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Tagebuch einer Dienstmagd.

Aus einer alten Schublade hervorgesucht.

Gute, treue, selbstlose Dienstboten werden bald zu den allergrößten Seltenheiten gehören.

Man wird sie dann vielleicht ausstellen können und einen hohen Eintrittspreis dafür verlangen dürfen.

Unsere alte Line läßt sich nicht ausstellen, – schade.

Sie ist dreißig Jahre in unserer Familie gewesen und vor ein Paar Tagen ins Stift übergesiedelt, worin sie, will's Gott, einen schönen, ruhigen Lebensabend verbringen wird.

Einundfünfzig Jahre ist sie alt, ein Herzleiden macht ihr zu schaffen, oder, wie sie selbst sich ausdrückt: »Manchmal pocht's und rummelt's und piekt's, – nich von Pappe!« –

Man hatte mir in den verschiedensten Kaffeeschlachten erzählt, daß man wahrhaft Ungeheuerliches vorfände, wenn man nach einem Dienstbotenwechsel eine Inspektionsreise durch die verlassenen Räume antrete.

Gute, alte Line! Das paßt alles nicht auf dich. –

Noch mit den Abschiedstränen im Auge, stieg ich, als ich dich ins Stift geleitet, in dein verlassenes Stübchen, welches mir viel zu lieb war, um es der »Neuen« einzuräumen.

Für mich selbst wollte ich es haben, um in den Stunden hinaufflüchten zu können, da auch mein Herz manchmal »pocht, rummelt und piekst«, – so ein einsam Stäbchen ist dann Goldes wert.

Eine alte Kommode stand in Lines Kammer, – Urväterhausrat.

Die oberste Schublade quiekste beim Herausziehen genau wie Grillparzers Ahnfrau, – es war für uns Kinder immer ein schauerlich-schöner Augenblick, wenn sie aufgezogen wurde.

In dieser Kommode nun fand ich auch etwas Erstaunliches, etwas ganz Liebes, aber ich überwand mich, schaute es nicht tiefer an, sondern brachte es Line ins Stift.

»Herr du meines Lebens, mein Tagebuch!« rief sie und wurde ganz rot dabei, »das will ich mal mit in meinen Sarg haben.«

»Das sollst du auch, Line, – aber darf ich es nicht vorher lesen?«

Sie zögerte etwas.

»Wer weiß, ob's Ihnen angenehm ist, gnädig Frauchen,« entgegnete sie in ihrer lieben, unverfälschten ostpreußischen Mundart, »es steht alles haarklein von Ihrer Familie drin, und wenn's auch 'ne honette Familie is, – sein Gespenst hat jeder.« »Gib es mir, Line!«

»Na nu ja. Aber der Herr Hauptmann (das ist mein Mann) muß es mit lesen, denn er is 'ne beruhigte Natur, – Sie sind zu bullerig, gnä Frauchen.«

Auf diese freundliche Erlaubnis hin las ich Lines Tagebuch, – mit etwas Lächeln und vielem, vielem Herzweh.

»Line, es hat keinen Schluß,« sagte ich heute zu ihr, als ich es ihr wiederbrachte.

»Den weiß ich auch nicht,« meinte sie, »aber unser Herrgott kennt ihn.«

»Gute Line, du hast jetzt viel Zeit, schreibe das Tagebuch fertig. Sieh, ich habe eine große Bitte, – ich möchte es drucken lassen.«

»Herr du meines Lebens, das is mir peinlich.«

Ich wurde ernst.

»Line, – dann müßte es uns doch zuerst peinlich sein, du hast über unsere Familie geschrieben.«

»So?« rief Line. »Alles was da nich schön is, is Schicksalstücke gewesen, aber meine Dummheiten stehen auch haarklein drin, und die hab' ich für mich allein gemacht und muß dafür aufkommen.«

»Du bekommst viel Geld dafür, Line, – ich suche einen Verleger.«

»Na, so arg verlegen braucht er nicht zu sein, es steht nichts Unrechtes drin.«

»Gute Line, so erlaubst du es also?«

»Wenn es richtig, ehrlich gedruckt wird, wie alle andern Lügen in die Zeitungens, und daß ich es ohne Brille lesen kann, – in Gottsnamen!«

Und so darf ich es also dem Leser in Gottes Namen vorlegen: » Lines Tagebuch

Gumbinnen, 1. April 1875.

»Mit Gott fang an, mit Gott hör auf, das ist der rechte Lebenslauf.« Diesen Spruch hat mir die alte Gnädige in diesem Buche geschrieben und nun kaue ich an die Feder und weiß keinen Anfang. Ich bin mehr mit's Lesen, als mit's Schreiben, aber die alte Gnädige meint, man könnte sich über sein inwendiges Gewissen Rechenschaft geben, wenn man jeden Abend seine Gedanken aufschreibt. Was nützen mir aber meine Gedankens, wenn ich doch keinen Anfang weiß.

Nähgarn – 5 [?].

Knöpfe – 5 [?].

1 Briefmarke for Mutter 10 [?].

Litze an mein gutes, schwarzes Kleid, was durchgestoßen 23 [?].

Eben kam die alte Gnädige und besah sich meine Schreiberei. Sie sagt, das war nun schon ein Anfang, – das ist doch merkwürdig, wo ich ihm immer noch im Kopfe suchte, und ich brauche nun bloß so weiterzuschreiben.

Ich bin Luise, Emilie, Auguste, Emmeline Wardukeit, geboren in Kraupischken am 29. Juni 18 ...

Meine Mutter hat mich in Gottesfurcht erzogen, wo ich Vater nicht mehr gekannt und als Kesselflicker auf der Wanderschaft gestorben.

Dann tat sie mich gleich bei's Vieh, ein schwerer Dienst im Litauischen drin mit zugigem Stall und auch Prügeln, die aber keinem Menschen nichts schaden.

Die Prügel waren gesund und Gottesfürchtig, wie der Verwalter selber. Der gab sie uns.

Aber der Zug und die Nässe in den Ställen, wo nichts dran gemacht wurde, war ungesund, da wäre ich eines schönen Tages beinahe weggestorben und kam noch halbtot aufs Schloß als Jungfer.

Und war die gnädige Baronin ein Satan und hatte einen Bruder, der war schön von Gesicht und wollte mir streicheln, wenn die gnädige Baronin mir geschlagen hatte. Und da hat mir mein Schutzgeist behütet und bin in Nacht und Nebel ausgerissen und kam auch brav zurück zu meiner Mutter.

Die ist immer fromm und gut gewesen, aber dazumalen hat sie schrecklich geflucht, wie ich ihr in der Nacht so alles erzählt habe.

Dann kam ich beim Wirt in Dienst, denn wir sind blutarm und kann nicht auf der faulen Haut liegen.

Aber ein wüstes Treiben war da und ich konnt nicht mittun vor Angst, wenn die Leut betrunken und gottlos waren. Da bekam ich wieder viel Schläge, die müssen aber sein. Und der Malte Kossagoff war auch als Knecht da und ein staatscher Mensch. Er kriegte auch keine Prügel, weil er den Wirt gegen die Wand warf und Arbeit tat für vier.

Dem war ich gut.

Wenn er abends den roten Sarafan sang und die Stimme so tönen ließ, dann wurden sie alle still und ich betete zu meinem Schutzgeist, damit ich dem Malte Kossagoff nicht um den Hals fiel.

Dann hab ich ihn doch geküßt und wir sparten zusammen. Vierhundert Mark mußten es sein, sonst gab es keine Lizenz.

Ich war ein schönes Mädchen. Er nannte mich Maruschka nach einem alten Liede. Er hatte auch Wörter, wie sie gedruckt stehen und konnte sie gut sagen.

»Maruschka, du hast zwei Sonnenaugen, die brennen mich durch und durch.«

»So ruf den heiligen Florian,« habe ich dann gesagt, und ich rief ihm heimlich selber für mich an.

Dann lachten wir unbändig und er küßte mich, bis ich ohne Odem war.

Beinahe hatten wir schon fünfhundert Mark zusammen in all den Jahren, da kamen die Blattern. Zigeuner hatten sie eingeschleppt und viele starben, nur der Malte Kossagoff bekam sie gar nicht und ich wurde wieder gesund und sah wüst aus.

Der Malte hat geschaudert über und über vor mir und ich hab stumm dagesessen.

Dann ist er fortgemacht ins Rußland hinein, wo ich nie wieder von ihm hörte, meine hundert Mark ließ er mir aber, er war ja nicht schlecht, konnte nur nichts Häßliches sehen.

Dann kam das Manöver und der Herr Major, wo ich heute bin, saß in der Herrenstube im Wirtshaus und viele andere Offiziere dabei, und ich bediente ihn jeden Tag.

Wie er wegging, fragte er mich, ob ich bei seine Gemahlin nach Gumbinnen wollte und 30 Taler Lohn.

Achott dreißig blanke Taler! Ich meint, ich müßt' sterben vor Freude, daß der Herrgott so was übrig hätte für die arme Line.

Kriegte auch gleich einen Taler Handgeld und konnte mich anschaffen zum neuen Dienst. Der Jude Levy kam auch und ich kaufte ein schwarzes Kleid, was sich nun schon allerwegen durchstößt, kaum ein Vierteljahr alt un sone Gemeinheit. Und Hemden und ein Wattenunterrock und die Mutter gab mir Strümpfe und der Herr Pfarrer ein Paar Lederschuhe, denn ich darf hier nicht barfuß gehen.

Zu meinem Geburtstag werde ich zwanzig Jahr, aber meine Blatternarben sagen mir, ich bin schon dreißig Jahr vorbei und alle Mannsbilder kucken weg, wenn ich komme.

Ist auch keiner darunter wie der Malte Kossagoff.

Hier ist eine schöne Wohnung unter den Linden und der Pregel fließt vorbei, er ist erst ein paar Tage ohne Eisgang und nun kommt der Frühling.

Aber ich merk den Frühling nicht am Pregel, ich merk ihm am Storch. Der kam heut Nacht und brachte meiner jungen, gnädigen Majorin eine Babinka, ein Töchterchen, ein schönes, und sie nennen es »Ingeborg«.

Ein Jungherr ist auch schon da und heute zum erstenmal in die Schule gezogen mit einer großen Zuckertüte, die hat der Storch mitgebracht. Nun will er morgen wieder ein Schwesterchen haben; der Jungherr Richard, und als die alte Gnädige sagten, dann würde die arme Mama ja wieder gebissen, da meinte er: »I Großmuusch, so laß ihn die Line beißen.«

Es ist ein schönes, gesegnetes Haus hier.

Der Herr Pfarrer in Kraupischken hat in mein Gesangbuch geschrieben: »Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

So ist dieses Haus.

Der Herr Major ist ein Meter und 84 cm groß, so steht es an der grauen Flügeltür, wo sie sich immer dran messen. Er heißt Ernst von Lindefeld.

Die junge Gnädige heißt Rose von Lindefeld geborene von Duras.

Die alte Gnädige heißt Frau von Duras oder Großmuusch, sie ist bloß ein Meter und 50 cm groß und der Bursche sagt, das wär's richtige Maß für eine Großmutter.

Der Bursche heißt Pawlik Kassubei, er ist nicht so dumm, wie er aussieht.

Dann ist noch ein Diener da, Just Steffens, ein Affe. Er ist, mich dünkts, vornehmer noch als die gnädige Herrschaft, denn er spricht nicht mit mich und nicht mit Pawlik, nur mit der Köchin spricht er und tut wunder wie wunder.

Die päppelt ihn groß, denn er ist schmal wie ein Stichling, das nennt er fein, aber er futtert für sechs.

Seine Sache tut er aber ja ganz gut, ich will auch nicht auf meine Nebenmenschen was hinschmeißen, und wenn er mir nich ankuckt, soll er Gotteslohn für haben, ich habe an alle Mannsleut über und übergenug.

Die Köchin is ne Staatsche, hat'n Federhut zu Sonntag und trägt kein eigengemachtes Zeug, aber sie kocht gut und will mir belernen. Sie is ne Ausländerin, aus Hessen-Kassel und wenn der Just Steffens ihr mal dumm kommt, dann sagte sie: »Du has wohl was im Aug?«

Ich versteh ihr nicht und sie mir nicht, aber in der Arbeit, da sind wir all Eins.

den 25. April.

Ich hab geglaubt, ich könnt der Gnädigen nur so den Gefallen tun und jeden Abend was hinschreiben, das geht aber nicht nur so, und sie siehts ein.

Sie weiß aber auch, daß ich abends bete und dann gleich einschlafe, denn ich hab' Arbeit genug und bin todmüde, wenn wir auch viele Dienstboten hier sind. Aber der Just arbeitet sich nicht tot und die Trinchen, das ist die Köchin, die will keinen Fummel mehr tun als ihre Küche, da bleibt die Riesenwohnung auf mir und dem Burschen liegen.

Das Kind, die kleine Ingeborg, ist gut und ist nun fünfundzwanzig Tage alt. Und wenn es auch grad am 1. April geboren ist, sind wir doch nicht mit ihm angeführt worden.

Mit dem Bismarck ja auch nicht. Ich wußt früher nix von ihm, aber nun muß ich jeden Tag den Staub von ihm wegwischen, er steht ganz weiß und wie lebendig in Herrn Major seinem Arbeitszimmer, aber ohne Beine.

Seinen Metier nach is er Baumeister, wenn ich den Herrn Major recht verstanden hab'.

Ich wisch gern Staub in den Zimmern. Wenn ich dann so an einen Gegenstand komme, den ich nich verstehe, denn sagt mich das der Herr Major oder die kleine Gnädige und sagt auch, ich wär nich dumm und hätte 'n sehr guten Lehrer gehabt und gut aufgepaßt.

Welche sind da, können nicht lesen und schreiben.

Der Pawlik macht ein Kreuz neben das andere, bis dreie dastehn, – wollte ich mir doch zu Tode schämen, wenn ichs so machen müßte und die Leute sollten dann glauben, die drei Kreuze hießen Emmeline Wardukeit.

Wir in Kraupischken machen drei Kreuze vor der »Mab« und den »Alben« und dem »Gottseibeiuns,« so gehört sich's.

Außer den Bismarck steht noch der Kaiser da, den ich schon von früher her kenne aus meinem Wirt seiner guten Stube und denn ist auch noch ein Mann da, Moltke heißt er, meint der Herr Major, manchmal sagt er auch: »Der große Schweiger.«

Ich wollte schon mal fragen, weshalb, aber alles brauch ich auch nich zu wissen, – kluge Kinder sterben früh, sagte meine Mutter, und ich war immer ein kluges, begieriges Kind.

Und groß ist der Herr Moltke nicht und hat ebenso keine Beine wie die beiden andern, und daß er schweigt, fällt nicht auf, die beiden andern tuns auch.

Aber wie ich an den Briefbeschwerer kam, hat mir der Herr Major erzählt, das war zu schön. Der Briefbeschwerer stellt ein Ding vor, wo aus die Kanone geschossen wird, und heißt »Schrapnell«.

Hat so'n elendes Stück davon meinem Herrn Major den Mittelfinger fortgerissen, ist aber schön geheilt, 's war in Wörth und ist ihm dafür das eiserne Kreuz an die Brust geflogen, sagt die kleine Gnädige und denn lacht sie und küßt das eiserne Kreuz, – ich wollt' schon lieber den Herrn Major selber küssen.

Er ist ein feiner, schöner Herr und ein arg guter Herr. Wenn er seiner Frau so abends vom großen Kriege erzählt, denn leuchten seine Augen, wie wenn sie der Pawlik auf der Knopfgabel geputzt hätt'. Und ich sitz' nebenbei mit'n Strickstrumpf an Klein-Ingeborgs Wiege und spitz' die Ohren.

