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Brief des Herrn Schlachtermeisters Krone an Kerlchen.

Schwarzhausen, 6. Juni.
Liebes Kerlchen!

Soolt mers glauben, daß schon bald zwei Jahre vergangen sind, daß du fort bist und gewiß schon großes Mädchen, ich hab mal'n Bild von dich bei Doretten gesehn, wunderschön, ich meine dein Kleid, aber sonst ganz das alte liebe Kerlchen. Es freut mich sehr, daß du immer noch an uns denkst und grüßen läßt, und meine Frau grüßt auch wieder. Und ich habe das schöne Gedicht von dich zu Dorettens Geburtstag gelesen; wie du so was nur machen kannst, Dorette hat so geheult, es war so rührend und was meine Frau is, auch. Und ich wollt dir bitten, was du nich for mich auch eins machen kannst und ich wills deglamieren aufn Kriegerverein, wir haben ne neue Fahne bekommen, von die Damens in der Stadt und da is Einweihung. Und du könntest dich wünschen, was du wolltest und wenn es zehn Pfund Schokolade wärn, wärn mir nich zu viel, denn der alte Stadtdichter is gestorben, du kennst ihm ja, den Klempner Susemihl, und is kein Mensch weit und breit der dichtet. Also mach hin, allo! Und sei so gutt

Dein väterlicher Freund
Krone,
Schlachtermeister und ff. Wurstfabrik.

Brief von Kerlchen an Herrn Schlachtermeister Krone.

Lieber Herr Krone!

Mit Freuden ergreife ich die Feder. Diese Schule ist entsetzlich, aber ich habe doch nun endlich schreiben gelernt, richtig schreiben bei Herrn Schönwolt, der ein sehr kluger und famoser Mensch ist. Lieber Herr Krone, ich schicke Ihnen gern ein Gedicht, ich hab es vorhin in der Weltgeschichte gemacht. Weltgeschichte machen ist furchtbar, ich mach da lieber Gedichte. Es heißt so:

Ihr, die ihr hier versammelt seid
Zu unsers Kaisers Ehre,
Heil dir im Siegerkranz! Im Streit
Da setzt euch stets zur Wehre.
Wir sind von der Fahne so hoch beglückt
Die alle die Damens fein gestickt
Wir halten die Fahne in Ehren.
Und wir wollen den Namens es schwören
Und wenn es wieder giebt Krieg
Dann führt uns die Fahne zum Sieg.
Und wenn auch viele dabei starben,
Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben!!!
Hurra!

Wenn Sie so freundlich wären und mir dafür Wurst schickten, Schokolade esse ich zwar auch furchtbar gern, Sie können gern ein Pfund beipacken, aber das meiste muß Wurst und Speck sein; auch Schmalz, alles vom besten und recht viele Bratwürstchen dabei. Wenn das Gedicht nicht langen sollte, hab ich noch eine Ballade gemacht, sie ist vorne ruhig und in der Mitte wütend und hinten traurig. Sie können mir dann schreiben, ob Sie sie noch haben wollen. Ich sehe mit Hochachtung Ihrer Kiste entgegen. Hunderttausend Grüße an mein liebes Schwarzhausen.

Kerlchen.

*

»Nein, nein, Gretchen, nimm sie nur nicht in Schutz, es ist Thatsache, daß sie eine »Wurschtkiste«, einen »Freßkober« gekriecht hat und daß sie alles alleine neingeleiert hat. Das is – na – gemein!«

Gretchen Döring ließ den Kopf hängen.

Was sollte sie thun? Die ganze Klasse war gegen ihre liebste Freundin, die Fee.

»Sie hat uns doch Schokolade abgegeben, sie hat sie ganz genau geteilt,« bemerkte sie kleinlaut.

»Du liebe Zeit, das war ein Pfund unter zehn Mädchen, es war ein »Fimmel« für jeden.«

»Und die meterlangen Würste hat sie allein gefuttert, mich wundert bloß, daß sie nicht geplatzt ist.«

»Dabei aß sie doch bei Tisch nicht weniger als wir, es ist unbegreiflich!«

Gretchen hatte Thränen in den Augen. Sie konnte es nicht ertragen, daß man die Abwesende angriff und mußte doch den Angreifern Recht geben, denn sie selbst hatte auch nicht das kleinste Stückchen von der zarten Wurst bekommen, die so appetitlich mit blauen Bändchen umwunden in der Kiste gelegen hatte; nein, nein, sie hätte diesen Geiz niemals der Fee zugetraut – Gretchen war ganz, ganz böse.

