schwermütigen, schwarzen Augen an, daß er weiß, wo Barthel den Most holt, der will nur das Kerlelein schonen, aber das braucht keine Schonung, das sieht jeder Gefahr ins Gesicht mit strahlenden Guckaugen.«

»Krone, Sie sind ein guter Mensch, – aber woher haben Sie alle diese Kenntnisse von den Verhältnissen?«

»Das will ich Ihnen sagen. – Von meiner Liebe zum Kerlchen. Ich kenn's von da ab, wo's sechs Wochen alt war, und die alte Dorette es zum erstenmal austrug im Steckkißchen mit'n blauen Schleier. Und sie kam an mein Laden vorbei und sagte: Meister, – gucken Se, das is unsern Herrn Oberst sein Kerlchen. Und da sagt ich: nu, der Frau Oberst ihr's doch auch? Da sagt sie: nu ja, aber i nee, der gehört mehr der Erich, aber das Kerlchen, das ist extra vom Storch für den Herrn Oberst gebracht worden, Sie sollten nur sehen, wie's der Herr immer anguckt. Und da lupfte ich so den blauseidnen Schleier ä Linschen, und da mein' ich, schon mit sechs Wochen hätt's a ganz ludermäß'g pfiffiges Gesicht gemacht, und wie ich mit meinen großen, roten Finger an den schneeweißen Krabbelhändchen tippe, da packt's meinen Daumen und hält'n fest.«

»Gucke,« sagte da die alte Dorette, – »das tut's sonst nur mit'n Herrn Oberst.« Und sehen Sie, Fräulein von Hartwig, – von dem Augenblicke an war ich Kerlchens Freund und bleib's, bis man mich mal rausträgt, die Füße voran.«

Fräulein von Hartwig drückte dem Meister wortlos die Hand.

»Heute kommt's mir alles so deutlich in den Sinn,« fuhr Krone fort und wischte sich die Augen. »Wer's Kerlchen nicht durch und durch kennt, wie ich, der kann nicht ermessen, was der Vater ihm war, und was es verloren hat, seit er ihm fortgeholt worden ist. Und wenn mer zwölf dicke Bücherbände über den Fall schriebe, man käme nicht dahinter. Und den Herrn Baron hat's nur lieb, weil es glaubt, er gleicht dem Vater und wenn der Herr von Rumohr sich nicht bewährte, dann wär das Kerlchen von dem Augenblicke an tot, ob's auch herumginge und sich weiter für andere absorgte. Ich kenn's, ich kenn's. Und nun muß dem Kerlchen gesagt werden: du, fang's fein an. Schaff dir die teure Geselligkeit vom Halse, das ist 'n fressender Krebs, – schafft die vielen Luxuspferde ab, 's ist en totes Kap'tal, gebt eure teure Reise auf, ihr wißt nicht, wie ihr Bargeld nötig habt, und küssen könnt ihr euch in Deutschland ebenso gut oder noch viel besser, als in Italien. Spart Kinderle, spart, ihr Knettelchen.«

»Meister Krone, Sie machen mir furchtbar Angst.«

»I wo werd ich, gnedigs Freilein. Aber ich beuge vor, passieren kann alles, es sind schon Nachtwächter am hellen Tag gestorben. – Und nun gute Nacht, teures Fräulein von Hartwig – gelle, – wir zwei verstehn uns nanu?«

»Immer und allezeit, lieber Meister Krone. Und – die beiden sollen an uns immer einen Halt haben.«

»Versteht sich. – Langsam, langsam, mein Fräulein, da kommen Stufen – – wie der Mond so hell scheint! Der alte Schwereneter weiß, daß mer kei richt'ges Liebespaar sind, sonst versteckte er sich doch ä Linschen. Und nu huschen Se rasch in Ihre Kemenate, und ich werd auf'n andern Wege in mei Bette machen. Achtung, daß Ihnen niemand begegnet, sonst kommen Sie doch noch in die Hechelmaschine. Gute Nacht!«

Die alte Dorette stand im Schlafzimmer des jungen Paares und wollte ihrem Goldkind so gern noch gute Nacht sagen und ihm ein paar Handreichungen tun. Sie wußte, daß der Gutsherr immer noch einmal spät das ganze Gut durchwanderte und nach dem Rechten sah, es blieb für die Alte immer noch ein Plauderstündchen mit dem Kerlchen.

Heute war sie sehr befremdet, das Nest ganz leer zu finden. Die lärmende Gesellschaft war doch schon so lange abgezogen, Frau Oberst längst zur Ruhe, Fräulein von Hartwig gewiß auch, und die Frau Doktor Schirmer hatte sie selbst in ihr Zimmer gebracht. Wo war Kerlchen?

Beim gnädigen Herrn nicht, den hatte die Alte vorhin allein über den Hof gehen sehen.

Leise wurde die Tür aufgeklinkt, und die Vermißte stand im hellen Mondschein in der großen, behaglichen Stube.

Wie traurig die lieben Kinderaugen blickten.

»Kerlchen, um alles in der Welt, wo steckst du denn?«

»Noch ein bißchen draußen war ich, Dorette, komm, nimm mir das Kleid ab – –«

»Herr Jeses, Kerlechen, es is ganz feucht. Auf den Tod kannste dich erkälten. Warst gewiß wieder am Tempelchen, wo immer die garscht'gen, feuchten Nebel vom See aufsteigen, du wirst doch au nich eher verninftig, bis de Großmutter bist.«

»Gute Nacht, Dorette.« Zwei weiche Arme legten sich lind um den Hals der Alten, und ein warmer Mund berührte die runzlige Wange.

»Bist doch mein liebes Kerlichen! Gut' Nacht und bet auch schön.«

»Geh noch nicht, Dorette! Sag mal, – – hast du schon mal 'ne Überschwemmung durchgemacht?«

»Herrjeh, Kerlchen, wie kommste da jetzt in nachtschlafende Zeit drauf? Freilich hab' ich's durchgemacht, gar zu oft und kenne den Jammer und das Elend, was so was mit sich bringen kann. Mir war'n ja immer ansässig an der wilden Gera.«

»Daß die so bös sein kann – Dorette – unser liebes Flüßchen.«

»Ja, wenn's so timide im Mondschein daliegt. Aber da muß jedes Jahr en Heidengeld reingesteckt werden in ihr Bette, sonst höppt se raus. Gott bewahr uns davor, Kerlchen, Amen und gute Nacht.«

»Gute Nacht, Dorette.«

Kerlchen lag wach.

Dort durch die Spalten der weißen Gardinen sah es den silberglänzenden Fluß, an dem auch das alte, liebe Schwarzhausen, die traute Kinderheimat gelegen war. Wie oft hatte es darin herumgewatet – es war ja so flach – – Kieselsteinchen gesucht – und dem Väterchen jauchzend gebracht – – aber wie gelb das Wasser mit einem Mal war, – – und wie die Wellen schossen, wie es wuchs, – riesengroß – ins Ungeheure – da – die mächtige Welle, die heranrollt – – –

»Fritz!« schrie Kerlchen gellend auf.

Leise setzte Fritz die Laterne aus der Hand, mit der er eben ins Zimmer getreten war. Leise schritt er ans Bett und legte der jungen Frau beruhigend die Hand auf die Stirn. Sie war heiß und feucht und der junge Körper atmete ängstlich.

»Ruhig, Kerlelein, Liebling, – ich bin ja bei dir.«

Er schritt ans Fenster und verhüllte sorgfältig jeden Spalt vor dem hellen Mondlicht, dann saß er noch ein Weilchen zärtlich sorgend am Lager, bis sein Kerlchen sanft und ruhig schlief.

*

Aus Kerlchens Tagebuch.

Jetzt habe ich wieder gründlich Zeit, mich mit dir zu unterhalten, liebes Buch.

Nicht, daß es weniger Arbeit gäbe, o, – viel viel mehr als früher, aber – Friedel ist fort.

Weggeschickt hab' ich ihn – – nach Rumohr. Der machte Augen, mein Fritz, als ich ihm das ganz ernst und kritisch vorstellte und so ruhig und unbeteiligt tat, während mein dummes Herz so ungestüm klopfte und immerfort schrie: »Bleib hier, Fritz, bleib bei mir, oder nimm mich mit.«

Und wie er selbst diesen Vorschlag machte: »Kerlelein, geh mit,« und ich ganz ärgerlich rief: »Wo denkst du hin? Die jungen Kälbchen und die Muusch hier so allein lassen?«

Ach, und wie er dann wegreiste und mich so zärtlich küßte und mich das tapferste und vernünftigste Lebewesen auf dem ganzen Globus nannte und wie ich nachher in meinem Zimmerchen lag und in das alte harte Runxsofa hineinschluchzte! Ja, ich bin wirklich außerordentlich vernünftig. Meine Bümi ist noch bei mir.

Fritz schrieb an Franz Schirmer und bat um Verlängerung des Urlaubs, und da der Doktor an einem Kongreß teilnimmt, zu dem er seine Frau nicht brauchen kann, lautete die Antwort bejahend.

Natürlich machte Franz wieder Ulk und schrieb: »Du hast mein Volk verführet, verlockst du nun mein Weib?«

Das verlockte Weib sitzt augenblicklich im Milchkeller und macht 'ne Kur durch, die ihr außerordentlich bekommt. Sie ist mit einem Male mit Leib und Seele Landwirtin und will alles »rationell« betreiben. Dieses Wort hat ihr Frau von Marliß aufgeschnackt.

Bümi wollte sogar auf 'ne andere Art buttern, nach Reuters Rezept in der »Festungstid«, es scheiterte aber am Mangel einer abgelegten Hose von Fritz.

Bümi ist mein Sonnenstrahl.

Was sie mir ist, das werde ich mal kurz vor meinem Tode in einem langen Briefe hinterlegen, damit es die Nachwelt recht versteht, denn die Mitwelt ahnt nicht, was hinter den burschikosen, losen Worten steckt, mit denen sie manchmal um sich wirft.

Vorläufig ist mir Bümi etwas unendlich Wichtiges, meine Mamsell.

Sie hat sich fabelhaft in die Sache gefunden, und Friedel ahnt noch gar nicht, daß unsere geschulte Wirtschaftsdame mich Knall und Fall meuchlings verlassen hat, nur weil ich ihr ganz ruhig und fest gesagt habe, ich wünschte nicht, daß sie das »chinösüschö Dömpölchön« dauernd als Platz für Stelldicheins benutze.

Es ist mein Tempelchen!

Schon immer hab' ich so gern dort gesessen und hinausgeschaut in die weite Runde und oft ganz kindisch gedacht: dies alles ist mir untertänig, – gestehe, daß ich glücklich bin.

Das erstemal saß ich dort – mit Fritz. Wir waren gerade einen Tag verheiratet, und ich war so ernst gestimmt und lehnte meinen Kopf an seine Schulter, und er erzählte mir von seiner Jugend, seinen Eltern. Was für liebe Gelöbnisse haben wir im Tempelchen getan und getauscht.

Seitdem war's mein Lieblingsplatz, – ein ganz heiliger. »Tannenruhpark« nennen wir jene Stelle zum Unterschied von dem anderen mächtigen Garten, der unser Haus umgibt.

Sei gesegnet, liebes Stellchen du!

Und auch dir sei gedankt, heller Mondscheinabend, an dem ich aus dem faden Geschwätz der Gutsnachbarn zum Tempelchen laufen wollte, unaufhaltsam, wie vom Sturmwind getrieben. Und wie ich mein liebes Plätzchen besetzt fand von zwei treuen, guten Menschen, die in ihrer Herzenssorge um unser Wohl nicht einmal meine Schritte vernahmen.

Gelauscht hab' ich, – weil sich's um meinen Fritz handelte, um sein liebes Gut, um unsere Heimat: nun weiß ich doch Bescheid, weiß, daß alles Wellenbewegung ist im großen Weltenraum, und daß ich mit einem Male wieder ein »armes Kerlchen« sein kann.

Aber doch nie so arm, wie früher, – denn ich gehöre ja jetzt dem Fritz; der verläßt mich nicht, der ist ja so gut wie mein Väterchen.

Und ich hab' einen gesunden Körper und ein fröhliches Herz, – die Liebe zu meinem Manne und starkes, felsenfestes Gottvertrauen. Ob ein Unheil, – wenn's in böser Luft schweben sollte, nicht Respekt vor so was bekommt?

Ach, und wie ich mich aufs Sparen verstehe – in fünf Minuten – taufend Mark.

Das ging so zu.

Fritz holte mich in sein Zimmer, sah mich strahlend an, schwenkte mich herum wie eine Feder, (denn er ist ja solch ein Riese) und rief:

»Mach dich fein, Kerlelein, es geht zur Kreisstadt, gottlob, daß ich dich mal wieder von Herzen mit etwas erfreuen kann.«

»Ja aber mit was denn,« rief ich ganz erschrocken, »ich hab' wirklich keinen einzigen Wunsch.«

» Wirklich keinen einzigen?« Und dabei machte er sein allbekanntes Filougesicht, das setzt er immer auf, wenn er 'nen Wunsch hat, nämlich nach einem Kuß. Ach und das kommt so oft vor.

» Den kannst du kriegen, – umsonst,« lachte ich, und da hatte er mich auch schon. Er ist darin weit schneller, als ich.

»Aber das ist nicht alles, rate weiter, Kerlelein.«

Sinnend stand ich da. –

»› Doria‹ sollst du wieder haben, denk doch nur, eine neue ›Doria‹!«

Da stieg mir die Freude siedend heiß ins Gesicht, denn ich hatte es noch längst nicht verwunden, daß mein wonniges Gespann zerrissen, und die prächtige »Doria« gefallen war. Aber dann kam die bange, drohende Frage: dürfen wir so viel Geld ausgeben?

Und als hätte er die Frage auf meinem Gesicht gelesen, kam als Antwort:

»Sei ganz ruhig, Tante Laura hat's uns geschenkt.«

Tante Laura! Ich gab ihr im Geiste einen tüchtigen Kuß. Aber dann – – nein, es durfte nicht sein, – den braunen Lappen konnten wir sparen, mußten wir sparen.