Denn das hört sich anders an, als wie der Wirt erzählte, da war immer alles bloß Blut und Schinderei, – aber der Herr Major spricht mehr mit das Herz, man grault sich nicht dabei, man heult nur so los und denn singt man die Wacht am Rhein. – Es ist mir auch sonst noch eine Ehre widerfahren. Die soll mir aber nicht hochmütig machen, denn Hochmut kommt vor dem Falle, und wenn ich auch eine pockennarbigte Dienstmagd bin, so will ich doch immer aufrecht stehen.

Die junge Gnädige bekam nämlich das Wochenfieber, und wir glaubten, der liebe Gott brauchte da oben einen Engel und wollte sie raufholen. Da hatte ich die Ehre und durfte bei meiner gnädigen Herrschaft wachen in dem seinen Schlafzimmer, wo kein Strohsack ist, sondern lauter seidene Decken und Federbetten.

Und der Herr Oberstabsarzt sagte, ich wär 'ne geborene Diakonissin und hätte eine gelinde Hand. Solche hohe Herrn spaßen gern mit unsereins, und meinens nicht so, denn ich bin doch bloß eine geborene Emmeline Wardukeit und meine Hände sind rauh wie ein Reibeisen von der harten Arbeit beis Vieh und bein Herrn Wirt in Kraupischken.

Aber ich macht' meinen Knicks vorn Herrn Oberstabsarzt und wachte die ganze Nacht, und wenn der Schlaf kommen wollte, betete ich für das gute, junge Leben meiner kleinen Majorin und machte neue Umschläge, und da sagte der liebe Herrgott »Kusch dich« zum Gevatter Tod und der mußte mit eingekniffenem Schwanz davonziehen wie'n geprügelter Hund. Der Herr Oberstabsarzt nannte diesen Tag »die Kriesis«, denn er ist sehr mit Fremdwörters behaftet, und der Herr Major und die alte Gnädige waren sehr weichmütig, was ich nicht vertragen kann und schüttelten meine Hände, wie wenn ich 'ne feine Dame wäre. Und plötzlich hatt' ich ein Sparkassenbuch am Halse mit hundert Mark drin, daß ich mir reineweg die ganze Welt und 'n neuen Unterrock hätt' kaufen können.

Tat's aber nicht, denn die ganze Welt brauch ich nicht, sind mir da zu viel Mannsleute drauf, und das Sparkassenbuch trug ich wieder hin, wo's hergekommen war und ließ mir lieber das bare Geld rausgeben und tats in einen Strumpf, den legt ich unter mein Kopfkissen, – sicher is sicher!

Das soll für mein Begräbnis sein. Einen Zettel hab ich beigelegt, da stehts drauf, was ich will. Einen hellgelben Sarg und ein Sterbehemd bis auf die Füße und einen grünen Myrthenkranz, denn das ist mein Stolz.

26. April.

Das kann die Gnädige nicht verlangen, daß ich jeden Tag schreibe, als wäre ich ein Kalendermacher. Ich tu meine Arbeit und esse meine Pastinaken mit Speck oder auch graue Erbsen, aber das mag ich abends alles nicht noch einmal durchkauen, als wärs was Besonderes.

Einen Blumenstock fürn Herrn Major seinen Geburtstag 35 Pfennige. Und für'n Taler Schimpfe retur, daß ich'n Schafskopp war, und sollte mir nicht in Unkosten stürzen. Doch meints der Herr Major nicht so, und hat sich doch gefreut und mir die Hand gegeben und hab ihm wieder verziehen.

3. Mai 1875.

Warum hat die junge und die alte Gnädige nicht locker gelassen und mir hingejagt zu das Frühlingsfest oben im Fichtenwäldchen. Ich hab nicht gewollt und nicht gewollt und hab' mir stramm auf die Hinterbeine gesetzt, aber ich bin nur eine arme Magd, und sie sind mit das Befehlen im Leibe geboren.

Wenn die Sache nun schief geht, bin ich ein unschuldiges Lamm und die Herrschaft ist schuld und hat den Schaden, denn er will mir heiraten.

Trotz meiner Pocken, wo kein Fleck heil ist im Gesicht, ist also noch besser von Gemüt als der Malte Kossagoff, der nichts Häßliches konnte sehen und mir verließ.

Schön ist der Iwan auch, nur schielt er, – oder ist es Schüchternheit, daß er Jemand nicht gern ins Gesicht sehen mag? Sehr lustig ist er auch, lustiger wie der Malte war, aber nicht so stark, er ist noch feiner in die Knochen, wie ich.

Das ist doch mal was anderes, und ich bin bei meine Herrschaft auch mehr so an das Feine gewöhnt.

Ich hatt schon lang gemerkt, daß er immer näher an mir heran kam, und dann tanzten wir »Hackenschottsch« und denn ließ er mir heißen, süßen Wein bringen, der ging ins Blut, sonst hätt' ich wohl nicht »ach'n Paar Dittchenschuh« gehüpft und laut gejuchzt.

Ich hätte auch nicht geglaubt, daß mein Herz noch mal schlagen könnt', wie wenn der Malte Kossagoff vor der Wirtstür nach Feierabend stünde, – aber es ist doch so.

Man ist eben nur ein Mensch, und unser Herrgott will, man soll fröhlich sein, warum dazu Mannsleute gehören, ist dem Herrgott seine Sach'.

10. Mai.

Ich tu mein Arbeit, schikanieren laß ich mir nicht. Der Iwan war hier, in allen Ehren. Ich hatte meinen Ausgang, und er wollte mir begleiten. Und nun gefällt er den beiden Gnädigen nicht. Hat mich denn die Gnädige gefragt, ob mir der Herr Major gefällt? Na, er gefällt mir, aber es könnt' auch anders sein, und müßt doch dienen und seine Stiebeln wichsen, wenn der Bursche Dienst hat. Und die kleine Gnädige braucht nicht mal dem Iwan die Stiebeln zu wichsen. Verlangt niemand. Könnt aber nicht schaden. Die Vornehmen – – – – – – – – – – –

Emmeline Wardukeit! Du willst ein Tagebuch schreiben und dein inwendiges Gewissen beleuchten und jetzt schreibst du, was du gar nie gedacht hast, sondern man bloß der Iwan. Aber er hat recht.

11. Mai.

Ich heul und heul. Da ist die kleine Gnädige mit vieler Herzensgüte, aber was nützt diese mich, wenn sie nicht will, daß ich mit dem Iwan gehen soll. Ich hab ihr Stein und Bein gesagt, daß der Iwan es ehrlich meint mit Kirche und dem neumodschen Standesamt sogar. Doppelt hält besser.

Aber so zart, wie sie man is, die kleine Gnädige, sie kann obsternatsch sein, wien Herrn Pfarrer in Kraupischken sein Handpferd.

12. Mai.

»Entweder – oder,« sagt die alte Gnädige und sieht mir böse an.

Der Iwan meint »oder«. »Wirf ihnen den Kram vor die Füße, Line,« sagt er, – »wir fangen ein fideles Leben an.« Und das könnten wir, denn – Himmel, ich hab es vergessen aufzuschreiben, ich hab' eine Erbschaft gemacht. Der Herr Major riefen mich und gaben mich einen gestempelten und gesiegelten Brief, – ich rührt ihm aber nicht an. Na, denn mußte ichs doch, denn der Herr Major meinten gütigst, ich wäre »horndumm« – – da fielen sie raus, – zwei blaue Papierdinger, – und wären zweihundert Mark, – sagt der Herr Major. – »Wers glaubt,« sag' ich. – Eine alte Bas' hats mir hinterlassen, sagt das Gericht.

Grad', als ob das Reichwerden nur so auf mich lauerte.

Ich hab mein Abendgebet noch mal so lang gesprochen und die blauen Dinger wollt ich in den Strumpf zu meinen Begräbnisgroschen tun, da kams raus, daß ich das Geld aus dem Sparkassenbuch geholt hatte.

Der Herr Major sagten, ich wär – – ne, ich schreib's nicht hin, 's ist sonst ein honetter Mann, und war immer gut zu mir und zu seine Soldatens, – ich will ihm hier nicht vorhalten, was für elende Schimpfwörter er weiß.

Der Iwan freut sich ungeheuer, – er ist doch eine gute Seele – und wollte mir sogar küssen, trotz die Blatternarben, aber ich tat es nicht, es ist sone Art Hochmut von mich, weil ich dem Malte Kossagoff so doll geküßt hab.

Der Iwan bestand auch nicht drauf, er ist da nicht rechthaberisch drin.

Aber sonst – da ist er ein ganzer Mann. Ich sollt ihm die dreihundert Mark geben, – an mein Begrabenwerden dürft' ich noch nicht denken, – den Sarg und das Sterbehemd hatt' ich noch allemal übrig, und er wollt feste mitverdienen.

Aber das Geld müßt' er haben, der Iwan, das wär Mannsrecht, und in der Bibel stünd, ich müßt gehorchen. Das gefällt mir so gut an ihm, daß er so fest mit die Bibel Bescheid weiß.

Warum sollt' ich's auch ihm nicht geben?

15. Mai.

Hätt' ichs nur getan! Nun hab ich mich der kleinen Gnädigen entdeckt und die hat mich angefahren: »Du wirst doch dem Kerl das Geld nicht geben?« –

»Dem Kerl« hat sie gesagt, und das ging gegen meine Ehr. Denn sie hat dem Herrn Major selber einen ganzen Scheffel Geld gegeben, damit er sie konnt heiraten, das hat mir die Köchin selbst erzählt, und ist er drum doch auch noch lange kein Kerl.

Und heut ist der fuffzehnte und ich kündige.

War eine gute, liebe Stelle und Gott segne die Herrschaften bis ins Grab und besonders die kleine Gnädige, und den Jungherr und die Fräulein Ingeborg, was heute schon anderthalb Monat ist.

Ach Gott und der Herr Major. Wo mirs beinahe das Herz abstößt, aus so einem Hause fortzugehen.

Aber ich kann keins von ihnen heiraten und es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei – – – – – – –

20. Mai.

Man sollt' nicht glauben, zu was so'n Buch gut ist.

Keinem Menschen kann ich ins Aug' sehen vor Schmach und Schande und es ist eine Gnade Gottes, daß Er selbsten unsichtbar ist und kann ich auf solche Weise mit ihm sprechen. Und mit das Buch auch.

Alles ist aus und verloren und habe keine Liebe mehr und möcht' sterben.

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich schlafe unten im Keller, ist aber hübsch gedielt und mit einem Fenster zum Garten hinaus und ordentlich Vorhängen, als wär man was.

Die Köchin schläft sonst bei mich, war aber zu 'ner Hochzeit aufs Land.

Und die Annchen von Leutnants zwei Treppen hoch, schläft nebenan und kommt sonst noch manchmal schwatzen, kann aber heut nicht, denn sie hat 'n hohlen Zahn und ich rieb ihr ein und macht ihr 'n Rum in den Zahn, der beißt alles weg und denn noch einen und noch einen. Mußt mich der Teufel reiten, so zu tun, denn sie konnt mein Schutzengel sein, war aber nun betrunken.

Und wie es Nacht ist, wach' ich auf, denn es ist was bei mir und ich will schreien vor Grauen, da seh ich den Iwan – und ich schäm mich und krieche unter die Decke und er streichelt mich, und sagt, ich soll still sein.

Aber ich weine und sag ihm laut, ich wär' ein ehrliches Mädchen und er sollt auf den Augenblick fortgehen, – da hörte ich den Hund anschlagen und er auch, und da packt er mein Kopfkissen, und mit einem Ruck hat er den Strumpf in der Hand, wo mein Geld drin ist und zischt mich an: »Meinst, ich bin deintwegen da, du pockennarbiges Ding?«

Und schwingt sich durchs niedrige Fenster, – steht aber der Hund draußen und der Herr Major und ich zieh' mich zitternd rasch an und weine laut vor Angst um mein Geld und den Iwan. Und da waren im Nu alle da, wie hergeweht, – der Nachtwächter und der Herr Leutnant von oben und der Pawlik und der Just und der Bursche von Leutnants und alle besahen mir neugierig und den Iwan, – der hatte aber einen Strick um die Hände und die Füße und lag wie ein Bündel da. Und der Herr Major holte die Polizei und ich hatte meinen Strumpf wieder und schämte mich die Augen aus dem Kopfe und das Bündel war auf einmal weg, das sitzt jetzt hinter eisernen Gardinen und möcht' nur wissen, warum man sowas erleben muß in dieser miserabligten Welt.

Wär ich doch nur kein reiches Mädchen nicht, und hätte den Iwan nie gesehen und die Falschheit in seine Brust.

Das Geld ist nun alles auf die Sparkasse, es war mich einerlei, was damit geschieht, denn es hat mich ins Unglück gestürzt.

Ich werd's wohl nie wiedersehn, – die fremden Leut auf der Sparkass' kümmern sich erst recht nicht um die Emmeline Wardukeit, – wo es schon der Iwan nicht tat; die machen sich 'n guten Tag mit die dreihundert Mark.

Am meisten schäm' ich mich vor die kleine Gnädige und den Herrn Major, – sie haben mir nicht wien Hund auf die Straße gejagt, wo ich doch Unehre und Polizei ins Haus gebracht hab, – sie sind sogar noch in Liebe um mich rum, das ist zuviel.

Ich möcht wohl im Pregel gehn, – aber ich scheue mir vor die Sünde. Und was soll wohl denn mein schöner, hellgelber Sarg nützen, wenn ich an die Mauer verscharrt werd' bei Nacht und Nebel und kein Mensch sieht ihm. Gott steh' mir bei!

25. Mai.

Mir ist kein Arbeit zu viel.

Das tut wohl, wenn man schuftet, bis man liegen bleibt und gleich einschläft.

Ich brauch' nicht mehr in dem Keller zu schlafen, weil ich mir so erbärmlich fürchtete, sie haben mir herauf genommen in das Zimmer von das Fräuleinchen Ingeborg, – nun bewahrt mir das unschuldvolle Engelchen vor böse Träume.

Ich schäme mir Tag und Nacht.

Wenn das der Malte Kossagoff wüßt, daß ich ihm nicht mal ein Jahr bin treugeblieben, wo ich doch eine Marjell bin, und die sind immer treuer, als die Burschen.

30. Mai.

Was der Jungherr Richard nicht schon all kann. Sechs Jahr ist er man alt und spielt auf seine Geige wie'n Engel. Das geht einen durch und durch. Denn macht er so Augens dazu, so sanfte und denn wieder feurige Augens und wenn man ihm fragt, was willst du werden, denn sagt er »Joachim«.

Ich hab nicht gewußt, was das forn Metier ist, aber die junge Gnädige meint, es wär ein Geiger.

Auch noch. Das würd' sich schlecht passen, wenn der Sohn von so vornehme Herrschaften wie meine Majors, wollt Geiger werden und Sonntags in der Schenke zum Tanz aufspielen. Wenn er mich mit Joachim kommt, denn sag ich: »I red un red. Du kommst bei die Soldaten und wirst Major wie der Herr Vater.«

Denn lacht der Jungherr und fidelt die ganze Geige in die Höhe und sagt: »Phh! Joachim is was Besseres, der is König.«

So was Dummes setzt ihm aber nur der Musje Kurbinsky in den Kopf, bei dem er das Fideln gelernt kriegt. Als ob man das noch lernen müßt!

In Litauischen, wenn da ein Jung geboren wird, da steht gleich der Pate da und hält ihm mit einer Hand eine Fidel und mit der andern einen Geldsack hin. Wo das Jungchen hingrapscht mit die winzigen Finger, das wirds und gibt's nicht anderes, – ein Musikant oder ein Dieb.

Der Herr Kurbinsky hat nach der Fidel gegriffen, aber er sieht mit seine schwarzen Locken und Augen und mit das gelbe Gesicht akkrat wien Räuber aus. Ich mach' immer 'ne Faust hinter ihm her, wenn er mir mal begegnet ist, – weil er alle verhext.

Es ist gewiß eine große Sünde, an Hexen und Teufelszeug zu glauben, aber wenn es doch welche gibt?