Als Felicitas aus der französischen Stunde kam, sie hatte immer noch »Extra-Konversation« bei einer Französin, da sah sie in lauter finstere Gesichter, ja, manches Gesicht sah sie überhaupt nicht, die Inhaberinnen drehten ihr einfach den Rücken zu.

»Ihr seid wohl rrrrr?« fragte Kerlchen mit bezeichnender Handbewegung nach der Stirn.

»Oh, das brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen!«

»Es war hier immer so Sitte – – –«

»Du mußt nicht denken, daß wir neidisch sind – –«

»Du liebe Zeit, ich bin noch immer satt geworden –«

»Aber es ist doch nun mal Sitte in der Pension – –«

»Himmel noch mal! Was is denn los? Hab ich was gethan?« fuhr Kerlchen energisch dazwischen.

»Ohhhh nichts!«

»Wenn du's nicht selbst weißt.«

»Nee, ich weiß nischt! Man los!«

Gretchen schmiegte sich an Kerlchen.

»Sie meinen die Kiste,« sagte sie leise, »die aus Schwarzhausen, mit der vielen Wurst. Wir haben hier immer geteilt – –«

Dunkelrot wurde Kerlchen, wie ein ertappter Verbrecher sah es aus. Die Hände hatte es fest hinter dem Rücken zusammengelegt, wie immer, wenn es heftig erregt war. Es sah die Kinder der Reihe nach an, mit denen es so treu seine Schokolade geteilt hatte.

»Phhh!« sagte Kerlchen nur, rannte hinaus und knallte die Thür hinter sich zu.

*

»Fee, du sollst gleich mal zu Herrn Schönwolt kommen ins Lehrerzimmer.«

»Was hast du denn verbrochen?«

»Er macht sich mausig, der Volksschullehrer!«

»Geh nich hin, Fee; er kann selber kommen!«

Kerlchen war aber schon aus der Thür und stand endlich mit ziemlich starkem Herzklopfen im Lehrerzimmer. Herr Schönwolt hatte einen kleinen Briefbogen in der Hand, den er fortsteckte, als Kerlchen eintrat.

»Komm mal her, Fee,« sagte er mit ganz eigentümlich unsicherer Stimme. »Ich wollte dich gern einmal fragen, wo du am vorigen Mittwochnachmittag warst? – Bei der Französin jedenfalls nicht?«

Kerlchen schüttelte den Kopf, der rot und heiß wurde unter den forschenden Augen des Lehrers, aber über seine Lippen kam kein Wort.

Jetzt zog Herr Schönwolt langsam den Briefbogen aus der Rocktasche, legte ihn vor Kerlchen hin und fragte: »Hast du das geschrieben?«

»Ja!«

»Fee!!! – – – Wann bist du dort gewesen?«

»Am Mittwoch! Sind Sie böse auf mich?«

»Böse? Kleine gute Fee! Aber es darf nicht wieder vorkommen! Du darfst keine Heimlichkeiten treiben! Und woher kennst du meine alte Mutter, und woher hast du die Wurst?«

Kerlchen erzählte ihm alles. Zuerst stockend und unwillig. Es hatte nicht geglaubt, daß »es« herauskommen würde; Kerlchen hatte es niemand erzählt, nicht mal Gretchen Döring, aber freilich, wenn die Mutter von Herrn Schönwolt selber »petzte« – – –

Ein leises Lächeln huschte über das ernste, männliche Gesicht des jungen Lehrers.

»Mutterchen hat nicht gepetzt,« sagte er freundlich, »sie hat mir nur geschrieben, wer in aller Welt das Heinzelmännchen sein könnte, das ihre leere Speisekammer mit einem Mal gefüllt, das einen Korb auf die Stubendiele gesetzt hatte und dann auf und davon geflohen war, wie nicht recht gescheit.«

»Der Zug ging so schnell wieder ab.«

»Und ich hab ihr geschrieben,« fuhr der Lehrer fort, »daß es kein Heinzelmännchen gewesen wäre, denn Heinzelmännchen schreiben nicht so liebe, unorthographische Briefe – sieh mal da:

»Es is alles orrntlich ferdient nehmen sies man freuntlich und mit Gruhß!«

»O, Herr Schönwolt, es ging so fix.«

»Das scheint so! Heinzelmännchen wird's aber nicht wieder thun, nicht wahr? – – ich – ich möchte das nicht gern, Mutterchen dankt aber dem Heinzelmännchen sehr; die Wurst und das viele schöne Schmalz und der Speck sind an ganz arme Frauen im Dorf verteilt worden und haben viel Freude angerichtet.«

»Warum hat sie es nicht selbst behalten, wenn sie doch 'ne leere Speisekammer hat?«