»Lieber, lieber Friedel,« sagte ich drum, »du bist so herzensgut, du würdest alles hergeben, um mich zu erfreuen, bist du sehr, sehr bös, wenn ich ›Doria‹ nicht will?«

»Du willst sie nicht?«

»Nein, Fritz. Wir haben den prächtigen ›Donner‹, ich habe ›Ajax‹, du hast ›Kismet‹ zum Reiten. ›Donner‹ wird vor das Gig gespannt. Darin fahren wir zwei lieb und nett spazieren, sogar Muusch hat noch Platz, wir sind ja nur so zwei Ausrufungszeichen. Und wenn du ganz, ganz lieb sein willst, dann fahren wir jetzt in die Kreisstadt und sehen zu, daß wir auch noch ›Morse‹ und ›Hughes‹ verkaufen können.«

»Morse und Hughes? Was fällt denn meinem Kerlelein ein?«

»Sie fressen uns die Haare vom Kopfe,« behauptete ich der Wahrheit gemäß, (nur daß ich es früher nie Wort haben wollte) »und wenn wir auch 'n ziemlichen Urwald zu vergeben haben, so will ich doch nicht, daß man deinen lieben Kopf in zehn Jahren mit 'ner Kegelkugel verwechselt.«

Fritz konnte sich noch immer nicht beruhigen, aber ich brachte so viel »Fürs«, daß er kein »Gegen« mehr fand.

»Und in nette Hände werden sie auch kommen,« trumpfte ich noch zuletzt auf, »der Sohn vom alten Bankier Wilenius möchte sie ja brennend gern haben, er ist ein famoser Mensch und berappen tut er auch.«

»Kerlelein, Kerlelein, wenn ich nicht wüßte, daß dein ganzer Stammbaum aus Soldaten oder Krautjunkern besteht – wo hast du bloß den Geschäftssinn her?«

»Vergiß nicht, daß in Urzeiten ein Schuster und ein Töpfer mit unterlief, die werden mich erblich belastet haben. Hurra, – du sagst Ja, – wir verkaufen!«

Er hatte zwar keinen Ton gesagt, aber es ist in ernsten Fällen immer gut, wenn man etwas als bestehende Tatsache annimmt.

»Morse« und »Hughes« waren ein paar Prachttiere, aber sehr schwierig zu behandeln, der Tierarzt war in der ersten Zeit kaum vom Gut weggekommen, sie sollten hier eingeritten werden und dann nach Rumohr kommen, so hatte es Onkel bestimmt, der sie uns schenkte. »Kerlelein, du hausest in unsern Beständen herum, daß mir angst und bange wird, – wer wird nun noch verkauft?«

»Du und Muusch und ich nicht, wir bleiben hoffentlich lebenslängliche Bestände von Rumohr-Rotbach.«

Da nahm mich mein Mann an sein gutes Herz und sah mir in die Augen. Die standen ein klein wenig voll Wasser, und ich hatte eine Heidenangst, daß er merken könne, ich täte die Vorschläge aus Sparsamkeitsrücksichten und es würde mir schwer.

Fritz war sehr ernst.

»Du bist ein Schatz für mich, Kerlchen, ein rechter Schatz, nicht nur so als Kosewort,« sagte er, ach, das klang so stolz und liebevoll.

»Ich bin dein Kamerad,« betonte ich ganz glücklich.

Und so war unser Gespräch beendet, wir fuhren nach der Kreisstadt, verlebten einen reizenden Abend bei Bankier Wilenius, ließen von ungefähr fallen, daß wir »Morse« und »Hughes« verkaufen wollten und wurden von dem jungen, noch recht kindlichen Sohn Wilenius jubelnd nach Haufe kutschiert. Hier besah er sich die beiden Rösser, und – wir schnitten brillant ab.

Tags darauf überreichte mir Fritz ein paar Papiere, die gehörten mir, sagte er, weil ich so fein wirtschaften könne. Von diesen Papieren schnipple ich alle halbe Jahre was ab, und trag's wieder auf die Sparkasse.

Bei so viel Mammon bin ich nun auch vollständig beruhigt über unsere Zukunft und heilfroh, daß ich kein Mädel mehr bin, denn nun würde ich doch nur des Geldes wegen genommen werden. Die große Italienreise hab' ich meinem Fritz auch ausgeredet, und er gebärdete sich wie wild – vor Freude.

»Kerlelein, ich hätte sie ja mit Wonne mit dir gemacht, und sie bleibt dir auch für spätere Zeiten, aber – – das Gut braucht mich gar zu sehr jetzt.«

»Als ob ich das nicht wüßte, Friedel.«

»Du weißt eben alles, Kerlelein!«

So was hört man doch gar zu gern.

Ich fahre jetzt täglich Mutti spazieren in dem leichten Gig mit »Donner« davor. Er heißt aber nicht mehr Donner, sondern »Laura«, um Tantchens großmütiges Geschenk festzunageln, und damit der eigentliche Name nicht ganz verloren ging, nennen wir's »Donna Laura«.

Für diesen grausamen Kalauer mußte ich erst zwei Mark in die Strafkasse zahlen, aber dann wurde doch drüber gelacht.

Und nun bin ich allein.

Das Gut kommt mir noch einmal so groß vor, seit mein Fritz nicht da ist, dabei hab' ich soviel zu tun, daß ich nicht mal täglich schreiben kann.

Von ihm fliegt freilich jeden Tag ein Briefblättchen auf meinen Tisch, und Bümi wärmt den alten Witz vom »Schreibkrampf« wieder auf.

Ein paar Tage später.

Gestern war ein hoher Freudentag für mich, für uns alle.

Die Fürstin Mutter fuhr durch Rotbach durch, und mit einem Male, als sie sich mit dem Stationsvorsteher unterhielt, hat sie Befehl gegeben, einen Wagen zu besorgen, um nach Tannenruh hinauszufahren.

Und wirklich, die alten Gäule des Rotbacher Bahnhofswirtes brachten die Mutter meines Li zu mir, – ach, war das ein liebes Wiedersehen!

Früher war ich ja viel mehr mit dem alten Fürsten und mit Li befreundet, – die Fürstin Mutter fand mich immer etwas zu ungeschliffen, aber als sie mich nun so unverhofft wiedersah, da kam ihr wohl nur der eine Gedanke, daß ich ihrem geliebten Li der treueste Kamerad gewesen war, und sie küßte Muusch und mich zärtlich.

Wir haben reizend miteinander geplaudert, ich hab' ihr das Gut gezeigt, von dem sie entzückt war, und ihr so viel von meinem Fritz erzählt, bis Muusch mir zublinzelte. Muusch ist für mich: »Knigges Umgang mit Menschen, oder der gute Ton in allen Lebenslagen«.

Das A und O unserer Unterhaltung war aber doch Li, ach und wie seelengern schwatzte ich von ihm, von der wunderbar seligen Vergangenheit.

Erst am Abend reiste die Fürstin Mutter zurück, die Schulkinder sangen am Nachmittag im Park und wurden mit Schokolade und Kuchen bewirtet.

Für die neue Schule hat sie ein hübsches Sümmchen gestiftet, und ich erzählte ihr von Schlachter Krones zehntausend Mark.

Sie wunderte sich stark, daß man erst aus Schwarzhausen kommen müsse, damit drei große, reiche Ortschaften 'ne anständige Schule kriegten, und ich erzählte ihr, daß die reichen Heykens nichts berappen wollten.

Muusch blinzelte wieder, aber ich kehrte mich nicht dran, es schadet wirklich nichts, wenn der Gesellschaft beim nächsten Hofball ein bißchen auf die Hühneraugen getrampelt wird.

Sobald ich schofler Gesinnung begegne, sträubt sich alles in mir, und ich werde naturgemäß ruppig.

Nachdem wir noch riesig lieb nach Amalienlust eingeladen waren, während ich die junge, sehr liebenswürdige, aber furchtbar pimplige und astralleibige Hofdame Fräulein von Elmelin zu einer Milchkur nach Rotbach eingeladen hatte, die sie hier auf vier Wochen durchmachen soll, fuhr ich die Fürstin Mutter nach dem Bahnhof. Es war ein wundervoller Tag, und ich habe Fritz glühende Beschreibungen geschickt.

Leider ist er für »interessante« Briefe gar nicht empfänglich, während ich sehr gern welche von ihm erhalten möchte, aber keine bekomme.

Er schreibt so:

»Mein goldiges Kerlelein! Wie geht es Dir? Sind Deine lieben, blauen Augen noch so sonnestrahlend, Dein Mund noch so wonnig, sehnst Du Dich nach mir, wie ich mich nach Dir?« Und dann bloß als Nachschrift: »Hier ist eine elende Lotterwirtschaft, ich versuche den Augiasstall zu reinigen.«

Meine Briefe dagegen handeln von A bis Z nur von Mist, und als Nachschrift folgt dann:

»Freilich hab' ich dich doll lieb, Friedel, bitte, frag' nicht so dumm.«

Na, wir ergänzen uns eben prachtvoll.

 

Brief vom Rentner Krone an Kerlchen.

»Hochverehrte gnädige Frau!

In Anbetracht unserer langen Freundschaft, die nun schon seit Jahrzehnten auch unsere Kinder verbindet, ergreife ich mit hoher Freude die Feder, um – –

Nein, es geht nich. Ich glaube, ich bin in 'n falschen Brief 'neingekommen.

Wie soll ich's nur anfangen, um Ihnen wieder mal mein bewegtes Inneres zu offerieren?

Der alte Krone is nu mal kein Hofmann und das diplomatische Gefühl ist schwach bei mir.

Ich will es Ihnen schlichteweg erzählen, was sich bei mir arriwiert hat.

Ich niedriggeborener, gänzlich bürgerlicher Mensch, ohne jede Standesrücksicht bin zu furchtbar ungeahnt hohen Ehren gekommen.

Es ist Jammer ohnegleichen, daß ich ohne natürliche Leibeserben stimmt wahrscheinlich, außer in Band 1, wo »... die vielen kleinen Kinder warteten« bin und daß ich die hohe Achtung nicht fortgepflanzt sehe, die auf mir lastet.

Ihre mütterliche Durchlaucht Amalie haben mir allergnädigst zum »Kommissionsrat« ernannt.

Nachdem ich mich mühsam durch zwei Glas schweren Portwein, ein Glas Grog und einen Gilka mährische Likörbrennereifamilie, auch Schnaps von dem Schwindel erholt hatte, geruhte ich ihr ein überfülltes Dankschreiben zu senden, wobei mir jetzt noch die Tränen in die Augen kommen.

Ich habe der Fürstin kein Blatt vor den Mund genommen, habe ihr in tiefster Demut versetzt, daß ich kein Bauchkriecher und elender Lüstling bin, sondern mich in heiliger Ehrfurcht jahraus jahrein für meine Landesmutter totschlagen lasse.

Und grüßte sie zu tausendmalen, könnte es mir auch nicht anders erklären, als daß die junge und liebreizende Frau von Rumohr den Mund mal wieder nich hätte halten können und was von den zehntausend Mark gegärt hätte, wie's alle Weiber gerne machten und schickte ihr deshalb prima Servelatswurscht von meinem Newö höchstselbst gemacht und feinstes Schweineschmalz von mir ausgelassen, worauf sie dem Faß den Boden austrat und mir noch zum Hoflieferanten erhob.

Mich hat dieses alles furchtbar angegriffen und sie machen mir konfus mit die vielen guten Ratschläge.

Es paßt sich ja nun eigentlich gar nichts mehr recht vor mich, seit ich Standesherr geworden bin.

Den Schlafrock habe ich weggehängt; ich fahre nu gleich nach'n Aufstehn in 'n schwarzen Gehrock. Der Gesangverein hat mirn Ständchen gebracht, drei Verse von »Blühe, liebes Veilchen,« was 'n Huldigungshieb auf meine Bescheidenheit sein sollte. Und so geht's den ganzen Tag.

'n Kommers hatten wir auch in der »dreck'gen Gabel« und am andern Tage hat mir mein Newö den Doktor auf'n Hals geschickt, weil ich die ganze Nacht irre geredet und geweint hätte.

Es war ein erst kürzlich hier niedergelassener Doktor, noch sehr jung und tüchtig gescheit, er sagte, ich hätte Haarwurzelröhrenentzündung, 'n schwerer Fall, er hätte es auch mehrfach gehabt.

Er verordnete mir Ruhe und 'n Frühschoppen, das ist mich denn auch beides gut bekommen. Bei dem Frühschoppen haben mir nun die Leute alle geraten, mir Briefsteller anzuschaffen, um mit meinem Rang nirgendswo anzuecken.

Erstens einen Briefsteller für Liebende, denn heiraten müßte ich jetzt auf alle Fälle und noch einen für gewöhnliche Sachen.

Aber zu einem Briefe an Sie, teures Frau von Rumöhrchen paßte keiner von beiden, deshalb rede ich von Herzen, ohne weiteren Anstand.

Und ich bitte zum Schlusse, tun Sie, als sei nichts passiert, schreiben Sie mir ganz schamlos, denn ich bin der Alte geblieben.

Ihr Sie hochachtender
Krone,
Fürstlicher Kommissionsrat
und Hoflieferant.«

*

Aus Kerlchens Tagebuch.

Ja, du altes Buch, du hast lange feiern müssen, wie hätte ich wohl Zeit finden sollen, jetzt lange zu sitzen und mit dir zu reden.

Trost hättest du mir wohl gebracht, aber tüchtig versäumt hätte ich meine Pflichten und die gehen vor.

Es liegt ein Unheil in der Luft, – ich kann's nicht nennen, aber ich fühl's.

Ahnungen hab' ich wie ein altes Spitalweibchen.

»Sie kommen zu wenig hinaus, wirklich hinaus in die schöne liebe Gottesnatur,« sagte neulich Doktor Paul, unser Kreisphysikus. »Das Herumrabantern ist ja ganz gut für ein junges, gesundes Frauchen, aber es darf auch nicht übertrieben werden, – verstanden, meine sehr verehrte Frau Baronin?«

Ich nickte erschrocken, und gleich standen die Tränen in den Augen, das ist jetzt eine mörderlich dumme Angewohnheit von mir.

»Geben Sie dem Ajax mal vorläufig Urlaub oder lassen Sie ihn vom Knecht reiten, Sie selbst laufen mir tüchtig spazieren, nochmals – verstanden?« Ich versprach alles.

Gesund und frisch möchte ich ja doch sein, wenn mein Fritz zurückkommt; ach, – wann kommt er wohl?