Ich hab selber eine mit leibeigenen Augen in Kraupischken gesehen und habe einen Stein nach ihr geworfen, der nich traf, sondern fuhr ins Fenster vom Herrn Pfarrer und nahm mich bei den Ohren. – I Gottchen nei, die Frau Majorin ist gut, aber für Hexen hat sie keinen Verstand und nun hockt sie auch beinahe jedesmal mit dem Herrn Major in die beiden roten Lehnsessels und der schwarze Hexensohn fidelt ihnen die Seel aus dem Leib, und Jungherr Richard treten beinah die lieben Augens aus dem Kopf, so starrt er ihm an und wir Dienstboten stehen draußen vor die Tür und es ist mich so, als liefe mein Herz aus mir raus über die littauische Heide und ich selbst bin wie angenagelt auf einem Fleck und muß dem Herrn Kurbinsky zuhören.

Das sind alles schauderhafte Sachen und wozu hat man 'ne Polizei?

Wollt auch nicht leiden, daß meine junge Frau so zuhörte, wie verzaubert, wenn ich der Herr Major wäre, – es ist ein Tausendglück, daß sie noch immer dabei seine Hand hält, ich mein' die vom Herrn Major, – die ist so groß und stark und man wird nicht so leicht stolpern dran.

Wenn ich so was der Frau Majorin sagen täte, hui, die würde aufbegehren, und ich flög wohl zum Tempel naus, – sag' ich auch nichts aus inwendigen Gründen, denn erstens ist meine Frau rein wien Engel, zweitens kuckt sie nicht nach dem Scheusal, sondern nach der Geige und drittens bin ich selber nicht wert, daß ich sowas andern Leuten sage, – denn hätt' ich schon selber nicht stolpern müssen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es ist wieder mal Frühjahr, – – man merkts an weiter gar nichts, daß die Zeit so läuft, als an Klein-Ingeborg, die ist nun vier Jahre vorbei und Jungherr Richard ist zehn. Vier Jahre und dabei hab ich kaum was geschrieben, aber ich weiß alles. Es ist vielleicht besser, man bewahrt vieles im Herzen, als man schreibts auf und manches das vergißt man schon am besten, – aber so'n Tagebuch ist ein richtiger Merkstock.

Was die großen, feinen Herrschaften für Not mit ihre Kinder haben. Bei uns, da heißt's, wenn 'n Jung seine vierzehn Jahr hat, wird er konfirmiert und denn kann er als Knecht sein schönes Fortkommen haben, manche tun natürlich auch vornehm und werden Schreiber. Aber das ist immer noch nicht so schlimm, als bei denen, die hochwohlgeboren auf die Welt kommen.

Da sitzt nun der Herr Oberstleutnant, (denn das sind wir nun glücklich) mit der Frau Gemahlin und der Großmutter zusammen und beratschlagen über den Jungherr Richard, der soll fort in's Kadettenkorps.

Das Kadettenkorps ist eine große Kaserne in Berlin und lauter Mannsleute sind drin, weshalb da unmöglich Reinlichkeit sein kann, wenn ich bloß dran denk, wie unsere Burschen unordentlich sind. Und wer näht dort Knöpfe an? Die Leutnänter? Ich glaubs nicht. Kein Wunder also, wenn unsere junge Gnädige dagegen ist, daß der Herr Richard fortkommt. Sie will, daß er studieren soll und Referendar oder Oberpräsident werden soll. – Ich weiß mit die Titel nicht genau Bescheid. Aber die Großmama spricht immer von der »alten Tradizion«, die litte es nicht, daß der junge Herr was anderes, als Offizier würde. Es ist also wahrscheinlich 'ne Erbtante, die »alte Tradizion«, mit der man's nicht verderben darf.

Der Richard selbst wird gar nicht gefragt und er ist doch auch am Ende ein Mensch, wenn auch erst ein dummer, kleiner, zehnjähriger. Aber er soll doch sein ganzes Leben lang Offizier bleiben und man kann doch nicht wissen, ob er nicht lieber Oberpräsident, oder Pastor, als Kadett wird. Sein Gesicht ist ganz schmal geworden und aus dem Garten, da kommt er immer mit rotgeweinte Augen, denn da hat er so'n stilles Plätzchen, wo ihn niemand sieht im Birnbaum, und ich sagts auch mal dem Herrn Oberstleutnant, aber der meinte, er hätte wohl Leibweh, das hätten Jungens immer.

Ich kochte ihm deshalb Fliedertee, und er durfte früher ins Bett gehen, und ich setzte mich auf seine Bettkante, und nach der dritten Tasse weinte er zum Herzbrechen und sagte, es wäre kein Leibweh, – er wollte Geiger werden.

Na, da gab ich ihm natürlich sofort die vierte, denn so was kann nur durch Schwitzen herausgebracht werden, aber er jammerte immer so weiter, und als ich dann an sein Abendgebet noch die Bitte setzte, der Teufel möchte doch den Herrn Kurbinsky holen, der unserm Jungchen solche Raupen in den Kopf sehte, da drehte er sich finster nach der Wand um und sagte kein Wort mehr auf alle meine Fragen, und ich merkte schon, er hatte den Dickkopf von Vater und Mutter und von der Großmutter noch nebenbei. Hunderttausendmal bin ich vielleicht schon gefragt worden, jedenfalls aber zwanzigmal in der Küche und auf dem Markte und von sonstigen Leuten, warum just der Herr Kurbinsky unserm Jungherr Stunden gibt, er hätt' keinen arg guten Ruf und Schulden wie Sand am Meer und lieben tät er jeden Tag 'ne andre.

Natürlich fragte ich meine Herrschaft drum, denn das ist mein Pflicht als ehrlicher Dienstbote, – unsereins sieht manchmal mehr als die feinen Leute, denen ist der gerade Weg oft durch die Klemmers und Monokles versperrt. Also ich fragte und kriegt auch 'ne Antwort. »Das Beste ist gerade gut genug für die Ausbildung der Kinder,« sagte die Gnädige, »und der Herr Kurbinsky gibt den besten Unterricht. Er ist ein Künstler von Gottes Gnaden.«

Drauf sagt' ich: »Ich glaube nicht, daß der liebe Gott viel mit dem Musje Kurbinsky zu tun hat und in unser Haus paßt er nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Er liebt so viel und denn hat er Schulden.«

Da lachten der Herr Oberstleutnant, – i Gottchen, was kann der Mann lachen, – und sagte: »Line, wenn wir bloß Leute einladen wollten, die nicht lieben und keine Schulden haben, dann säßen wir allein im Salon.«

Sone Rede! Und dann lachte er wieder so von Herzen und die junge und die alte Gnädige auch.

Na, ich war ja denn still, aber die Augen, die hielt ich offen, denn ich weiß von meine Bräutigämmers her, wien Lump aussieht. Herrgott, ich dank dir!

Du mußtest natürlich das Beste tun, wie allemal und hast unserm Jungherr Richard 'n Schutzengel geschickt in 'ner blauen Küchenschürze, denn der Schutzengel war ich. Man kann gar nicht so rasch das alles hinschreiben, wie die Gedanken und die Geschehnisse so durcheinander wirbeln.

Die Herrschaft war also schon zur Ruhe gegangen, und wir in der Küche hatten noch Geschirr abgewaschen, und nun waren wir auch in unsern Stuben, aber ich konnt nicht schlafen. Zahnschmerzen hatt' ich zum Vergehen, und der Herr Oberstleutnant sagten noch am Vormittag: »Line, wenn ich heut' aus dem Dienste komme denn wünsch' ich, daß sie beim Zahnarzt gewesen sind,« und schenkt mir 'ne Mark.

Da sieht man nun sonnenklar, wie gut es ist, wenn man nicht immer gehorsam ist auf der Stelle.

Denn hätt' ich meinen Zahn ziehen lassen, denn hätten mich die Schmerzen nicht wach gehalten, denn hätt ich auch keine barfüßigen Kindertritte schleichen hören und wäre nicht mit'n Licht nausgestürzt und hätt nicht den Jungherrn Richard mit'n Bündel dastehen sehen, käseweiß im Gesicht.

Und wirft sich auf mich und preßt mir die Hand auf'n Mund und pischpert: »Um Gottes willen, verrat mich nicht, Line, ich schenk dir mein ganzes Sparkassenbuch.« Und ich war ja wohl so perplext, daß ich stumm wien Fisch blieb, bis auf einmal das Zigeunergesicht von dem Kurbinsky hinter dem Jungherrn auftaucht, und er will ihn von mir fort und die Treppe hinunterziehen, und hat 'nen großen Koffer in der Hand.

Da schrei ich einen gräßlichen Schrei und halt den Richard fest, und immer mehr schrei ich, und alles wird wach und stürzt mit Lichtern her.

Der Kurbinsky springt aber mit einem gotteslästerlichen Fluch die Treppe hinunter, zur Haustür hinaus, sitzt aber jetzund in Nummer Sicher wegen Entführung Minderjähriger.

Ich hab aber seitdem 's Zittern in den Beinen, wenn ich auch noch zu jung dazu bin, – aber so'n Schreck, der kann einen grau machen vor der Zeit. –

Ach, was ist unser Haus so ernst geworden seitdem! Und ich selbst möcht' immerfort weinen, wenn ja auch alles so gut ausgegangen ist mit Herrgotts Hilfe.

Aber ich sehe es immer noch vor mir, wie die Hand vom Herrn Oberstleutnant den Jungherr Richard züchtigen wollt, und wie die junge Gnädige ihm in den Arm fiel, und wie er dann plötzlich das Kind an sein Herz zog und nasse Augen hatte, – so'n starker Mann.

Und dann gab er mir die Hand und drückte meine, daß ich dacht', ich sollt am Leben verzagen, und sagte: »Line, Line, das vergessen wir dir nie!« Und ich hatte doch nichts getan, als daß ich ungehorsam gewesen war; aber der Zahn is ja man bloß 'n Stumpf und keine Mark wert. »Den Jungen hält' ich gerettet,« behauptete der Herr Oberstleutnant.

Und wieder was in die Sparkasse.

Schön! Es war mir nicht an der Wiege gesungen, daß ich mal so 'ne Art Rothschild werden sollt'.

Aber unser Jungchen ist fort ins Kadettenhaus, und bei uns wird nur ganz leise gesprochen, was sehr unrecht ist, denn man soll nicht Gott versuchen, und der Jungherr ist doch nicht tot.

Aber es ist natürlich schrecklich, so ein junges Kind vom Mutterherzen fortzureißen, – man brauchte nur in die großen, traurigen Augen von meiner Gnädigen zu sehen.

Der Herr Oberstleutnant sagen, der Jungherr Richard hätte im Kadettenhaus auch 'ne Mutter, 'ne Kadettenmutter, das wär' ein Leutnant, ein prächtiger Kerl.

Na, – wenn zehnmal! Ein prächtiger Kerl von Leutnant taugt doch höchstens zu 'nem Vater, zu 'ner Mutter, da gehört 'ne Elle mehr. Unsereins weiß das, aber den Männern geht bei so Urteilen der liebe Verstand ab, – ich sage das frei raus, wenn mein Herr auch Oberstleutnant und obendrein mein Herr ist. Zu 'ner Mutter ist er nicht geeignet. Alle acht Tage kommt ein Brief vom Jungherrn Richard, aber es steht nicht viel drin.

Ich hätt' mich ja niemals unterstanden, so einen Brief lesen zu wollen, aber die junge Gnädige reichte ihn mir und dann weinte sie wieder. Der Herr Oberstleutnant können das auf den Tod nicht leiden, er meinen, es wäre »Weibergetue« und sowas verdürbe den Jungen, und sie wären überhaupt zu sanft mit ihm umgegangen, jetzt sollte der Richard im Kadettenhaus forsch werden.

Wieder so 'ne dämliche Männeransicht mit Respekt zu sagen. Aber 'ne Mutter, – die sieht durch sieben Balken durch und wenn 'n Vateraug' nicht 'ne Spur entdeckt, 'ner Mutter macht man kein X vor 'n U.

Ich bin keine Mutter und eine einfache Magd, aber ich sagte gleich, wie ich den Brief gelesen hatte: »Unser Jungherrchen hats Heimweh.«

Die junge Gnädige schüttelte wehmütig den Kopf, und ich sagte etwas leiser: »Heimweh nach die Geige.«

Da schluchzte sie auf.

»Das ist's, Line, – das ist's!«

Und keine Spur von Gekränktsein, daß es nicht Heimweh nach der Mutter war.

»Wir wollen sie ihm schicken,« rief ich.

»Das leidet mein Mann nicht,« meinte die Gnädige.

»Er braucht's ja nicht zu wissen,« war nun meine Meinung. Aber da kam ich schlecht an.

Sie sagte nur streng und ganz verändert »Line!« zu mir, aber es ging mir ordentlich durch.

Nach meiner Meinung mußte doch bei einer Mutter zu allererst das Wohl von dem Kinde kommen und als Nummero zwei erst der Mann, aber ich bin ja nur ein unverständiger Dienstbote. Es ist ja auch sehr edel, wenn die vornehmen Eheleute keine Geheimnisse vor einander haben. Aber ich litt mit das Jungchen, (so muß ich den Herrn Kadetten bei mir inwendig nennen, die gnädige Herrschaft wird verzeihen), und richtig, – manchmal sieht auch ein lediger Dienstbote, der niemals Mutter war, durch drei Balken durch. Es kam so.

Schluchzen hört ich eines Morgens im Zimmer der gnädigen Frau und ich legte mein Ohr an das Schlüsselloch, denn Horchen ist nur was Miserabliges, wenn man davon weiter klatscht, aber ich wollte helfen. Ich hörte aber nur weinen, so recht jämmerlich weinen, wie ich wohl geweint habe, als der Malte abschwenkte.

Dann klopfte ich an und weil niemand herein rief, ging ich lieber von selber ins Zimmer.

Die gnädige Frau saß am Tisch und hatte das Gesicht in die Hände vergraben und erst als ich ganz nahe bei ihr stand, schrak sie zusammen und dann sah ich in ihr verweintes, ganz verschwollenes Gesicht.

»Line,« sagte sie und ich merkte, wie ihr Körper zitterte, »was willst du hier, laß mich allein!«

Und sie wollt' ihre Tränen trocknen, aber ihre Hände waren wie ohne Kraft und das Taschentuch, das bei den Vornehmen ja so dünn sein muß, war auch schon wie 'n nasser Lappen.

Da ging ich ganz ruhig an ihr Kommodenfach und nahm aus dem blauseidenen Behälter ein reines Tuch und brachte es ihr und sagte ruhig: »Ich bin ja nur ein Dienstbote, der früher beim Vieh war, – aber das is all lang her und ich habe doch ein Menschenherz.«

»Ein Menschenherz!« rief sie und drückte ganz furchtbar fest meine Hand und zog mich neben sich auf einen Stuhl, als wäre ich eine feine Dame, oder die vornehme Schneiderin mit 'n Federhut, die manchmal Beratungen mit ihr hat.

Ich setzte mich aber nur auf eine kleine Stuhlecke, denn ich weiß, was sich schickt und hier las ich einen Brief vom Jungchen, der die Ursache von all den vielen, heißen Muttertränen war.

»Liebe Mama!