»Das verstehst du nicht, kleine Fee! Sieh, wenn du erst mal ganz auf eigenen Füßen stehst und durch ehrliche Arbeit etwas verdienst, dann kannst du auch andern Menschen eine Freude machen, aber man darf nicht bei andern Leuten um Wurst bitten und sie dann wegschenken.«

»Ist »dichten« nicht ehrliche Arbeit?«

»O, Fee! Dein schönes Gedicht, das hab ich ja ganz vergessen! Nun laß gut sein! Du bist ein tapferes Kerlchen! Was mußt du für prächtige Eltern haben!«

Kerlchen brach plötzlich in lautes, bitterliches Weinen aus. Der Anfall kam so plötzlich, daß Herr Schönwolt heftig erschrak; er streichelte sanft den wilden Lockenkopf, und da schmiegte sich das Kind an ihn und schluchzte fassungslos.

»Ich hab so furchtbare Sehnsucht nach Papa!«

»Armes Kind!«

»Ach bitte, bitte, sagen Sie doch ein einziges Mal »mein altes Kerlchen« zu mir!«

Die Stimme des Herrn Christian Schönwolt klang plötzlich merkwürdig rauh und heiser.

»Mein altes Kerlchen!!!«

»Ach, ich dank Ihnen tausendmal! Und seien Sie mir doch nicht böse! Niemand ist gut mit mir, auch Gretchen Döring hat mich nicht mehr lieb, und Mama ist so krank, und Papa hat so viel zu thun, und Briefe bekomme ich beinahe nur vom Schlachter Krone und vom Erbprinzen.«

»Kleines, liebes Kerlchen! Nein, ich bin dir nicht böse!«

»Herr Schönwolt, dauert es sehr lange, bis man selbst was verdienen kann mit richtiger Arbeit?«

»Warum meinst du?«

»Och, nur so!«

»Nun, es giebt sogar schon Kinder, die in harter Arbeit selbst verdienen müssen, das ist zum Glück dir erspart geblieben und wird es hoffentlich auch immer bleiben. – Und nun ade. Kerlchen!«

»Ade, lieber, lieber Herr Schönwolt! Aber sehen Sie, da hab ich Ihren schönen Rock vollgeheult, Papa legte sich schon immer ein großes Taschentuch auf die Uniform, wenn ich mal anfing, aber warten Sie nur, ich wisch' es fix ab.«

Felicitas nahm ihr Taschentuch heraus und rieb eifrig.

»Du nimmst dir wohl alle Weihnachten, Pfingsten und Ostern ein reines,« fragte Herr Schönwolt schaudernd.

»O nein, alle vier Wochen!«

*

Brief von Kerlchen an Oberst Schlieden.

Erfurt, den 1. Juli.
Mein lieber Herzenspapa!

Ich will Dir lieber gleich den ganzen Krempel selbst schreiben, denn die Vorsteherin schreibt es Dir doch und gewiß nicht richtig, denn sie ist nervös, das ist was sehr Schlimmes, im Kopf und in allen Gliedmaßen. Siehst Du, mein lieber, lieber Papa, der Herr Schönwolt, der ist ein ganz famoser Kerl, so ähnlich wie Du, aber natürlich so wie Du kann eben niemand ganz sein. Er hat Dir ja damals geschrieben, ich weiß nicht, ob er Dir von der Wurstgeschichte geschrieben hat, es ist eine sehr langweilige Wurstgeschichte und sie machten ein Aufhebens davon, auch die Mädchen alle, die nix abgekriecht hatten. Sieh mal, da wars der Herr Schönwolt, der hat es jeder Einzelnen erzählt, ich hätte die Kiste den armen Leuten in Vieselbach gebracht, er ist so edel, daß er so gelogen hat, denn er ist doch dran Schuld, denn die armen Leute waren mir doch wurscht, ich hatte aber die Wurscht doch der Mutter geschenkt. Lieber Herzenspapa, Du siehst nun ganz klar Alles, nicht wahr? – – – Aber das ist jetzt garnicht die Hauptsache und schon beinah vergessen, es hat sich aber noch was zugetragen.