Beinahe zwei Monate ist er jetzt fort, – ist es wohl auszudenken?

Das heißt, er wollte immer mal hersausen, aber Muusch und Bümi und ich, wir haben's nicht gelitten. Dagegen kam Doktor Franz Schirmer mal auf ein paar Tage, der ist auch in Rumohr gewesen und erzählte mir von allem. Ach, jetzt sind Friedels Briefe wohl interessant, ich hab's vielleicht durch mein dummes Geschwätz frevelnd heraufbeschworen.

Es ist tatsächlich eine Wirtschaft zum Erbarmen da oben gewesen, Fritz hat den Pächter und seinen Anhang fortgejagt und viele, viele Unannehmlichkeiten gehabt. Onkel Rumohr ist auch nach Rumohr gezogen, und – die gute Tante Laura.

So hat mein Fritz wenigstens des Abends, wenn er todmüde und abgerackert heimkommt, ein ordentliches, warmes Nest.

Gut vierzehn Tage hatte ich überhaupt keinen Brief von Friedel, da schrieb Tante Laura, oder Ohm Rumohr und ich hörte, daß Fritz ewig auf Reisen sei, kreuz und quer durch Schleswig-Holstein, um Verträge abzuschließen.

Ganz tapfer suchte ich zu sein, und es lag wohl nur an meiner jetzigen, wehleidigen Stimmung, daß immer so ein dummes Gefühl in mir war, das mit Worten ausgedrückt, so geheißen hätte: »Na, einmal ein paar Zeilchen hätte er doch schreiben können.«

Aber das hat er reichlich nachgeholt, – seine lieben Briefe waren mir ein wahrer Schatz in der schweren Zeit.

Schwer war sie.

»Such dir Zerstreuung, mein liebes Lieb,« schrieb mir Fritz, »bleib nicht immer in derselben Umgebung, lade dir noch irgend was Liebes ein, zu dir kommen sie ja alle gern, – soll ich etwa deinen ganz besonderen Liebling, den Chrisli Richter mobil machen? Und bitte, liebes Kerlchen, vernachlässige die Nachbarschaft nicht ganz, es ist kernhaftes Holz darunter, und Landwirte müssen zusammenhalten.«

Das nahm ich mir vor.

Chrisli lehnte ich ab. Was soll der liebe, frische Junge jetzt bei mir, ich könnte nicht mit ihm umhertoben, und er würde mich mit tausend Fragen totmachen.

Als erste »Zerstreuung« kam Tante Emerenzia. Seit die Fürstin Mutter mein Haus für hoffähig erklärt hatte, war sie nicht mehr zu halten gewesen.

Aber sie kam, sah – und zog sehr rasch wieder ab. Sie hatte sich meinen Haushalt »feudaler« gedacht, er sei ja beinahe »ärmlich«.

Mich fand sie miserabel aussehend, aber aristokratischer als früher, – das Benehmen von Fritz, mich so lange allein zu lassen, – – sonderbar. Einen Korb ließ sie sich noch von Bümi packen, mit frischer Butter, frischen Eiern und einem Prachtschinken, dann »verduftete« sie in des Wortes verwegenster Bedeutung, denn die unverbesserliche Bümi hatte ihr obenauf ein paar recht »durche« Thüringer Käse gelegt, die sich wohl bald gemeldet haben bei der Hitze im engen Wagenabteil.

Gleich nach Tante Emerenzias Abreise machte ich einen langen Spaziergang nach Steinbrücken.

Frau von Marliß hatte sich eines schönen Tages mit Tante überworfen und war wütend heimgeritten.

Tante Emerenzia fand Frau von Marliß »schamlos«, Baron Biestorp dagegen »reizend«. Ob sie ihn so »reizend« gefunden hätte, wenn sie ahnte, daß auch ich sein »Geschmack« bin, bezweifle ich, – so hielt sie uns für Todfeinde, und das sind wir auch.

Frau von Marliß empfing mich sehr warm und herzlich, ebenso ihr Mann. Der unvermeidliche Biestorp »klebte« bei ihnen.

»Menschenkind, ist Ihre entsetzliche Tante fort?« rief Frau von Marliß. »Die ist wohl als personifizierte ägyptische Plage dunnemals zurückgeblieben? Haben Sie noch mehr solche Verwandtenexemplare? Und niemals das Verlangen nach Strychnin gehabt?«

»Melanie übertreib' nicht,« warnte Herr von Marliß, aber seine Frau wütete noch ein Weilchen herum; ich konnt' es ihr nicht verdenken, Tante Emerenzia hatte sie greulich behandelt.

Eigentlich war's ein ganz netter Nachmittag, Baron Biestorp wie umgewandelt von einer zarten Rücksichtnahme, ich konnte meine Stacheln nicht ein einzig Mal vorkehren, es war kein Grund dazu da.

Auch meine Angst, er könne mich abends heimkutschieren wollen, war ganz umsonst; als mein Wagen vorfuhr, ritt er in entgegengesetzter Richtung davon, nur freundlich grüßend und mit der Hoffnung auf baldiges Wiedersehn und einer Empfehlung an Fritz.

»Der Biestorp ist ja so zahm,« meinte Herr von Marliß, »in dem bereitet sich wohl was vor?«

»Vielleicht kriegt er die Masern,« sagte ich, »da ist man vorher immer so.«

»Ach, Sie gottvolles Geschöpf,« rief Frau Melanie, »das muß ich ihm wiedersagen. – Ich trau ihm nicht über den Weg, der schlägt bloß 'ne andere Taktik ein, Sie Lamm!«

Ob das nun nicht eigentlich »du Schaf« heißen sollte, weiß ich nicht, es klang so.

's war mir aber einerlei, ich kam seelenvergnügt nach Hause.

Und da hatte Bümi verweinte Augen, und Muusch ein arg sorgenvolles Gesicht.

Der Inspektor stand bei ihnen, als ich eintrat, und ich konnte gleich mitten in die Verhandlung 'neinspringen, denn das wissen alle auf unserm Gut, ich will nicht geschont werden, will an allem teilnehmen und arbeiten, wo ich nur kann.

Hier war nun gar nichts zu helfen von uns armen Frauenzimmern, die von »Maul- und Klauenseuche« blitzwenig verstanden und nur wußten, daß wir nun, da diese schauderhafte Krankheit unter unserem Vieh ausgebrochen, vollständig isoliert von anderen Gehöften waren.

»Der Kerl, der Sandel Levy hat sie uns eingeschleppt,« erzählte der Inspektor zornig, »er ist mit Treiberschweinen dagewesen, und der Knecht hat ihn in unsern Stall gelassen, trotzdem die Kerls wissen, wie vorsichtig ich mit fremden Viehhändlern bin. Nun haben wir die Geschichte mitten in den Vorbereitungen zur Ernte.«

»Haben Sie schon Anzeige gemacht beim Bürgermeisteramt in Rotbach,« fragte ich, denn ich wußte, daß dies die erste Pflicht war.

»Sofort,« entgegnet der Inspektor. »Nun hab' ich Chlorkalk streuen lassen, und jetzt sind sie mit Lysol erstes offizielles Desinfektionsmittel (zweites war Sagrotan) und Holzteer beim Pinseln. Wir wollen uns nur freiwillig isolieren, dann geht's am schnellsten vorüber.«

Ich begab mich schleunigst in mein Zimmer und schickte einen Bericht an Fritz, er fiel ziemlich »länglich« aus, und als Bümi das umfangreiche Schriftstück erblickte, rief sie entsetzt: »Kerlchen, isolier dich, du hast sie schon – die Klauenseuche.«

Ach, mir war nicht scherzhaft zumute, ich sah immer noch die sorgenvollen Augen des Inspektors.

Wie einem so ein Gut, solch Fleckchen Erde ans Herz wachsen kann! Es ist ja auch meine Heimat!

Die Damen in Schloß Rotbach saßen im trauten Altenteil der Frau Oberst Schlieden.

Hier wurde jede Sorge hingetragen, das weiche Organ, die lieben Augen der Mutter übten eine zauberhafte Wirkung auf verstimmte Köpfe und leidvolle Herzen. Streichelte dann noch die feine, zarte Hand sanft die gefurchte Stirn, so war's, als sei aller Gram nur selbstquälerische Einbildung gewesen, man konnte aufspringen und, – ach, so leicht wieder seinem Tagewerk nachgehen.

»Parva domus, magna quies, kleines Haus, große Ruhe« stand über dem kleinen efeuumwachsenen Portal, durch welches man in Frau Oberst Schliedens Wohnräume gelangte.

So war's auch, und die große Ruhe in diesem kleinen Hause teilte sich den beiden jüngeren Frauen mit, die mit einem ganzen Sack voll großer und kleiner Kümmernisse angerückt waren. –

Das erste und zugleich stärkste Tröstungsmittel überreichte die Mutter ihrem Kerlchen in Gestalt eines Telegramms von Fritz:

»Ich komme heute abend«, hieß es darin.

Kerlchen hielt das Stück Papier fest in der Hand zusammengedrückt, seine Augen schauten träumerisch und glückdurchstrahlt durch das kleine Turmfenster, da konnte man den Weg sehen, der nach dem Bahnhofe führte. Den würde »Er« heute abend entlang kommen, – sie an seiner Seite, endlich, endlich wieder nach zwei langen Monaten.

»Meine verständige Felicitas bleibt natürlich daheim,« sagte da eben Mama Schlieden, »ich hole unsern Fritz ab.«

Kerlchen fuhr zusammen.

»O Muusch, ich möchte so brennend gern –«

»Nein, mein Liebling,« entgegnete Frau Oberst mit einer seltenen Festigkeit, »du erwartest uns hier, die halbe Stunde der längeren Trennung wirst du wohl noch ertragen können.«

Kerlchen seufzte. »Mütter haben manchmal doch sonderbare Begriffe,« dachte es, »und vergeßlich sind sie auch, sonst müßte doch die eigene Jugendzeit lebendiger in ihnen sein.«

Aber in Kerlchen steckte tief der altpreußische Gehorsam. Es küßte der Mutter die Hand, und dann kam die namenlose Freude über die Heimkehr seines Friedel mit voller Gewalt über es.

»Nun sollt Ihr sehen, nun wird alles gut,« jubelte Kerlchen, »ich glaub' so fest und sicher, nur der Fritz hat gefehlt. Das Schicksal hat nicht recht gewußt, was es mit uns Frauenzimmerchen anfangen soll, und nun mal derb an uns herumgezupft, ob wir uns auch bewähren.«

»Kerlchen, sobald du ins Philosophieren kommst, wird mir so wunderlich zumut, als hätt' ich zu lang' auf 'ner Schaukel gesessen,« meinte Bümi, die immer gern eine aufkeimende Weichheit unter losen Worten versteckte.

Frau Oberst Schlieden sah ihr Kerlchen an. Die Probe, die das Schicksal da gemacht, hatte ihr Kind glänzend bestanden, aber es war doch gut, daß es wieder in seine »Heimat« kam.

»So!« sagte Kerlchen.

Eine große Befriedigung lag in diesem Wörtchen. Es hieß: »Ich bin fertig, du liebster Friedel, du kannst nun kommen.«

Wie sein Zimmer rosendurchduftet war! Wie warm die Julisonne noch in den Abend hineinschien und das ganze liebe weiße Haus mitsamt der grünen Umrahmung golden verklärte. Wie lieb und sonnig das ganze Gut dalag, als wollte es dem Heimkehrenden gleich zurufen: »Bin ich nicht schön? Komm! Nun bleiben wir beisammen!«

Kerlchen hatte noch einen kleinen, ganz kleinen Streit mit der Mutter gehabt.

Ein Streitchen nur.

»Schick ihm einfach Kismet hin zum Bahnhof, Muusch,« war Kerlchens Vorschlag gewesen. »Ich kenn' ja doch meinen Fritz. Wenn er sieht, daß ich nicht dort bin, fliegt er am liebsten her. Das Gepäck lassen wir holen, oder du nimmst es auf dem Jagdwagen mit.«

Aber Muusch wollte nichts davon wissen, es sei zu ungemütlich, meinte sie, – diese Heimkehr.

Und so lachte Kerlchen jetzt noch, wenn es daran dachte, daß Muusch mit »Hanne und Lise« abgezogen war, den »Urgäulen«, die vor die Familienkalesche gespannt waren.

In die Kalesche hatte sich Muusch mit Decken und Tüchern gesetzt, als gehe es der Erforschung des Nordpols entgegen, und Bümi hatte sich weich daneben gebrezelt, während Kerlchen von der Expedition ausgeschlossen blieb.

»Man muß seinem Nächsten jeden Schmerz ersparen,« hatte Bümi eifrig gerufen, »und der größte Schmerz wäre für Fritze Stieglitze, wenn ich nicht ihn zuerst begrüßte.«

Wie Fritz wohl aussah!

Zwei Monate sind eine lange Zeit.

Muusch und Bümi hatten Kerlchen einreden wollen, er würde wohl nicht grad zum besten aussehen, nach dem Ärger, der Sorge und den tausend Unannehmlichkeiten, die er täglich durchzumachen gehabt, aber da hatte es lachend den Kopf geschüttelt.

So recht rote Backen hatte Fritz ja nie, sein braunes Zigeunergesicht war beinahe immer unverändert.

Vor der Freitreppe standen schon der Inspektor, der Oberknecht und der Diener.

Dorette kam alle Nasen lang, stellte sich ein Weilchen dazu, sah, die Augen mit der Hand beschattend, den Weg entlang und kam dann zu Kerlchen zurück.

»Du siehst so blühend aus, Goldkind,« bemerkte sie wohlgefällig, »das wird den Herrn freuen. Und nun auch nicht erschrecken, gelle, – wenn die lange Reise dem Schatz nicht so arg gut bekommen ist, du liebe Zeit, ich hab Leute gekannt, die übergaben sich auf jeder Haltestelle.«

Kerlchen lachte fröhlich auf.

»Du närrische Dorette,« sagte es und streichelte das runzlige Gesicht der Alten. »Von der Sorte ist er nicht, und ich hab' auch kein bißchen Angst, daß mein Riese von 'ner zehnstündigen Reise hinfällig sein könnte.«

»Sie kommen,« rief der Inspektor in das offene Fenster hinein und schwenkte freundlich grüßend seinen großen Strohhut.