Ich muß es Dir sagen, daß ich es hier nicht aushalte. Und ich kann kein Offizier werden, wenn ich auch erst elf Jahre alt bin, so weiß ich das jetzt schon. Du bist doch meine Mama, nicht wahr? (Das »meine« hatte das Jungchen dick unterstrichen). Ich kann es niemand sonst auf der Welt sagen, daß ich hier beinahe sterbe. Viele Kadetten spielen hier Geige, aber das bringt mich um. Sie könnens auch nicht. Aber wenn sies auch könnten, ich muß mir doch die Ohren zustopfen, denn ich kanns nicht anhören, weil es der Papa doch verboten hat, daß ich eine Geige anrühre. Du mußt es dem Papa aber sagen, daß er mich wieder nach Hause nimmt, damit ich wieder üben kann, ich verlerne ja alles. Und ich will sehr fleißig sein, wenn ich wieder aufs Gymnasium komme und will gern den ganzen Tag lernen, wenn ich nur des Nachts spielen kann. Liebe Mama, es wird Euch gemeldet werden, daß ich Arrest bekommen habe, strengen Arrest, es ist mir aber einerlei. Ich bin Sonntag über Urlaub weggeblieben, wir waren spazieren gegangen, da spielte jemand Geige in einem Gartenhaus und ich konnte mich hineinschleichen und habe alles vergessen, denn es war ein wirklicher Künstler und er spielte Beethoven. Dann war es stockdunkel und ich bekam Arrest, es ist mir aber wirklich einerlei, – wegen Beethoven. Du weißt nun alles, liebe Mama, ich packe einstweilen meinen Koffer, sehr heimlich, daß der Stubenälteste nichts merkt, denn ich weiß bestimmt, daß Du mich nicht verläßt, weil Du doch meine Mutter bist.

Dein Sohn Richard.«

»Gnädige Frau,« sagte ich, – »unser Jungchen muß her, nicht wahr?« Und nun zitterte ich, denn so ein Brief greift sehr an.

»Ich weiß es nicht,« rief die Frau.

Da hörte ich draußen Schritte vom Herrn Oberstleutnant und gleich darauf kam er ins Zimmer und ich ging sachte hinaus.

Unten in der Küche machte ich das Abendbrot zurecht, recht mit Liebe, denn wenn das Herz gelitten hat, tut manchmal ein Biefstück Wunder. Und weil es heut arg war, tat ich noch Bratkartoffeln dazu.

Da kam das Stubenmädchen Anna.

»Der Deubel is oben los,« sagte sie und sie hätte gehorcht. »Das ist sehr schlecht,« habe ich gescholten, denn ich weiß, daß sie weiter klatscht, was sie horcht.

»Phhh!« sagte sie.

Aber als meine Biefstücks verbruzelten und die Kartoffeln hart wurden vor Bräune, da stieg ich auch hinauf, denn sowas darf ich mir in aller Bescheidenheit erlauben, zu horchen brauchte ich nicht, denn der Herr Oberstleutnant schrieen, als ob er auf dem Kasernenhof wären.

»Ein Waschlappen ist der Bengel,« tobte unser Herr, »aus der Art schlägt er, – Donnerwetter, meinst du, wir hätten Anno 70 mit dem Fiedelbogen gesiegt? Arrest soll'er haben, bis er schwarz wird und hierher kommt er nicht, auch nicht zu den Ferien. Ich werde an Heinrich schreiben, der wollt' ihn schon lang mal haben, der wird ihm die Flötentöne beibringen, daß ers geigen vergißt.«

Dann wieder die Stimme der Frau, schier gellend:

»Um Gottes willen, nicht zu Heinrich!«

Aber das Jungchen kam doch zu Oberst Heinrich von Alsfeld, das war ein Vetter der gnädigen Frau, ein richtiger Eisenfresser und ohne Kinder, er war mal bei uns, Gott soll mich bewahren.

Eine Tür hört er lieber knarren, als ein schönes Lied singen und Zivilmenschen sieht er gar nicht an. Ich hab' nichts für ihn übrig und sein Trinkgeld hatte ich damals der Stubenanna geschenkt.

Seine Frau ist nicht besser, sie hat kalte Augen und ein kaltes Herz und trägt hohe Mannsstiefel mit Sporen. Ich hab' viele Menschen schon kennen gelernt und sie hatten alle einen Liebesnamen, wie auch der Malte Kossagoff mich »Maruschka« nannte und mein Herr zu der kleinen Gnädigen »Herze« oder »Rosel« sagt, aber die Frau Oberst von Alsfeld heißt bei allen nur die »Rangliste«. Was soll aber unser Jungchen mit seinem Heimweh bei 'ner Rangliste?

Noch an demselben Abend mußte der Bursche einen Brief wegbringen, den hatten der Herr Oberstleutnant geschrieben und die arme Mutter war nicht zu Worte gekommen. Denn ich fand oben im Schlafzimmer ein Papierknäuel, das hatten der Herr Oberstleutnant weggeschmissen und wie ich es glatt strich, stand darauf: »Mein lieber, einziger Herzensjunge – – – –«

Nun sind wieder zwei Jahre vergangen, und heute ist Silvester und das ist ein ernster Abend, und ich habe meine besonderen Gedanken. Trotzdem ich eine stille, einfache Person bin, erlebe ich doch sehr viel, daß ich mein', ich könnte dicke Bücher vollschreiben, aber ich habe es mir angewöhnt, nicht viel an mich selbst zu denken, weil ich doch man unwichtig für unsern Herrgott und für das ganze Leben bin. Dagegen ist meine Herrschaft über die Maßen gut zu mir, und sorgt an allen Ecken und Kanten für mich, so daß ich am liebsten nur an sie denke und an ihre Sorgen und Nöten.

Denn die hat sie.

Der Herr Oberstleutnant nicht so arg, weil er ein Mann ist und sein Dienst kommt Nummro Eins bei ihm.

Aber die gnädige Frau.

Wenn sie des Abends in der Dämmerung so sitzt und den Arm um das Ingeborgchen geschlungen hat, was ein Engelchen ist mit den blauen Augen und dem goldenen Haar, denn schaut sie so gradaus, als wär' sie nicht bei sich, als kuckte sie durch die rote Tapete und die Backsteinmauer durch – weit – weithin. Der Herr Oberstleutnant sehens nicht, – aber ich sehs, ich habe eine inwendige, besondere Liebe für die kleine Gnädige und die hilft mir.

Ich weiß auch, wohin sie sieht, – zu unserm Jungchen. –

Das war ein seltsames Weihnachtsfest, – – wars denn wirklich der Jungherr Richard, der zum erstenmal wieder nach Hause kam? Die andern Ferien hatte er immer beim Herrn von Alsfeld verbracht, nun sollt' man meinen, er wär' halb närrisch vor Freude gewesen, daheim zu sein. Er wars nicht.

Ich kuckte ihn immer wieder an, – mußte alleweil mit dem Kopfe schütteln.

»Bin ich ein Wundertier, Line?« fragte er spöttisch.

Ja, spöttisch. Er ist nicht unser liebes Jungchen mehr, er ist ein anderer geworden.

Gleich hab' ich's gemerkt. Wie er nur zur Tür hereintrat und seiner Mutter guten Tag sagte. Sie war nicht mit zum Bahnhof gefahren, denn sie hatte ihre Migräne.

Nur vor Aufregung, vor Herzensfreude, daß der Jungherr kommen sollte.

»Du bist nicht wohl, Mama, – es tut mir leid,« sagte er, und ich mußte auf einmal an ganz früher denken, wenn er vom kleinsten Spaziergang heimkam, und das Haus durchsuchte:

»Wo ist meine Mutti? Ich will meiner Mutti guten Tag sagen. Mutti – meine Mutti!«

»Junge, drück deine Mutter nicht tot,« lachte dann immer der Herr. Diesmal brauchte er das nicht zu sagen, – der Jungherr küßte seiner Frau Mama die Hand und ich sah, wie blaß die Frau wurde.

»Der Junge ist vernünftig geworden, den haben wir über'n Berg,« hörte ich den Herrn Oberstleutnant sagen. – Mannsweisheit! Für'n preußischen Dittchen kriegt man 'n Sack voll. –

Dann kam der heilige Abend. Aber die vielen, vielen Lichter an dem Riesenbaum machten bloß die Stube hell, – ich mein', sie kamen nicht in die Herzen.

Jungherr Richard hatte sich in ein Buch vergraben, und nur wenn das Schwesterchen rief, dann kam er willig und spielte auch Puppenvater. Aber wenn der Herr Oberstleutnant etwas zu ihm sagten, dann hatte er so seltsame Augen – mir schlug allemal das Herz – ich wollte nicht, daß mich mein Sohn so ansähe.

Am ersten Feiertagabend war es recht still bei uns, recht heimlich. Der Herr Oberstleutnant waren zu 'ner Bescherung im Kasino, – die Burschen und die Stubenanna hatten Urlaub, – nur ich blieb so gern bei meiner kleinen Gnädigen.

Ich durfte im Bescherungszimmer bei ihr und den Kindern sitzen, und hatte mir eine reine, weiße Schürze umgebunden, weil es eine Ehre war.

Der Jungherr las wieder und Ingeborg sang ihr Püppchen in Schlaf:

»Suse Fladdruse
Wat raschelt in Stroh,
Sin de lewe Gösselkens,
De ham keene Schoh.«

Da ging sachte die gnädige Frau hinaus und als sie wieder kam, trug sie etwas liebevoll auf dem Arm, und ihr Gesicht sah aus wie rechte, treue Mutterliebe.

Die Geige wars.

Aber der Jungherr nahm sie nicht, – er stand nur auf und war ganz blaß und dann lachte er.

Es klang sehr häßlich und ich mußte die Hand auf mein dummes Herz legen, das klopfte ganz rasch.

Weil es den Schmerz von meiner gnädigen Frau fühlte.

»Ich spiele nicht mehr, Mama, nie mehr,« sagte der Jungherr.

Und die Frau erwiderte kein Wort, sie stellte nur den Kasten hin.

Dann nahm sie Ingeborg bei der Hand und ging in ihr Schlafzimmer. Ich ging ihr nach, die Treppe hinauf, da rief sie mir nur leise zu: »Lösch die Lichter,« und dann hörte ich, wie sie den Schlüssel hinter sich umdrehte.

Ich kam ins Bescherungszimmer zurück, – ganz leise auf den weichen Teppichen.

Da stand noch der Jungherr.

Und wenn ich hundert Jahr alt werde, ich vergeß nicht den Blick, mit dem er den schwarzen Kasten anschaute und wie er sich bückte und aufschloß, – da lauf ich dumme, dumme, vernagelte Magd zu ihm hin und ruf' mit Lachen und Weinen:

»Ja, Jungherr, – machen Sie's wieder gut, – spielen Sie!«

Da reckte er sich hoch, – ist ein schlanker, großer Junge, und seine Augen sehen ganz schwarz aus vor Zorn, und mit dem Fuß stößt er nach dem Kasten, daß er in die Ecke fliegt.

Dann läuft der Jungherr an mir vorbei in sein Zimmer.

»Du lieber Herrgott,« sag ich nur – und falte die Hände. Der ist ja auch der einzige, der das verstockte Jungsherz leicht machen kann – vielleicht kommt dann wieder rechter Sonnenschein in unser Haus.

Ist aber noch keiner gekommen. Weihnachtsfeste und Frühlinge und Sommer, aber kein Sonnenschein, – kein rechter.

Und der Herr Oberstleutnant merken's immer noch nicht, wie Hase läuft.

»Der Junge ist vernünftig geworden,« frohlockt er und reibt sich die Hände. Und zu seiner Frau sagt er: »Richard traut sich selbst noch nicht so ganz, er meint, die Geige bekommt Gewalt über ihn, wenn er wieder spielt, ich freu' mich, daß der Jung' solche Selbstzucht hat.«

So'n Vater ist doch wie ein blindes Huhn.

Die junge Gnädige hat sich traurige Augen angewöhnt, und sie weint viel und verbirgt es vor dem Herrn Oberstleutnant.

Ist also auch ohne mein Zutun ein Geheimnis zwischen den Eheleuten.

Wir haben draußen vor dem Tor seit Sommer einen großen Garten, steht auch ein winziges Haus drin mit ein paar einfachen Stübchen und einer Küche, grad' groß genug, um Kaffee zu kochen und wenn der Regen im Garten überrascht, Unterstand zu suchen. An dem Häuschen steht mit großen goldenen Buchstaben, die aber jetzt schon arg verwaschen sind: Parva domus magna quies.

Der Garten ist arg verwildert und verwachsen – »poetisch« nennen sie's. Ich nenn's Unkraut, und man schreit sich im Sommer die Seel' aus dem Leib, wenn man jemand errufen will. Jeder hat sein Plätzchen für sich und ist von außen nicht zu sehen. Jetzt ist alles verschneit und auf dem kleinen Teich dürfen Sonntags die Herrschaftskinder Schlittschuh laufen.

Jawohl, die Ingeborg auch. Ich finde es arg unpassend für ein Mädchen, aber ich bin ja nur ein Dienstbote.

Ich denk' manchmal, wie die Welt immer sonderbarer wird, und die Mädchens all dasselbe tun, wie die Jungens. Neulich besuchte uns eine Dame, die hatte sich die Haare kurz abgeschnitten und schämte sich doch nicht und unsere gnädige Frau sprach mit ihr und schämte sich auch nicht. –

Da muß der liebe Gott über kurz oder lang mal ein Einsehen haben, denn die Guste von Leutnants oben, die immer mit ihrer Herrschaft reist, und viel von der schlechten Welt kennt, die sagt, es sollte alles anders werden, die Frauenzimmer wollten studieren, und Doktor und Apotheker und sonst noch alles mögliche werden. –

Ich habe der Guste den Mund zugehalten, aber die andern Mädchen, die noch dabei waren, (mein Herr Oberstleutnant nennt unsere Zusammenkünfte »Kontrollversammlung«) lachten so arg und viele davon meinten, sie hätten auch schon so was munkeln hören.

Nun meinetwegen, – wenn der Himmel einfällt, fallen alle Spatzen tot, und ich wart's eben ab.

Alles können die verdrehten Frauenzimmer doch nicht den Männern überlassen, das ist mein Trost, – ich würde auch dem Herrn Oberstleutnant sofort kündigen.

Es ist schon gewiß ein schlimmes Zeichen, daß ich und die alte Gnädige die beiden einzigen im Hause sind, die noch den Scheitel in der Mitte tragen und sich ihn ordentlich mit Stangenpomade ankleben. Kein Härchen steht vor, aber die junge Gnädige hat schon öfters einen Wuschelkopf, und die andern, die zu uns kommen, haben sich Fransen ins Gesicht gekämmt, und plieren mit den Augen zwischendurch und sehen aus, wie blödsinnig. Das soll fein sein und neuste Mode. Auch Ingeborgchen haben sies so gemacht, wie ich mal fort war und ich erkannt das Engelchen kaum wieder, aber wenn die Herrschaft fort ist, denn flecht ich ihr doch immer Zöpfchen und leg' sie mit Spucke um die Ohrchen, wie es früher so eine ehrbare Sitte bei Vornehm und Gering war.

Und nun bin ich ins Schwatzen gekommen und die Leute, die mal dieses Buch lesen, werden denken, ich hätte nichts zu tun gehabt. Aber ich flicke mein Zeug, wenn das erste, winzige Löchelchen kommt und deshalb wird da kein Loch und keine Liederlichkeit draus, und meine Hemden, die halten für die Ewigkeit, denn sie sind selbst gesponnen. Und deshalb kann ich abends, wenn die andern mit Mannsleuten rumflunkerieren, meinen Gesangbuchvers lernen und dann in dieses Buch schreiben.

Und heut hab ich noch schreiben wollen von dem alten verschneiten Garten, und daß der Jungherr Richard seine Eltern bat, er wollt Schlittschuh laufen und ob ers dürfte. Und sie erlaubten's ihm, aber um 5 Uhr müßt' er zu Hause sein, denn da treibt sich lichtscheues Gesindel im Winter herum, – ist eine alte Scheune in der Nähe. –

Aber wer um fünf Uhr nicht da war, das war der Richard, der Herr Kadett, und ich dachte noch nicht weiter drüber nach, denn die Herrschaft war zum Diner gebeten und ich saß bei Ingeborgchen und las ihr von Andersens Märchen vor. Die sind doch zu schön, und auch verführerisch zur Untugend, denn ich muß über die Maßen lachen, wenn der große Klaus seine Großmutter totschlägt und sie dann verkaufen will.