Ich habe nämlich Schande auf Deinen edlen Namen gehäuft und Thränen auf Dein graues Haupt, das sagt aber Alles nur Fräulein Kleist, denn ich weiß ja, daß Du blondes Haar hast und verstehe auch die Schande nur so undeutlich. Nämlich Herr Schönwolt wollte so gern eine Ferienreise mal machen, so wo hin, was weiter weg ist wie Vieselbach, zum Beispiel der Harz oder Griechenland, aber er konnte es nie, denn er giebt sein Geld immer seiner Mutter. Deshalb bin ich drei Wochen Kindermädchen bei Bäcker Demuth in der Kreuzgasse gewesen, es war ein süßes Baby und ich hab furchtbar drauf aufgepaßt und sie waren sehr zufrieden mit mir und ich bekam für jeden Nachmittag fünfundzwanzig Pfennig und prachtvollen Kaffee mit Maulschellen, das sind aber nicht so Ohrfeigen, wie Du sie giebst, sondern »Hefenes mit Corinthen« drin. Und, lieber Herzenspapa, sie wußten nicht, daß ich ein höheres Mädchen war in einer feinen Pension. Ich sagte ihr aber, ich hieße Felicitas Schlieden und wohnte Anger 67, ganz richtig, und sie sagte »Felicitas«, das hatte sie noch nie gehört, es wäre »närrisch«, so hieße niemand, ob ich nich noch andre Namen hätte und da sagte ich, »Ernstine« und da nannte sie mich so. Aber neulich auf einmal ging Fräulein Kleist mit in die Konversationsstunde, und da konnte ich den Nachmittag nicht schwänzen, weißt Du, lieber Papa, ich schwänzte nämlich immer, denn sonst hätte ich Nachmittags ja kein Kindermädchen sein können, und da kam den andern Tag die Bäckerfrau angerannt und war so wütend und klopfte alle Klassen zusammen und machte einen Mordsschkandal, und wie Fräulein Kleist so recht vornehm fragte: »Wer sind Sie?,« da sagte sie: »ich bin die »Demuth«, und da mußten wir schrecklich lachen. Lieber Herzenspapa, nun kam Alles raus, aber Frau Demuth war sehr nett und sagte, wenns mir mal schlecht ginge, könnte ich alle Tage Kindermädchen werden, aber Fräulein Kleist war so so so entsetzlich böse, und bitte sage Du mir, ob ich Schande auf Deinen edlen Namen gewälzt habe und schreibe mir doch auch, wie es meinem Pony geht und ob er's gut hat im Prinzenstall und nun habe ich fünf Mark und zwanzig Pfennige von Frau Demuth bekommen, aber es reicht nicht bis Griechenland und nicht bis Wernigerode, oder darum, Herr Schönwolt hat es natürlich erfahren und er hatte ganz richtige Thränen in den Augen, es that mir zu leid, ich wußte nicht, daß ich sowas ganz Schreckliches begangen hatte und bitte sag mir, was ich mit den fünf Mark und zwanzig Pfennigen anfangen soll, das Leben ist doch recht schwer. Verzeihe doch bitte, daß ich so schlecht war.

Dein Dich so schrecklich lieb habendes
Kerlchen.

*

Brief von Oberst Schlieden an Kerlchen.

Mein altes Kerlchen!

Solche Sachen mach nur nicht wieder, hörst Du, aber ich habe sie Dir ganz und vollkommen verziehen. Das Geld mußt Du schön aufheben, der gute Herr Schönwolt, den ich recht herzlich zu grüßen bitte, wird Dir gewiß ein Sparkassenbuch kaufen; das ist dann ein Stammkapital, zu dem der liebe Gott schon seinen Segen geben wird! Die liebe Mama ist leider recht krank, der Zustand ist immer derselbe und deshalb wird mein Kerlchen tapfer in der Ferne aushalten, nicht wahr, Kleines? Ich war vor kurzem in Schwarzhausen und Neustadt. – Unsere Villa hab ich verschlossen, Dorette ist zu Mama nach Palanza gegangen, damit Mutti doch jemand Liebes um sich hat; Johann hat der Fürst einstweilen übernommen und ihm einen Gärtnerposten übertragen; Johann okuliert fleißig, das war immer eine Schwäche, oder vielmehr Stärke von ihm. Der Fürst ist immer so gütig und erkundigt sich jedesmal nach seinem Patenkind. Aber seine Gesundheit macht mir Sorge, und auch der Erbprinz kränkelt viel, wir haben das Studium unterbrechen und berühmte Ärzte aufsuchen müssen. In Amalienlust haben wir der Einweihung des großen Siechenhauses beigewohnt. Die Leute in Amalienlust haben Dich alle in gutem Andenken, trotzdem Deine tollen Streiche noch immer im Dorfe die Runde machen; der Herr, Pastor läßt Dich auch herzlich grüßen, der alte, brave Lehrer Greßler ist gestorben, und das weinumrankte Häuschen steht einstweilen leer. Mein Herzenskind, leb wohl! berichte mir treulich von Deinem Thun und Treiben und denke immer an mein Abschiedswort: » Ordre parieren, Gott vor Augen, den König im Herzen!«

Dein treuer Vater Schlieden


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