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Mit Holck in Rußland

(Sommer 1915)

Juni, Juli, August 1915 blieb ich bei der Fliegerabteilung, die den ganzen Vormarsch Mackensens von Gorlice nach Brest-Litowsk mitmachte. Ich war als ganz junger Beobachter dort hingekommen und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung.

Als Kavallerist war ja meine Beschäftigung Aufklären, so schlug der jetzige Dienst in mein Fach, und ich hatte großen Spaß an den riesigen Aufklärungsflügen, die wir fast täglich unternahmen.

Für den Beobachter ist es wichtig, einen gesinnungstüchtigen Führer zu finden. Da hieß es eines schönen Tages: »Graf Holck ist auf dem Anmarsch zu uns.« Sofort kam mir der Gedanke: »Das ist der Mann, den du brauchst.«

Holck erschien nicht, wie man wohl glauben könnte, im 60-P.S.-Mercedes oder im Schlafwagen erster Klasse, sondern zu Fuß. Er war nach tagelanger Bahnfahrt endlich in die Gegend von Jaroslau gekommen. Dort stieg er aus, denn es war wieder mal ein unendlicher Aufenthalt. Seinem Burschen sagte er, er möchte mit dem Gepäck nachreisen, er würde vorausgehen. Er zieht los, und nach einer Stunde Fußmarsch guckt er sich um, aber kein Zug folgt ihm. So lief und lief er, ohne von seinem Zuge überholt zu werden, bis er schließlich nach fünfzig Kilometern in Rawa Ruska, seinem Ziel, ankam und vierundzwanzig Stunden später der Bursche mit dem Gepäck erschien. Das war dem Sportsmann aber weiter keine ungewohnte Arbeit. Sein Körper war derart trainiert, daß ihm fünfzig Kilometer Fußmarsch nichts weiter ausmachten.

Graf Holck war nicht bloß ein Sportsmann auf dem grünen Rasen, der Flugsport machte ihm allem Anschein nach nicht weniger Vergnügen. Er war ein Führer von seltener Befähigung, und besonders eben, was ja noch eine große Hauptsache ist, er war grob Klasse über dem Feind.

Manch schönen Aufklärungsflug flogen wir, wer weiß wie weit, Richtung Rußland. Nie hatte ich bei dem noch so jungen Piloten das Gefühl der Unsicherheit, vielmehr gab er mir im kritischen Moment einen Halt. Wenn ich mich umsah und in sein entschlossenes Gesicht blickte, hatte ich wieder nochmal so viel Mut wie vorher.


Mein letzter Flug mit ihm zusammen sollte beinahe schief gehen. Wir hatten eigentlich gar keinen bestimmten Auftrag zu fliegen. Das ist ja aber gerade das Schöne, daß man sich vollständig als freier Mensch fühlt und vollkommen sein eigener Herr ist, wenn man mal in der Luft ist.

Wir hatten einen Flughafenwechsel vorwärts und wußten nicht genau, welche Wiese nun eigentlich die richtige sei. Um unsere Kiste bei der Landung nicht unnötig aufs Spiel zu setzen, flogen wir Richtung Brest-Litowsk. Die Russen waren in vollem Rückmarsch, alles brannte -- -- ein grausig-schönes Bild. Wir wollten feindliche Kolonnen feststellen und kamen dabei über die brennende Stadt Wiczniace. Eine riesige Rauchwolke, die vielleicht bis auf zweitausend Meter hinaufreichte, hinderte uns am Weiterfliegen, da wir selbst, um besser zu sehen, nur in fünfzehnhundert Metern Höhe flogen. Einen Augenblick überlegte Holck. Ich fragte ihn, was er machen wollte, und riet ihm, drumherum zu fliegen, was vielleicht ein Umweg von fünf Minuten gewesen wäre. Aber daran dachte Holck gar nicht. Im Gegenteil: je mehr sich die Gefahr erhöhte, um so reizvoller war es ihm. Also mitten durch! Mir machte es auch Spaß, mit einem so schneidigen Kerl zusammen zu sein. Doch sollte uns unsere Unvorsichtigkeit bald teuer zu stehen kommen, denn kaum war der Schwanz des Apparates in der Wolke verschwunden, schon merkte ich ein Schwanken im Flugzeug. Ich konnte nichts mehr sehen, der Rauch biß mir in die Augen, die Luft war bedeutend wärmer, und ich sah unter mir bloß noch ein riesiges Feuermeer. Plötzlich verlor das Flugzeug das Gleichgewicht und stürzte, sich überschlagend, in die Tiefe. Ich konnte noch schnell eine Strebe erfassen, um mich festzuhalten, sonst wäre ich 'rausgeschleudert worden. Das erste, was ich tat, war ein Blick in Holcks Gesicht. Schon hatte ich wieder Mut gefaßt, denn seine Mienen waren eisern zuversichtlich. Der einzige Gedanke, den ich hatte, war der: es ist doch dumm, auf so unnötige Weise den Heldentod zu sterben.