Um sechs Uhr war aber der Jungherr immer noch nicht da und ich kriegt es mit der Angst. Deshalb bat ich den neuen Burschen, er möchte nach dem »Parvadomus« rausgehen und nachsehn, aber er kratzte sich hinterm Ohr und wollt' nicht und meint', der Herr Kadett schnauzt ihn schon an, wie'n General.

Da ging ich selbst, denn ich fürcht' mich vor keinem General und vor keinem Herrn Kadetten, aber vor meiner kleinen Gnädigen ihrer Mutterangst, wenn der Jung' nicht da sein sollt!

Es war ein mühsam Gehen bei dem Nebel und der Wind blies. Aber ich bin eine staatsche Person und kam gut hin nach'n Parvadomus und auf dem Teich war niemand zu sehen, aber durch die Fensterladen schimmerte ein Lichtchen, und ich dacht', wo er das Licht wohl her hat und weshalb er da sitzt, der dumme Junge, d. h. der Herr Kadett, wenn er doch zu Hause ein herrschaftlich geheiztes Zimmer hat.

Ich bin groß von Natur und konnte gut in das Stäbchen reinsehen und die wackeligen Läden hatten einen Spalt.

Und jetzt hörte ich auch was. Ganz feine, sachte Geigentöne, wie sie der Herr Kurbinsky früher machte, wenn er so ein schwarzes Holzdingschen auf die Saiten klemmte.

»Herr du meines Lebens, der Jungherr spielt heimlich hier Geige,« sagte ich leise zu mir, aber wie ich ins Zimmerchen guckte, hätte ich beinahe geschrien, »Herr du meines Lebens!«

Denn da saß 'ne ganze Bande drin, – auch lichtscheues Gesindel, aber nicht so schlecht im Zeug, wie draußen das in der Scheune, sondern sie hatten Uniform an und auch Zivil.

Da war dem Kommerzienrat Siehle sein Hermann, den hatten sie vom Gymnasium gejagt, und dem Herrn Major von Neumann seiner, der war Fähnrich und der Kurt Amtor, der war auch Kadett, und mein Herr Oberstleutnant hatte noch kürzlich gesagt: »Wie mich die Eltern dauern.« Und dann noch vier, fünf Bürschchen außerdem, die ich aber alle kannte, und wüßt' auch, sie verdienten tagtäglich mehr Prügel, als sie Haare auf dem Kopf hatten.

Aber der Jungherr Richard war nicht dabei, der mußte ja wohl reineweg in dem dunkeln Kabuschen von Küche sitzen und Geige spielen. Und das tat er auch.

Die jungen Herren hatten Grog vor sich, und drei Leuchter mit Kerzen und Geld und Karten und waren sehr laut und sahen sehr erhitzt aus, und ab und zu rief einer, – ich kannt' ihn auch, den Hansheinrich von Dieffel: »Pscht – haltet die Mäuler, – ihr wollt uns wohl in Deubels Küche bringen,« und merkte nicht in seinem Unverstand, daß er schon drin war.

Viele von den Herrn Jungens konnten schon nicht mehr gucken und sahen recht jämmerlich aus, vom Grog und Tabak, und einer lag käseweiß auf dem Kanapee. Ich hätte ja gewiß einfach reingehen können in das Haus von meiner Herrschaft und hätt' auch fragen können: »schämen Sie sich denn gar nicht?« Aber ich kannte alle die Herrn Eltern und dann waren die meisten so sehr stolz und dankten der Dienstmagd nicht mal, wenn sie grüßte – da hätte ich mich wohl nicht unterstehen dürfen die Herrn Kinder zu stören. –

Auf einmal guckte der kleine Herr Baron von Dieffel auf die Uhr und sagte: »Teufel auch, – gleich sieben.«

Sie warfen die Karten zusammen und der Kabumeit, der älteste Strolch vom reichen Krämer an der Ecke, nahm sie an sich. Dann rief der Baron wieder: »Richard, laß dein Wimmerholz, wir gehen heim!«

Da sah ich auch unsern Jungherrn – er stand in der Tür und hatte große traurige Augen, wie er sie jetzt immer hat, aber Grog hatte er keinen getrunken, und ich freute mich auch, daß er nicht bei den sündhaften Spielkarten gewesen war. Nun gingen sie alle weg – nur der Heino Schwabach, der blonde Jung' vom Herrn Oberstabsarzt, der lag quer über den Tisch und weinte, sie verhöhnten ihn noch und sagten, er brauche nicht wiederzukommen.

Der Jungherr Richard rüttelte ihn an, denn er wollte ja wohl die Lichter löschen und auch gehen, und da sah ich, daß der Heino Schwabach ein ganz verzweifeltes Gesicht machte und er rief ganz laut: »Richard, – ich hab nichts mehr, nichts!«

Unser Richard zuckte mit den Achseln und machte ein verächtliches Gesicht und packte seine Geige ein. –

Dann gingen sie beide an mir vorbei und ich drückte mich eng an die Wand vom Hause, und mein Herz schlug sehr, als hätte ich selbst was Böses getan.

Jetzt fing der Heino Schwabach an zu laufen, aber der Jungherr Richard tat gar nicht, als ob er es eilig hätte, und so ging ich zu ihm heran und sagte: »Junger Herr, wenn doch bloß die Herrn Eltern noch nicht zurück sein möchten.«

Er schrak zusammen und dann fragte er: »Hast du spioniert, Line?«

»Ja,« sagte ich, »und hab' alles gesehen, auch die Spielkarten und den Grog und den Tabak.«

Da fuhr er mich an, als wäre er niemalen ein kleiner, guter Junge gewesen, dem ich immer Knöpfe annähte.

»Daß du dich nicht unterstehst, uns zu verraten.«

»Ich wüßt nicht, was ich verraten sollt,« sagt ich drauf ruhig, »denn Sie haben ja nur Geige gespielt und das ist keine Sünde.«

»Vielleicht doch,« lachte er – es klang nicht schön.

Nun ging ich still hinter ihm und trug seine Geige. Das hatte er früher nie gelitten, er hatte immer Angst, man könnt sie fallen lassen. Aber jetzt ließ er's ruhig geschehen, sah überhaupt recht müde und trostlos aus, wie einer der fertig ist mit dem Leben. Ach du lieber Gott, er ist sechzehn Jahr!

Wir traten ins Haus und gingen die Treppe rauf, und da stand im Flur der Herr Oberstleutnant und die junge Gnädige neben ihm, und sie sah so blaß aus, und hatte seinen Arm umklammert und rief nur immer: »O Ernst, werde ruhig, – werde erst ruhig!«

Ich sah den Herrn Oberstleutnant an und kannte ihn gar nicht wieder.

Aber ich weiß nun, daß der Zorn eine Todsünde ist und konnte es früher nie glauben.

Eine dicke Ader lief ihm quer über die Stirn, die war dunkelrot wie das ganze Gesicht, und mit der Hand fuhr er immer so zerrend durch den Bart, – nein es war nicht mehr mein gütiger Herr, – es war ein ganz Fremder.

In der linken Hand hatte er ein Blatt, und ich merkte es sofort, daß es wieder mal ein Zeugnis war, das sie aus dem Kadettenhause geschickt hatten, – natürlich ein miserabligtes. Noch einmal bat die kleine Gnädige leise: »Ernst!« aber ebenso gut hätte sie es zu einem Vesuv sagen können, der wäre auch losgebollert.

»Wo warst du?« schrie der Herr Oberstleutnant seinen Sohn an und nun wurde der Richard so rot, wie er vorher blaß gewesen war, und Vater und Sohn sahen sich ähnlich, wie aus dem Gesicht geschnitten.

Wäre nun mein Jungherr Richard noch das gute Jungchen von früher, mit dem heiligen Respekt vor seinem Vater, dann hätte er jetzt ruhig um Verzeihung gebeten, und alles wäre friedlich geblieben, aber das ist ja eben so anders geworden.

Die Achseln zuckte der Jungherr, als wenn er vor seinesgleichen stände und es wäre nicht der Mühe wert, den Mund aufzutun, – und seine Augen – ja die guckten so recht trotzig, und mit dem Kopf machte er eine Bewegung nach dem Geigenkasten hin, so recht auffällig, – das war erst gar nicht nötig. Ich war' sicher durchgeschlupft mit der Geige, denn der Herr Oberstleutnant achteten gar nicht auf mich im hellen Zorn.

Nun aber freilich sah er mich, und sah die Geige und da brach's los:

»Fiedeln tust du? Heimlich fiedeln? Und wenn die Mutter dich bittet, dann weigerst du dich? Und dieser elende Wisch da? Kennst du ihn? Der mir sagt, daß mein Sohn seine Pflichten vernachlässigt, ein schlapper Kerl, ein unbotmäßiger Lümmel ist, der durchs Fähnrichexamen fallen wird, dem ein elendes braunes Holz im Arm lieber ist, als der Degen in der Faust.«

Einen Augenblick hielt der Herr Oberstleutnant inne, ach, hätt' er doch jetzt in ein reuiges, liebes Jungsgesicht gesehen! –

Aber wie ein Mensch, den es gar nichts anging, guckte ihn der Richard an.

» Zigeuner fiedeln!« schrie der Oberstleutnant jetzt und packte ihn am Arm, »hergelaufenes Volk! Du hast die Ehre, der Sohn eines Offiziers zu sein, der Enkel einer langen Ahnenreihe von Offizieren!!!«

»Phhh!« fügte der Jungherr Richard. Nichts weiter, als »phh!« So als paffte jemand Tabaksrauch aus einer Bauernpfeife. Und ich wußte genau, wie ich diese nichtswürdige Jungsantwort auf ein zornwütiges Vaterwort hörte, daß nun etwas Schreckliches käme. Mit einem Ruck war der Geigenkasten aus meiner Hand gerissen, mit einem Ruck schloß der Herr auf, mit einem Ruck hob er den Hals der Geige, dann schlug das Instrument gegen den Türpfosten, – – »Vater!« hört ich den Jungherrn Richard schreien, – »Vater!«

Ich rannte davon in meine dunkle, kalte Kammer.

Nur die Herrschaft allein lassen mit sich in solchen fürchterlichen Zuständen. Sie muß sich sonst die Augen aus dem Kopfe schämen vor der einfältigen Dienstmagd.

Großer Gott, – mein gütiger, vornehmer Herr Oberstleutnant! Wie ein ganz anderer, häßlicher, ungebildeter Mensch hatte er ausgesehn!

Der Zorn ist eine Todsünde.

Und der Richard!

Ich werd' seine Augen gar nicht los, wie er den Vater ansah, – – – – – –

Und die Geige! – Zwanzigtausend Mark soll sie wert gewesen sein, sie hatte einen Namen wie ein Mensch. »Amati« hieß sie.

Da ist noch was anderes gesprungen, als bloß das braune Holz und die Saiten. Das Herz ist in der Geige gesprungen, das hat so geklagt – – – –

Oder das Herz im Jungherrn Richard.

*

Nun geht wieder alles seinen ruhigen Gang.

Der Herr Oberstleutnant sind Oberst geworden und haben eine Menge Orden und graue Haare gekriegt.

Die kleine Gnädige ist noch etwas kleiner geworden, wie mir scheint, – etwas mag wohl stark auf sie niederdrücken. Die alte Gnädige ist wieder bei uns, was ein rechter Gottessegen ist, denn man kann sich an ihr festhalten und ihr Sorgen aufzupacken geben auf die schwere Not.

So eine Großmutter kann noch schlimmer wie 'ne Mutter sein, – ich muß immer, wenn ich unsere alte Gnädige ansehe, an den Bibelspruch denken: »Sie glaubt alles, hofft alles, duldet alles und suchet nicht das ihre.«

Jungherr Richard reiste damals nach dem schrecklichen Abende gleich ab, und man konnte meinen, es wäre nur ein Traum gewesen mit Alpdrücken, wie man es oft Sonnabend nachts nach grauen Erbsen und Speck durchgemacht hat.

Wir kriegten von den Herrn Lehrern keine schlechten Zeugnisse mehr zugeschickt, sondern der Richard brachte sie selbst, und sie waren gut. Ich konnte mich zu Tode wundern, warum sich die junge Gnädige nicht freute, sondern das Papier immer so still beiseite legte. –

Schließlich war's ja doch das einzige, woran man sich beim Jungherrn freuen konnte, – der Fleiß.

Denn sonst, – ach du lieber Gott! – –

Daß ich das sagen muß! Ich, die Emmeline Wardukeit, die sich für ihre Herrschaft am liebsten auf dem Roste braten ließe, wie der heilige Laurenzius es getan hat.

Aber die junge Gnädige hat wohl alleweile gedacht: »Wär's noch so wie früher! Wär' mein Jung frisch, fröhlich und faul und spielte auf seiner Geige und würde gerüffelt und – – – wär's noch wie früher!«

Ich bleib dabei, – der Kurbinsky hat vor Jahren dem Jung' einen Zaubertrank eingegeben, oder ein Zauberlied in die Seele gesungen, das tun Zigeuner manchmal. Wie dazumal die Geige zerschmetterte, da dacht ich: Kann sein, daß es etwas Gutes ist; kommt das sündhafte Gaukelzeug mal aus dem Hause, dann wird auch das Herz von Richard frei werden.

Ich wollt' die zerbrochenen Stücke verbrennen und die Asche eingraben, das ist gut gegen Zauberei, auch hätt's nicht geschadet, wenn der junge Herr einen Teelöffel von der Asche gegessen hätte. Aber die Stücke waren fort, und auch der Herr Oberst fand sie nicht, als er die Geige zusammenkleben lassen wollte bei irgendwem, wahrscheinlich beim Tischler Hiebohm. Hiebohm, – der Name ist zum Belachen. Alles ist hier zum Belachen in der neuen Stadt, wo wir drin sitzen, seit wir Oberstens sind. Erst hab ich gedacht, ich müßt sterben, als ich fort sollte aus der Heimat, aber dann sagte mir der liebe Gott, meine Heimat wäre bei meiner guten Herrschaft, die mir leibliche Nahrung und auch Seelenkost gäbe.

Aber das wollt' ich ja gar nicht schreiben, wollt' vom Jungherrn Richard erzählen. – Vom Herrn Fähnrich.

Was ist er für ein schöner, junger Mensch! So groß und stattlich wie ein Baum und Augen hat er, die sind braun und seltsam, und er kuckt einen durch und durch damit. Seine Augenbraunen, die gehen ganz zusammen wie ein schwarzer Strich, – meine Mutter sagte immer, solche Menschen sterben früh. Zähne hat der Herr Richard, die blitzen ordentlich, wenn er lacht, und er lacht jetzt viel, der Herr Fähnrich, muß also wohl ein frohes Herz haben. Und das ist Gold wert, und deshalb soll man nicht immer an ihm rummäkeln.

Der Herr Oberst tut's auch nicht, der freut sich über die guten Zeugnisse, und sonst meint er: »Jugend will austoben!«

Er ist jetzt auch nur selten hier, denn mit den Kadettenferien hat's aufgehört, jetzt sind der Herr Fähnrich auf Kriegsschule. Und daß er in den paar Urlaubstagen sich Jugend aufsucht, – wer will's ihm verargen? Freilich die besten Brüder sind's nicht, – aber daß deshalb die kleine Gnädige immer und immer Tränen vergießt, – – – 's will mir nicht gefallen. Musik wird gar nicht bei uns mehr gemacht, wenn der Richard da ist, – trotzdem die kleine Gnädige so wunderschön Klavier spielt und ebenso das Ingeborgchen. – Sobald ein Brief vom Herrn Fähnrich eintrifft, daß er auf Urlaub kommt, dann schließt Frau Oberst den Bechsteinflügel ab.