Sie kommen! Kerlchen preßte nun doch einen Augenblick seine Hand auf das wildschlagende Herz.

Sie sah nun die große Kutsche daherrollen, sah den gemütlichen Zuckeltrab von »Lise und Hanne«, die in ihrem Pferdegemüt nicht ein einziges Mal den Gedanken wälzten, daß hier ein arg sehnsüchtiges, junges Menschenkind auf den Insassen wartete, den sie so seelenruhig herbeförderten.

Aber auch die kirschbaumbewachsene Landstraße nahm mal ein Ende, und Kerlchen ließ sich nicht länger Zeit, sondern schritt zu den andern hinaus.

»Jetzt kommt eine andere Zeit, gelt, Herr Inspektor?«

»Will's Gott, will's Gott, Frau Baronin,« dienerte der Alte, »ich bin aber nicht sehr fürs Luftschlösserbauen. – Da biegt der Wagen ins Parktor ein.«

»Fritz!« rief Kerlchen. Eine Welt von Jubel lag in dem Wort. Und gleich darauf etwas zögernder und leiser: »Fritz – –«

Die beiden Damen stiegen zuerst aus, eine Ewigkeit dünkte es Kerlchen, ehe der hochgewachsene Mann sich erhob und langsam, sehr langsam dem Wagen entstieg, vom Inspektor kräftig unterstützt.

Kein Laut entfuhr Kerlchens Lippen.

Es war nur, als straffte sich seine Gestalt, als wüchse der junge Körper, damit er Kraft bekäme, jenen großen Mann da zu stützen, zu tragen, zu heben, jenen blassen Mann mit den tiefen Schatten unter den dunklen Augen – der sein Alles war.

»Kerlchen!«

An seinem Herzen lag es nicht. Fest stützte sich Fritz von Rumohrs Arm auf sein junges Weib. Sehr blaß war das Kerlchen, aber ein Leuchten lag in seinen Augen. Die Tränen schluckte es so tapfer hinunter, daß es beinahe weh tat, und das Lächeln, das um den zuckenden Mund lag, hatte etwas Heldenhaftes. – So hielt Fritz von Rumohr wieder Einzug in Tannenruh.

In seinem Zimmer angelangt, schob der Diener sofort einen weichen, mächtigen Sessel herbei, und langsam ließ sich der Kranke darauf nieder. Kerlchen kniete vor ihn hin.

»Das wußt' ich nicht, mein Fritz, daß du krank bist, sie hatten mir nichts gesagt, die beiden, – niemand – und ich hätte es doch wissen sollen.«

Aber gleich darauf streckte es schon der Muusch und Bümi die Hand entgegen.

»Ihr meintet es gut.«

Und dann sah es wieder nur den Fritz.

Er hatte ein Glas Wein vom Diener entgegengenommen und erholte sich sichtlich.

»Ach du, – du mein Kerlchen!«

Die andern verließen einer nach dem andern das Zimmer, die beiden merkten es nicht.

»Mein Einziges,« sagte Kerlchen leise voll tiefer Zärtlichkeit. Es kniete immer noch vor ihm, sah ihm forschend und tief in die Augen, als könne es aus ihnen das Leid, die Sorgen und Schmerzen der Trennungszeit herauslesen, dann streichelte es leis und sacht den linken Arm, der in schwarzer Schlinge lag.

»Eine Schramme, mein Lieb,« lächelte Fritz von Rumohr.

Kerlchen sah ihn ernst an.

»Und wo hast du sie her? – – Nein, nein, erzähl' es mir noch nicht, du bist müd' und matt. O, wie lang mag dir die Reise geworden sein!«

»Das war sie, Kerlelein.«

»Und fuhrst du ganz allein?« fragte Kerlchen ungläubig und besorgt.

»Ohm Rumohr hatte mir seinen braven Schwarzen mitgegeben, der sorgte rührend für mich. Er bleibt heute drunten im Wirtshaus, um sich auszuruhen und den Rotbachern Gelegenheit zu geben, mal was Besonderes zu sehen, und morgen kehrt er nach Rumohr zurück. Du solltest ihn aber nicht sehen und dich nicht erschrecken.«

Kerlchen war aufgestanden und hatte sich auf einen Stuhl neben Fritz gesetzt. Fest hielt es mit beiden Händen die gesunde Hand des geliebten Mannes umschlossen.

»Mein Kerlelein sieht gut aus, ganz prächtig gut, – ach, und schöner ist's mit jedem Tag geworden, wie soll ich armer, blasser Gesell daneben bestehen.«

»Du, – dich pfleg' ich schon, mein Liebling.«

»Das weiß ich, Kerlelein. Aber wenn du wüßtest, was ich für Durst hab' – –«

Diesmal langte Kerlchen nicht nach dem Weinglas, das noch halb gefüllt auf dem Tische stand. Es beugte sich voll heißer Zärtlichkeit zu Fritz hin und küßte ihn.

»Du mein Glück, meine Welt, Kerlelein, süßes – – o – man wird immer durstiger – –«

Nun langte es doch nach dem Wein.

»Ich seh's, du bist auf dem Wege der Besserung, mein Fritz,« lachte es leise, – – »kannst du mir nun erzählen – wie alles kam?«

Sie saßen eng aneinander geschmiegt, und er erzählte. Kerlchen lauschte mit Herz und Sinnen. Die Augen wurden immer größer, Angst und Grauen malten sich in ihnen, liebkosend streichelte Fritz die eiskalten Hände.

»Es ist ja nun vorbei,« beruhigte er.

Aber für Kerlchen war's noch nicht vorbei. Das lebte noch einmal die Schmerzen durch, seelisch und körperlich, die der Geliebte erlitten. – Genau sieben Wochen war es also heute her, daß man aus dem Hinterhalt auf ihn schoß – –

Kerlchen schloß in bebendem Entsetzen die Augen.

»Ich mußte ihn Knall und Fall fortjagen, den Lumpen,« fuhr Fritz fort, »aber ich ahnte doch nicht, daß er sich an mir tätlich vergreifen würde, denn er hatte weder getobt, noch gedroht, sondern hatte, den erdrückenden Beweisen seiner unredlichen Lotterwirtschaft gegenüber, nur seine Sachen gepackt. Ich leitete selbst den Auszug aus der Verwalterwohnung, damit die auf den Pächter rasend erbitterten Leute, die ich zum Umzug befohlen hatte, denn sonst hätte ihm niemand geholfen, ihm nicht seine Sachen zusammenschlugen. Einen gediegenen Hausrat hat er sich auf meine Kosten geleistet, der Schuft!«

Kerlchen streichelte beruhigend Fritzens dunkles, dichtes Haar, und dann hörte es weiter, wie Fritz nun alles mit dem dortigen Inspektor, der mehr ein Oberknecht war, in die Hand genommen, den Augiasstall zu reinigen versucht hatte.

Und bei einer solchen Reinigung – Fritz hatte mit einigen Forstbeamten, welche die Regierung geschickt, im Walde beraten und einen entsetzten Blick in die Verlotterung getan, die der Pächter auch hier hatte einreißen lassen – traf ihn der Schuß.

Sein linker Arm wurde durchbohrt, und er war blutüberströmt zusammengebrochen.

Fritz hielt sein Kerlchen fest, es weinte bitterlich. Und jetzt fühlte es auch, wie gut es gewesen war, daß man es in Unwissenheit über alles gelassen; diese sieben Wochen, die so schon gar schwer gewesen waren, als sie den gesunden Fritz in der Ferne wußte, wären ihm zur unerträglichen Qual geworden, wenn es geahnt hätte, daß Fritz schwer krank war, daß er so litt.

»Hat man den Pächter gefaßt,« fragte Kerlchen leise.

»Nein, er ist nach drüben durchgebrannt, seine Frau, die ihm ebenbürtig ist, begleitet ihn. Und nun nichts mehr von diesen erbärmlichen Geschichten, – o, mein Kerlelein, ich bin wieder bei dir!«

Fritz legte sich einen Augenblick erschöpft zurück. Wie krank und blaß er aussah, heißes Mitleid wallte in Kerlchen auf.

»Mein Friedel! Und wir bleiben nun auch immer zusammen! Ich kann ja doch nur so wenig jetzt im Gute behilflich sein, gelt, ich darf dich pflegen, bis du wieder ganz frisch bist? Fritz, du mein Herzensmann, wie hab' ich mich nach dir gesehnt!«

Es war ein wunderliebes Stündchen trotz allem. Die tiefe Erschöpfung, die über Fritz von Rumohr nach der langen Reise und der Anspannung all seiner Kräfte gekommen war, war ja nichts im Vergleich mit den öden, schmerzvollen Stunden, die er allein in Rumohr durchgemacht.

O, wie hatte ihm der Sonnenschein gefehlt, sein lebendiger Sonnenschein!

Mama Schlieden und Bümi hatten sich wieder hineingeschlichen, Doktor Paul folgte ihnen auf dem Fuße.

»Ruhe, Ruhe, Ruhe, dreimal Ruhe, und diese dreimal unterstrichen!«

Mit diesem ernsten Ratschlag glaubte er seine Meinung über den Fall erschöpfend ausgedrückt zu haben.

»Es ist gut, daß Sie wieder da sind, Herr Baron,« setzte er noch, nur für Fritz verständlich, hinzu. »Lassen Sie sich ruhig von Ihrem Frauchen pflegen, gründlich nach allen Richtungen; das fühlt sich am wohlsten, wenn es sorgen kann, es sieht so schlank und zart aus, ist aber wie von Eisen. Einen Willen hat die junge Frau Baronin, eine Energie – –«

Der gute Doktor vollendete seinen Satz nicht, die deutsche Sprache war augenscheinlich für seine Bewunderung zu arm.

Am andern Tag kamen Herr von Marliß und Baron Biestorp, um den Rekonvaleszenten zu besuchen. Aber sie wurden nicht hereingelassen, der kleine Cerberus gestattete es nicht.

Kerlchen begrüßte die Herren draußen in der großen Vorhalle.

»Wenigstens sehen möchten wir Ihren Herrn Gemahl so gern,« sagte Herr von Marliß herzlich, – »ich hab' mich ordentlich um ihn gesorgt.«

»Das ist sehr lieb von Ihnen,« erwiderte Kerlchen ernst, »aber je länger Sie ihn still unter meiner Obhut lassen, um so rascher haben Sie ihn wieder.«

»Kunststück,« brummte Herr von Marliß, als die beiden Herrn auf der Steinbrückener Landstraße nebeneinander herritten. »Unter der Obhut wird ein Toter gesund.«

Baron Biestorp entgegnete nichts auf diese kühne Behauptung, aber er unterschätzte entschieden Fritz von Rumohrs Arbeitslust und hatte ihn stark in Verdacht, freiwillig seine Klausur zu verlängern, nur um das süße, junge Geschöpf nicht aus seiner Nähe zu verbannen.

»Die Maul- und Klauenseuche auf dem Rittergute Rotbach ist erloschen,« stand im Kreisblättchen zu lesen. Statt ihrer war ein anderer Gast eingekehrt, – der Regen.

Die Landwirte rings auf den Gütern und Höfen schimpften.

»Ein gottverlassenes Wetter!«

Der Neubau der Schule ging nur ganz langsam vorwärts, es konnte der Nässe wegen nur wenig gearbeitet werden.

Die Bauern kümmerten sich zwar nicht um das vornehme »Barometer«, jedoch sie hatten ihre anderen untrüglichen Zeichen in der Natur und schüttelten die Köpfe.

Bümi und Kerlchen aber standen vor dem Barometer und wunderten sich, daß es nicht schon längst zum Gehäuse hinausgefallen war, und dann ging jedes traurig und kopfschüttelnd an seine Arbeit.

Fritz von Rumohr schüttelte längst nicht mehr den Kopf. Seine Augen blickten so finster, daß die dunklen Brauen beinahe eine Linie bildeten.

Seine Wunde heilte langsam, viel zu langsam für den Tätigkeitsdrang des rastlosen Mannes, der am liebsten an zwei Stellen zugleich gewesen wäre. Aber wenn er sich auch vervielfältigt hätte, so hätte er auch nichts weiter sehen können, als – Regen.

Das Korn lag strichweise umgefallen da, der Himmel war immer ganz und gar umzogen, vergeblich spähten Gutsherrschaft und Instleute nach einem kleinen Stückchen Blau, nach einem »Gottesauge,« wie der Volksmund sagt.

Von früh an bis zum späten Abend Regen, Regen, nichts als Regen.

Wie eine Befreiung war's gewesen, alle hatten aufgeatmet, als in der einen Nacht ein orkanartiger Sturm losbrach und über Felder, Wiesen und Wälder dahinbrauste.

Dieses eintönige Herabrieseln der Regenmassen war kaum noch zu ertragen gewesen.

Und am andern Tage sahen die Felder aus, als sei das Schicksal nächtlicherweise über das Korn gestampft, hinter sich her eine Riesenkette schleifend, die alles in den Boden hineingedrückt hatte.

Und dann setzte der Regen wieder ein.

Auf die niedergemähten Ähren rieselte er, eintönig, ununterbrochen.

Fritz schritt mit dem Inspektor durch die traurige Verwüstung, seine Hand griff mechanisch nach dem zerschlagenen Korn, es faulte, und die Körner keimten.

Fritz dachte an die kostspielige Röhrendrainage, die er angelegt, an die Verzinsung und Amortisation des Anlagekapitals, er hatte gehofft, daß die gesamten Unkosten in wenigen Jahren durch den Mehrertrag der Ernte gedeckt sein würden.

In dem großen massiven Schuppen, der auf einer Brachwiese errichtet war, stellten Leute eine Mähmaschine mit Garbenbinder und eine Göpeldreschmaschine auf.

Der älteste Arbeiter führte die Aufsicht, er prüfte die Kuppelungsstange auf ihre Kraftübertragung und sah nach, ob der Rundgang der Göpel den richtigen Durchmesser habe; die Maschinen waren neu, bisher waren noch die Flegel und die Handdreschmaschinen üblich gewesen.

Der Instmann rückte seine Mütze, als der Herr vorbei kam.

»Wir werden sie nicht brauchen, Herr Baron,« sagte er ernst und zeigte auf die Maschinen.

Fritz von Rumohr antwortete nicht, die Antwort, welche der Anblick des verfaulten Korns gab, war ja auch deutlich genug.