Später fragte ich Holck, was er sich eigentlich in dem Augenblick gedacht hätte. Da meinte er, daß ihm doch noch nie so eklig zumute gewesen sei.

Wir stürzten herunter bis auf fünfhundert Meter über die brennende Stadt. War es die Geschicklichkeit meines Führers oder höhere Fügung, vielleicht auch beides, jedenfalls waren wir plötzlich aus der Rauchwolke herausgefallen, der gute Albatros fing sich wieder und flog erneut geradeaus, als sei nichts vorgefallen.

Wir hatten nun doch die Nase voll von unserem Flughafenwechsel und wollten schleunigst zu unseren Linien zurückkehren. Wir waren nämlich noch immer weit drüben bei den Russen und zudem nur noch in fünfhundert Metern Höhe. Nach etwa fünf Minuten ertönte hinter mir die Stimme Holcks: »Der Motor läßt nach.«

Ich muß hinzufügen, daß Holck von einem Motor nicht ganz dieselbe Ahnung hatte wie von einem »Hafervergaser«, und ich selbst war vollständig schimmerlos. Nur eines wußte ich, daß, wenn der Motor nicht mehr mitmachte, wir bei den Russen landen mußten. Also kamen wir aus der einen Gefahr in die andere.

Ich überzeugte mich, daß die Russen unter uns noch flott marschierten, was ich aus fünfhundert Metern Höhe genau sehen konnte. Im übrigen brauchte ich gar nichts zu sehen, denn der Rußki schoß mit Maschinengewehren wie verfault. Es hörte sich an, als wenn Kastanien im Feuer liegen.

Der Motor hörte bald ganz auf zu laufen, er hatte einen Treffer. So kamen wir immer tiefer, bis wir gerade noch über einem Wald ausschwebten und schließlich in einer verlassenen Artilleriestellung landeten, die ich noch am Abend vorher als besetzte russische Artilleriestellung gemeldet hatte.

Ich teilte Holck meine Vermutungen mit. Wir sprangen 'raus aus der Kiste und versuchten, das nahe Waldstückchen zu erreichen, um uns dort zur Wehr zu setzen. Ich verfügte über eine Pistole und sechs Patronen, Holck hatte nichts.

Am Waldrande angekommen, machten wir halt, und ich konnte mit meinem Glase erkennen, wie ein Soldat auf unser Flugzeug zulief. Zu meinem Schreck stellte ich fest, daß er eine Mütze trug und nicht eine Pickelhaube. Das hielt ich für ein sicheres Zeichen, daß es ein Russe sei. Als der Mann näher kam, stieß Holck einen Freudenschrei aus, denn es war ein preußischer Gardegrenadier.

Unsere Elitetruppe hatte wieder einmal die Stellung beim Morgengrauen gestürmt und war bis zu den feindlichen Batteriestellungen durchgebrochen.


Ich erinnere mich, daß Holck bei dieser Gelegenheit seinen kleinen Liebling, ein Hündchen, verlor. Er nahm das Tierchen bei jedem Aufstieg mit, es lag ganz ruhig in seinem Pelz unten in der Karosserie. Im Walde hatten wir es noch mit. Kurz darauf, als wir mit dem Gardegrenadier gesprochen hatten, kamen Truppen vorbeigezogen. Dann kamen Stäbe von der Garde und Prinz Eitel Friedrich mit seinen Adjutanten und Ordonnanzoffizieren. Der Prinz ließ uns Pferde geben, so daß wir beiden Kavallerieflieger mal wieder auf richtigen »Hafermotoren« saßen. Leider ging uns beim Weiterreiten das Hündchen verloren. Es muß wohl mit anderen Truppen mitgelaufen sein.

Spätabends kamen wir schließlich mit einem Panjewagen in unseren Flughafen zurück. Die Maschine war futsch.


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