Und da fällt mir noch etwas ein. Das Ingeborgchen hatte so gern auch Geige spielen wollen, und es hatte viel Tränchen bei ihr gegeben, weil's die kleine Gnädige nicht zugeben wollte. Aber dann kam ein alter Kamerad vom Herrn Oberst mal her, und der nahm das Kind mit in die Stadt, – richtig, da kam's mit 'ner Geige wieder, – nur 'ne kleine war's, – oh es war 'ne Freude zu sehen, wie das Fräuleinchen gleich alle Griffe weg hatte, selbst die kleine Gnädige lächelte schließlich so halb und halb. Aber unsereins ist dumm geboren und hat nichts dazu gelernt. Bläst mir da der Leibhaftige ein, daß ich zu der Ingeborg sage: »Du mußt den Richard überraschen mit einem Stückchen.« Und der Herr Fähnrich kommen, und ich geborenes Schaf führ ihn in Fräuleinchens Stube und sie spielt wie ein Glöckchen, – – springt da der Richard zu ihr hin, reißt ihr die Geige aus der Hand und keuchte nur so: »Laß! Laß! Ich kanns nicht hören.« Kirschbraun war er im Gesicht, – blau und dick lief die Zornader über die Stirn, – auf und nieder der Vater.

»Herr du meines Lebens,« schrie ich, – da kam er so halbwegs zur Besinnung.

»Quält mich nicht,« sagte er finster, schlug die Tür hinter sich zu, und dann ging er plötzlich pfeifend fort, – als wär nichts geschehen, als weinte das Ingeborgchen nicht bitterlich hinter ihm her.

Die Geige ist still fortgepackt worden, – ich hab' das Kind noch nicht wieder spielen hören.

*

Heute raunte mir der neue Bursche zu: »Bei Jens Jessen ist's gestern scharf hergegangen.«

»Was geht mich Jens Jessen an,« meinte ich gleichmütig.

»Nun,« flüstert mir der Bursche zu, »unser Herr Fähnrich ist auch dabei gewesen, und – betrunken kam er heim.«

»Betrunken!« – Ich hatte am liebsten dem Burschen in sein grobes Gesicht geschlagen, das so schmierig lachte.

»Lassen Sie mich in Ruh mit Ihrem Klatsch,« fuhr ich ihn an.

Mittags kam der Herr Oberst nach Hause und – gleich hinein ins Zimmer vom Jungherrn.

Dort hörten wir seine laute, hallende Stimme. Ich war bei den beiden Gnädigen, wir putzten Silber zusammen, lauter prachtvolle, alte Erbsachen, die keiner weiter anrühren darf.

Die kleine Gnädige horchte angstvoll nach oben, – ich meint auch immer, es müßt plötzlich was umfallen oder ein Donnerschlag kommen, aber dann kam der Oberst die Treppe herunter und zu uns herein und weil's dämmrig war und er noch 'n bißchen Rage hatte, sah er mich nicht, sondern sagte rasch: »Verdammte Sauferei! Nichts von Belang! Natürlich wird sone Schilderung immer übertrieben. Aber ich habe Richard den Standpunkt klar gemacht, – es wird nicht wieder vorkommen.« [Leer] Heute ist der Geburtstag der kleinen Gnädigen. Das ist immer ein hohes Fest bei uns, muß es auch sein.

Denn 'ne Mutter ist 'ne Mutter und der Ursprung.

Zuerst früh die Regimentskapelle. Den Flötisten Siewersen kenne ich. Er ist ein Luftikus, und trotzdem die ganze Mannschaft stramm stand, als der Herr Oberst ans Fenster traten, blinzelte der Siewersen dabei unverschämt verliebt zu mir herauf. Er wohnt im Hinterhause, und wenn er mich sieht, dann dudelt er »Die schöne Adelheid«, – er steckt voll Flausen.

Aber wie er heute blies: »Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren«, da hab ich ihm alles verziehen. So können nur gute Menschen blasen, das geht durchs Herz und die Nieren noch extra.

Ich will dem Siewersen morgen ein paar Zigarren kaufen, kenne 'ne Stelle, wo man viel fürs Geld bekommt.

Bin rechtschaffen müde, aber die letzten Gäste sind fort, und ich sitz' in meinem Stübchen und schreib mir noch den Tag von der Seele runter. – Es war ein schöner Tag, und ich meine, die Sonne kommt wieder in unser Haus. Der Herr Fähnrich hat der Mutter einen kleinen Schrank geschnitzt, – eine arg mühselige Arbeit, und wie sich die kleine Gnädige so kindlich drüber freute, schier noch mehr, als über den Diamantring vom Herrn Oberst, da taute der Herr Richard ordentlich auf und ich mußte ganz fest die Hände falten und rasch mal loben und danken, weil er zum erstenmal die Frau Mutter umkriegte und ihr einen Kuß gab und so froh rief er: »Mutti, heut wirst du mich gar nicht mehr los, – Inge und ich setzen uns auf den alten Faulenzer dir zu Füßen, das Großchen setzt sich daneben, und du erzählst uns Geschichten.«

»Kindskopf,« lachte die kleine Gnädige und kriegte ihn beim Schopf und streichelte den Herrn Fähnrich – so ein frohes, schönes Bild.

Ach, was hatten wir fürn lustigen Nachmittag. Mit Pfeffernüssen haben wir alle gespielt in der Dämmerung. Das heißt, wir haben die Pfeffernüsse gegessen und dabei gejuchzt und gelacht, denn wir kamen mit dem Spiel nicht zurecht. Es hieß: »Der alte Schimmel, ein Gesellschaftsspiel für Jung und Alt,« und war auch eine Erklärung dabei, aber so viel wir auch lasen, es kriegte niemand den Sinn heraus. Jedes nahm es dem andern fort und ich wagte auch einmal zu sagen: »Erlauben Sie mal,« aber man kam immer nur dazu zu sagen: »Der alte Schimmel, ein Gesellschaftsspiel für Jung und Alt,« dann lachten sie alle los. Gescheitheit ist ja auch manchmal weniger gesund als Lachen.

Der Herr Oberst waren im Dienst.

Zum Abend hatten sich Mutter und Sohn auch schon ein liebes Plänchen zurecht gemacht, wie sie still beieinander bleiben wollten, denn morgen reist der Herr Richard ab. Aber natürlich muß abends der Baron von Stammfels sich ansagen, so 'ne Art Onkel von uns, und er und die alte Baronin können unsern Herrn Fähnrich nicht ausstehen und predigen ihm in einem fort, als hätt er noch Höschen an, die hinten zugeknöpft werden.

Das muß ja so 'n Brausekopf obsternaatsch machen.

Ich war froh, als sie endlich gingen, aber sie hatten vorher unser feines Essen allegemacht und den Herrn Obersten seine teuren Weine kreuz und quer getrunken, daß ich noch im Stillen dachte: »Die Jungen sollen nicht saufen, aber die Alten machens ihnen vor.« Und kriegte so 'ne Wut, daß ich dem Herrn Baron die zwanzig Pfennig Trinkgeld wieder in seine Tasche reintat.

Und nun will ich schlafen gehen, denn alle schlafen schon, – gute Nacht! Und lieber Herrgott, wenn du mal wieder einen stillen Tag mit Sonne für uns ausgesucht hast, denn laß doch lieber so dummen Besuch fort. [Leer] Der Mensch denkt, – Gott lenkt. Herrn Richards Stübchen, das er in den Ferien bewohnte, liegt neben meinem und hat nur eine Tapetentür.

Wie ich gestern schlafen gehen wollt', hört ich drüben anklopfen, mach' meine Tür auf, denn es war doch nach zehn Uhr und sehe, wie der Julius, der neue Bursche, jemand hat heraufgebracht.

Den Herrn Referendar von Mehmke. Kann ihn nicht riechen. So'n Gesicht, wo einem die Hände lebendig werden, und wenn er schlechte Kleider an hätte und einen zerlöcherten Hut, denn möcht' man's Portmonnö fix zuhalten und das Silber um Gottes willen wegschließen.

»Es ist nachtschlafende Zeit, Herr Referendar,« sagt ich ziemlich barsch, denn uns hört hier oben niemand, »ich glaube, der Herr Richard schläft.«

»Nein, – holde Jungfrau, er schläft nicht,« sagt er mit so'm Grinsen, »und wenn er schliefe, müßten Sie ihn sofort wecken.«

»Na nu,« knurrte ich, – denn ich kann's vorn Tod nich leiden, wenn mich jemand »holde Jungfrau« nennt.

In dem Augenblick macht auch schon der Herr Fähnrich die Tür auf und der andere war im Nu drin. Ich sofort mit dem Ohr an die Tapetentür, denn das ist meine heilige Pflicht.

»Ham Sie den ganzen Tag Familie gesimpelt?« fragte der Referendar.

Weiter hörte ich nichts, als bloß mal ein kurzes, höhnisches Auflachen, dann sprachen sie ganz leise. – Dann sagte der Herr Richard etwas lauter: – »nur gerade heute wollt ich nicht.« –

Na, – ich gab das Horchen auf, war so müde und legte mich hin, dann hörte ich den Gast weggehen und Herr Richard bracht ihn runter. –

Früh, so im Dämmerlicht wacht' ich auf. Bin's immer gewohnt, Winter und Sommer um vier Uhr aus dem Bett zu steigen, man kann viel schaffen in der Morgenstunde, die Gold im Munde hat.

Ich las den Morgensegen und holte mir meinen Spruch aus dem Wandkästchen: »Nun bleiben aber Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

Da klopfte es ganz leise an meine Tür.

Der Bursche, dacht ich zuerst, – er hat manchmal Zahnweh, das treibt ihn raus und ich besprech' es ihm, – sonst ist er zu faul, um die Zeit aufzustehn.

Ich schließ die Kammer auf.

»Herr du meines Lebens, – Jungherr Richard!« –

Er war nicht betrunken, – nein, gewiß nicht, wenn er auch auf den einzigen Stuhl taumelte, der in meiner Kammer steht. Er war blaß und ganz übernächtig und sein Atem ging schwer und – ja – verlegen war er. Er hat so'ne Handbewegung immer noch, wie als ganz kleiner Bubi, wenn er was ausgefressen hatte, und sollt' um Entschuldigung bitten, dann fuhr er sich immer mit der Hand durch die Tolle von seinem Krauskopf.

Und so tat er's jetzt auch, – aber ich meint', ich hört sein Herz klopfen, so in Angst war er. – Doch nicht vor der armen, pockennarbigen Line, der seine Herrn Eltern die Heimat gaben?

Seine Stimme klang sehr verändert, so als ob er nie sprechen gelernt hätte – – als er jetzt mir was sagen wollte.

»Nu, nu,« meint ich, – »Ihnen ist gewiß nicht gut, und ich mach' schnell 'ne starke Tasse Kaffee, – ist ja noch niemand auf, nur immer ruhig, lieber Herr Richard.«

Aber da faßt er meine Hand, und so ganz, aber so ganz verzweifelt schaut er mich an.

»Herr du meines Lebens, Jungherr Richard,« sag' ich, »was ist Ihnen geschehen?« – – –

Das dauerte lang, – ehe ich das herauskriegte, und dann mußte ich hell auflachen.

War ja gar nichts! Achthundert Mark! Aber ja doch! Wie gern! Werd' ich's endlich mal los, das dumme Geld, das sie mir immer aufgeredet hat, die gute, liebe Herrschaft. – Und ich lachte nochmal, – war ja so froh, daß ich wieder meinen Strumpf hatte und das Geld drin, – denn zu der neuen Stadt hat ich noch nicht so'n Vertrauen, daß ich es hätte in die Sparkasse tragen mögen. Nun zählt ich alles dem jungen Herrn hin – – du lieber Herrgott, es gibt ja zu schlechte Menschen, – will ihn der Referendar und die andern ja wohl gleich verachten, wenn er nicht just sofort das Geld bringt. Ist ja der armen Dienstmagd selber eine Ehre, dem lieben Sohn von der guten Herrschaft auszuhelfen, trägt dabei 'ne Schuld ab, und deshalb heißt es wohl Ehrenschuld.

Mit Lachen und Weinen hab' ich ihm meine Taler gegeben, – so eine Herzensfreud' hatte ich lange nicht.

Aber die Freud' muß mich rein verwirrt gemacht haben, denn – es kann doch nicht sein, – i wie sollt es wohl, – daß der Jungherr meine Hand geküßt hat? Die schwielige, abgearbeitete, pockennarbige Hand?

War mir aber doch ganz so, und deshalb hab ich gescholten, – o so gescholten mit ihm, als wär's ein kleiner Jung' und kein hoher Herr Fähnrich, und hab' ihm sein Zimmer gewiesen, dem armen, müden Kerlchen und bin in die Küche gelaufen. – Einen schönen, starken Kaffee bracht' ich ihm dann an sein Bett, – aber er schlief schon, – die Hände gefaltet und ein liebes Jungslächeln auf dem müden Gesicht, und im Schlaf noch schluchzte er, wie ein kleines Kind tut, wenn's auch längst in Hut von der Mutterbrust ist – [Leer] »Wo Täubchen sind, da fliegen Täubchen zu,« sagte meine Mutter selig immer, wenn irgend ein reicher Kauz in der Lotterie gewonnen hatte.

Aber wo die Täubchen ausgeflogen sind, da kommt sicher auch noch ein Marder hinterdrein und wühlt im leeren Stall herum.

So ist es mir ergangen.

Hatte meine Täubchen alle dem Jungherrn Richard gegeben und von Herzen gern, aber da kommt noch am Tag darauf der Willusch Damian zu mir.

Ein braver Jung' und ein Verwandter von mir, der hier Bursche war und nun bei die Post will.

Braucht da 'ne Ausrüstung und sonst noch Geld, und hätte es ihm wahrhaftigen Gott auch gern gegeben, aber hatte doch nichts. Sagte ihm das denn ganz ruhig, wenn mir auch das Herz dabei schlug, denn man hat doch Gefühl für Blutsverwandtschaft.

»Ich hatte so auf dir gerechnet,« meinte der Willusch traurig, »und ich hätt' es dich wiedergegeben.«

»Das hätt' keine Not gehabt, aber ich bin nun eben mal ganz arm.«

Da flog so ein ungläubiges Lächeln über das Gesicht von dem Willusch, und so was kann ich nicht vertragen, deshalb schmiß ich ihn raus, denn es war meine Stube.

Aber hinterher habe ich lange weinen müssen.

Ein paar Tage drauf schien mir's, als ob mein Herr Oberst nicht so freundlich zu mir wären, wie sonst. Konnte ja aber Ärger im Dienst gehabt haben, dacht' ich bei mir und trug es ihm nicht nach.

Aber ich mußte ihm doch noch öfters fragweis' in die Augen sehen – war solche Behandlung ja nicht gewöhnt so auf die Dauer.

Und dann kam's heraus.

»Ich habe gestern deinen Neffen gesehen, Line.« »So? Herr Oberst.«

»Jawohl, – und ich habe ihn auch gesprochen.«

»Hm.«

Der Herr Oberst kuckten mich an und ich wurde rot, denn er sieht einen durch und durch wie 'n Leutnant in die besten Jahre.

»Der Willusch wäre gern zur Post gegangen,« sagte der Herr Oberst weiter, »und es wäre was aus ihm geworden.«

Ich war mäuschenstill.

Da setzten der Herr Oberst noch was hinzu und das tat weh:

»Man muß auch nicht zu vorsichtig sein, Line, – Helfenkönnen ist eine schöne Sache, es bringt keinen Segen, wenn man's kann, und es nicht tut.«

Na, ich tu meine Arbeit und der Herr Oberst wird schon wieder gut werden.

Unser Herrgott regiert ja doch, wie Er will und Er sieht, daß ich keine Schuld habe, und wenn es im Himmel so geschrieben steht, denn kann der Willusch Reichskanzler werden, wenn er auch jetzt Kutscher in 'ner Flaschenbierhandlung ist. – Fange nun auch wieder langsam mit Sparen an, denn fünfundzwanzig Mark monatlich ist ein großes Geld, – ich sage es auch niemalen vor die anderen Dienstmädchen, die dann nur grappsch werden und obsternat gegen die Herrschaften.