Und wieder brach eine neue Woche an, – Sonntag. Kein rechter Feiertag war's, denn man hatte in der Woche nicht viel schaffen können, es war keine heiße Erntewoche gewesen, des Schweißes der Arbeiter wert. Nun gingen nur wenige in dem naßkalten Regen zur Kirche, die Meisten saßen im Wirtshaus, um über das Hundewetter zu schimpfen.

»Na, der Herr kann's wohl aushalten,« rief der Oberknecht, der zwar mit dem Gesangbuch ausgezogen war, es aber leider doch vorgezogen hatte, sich selbst und das Buch in die warme Wirtshausstube zu retten.

Er war bei guten Ernteaussichten ein fleißiger Kirchgänger und braver Kerl, sobald ihm aber »unser Herrgott nichts gab«, wie er sich ausdrückte, »hatte er auch keine Verpflichtung zu danken.«

»Unser Herr kann's aushalten.«

»Aushalten schon,« brummte der Oberknecht von Steinbrücken, der sich ins Rotbacher Wirtshaus gesetzt hatte, weil der Herr Pfarrer in Rotbach so viel schöner predigte, als der Herr Pfarrer in Steinbrücken. »Aber was 'n richtiger Landwirt is, dem is so 'ne verregnete Ernte ne Horbel mitten ins Gesicht.«

»Nu, – wenn er's aushalten kann.«

Sandel Levy war's, der so sprach, – der »Herr Agent«.

»Das kann auch nur so'ne ††† Rechenmaschine sagen,« brummte der Oberknecht.

»'n richtigen Landwirt tut's Herz bei solchem Wetter weh, und wenn ihm statt der verfaulten Körner die Taler aus der Erde wüchsen.«

»Nu, ich würd' vorziehen die Daler und den Regen,« meinte Sandel Levy.

Der Oberknecht spuckte den Saft des Priemchens, an dem er gerade kaute, in großem Bogen aus, so daß der Herr Agent schleunigst seinen Kopf in Sicherheit brachte.

Im Herrenhause saßen an diesem Sonntag Frau Oberst Schlieden, Kerlchen, Fritz von Rumohr und Bümi am Kaffeetisch. Das große Fenster des ohnehin schon dunkelgetäfelten Zimmers wurde von den Tannen vollends verdunkelt, die gerade auf dem Platz davor standen, aber während sonst die liebe Sonne doch noch ihren Weg durch das Geäst fand und, nachdem sie lange genug mit den Blumen am Fenster gespielt, herein zum Eßtisch kam, um sich selbst vom reinen, sonnigen Menschenglück ein paar Strahlen zu holen, hielt sie sich heute ganz versteckt, und die alte Dorette wurde beauftragt, die große Stehlampe in Vertretung der natürlichen Beleuchtung anzuzünden.

»Im August!« grollte Dorette. »Früh um neune! Es is 'ne Sinne un 'ne Schanne.«

Bümi und Fritz standen auf und legten die Regenröcke um, die jetzt zu den unerläßlichsten Kleidungsstücken gehörten, setzten die Hüte auf und erwarteten den geschlossenen Wagen, der sie zur Kirche bringen sollte.

Fritz trug noch die schwarzseidene Armschlinge, das verletzte Glied mußte immer noch geschont werden, aber der Arm war nicht steif geblieben, wie man so bang gefürchtet.

»Wie ungern ich dich allein lasse, du mein Einziges!« sagte Fritz zärtlich und legte den gesunden Arm um sein Kerlchen.

Es sah zu ihm auf.

»Gerade jetzt mußt du zur Kirche,« entgegnete es weich, »wir haben's wohl not, daß wir beten, wir armen, verregneten Kerle. Und sie könnten dir dein Fernbleiben übelnehmen, die Bauern und der Pfarrer.«

Es klopfte, und Dorette brachte die Postsachen.

Bümi stürzte sich auf einen Brief ihres Franz, den sie noch rasch, (es waren acht enge Seiten!) durchfliegen wollte, und Fritz öffnete ein umfangreiches Schreiben aus Mölln.

Die ersten Reihen des Briefes überflog er, dann faltete er ihn hastig zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche.

»Rasch, Bümi, es ist die höchste Zeit,« rief er, – »und unsere armen Gäule dürfen nicht so lange warten bei dem Wetter. Ade, Liebling, Gott behüt!«

»Ade, Friedel! – O – verzeih, – du hast den Brief eingesteckt, darf ich nicht – –«

»Nachher, mein Kerlchen, – nachher!«

Er küßte Kerlchens Stirn, winkte Frau Oberst Schlieden etwas eilig zu, und in wenigen Minuten hörte man den Wagenschlag draußen zufallen.

Kerlchen seufzte ein klein wenig.

»Es muß das Wetter sein,« sagte es wehmütig, »meinst du nicht, Muusch, daß es recht auf das Gemüt drückt? Ich komme mir recht verzagt vor.«

Die blasse, zarte Frau nickte ernst vor sich hin.

»Rumohr hat Sorgen,« meinte sie, »aber meines Kerlchens Lachen soll sie ihm leicht machen, nicht wahr, Kind? Das hielt dein lieber Vater immer für die oberste Pflicht der Frau. Ach – und du verstehst es gut, Kerlchen, – besser als ich Krankes es je konnte.«

»O du! Das weiß ich besser. Du warst doch dem Väterchen alles – Frau und Freundin und Geliebte.«

Frau Oberst Schlieden errötete ganz lieblich.

»Nun hört das Kind an! Hab' gar nicht gewußt, daß du so scharf beobachtet hast. Aber eins war ich doch nicht und konnte es nicht sein, so wie du es deinem Manne bist, so ein Kamerad – durch Dick und Dünn – ach, und das schätzte dein Vater am höchsten – –«

»Sein Kamerad,« wiederholte Kerlchen leise. »Das durfte ich ihm sein – und jetzt bin ich's dem Fritz, – meinem Fritz.«

Kerlchen sah ein Weilchen träumend ins Weite, dann schrak es zusammen.

»Muttchen, sieh einmal hinaus, – wird es nicht immer finsterer?«

»Kerlchen!«

Die beiden Frauen hielten sich umschlungen.

»Ein Unwetter kommt, Herzensmuttchen.«

»Sei nur recht ruhig und unverzagt, Kerlchen.«

»Ich bin's, Muttchen, und Fritz ist in der Kirche geborgen.«

Die Tür sprang auf, ein eisiger Wind fegte herein, zugleich kamen Dorette und Lise und Dörte, die Hausmädchen, gelaufen.

»Du liebe Zeit, Frau Oberst, das is ja woll der jüngste Tag,« jammerte Dorette, während die beiden jungen Bauernmädchen sich zitternd an den Händen hielten.

»Bleibt nur hier,« ermutigte Kerlchen und setzte auf die schüchterne Frage, die in den bangen Gesichtern zu lesen stand, gleich als Antwort hinzu:

»Glaub's euch gern, daß ihr Angst habt, – es sieht ja schauerlich aus.«

Und dann wurde es draußen völlig dunkel, man sah die Knechte wie wild über den Hof laufen mit eilig entzündeten Stallaternen, Türen und Fenster schlugen, das Vieh brüllte in den Ställen, erschreckt von der Dunkelheit, oder im dumpfen Ahnen eines großen Naturereignisses.

Kerlchen schritt zum Erker des großen Zimmers und öffnete das alte, schöne Schliedensche Harmonium, das mit seinen in Mosaik ausgelegten Figuren ein wertvolles Erbstück war.

Nur nicht so ganz untätig sitzen mit diesem wilden Herzschlag in der Brust, mit der quälenden Sorge – –

»Harre, meine Seele, harre des Herrn.«

Mit weichem Anschlag glitten Kerlchens Hände über die Tasten der kleinen Orgel, und Lise und Dörte drängten sich ganz dicht heran und sangen mit ungeschulter, aber sehr andächtiger Stimme das schöne Lied mit.

Dorette hatte die Hände gefaltet und war zur Frau Oberst getreten, mit der sie nun schon vierzig Jahre Freud und Leid getragen, sie sah mit fürsorglicher Liebe in das Gesicht der blassen Frau, auf dem die Sorge heute so ganz besonders liebevoll ausgeprägt war. Ein scharfer Blitz flammte plötzlich auf, und der krachende Donner schlug hinterher.

Wieder ein Blitz – ein Schlag.

Fahlgelb der Himmel, – Blitz – Schlag.

Jäh hatten alle aufgeschrien, und dann stand Frau Oberst Schlieden vor ihrem blassen Kinde.

»Kerlchen, Geliebtes, gelt, ganz ruhig sein.«

»Aber ja, mein Muusch, aber ja doch!«

Der blasse Mund lächelte tapfer, Dorette hielt Kerlchen ein Glas Wasser hin, und es trank geduldig.

Lise und Dörte schluchzten laut.

»Wenn ihr dumme Tanten sein wollt, müßt ihr 'naus,« raunte ihnen Dorette zu.

Das Schluchzen verstummte sofort.

Und wieder ein scharfer Knall und der furchtbare, ohrbetäubende Donner fast zu gleicher Zeit.

Kerlchen hielt das tapfere Lächeln immer noch fest, aber große Tränen rollten über seine Wangen.

»Ich habe so furchtbare Angst um Fritz,« sagte es laut, während ihm die Zähne aneinander schlugen.

Und sein Kinderherz redete eindringlich mit dem Lenker alles Menschenschicksals: »Ach, lieber Gott, behüt' doch Fritz, behüt' doch meine Heimat!« Der Aufruhr in der Natur war furchtbar.

Als ob der Himmel sich zur Erde senke, so sonderbar, gespenstisch wogten und wallten draußen die ungeheuren Wassermassen, der Tumult verschlang das Räderrollen eines im gestreckten Galopp herankommenden Wagens, der nur knapp eine Minute am Schloßtor hielt. Dann stürmten die Pferde wieder fort nach der Ökonomie, wo einige beherzte Knechte mit Hilfe des völlig durchnäßten Kutschers die Pferde abschirrten, und die zum Tode erschrockenen, zitternden Tiere in den Stall führten.

Wieder flog die Zimmertür auf, wieder der eisige Windstoß, Bümi flüchtete sich herein.

»Kerlchen, liebes, liebes Kerlchen.«

»Wo ist Fritz?« schrie Kerlchen auf, zu gleicher Zeit klammerten sich Lise und Dörte an die junge Frau und zerrten sie zum Fenster hin.

»Da – da – das Wasser! Die wilde Gera!«

Wie furchtbar hatte sich das Silberflüßchen verändert, nicht zu erkennen war's in dem gelben, schmutzigen, gurgelnden, schäumenden Wasser, das sich da heranwälzte. Das zierliche Parkgitter gab sofort den Widerstand auf und streckte die Verzierungen seines Geländers kläglich in die Luft, es wurde wie schwache Holzstäbchen abgeknickt und nahm gleich die jungen Bäumchen mit und das köstliche Rosenrundteil vor der Freitreppe.

An den Stufen der Treppe ebbte der Strom, und dann bahnte er sich ein neues Bett, nachdem er Bäumchen und Gitter auf die erhöhten Treppenstufen geschleudert, als sei er müde, sie als Spielzeug mitzuführen.

Es war jetzt etwas heller draußen geworden, und man konnte die Greuel der Verwüstung deutlich wahrnehmen, die der entfesselte Fluß begonnen und mit grausamer Kraft zu Ende führte.

»Dammbruch.«

Bümi hatte das Wort zuerst geflüstert, und der Schreckensruf der Frau Oberst hatte Kerlchen wieder vom Fenster ins Zimmer zurückgetrieben.

Kerlchen hielt Bümis Arm umklammert.

»Fritz! Wo ist Fritz.«

»Dort!« Bümis ausgestreckte Hand zeigte nach dem Dorf. »Der Pfarrer hat nur ein kurzes Gebet gesprochen, sie stürmten alle hinaus, als das Wasser in die Kirche kam o, wie schrecklich ist das alles!«

Bümi weinte bitterlich.

»Wo ist Fritz,« fragte Kerlchen immer wieder tonlos. »Er schont sich nicht, sein Arm ist noch wund, er denkt nie an sich, wo ist Fritz?«

»Sie rissen ihn gleich mit fort,« weinte Bümi, »grüß Kerlchen,« rief er laut über alle Köpfe hinweg – ach, du weißt ja, daß er immer, immer an dich denkt.«

Kerlchen wankte zum Fenster zurück, – der Anblick war schrecklich, es vergrub sein Gesicht in beide Hände und weinte bitterlich.

O, die bangen, bangen Stunden, die nun folgten!

Frau Oberst Schlieden hatte Kerlchen sacht vom Fenster fortgeführt, hatte es mit Bümis Hilfe auf das Sofa gebettet und saß neben ihm, es sorglich wartend wie in alter Zeit, da es noch ein kleinwinziges Kerlchen gewesen war.

Lise und Dörte hatten sich hinausgeschlichen, draußen auf der Vordiele schienen alle auf dem Gute sich befindenden Instleute versammelt zu haben, um Rats zu halten.

Große Stangen wurden herbeigeschafft, und dann zog man in hohen, ungefügen Stiefeln hinaus zu harter, ernster Arbeit. – – –

Von dem Rotbacher Kirchturm läutete das Notglöckchen, – es wurde sonst nur bei Feuersgefahr angeschlagen, aber der alte Küster sah in dem gelben, brausenden Strom, der jede Fessel gesprengt, und, alle frühere Freundschaft verleugnend, heimtückisch und boshaft gegen sein Haus und das liebe Kirchlein ansprang, einen gewaltigen Feind, und so zog er unermüdlich an dem Seil, und die alte Glocke schickte ihre schrillen Klagetöne ins Thüringer Land hinein.

Der Steinbrückener Küster schien das sehr verständig zu finden, außerdem wurde das untätige Warten und Zusehen, wie das Element der Menschen Arbeit grausam vernichtete, nachgerade zur Qual.

So zog er denn auch das Notglöcklein, und die beiden Turmschwestern wimmerten ein klägliches Duett.

»Bim, bim, bim – bäm, bäm, bäm!«

Das Wasser stieg und stieg.

Kerlchen war längst wieder aufgestanden.

Das untätige Liegen und Warten war unerträglich, aber das Schauen am Fenster ging beinahe über die Kräfte auch jedes gesunden Menschen.