Ich wär auch mit weniger zufrieden, weiß Gott, denn ich habe mein warmes Zimmer und mein gutes Essen und Behandlung wie eine Baronin. Aber wenn die Herrschaft meint, ich verdiene mehr, denn muß sie es wissen, weil sie gescheiter ist.

Mein Strumpf ist schon wieder ganz voll.

Wie es so geht, – die vielen Trinkgelder immer in so einem feinen Hause und denn ist auch die alte Gnädige gestorben. – Ganz sachte eingeschlafen, wie wenn nix war und war doch ein großes, treues Mutterherz mit so viel Liebe. Die Liebe ist auch nicht mitgestorben, die hat sie zurückgelassen bei der kleinen Gnädigen, und die teilt sie nun aus.

Für mich war weiß Gott auch die Liebe genug gewesen, aber die alte Gnädige hatte noch tausend Mark drumrumgewickelt, »Legat« nennen sie's.

Wem es eben an der Wiege gesungen worden ist, daß er reich sterben soll, der kann soviel wegschenken, wie er will, – es fliegen Täubchen zu.

Mir kann's recht sein. Der Willusch Damian wird's schon mal brauchen können später, aber einen hellgelben Sarg muß er davon abziehen.

*

Mir tut es doch von Herzen leid, daß die alte Gnädige nicht den »Herrn Leutnant« erlebt hat.

So was Schmuckes hab ich allmeintag nicht gesehen.

Da ist der Herr Oberst rein nichts dagegen.

Der ist ja aber auch kein Leutnant. Ich kann die junge Gnädige nicht begreifen. Sie müßte von Rechts wegen jubeln und frohlocken, denn sie ist die Mutter und hat dem Herrn Richard alle die lachende Schönheit gegeben.

Aber sie ist still.

Und sie sieht ihm nicht mehr so in die Augen, so lange und so zärtlich, wie früher immer.

Hat er denn andere Augen bekommen?

*

»Ihr junger Herr treibt's schlimm,« sagte heute Schuster Labian zu mir, als ich ihm Ingeborgchens Chevreaustiefelchen brachte.

Die Sohlchen waren durch. Ist ein fixes Marjellchen geworden, unser Fräulein und wird mal schön, wie die junge Gnädige. Aber den Stiebeln ist das einerlei, die reißen bei Schönen und bei Häßlichen. Deshalb mußt ich zum Schuster Labian und er sagte das zu mir:

»Ihr junger Herr treibt's schlimm!«

»Wenn Sie sich doch um Ihr Rindsleder kümmern möchten, Meister,« meinte ich ruhig, denn ich zank mich nicht gern, wenn's mir auch auf den Tod verhaßt ist, über meine Herrschaft etwas Ungutes zu hören.

»Rindsleder, Rindsleder,« brummte er da wütend, – »manchem, der kein Rindsleder hat, tut's trotzdem not, daß er gegerbt würde.«

»Sind Sie einer von den neumodschen Sozialdemokraten?« fragte ich mißtrauisch, denn soviel weiß ich schon, daß die aufs Militär spinnefeind sind. Da sah mich der Meister Labian erst ganz schnurrig an und dann meinte er bedächtig: »Wer's Eiserne Kreuz von 70 hat und 64 die Düppler Schanzen beschoß, der denkt nicht an so was, Jungfer Line. Aber an was anderes denkt er.« Und damit sprang er plötzlich auf, warf Leder und Pfriemen fort und krempelte seine Hemdsärmel auf, als wollte er mich auf'n Fleck verhauen.

Ich kriesch so ein linschen auf und da wurde er etwas ruhiger.

»Wo hat der Herr Oberst seine Augen?« fragte er grimmig. »Sind die nur dazu da, auf seine eigene Uniform zu sehen, daß die nur ja blitzsauber und ohne Stäubchen ist? Wie aber steht's mit der Uniform vom Herrn Leutnant? Da muß schon 'ne eiserne Bürste her, um die Flecken von der loszukriegen – pfui Deiwel.«

Er spuckte kräftig aus und ich stand da, als hätte mich einer mit 'n Holzscheit vor meinen armseligen Kopf geschlagen.

Ich stammerte also was zurecht, daß ich dazu nicht da wäre, und daß die Uniform vom Herrn Leutnant Sache des Burschen sei.

Da lachte der Meister Labian dröhnend auf und streckte die Arme gen Himmel aus, als wollte er unsern Herrgott selbst zum Zeugen für meine Dummheit aufrufen.

»Der Bursche?« rief er grimmig. »Ja, gilt denn der bunte Lappen bei euch alles? Der Fetzen vom Schneider Meck, Meck, Meck? Und was drunter sitzt, – ist das nichts?«

Und plötzlich schob er mich an den Schultern zur Werkstatt hinaus und meinte ganz geruhig: »Die Stiebeln kriegen Sie morgen.«

*

Da ging ich denn in meiner ganzen Düsigkeit nach Hause.

› Heute rief mir der Bursche zu: »Na, nu hat der Herr Leitnant 'ne Liebste.«

»Das geht Sie gar nichts an,« fauchte ich, denn mir gab's einen Stich ins Herz, daß ich von so was noch nichts erfahren hatte, und so ein Esel es mir erst sagen mußte.

»Und was für eine,« schmunzelte der freche Mensch und pfiff sich ein Lied.

Gegen ungebildete Leute schweige ich am liebsten, aber wenn man feste Aussicht hat, mit so einem monatelang zusammen zu sein, denn wirk' ich auch gern belehrend.

Ich sagte denn auch: »Bei so vornehmen Leuten, wie unsere Herrschaft, nennt man sowas nich ›Liebste‹, sondern ›Fräulein Braut‹, und man spricht nicht eher davon, bis man sich 'ne reine Schürze umbindet und gratulieren kommen darf.«

Da lacht dieser alberne Lorbaß so recht gemein und wirft so über die Schulter hin: »Na, da suchen Sie sich nur 'ne recht schöne Schürze aus, wenn Sie gratulieren gehn, Jungfer Line, die Verlobung is bei Vadder Klamm.«

»Vadder Klamm«, so heißen sie hier eine Kneipe, wo öfters Musik gemacht wird von herumziehenden Leuten. Ich kann da natürlich keinen Zusammenhang finden mit meinem Herrn Richard.

Aber der Bursche muß aus dem Hause. Wer so schlecht spricht in seines Herren Lohn, der taugt nichts und ich möcht nichts vor ihm offen liegen lassen. Trau, schau, wem? So einem Schandmaul nun mal gar nicht.

Den ganz'en Tag hab ich herumgehorcht (ist sonst nicht meine Art), ob ich nicht was von einer fröhlichen Verlobung herauskriegen könnte, aber die junge Gnädige macht nur ein blasses, ernstes Gesicht und die Fräulein Ingeborgchen fragt mich: »Alte Line, was haben nur die Eltern, es ist gar nicht mehr hübsch bei uns.«

Da macht' ich freilich: »Pscht! Wer wird so etwas sagen!« Denn so 'n junges Ding weiß ja gar nicht, wie gut und weich es sitzt in so einem Elternhaus.

Auf den Nachmittag kam der Krümperwagen vors Haus, und der Herr Oberst fuhren mit seiner Familie nach Haidhausen, da hat die dortige Herrschaft Silberhochzeit, und soll großer Rummel auf dem Gute sein.

»Kannst dir auch einen vergnügten Tag machen, Line,« fügten der Herr Oberst und steckten mir ein großes Silberstück in die Hand. Ich freute mich über den Taler und war auch nicht betrübt, als ich merkte, daß es ein Fünfmarkstück war. »Willst zur Base Auguste gehn,« denk ich, denn da komme ich selten hin, weil sie im Dorf wohnt, und keine rechte Eisenbahn nicht hinführt. Aber zu Fuß kommt man in zwei Stunden. Die Base Auguste ist auch 'ne Art Ziehmutter vom Willusch Damian und ich wollt mich erkundigen, was er macht, denn es liegt mir etwas wie Schenie auf der Seele, daß ich ihm damals nicht geholfen habe. Wenn ichs doch aber nicht konnte!

*

Gott Lob und Dank, es geht ja dem Willusch gut, was ich gleich wußte, weil ich eben Gottvertrauen habe und mir nicht denken kann, daß der Himmel es am Unschuldigen straft, wenn ich meinem Herrschaftssohn, der obendrein noch Leutnant ist, aus gerechter Seelennot helfe.

Aber aus der jetzigen Not, da kann ich ihm nicht helfen, die geht das Herz an und bei vornehmen Leuten ist die Liebe schnurriger, als bei unsereinem. Ich weiß da nicht Bescheid.

Gehe ich also gestern von der Base heim, schon ziemlich nächtens, was ich sonst nie tue, aber wir hatten ostpreußische Maibowle getrunken, und der Grog war steif.

Man kommt von dem Dorf, wo die Base wohnt, an »Parvadomus« vorüber.

»Bist lange nicht dort gewesen,« denk' ich noch, und wundere mich mit einemmal schlagrührend, daß ich da wieder Licht sehe. Gerade wie damals, als der Herr Kadett spielten und ich die ganze Bande (hätt' ich beinahe gesagt) aufstöberte. Klinke also die Gartenpforte auf und gehe nach dem kleinen Hause, denk' aber diesmal bloß an Geister oder Diebe, denn der Herr Leutnant waren auch mit im Krümperwagen fortgefahren zur Silberhochzeit.

Saßen aber doch im Parvadomus der Herr Richard, und ich hörte die Geigentöne, und meinte, er sei jetzt erst ein richtiger, großer Künstler geworden und wunderte mich zu Tode, wie er dazu kam, wo er doch nie ein Instrument anrührte.

Und dann kletterte ich am Fensterchen in die Höhe, wie damals – – – Herr du meines Lebens!

Gegeigt wurde freilich, aber nicht vom Herrn Richard, sondern von einer schwarzen, jungen Hexe, die wohl direkt vom Blocksberg kam mit ihrer sündhaften Schönheit.

Der Richard sah aber gar nicht nach ihr hm, der hörte nur, und sie spielte ja auch, wie alle himmlischen Heerscharen zusammen genommen, – Gott verzeih mir die Sünde.

Und immer, wenn sie mal eine Pause machte, dann rief er ungeduldig: »Weiter, weiter, so spiel' doch weiter.«

Ich sah, daß sie ganz erschrecklich blaß und müde war, weiß der Himmel, wie lange sie schon gespielt haben mochte, und da stand sie plötzlich käseweiß und sagte: »Ich kann nicht mehr.«

Da riß sie der Jungherr Richard in seine Arme und küßte sie, daß mir draußen auf dem Fensterbrett heiß und kalt wurde, und ich meinte, der Malte Kossagoff von dazumal sei ein Steinblock gegen den Jungherrn Richard gewesen.

Allmächtiger – das ist doch kein Fräulein Braut? Das ist doch kein feines Marjellchen, zu der meine Herrschaft: »Trautstes Tochterchen« sagen kann? Ach du grundgütiger Himmel, – dazu brauch' ich mir freilich keine reine Schürze umzubinden.

Das waren so meine Gedanken. Und die da drinnen im Hüttchen, die hatten die Welt vergessen und der Himmel könnt' einfallen, die hättens nicht gemerkt.

Da schlich ich mich zum Tor hinaus, ganz langsam, wie 'ne alte Frau, denn ich mußt an die Mutter denken, an meine stolze, junge Gnädige, die ihr Herzblut tropfenweis für den Sohn gegeben hätte, – und nun kam so 'ne Junge, – und nahm ihr den Jungen – mit Haut und Haar, – mit Haut und Haar. – –

»Gegen die Liebe kein Kraut gewachsen ist,« und gegen so 'ne Fiedel auch nicht; die eine ist kaput, – schafft halt der Satan 'ne andere her. – – – Und ich krieg' 'ne innerliche und auch 'ne äußerliche Wut gegen alle Musikmachers, daß ich nur so mit meinem Regenschirm herumfuchtele.

»Kannst du denn nich? sehen – Frauenzimmer?« fährt mich da 'ne grobe Stimme an, und ich kannte sie, denn dieselbigte Stimme hatte mich früher mal »holde Jungfrau« genannt und gehörte dem Assessor von Mehmke. Dem hatte ich eben in der Nacht und in der Wut auf die Hühneraugen getreten, aber leider Gottes nicht so arg, daß er seinen Weg nach 'n Parvadomus weitergehen konnte, – er und noch 'n Stückener sechse, die ich aber nicht erkannte.

»Na schön,« sagt ich, »schön, schön, schön! Nu kanns ja losgehen.« Und ich rannte wien Bürstenbinder heim, und die Tränen liefen mir über die Backen, so ein Leid hatt' ich um meine Herrschaft, die von nichts nicht wußte, und justement auf 'ne Silberhochzeit tanzte, wo ihr Herr Sohn und Leutnant ins Verderben rannte.

Um zwei Uhr nachts rasselte der Wagen vor die Tür und ich legte mich auf die andere Seite, denn der Jungherr Richard waren schon eine Viertelstunde früher die Stiege hinauf getappt, und das war mir 'ne Beruhigung.

Aber ich mußt' sogar ein bißchen lachen, wie es doch närrisch in der Welt zugeht, denn der Jungherr war wie ein alter Mann geschlichen und der Herr Oberst liefen wie ein Wiesel die Treppen herauf.

Freilich, der Herr Leutnant schleppte ja auch seine ganze Lieb' und sein Leid und seine Schuld mit sich, und der Herr Oberst hatten alles, was ihn drücken mochte, in Schampancher begraben. – Närrische Welt! Die Dienstmagd mußte wirklich ganz laut lachen.

*

Um 4 Uhr stand ich heute schon wieder auf. – Wir haben Vollmond, und da laboriere ich an Ahnungen. Es braucht mirs ja niemand zu glauben, aber ich fürchte mich manchmal vor mir selber. Ich sehe dann was, was kein Mensch sieht und so sah ich auch durch die verschlossene Tür den Herrn Leutnant draußen stehen, und wunderte mich gar nicht, als sie plötzlich aufging.

»Guten Morgen, Line.«

»Guten Morgen, Herr Leutnant.«

Aber der Gruß blieb mir beinahe im Halse stecken, – so hatte ich ihn doch noch nicht gesehen, den Jungherr.

Er kam ganz scheu an mich heran und nur so zwischen den Zähnen hindurch fragte er: »Du hast wohl sehr auf dein Geld gewartet, Line?«

»Nicht so arg,« sagt' ich.

»Ich kanns dir auch noch nicht geben, Line, – ich – ich – wollt dich sogar bitten – – –«

»Aber gern, Jungherr Richard.«

Wie da seine Augen aufleuchteten, – als hätt' er das schöne Weibsbild mit der Fiedel im Arm vor sich und nicht die pockennarbige Line.

Aber dann wich er ebenso rasch zurück und es war, als hätte ihm eine grobe Hand alle die Sonne vom jungen Gesicht fortgewischt, und schwarze, garstige Schatten drauf gemalt.

Freilich, meine Hand ist ja auch grob und ungeschlacht, – hat alleweil zu viel harte Arbeit tun müssen. Und jetzt hatte diese Hand dem Herrn Leutnant drei Hundertmarkscheine hingelegt, und das blanke Fünfmarkstück vom Herrn Obersten noch drauf, denn die Base hatte nichts genommen von mir. Wie konnt ich wissen, daß es viel zu wenig war, mein Erspartes. Für mich war's ein Vermögen, – aber ich brauchte es nicht, ich hatte ja alles bei meiner gütigen Herrschaft.

»Line – das Legat – – ich – ich – –«

»Jesus, Herr Richard, das Legat habe ich nicht, das haben Herr Oberst in Papierchen liegen und schneidet denn immer einen Finzel ab und ich trags beim Kommerzienrat Pindar und krieg alle halbe Jahr zwanzig Mark – – –«

Ja, ich konnt' lange reden, der Herr Richard war wie ein leerer Sack auf den Stuhl gefallen und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Ich wußte meiner Seel' keinen Rat, aber ich fragte mich immer in meiner Not, warum so ein junges Bürschchen nicht zu die Herrn Eltern einfach geht, die doch haufenweise Geld haben, – sondern zu der armen Dienstmagd kommt.