Was da alles auf den schmutzigen Wellen einherschaukelte!

Haus- und Ackergeräte, Bäume und Sträucher, Bretter und Balken, tote Tiere und solche, die noch versuchten, gegen das wütende Element anzukämpfen.

»Bim, bim, bim – bäm, bäm, bäm!«

»Wenn die Glocken doch nur aufhörten,« sagte Kerlchen leise und wandte der Mutter sein gequältes Gesichtchen zu.

Und langsam, langsam verging der Tag.

Von umsichtigen Menschen war eine Kahnverbindung hergestellt, es war nach allen Richtungen telegraphiert worden, und schon in den ersten Nachmittagstunden trafen die braven H.'schen Pioniere ein.

In das Herrenhaus kam regelmäßige Nachricht, deren Grundreim lautete: »Unser Herr arbeitet für zehn.«

Die furchtbaren Einzelheiten, die der Berichterstatter draußen dem Gesinde vortrug, das sich nun alles, so weit es aus weiblichen Dienstboten bestand, in das hochgelegene Herrenhaus geflüchtet hatte, kamen nicht ins Zimmer hinein.

Bümi empfing sie draußen und wandelte sie mit liebevoller Phantasie etwas um, um das Kerlchen nicht unnütz zu erschrecken und zu quälen.

Das junge Geschöpf litt furchtbar in seiner Sorge um den geliebten Mann.

Aber gegen Abend, als die Pioniere schon tapfer bei der Arbeit gewesen waren, und man ihre segensreiche Tätigkeit an dem jäh abebbenden Wasser sah, suchte das gänzlich erschöpfte Kerlchen doch wieder das weiche Sofalager auf, und so kam es, daß es fest, süß und ruhig schlief, als sein Fritz endlich heimkam.

Und gut war's. –

Wie hätte sein Herz wohl aufgeweint beim Anblick des todmüde schwankenden, tropfnassen Mannes, der, mehr geführt und getragen als selbst schreitend, endlich in gänzlicher Erschöpfung in einem der großen Sessel landete.

Aber eins hätte es auch wieder sehen mögen, – wie ein bärtiger Arbeiter, der Fritz mit hergeführt, sich beim Abschied über die Hand des mit geschlossenen Augen Daliegenden beugte und sie küßte, – scheu – mit nassen Augen.

Der Thüringer Bauer ist nicht gern weich.

»Er hat meine Frau aus dem Wasser geholt und den Buben – meinen Jungen,« sagte er barsch erklärend zu den Umstehenden. Mit tastender, zitternder Hand suchte er seine zur Erde gefallene Mütze, machte eine ungeschickte Verbeugung und stampfte wieder hinaus.

Dorette und der junge Diener Karl gingen ab und zu. Sie holten neue Kleider und Wäsche, sie hatten im Kamin ein helloderndes Feuer entfacht, denn es war draußen und drinnen eine kalte, häßliche Luft.

Frau Oberst Schlieden und Bümi hatten sich ins Altenteil zurückgezogen, um auch ein wenig zu ruhen, nachdem sie noch Doktor Paul empfangen hatten, der schier wie ein moderner Lohengrin an der Freitreppe landete. Er sah den völlig erschöpften Fritz von Rumohr an, sprach leise mit Dorette, wies den Diener zurecht, legte selbst mit Hand an, und bald ruhte Fritz in trockenen, warmen Kleidern, einen kräftigen, heißen Grog in den Adern, auf dem Ruhebett in der Nähe des Sofas, auf dem sein Kerlchen in süßem, tiefem Schlummer lag.

Fritz sah nur wie durch einen Schleier das liebe Gesichtchen seines jungen Weibes, er drückte nur schwach die Hand des Arztes und schlummerte dann auch in gänzlicher Ermattung all seiner bisher aufs äußerste gespannten Kräfte ein.

Dorette war noch allein bei dem jungen Paar.

Sie hob die nassen Kleider auf, holte die Sachen aus den Taschen und legte sie auf den Tisch, ordnete das Zimmer, schürte das Kaminfeuer und schritt dann leise hinaus, um draußen mit stolzem, frohem Herzen zu hören, was der Gutsherr, was der verehrte Gatte ihres Goldkindes Kerlchen sei:

»Ein Held! Einer, der nie an sich denkt! Das vergessen wir ihm nie!«

Hoch klingt das Lied vom braven Mann.

Was alles Hin- und Hergehen, Tragen, Schurren und Heben nicht vermocht, tat der kleine »Klapp« der zufallenden Tür, als Dorette das Zimmer verließ, – Kerlchen erwachte. Erst blinzelte es eine Weile umher, sah das bekannte Zimmer, die trauliche Lampe, das Feuer im Kamin und besann sich auf das, was geschehen.

Dann erhob es sich etwas, um aufzustehen, und sah – Fritz. Erst starrte es mit großen, ungläubigen Augen nach ihm hin, aber dann war's im Nu auf den Füßen und schritt lautlos zu ihm hin.

Heiß schossen ihm die Tränen in die Augen, aber es bezwang tapfer das innige Verlangen, den lieben Kopf in seine beiden Hände zu nehmen und die Augen wach zu küssen.

Einen solch erschöpften Ausdruck zeigte das sonst so energische Gesicht des geliebten Mannes, daß Kerlchen sich nur sacht über ihn beugte und den tiefen, regelmäßigen Atemzügen mit einem Glücksgefühl ohnegleichen lauschte.

Kerlchens Hände falteten sich, und so stand es eine ganze Weile in stiller Wacht. Dann schritt es leise zum Sofa zurück und nahm den alten Platz wieder ein.

Mechanisch blieb sein Blick auf der Stelle haften, wo Dorette die Briefschaften niedergelegt hatte, und mit freudigem Aufleuchten der Blauaugen griff es nach Ohm Rumohrs Brief, der durch den starken Leinenumschlag, die der alte Herr zu benutzen pflegte, von der Nässe verschont geblieben war:

 

»Lieber Fritz! Ich hab' immer gemeint, mein Lebensschifflein wär' nun in seinem stillen Hafen eingelaufen, nachdem ich mich doch, weiß Gott, genug auf den hohen Wogen »mit tausend Masten« herumgetummelt hatte.

Unser Herrgott scheint mich aber noch für kraftvoll genug zu halten, einige Wetterstürme zu bestehen. Lieber Fritz, – meine Ellen, deine Cousine ist tot, ihr Mann auch, die ganze Farm vernichtet, verbrannt, verwüstet bei einem Aufstand.

Nicht wahr, das klingt hart und schrecklich, ist aber doch so.

Hab' ja nicht viel von meinem Mädel gehabt, aber es glich doch seiner schönen Mutter und hatte seinen alten Pa lieb, – ich hatte Freude an dem kraftvollen Erblühen der Familie, – mir gönnt doch der da oben auch rein gar nichts. Wenn du die nachfolgende Schrift nicht recht entziffern kannst, – – macht nichts, mir sind da ein paar Tropfen drauf gefallen.

Die Tränen find knapp bei mir geworden, nun brennen und ätzen sie umsomehr.

Lieber Fritz, ich habe Dir in meinem beschränkten Untertanenverstand, wenn auch mit bestem Willen und Gewissen die alten Rumohrschen Güter aufgehalst, vielleicht war eine große Dosis verfl .... alter, rückständiger Rumohrscher Familiendünkel dabei, daß ich Dich aus einer, wenn auch nicht gerade prunkenden, so doch klar und sicher aufwärtsführenden Beamtenlaufbahn herausriß, um Dir das Danaergeschenk Rumohr-Rotbach zu machen.

Verzeih!

Mir wird es jammervoll schwer, Dir zu sagen, daß der Aufstand in den Gold- und Kupferminen Australiens mich so hart packt, daß ich in dieser nassen Zeit durch die Ironie des Schicksals vollständig auf dem Trockenen sitze.

Die Sendungen sind seit Wochen ausgeblieben, – ich habe meine wenigen deutschen Papiere mit ihren lächerlichen Prozenten zu Hilfe nehmen müssen.

Und wie kein Unglück allein kommt, so sind mir meine schönen Chininwälder durch das neumod'sche Antipyrin vollständig entwertet worden – –

Lieber Junge, Deine Ernte wird hoffentlich gut, ich bin hier durch die Felder gegangen und meine, wenn Frau Sonne es mal ein paar Wochen ehrlich meint, kann noch viel gemacht werden. Hoffentlich benimmt sich die wilde Gera anständig, ich kenne den Racker noch von früher.

Aber der Herrgott wird wohl ein Einsehen haben und es Euch nicht entgelten lassen, daß Ihr zur nächsten Verwandtschaft des »wilden Rumohr« gehört, der ihm einst so viel zu schaffen machte.

Jedenfalls seid Ihr auf Gottes Welt die Einzigen, die ich noch aus meinem Blut mein eigen nenne – reicht mir Eure Hände, weiht meiner braven Ellen ein paar Tränen und behaltet mich lieb.

Lieber Junge, anbei ein Brief meines Sachwalters.

Hoffentlich halten wir uns, – die Krise da drüben wird ja auch mal ein Ende nehmen.

Küsse dein Weib! Schimpft nicht!

Dein alter Ohm Rumohr.«

 

Kerlchen entfaltete auch noch mechanisch den Brief des Justitiars: »Zinsen, Girokonto, Amortisation, Hypotheken, erste Stelle, zweite Stelle, Hausse, Baisse, flau, sinkend – –«

Kerlchen wurde ganz betäubt von dem ziemlich unverständlichen Brief, aus dem sie aber das Eine las, daß ein neues Gespenst drohend heranrückte, – der Verlust der Heimat.

Kerlchen sah auf Fritz, sah, daß er erwacht war und es mit fragenden Augen voll Weh anschaute.

Mit einem Ruf, in dem sich Jubel und Weh mischten, lief Kerlchen an das Ruhebett und umfaßte den Geliebten stürmisch-zärtlich.

»Du bist bei mir! Liebe, liebe Heimat!«

»Mein Kerlchen, mein Treues, mein Tapferes! Kopf hoch! Nunquam retrorsum!«

 

Brief des Herrn Kommissionsrates und Hoflieferanten Krone an Kerlchen.

»Gnädige Frau, geliebtes, teures Kind aus früherer Jugendzeit!

Heute ist es mir eine rechte Riesenfreude, meinen schriftstellerischen Beruf an Ihnen auszuüben.

An den Herrn Gemahl habe ich meine Tätigkeit bereits beendigt, das war nur ein gefühlsroher Brief, sozusagen, wie sie Männer untereinander schreiben, die Geschäfte machen.

Aber Ihnen gegenüber, teures Kerlchen, schweigen alle gewöhnlichen, natürlichen, notwendigen und geschäftlichen Bedürfnisse.

Alles Häßliche, was drum und dran hängt, sinkt unter und nur der ehrliche Mensch mit seiner ganzen gewinnenden Nacktheit schwimmt oben und präsentiert sich Ihnen.

Ich bin Ihr Freund.

Das haben Sie schon gesagt und gedauletscht, als Sie noch 'n winziges Kaulquäbbchen waren und nicht mal stubenrein, was Sie mir oft bewiesen.

Und dies ist mit Ihnen gewachsen, so daß ich ohne rot zu werden, mich als ihren Vater betrachten kann.

Teures Frau Kerlchen, daß Sie alle, (inculsive Ihr Herr Onkel) erbärmlich auf dem Blanken sitzen, brauche ich Ihnen nicht ins Ohr zu flüstern, das pfeifen die Spatzen von allen Dachluken.

Auch daß Herr von Marliß verkauft hat und Stallmeister irgendwo wird wegen gänzlicher Abwirtschaftung, ist mich bekannt wie'n bunter Hund.

Noch bekannter ist mir Herr Baron Biestorp, den ich die Ehre hatte, neulich herauszuschmeißen.

Er kam da in 'ner geschäftlichen Angelegenheit zu mir, weil ich mich jetzt in alles mische und lernte ihn aus dem ff kennen.

Schließlich gab ich ihm sehr zart zu verstehen, wie ich überhaupt immer als Kommissionsrat die Dekoration wahre, daß ich seine Hinterseite lieber, als seine Vorderfront sähe, und als er nicht ging, half ich nach, blieb aber immer »schentelmenn« und rief noch hinter ihm her: »Nehmen Sie mir's doch ja nicht übel, und ich danke Ihnen auch vielmals für die Anregung, Herr Baron.«

Es handelte sich um den Verkauf von Rittergut Rumohr, was ja traurig ist, aber durch die gnädige Fügung Gottes und 'ne gute Spekulation meinerseits in ein erfreuliches Wasser geleitet worden ist, und soll dies noch 'ne fröhliche Überraschung für Ihre Nachkommen werden.

Augenblicklich sitzt mir das Geschäft sehr schlimm in den Nieren, daß Sie, liebes Kerlchen, in dem trostlosen Rotbach rumfuhrwerken.

An welchem Fenster Sie sich auch stellen, Sie haben immer nur vorneraus die Überschwemmung und hintenraus die traurigen Folgen davon. Das geht unmöglicherweise so länger und wenn Herr von Rumohr Sie weniger liebte, würde er's schon lange versucht haben, Sie von Rotbach wegzubringen.

Soweit mir erzählt wurde, besitzen Sie immer noch eine große Allertigkeit und würde Ihnen eine Reise nach Schwarzhausen, mit sich dran schließenden Amalienlust keinerlei Unlauterkeit machen.

Und nun kommt's.

Das feine, kleine Lehrerhäuschen in Amalienlust, das so weinumrankt im großen, schattigen Garten liegt, recht entfernt vom Schlosse, so daß man sagen kann, »weit dervon, is gut fern Schuß«, steht leer, indem der Ihnen weltbekannte Herr Schönwohlt eine neue Lehrerwohnung mit Schule und Hygiene bekommt, wie das jetzt Mode ist. Und muß ich mir sehr wundern, denn wir waren früher, wo wir uns noch nicht badeten, auch sehr gesund. Ist aber nur eine Abschweifung und haben wir uns ausspintisiert wie wir Sie nach Amalienlust zur Stärkung auf'n paar Wochen kriegen. » Wir,« das heißt ich und die Fürstin Mutter. Denn wenn ich auch dem Grundsatze huldige:

Gehe nie zu deinem Ferscht,
Wenn de nich gerufen werscht

so is das hier eben anders und sie rufte mir.

Wir verkehren aufs äußerste lescheer miteinander, ich besorge hochfürstliches Vieh und sie geht durchlauchtigst durch die Ställe und freut sich.

Bei einer solchen Gelegenheit sprach ich von der Überschwemmung und dem großen Elend in Thüringen und unsere Tränen flossen ineinander. Und als ich von Ihnen sprach und wie Ihr Liebreiz und Tapferkeit immer deutlicher gerade bei der ungeheuren Nässe hervorgetreten wäre, wurde sie ordentlich hibbelich und lebendig und schrie egal:

»Die kleine Frau muß hierher.«

Und es gab einen Aufstand, besonders auch bei Herrn Lehrer Schönwohlt, der sonst im allgemeinen ein recht stilles Ehepaar ohne Kinder ist. –

Sie freuen sich ja alle, das Kerlchen wiederzusehen Und ich sehe nicht ein, warum Sie die gänzliche Rännowierung Ihrer unterspülten Terrakotta vor dem Hause abwarten wollen und ist doch besser, Sie sehen den Föniks erst wieder, wenn er aus der Asche raus ist und frisch angestrichen.

Alle Worte sind eigentlich unnütz und zeugen nur von meinem gutmeinenden Herzen.

Diesen Brief geben Sie Ihren Herrn Gemahl, dann wird er Ihnen schon zeigen, was 'ne Harke is. In diesem Sinne begrüße ich Sie in guter Hoffnung auf Wiedersehn!

Der Ihrichte.
Krone.
Rat.«

*

Amalienlust, 4. Oktober.

Aus Kerlchens Tagebuch.

Herbst!

Manchmal beschleicht mich solch' ein tiefes Weh, – was bringt die kommende Zeit?

Werde ich stark genug sein, alles zu überwinden?

Besonders als ich an Väterchens Grab in Schwarzhausen stand, kam es über mich mit Riesengewalt, es warf mich schier um, so daß ich mein heißes Gesicht tief, tief in den kühlen Efeu steckte, der das liebe Stellchen umrahmt.

Da hielt ich leise Zwiesprach.

»O, du mein Väterchen, du wirst »es« nie sehen, – kann ich da überhaupt glücklich sein? Kann »es« wachsen und blühen und groß werden, wenn deine lieben Augen »ihm« nie leuchten? Aber, – Väterchen, vielleicht muß ich ja sterben und »es« auch, – gelt, da bring ich's dir's, – da kommst du uns entgegen, – ach, Väterchen!«

»Und Fritz?«

Wer hatte es gesprochen? Ich sprang empor, ich sah um mich, und es war doch niemand da, ich war ganz, ganz allein.

»Und Fritz?«

Deutlich meinte ich Väterchen zu hören.

Ist das meines Kerlchens Tapferkeit? – Fahnenflucht?

Wie ich mich schämte!

Ich brach ein paar Efeublätter, strich liebkosend über Väterchens Grab und ging zurück den schönen Waldweg entlang, ganz allein nach Amalienlust. Väterchen war als Schutzgeist bei mir. Nun gehe ich jeden Tag spazieren, lasse Licht, Luft und Wasser auf meinen Körper einwirken; ich hab' so viel Willen, gesund und stark zu sein.

Sie sind sehr gut zu mir in Amalienlust.

Die Fürstin Mutter hatte Blumen in das ehemalige Lehrerhäuschen geschickt, Blumen und Früchte, wohin ich nur sah.

Muusch war auch entzückt; sie hat mich natürlich hierher begleitet.

Jeden Tag beinahe ist die Fürstin Mutter bei Mama: die beiden haben viel Leid durchgemacht und verstehen sich gut.

Ich war auch schon einmal im Schlosse, aber ich flüchtete bald wieder heim ins stille Haus mit dem goldigen Weinlaub.

Tante Emerenzia lebt auch zurückgezogen ihren »Erinnerungen«, sie müssen nicht sehr schöner Natur sein, denn sie wird immer galliger und herber.

»Gut sein und glücklich machen,« ist jetzt mein leuchtender Wahlspruch, – ich bin jetzt gar kein Krakeeler mehr, der sich auf die Hinterbeine setzt. Sonderbar »nachgiebig« bin ich geworden.

Fritz » hofft«, daß dieser Zustand vorübergehend ist, er schreibt närrische Briefe.

»Du, mein Kerlelein, was schlägst Du für weiche Akkorde in Deinen Briefen an? Wär' das nicht so neu und süß, ich müßte schelten. Kein Kraftwort mehr, kein Nasenstüber, – – bist Du noch Kerlelein? Denkst Du auch daran, daß ich Dich gerade so, wie Du warst, mit all Deinen Stacheln so sehr liebte? Wir arbeiten hier in fieberhafter Tätigkeit.

Unser Krone ist überall dabei. Unser Krone sag' ich, denn ich teile diesen treuen, selbstlosen Menschen fortan mit Dir. Wir verstehen uns prächtig. Die Dammarbeiten an der bösen Gera sind in vollem Gange, laß mich schweigen, wie arg die Verwüstungen sind.

Aber ich habe treue, gute Arbeiter, bin ich doch der einzige, der sein Gut behalten hat im Umkreise vieler Meilen, – behalten kann durch das Einspringen edler, uneigennütziger Seelen. Schließe sie immer in Dein Gebet ein, Kerlchen, Deine lieben Bitten hört unser Herrgott am liebsten.

Ich habe die besten Arbeiter von Marliß und Biestorp übernommen.

Ein ganz Getreuer ist Johannes Ulbrich, dessen junge Frau und Kind ich retten durfte aus Wassersnot.

Die Terrasse ist ziemlich in Ordnung, durch den Neubau haben wir gleich eine kleine Änderung der Zimmer gemacht, es muß alles hübsch zusammenliegen, du darfst diesen Winter nicht hin- und herzulaufen brauchen in Kälte und Zugluft, treppauf, treppab.

O Du mein Kerlchen, – was ich für liebe Träume hab'! Ganz liebe!

Soll ich sie Dir erzählen?

Nein, nein! 's ist ganz etwas Heiliges!

Gelt? Du und ich! Ich und Du!

Das darf gar kein drittes lesen, unser Bund ist ein ganz besonderer Bund.

Gestern saß ich eine ganze Weile im »Tempelchen«. Ich betrachtete voll Sehnsucht die Stelle an der Bank, darein ich am Tage nach unserer Hochzeit die großen Buchstaben F. K. eingeschnitzt hatte.

Und du fragtest, ob es »Fauler Kopp« hieße?

Und dann nahmst du dein winziges Messerchen und schnittest die Buchstaben F. F. ein, mit einem schwungvollen Herzen darum, und lachtest mich aus, als ich meinte, es hieße, wir wären ein Ehepaar aus dem »ff«. Wird nun neben diesen Buchstaben am lieben, gesegneten Weihnachtsfeste ein dritter Name stehen?

Kerlelein, mein Kerlelein, mein Einziges, meine süße, kleinwinzige »Muusch!«

Dein Fritz.«

 

Nun habe ich den ganzen Brief ins Tagebuch abgeschrieben, er ist doch auch zu einzig lieb!

Und nun muß ich auch von den lieben Schönwohlts erzählen.

Das war ein Wiedersehen mit meinem alten Lehrer! So schön hätte ich's mir kaum gedacht.

Auch seine Frau war so lieb und gut, – mein altes Fräulein Colditz. Wir saßen gleich den ersten Abend zusammen und plauderten unendlich viel.

Aus dem Lachen kamen wir kaum heraus, denn Herr Schönwohlt hatte ein Büchelchen angelegt, das trug die Aufschrift: »Kerlchenwitze«, und die las er uns vor, und meine arme Muusch war sprachlos, als sie ihr so meuchlings versetzt wurden. Ich muß allerdings sagen: daß ich so'n kleines Untier war, das hab' ich nicht mehr gewußt.

Ach und gepflegt werde ich hier, als sei ich ein schwaches Päppelkindchen und nicht ein großes, kräftiges Weiblein; die Fürstin Mutter ist ordentlich erfinderisch im Herbeischaffen aller möglichen guten Sachen.

Mein Erich-Bruder ist Oberleutnant geworden. Er schreibt immer so lieb und gut, zärtlich und treu, Muusch war wolkenlos glücklich über ihren Jungen, aber ich merkte doch, – ach schon so lange, daß immer ein leises Weh zwischen den Zeilen klagte.

Ich versteh meinen Erich-Bruder ja so gut – er kann nichts vor mir verbergen.

Und heute wissen wir's alle, und Mutti weint sich die lieben Augen rot, – Erich geht zur Schutztruppe.

Sein Entschluß ist unbeugsam, und ich meine, wir stehen in Gottes Hand, hier oder dort.

 

Brief von Bümi an Kerlchen.

»Mein geliebtes Kerlchen!

Daß Du noch unter die Commis voyageurs gegangen bist, nimmt mich wunder.

Das heißt, eigentlich nicht, denn Du machst ja alle Sachen anders, als gewöhnliche Sterbliche, und es sollte mich nicht verblüffen, von Dir zu hören, daß Du Dich der neuesten Nord- oder Südpolarforschung angeschlossen hättest, weil Du irgendwo lasest, Eskimofett wäre gut für kleine Kinder. Dein lieber Fritz ist ebenfalls nicht ganz normal. Er schrieb uns neulich zwar einen ganz verständigen Brief, abgesehen von den etwas sonnenstichartigen Ausdrücken über Dich, bis er schließlich planlos von der Güte der Durchlaucht und des Lehrer Schönwohlt erzählte, so daß wir natürlich annahmen, Hotel Rumohr sei wieder eröffnet »Wintersaison, Table d'hôte von 1–4 Uhr.«

»Aber nein, aber nein, aber nein, aber nein, aber nein, aber nein, – es war nicht so!« wie's im Soldatenliede heißt.

Du warst nach Amalienlust gefahren, hattest Deinen Engel von Mann zum xten Male schnöde sitzen lassen, bloß um wieder mal Hofluft zu riechen. Er hatte natürlich vergessen, die Tatsache Deiner Entfernung mitzuteilen, und faselte nun lustig drauf los. Liebstes Kerlchen! Die Zeit, da ich bei Dir in Rotbach weilte, war die glücklichste meines Lebens, abgesehen von den Tagen, die ich hier bei Franz verbringe.

Ich erzähle Franz auch noch jeden Abend von Euch, von Euerm wunderbaren Musizieren, davon sprichst Du viel zu selten.

Fritz ist ja ein Meister, – ich brauche nur die Augen zuzumachen, dann sehe ich den Zigeuner mit seiner wunderbaren Amati dastehen und spielen, daß einem die Tränen heiß in die Augen schießen.

Und Du selbst, Kerlchen! Wie Du singst, – ich erschrak ordentlich vor der Klangfülle, die aus Deinem allerdings nicht kleinen Mündchen kam. Mir ist der eine Musikabend kurz vor meiner Abreise unvergeßlich, als wir so still und selig dem wunderbaren Spiele Deines Mannes lauschten und dann entdeckten, daß draußen vor dem Fenster die Instleute und Arbeiter standen und lautlos horchten.

Ach, mein Kerlchen, mir scheint, in Euerm Nestchen wird alles verklärt, was dort hineinkommt.

Was für liebe, herrliche Menschen hab' ich bei Euch kennen gelernt! Den Pfarrer Truling, die liebe Lehrersfamilie, den prächtigen Doktor Paul, der sich immer der Abwesenden annimmt. Ich habe bei Euch eigentlich erst »Nachdenken« gelernt und mir das flüchtige Aburteilen nach dem ersten Sehen ganz abgewöhnt.

Mein Franz ist begeistert von meiner vorteilhaften Veränderung, er hat mich ja immer ein klein bißchen ernster gewünscht. Und nun hab' ich Sehnsucht nach Dir, kleines Kerlchen! Gott behüt' Dich und Dein Nestchen! Was wird die Zukunft bringen? Ich bin recht schlecht, liebes Kerlchen, ich beneide Dich so sehr!

Deine allergetreueste Bümi.«

*

Über Rotbach war ein milder Spätherbsttag angebrochen.

Der Wald leuchtete in allen Farben, Tannenruh schimmerte weiß, und nur die alten Tannen hatten ihr grünes Kleid behalten. Die Herbstsonne lächelte, – das ganz strahlende Lachen hatte sie seit jenem furchtbaren Augusttage verlernt und sich auch noch wochenlang ganz hinter Wolken zurückgezogen, um nicht die Greuel der Verwüstung zu sehen. Heute lächelte sie, – sie waren ja so fleißig gewesen, die schwachen Menschenkinder, was war nicht alles geleistet worden in den vergangenen Monaten! Und der junge Gutsherr allen voran.

Eine stählerne Natur mußte er haben, der Fritz von Rumohr.

Um drei Uhr frühmorgens sah man ihn über den Gutshof schreiten, und um elf Uhr des Abends machte er den letzten Rundgang.

Sein verletzter Arm schien ihn noch manchmal zu quälen, man sah es nur an den fest zusammengepreßten Lippen und dem Schatten auf dem Antlitz, wenn etwas Schweres zu heben war, oder wenn anderes Wetter sich anmeldete.

Und noch ein anderer Schatten lag auf seinem ausdrucksvollen Gesicht, – die Sehnsucht nach Kerlchen.

Aber sein junges Weib durfte nicht im Herrenhause bleiben. Es war gefährlich im alten Bau gewesen, die Keller standen voll Wasser, einige Wände waren schief geworden, der besonnene Architekt aus der Kreisstadt machte Fritz von Rumohr auf schwere Schäden aufmerksam.

Immer tiefer hatten sich die Sorgen auf den Gutsherrn herabgesenkt.

Woher nehmen und nicht stehlen?

Und dann kam der Tag, da sein Kerlchen nach Amalienlust übersiedelte, sein Sonnenschein fortging und Tannenruh schier als erdrückendes, dumpfes Burgverließ zurückließ.

Aber da tauchte Herrn Krones lachendes, treues Gesicht auf, und die Stunden, da er in anfechtbarem Deutsch und nicht einwandfreier Grammatik seinen Standpunkt kundtat – – die gaben ihm Fritz von Rumohrs feste, starke, dankbare Freundschaft.