Mit einem Male stand er auf, – er ist so hoch und stolz gewachsen wie ein junger Baum. Aber das Herz tat mir mit einem Male zum Springen weh, – wie mich seine traurigen Augen aus dem blassen Gesicht ansahen.

»Na, alte Line, denn nichts für ungut,« sagt er und drückt meine Hand fest, ganz fest. »Behüt dich Gott, Line – – – –«

Raus war er aus meiner Kammer und ich stand da und vor mir lag das dumme Geld. Ja, ein dummes, abscheuliches Geld, weil es nicht mal gelangt hatte, meinem lieben Herrn Richard eine Herzensfreude zu machen. [Leer] Was ist das für ein Tag heute! Ein wunderlicher, unruhiger Tag. Mir liegt er arg in den Knochen, ich kann spätes Schlafengehen und Aufregung nicht vertragen – – o und so viel Aufregung wie heute, die muß einen Goliath klein kriegen.

Ich hatte im Suteräng geschafft, wo die Küche liegt und mich um nichts im oberen Stock gekümmert, meine Augen hatte ich bei der Küchenuhr und Schlag neune bracht ich dem Herrn Oberst zwei pflaumenweiche Eier herauf, denn er kam vom Ritt zurück. Die Eier darf ihm niemand kochen, wie die Line, denn er ist da kisätsch mit, und deshalb darf ich sie ihm auch bringen, und wie ich oben anklopf, höre ich ihn so laut und froh hereinrufen, wie seit Jahren nicht und dann sah ich in ein strahlendes Gesicht und die junge Gnädige hängt an seinem Hals und lacht auch, hat aber Tränen im Auge.

»Ja, ja, Line, das ist 'ne Freude,« ruft der Herr Oberst, »und du sollst sie zuerst erfahren, denn du hast immer durch Dick und Dünn mit unserm Leutnant gehalten – – –«

»Jesus!« ruf ich, und sehe rasch die Eier hin, denn sie wollten mir schon vom Teller hupfen, »'ne Freude, Herr Oberst, 'ne Freude?«

»Freilich 'ne Freude! 'n Mordskerl ist er, unser Richard, – das ganze Nest steht Kopp über ihn. Hat eben mit eigenster höchster Lebensgefahr die zwei Prachtsjungen vom Meister Labian gerettet. Die infamen Bengels haben sich ein Boot losgemacht und sind in die Strömung getrieben, – erst ging der eine über Bord, – Richard, der verwunderlicherweise einen Morgenspaziergang macht, statt wie gewöhnlich in den Federn zu liegen, – springt hinterher, kämpft mit dem elenden Strudel, ringt sich durch und kaum hat er den Jungen halbtot an Land, kentert das Boot und der Tollkopf auch dem zweiten Jungen nach. Augenzeugen brachten mir brühwarm die Nachricht, als ich durchs Tor reiten wollte.«

»Wo ist der Jungherr?« fragte ich, und war so aufgeregt, daß ich allen Anstand vergaß und mich in einen roten Sessel hinsetzte mitten vor die Herrschaft. Und neben mir stand die junge Gnädige und hielt meine Hand und vergaß auch Zucht und Sitte und küßte mich in lauter Mutterseligkeit.

»Er wird bei einem Kameraden sein,« meinte der Herr Oberst, »denn der ganze Keil war ja tropfnaß und vor unserm Hause steht ja halb D., da getraut er sich gar nicht her, der Lebensretter. Und nun wein nicht mehr, Alte, – der Stolz lacht dir ja doch aus allen Ecken – – na ja – – is ein braver Kerl, der Bengel – aber 'n Windhund ist er auch.«

Wie wir noch so reden, klopft's, und ich denk trotz der Auftegung, nun kommt schon die dumme Ordonanz mit den eiligen Dienstsachen und die weichen Eier werden kalt, – da schiebt der Bursche den Meister Labian zur Tür hinein und ich meine, – er fällt dem Herrn Oberst um den Hals.

Aber er war nicht groß genug veranlagt und nahm nur seine Hände und schüttelte sie und denn wieder der jungen Gnädigen ihre und denn wieder meine, als ob ich auch dem jungen Herrn das Leben gegeben hätte, und die Tränen laufen ihm über das Gesicht.

»Alle beide sind außer Gefahr und ganz bei Besinnung, Herr Oberst,« ruft er, »und ich – ich muß dem Herrn Leutnant danken.«

»Schon gut, schon gut,« lacht der Herr Oberst, »das war ja nur seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Meister.«

»Na,« – sagt der Meister, »das war es nicht. Da standen doch auch alle andern drum rum und litten es, daß meine gottverlassenen Buben das Boot losmachten und als das Unglück kam, da is geschrien und geraten und gemutmaßt worden, aber wer 'neinsprang, das war der Herr Leutnant, ohne Besinnen, ohne Wort – – Herr Oberst – –« Und wieder schossen ihm die Tränen.

Nun hätte ich gern gewollt, daß der Meister gegangen wäre, denn mir wurde es mit einem Male so eigen schwer ums Herz, aber nun führte der Herr Oberst den Meister extra zu einem Sessel und drückte ihn hinein und brachte ihm noch einen Kognak und noch einen. Und da wurde der gute Meister redselig und klagte sich an, daß er noch gestern so arg über den Herrn Leutnant geschimpft hätte und er wäre doch selbst mal ein guter Soldat gewesen, wie der Herr Oberst am Eisernen Kreuz sehen könnten, aber in den lausigen Friedenszeiten mit Respekt zu sagen, wäre ihm ja wohl alle Disziplin aus dem Leibe gekommen. Und der Herr Leutnant hätten mit seiner heutigen Tat ja alles wieder gut gemacht und die unrechte Liebschaft würde er sich wohl aus dem Kopfe schlagen, ebenso wie das verfluchte Spiel jeden Abend.

Und dann griff der Meister Labian linkisch nach seiner Mütze, denn die junge Gnädige hatte so einen Wehlaut ausgestoßen, wie wenn ein Mensch oder ein Tier auf den Tod verwundet ist und gar keine Sprache hat.

Und der Herr Oberst waren kalkweiß und nur die Ader lag wieder so stark über der Schläfe.

»Herrgott, jetzt kommt's! Hab Erbarmen!« dacht ich nur so – aber es kam weiter gar nichts, nur der Knauf brach ab an dem Schreibstuhl des Herrn Obersten, – den hielt er umklammert.

»Was wissen Sie von meinem Sohne?« fragte der Herr Oberst und ich kannte seine Stimme gar nicht wieder.

Der Meister Labian guckte bloß ab und zu die Tür au, als wollt' er hinaus je eher, je lieber, aber die Augen von meinem Herrn hielten ihn fest und bohrten sich in ihn hinein und da erzählte das alte Waschweib alles – alles – und dann zeigten der Herr Oberst nach der Tür und der Meister Labian schlich scheu hinaus. –

Ich war wie angehext an meinen Platz und niemand beachtete mich.

»Ernst!« schrie die junge Gnädige und warf sich an die Brust von ihrem angetrauten Manne und dem Vater ihrer Kinder. »Ernst, sei nicht so hart! Er hat's gut gemacht heute, – Ernst, – o mein Gott!«

Ich kuckte den Herrn Oberst an und sah in ein Gesicht wie von Stein. Da packte mich dummes Geschöpf sowas wie Zorn gegen meine angestammte gute Herrschaft und gegen den Herrn Oberst höchstselbst, weil er mir mit einem Male so menschlich und bockbeinig schien.

»Herr Oberst,« sagte ich resolut, anstatt das Maul vierzehn Tage lang zu halten, »unser Jungherr ist nicht schlecht, und ich meine, es war Vorsehung, daß ich ihm heute kein Geld geben konnte, denn wenn er nich von mir fortgeprescht wäre ans Wasser, denn hätte er doch die Jungchens nicht retten – – –«

Jesus! Wie ein wildes Tier stürzte sich der Herr Oberst auf mich und schüttelte mich – – mich die Emmeline Wardukeit züchtigte der gütige Herr Oberst in sinnloser Wut.

»Dich hat er angepumpt, – unsere Dienstmagd, – – der Ehrlose – – pfui Teufel –« Und wieder schüttelte er mich, daß ich hin und her flog wie ein Bündel Lumpen. »Wie viel?« fragte er heiser.

»Achthundert Mark –«

Ob er's verstanden hat, weiß ich nicht. Ich hatte kaum einen Ton in der Kehle und es war mir auch einerlei. Die Schmach brannte mir in den Knochen, die Schmach. Ich riß mich los und taumelte hinaus. Draußen mußte ich mich noch eine Weile an die Tür lehnen, denn alles ging mit mir rund und da hörte ich ein jammervolles Weinen und erstickte Worte von der kleinen Gnädigen und dann etwas Furchtbares:

»Ich habe keinen Sohn mehr, – er hat sein Ehrenwort gebrochen.«

»Pfui Teufel,« hatten der Herr Oberst gesagt, »unsere Dienstmagd!!!« Das brannte, – das fraß wie Feuer. Bis in meinen armseligen Stolz hinein.

Die Kammertür ging auf und irgend eine Hand legte einen großen Umschlag auf meinen Tisch und ich nahm ihn ganz gehorsam, wie doch so eine Dienstmagd sein muß, denn mein Name stand auf dem Umschlag und ich machte ihn auf.

Da lagen achthundert Mark drin.

Und ich lachte. Lachte ganz laut und ohne mich zu schämen. Das war der Haß!

Stückweise hätte ich mich martern lassen für meine Herrschaft, alles hätte ich hingeben können für sie und nun war ich doch nichts, als ein verachtetes Bündel Lumpen, das man hin und her schüttelt. – Der schiefe, krumme Jude Levi im verrufenen Holzgäßchen war besser als die Emmeline Wardukeit. Zu dem gingen die Herrn Leutnants und niemand sagte: »Pfui Teufel.«

Und ich nahm den Umschlag mit den achthundert Mark und ballte sie zu einem Knäuel, den warf ich auf die Erde und trat darauf. [Leer] Aber was ist aller Zorn und aller Haß von so einer armen Dienstmagd gegen die zitternde Sorge und Angst von so einem Mutterherzen.

Und wenn das Herz auch in einer hochwohlgeborenen Dame steckt, es ist doch eine Mutter.

Und so eine armselige Mutter kam gestern in meine Kammer geschlichen zu nachtschlafender Zeit und nahm mich an ihr Herz, und wärmte meine eiskalten Hände und ihre vornehmen Tränen waren genau so bitter, wie meine geringen.

Wir saßen beide auf meinem schmalen Bett und hielten uns umfaßt und sie sagte: »Line, meine treue Line, hilf mir. Mein Richard ist nicht heimgekommen in all den Stunden.«

Da erschrak ich, aber wie ich in Vollmondnächten meine Eingebungen habe, so legte mir's der Herrgott auf die Zunge, daß ich fügte: »Ich weiß, wo er ist.«

In mein eigenes grobes Umschlagtuch wickelte ich die kleine Gnädige und leise schlichen wir die Treppe hinunter, an der Tür des Herrn Obersten vorbei, hinter welcher er rastlos auf und ab ging. –

Wir waren schon lange gegangen, ehe die kleine Gnädige fragte: »Wohin, Line?« »Nach Parvadomus!«

Leise, wie vorgestern Abend klinkte ich die Pforte auf, der Mond leuchtete hell auf den schmalen Weg, daß man jedes Buchsbaumblättchen von der Einfassung erkennen konnte.

Ich zog die Frau hinter mir her, als ich die Tür zum Hüttchen aufmachte und legte den Finger auf den Mund.

Denn ich glaubte, nun müßte man Geigentöne hören wie es doch immer gewesen war, – immer.

Aber heute nicht.

Und er war doch drinnen, der Jungherr Richard.

Ganz still saß er in dem alten, abgeschabten Lehnstuhl vom Herrn Großvater selig, und sein Gesicht war sehr weiß und die Augen waren offen und an der Schläfe war ein kleines rotes Mal.

»Jesus!« rief ich da wieder.

Als ob unser Heiland kommen müßte und der armen Mutter den Sohn erwecken, – den einzigen.

Sie war neben dem Kinde hingekniet, – keine Träne mehr im Angesicht, wie versteinert im Schmerz. »Rufe den Vater,« kam es ganz laut und hart von ihrem Munde und da jagte ich wieder hinaus wie von Sinnen. Ehe ich aus dem Garten trat, sah ich nochmal nach dem Hüttchen zurück, – ganz gespenstisch leuchtete die goldene Inschrift im Vollmondlicht:

Parva domus, magna quies. – –

*

Die junge Frau Hauptmann Ingeborg will, daß ich mein altes Tagebuch zu Ende schreibe.

Sie ist ein gutes Seelchen und ich möchte ihr den Gefallen tun, aber ich bin jetzt alt und hinfällig, was soll ich schreiben?

Ich hab es noch einmal durchlesen müssen und alles Leid ist lebendig geworden.

Viele Jahre sind dahin gegangen und doch ist es just so, als hätte ich gar nichts mehr erlebt seit jenem Tage, auf den noch ein schrecklicher folgte.

Wie wir unsern Jungherrn Richard zu Grabe trugen.

Und wie der Herr Oberst aus seinem Zimmer trat und über Nacht ein alter Mann geworden war mit weißem Haar.

Vor dem Sarge schritt die Regimentskapelle und spielte »Jesus, meine Zuversicht«, und wie die ersten Töne klangen, konnte meine kleine Gnädige zum ersten Male weinen.

Dann kam noch ein Soldat, der trug ein Kissen, darauf lag ein Orden, die Rettungsmedaille am Bande, die hatte der Kaiser geschickt.

Und gleich hinter dem Sarge trippelten die beiden Jungens vom Schuster Labian, so war es bestimmt. Dann kam erst der Herr Oberst mit Seiner Durchlaucht unserm Fürsten.

Ich saß bei meiner kleinen Gnädigen und war unserm Herrgott dankbar, daß er ihr die Tränen gab.

Dreiviertelstunden waren wir so in tiefem Leid beisammen, dann führte ich sie sacht in ihr Schlafzimmer, das ganz nach dem Garten herausliegt.

Sie sollte nicht den frohen Marsch hören, den die Soldaten auf dem Rückwege vom Grabe bliesen, der war für Leute, die wieder ins Leben gingen, aber nicht für eine Mutter, die um ihren Einzigen weinte. –

Jetzt ruht sie schon lange aus bei ihm und der Herr Oberst auch. Und Frau Ingeborg ist meine Herrschaft geworden und hat einen braven Mann, denn Gott verläßt die Waisen nicht.

Ich bin noch gar nicht alt, aber müde.

Mein Herz hat einen »Knax«, sagt der gute alte, derbe Herr Oberstabsarzt und der muß es wissen.

Wenn unser Herrgott mich abruft, denn kriegt der brave Willusch mein bißchen, denn Frau Ingeborg ist wohlhabend und denkt überhaupt nie an sich.

Ich hab es ihr schon gesagt, daß ich einen schönen, hellgelben Sarg haben möchte und Efeu auf mein Grab und einen einfachen Findelstein, darauf soll stehen: –

Nachschrift:

Bei dieser Stelle ist ihr die Feder aus der Hand gefallen, meiner guten, treuen Emmeline Wardukeit. Ganz still ist sie hinübergeschlummert, die Gute.

Ich nehme das Vermächtnis auf.

In einem »schönen hellgelben Sarg« haben wir sie gebettet, Efeu wächst auf ihrem Hügel und auf dem schlichten Findelstein steht:

»Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist
über wenigem getreu gewesen, ich will dich über
vieles sehen, gehe ein zu deines Herren Frieden.«


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