»Still, still,« wehrte Krone immer nur ab, »nicht mir danken. Das sind alles Guttaten, die der Herr Oberst Ernst Schlieden ausgestreut hat, – die tragen nun Früchte für das Kerlchen – und für Ihnen, Herr von Rumohr.«

Und der grammatikalische Schnitzer, der jedesmal zum Schlusse kam, löste die Spannung immer sehr glücklich. Heute am goldenen Spätherbsttag war alles fertig in Rotbach, alles bereit, die heimkehrende Herrin zu empfangen.

In der neugeschaffenen »Kerlchenbude«, daran sich ein hohes luftiges Zimmer schließt, mit reizenden Möbeln ausgestattet, waren Tante Laura, Herr Rat Krone und Fritz von Rumohr versammelt.

Das Stübchen war reizend mit Herbstblumen geschmückt, Herr Krone hatte immer neue Bündel hereingeschleppt, und jeder Gegenstand trug ein Sträußchen.

»Es ist ein hoher Freudentag,« rief Rat Krone und rieb sich schmunzelnd die Hände, die von Fritz von Rumohr erfaßt und kräftig gedrückt wurden.

»Ihnen verdanken wir diesen Tag«, entgegnete er warm.

»Daß Sie sich das verflixte Danken nicht abgewöhnen können, Herr Baron. Und immer an die falsche Adresse.«

Er zeigte auf Fräulein von Hartwig.

» Da sitzt diejenigte, welche.«

Tante Laura wehrte ab.

»Natürlich,« brummte Krone, »alles soll ich gewesen sein, – hab' ich etwa drüben die Möbels hingestellt und die Truhens voll weißer, feiner, zarter kleinwunzger Wäsche?«

»Herr Krone!«

»Nu ja, – ich bin ja schon still. Sie wollen's nich hören, aber ich soll mich immer alles vorrechnen lassen. Und gestern hab' ich heimlich so'n Schublädchen aufgezogen und – so was Weißes in die Höh' gehalten und an die selige Freude von Frau Kerlchen gedacht und beinahe geheult, daß nie solche Freuden durch den Unverstand von gewissen Leuten – –«

»Herr Kommissionsrat Krone!«

»Ja, wenn Sie so kommen, Fräulein von Hartwig, dann geh ich, dann sag' ich auch kein Tönchen mehr, dann spiel' ich nich mehr mit.«

Und Meister Krone polterte zur Tür hinaus. Tante Laura sah ihm kläglich nach, und Fritz von Rumohr blickte vor sich hin.

»Ein goldenes Gemüt unter wunderlichen Schlacken,« sagte er ernst.

»Ja, Fritz, – ich weiß. Und ich könnte mich immer hinterher ohrfeigen, daß ich seine Dummheiten nicht nehme als das, was sie sind, als lauter Perlen –«

»Laß gut sein, Tante Laura, – er kommt schon wieder – und redet seine Dummheiten zu Ende. Aber ich muß fort – zur Bahn.«

»Es ist noch eine Stunde Zeit, Fritz.«

»Tantchen – ich kann's nicht mehr aushalten. Stelle dir doch vor, daß mein Kerlchen wiederkommt, rechne dir doch aus, wieviel Tage wir eigentlich im Leben zusammen gewesen sind – es sind jammervoll wenige.«

Tante Laura nickte ihm zu und sah voll Herzlichkeit in sein bewegtes Gesicht.

»Will's Gott, liegt vor Euch ein langes, gemeinsames Leben, nützt es gut!«

Der Wagen, der Fritz zur Bahn trug, war fortgefahren, Tante Laura schritt durch den Park zum Tempelchen hinauf. Da saß Herr Rat Krone und schmollte, das wußte sie. Oben angekommen, streckte sie ihm einfach beide Hände hin.

»Na, wollen wir uns auf unsere alten Tage vertrutzen,« fragte sie.

»Nee, das woll'n mir nich.« Er fuhr sich mit dem Taschentuch über das Gesicht. »Ach, Fräulein von Hartwig, das ist heut' 'n Tag! Das Gut in neuer Frische und will's Gott im nächsten Jahr ein reicher Ertrag, denn es ist ein Prachtgut, – die Verhältnisse schön geordnet, so daß das junge Paar in Ruhe abwarten kann, bis Australien sich besinnt, die besten Nachrichten durch den alten Herrn Rumohr, daß dieser Augenblick nicht mehr fern ist, und nun heut' Kerlchens Heimkehr. Ich möchte 'n Rheinländer tanzen, – wollen wir, Fräulein von Hartwig?«

»Was fällt Ihnen ein, Krone? Was sollen die Leute denken?«

»Die Leute sollen – der Wagen kommt!« rief er plötzlich und ließ so Tante Laura im Unklaren, was er von den »Leuten« verlangte.

Und dann stand Kerlchen auf der Terrasse vor dem weißleuchtenden Tannenruh. In ihm sang und klang es: »Heimat«, während es mit feuchten Augen das liebe Haus und – seinen Fritz betrachtete.

Dann schritten sie alle hinein, und Kerlchen sah die vielen Veränderungen und jubelte kindlich über alles, was er sah; Meister Krone und Tante Laura fühlten sich in dieser Stunde tausendfach belohnt.

In der Kerlchenbude hörte man fröhliches Lachen, und die glückliche Besitzerin ließ sich staunend erzählen, wie es hier wüst ausgesehen, wie man hätte schuften müssen, um abzuhelfen, und wie Fritz gearbeitet und so einsam in seinem Bau gesessen habe, immer nur schaffend und sorgend – bis heute –

»Und nun bist du da,« sagte er leise, zärtlich, und » wandeltest mein Burgverließ in ein durchleuchtet Paradies.«

»Wahrhaftig, es reimt sich,« meinte Meister Krone.

Das Nebengemach öffnete Fritz fast feierlich. Er atmete tief auf, als er sein junges Weib über die Schwelle führte.

Meister Krone hielt Tante Laura zurück.

»Da gehören wir nich mit 'nein,« meinte er, »das is was ganz Heiliges.«

Tante Laura trat still zurück und sann nach über den widerspruchsvollen, wunderlichen alten Herrn, der wieder mal so feines Taktgefühl bekundete. Drinnen im Nachbarzimmer gingen die drei in Freude und Staunen herum. Das blaue, seidenverhangene Bettchen, all die neuen Sachen! – Kerlchens Augen, das ganze Gesichtchen strahlte in reinstem Glück. Dann standen sie vor einer kleinen, dunkelbraunen Truhe. »Felicitas«, sagte Frau Oberst leise, »diese Truhe hat mir dein Väterchen geschenkt, als ich mich mit ihm verlobte; er hat sie selbst geschnitzt. Da hab' ich die Sächelchen später drin verwahrt, die Erich und du getragen, – sieh – heut' schenken Väterchen und ich sie dir wieder, – – Kerlchen – Gott segne dich!«

Kerlchen sah auf die kleine Truhe, auf die lieben Bündelchen, die darin mit blauen Bändern umwunden ruhten.

»Laßt mich etwas allein,« bat es mit versagender Stimme.

Tief verschneit lag Rotbach, glitzernder Rauhreif funkelte überall.

Im Dorfe war es sehr still, nur aus dem Schulhause tönten Lieder: »O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.«

Und noch ein anderes Lied, das sehr schwer zu singen war für ungeschulte Bauernkinderkehlen, denn gedichtet war's vom Herrn Kommissionsrat Krone und gesungen sollt' es werden auf die Melodie: »Stimmt an mit hellem, hohem Klang,« aber die überzähligen Versfüße strampelten an allen Ecken und Enden. Es war sehr schwer. »Noch einmal,« rief der Lehrer, dem auch schon der Angstschweiß ausbrach.

Und immer aufs neue probierten sie:

»Heil dir, du junges, hochverehrtes Paar« –

Morgen war ja der Hochzeitstag von Fritz und Kerlchen. Der Tannenbaum, die himmelhohe Edeltanne stand schon, von Kerlchen geschmückt, im Saal. Da sollte auch den Dienstboten und Instleuten beschert werden, Kerlchen wollte es sich nicht nehmen lassen. Jetzt saß es in der Kerlchenbude am Schreibtisch und schrieb ins Tagebuch:

Weihnachten! Im vorigen Jahre am vierundzwanzigsten Dezember, führte mich mein Fritz heim. Lieber, lieber Gott, ich danke dir für dieses gesegnete liebe Jahr! Es war ja auch viel Leid darin, aber du hast das alles gewiß wohl bedacht, wie es so gut für uns war. Willst du nun auch meinem Väterchen sagen, daß sein Kerlchen namenlos glücklich ist; daß ich meinen Mann liebe und verehre als den Besten und Herrlichsten auf dieser Welt, und daß er so gut und treu zu mir und zu Mütterchen ist?

Liebes Tagebuch, mein guter, treuer Freund!

Nun hast du mich wieder ein ganzes Jahr begleitet, und dir durfte ich soviel vorplaudern – jetzt weiß ich kaum etwas zu schreiben, so glücklich bin ich.

Oder soll ich dir rasch noch sagen, wie ich so viel Liebe einernte, von allen Seiten damit überschüttet werde?

Und hab' doch nichts getan, um's zu verdienen.

Ich bin so dankbar, so tief dankbar!

Meine Weihnachtssachen haben mir schon alle geschickt, so rechte, echte »Liebekistchen« sind angekommen, manche hab' ich still beiseite gestellt, – drüben ins Stübchen. Auch Meister Krone schickte ein Wertpaketchen. Er hatte es schon lange angekündigt, » ganz was Zartes«, sollte es sein und ich war recht gespannt.

»Der gute Krone! Ein Prachtmensch! Immer taktvoll!« sagten Fritz und Tante Laura, während ich an dem rotseidenen Bändchen nestelte, mit denen das Seidenpapierpäckchen umwunden war, und in dessen Maschen ein Tannenzweiglein steckte.

Und dann mußte ich's doch still beiseite legen, und Fritz rannte so rasch aus dem Zimmer, daß ich mir schon denken kann, wie er gelacht hat.

Ein »Patentschnuller« war es. Deutsches Reichspatent Numero 50768321, oder so 'ne ähnliche Zahl.

Aber das schadet ja alles nichts. Ich bin von soviel treuen Herzen umgeben, das darf ich nie vergessen! Segne mich, lieber, treuer Gott und du, – bleib als Schutzgeist bei mir, – mein Väterchen!

 

Heiliger Abend.

In jedem Hause des Dorfes Rotbach flammten die Lichtchen am Weihnachtsbaum auf, dafür hatte die »liebe, gute Herrschaft« gesorgt. Sie sollten heute alle froh sein nach den vergangenen schweren Tagen, Wochen und Monaten.

Am Morgen hatten die Schulkinder vor dem Schlosse gesungen: »Heil dir, du junges, hochverehrtes Paar« und Meister Krone war extra von Schwarzhausen herübergekommen, um zu dirigieren, weil der Herr Lehrer krank geworden war von den Proben. Es hatte herrlich »geklappt«, so meinte wenigstens der gute Meister, und bewirtete jetzt alle in der Dorfschenke mit Schokolade. Die Marke war weder »Stollwerk«, noch »Sprengel«, aber sie war »mordssteif« und »hellbraun«, und das genügte den strahlenden Kindergesichtern.

Im Saal des Herrenhauses brannte die Tanne, und die Leute freuten sich still über die liebevoll und sorglich ausgesuchten Geschenke, die ihnen Herr von Rumohr und Fräulein von Hartwig bescherten. Aber sie waren heute etwas scheuer als sonst und wagten die Freude nicht so laut zu äußern, denn der »Herr Landrat« stand mit dabei, und wenn er auch als leutseliger Mann bekannt war, so war er ihnen doch längst nicht so nah getreten, wie » ihr Herr«.

Der Arbeiter Johannes Ulbrich stand auch da und hatte seine Frau und seinen Buben holen müssen, warum, wußte niemand.

Aber, als sie schon alle weggehen wollten, räusperte sich plötzlich der Herr Landrat und hielt ihnen eine wunderschöne Rede, worin er ihnen sagte, was sie längst tief im Herzen drin wußten, daß sie einen grundbraven, rechtschaffenen, leutseligen, guten Herrn hätten.

Aber es tat den Leuten doch wohl, daß auch der Landesfürst diese Meinung mit ihnen teilte, und sie waren stolz und froh, als der Herr Landrat ein schwarzes Kästchen hervorholte und daraus einen Orden entnahm. Es war kein glänzendes, prunkendes Ding, aber es leuchtete doch merkwürdig hell und strahlend auf dem schwarzen Rocke des Fritz von Rumohr, und namentlich der Arbeiter Johannes Ulbrich konnte den Glanz kaum ertragen und mußte sich immer wieder die Augen wischen.

»Seine Majestät der Kaiser haben geruht, Ihnen, Herr Baron von Rumohr, für Ihre außerordentliche Tapferkeit bei der Rettung zweier Menschen aus Lebensgefahr die Rettungsmedaille am Bande zu verleihen.«

Fritz dankte stumm und tief bewegt.

Die Leute gingen hinaus.

» Unser Herr! Das ist 'n Herr! Gottes Segen, Gottes Segen!«

Ganz still war's im Herrenhause, als Fritz von Rumohr wieder die Treppe hinaufstieg, nachdem er den Herrn Landrat zum Wagen geleitet hatte.

»Was wird Kerlchen sagen, mein Kerlchen?« dachte er, und schritt tief in Sinnen durch die »Kerlchenbude« in das große Zimmer.

Frau Oberst Schlieden empfing ihn.

»Still, still, mein Junge, – das Christkindchen ist gekommen,« sagte sie strahlend, und Fritz ging an ihr vorbei und sah sie kaum, sah auch die freundliche, alte Frau nicht, sah niemand als sein Kerlchen.

Das hielt ein kleinwinziges Bündelchen an der Brust, und seine Augen leuchteten beinahe überirdisch vor lauter Glückseligkeit.

Fritz kniete vor dem Bette nieder.

»Kerlchen – mein alles! Du lebst? Du bist gesund! Und das – das ist unser Kindchen? Kerlchen!«

» Dein Junge, Friedel. Ach und Hunger hat er – genau wie ich. Fritz – ich bin so glücklich! Die Welt ist so schön! Und ›Ernst‹ soll er heißen, gelt Friedel, ›Ernst‹ – – wie mein Väterchen.«


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